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Wenn ich heute beim morgendlichen Rapport im Spital in die Runde blicke, sehe ich mehr Frauen als Männer vor mir. Als langjähriger Ausbildungsarzt habe ich hautnah miterlebt, wie Medizinstudenten, Assistenz- und Oberärzte von ihren Kolleginnen zahlenmässig überholt worden sind. Dieser Trend hat in der letzten Dekade erst so richtig eingesetzt. Das belegen auch die Zahlen des Bundes- amtes für Statistik: 1999 betrug der Frauenanteil bei Doktoraten in der Human- medizin 39,6 Prozent. 2013 entfielen bereits mehr als die Hälfte aller Doktorate auf Frauen (53,3%). Das Geschlechterverhältnis wird sich weiter verschieben, wie der Blick auf die aktuellen Bachelorabschlüsse verrät: Sechs von zehn Bachelor- diplome in der Medizin werden an Studentinnen überreicht. Ärztinnen sind weiter auf dem Vormarsch und verleihen unserem Beruf neue, gute Impulse. Sie bringen die weibliche Sicht ein und praktizieren vielfach mit mehr Empathie und Intuition als ihre Kollegen. Die Feminisierung wird nicht nur die Art der medizinischen Leistungserbringung verändern, sondern das gesamte Gesundheitswesen prägen. In der Pflege, in der Praxisassistenz und vielen wei- teren nichtärztlichen Fachberufen sind Frauen seit jeher in der Überzahl. Mit dem Verschieben des Geschlechterverhältnisses in der Medizin ist das Gesundheits- wesen künftig fest in Frauenhand. Dieser Wandel erfolgt nicht ohne Nebengeräusche. Wir spüren und sehen die Folgen bereits: Neue Anstellungsformen, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Gruppenpraxen zielen darauf ab, Familie und Beruf, beziehungsweise Beruf und Freizeit besser zu vereinbaren. Dadurch entstehen auch auf standespolitischer Ebene neue Herausforderungen, die es zu anzupacken gilt. Wir tun gut daran, eigenständige Lösungen zu entwickeln, bevor hoheitlich eingegriffen und über uns verfügt wird. Dies bedeutet aber auch, dass wir unsere Kolleginnen stärker an die Standespolitik heranführen müssen. Dr. med. Christian Gubler Vizepräsident Ärztegesellschaft des Kantons Bern doc.be ÆRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERN SOCIETE DES MEDECINS DU CANTON DE BERNE Nr. 1 / Februar 2015 www.berner-aerzte.ch Themen dieser Ausgabe: Jahresbericht der Ombudsstelle 2 Neues Gesicht im BEKAG- Vorstand: Roland Dubach 2 Allgemeine Bemerkung zur Notfalldienstpflicht für Ärztinnen bei Schwangerschaft, Niederkunft und mit Erziehungsaufgabe bei Kleinkindern 3 Im Café Postgasse mit dem Kantonsarzt 6 Seekrank im Schnee 8 Fachkräftemangel in der Pflege – Berner SBK-Kurse für den Wiedereinstieg 9 «Sokobi hat verbindliche Strukturen geschaffen» 11 «Ich hätte Blöderes machen können» 13 Der Arzt ist jetzt eine Ärztin

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Wenn ich heute beim morgendlichen Rapport im Spital in die Runde blicke, seheich mehr Frauen als Männer vor mir. Als langjähriger Ausbildungsarzt habe ichhautnah miterlebt, wie Medizinstudenten, Assistenz- und Oberärzte von ihren Kolleginnen zahlenmässig überholt worden sind. Dieser Trend hat in der letztenDekade erst so richtig eingesetzt. Das belegen auch die Zahlen des Bundes-amtes für Statistik: 1999 betrug der Frauenanteil bei Doktoraten in der Human-medizin 39,6 Prozent. 2013 entfielen bereits mehr als die Hälfte aller Doktorate auf Frauen (53,3%). Das Geschlechterverhältnis wird sich weiter verschieben, wieder Blick auf die aktuellen Bachelorabschlüsse verrät: Sechs von zehn Bachelor-diplome in der Medizin werden an Studentinnen überreicht.

Ärztinnen sind weiter auf dem Vormarsch und verleihen unserem Beruf neue, guteImpulse. Sie bringen die weibliche Sicht ein und praktizieren vielfach mit mehrEmpathie und Intuition als ihre Kollegen. Die Feminisierung wird nicht nur die Art der medizinischen Leistungserbringung verändern, sondern das gesamteGesundheitswesen prägen. In der Pflege, in der Praxisassistenz und vielen wei-teren nichtärztlichen Fachberufen sind Frauen seit jeher in der Überzahl. Mit demVerschieben des Geschlechterverhältnisses in der Medizin ist das Gesundheits-wesen künftig fest in Frauenhand.

Dieser Wandel erfolgt nicht ohne Nebengeräusche. Wir spüren und sehen die Folgen bereits: Neue Anstellungsformen, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Gruppenpraxen zielen darauf ab, Familie und Beruf, beziehungsweise Beruf undFreizeit besser zu vereinbaren. Dadurch entstehen auch auf standespolitischerEbene neue Herausforderungen, die es zu anzupacken gilt. Wir tun gut daran,eigenständige Lösungen zu entwickeln, bevor hoheitlich eingegriffen und über uns verfügt wird. Dies bedeutet aber auch, dass wir unsere Kolleginnen stärker andie Standespolitik heranführen müssen.

Dr. med. Christian GublerVizepräsident Ärztegesellschaft des Kantons Bern

doc.beÆRZTEGESELLSCHAFTDES KANTONS BERNSOCIETE DES MEDECINSDU CANTON DE BERNE

Nr. 1 / Februar 2015www.berner-aerzte.ch

Themen dieser Ausgabe:

Jahresbericht der Ombudsstelle 2

Neues Gesicht im BEKAG-Vorstand: Roland Dubach 2

Allgemeine Bemerkung zur Notfalldienstpflicht für Ärztinnen bei Schwangerschaft,Niederkunft und mit Erziehungsaufgabe bei Kleinkindern 3

Im Café Postgasse mit dem Kantonsarzt 6

Seekrank im Schnee 8

Fachkräftemangel in der Pflege – Berner SBK-Kurse für den Wiedereinstieg 9

«Sokobi hat verbindliche Strukturen geschaffen» 11

«Ich hätte Blöderes machen können» 13

Der Arzt ist jetzt eine Ärztin

ÄRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERNSOCIÉTÉ DES MÉDECINS DU CANTON DE BERNE 1/2015 – 2

Vorstand

Neues Gesicht im BEKAG-Vorstand: Roland Dubach

Seit Anfang Jahr vertritt Roland Dubach den ärztlichen Bezirksverein Emmental im Kantonalvorstand.

In doc.be stellt er sich persönlich vor.

Ich wuchs in Burgdorf auf, habe in dieserschönen Stadt alle Schulen, inklusive Gym-nasium, besucht. Anschliessend entschiedich mich Medizin zu studieren, schloss dasMedizinstudium in Bern 1986 erfolgreichab. Meine ersten Assistentenjahre brachtenmich zurück nach Burgdorf zu Prof. Dr. H.Stirnemann und Dr. K. Küpfer, welche michfür den Chirurgenberuf begeisterten. Meineweiteren Stationen waren: Neurochirurgieund Kinderchirurgie am Inselspital sowieChirurgie/Traumatologie in Biel und Gross-höchstetten.

Nach Erlangung des Facharzttitels für Chir-urgie arbeitete ich ein Jahr in England im General Hospital in Milton Keynes. Dortkonnte ich mich ideal weiterbilden, vorallem in viszeralchirurgischen Disziplinen.Via Kantonsspital Liestal kam ich wiederzurück ins Spital Emmental nach Burgdorf.Seit 2003 bin ich selbständig mit eigenerPraxis. Daneben bin ich als Belegarzt imSpital Emmental in Burgdorf, Langnau undam Lindenhof tätig. Ambulante Eingriffe

nehme ich im Operationszentrum in Burg-dorf vor. Meine Praxistätigkeit erstreckt sichauf Burgdorf und Sumiswald. Neben derchirurgischen Ausbildung erlangte ich dieFähigkeitstitel Sportmedizin SGSM sowieklinische Notfallmedizin SGNOR und Ultra-schall SGUM.

Sportmedizinisch betreue ich einige Teamsvor allem Unihockey, Fussball, Handball,Volleyball, Eishockey. Ich bin Leiter Stv derSwiss Olympic Medical Base am SpitalEmmental in Burgdorf.

Ich bin verheiratet, Vater einer nun 17-jähri-gen Tochter. Den Ausgleich zur täglichenArbeit finde ich im Sport sowie in der Musik.Schon seit jeher interessiert mich die regio-nale und nationale Politik, ich war über 10Jahre als Stadtrat im Burgdorfer Parlament.Ich hoffe aus dieser Erfahrung auch etwasin die standespolitische Tätigkeit einzubrin-gen und freue mich, das Emmental als Vor-standsmitglied der BEKAG zu vertreten.

