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J. Rabe 1 · W. Kulinna 2 · K.J. Lehmann 1 · M. Georgi 1 1 Institut für Klinische Radiologie, Universitätsklinikum Mannheim, Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg 2 I.Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Mannheim, Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg Dyspnoe und thorakale Schmerzen Patientin mit rezidivierenden ventrikulären Rhythmusstörungen Der Radiologe 10·99 | 905 Quiz Radiologe 1999 · 39: 905–907 © Springer-Verlag 1999 Eine 70jährige Patientin wurde mit zunehmender Dyspnoe und tho- rakalen Schmerzen aufgenommen. Ein Jahr zuvor wurde ihr wegen rezi- divierender ventrikulärer Rhythmus- störungen bei koronarer Herzerkran- kung ein Kardiodefibrillator (ICD) im- plantiert. Seit diesem Zeitpunkt er- hielt die Patientin das Antiarrhyth- mikum Amiodaron (Dosis 400 mg/d). Andere relevante Vorerkrankungen lagen nicht vor. Das Thoraxröntgen- bild (Abb. 1) zeigte damals außer ei- nem mäßig dilatiertem Herz und dem ICD keine Auffälligkeiten. Bei der körperlichen Untersuchung zur stationären Aufnahme waren beidseits basal feine Rasselgeräu- sche zu hören. Die Patientin war stets fieberfrei. Laborchemisch fiel außer einem erhöhten Amiodaronspiegel von 3,2 mg/l (therapeutischer Be- reich: 0,5–2,5 mg/l) lediglich ein er- höhtes CRP von 42 mg/dl auf (Nor- malwert: bis 5 mg/dl). Das Blutbild einschließlich Differentialblutbild war unauffällig. Das Thoraxröntgenbild bei Aufnah- me (Abb. 2) zeigte beidseitige basal betonte Infiltrate, jedoch auch kleine Fleckschatten in den Mittelfeldern. Eine daraufhin durchgeführte Com- putertomographie zeigte eine fast ausschließlich subpleurale Lage der Infiltrate (Abb. 3a, b). Weiterhin fiel eine sehr hohe Dichte des Leberpar- enchyms mit Hounsfield-Einheiten um 100 auf (Abb. 4). Ihre Diagnose? Abb. 1 b Thorax p.a. 1 Jahr vor stationärer Aufnahme: Bei implantier- tem Kardiodefibrillator mäßig dila- tiertes Herz, keine Infiltrate Abb. 2 c Thorax p.a. bei stationärer Aufnahme: Nachweis teils flächen- hafter, teils umschriebener unscharfer Infiltrate, die vor allem in beiden Unterfeldern, sowie im linken Mittelfeld zu erkennen sind

Dyspnoe und thorakale Schmerzen

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Page 1: Dyspnoe und thorakale Schmerzen

J. Rabe1 · W. Kulinna2 · K.J. Lehmann1 · M. Georgi1

1Institut für Klinische Radiologie, Universitätsklinikum Mannheim, Fakultät für Klinische Medizin

Mannheim der Universität Heidelberg2I.Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Mannheim, Fakultät für Klinische Medizin Mannheim

der Universität Heidelberg

Dyspnoe und thorakaleSchmerzen Patientin mit rezidivierenden ventrikulärenRhythmusstörungen

Der Radiologe 10·99 | 905

QuizRadiologe1999 · 39: 905–907 © Springer-Verlag 1999

✜ Eine 70jährige Patientin wurdemit zunehmender Dyspnoe und tho-rakalen Schmerzen aufgenommen.Ein Jahr zuvor wurde ihr wegen rezi-divierender ventrikulärer Rhythmus-störungen bei koronarer Herzerkran-kung ein Kardiodefibrillator (ICD) im-plantiert. Seit diesem Zeitpunkt er-hielt die Patientin das Antiarrhyth-mikum Amiodaron (Dosis 400 mg/d).Andere relevante Vorerkrankungenlagen nicht vor. Das Thoraxröntgen-bild (Abb. 1) zeigte damals außer ei-nem mäßig dilatiertem Herz unddem ICD keine Auffälligkeiten.Bei der körperlichen Untersuchungzur stationären Aufnahme warenbeidseits basal feine Rasselgeräu-sche zu hören. Die Patientin war stetsfieberfrei. Laborchemisch fiel außereinem erhöhten Amiodaronspiegelvon 3,2 mg/l (therapeutischer Be-reich: 0,5–2,5 mg/l) lediglich ein er-höhtes CRP von 42 mg/dl auf (Nor-malwert: bis 5 mg/dl). Das Blutbildeinschließlich Differentialblutbildwar unauffällig.Das Thoraxröntgenbild bei Aufnah-me (Abb. 2) zeigte beidseitige basalbetonte Infiltrate, jedoch auch kleineFleckschatten in den Mittelfeldern.Eine daraufhin durchgeführte Com-putertomographie zeigte eine fastausschließlich subpleurale Lage derInfiltrate (Abb. 3a, b). Weiterhin fieleine sehr hohe Dichte des Leberpar-enchyms mit Hounsfield-Einheitenum 100 auf (Abb. 4).

Ihre Diagnose?

Abb. 1 b Thorax p.a. 1 Jahr vor stationärer Aufnahme: Bei implantier-tem Kardiodefibrillator mäßig dila-tiertes Herz, keine Infiltrate

Abb. 2 c Thorax p.a. bei stationärer Aufnahme: Nachweis teils flächen-

hafter, teils umschriebener unscharferInfiltrate, die vor allem in beiden

Unterfeldern, sowie im linken Mittelfeld zu erkennen sind

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ko wie das Vorliegen anderer Lungener-krankungen [6].

