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Diskussionsbeitrag von SGfAP und C.G.Jung Institut Zürich. Wissenschaftskolloquium vom 24. Juni 2000 2.2.2 Wirkung, Wirkfaktoren, Grenzen Wirkung “Die Wirkung, auf die ich hinziele, ist die Hervorbringung eines seelischen Zustandes, in welchem mein Patient anfängt, mit seinem Wesen zu experimentieren, wo nichts mehr für immer gegeben und hoffnungslos versteinert ist, eines Zustandes der Flüssigkeit, der Veränderung und des Werdens.” (Jung 1929, 16, § 99) Eine Jungsche Therapie führt im besten Fall zu mehr Authentizität, zur Befreiung zum Eigentlichen der Person hin, zu mehr Kontakt mit den Emotionen und damit zu Selbstakzeptanz und zu einem bleibenden Suchen nach der Beziehung zu sich selbst, im Rahmen von Beziehungen zu den anderen Menschen und zur Welt. Introspektion wird gefördert, sowie die Wahrnehmung von Interaktions- strukturen und die Möglichkeit zu deren Veränderung. (Dies betrifft insbesondere den Umgang mit Komplexen). Durch Entwicklung werden Autonomie und Beziehungsfähigkeit gefördert. Das alltägliche Leben und die Beziehungen werden unter der Perspektive beurteilt, ob das Leben durch bestimmte Entscheidungen gehemmt oder gefördert wird, ob Individuation gehemmt oder gefördert wird. Damit verbunden ist eine Erfahrung, dass Leben sinn-voll sein kann. Menschen werden konfliktfähiger und vor allem fähig, kreativ mit Problemen umzugehen und die eigenen Ressourcen, aber auch die Ressourcen, die in Systemen liegen, zu nutzen. Selbsterkenntnis und die Erkenntnis von Lebensmöglichkeiten, die brach liegen, auch in den grösseren Lebensgemeinschaften, in denen Menschen eingebunden sind, werden vielfältiger. Vertrauen auf schöpferische Lösungen wird entwickelt. Die Lebensqualität verbessert sich, es wächst die Überzeugung, einen sinnvollen, angemessenen Weg trotz der verschiedenen Probleme, intrapsychischer und gesellschaftlicher Art, immer wieder finden zu können. Symptome sind entweder verschwunden, gelindert, oder es gelingt, mit ihnen zu leben. Dabei wird herausgefunden, welche Situationen in welcher Weise krankmachend sind, und mit welchen Strategien man diese Einflüsse verhindern oder minimieren kann. Man geht selbstverantwortlicher und aktiver mit der eigenen Gesundheit um. Man versteht, dass Probleme nicht einfach existieren, sondern dass sie entstehen. Grundsätzlich lernen Menschen, die Realitäten des Menschseins (Schatten, Leiden, Scheitern, Glücken) als zum Menschen zugehörig zu akzeptieren. Wirkfaktoren Diese Wirkungen werden erreicht durch die therapeutische Beziehung (s.d.), in der sich Komplexe konstellieren und bearbeitet werden können (Übertragung - Gegenübertragung), in der aber auch neue Beziehungs - Erfahrungen gemacht werden können. Dabei ist der Therapeut/ die Therapeutin das Instrument der Behandlung. Jung: “Jeder Psychotherapeut hat nicht nur seine Methode: er selber ist sie.” (Jung 1945, 1971, 16, § 198) Die Symbolisierungsvorgänge, als Ausdruck der transzendenten Funktion, der Verbindung von Bewusstsein und Unbewusstem in einem jeweils neuen Symbol, spiegeln sich in der analytischen Beziehung, und können durch den Analytiker oder die Analytikerin gefördert werden, indem diese ihre transzendente Funktion im therapeutischen Prozess sozusagen dem Analysanden “leihen”. (Kast 1990) Die Symbolisierungsvorgänge führen dazu, dass Einseitigkeiten aufgehoben werden, Komplexe (Konflikte und ihr Hintergrund) sichtbar und bearbeitbar werden, dass das in ihnen liegende Entwick- lungspotential gehoben werden kann. Die Dynamik der transzendenten Funktion entspricht der Dynamik des kreativen Prozesses. Das Wahrnehmen und Entwickeln von schöpferischen Impulsen ist von zentraler Bedeutung. “Der schöpferische Weg ist der beste, dem Unbewussten zu begegnen.” (Jung, Briefe I, S.146) Durch die Symbolisierungsvorgänge werden Probleme in der therapeutischen Beziehung, im Alltag und in der Genese in einen Zusammenhang gebracht, es entsteht ein Bewusst- werden des Gewordenseins der Probleme, aber auch ein Problembewusstsein, und Möglichkeiten, an diesen Problemen konkret zu arbeiten. Generell entsteht Selbsterkenntnis, die Probleme werden im Ganzen einer Biographie gesehen und verstanden, auch prospektiv, progressiv als Lebensaufgabe und 1