Roland Dubach vertritt neu die Interessen des Ärztlichen Bezirksvereins Emmental im BEKAG-Vorstand.

Jahresbericht der Ombudsstelle

Kommunikationsprobleme zwischen Patient und

Behandler waren auch im vergangenen Jahr der Haupt-

grund für Gesuche an die Ombudsstelle.

Im Jahre 2014 behandelten wir 67Anfragen – alle konnten bis Ende Dezember abge-schlossen werden. Wie schon im Vorjahrmeldeten sich mehr Frauen als Männer: 43 versus 24. Als Hauptkonfliktpunkt zwi-schen Arzt und Patient/-in traten immerwieder Kommunikationsprobleme auf, wel-che zu Missverständnissen oder Fehlinter-pretationen führten (21), oft im Zusammen-hang mit Beanstandungen beziehungs-weise Fehlinterpretationen von Arztrech-nungen (12).

Unzufriedenheit mit einem Behandlungs-erfolg (Operation, Medikamentenwirkungu.a.) war in 29 Fällen ursächlich für ein Hilfegesuch. In 8 Fällen ebenso vergesell-schaftet mit Kommunikationsproblemenbetreffend der erfolgten Behandlungen.

Bei 5 Gesuchen ging es um Probleme derAktenübergabe/Krankengeschichte-Über-gabe an den Patienten. Die zwischen-menschlichen Kommunikationsproblemekonnten wir grossmehrheitlich in Gesprä-chen klären, begleitet von gegenseitigenBriefwechseln und Telefonaten mit denbeteiligten Ärztinnen und Ärzten.

In 4 Fällen (bei 2 Tariffragen, bei 2 Kommu-nikationsproblemen) musste unser Rechts-dienst in Anspruch genommen werden,bevor die Klagenden in erneuten gegensei-tigen Gesprächen zufrieden gestellt werdenkonnten.

Ombudsstelle Ärztegesellschaft des Kantons Bern

Drs. Med. Helene und Beat Baur

ÄRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERNSOCIÉTÉ DES MÉDECINS DU CANTON DE BERNE 1/2015 – 3

Ausnahmen, Erschöpfung der Dienst-pflicht und Altersgrenzen?

Das Gesetz kennt lediglich den «wichtigenGrund» als mögliche Ausnahme. Dabeihandelt es sich um einen unbestimmten,auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff. Nachheutigem Kenntnisstand, der aber bisherweder durch ein Urteil des Verwaltungsge-richts, noch durch eine höchstrichterlicheRechtsprechung des Bundesgerichts be-stätigt ist, legt die zuständige Notfalldiens-torganisation fest, unter welchen Voraus-setzungen ein wichtiger Grund anerkanntwerden kann. Folglich ist der Bezirksvereindafür zuständig, Ausnahmen von der Not-falldienstpflicht oder Reduktionen der Notfalldienstpflicht, so beispielsweise beiKrankheit, Unfall, Teilzeittätigkeit oder Mut-terschaft verbindlich festzulegen.

Namentlich bestimmen nicht die Mitgliederselber, ob ein anderweitiger Dienst alsgleichwertig gilt oder nicht bzw. ob die Leis-tung anderer Dienste zu einer ganzen oderteilweisen Entbindung von der Notfall-dienstpflicht führt. Gleiches gilt für eineBeschränkung der Anzahl Dienste pro Mitglied oder für die Einführung von Alters-grenzen. Beides liegt in der alleinigen Kom-petenz des Bezirksvereins. Da es sich beider Notfalldienstpflicht um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung handelt, sind dieMitglieder nicht befugt, selber zu bestim-men, ob und wie viel Notfalldienst sie leisten oder wann sie nach Jahren eineshohen beruflichen Engagements, was nichtbestritten wird, das Gefühl haben, keinenNotfalldienst mehr leisten zu müssen bzw.zu wollen.

Vom Notfalldienst befreite Mitglieder kön-nen aus organisatorischen Gründen wie derzur Leistung von Notfalldienst herangezo-gen werden, solange sie eine frei praktizie-rende Berufstätigkeit ausüben. Erfolgt alsobeispielsweise eine Befreiung altershalber,so können die betreffenden Mitglieder zu

des eine Person auf Gesuch hin von derNotfalldienstpflicht befreien oder sie vondieser Pflicht ausschliessen.2 Von der Notfalldienstpflicht befreite oderausgeschlossene Fachpersonen könnenwieder in Pflicht genommen werden, wennder Befreiungs- oder Ausschlussgrundweggefallen oder wenn es zur Sicherstel-lung der Versorgung notwendig ist.3 Fachpersonen, die keinen Notfalldienstleisten, haben eine Ersatzabgabe an dieOrganisatoren des Notfalldienstes zu ent-richten. Die Ersatzabgabe beträgt 500Franken pro Notfalldienst, jedoch höch-stens 15’000 Franken pro Jahr.

Notfalldienstpflicht

Notfalldienstpflichtig sind alle in einer Arzt-praxis im Kanton Bern tätigen Ärztinnenund Ärzte, welche fachlich selbständig undeigenverantwortlich Patientinnen undPatienten behandeln und deswegen bzw.von Gesetzes wegen eine Berufsaus-übungsbewilligung haben müssen. Esspielt also keine Rolle, wie die Eigentümer-struktur einer Arztpraxis ausgestaltet ist.Angestellte sind genauso notfalldienst-pflichtig wie Praxiseigentümer, welcheAHV- und BVG- und steuerrechtlich eineselbständige Erwerbstätigkeit ausüben!

Organisation

Wird der ambulante Notfalldienst vomBerufsverband privat geregelt, so greift derKanton nicht ein. Der Kanton ist einzig beiStreitigkeiten zuständig; wenn der Notfall-dienst nicht funktioniert, ist es seine Aufga-be, hoheitlich für eine ersatzweise Sicher-stellung zu sorgen.

Gemäss Statuten der Ärztegesellschaft des Kantons Bern sind die Bezirksvereinefür die Organisation des Notfalldiensteszuständig. Sie sind auch dafür zuständig, inihrer Region tätige Nichtmitglieder in denNotfalldienst einzuteilen!

Recht

Allgemeine Bemerkung zur Notfalldienstpflicht für Ärztinnen bei Schwangerschaft, Niederkunft und mit

Erziehungsaufgabe bei Kleinkindern

Dr. iur Thomas Eichenberger, juristischer Sekretär der Ärztegesellschaft des Kantons Bern

Vorbemerkung

Die Tragweite und Einschränkung der Ver-pflichtung von (werdenden) Müttern zurLeistung von allgemeinem, ambulantemärztlichem Notfalldienst auf Stufe Bezirks-verein gibt immer wieder zu Fragen undUnstimmigkeiten Anlass.Wir erlauben uns deshalb, zuerst die Grund-sätze der allgemeinen Notfalldienstpflichtund die Zuständigkeiten kurz in Erinnerungzu rufen. Anschliessend soll insbesonde-re die Frage beantwortet werden, ob diearbeitsrechtlichen Vorgaben (Obligationen-recht und Arbeitsgesetz), welche eigentlichnur für in der Arztpraxis angestellten Ärztin-nen gelten, analog in die für alle Ärztinnengeltende Regelung des Notfalldienstes derBezirksvereine übernommen werden sollenoder nicht. Die Regelung käme dann viaNotfalldienstreglementierung auch für selb-ständig tätige Ärztinnen zur Anwendung.

Gesundheitsgesetz (GesG)

Die wichtigsten Bestimmungen werden hierauszugsweise wiedergegeben:

Art. 30a:1 Ärztinnen und Ärzte mit Berufsaus-übungsbewilligung sind verpflichtet, sichan einem Notfalldienst zu beteiligen. Siesind für die Organisation des ambulantenNotfalldienstes selbst besorgt oder könnendessen Organisation den Berufsverbändenübertragen.3 Die zuständige Stelle der Gesundheits-und Fürsorgedirektion ist über die Orga-nisation des ambulanten Notfalldienstes zu orientieren. Sie regelt die Organisationdes ambulanten Notfalldienstes, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist, und entscheidet bei Streitigkeiten aus derNotfalldienstpflicht.

Art. 30b:1 Die Organisatoren des Notfalldiensteskönnen bei Vorliegen eines wichtigen Grun-

ÄRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERNSOCIÉTÉ DES MÉDECINS DU CANTON DE BERNE 1/2015 – 4

einem späteren Zeitpunkt wieder zum Not-falldienst verpflichtet werden, wenn anson-sten der Notfalldienst in der Region wegeneiner zu geringen Zahl praktizierender Ärztenicht mehr aufrecht erhalten werden könnte.