Diskussionsbeitrag von SGfAP und C.G.Jung Institut Zürich. · PDF fileJung Carl Gustav (1968) Mysterium Coniunctionis, GW 14/2 Jung Carl Gustav (1972) Briefe I, Walter, Olten Kast

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Diskussionsbeitrag von SGfAP und C.G.Jung Institut Zürich. Wissenschaftskolloquium vom 24. Juni 2000

2.2.2 Wirkung, Wirkfaktoren, Grenzen

Wirkung

“Die Wirkung, auf die ich hinziele, ist die Hervorbringung eines seelischen Zustandes, in welchem mein Patient anfängt, mit seinem Wesen zu experimentieren, wo nichts mehr für immer gegeben und hoffnungslos versteinert ist, eines Zustandes der Flüssigkeit, der Veränderung und des Werdens.” (Jung 1929, 16, § 99)Eine Jungsche Therapie führt im besten Fall zu mehr Authentizität, zur Befreiung zum Eigentlichen der Person hin, zu mehr Kontakt mit den Emotionen und damit zu Selbstakzeptanz und zu einem bleibenden Suchen nach der Beziehung zu sich selbst, im Rahmen von Beziehungen zu den anderen Menschen und zur Welt. Introspektion wird gefördert, sowie die Wahrnehmung von Interaktions-strukturen und die Möglichkeit zu deren Veränderung. (Dies betrifft insbesondere den Umgang mit Komplexen). Durch Entwicklung werden Autonomie und Beziehungsfähigkeit gefördert. Das alltägliche Leben und die Beziehungen werden unter der Perspektive beurteilt, ob das Leben durch bestimmte Entscheidungen gehemmt oder gefördert wird, ob Individuation gehemmt oder gefördert wird. Damit verbunden ist eine Erfahrung, dass Leben sinn-voll sein kann. Menschen werden konfliktfähiger und vor allem fähig, kreativ mit Problemen umzugehen und die eigenen Ressourcen, aber auch die Ressourcen, die in Systemen liegen, zu nutzen. Selbsterkenntnis und die Erkenntnis von Lebensmöglichkeiten, die brach liegen, auch in den grösseren Lebensgemeinschaften, in denen Menschen eingebunden sind, werden vielfältiger. Vertrauen auf schöpferische Lösungen wird entwickelt. Die Lebensqualität verbessert sich, es wächst die Überzeugung, einen sinnvollen, angemessenen Weg trotz der verschiedenen Probleme, intrapsychischer und gesellschaftlicher Art, immer wieder finden zu können.Symptome sind entweder verschwunden, gelindert, oder es gelingt, mit ihnen zu leben. Dabei wird herausgefunden, welche Situationen in welcher Weise krankmachend sind, und mit welchen Strategien man diese Einflüsse verhindern oder minimieren kann. Man geht selbstverantwortlicher und aktiver mit der eigenen Gesundheit um. Man versteht, dass Probleme nicht einfach existieren, sondern dass sie entstehen.Grundsätzlich lernen Menschen, die Realitäten des Menschseins (Schatten, Leiden, Scheitern, Glücken) als zum Menschen zugehörig zu akzeptieren.