Disziplinierung

Wer die Leistung des Notfalldienstes grund-los verweigert, kann weiter zur Leistung vonNotfalldienst angehalten werden und ris-kiert ein Standes- und/oder ein Disziplinar-verfahren wegen Verstoss gegen die Stan-desordnung der FMH, gegen das Gesund-heitsgesetz (GesG) sowie gegen das Medi-zinialberufegesetz (MedBG). Rechtskräftiggegen einzelne Mitglieder ausgesprocheneDisziplinarmassnahmen werden veröffent-licht bzw. sind im eidgenössischen Medizi-nalberuferegister ersichtlich.

Ersatzabgabe

Die ganze oder teilweise Nichtleistung vonNotfalldienst, sei es wegen eines wichtigenGrundes auf Gesuch hin oder wegen Aus-schluss aus dem Notfalldienst zieht in allerRegel die Verpflichtung nach sich, eineErsatzabgabe zu leisten. Der Bezirksver-ein regelt die Höhe der Ersatzabgabe(gemäss aktuell geltendem Gesundheits-gesetz maximal CHF 500.– pro Dienst oderCHF 15’000.– pro Jahr), den Bezug und die Verwendung zugunsten der Notfalldienst-organisation sowie die Ausnahmen.

Verfahren

Entscheide der Bezirksvereine können anden Vorstandsausschuss der Ärztegesell-schaft des Kantons Bern (BEKAG) weitergezogen werden. Das Verwaltungsgerichtdes Kantons Bern hat den standespoliti-schen Organisationen, so auch der BEKAG,jegliche hoheitliche Entscheidbefugnisabgesprochen, weshalb die in den Statutenvorgesehene Oberaufsicht nicht oder nurbeschränkt ausgeübt werden kann.

gleichen Schwangerschafts- bzw. Mutter-schaftssituation befinden, unter Umstän-den zusätzliche Dienste von angestelltenÄrztinnen übernehmen, welche aus arbeits-rechtlichen Gründen vom Dienst befreitwerden müssen. Dies würde meines Erach-tens wie gesagt dem Rechtsgleichheits-prinzip widersprechen.

Umsetzung eines «Minimal Standards»nach Massgabe des Arbeitsrechts

Der Arbeitgeber muss schwangere Frauenund stillende Mütter so beschäftigen undihre Arbeitsbedingungen so gestalten, dass ihre Gesundheit und die Gesundheitdes Kindes nicht beeinträchtigt werden.Schwangere und Stillende dürfen nur mitihrem Einverständnis beschäftigt werden.In den ersten acht Wochen nach der Nieder-kunft gilt zudem ein absolutes Beschäfti-gungsverbot. Schwangere können über-dies auf blosse Anzeige hin der Arbeit fern-bleiben oder diese verlassen. StillendenArbeitnehmerinnen muss der Arbeitgeberfür das Stillen oder Abpumpen von Milchdie erforderliche Zeit freigeben; im erstenLebensjahr des Kindes wird bei einer täg-lichen Arbeitszeit von bis zu 4h davon min-destens 30 Minuten, bei einer täglichenArbeitszeit von mehr als 4h mindestens 60Minuten und bei einer täglichen Arbeitszeitvon mehr als 7h mindestens 90 Minuten andie bezahlte Arbeitszeit anzurechnen sein.Die weiteren nicht krankheitsbedingtenAbsenzen sind jedoch nicht bezahlt – es seidenn, die Schwangere hat ein Arztzeugnisoder es gibt eine besondere Vereinbarungfür die Stillende.

Gefährliche und beschwerliche Arbeitendürfen Schwangere und Stillende nur ver-richten, wenn aufgrund einer Risikobeurtei-lung feststeht, dass dabei keine konkretegesundheitliche Belastung für Mutter undKind vorliegt, oder wenn eine solche durchgeeignete Schutzmassnahmen ausge-schaltet werden kann. Für die Arztpraxis

Sofern also die Verpflichtung, Notfalldienstzu leisten bzw. ganz oder teilweise befreitzu werden und/oder eine Ersatzabgabe zuzahlen, streitig ist und keine Einigung erzieltwerden kann, bleibt der BEKAG nichtsanderes übrig, als die Akten zum Entscheidan die Gesundheits- und Fürsorgedirektion(GEF), d.h. erstinstanzlich an das Kantons-arztamt, weiterzuleiten. Das Kantonsarzt-amt erlässt in diesem Fällen eine Verfügung,welche mit Beschwerde an die GEF, unddann gegebenenfalls auch noch an das Ver-waltungsgericht des Kantons Bern weiter-gezogen werden kann.

Notfalldienstpflicht bei Schwanger-schaft und Mutterschaft

Die interessanteste Frage kann m.E.vorwegbeantwortet werden, wobei zu betonen ist,dass eine Meinungsäusserung des Sekre-tärs oder der BEKAG nicht verbindlich ist,sondern höchstens eine Empfehlung für dieBezirksvereine darstellt (vgl.dazu oben Ziff.8).Die Anwendung einer gesetzlichen Rege-lung, welche die Bürgerinnen und Bürger zueinem bestimmten Verhalten verpflichtet,was vorliegend im Interesse des öffent-lichen Gesundheitsschutzes erfolgt, mussunter Wahrung des Rechtsgleichheitsgebotserfolgen.Folglich muss der kleinste gemeinsameNenner (Minimal Standard) für alle gelten.Mit anderen Worten sollte die Befreiungvom Notfalldienst, welche in bestimmtenSituationen aus arbeitsrechtlichen Gründenerfolgen muss, auch für diejenigen Ärztin-nen gelten, welche dem Arbeitsvertragsrechtnach Obligationenrecht (OR) und der Arbeits-gesetzgebung (ArG) nicht unterstehen.

Fazit: Es empfiehlt sich also, innerhalb desfür die Regelung zuständigen Bezirksver-eins Befreiungen vom Notfalldienst wegenSchwangerschaft und Mutterschaft für allefrei praktizierenden Ärztinnen gleich zuhandhaben. Ansonsten müssten selbstän-dig tätige Ärztinnen, welche sich in der

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als die Gesundheit von Mutter und Kindgefährdende Tätigkeit eingestuft werdenkann, ist zu empfehlen, Ärztinnen währendder Schwangerschaft ab einem bestimm-ten Zeitpunkt bzw. schon relativ frühnicht mehr im Notfalldienst einzusetzen.Gleiches gilt umso mehr für die Zeit nachder Niederkunft, denn im Zeitraum von 8 Wochen vor der Niederkunft ist eineBeschäftigung nach 20 Uhr und vor 6 Uhr(Abend- bzw. Nachtarbeit) sowieso nichtzulässig und nach der Niederkunft bestehtfür die Frau ein Beschäftigungsverbot von 8 Wochen. Weitere 8 Wochen darf die Fraunur mit ihrem Einverständnis beschäftigtwerden.

Gemäss Empfehlung des Vereins «medicalwomen switzerland (Ärztinnen Schweiz)» istes zudem wünschbar, für die betreuungs-intensive Vorschulzeit, d.h. insbesonderebis zum abgeschlossenen 6. Lebensjahrauf Antrag eine Dispensation vom Notfall-dienst zu gewähren. Ferner sollten allein-stehende Mütter und Väter darüber hin-aus auf Gesuch hin besonders geschütztwerden, da sie mehr Zeit investieren müs-sen, als wenn zwei Elternteile vorhandensind. Sie sollten gemäss medical womenswitzerland keinen Notfalldienst leistenmüssen.

Ersatzabgabe?

Wie erwähnt, ist es an den Bezirksvereinen,allfällige Ausnahmen von der Pflicht zu formulieren, bei Nichtleistung des Notfall-dienstes stattdessen eine Ersatzabgabe zuleisten.

Weil das Gesetz die Leistung von Ersatz-abgaben grundsätzlich vorsieht, und zwarauch für den Fall einer Befreiung aus wich-tigem Grund, muss sich die zusätzlicheBefreiung von der Leistung einer Ersatz-abgabe meines Erachtens auf gut begrün-dete, vorübergehende Verhinderungen (wie z.B. Unfall, vorübergehende Krank-heit, Schwangerschaft und Niederkunft)beschränken.

So ist es zum Beispiel m.E. nicht nur legi-tim, sondern vielmehr notwendig, von dau-erhaft befreiten oder ausgeschlossenenÄrztinnen und Ärzten, welche im Übrigen an der Ausübung der allgemeinen Praxistä-tigkeit entsprechend ihrem selbst gewähl-ten und von der BEKAG abstufungsmässigakzeptierten Pensum von 25%, 50%, 75%oder 100% nicht eingeschränkt sind, eineentsprechende Ersatzabgabe zu verlangen.

von Bedeutung sind insbesondere Arbei-ten, bei denen die Schwangeren und Stil-lenden schädlichen Strahlen, Stoffen oderMikroorganismen ausgesetzt sein könnten.Hinzu kommen das Bewegen von schwerenLasten sowie Bewegungen und Körperhal-tungen, die zu vorzeitiger Ermüdung führen.Kann der Gefährdung nicht mit Schutz-massnahmen begegnet werden, so mussder Arbeitgeber die schwangere oder stil-lende Arbeitnehmerin an einen für sie unge-fährlichen und gleichwertigen Arbeitsplatzversetzen. Kann er eine solche Ersatzarbeitnicht zuweisen, so hat die ArbeitnehmerinAnspruch auf 80 % des Lohnes. Dies giltauch, wenn auf ihr Verlangen anstelle vonNachtarbeit keine gleichwertige Tages-arbeit angeboten werden kann.Schwangere und Stillende dürfen nichtüber die vereinbarte ordentliche Dauer dertäglichen Arbeit hinaus beschäftigt werdenund keinesfalls mehr als neun Stunden proTag. Schwangere dürfen ab der 8. Wochevor der Niederkunft zwischen 20 Uhr und 6Uhr nicht beschäftigt werden.

Fazit: Obwohl das Arbeitsrecht nicht 1:1 indie Notfalldienstreglemente übertragenwerden kann, sollte meines Erachtens folgendes befolgt werden: Auch wenn dieLeistung von Notfalldienst nicht eindeutig

Der Arbeitgeber muss schwangere Frauen so beschäftigen und ihre Arbeitsbedingungen so gestalten,dass ihre Gesundheit und die Gesundheit des Kindes nicht beeinträchtigt werden.Bild: iStockphoto.com

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doc.be: Welche Baustellen beschäfti-gen Sie momentan in der Gesundheits-und Fürsorgedirektion GEF?

Dr. med. Jan von Overbeck: Eine grosseHerausforderung ist der Ablauf des Notfall-dienstes. Es stellen sich drei Probleme:erstens die Menge an Notfalldiensten. Es ist ein grosser Unterschied, ob man in derStadt Bern, in Meiringen oder in FrutigenDienst leistet. Die Lösung dieses Problemsist zentral wenn es darum geht, Leute in derPeripherie von der Grundversorgung zuüberzeugen. Zweitens gibt es den finanziel-len Aspekt. Im Gegensatz zu früher habendie Ärztinnen und Ärzte zwar Dienst, aberwenig zu tun. Sie sind blockiert und derDienst ist nicht rentabel. Drittens gibt es Beschwerden aus der Vergangenheit,denen wir uns annehmen müssen.

Wie kommt es, dass sich der Notfall-dienst zu einem Sorgenkind derGesundheitspolitik entwickelt hat?

Die Einstellung der Bevölkerung ist eineandere als früher; heute gehen die Leuteviel eher direkt ins Spital. Die Notfallstatio-nen sind überfüllt mit Personen, die dorteigentlich nichts zu suchen haben und denZugang für wirkliche Härtefälle blockieren.Zudem hat sich die Ärzteschaft verändert:70% der Leistungserbringer werden inZukunft weiblich sein. Die Ärztinnen habenKinder und Familie und eine klare Vorstel-lung von der Balance zwischen Beruf undPrivatleben. Fest steht aber auch: Der Not-falldienst gehört gemäss Art. 40 des Medi-zinalberufegesetzes MedBG zu den Berufs-pflichten der Ärzteschaft. Eine naheliegen-de Lösung ist, die Dienstkreise grösser zu

Jan von Overbeck

Im Café Postgasse mit dem Kantonsarzt

Jan von Overbeck ist seit gut einem Jahr im Amt. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. doc.be hat ihn im Café Postgasse, auf halbem Weg zwischen der Wirkstätte des Kantonsarztes

und dem BEKAG-Sekretariat, zu einem morgendlichen Gespräch getroffen.

Marco Tackenberg,

Presse- und Informationsdienst der Ärztegesellschaft des Kantons Bern

Herausforderung Notfalldienstorganisation: An den Orten, in denen bereits grössere Dienstkreise gelten, sehen wir, dass es bestens funktioniert, erklärt Kantonsarzt Jan von Overbeck.Bild: Martin Bichsel

machen. Mehr Ärzte, die für eine Flächezuständig sind, bedeuten weniger Dienst-tage pro Arzt oder Ärztin. Die Distanz zumPatienten wird aber grösser. Daher mussvon Bezirksverein zu Bezirksverein ent-schieden werden. Jeder Bezirksvereinweist seine spezifischen Merkmale wieStrassenverhältnisse, Autobahnanschlüsseund dergleichen auf, die es zu berücksich-tigen gilt. An den Orten, in denen bereitsgrössere Dienstkreise gelten, sehen wir,dass es bestens funktioniert.

Sie sehen also organisatorische Möglichkeiten. Liesse sich die Situation auch über einen differenzierten Taxpunktwert verbessern?

Ein ökonomisches Anreizsystem wäre eineMöglichkeit. Eine andere könnte sein, Ärzteaus der Stadt mit wenig Diensttagen in diePeripherie zu schicken – auf freiwilligerBasis und mit entsprechender Entschädi-gung aus der Ersatzabgabe.

Mit den bilateralen Verträgen ging eine Öffnung im Gesundheitsweseneinher, die in einem Zustrom von ausländischen Behandlern gipfelte.Problematisch sind die sogenannten90-Täger: Sie arbeiten kurz in derSchweiz, werden nicht erfasst und sindbereits verschwunden, wenn möglicheKomplikationen auftreten sollten. Wie sehen Sie dieses Problem?

Das Problem ist besonders bei den Zahn-ärzten akut. Für die Ärzte hat der Kantoneine gut organisierte Aufsicht, für die Zahn-ärzte nichts dergleichen. Deshalb laufenGespräche mit Vertretern der SSO, wie dieses Problem in Zukunft gehandhabt werden soll. Bei der Ärzteschaft ist mir nichtbekannt, dass 90-Täger in nächster Zeitzum Problem werden könnten. Wir habengenügend Kontrollmechanismen mit Ver-rechnungssystemen, die eine Zulassungvoraussetzen. Wer eine Berufsausübungs-

ÄRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERNSOCIÉTÉ DES MÉDECINS DU CANTON DE BERNE 1/2015 – 7

möchte ich vorher das Gespräch suchenund gemeinsam Lösungen finden. Ein Ver-fahren per se ist schon ein Rückschlag.Damit ist die Chance vertan, ein Probleminnert vernünftiger Frist zu lösen, und dieKosten sowohl für den Kläger als auch füruns sind immens. Wir möchten unsereStrukturen schlank halten und bevorzugendeshalb die Mediation. Das ist für michessentiell.

Besten Dank, Herr von Overbeck, für das Gespräch.

bewilligung (BAB) will, muss seine Diplomeeinschicken. Sind diese aus dem Ausland,gehen sie zur Begutachtung an die Medizi-nalberufekommission MEBEKO. 90-Tägerwerden allerdings nicht im Medizinalberufe-register erfasst und müssen auch keineBAB haben, sofern sie sich in der Schweizanstellen lassen. Die Verantwortung liegtdann beim Arbeitgeber. Hier greift die Kontrolle nicht im selben Masse, und sokönnten Probleme wie bei den Zahnärztenentstehen. Bislang sind mir aber keineBeschwerden bekannt.

Ein parlamentarischer Vorstoss vonThomas Heuberger möchte Ärztinnen,die oft aus familiären Gründen mit dem Beruf aufgehört haben, zumWiedereinstieg motivieren. Kann die GEF etwas dazu beitragen?

Das tun wir. Nach Schätzungen des VSAOarbeiten in der Schweiz etwa 3’000 diplo-mierte Ärztinnen nicht auf ihrem Beruf.Davon müssten hochgerechnet etwa 300im Kanton Bern leben. Diese Zahlen nah-men wir zum Anlass, zusammen mit derFMH auf die Suche nach diesen Ärztinnenzu gehen. Das ist nicht ganz einfach, da siezwar ein Diplom, häufig aber keine abge-schlossene Weiterbildung haben. Sie zu finden ist aber erst die halbe Miete. Danachmüssen wir ihnen ein attraktives Arbeits-umfeld anbieten können. Unsere Bemü-hungen sind so auch im Sinne der SVP-Initi-ative zum Inländervorrang. Wir sind unsbewusst, dass Ärztinnen und Ärzte zurMangelware werden. Betrachten wir Ange-bot und Nachfrage, so ist es jetzt die Ärzte-schaft, die eine gute Bezahlung und attrak-tive Arbeitsbedingungen einfordern kann.

Haben Sie ein Anliegen an die Ärztegesellschaft?