Wirkfaktoren

Diese Wirkungen werden erreicht durch die therapeutische Beziehung (s.d.), in der sich Komplexe konstellieren und bearbeitet werden können (Übertragung - Gegenübertragung), in der aber auch neue Beziehungs - Erfahrungen gemacht werden können. Dabei ist der Therapeut/ die Therapeutin das Instrument der Behandlung. Jung: “Jeder Psychotherapeut hat nicht nur seine Methode: er selber ist sie.” (Jung 1945, 1971, 16, § 198) Die Symbolisierungsvorgänge, als Ausdruck der transzendenten Funktion, der Verbindung von Bewusstsein und Unbewusstem in einem jeweils neuen Symbol, spiegeln sich in der analytischen Beziehung, und können durch den Analytiker oder die Analytikerin gefördert werden, indem diese ihre transzendente Funktion im therapeutischen Prozess sozusagen dem Analysanden “leihen”. (Kast 1990) Die Symbolisierungsvorgänge führen dazu, dass Einseitigkeiten aufgehoben werden, Komplexe (Konflikte und ihr Hintergrund) sichtbar und bearbeitbar werden, dass das in ihnen liegende Entwick-lungspotential gehoben werden kann. Die Dynamik der transzendenten Funktion entspricht der Dynamik des kreativen Prozesses. Das Wahrnehmen und Entwickeln von schöpferischen Impulsen ist von zentraler Bedeutung. “Der schöpferische Weg ist der beste, dem Unbewussten zu begegnen.” (Jung, Briefe I, S.146) Durch die Symbolisierungsvorgänge werden Probleme in der therapeutischen Beziehung, im Alltag und in der Genese in einen Zusammenhang gebracht, es entsteht ein Bewusst-werden des Gewordenseins der Probleme, aber auch ein Problembewusstsein, und Möglichkeiten, an diesen Problemen konkret zu arbeiten. Generell entsteht Selbsterkenntnis, die Probleme werden im Ganzen einer Biographie gesehen und verstanden, auch prospektiv, progressiv als Lebensaufgabe und

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führen dazu, die eigene Identität in Wandlung als sinnvoll zu sehen. Durch die therapeutische Beziehung und durch die Symbolisierungsvorgänge werden auch Ressourcen aktiviert. Ganz besonders auch durch den Rückbezug auf archetypische Situationen und archetypische Bilder, die hinter den Komplexen stecken, und durch die Komplexe ans Bewusstsein herangeführt werden. Der Bezug auf die archetypischen Bilder zeigt, welche Lebensthemen konstelliert sind, sie ermöglichen die Einordnung von persönlichen Problemen in existentielle Probleme der Menschen und bieten mit den kollektiv erlebten Bildern Anregungen zur Imagination (Kreativität, Perspektivenvielfalt), als auch zur Regulierung von Emotionen.

Grenzen

Das Ziel der Therapie wird je nach Persönlichkeit (Struktur) und Problematik des Analysanden/ der Analysandin eine andere sein. Die Grenzen der therapeutischen Arbeit im Jungschen Sinne sind dort, wo es - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelingt, den Analysanden zu motivieren, sich mit der Innenwelt auseinanderzu-setzen, oder wo das eigene Engagement des Patienten/ der Patientin für seine/ihre Entwicklung nicht möglich ist, auch wenn bei der gemeinsamen Suche nach Bewältigungsmöglichkeiten der Schwierig-keiten, die neuen Erfahrungsmöglichkeiten nicht aufgenommen werden können, wenn Menschen nicht lernen können. Eine grundsätzliche Schwierigkeit sehe ich dort, wo Analytiker und Analysandin nicht zusammenpassen.