Unsere Philosophie ist es, von unnötigerBürokratie und komplizierten juristischenVerfahren abzusehen. Wann immer möglich

Jan von Overbeck: «Betrachten wir Angebot und Nachfrage, so ist es jetzt die Ärzteschaft, die eine gute Bezahlung und attraktiveArbeitsbedingungen einfordern kann.» Bild: Martin Bichsel

Café PostgassePostgasse 48, 3011 Bern, Telefon 031 311 60 44, www.cafepostgasse.chGeöffnet am Di 17.00 - 23.30 Uhr, Mi - Fr 10.00 - 14.30 Uhr und17.30 - 23.30 Uhr sowie Sa 10.00 - 23.30 Uhr

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Medizin Up to Date: Skikrankheit

Seekrank im Schnee

Sehen Skifahrer Lawinen, die keine sind, könnte die Skikrankheit dahinter stecken.

Text: Felicitas Witte, Journalistin und ÄrztinGrafik: Emanuele Fucecchi

Warum er gestürzt war, weiss er nicht mehr.Auf einmal sieht Kurt Stauder die Schnee-massen von oben herabstürzen. «Achtung,Lawine», schreit der Bergführer, um seineKundin zu warnen, mit der er durch die Südtiroler Berge unterwegs war. Allein: Eine Lawine kann die weit und breit nichterkennen. Stauder ist verwirrt, als wenigeMinuten später eine ähnliche Situation auftritt. «Diesmal schien sich der Hangunter mir zu bewegen, ich verlor die Orien-tierung», erinnert er sich. Seine Begleiterinwird panisch, als ihr nach der nächsten Kurve das Gleiche passiert. Ein Schneebrettscheint sich von rechts an ihr vorbeizu-schieben und sie zu erfassen. Doch kurzeZeit später ist der Spuk auch bei ihr vorbei.

Was nach zu viel Jagertee tönt, lässt sichwissenschaftlich erklären: «Das ist die Ski- Krankheit – ein häufiges Phänomen», erklärtMartin Burtscher, Alpinmediziner aus Inns-bruck. «Für die Betroffenen ist das lästig,aber die ‹Krankheit› ist harmlos.»

Die Symptome sind immer ähnlich: DerBerg scheint zu schwanken wie ein Schiff,Schneemassen schieben sich neben oderunter dem Skifahrer vorbei, bei einigenkommt Schwindel, Übelkeit und Erbrechenhinzu. Die Skikrankheit tritt vor allem dannauf, wenn die Sicht schlecht ist und manwie Kurt Stauder und seine Begleitung diePiste kaum vom weissen Himmel unter-scheiden kann.

«Skikrank ist wie reisekrank in den Bergen»,sagt Roland Laszig, Chefarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik an der Uni Freiburg im Breis-gau. «Die drei Bewegungsmelde-Systemedes Körpers geben widersprüchliche Infor-mationen an das Hirn, und es reagiert dar-auf ,beleidigt’ mit Schwindel und Übelkeit.»So nimmt das Gleichgewichtsorgan im Ohrdes Skifahrers zwar die Schwünge wahrund meldet ans Hirn: «Wir bewegen uns».Die Augen aber meinen wegen der schlech-ten Sicht, man stehe still. «Hinzu kommt,

Erwische einen die Skikrankheit auf der Pis-te, suche man am besten einen Punkt zumFixieren wie Baum, Stein oder Menschen,rät Sportmediziner Burtscher. «So hilft manden Augen etwas auf die Sprünge. Undwenn es gar nicht mehr geht, muss man halt abschnallen.» Wer trotzdem Skifahrenwill, kann mit Medikamenten gegen Reise-übelkeit vorbeugen, allerdings können dieeinem das Skifahren ziemlich verleiden:Schläfrigkeit, Kopfschmerzen und Bauch-schmerzen sind dabei noch harmlos,schlimmer sind Bewegungsstörungen odergar Halluzinationen. «Statt Medikamente zu nehmen, würde ich bei schlechter Sicht lieber auf’s Skifahren verzichten undmir einen entspannten Tag in der Hüttemachen», sagt Laszig.

Skikrank wird man vor allem dann, wenn die Sicht schlecht ist und man wie BergführerKurt Stauder die Piste kaum vom weissen Himmel unterscheiden kann.

Der Artikel ist im SWISS DENTAL JOURNAL SSO 1/15 erschienen.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Magazins

und der Autorin.

dass unser drittes Bewegungsmeldungs-System, die Sensoren auf der Haut und in Gelenken, durch Skischuhe und dickeKleidung quasi wie gedämpft ist», erklärtLaszig. «So kann es weniger Informationenans Hirn liefern.»

Verlässliche Zahlen zur Häufigkeit gibt esnicht. In einer Studie von Wissenschaftlernvom Sportmedizinischen Forschungszen-trum in Teheran sind es zwischen 3,6 und16,5 Prozent der Skifahrer. Die TeheranerForscher haben auch herausgefunden,dass jugendliche Skifahrer mit Kurz- oderWeitsichtigkeit oder Hornhautverkrümmungfast viermal so häufig skikrank wurden.«Auch kleine Sehprobleme können denAugen wichtige Informationen vorenthal-ten», sagt Laszig.

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SBK Sektion Bern

Fachkräftemangel in der Pflege –Berner SBK-Kurse für den Wiedereinstieg

Erfolgreiches Engagement des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK Bern: Seit 15 Jahren profitieren Interessierte vom Kursangebot für

den Wiedereinstieg in die Pflege, pro Jahr werden in Bern bis zu 60 Pflegefachpersonen weitergebildet, rund 70 Prozent finden eine Festanstellung. Bei der Rekrutierung

für SBK-Kurse können Ärztinnen und Ärzte wertvoll unterstützen.

Susanne Kast, lic. phil.,

Leiterin Weiterbildung des SBK Bern

Zunächst besuchen die Teilnehmendeneinen fünftägigen Grundkurs, sodann elfergänzende Weiterbildungstage mit spezi-fischen fachpraktischen Inhalten.

Im Grundkurs erhalten die Berufsrückkeh-rerinnen einen Überblick über Entwicklun-gen im Gesundheitswesen und im Pflege-beruf. Sie beschäftigen sich mit den aktuel-len Anforderungen an die Pflegeplanung, an den Pflegeprozess und an die Pflege-dokumentation. Sie bündeln ihre in derFamilienarbeit oder in pflegeferner Berufs-tätigkeit erworbenen Kompetenzen, erarbei-ten deren Nutzen für den Pflegeberuf undbereiten sich auf die Bewerbungssituationund einen professionellen Auftritt vor. ImGrundkurs beschäftigen sich die Wieder-einsteigenden ausserdem mit individuellenQualifikationsdefiziten, welche aufgrundder Veränderung in den Pflegeausbildungen

Die Wiedereinstiegskurse des SBK Bernerfreuen sich grosser Beliebtheit, dieErfolgsquote liegt bei rund 70 Prozent. ImRahmen des langfristigen Kompetenzauf-baus hat der Berufsverband den Wieder-einstieg von über 160 Kursteilnehmendenanalysiert. Obschon das Weiterbildungs-angebot eine Rückkehr in alle Versorgungs-bereiche ermöglicht, interessiert sich eingrosser Teil der Wiedereinsteigenden füreine Anstellung in der Spitex, im Langzeit-bereich oder in der Psychiatrie. Bloss 17Prozent der Teilnehmenden entscheidensich für eine andere, zum Teil durchaus pflegenahe Tätigkeit wie etwa die Mütter-und Väterberatung oder den Entlastungs-dienst. Im Kanton Bern übernimmt dieGesundheits- und Fürsorgedirektion GEFdie Kosten für insgesamt sechzehn Kurs-tage, sofern die wiedereinsteigende Fach-kraft diese Bedingungen erfüllt: Wohnsitzim Kanton Bern, seit mindestens drei Jah-ren nicht mehr in der Pflege tätig und zumZeitpunkt der Anmeldung ohne Anstellung.Die finanzielle Unterstützung wird von denmeisten Wiedereinsteigenden gerne inAnspruch genommen.

Pflegefachpersonen, die 10, 20 oder mehrJahre nicht mehr im Beruf tätig waren, stel-len sich die Frage, welchen Wert ihre beruf-lichen Kompetenzen auf dem Arbeitsmarktnoch haben und wie sich ihre Kompetenzenerweitern lassen. Die Kursteilnehmendenstehen oft in der Lebensmitte, haben viel-fach eine längere Familienphase hinter sichund in der Regel wenig berufsspezifischeWeiterbildung besucht. Sie wollen sich neuorientieren und sind hoch motiviert, ihrepflegeberufliche Laufbahn erneut aufzu-nehmen.

Das Weiterbildungsmodell Wiedereinstiegdes SBK Bern ist bedarfsorientiert sowohlwas die Kursteilnehmenden als auch wasdie abnehmenden Institutionen betrifft.

beziehungsweise -abschlüssen entstandensind und planen deren zielgerichtete Behe-bung oder Kompensation. Dazu stehen die elf fachpraktischen Weiterbildungstagezur Verfügung. Die Wiedereinsteigendenwählen aufgrund der zu erweiternden oder erwerbenden Kompetenzen aus demWeiterbildungsprogramm des SBK Bernaus. Der SBK Bern berät und stellt sicher,dass versorgungsrelevante Kurse ausge-wählt werden.

Im Zusammenhang mit der Debatte um dendrohenden Fachkräftemangel im Pflege-beruf und dem vom Ständerat angenom-men Postulat zur Förderung von Wieder-einsteigenden vom 23. September 2014unterstützte das Schweizer Fernsehen dieBekanntmachung der Option Wiederein-stieg für Pflegefachleute: Im Rahmen derBerichterstattung zur Session strahlte

Für Ärztinnen und Ärzte:Unterstützen Sie den Wiedereinstieg interessierter Pflegefachpersonen! Sollte der Flyer in diesem Heft bereits wegsein, erhalten Sie weitere Exemplare beimSBK Bern, Monbijoustrasse 30, 3011 Bern, Telefon 031 380 54 71, [email protected]

Der informative Flyer gibt Auskunft über den Wiedereinstieg in die Pflege undüber ergänzende Kurse des SchweizerBerufsverbands der Pflegefachfrauen undPflegefachmänner SBK Bern. Im Anmeldetalon wird über Zulassung und Kostenübernahme durch den KantonBern informiert.

professionell und persönlich

T 031 372 20 02 F 031 371 40 44 [email protected]

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10vor10 eine Reportage aus über einediplomierte Pflegefachfrau aus dem KantonBern, die nach siebzehn Jahren pflege-ferner Tätigkeit 53-jährig erfolgreich in denAkutbereich zurückgekehrt ist. www.sbk-be.ch/dienstleistungen/weiter-bildung/wiedereinstieg-in-die-pflege.html

Der SBK Bern ist überzeugt, dass eineBerufsrückkehr auch nach vielen Jahren mitErfolg zu bewerkstelligen und von daher miteinem entsprechenden Weiterbildungs-angebot zu fördern ist – selbstverständlichmit einem grossen Mass an persönlichemEngagement auf Seiten der interessierten,motivierten Fachkraft.

Impressum

doc.be, Organ der Ärztegesellschaft des Kantons Bern Herausgeber: Ärztegesellschaft des Kantons Bern, Bolligenstrasse 52, 3006 Bern / erscheint 6 x jährlich Verantwortlich für den Inhalt: Vorstandsausschuss derÄrzte gesellschaft des Kantons BernRedaktion: Marco Tackenberg und Markus Gubler,Presse- und Informationsdienst BEKAG, Postgasse 19, 3000 Bern 8, Tel. 031 310 20 99, Fax 031 310 20 82, E-Mail: [email protected], [email protected]: Markus Gubler, E-Mail: [email protected]: Claudia Bernet, BernDruck: Druckerei Hofer Bümpliz AG, 3018 BernAusgabe Februar 2015

Internetplattform psy.chDie Internetplattform psy.ch richtet sichan Betroffene, Angehörige und Fachper-sonen. Sie orientiert über die psychischeGesundheit und die psychischen Erkran-kungen. Interessierte finden Beschrei-bungen und Adressen von Beratungs-,Selbsthilfe- und Therapieangeboten imKanton Bern. Entstanden ist die Platt-form auf Anregung verschiedener Dienst-leistungsanbieter im Bereich der psychi-schen Gesundheit. Umgesetzt und betrieben wird psy.ch von der Interessengemeinschaft Sozial-psychiatrie IGS im Auftrag der Gesund-heits- und Fürsorgedirektion des KantonsBern. Mehr auf psy.ch

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doc.be: Franziska Rittel, Sie sind Gründungsmitglied der Sozialpsychia-trie-Konferenz Biel Sokobi. Was hat Sie und Ihre Mitstreiter dazu bewogen,die Konferenz ins Leben zu rufen?

Franziska Rittel: Seit den 1990er Jahrenexistieren informelle Treffen zwischen ver-schiedenen Institutionen aus dem Sozial-bereich. Am Anfang haben sich vor allemVertreter des damaligen Psychiatriezen-trums und der Vormundschaftsbehördeausgetauscht. Mit der Zeit haben sich mehr und mehr Institutionen angeschlos-sen, die Angebote für psychisch krankeMenschen bereitstellen: geschützte Werk-stätten, betreutes Wohnen oder Sucht. Ichsitze seit 2005 in einem informellen Gre-mium, das sich drei- bis viermal im Jahr trifft und versucht diese interinstitutionelleZusammenarbeit zu optimieren. Im Januar2009 haben sich diverse Institutionen undFachpersonen zusammengeschlossen, umden Verein Sozialpsychiatrie-Konferenz Biel Sokobi zu gründen. Wir brauchten eineverbindlichere Struktur.

dungsveranstaltung auf dem Gebiet derPsychiatrie für alle Mitarbeitenden derangeschlossenen Organisationen – mitgrossem Erfolg. Zusätzlich organisiert eineArbeitsgruppe der Sokobi jedes Jahr einenAnlass zum Welttag der psychisch Kranken,dem 10.10. Der Anlass ist öffentlich undsehr gut besucht.

Welche Ziele, abgesehen von der Weiterbildung, verfolgen Sie mit der Sokobi sonst noch?

Das Hauptanliegen der Sokobi ist der inter-disziplinäre und interinstitutionelle Informa-tions- und Erfahrungsaustausch. Vertretervon Institutionen, die sich um die Belangepsychisch Kranker kümmern, sollen sichkennenlernen und sich untereinander aus-tauschen. Gemeinsam lassen sich Schwä-chen bestehender Angebote oder die Not-wendigkeit neuer Dienstleistungen einfachererkennen, optimieren und Forderungen andie politischen Entscheidungsträger formu-lieren.

Sozialpsychiatrie

«Sokobi hat verbindliche Strukturen geschaffen»

In der Region Biel haben sich verschiedene soziale und psychiatrische Institutionen im Verein «Sozialpsychiatrie-Konferenz Biel Sokobi» zusammengeschlossen, um sich

gezielter auszutauschen. doc.be hat mit Franziska Rittel, einem Gründungsmitglied, über Ziele, Erfolge und Herausforderungen gesprochen.

Markus Gubler.

Presse- und Informationsdienst der Ärztegesellschaft des Kantons Bern

Weshalb?

Wir sind natürlich gewachsen. Sokobi ver-einte damals Vertreter aus 13 verschiede-nen Institutionen. Wir wollten stärker nachaussen auftreten, uns bei den Behördeneinbringen und sie auf Mängel und Ange-botslücken aufmerksam machen. Öffent-lichkeitsarbeit war auch ein Anliegen. Unswar klar, dass wir dafür verbindlichereStrukturen brauchen.

Wie funktioniert die Sokobi?

Das oberste Organ der Sokobi besteht ausden 13 oder mehr Mitgliederorganisationen.Mindestens zweimal im Jahr finden Mitglie-derversammlungen für den Informations-austausch und die ordentlichen Geschäftestatt. Der Vorstand wird aus Vertretern ausden Bereichen Psychiatrie, Arbeit, Wohnen,Erwachsenen- und Jugendschutz sowieSozialarbeit zusammensetzt. Dieser berei-tet die Mitgliederversammlungen vor undorganisiert einmal im Jahr eine Weiterbil-

Sokobi• Berner Gesundheit • Casa Nostra• Stiftung Contact Netz • Psychiatrie-Spitex Just do it• Pro Infirmis Biel Berner Jura• Psychiatrische Dienste Biel Seeland/

Berner Jura• Praxisgemeinschaft Rittel Freuler• Praxisgemeinschaft Moll Trümpler• Stiftung Foyer Schöni• Spitex Biel-Bienne Region• Stadt Biel Abteilung Soziales• Stadt Biel Dienst für Erwachsenen-

und Kindesschutz• Subsitutionspraxis Suprax• Universitäre Psychiatrische Dienste

Bern UPD

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Seit der Gründung von Sokobi sindsechs Jahre vergangen. Wie fällt ihreZwischenbilanz aus?

Die Mitgliederorganisationen arbeiten gutzusammen, der Austausch funktioniert. Die Weiterbildungsveranstaltungen habenunsere Erwartungen übertroffen. Beinahe100 Personen besuchen unsere Veranstal-tungen. Bei Politikern und Behördenver-tretern stossen wir mit unserer Forderungnach stationären Krisenbetten in Biel auftaube Ohren. Bis heute wurden wir immerwieder hingehalten.

Wo liegen heute die Herausforderun-gen in der Betreuung und Behandlungvon Menschen mit psychischenErkrankungen?

Die Betreuung und Behandlung von psychi-schen Erkrankten ist heute komplexer ge-worden. Menschen sind mobiler, trennen

sich und sind weniger verwurzelt. Auch dergesellschaftliche Individualisierungspro-zess führt dazu, dass das Umfeld in Krisen-situationen weniger trägt und professionel-le Angebote notwendig macht. Vielen fehltdas Umfeld, das sie trägt, wenn es ihnenschlechter geht. Diese Komplexität erfor-dert interdisziplinäre Zusammenarbeit zwi-schen den verschiedenen Anbietern.