1.3. Zur Bedeutung des Menschen - und Weltbildes

In der Jungschen Therapie wird der Mensch in seiner Entwicklung gesehen, in ständiger Wandlung, auf das in ihm Angelegte hin. Diese Entwicklung (Individuationsprozess) ist lebenslange Aufgabe, immer auch in Auseinandersetzung mit Hemmendem, auf Korrigierbarkeit hin angelegt.Diese Entwicklung findet in der Auseinandersetzung des Bewusstseins mit dem Unbewussten, dem Kollektiven Unbewussten und dem kollektiven Bewusstsein statt: etwa im Wissen darum, dass man zwar eine Beziehung bewusst gestaltet, dass aber auch eine unbewusste Inszenierung stattfindet, oder dass man beispielsweise der Ansicht ist, eine sehr authentische Entscheidung gefällt zu haben, und dann feststellt, dass dies im Moment eine “Mediennorm” ist, die man erfüllt. Jede Person ist einmalig, das Ich steht in Verbindung und Auseinandersetzung mit dem Selbst und der Welt. Das Selbst wird verstanden als zentraler Archetypus von grosser Selbstregulierungs - und Selbstzentrierungskraft, als der geheime “spiritus rector” unseres Lebens, der Anreiz zu lebenslanger Entwicklung, ein Archetyp, der auch den Aufbau des Ich-Komplexes steuert. Das Selbst gilt weiter als Grund und Ursprung der individuellen Persönlichkeit, und umfasst diese in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. (Jung, 1968, 14/2 § 414) Jung spricht dann auch von “dem Selbst” (im Unterschied zu “mein Selbst”) und meint damit einfach den Menschen als solchen in uns - Individuation wäre also letztlich auch Arbeit am “Menschlichen”. Eine weitere Stufe des Selbst beschreibt er in Anlehnung an einen Alchemisten Dorneus: Der ganzheitliche Mensch kann sich dem Unus Mundus verbinden, es gäbe also letztlich - als Vision, als Utopie - die Verbindung des menschlichen Selbst mit dem Kosmos als Ganzem. (Jung 1968, 14/2, § 414) Damit ergibt sich eine Verbindung von Menschenbild und Weltbild: Was innen ist, ist auch aussen, was aussen ist, auch innen. (Auf der klinischen Ebene: Deutungen auf der Subjekt - und auf der Objektstufe)Der Mensch ist ein interaktionelles Wesen, ein Wesen, das immer in Beziehungen steht, in diesen sich entwickelt und aus diesen heraus sich auch versteht. “..denn die Beziehung zum Selbst ist zugleich die Beziehung zum Mitmenschen, und keiner hat einen Zusammenhang mit diesem, er habe ihn denn zuvor mit sich selbst.” (Jung 16, § 445)Der Mensch wird weiter gesehen als ein biologisches Wesen und als ein symbolschaffendes Wesen. Der Mensch braucht Symbole, schafft Symbole, auch die sprachlichen Symbole. Letztlich ist er ein sinnerschaffendes Wesen.Der Vorstellungsraum, der persönliche und der kollektive, hat Anteil an der Welt des Sinnenhaften, Sinnlichen und wird strukturiert durch die Emotionen. Der Vorstellungsraum ist der Raum, in dem sich Symbole wandeln, es ist der Raum der Wandlung. Der Mensch verlangt aber auch nach Sinn, danach, dass das eigene Leben und die Mitwelt in einem sinnvollen Zusammenhang stehen.Der Mensch und seine Einpassung in die Welt wird verstanden als selbstregulierendes System:

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Einseitigkeiten werden kompensiert auf der mehr persönlichen oder auch auf der mehr kollektiven Ebene.Auf der mehr kollektiven Ebene handelt es sich dabei um archetypische Felder, die sich jeweils neu konstellieren (Kreativität) oder als Kompensation - als Ordnungsprinzipien für Information und Emotion - wirken und bewirken, dass man sich wiederum besser zurechtfindet im Leben, (z.B. im Umgang mit Tod), bestimmten Themen sich zuwendet, die ins eigene Leben passen, kreativ damit umgeht..Im Menschenbild von Jung wird die Zeitlichkeit, die Begrenztheit, die Sterblichkeit ernst genommen, was einerseits dazu führt, dass der Mensch mit seinem Leiden ernst genommen wird, dass es nicht einfach darum gehen kann, Leiden abzuschaffen, sondern dass man damit umgehen muss, andererseits aber auch die Betonung von Kreativität angesichts der Sterblichkeit.Menschenbild und Weltbild stehen in einem engen Zusammenhang. Jung ist der Ansicht, dass der Mensch sich ein Weltbild, auch Weltbilder erschafft, die wiederum eine Rückwirkung auf den Menschen haben, diesen verändern. (Der Unendlichkeitsgedanke von Giordano Bruno als einer der Anfänge des modernen Bewusstseins.) (Jung 1927, 1967, 8, §696) Das könnte man aber auch klinischer formulieren: mache ich mir beispielsweise Bilder einer grundsätzlich bedrohlichen Welt, werde ich mich anders fühlen und verhalten, als wenn ich mir Bilder einer interessanten, geheimnis-vollen Welt mache. Dabei ist der Ausdruck “Bilder” sehr konkret zu nehmen, denn es ist die erkennt-nistheoretische Überzeugung von C.G. Jung, dass wir in einer Bilderwelt leben (Jung , 1967, 8, § 746), dass die unmittelbar erscheinende Wirklichkeit aus Bildern besteht. (Jung, 8, §746) An die Weltbilder aber passen wir uns an, in die Weltbilder passen wir uns ein - sie sind das Referenzsystem für den Menschen. Erkenntnis über die Welt ist für Jung auch Erkenntnis über sich selbst, wobei Weltanschauung immer eine Hypothese ist, kein Glaubensartikel. Wesentlich für Jung war, das Weltbild nicht erstarren zu lassen, sondern neue Ideen darauf zu prüfen, ob und wie sie das Weltbild verändern. (Jung, 8, §700)Jung sieht auch die Inhalte des Kollektiven Unbewussten (archetypische Bilder) in ihrer Gesamtheit als “natürliches Weltbild”, historisch gewachsen. Dabei sind die archetypischen Bilder “Rohmaterial”, die jeweils in die Sprache der Gegenwart übersetzt werden müssen. (Jung, 8, § 738) Die Archetypen per se (Ordnungsstrukturen) gelten für Jung als die “objektive Psyche”, zu der das Ich in Beziehung stehen kann.Wichtig für ihn ist, dass alles, was geschieht, in der einen Welt geschieht. (Jung, 14/2 § 327), dass die Vielfältigkeit der empirischen Welt auf einer einheitlichen Grundlage beruhen müsste. (14/2, § 421) So könnte nach Jung die Welt der Psyche auch als Spiegelbild der Welt der Materie verstanden werden. Damit im Zusammenhang steht das Prinzip der Synchronizität, der beobachtbaren, erlebbaren Koinzidenz von intrapsychischen und materiellen Gegebenheiten, die sinnverwandt und gleichzeitig auftreten, und deren Auftreten kausal nicht begründet werden können. Diese Erfahrungen verweisen nach Jung und Pauli auf einen bewusstseinstranszendenten Einheitsaspekt des Seins, den Jung “Unus Mundus” genannt hat. Die Relevanz dieses interessanten Denkens besteht für die Therapie darin, dass alltägliches Geschehen als sinnvoll erlebt wird, dass anstelle von blindem Zufall “Sinn” erlebt wird.

St. Gallen, 16.3.2000 Verena Kast

LiteraturAtmanspacher H. et.al. (1995) Der Pauli-Jung Dialog und seine Bedeutung für die moderne Wissenschaft, Springer, Berlin Heidelberg, New YorkJung Carl Gustav (1929, 1971) Praxis der Psychotherapie, GW 16, Walter, OltenJung Carl Gustav (1967) Die Dynamik des Unbewussten, GW 8Jung Carl Gustav (1968) Mysterium Coniunctionis, GW 14/2Jung Carl Gustav (1972) Briefe I, Walter, OltenKast Verena (1990) Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der Jungschen Psychotherapie, Walter, Olten

2.2.3. Therapeutische Beziehung

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Wie bei jeder lebendigen psychologischen Schule muss unterschieden werden zwischen dem, was C. G. Jung, der Begründer der analytischen Psychologie zur therapeutischen Beziehung geäussert hat und dem, was auf dieser Grundlage von SchülerInnen und Nach - JungianerInnen entwickelt worden ist.C. G. Jung hat - in Ergänzung zu S. Freud - folgende Aspekte zur therapeutischen Beziehung herausgearbeitet (Jung, Praxis der Psychotherapie): - Psychotherapie ist keine einfache und eindeutige Methode, sondern ein dialektisches Verfahren, d.h. ein Zwiegespräch oder eine Auseinandersetzung zwischen zwei Personen. - Eine Person ist ein psychisches System, welches im Fall einer Einwirkung auf eine andere Person, mit einem anderen psychischen System in Wechselwirkung tritt. - Unter psychischem System versteht Jung (den Körper, der auf die Psyche wirkt) - das Bewusstsein - das persönliche Unbewusste - das kollektive Unbewusste mit den archetypischen Inhalten - (die Umgebung, Soziales etc.). - Analyse ist eine Kunst, die immer einmalig zwischen zwei einmaligen Personen stattfindet. - Heilsame Veränderungen beim Patienten können nur stattfinden, wenn auch der Arzt sich einlässt und Veränderungen aussetzt. - Ein dialektisches Verfahren verzichtet auf jede Methode, da sie das Gegenüber als ebenbürtig ernstnimmt, somit der Arzt aufrecht dem aufrechten Patienten gegenübersitzt.Diese Aussage ergänzt Jung mit einer Einschränkung: - Der Arzt ist nicht handelndes Subjekt, sondern er erlebt passiv einen Entwicklungsprozess beim Patienten mit. - Ferner gibt der Arzt dem Patienten die Möglichkeit, sein Material möglichst umfassend darzustellen, indem er höchstens Reaktionen zum Material des Patienten beisteuert.

In seiner Frühzeit als Psychiater am Burghölzli hat Jung ein konkretes, diagnostisches Instrument zum Erkennen von Komplexen bei Patienten erarbeitet, das noch heute seinen Dienst tut in den therapeutischen Praxis: Das Assoziationsexperiment. (Jung, Experimentelle Untersuchungen).

Im Laufe seiner therapeutischen Tätigkeit hat Jung seine Typologie ausgearbeitet, ein Versuch, die Vielfalt der menschlichen Typen in zwei Grundorientierungen (extrovertiert und introvertiert) und in vier Hauptausrichtungen des Bewusstseins (Denken, Fühlen, Empfinden, Intuieren) zu erfassen (Jung, Psychologische Typen). Damit hat er auch ein Instrument für die therapeutische Praxis geschaffen, die es dem Arzt schnell ermöglichen soll, sein Gegenüber zu erfassen und “richtig” einzuschätzen.

Jung nennt 4 Stadien einer therapeutischen Beziehung:(Jung, Praxis der Psychotherapie):1) Bekenntnis, Beichte, Katharsis. Das Erzählen eines Lebensgeheimnisses.2) Aufklärung. Deutung von unbewusstem Material durch den Arzt. Einsicht in Zusammenhänge beim Patienten.3) Erziehung. Soziale Anpassung, Arbeitsfähigkeit, Respektieren von Normen werden durch die Führung und Anleitung des Arztes möglich und erreicht.4) Verwandlung. Für Jung zentral ist es, immer wieder zu betonen, dass Verwandlung bei Arzt und Patient eintritt, beide Personen werden verwandelt. Dadurch gewinnt die Selbstanalyse des Arztes eine zentrale Bedeutung: “Du musst sein, als der du wirken willst”. Der Arzt darf also nicht nur mit Worten seine Lehren dem Patienten anbieten, sondern er muss bereit sein, sich selber tiefer kennenzulernen, so dass auch seine unbewusste Ausstrahlung stimmig ist.Jung hat festgestellt, dass alle diese Stadien durch das Phänomen der Uebertragung mehr oder weniger begleitet und kompliziert werden. Zuerst war Jung der Meinung, dass die Uebertragung und Gegenübertragung von Arzt und Patient keineswegs in allen Fällen auftaucht, sondern nur in tiefergehenden Analysen. Dem “lästigen” Phänomen widmet Jung dann aber einen guten Teil seines späten Schaffens. (Jung, Psychologie der Uebertragung, Mysterium Conjunctionis) In mittelalterlichen Texten zur Alchemie findet er dann für sich aussagekräftige Bilder, die zu dem passen, was an anstössigen, inzestuösen, bewussten und unbewussten Phantasien und Trieben bei Arzt und Patient im Uebertragungs - Gegenübertragungsgeschehen abläuft. “Die Darstellung der Uebertragungsphäno-mene ist eine ebenso schwierige wie delikate Aufgabe, die ich nicht anders anzugehen wusste, als dass ich mich an die Symbolik des alchemistischen Opus anlehnte.” (Jung, Psychologie der Uebertragung. S. 343).