Bei Patienten mit Migrationshintergrundsind sprachliche und kulturelle Hürden zuüberwinden herausfordernd. Was mir auf-fällt ist, dass die gesellschaftliche Stigma-tisierung von psychischen Krankheitenzurückgegangen ist. Man spricht heute psy-chische Leiden wie Burnout offener an –was sich auch am öffentlichen Outing vomProminenten zeigt.

Besten Dank, Frau Rittel, für IhrGespräch

Zur PersonFranziska Rittel Freuler, Fachärztin fürPsychiatrie und Psychotherapie, hateine Gemeinschaftspraxis in Biel. Sie istGründungsmitglied der Sokobi.

Hinweis

Das kranke Biel. Auf Arztvisite um 1850.

Im NMB Neues Museum Biel wird zur Zeit gehustet, gehumpelt,gekeucht und geschwitzt. Zum Glück kommt der Doktor zu einemHausbesuch vorbei! Was er wohl als Therapie verschreibt? Senf-wickel, Blutegel, Eibischtee oder einen Aderlass?

Die Ausstellung gibt am Beispiel des Bieler Arztes Dr. Cäsar AdolfBloesch (1804 – 1863) konkrete Einblicke in die tägliche Praxiseines Hausarztes in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der vielsei-tig engagierte Arzt hat zwischen 1827 und 1863 Abend für Abendseine Krankenbesuche mit den dabei gemachten Beobachtun-gen und empfohlenen Therapien dokumentiert. Die 55 Bände seiner Praxisjournale, die im Stadtarchiv Biel aufbewahrt wer-den, sind eine einzigartige Quelle für das ärztliche Handeln im 19. Jahrhundert.

In einem umfassenden Forschungsprojekt hat das Institut fürMedizingeschichte der Universität Bern diese Praxisjournaleausgewertet. Die zahlreichen hier fest gehaltenen Krankheits-fälle liefern ein umfangreiches Datenmaterial zu Krankheiten,Krankheitsverläufen und zur medizinischen Praxis in der Mittedes 19. Jahrhunderts. Die Ärztegesellschaft des Kantons Bernunterstützt die Ausstellung. Mehr unter: www.nmbiel.ch

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Herr Bieri, wem geht es dieser Tage schlechter? Ihnen oder Ihren Patienten?

Andreas Bieri: Warum fragen Sie?

Weil nach 36 Jahren PraxistätigkeitIhre letzten Tage als Hausarzt angebrochen sind. Das muss dochschmerzen?

Tatsächlich sind in letzter Zeit Tränengeflossen. Manchmal haben meine Patien-ten geweint. Manchmal ich selbst. Aber derZeitpunkt, zu gehen, ist richtig gewählt. Ichverspüre Genugtuung. Schliesslich konnteich mein grösstes Versprechen einlösen.

Welches?

Dass keiner ohne Hausarzt dasteht, wennich in Pension gehe. Die Haslipraxis ist alsGruppenpraxis gut angelaufen. Alle Patien-ten, die seit der Eröffnung zu mir gekom-men sind, konnten innerhalb der Praxis aneinen Nachfolger oder eine Nachfolgerinübergeben werden. Und für diejenigen, dienoch kommen werden, haben wir ebenfallsein Plätzchen. Jetzt darf ich mit gutemGewissen abtreten und sagen: «Basta!Hausarzt Bieri ist gestorben.»

Warum dieser endgültige Schnitt? Sie wollten doch im kommenden Jahrbei Engpässen noch aushelfen?

Daraus wird nichts. Ich höre definitiv auf.

Schwer zu glauben. Ihnen haftet der Ruf eines uner-müdlichen «Chrampfers» an.

Der war ich auch. Früher behandelte ich 30bis 40 Patienten pro Tag. In einer Wochekonnte ich gut und gerne bis zu 90 Stun-den arbeiten. Aber das störte mich nie. Ichhätte ja Blöderes machen können.

Porträt

«Ich hätte Blöderes machen können»

Der wohl bekannteste Hausarzt Langenthals, Andreas Bieri, geht per Ende Jahr in Pension. Er könne dies mit gutem Gewissen tun, sagt der 71-Jährige. Schliesslich habe er sein Ziel erreicht:

den Mangel an Hausärzten in Langenthal einzudämmen.

Am Puls der Leute und der Zeit: Andreas Bieri (71, links) propagierte jahrelang Gruppenpraxen – bis er 2011 in Langenthal eine eröffnen konnte. In der Haslipraxis behandelt Bieri dieser Tage die letztenPatienten seiner Karriere. Wie Konrad Trachsel, zufällig der erste Patient seiner Hausarztlaufbahn. Bild: Thomas Peter

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praxis deckt heute weit über 50 Prozent deshausärztlichen Bedarfs der Langenthalerin-nen und Langenthaler ab. Der Rest entfälltauf eine Handvoll weiterer Hausarztpraxen.

Jetzt machen Sie sich wichtig.

Nicht unbedingt. Ich denke bloss an dieZukunft der Haslipraxis. Würde nämlichirgendwo in Langenthal eine andere Gruppenpraxis eröffnen, die eine perfekteZugänglichkeit, freundliches Personal undein hohes medizinisches Niveau böte, hät-te die Haslipraxis plötzlich nicht mehr vielePatienten.

Was Sie hier ansprechen, geht in Richtung Verdrängungs-wettkampf.

In diesem Fall hat Langenthal nicht mehr zu wenige Hausärzte? Im Moment genügtes gerade so. Bedenkt man aber, dass die meisten selbstständig praktizierendenHausärzte Langenthals um die sechzig Jah-re alt sind und keinen Nachfolger haben,sieht die Zukunft düster aus. Der drohendenVersorgungslücke kann man jedoch entge-gentreten. Am besten mit Gruppenpraxen.

Ein Modell, das Sie schon seit Jahrenpropagieren. Der Durchbruch gelang Ihnen und Ihrem Mitstreiter,Doktor Samuel Leuenberger, jedoch erst im Oktober 2011, als die Haslipraxis eröffnet wurde. Zuvor scheiterten mindestens drei Versuche, eine Gruppenpraxis auf die Beine zu stellen. War das nicht unheimlich frustrierend?

Einfach wars nicht. Auch, weil ich bei jedemAnlauf bereits ein fixfertiges Konzept aus-gearbeitet hatte. Doch unterkriegen lassenwollte ich mich nicht. Ich dachte einfachimmer an das Versprechen, das ich meinenPatienten abgegeben hatte.

Die vielen Überstunden fordertenjedoch ihren Tribut. Einige Ihrer Patien-ten berichten, Sie seien in der Sprechstunde ab und zu eingenickt.

Das ist offenbar tatsächlich passiert. Selberhabe ich es dann gemerkt, wenn ich beimSchreiben eines Rezepts nur noch einenStrich aufs Blatt malte. Aber das kam erstnach fünfzig vor. Vorher konnte ich das 90-Stunden-Pensum problemlos bewälti-gen. Ich hatte die gute Gabe, dass mir vierStunden Schlaf genügten.

Zudem scheint Ihr Kampf gegen den Hausärztemangel das beste Auf-putschmittel gewesen zu sein.

Bestimmt, ja. Das war meine Mission. Eshat mich immer unheimlich gefuchst, wennmeine Arztgehilfin wegen des vollen Termin-kalenders jemanden abweisen wollte, dereigentlich einen Arzt gebraucht hätte. Insolchen Fällen sagte ich oft, der Patient solle halt am späten Abend noch vorbei-kommen.

Solche Nachteinsätze mussten Sie in der Haslipraxis zuletzt nicht mehrleisten. Ihren Patientenstamm konntenSie auf mehrere Schultern verteilen.Ein Arzt alleine reicht also nicht aus,um Sie zu ersetzen?

Man muss schon sehen, dass sich über dieJahre 10’000 Adressen in meiner Patien-tenkartei angesammelt haben. Aber das istnicht der Punkt. Es ist doch vielmehr so,dass die beiden Ärztinnen, die die meistenmeiner Patienten übernommen haben, inder Haslipraxis Teilzeit arbeiten. StephanieFreitag ist zu 40 Prozent, Esther Hächler zu 60 Prozent angestellt. Da ist es nurlogisch, dass es mehrere Nachfolger fürmich braucht.

Wie gefällt Ihnen die Haslipraxis heute?

Das medizinische Niveau ist hoch. Trotz-dem ist die Praxis noch ein Rohbau. Siemuss freundlicher und zugänglicher werden.

Freundlicher?

Aktuell sind alle Arztgehilfinnen voll mit ihrer Arbeit beschäftigt. Das ist gut so. Aberwenn Patienten die Praxis betreten, solltensie entsprechend begrusst und eingewie-sen werden. Das klappt noch nicht optimal.Zudem muss jeder Patient einem Hausarztzugeteilt sein. Es sollte nicht passieren,dass die Leute bei jeder Sprechstundeeinen anderen Arzt vor sich haben.