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Unter den SchülerInnen und NachfolgerInnen von C.G. Jung haben sich drei verschiedene Arten entwickelt, die therapeutische Beziehung zu betrachten. Für Alle ist es aber mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass Uebertragungs - und Gegenübertragungsreaktionen vom ersten Moment an der Begegnung zwischen AnalytikerIn und KlietnIn einsetzen, somit normal und allgegenwärtig sind. - Eine Gruppe konzentriert sich auf archetypische Bilder aus dem kollektiven Unbewussten, um das Uebertagungsgeschehen darzustellen und zu interpretieren (z.B. Meier, Guggenbühl, Hillmann).Eine andere Gruppe konzentriert sich - zusammen mit psychonalytischen KollegInnen und der allgemeinen Psychotherapieforschung - hauptsächlich auf das Beziehungsgeschehen, das zwischen TherapeutIn und KlientIn stattfindet. Dabei bekommen Gegenübertragungsreaktionen der TherapeutIn einen immer höheren Stellenwert. Die gefühlsmässigen, körperlichen, intuitiven und denkerischen Reaktionen der TherapeutIn werden als wichtige Indikatoren für die z.T. noch unbewusste Befindlichkeit der KlientIn erkannt und beachtet (Dieckmann, Fordham).Neuere Psychotherapieforschnung sieht in der Beziehung zwischen Therapeutin und KlientIn einen zentralen Faktor für Veränderung. In der Mikroanalyse des therapeutischen Geschehens wird ein wichtiges Instrument entdeckt, um Projektionen überhaupt erlebbar und damit auch veränderbar werden zu lassen. Vertiefte Auseinanderstzung mit grundlegenden Komplexen ist nur so möglich. Das Beziehungsgeschehen wird heute kaum noch vom Uebertragungs - und Gegenübertragungsgeschehen abgegrenzt (Fordham, Analytical Psychology/ Technique. Heisig, Wandlungsprozesse)Eine dritte Gruppe verbindet die genannten “gegensätzlichen” Positionen zu einer Haltung, die sowohl den archetypischen Bildern, wie dem aktuellen Geschehen in der therapeutischen Situation ihre Aufmerksamkeit schenken (Kast, Die Dynamik der Symbole).Allgemeine Gültigkeit hat aber heute noch das Schema nach Jung, das die Übertragungs - und Gegen-übertragungsvorgänge aufzeichnet:

Es gibt also 12 verschiedene Wege, auf denen Bewusstsein und Unbewusstes von TherapeutIn und Klientin miteinander kommunizieren können, ein weites und anspruchsvolles Feld (Dieckmann, Methoden der analytischen Psychologie).

Maschwanden, den 16. 3. 2000 Ursula Bez Bühler

LiteraturC.G. Jung: Praxis der Psychotherapie. GW Bd. 16. Walter, 1984C.G. Jung: Experimentelle Untersuchungen. GW Bd. 2. Walter, 1987C.G. Jung: Psychologische Typen, GW Bd. 6. Walter, 1960/78C.G. Jung: Mysterium Conjunctionis. GW Bd. 14. Walter, 1968/84G. Adler: Zur analytischen Psychologie. Rascher, 1952H. Fierz: Methodik, Theorie und Ethik in der analytischen Psychologie. In: Die

Psychologie des 20. Jhdts. Bd. 3. Kindler, 1977M. Fordham et al. (hrsg): Analytical Psychology. A Modern Science. Heinemann, 1973M. Fordham et al. (hrsg): Technique in Jungian Analysis. Heinemann, 1974A. Guggenbühl - Craig: Macht als Gefahr beim Helfer. Karger, 1978D. Heisig: Wandlungsprozesse durch die therapeutische Beziehung, Psychosozial Verlag, 1999J. Hillmann: Archetypal Psychology. Spring, 1983V. Kast: Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der jungschen Psychotherapie. Walter 1990J. Hillmann: Im Anfang war das Bild. Kösel, 1983C.A. Meier: Antike Inkubation und moderne Psychotherapie. Rascher, 1949A.Samuels: Jung und seine Nachfolger. Klett Cotta, 1989

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