Und zugänglicher?

Der Haslipraxis fehlen nach wie vor Park-plätze. Viele, die zu uns kommen, jammern,sie hätten weiss Gott wo parkieren mussen.Was wir möchten, ist eine Anzahl Parkplät-ze für die Klientel, die wirklich Parkplätzebraucht. Also für Patienten mit Gebrechenund so weiter. Aber in diesem Punkt mussuns die Stadt helfen.

Hat sie ja. In der blauen Zone wurden Parkplätze mit «Haslipraxis»angeschrieben.

Ja, aber die sind jeden Morgen besetzt,wenn ich nachschauen gehe. Von Dauer-parkierern. Es führt nichts daran vorbei: Die Stadt muss aktiv werden. Es bräuchteja gar nicht viel. Die Behörden sagen, beiuns seien ausreichend Einstellhallenplätzevorhanden. Das stimmt. Aber die sind grösstenteils extern vermietet. Und daraufhaben wir keinen Einfluss. Andere Gemein-den haben erkannt, wie wichtig Gruppen-praxen für die Bevölkerung sind. Nicht soLangenthal. Die Stadt ist unter Ärztenbekannt als die Gemeinde, die das nochnicht begriffen hat. Tatsache ist: Die Hasli-

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Apropos Patienten: Gingen Ihnen die Probleme der Menschen mit der Zeit nicht auf die Nerven? Auch das Gejammer und das Gequengel?

Eigentlich nicht. Diejenigen, die zu mirkamen, hatten meistens einen Grund.Belastend waren hingegen die ganz tra-gischen Schicksale. Also etwa, wenn icheinem Bub sagen musste, dass sein Vatergestorben sei. Das rührte mich schon zuTränen. Generell aber bereitete mir derUmgang mit den Patienten Freude. Auchdann, wenn sie nicht alles glaubten und kritisch nachhakten.

Sie meinen, wenn Dr. Internet schlauergewesen sein soll als Sie?

Genau. Aber damit hatte ich nie ein Pro-blem. Ich liess immer mit mir reden. Wennsich jemand zu meiner Diagnose im Internetschlaumachen wollte, unterstützte ich dassogar. Nur war das gar nicht oft der Fall.Denn ich kann etwas, das andere Ärzte vielleicht weniger gut können: gut erklären.Auch mit Beispielen.

Das scheint sowieso Ihr Ding zu sein:Sachverhalte plastisch darstellen.Auch in Ihrer Funktion als Vorstands-mitglied der Berner Ärztegesellschaftund später als Präsident des ÄrztlichenBezirksvereins Oberaargau. Wie wardas noch mit Ihrer ersten Aktion in derStandespolitik?

Ich wollte einen Beweis für die Überalterungder Hausärzte in der Region erbringen. Alsohabe ich eine Nacht lang Faxe verschickt.An sämtliche Praxen im Mittelland zwischenOensingen und Schönbühl. Insgesamt an186 Ärzte. Ich fragte sie nach ihrem Jahr-gang. Sie glauben es nicht: Die Rücklauf-quote am nächsten Mittag betrug 95 Pro-zent.

Mit welchem Resultat?

Wie ich erwartet hatte: Weit über die Hälfteder Hausärzte war über 50 Jahre alt. Vieledavon um die 60.

Dass Ihnen die Ärzte so zahlreich antworteten, lag wohl daran, dass Sie in der Zunft schon damals wieein bunter Hund bekannt waren.

Schon möglich. Aber ich habe mir mit mei-nen diversen Aktionen nicht nur Freundegemacht. Als ich vor Jahren meinen Ver-dienst rausposaunte und diesen mit einemBundesratseinkommen gleichsetzte, fühl-ten sich einige Kollegen verletzt. Ärzte sindfurchtbar, wenn es darum geht, zu sagen,wie viel sie verdienen.

Was wollen Sie eigentlich machen,wenn Sie ab Neujahr nicht mehr praktizieren? Ihnen muss doch stink-langweilig sein.

Das glaube ich nicht. Bestimmt werde ichvermehrt meinem Hobby frönen: dem klas-sischen Reiten. Ich besitze ein Pferd. Aufihm reite ich in der Halle von Stadtpräsi-dent Thomas Rufener. Das gibt gute Bauch- und Rückenmuskeln. Zudem wird es min-destens ein Jahr dauern, bis ich alle meineÄmter abgegeben habe.

Die Veröffentlichung des Interviews erfolgt mit freundlicher Geneh-

migung der BZ Langenthaler Tagblatt und des Autors Patrick Jordi.

Zur PersonAndreas Bieri (71) wuchs als eines von sieben Kindern in Huttwil auf. Erstudierte Medizin in Bern. Ab 1969arbeitete Bieri als Assistenzarzt in diversen Spitälern, darunter im SpitalLangenthal. Am 28. April 1978 eröffne-te er an der Schorenstrasse in Langen-thal seine eigene Hausarztpraxis. Dieseüberführte er 2011 in die Haslipraxis ander St. Urbanstrasse – eine Gruppen-praxis mit aktuell sieben praktizieren-den Ärztinnen und Ärzten. An dieser hält Andreas Bieri zusammen mit Dr.med. Samuel Leuenberger den kleine-ren Teil der Aktien. Mehrheitsaktionärinist die Spital Region Oberaargau AG(SRO).

Die schweizerische Hirnforschung gehört zur Weltspitze. Um diese For-schung weiter zu unterstützen und voranzutreiben, haben engagierte Wissenschaftler 1995 die Schweize-rische Hirnliga gegründet. Die bedeu-tenden Fortschritte in der Behandlung von Hirnschlägen, Multipler Sklerose und der Parkinson Krankheit weisen darauf hin, dass sich die Forschung auf dem richtigen Weg befi ndet. Die Schweizerische Hirnliga fördert diese Entwicklungen ebenso wie die Bestrebungen, Therapien von Alzhei-mer-Krankheit, Depressionen, Hirn-tumoren und Suchtkrankheiten zu ver-bessern.

Zu ihren wichtigsten Anliegen gehört auch, die Bevölkerung über die Mög-lichkeiten zur Gesunderhaltung des Gehirns zu informieren. Dazu gibt die Schweizerische Hirnliga viermal im Jahr das Magazin «das Gehirn» heraus.

«Das Gehirn» bestellen Sie auf www.hirnliga.ch oder telefonisch unter 031 310 20 90. Übrigens: Spenderin-nen und Spender der Schweizerischen Hirnliga erhalten «das Gehirn» kos-tenlos.

Schweizerische Hirnliga

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SCHWEIZERISCHE HIRNLIGALIGUE SUISSE POUR LE CERVEAULEGA SVIZZERA PER IL CERVELLO

1 Das Gehirn 1/2015

Aktivität. Raichle nannte diese Regio-nen «Leerlauf-Netzwerk». Sie ziehen sich, von oben betrachtet, über die Mitte des Gehirns von vorne nach hinten und werden im Hinterhirn durch seitliche Gebiete ergänzt. Studien haben gezeigt, dass dieselben Regio-nen auch im Schlaf oder teils sogar bei komatösen Patienten aktiv sind. Doch wozu dient diese Aktivität, wenn

wir doch bloss vor uns hinträumen? Das Gehirn nutzt die Gelegenheit, in sich hinein zu «lauschen». Vielleicht werden Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen neu geordnet, der Denk-apparat verarbeitet Gelerntes und sor-tiert Informationen. Er beschäftigt sich mit der eigenen Identität, stellt aber auch das Ich in Bezug zu Ande-ren. Dabei werden Fragen beantwor-tet wie: War mein Verhalten richtig?

Morgens im Zug die E-Mails checken, in der Mittagspause auf Facebook Kontakte pflegen und abends vor dem laufenden Fernseher im Internet sur-fen – viele Menschen gönnen sich auch dann keine Ruhe, wenn sie nicht arbeiten. Sie lassen sich berieseln, hal-ten sich auf dem Laufenden und kom-munizieren rund um die Uhr. Welche Auswirkungen hat die ständige Akti-vität auf das Gehirn?

Nichts tun ist nützlichDas Gehirn faulenzt nie. Es ist auch dann rege, wenn wir an «nichts Besonderes» denken. Der US-ameri-kanische Neurologe und Radiologe Marcus E. Raichle entdeckte Ende der 1990er-Jahre, dass das Gehirn beim Tagträumen in einen besonderen Modus fällt. Dabei herrscht in be- stimmten Regionen des Gehirns grosse

Inhalt Nr. 1/2015

Editorial 2Zu viel von allem

3Die heutige Jugend 4«Das Leben ist kein Ponyschlecken!»: Ausrutscher im Gehirn

6 Vorschau

8

Mehr Ruhe!

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