Diagnostik

Die Diagostik der Amiodaron-induzier-ten Lungentoxizität kann sehr proble-matisch sein: Die Symtome diesesKrankheitsbildes sind unspezifisch undreichen von Husten, Fieber, Gewichts-verlust und Dyspnoe bis hin zur respira-torischen Insuffizienz mit potentiell le-talem Ausgang. Differentialdiagnostischkommen somit auch Krankheiten inFrage, die bei mit Amiodaron behandel-ten Patienten recht häufig sind, wie z.B.kardiale Dekompensation, Pneumonienoder Lungenembolien. Die Lungenfunk-tionsuntersuchung hilft in der Diagno-stik nicht weiter, da sie sowohl ein ob-struktives als auch ein restriktives Mu-ster aufweisen kann. Auch Spiegelbe-

| Der Radiologe 10·99

Quiz

906

✜ Diagnose

Amiodaron-induzierte Lungentoxizität

Diskussion

Amiodaron (Cordarex®) ist ein potentes,stark jodhaltiges Antiarrhythmikum(Klasse III nach Vaughan Williams) zurBehandlung schwerer ventrikulärer undsupraventrikulärer Rhythmusstörungenbei KHK oder Kardiomyopathie. DasNebenwirkungsspektrum ist jedochrecht groß und umfaßt neben Schild-drüsenfunktionsstörungen, Lebertoxizi-tät, Photosensibilisierung und Kornea-ablagerungen auch toxische Verände-rungen des Lungenparenchyms. Das kli-nische Spektrum reicht vom asympto-matischen Verlauf bis zur letal endendenrespiratorischen Insuffizienz.

Auf eine Amiodaron-induzierteLungentoxitität wurde erstmals 1980 hin-gewiesen [10]. Als Schädigungsmecha-nismen werden sowohl zytotoxische alsauch immunologisch vermittelte Prozes-se vermutet [6].Während einige Autorenvon einer Inzidenz zwischen 5 und 10%sprechen [8], haben andere Studien keineHinweise auf eine Lungenschädigung fin-den können [1].Diese Diskrepanz kommtwahrscheinlich dadurch zustande, daßmehrere Faktoren – Dosis,Alter des Pati-enten und vorbestehende Lungenerkran-kungen – bei der Entstehung der Amio-daron-induzierten Lungentoxizität eineRolle spielen.

Die kumulative Dosis scheint be-deutsamer zu sein als die tägliche Dosisund die Plasmakonzentation. Eine hoheDosis (>400 mg/d) erhöht zwar das Risi-ko [6], es wurden jedoch auch Lungen-veränderungen bei Therapie mit Dosenvon weniger als 300 mg/d beobachtet [5].

In der Literatur wird folgendeFaustregel angegeben: Eine Amiodaron-induzierte Lungentoxitität sollte in Er-wägung gezogen werden, wenn die tägli-che Dosis über mehr als zwei Monatemehr als 400 mg betrug, oder wenn eineniedrigere Dosis über mehr als zwei Jah-re eingenommen wurde [2]. Ein höheresAlter bedeutet ebenso ein höheres Risi-

Abb. 3a, b b Computertomo-graphie eine Woche nach sta-tionärer Aufnahme: Auf zweirepräsentativen Schichtensind beidseits umschriebene,subpleural gelegene Verdich-tungen zu erkennen

Abb. 4 c Die im Rahmen der Lungen-diagnostik mitabgebildete Leberzeigt aufgrund von Jodablagerungennativ Dichtewerte von 100 HounsfieldEinheiten

„Eine Amiodaron-induzierte Lungen-toxizität kann bei einer täglichen Dosis

>400 mg oder bei niedrigeren Dosenüber mehrere Jahre erwogen werden.“

Page 3: Dyspnoe und thorakale Schmerzen

stimmungen von Amiodaron im Serumsind diagnostisch nicht hilfreich.Die Hi-stologie bzw. Zytologie einer Lungenbi-opsie und Bronchiallavage zeigt zwarcharakteristischerweise Schaumzellenund Einschlußkörperchen, diese invasi-ven diagnostischen Verfahren sind je-doch für die Patienten belastend undkomplikationsträchtig.

Aus diesen genannten Gründenkommt der Radiologie eine besondereBedeutung bei der Diagnostik und Dif-ferentialdiagnostik der Amiodaron-induzierten Lungentoxizität zu. Zwarwurden radiologisch verschiedene Lun-genverschattungsmuster, wie z.B. alveo-läre Infiltrate mit gelegentlich segmenta-ler oder lobärer Verteilung [3] (multi-)noduläre Verdichtungen [9], interstitiel-le Verschattungen und Pleuraergüsse [4]nachgewiesen. Charakteristisch sind je-doch subpleurale Läsionen, die am be-sten in der Computertomographie zuerkennen sind [7]. Bei fortgeschrittenerKonsolidierung kommen diese subpleu-ralen Infiltrate oder fokalen Atelektasenaufgrund der Ablagerung stark jodhal-tiger Amiodaronabbauprodukte hyper-dens zur Darstellung [7]. Analog lassensich auch im Leberparenchym hohe

Dichtewerte mit Hounsfield-Einheitenzwischen 90 und 110 nachweisen [7].

Therapeutisch sollte Amiodaronabgesetzt und ersetzt, zumindest aberdie Dosis reduziert werden. Als alterna-tive antiarrythmische Therapieverfah-ren kommen Thermoablation oder einImplantierbarer-Kardiodefibrillator(ICD) in Frage. Die Wirksamkeit einerSteroidtherapie in der Behandlung derAmiodaron-induzierten Lungentoxizi-tät ist nicht gesichert [6].

Literatur

1. Doval HC, Nul DR, Grancelli HO, Perrone SV,

Bortman G for the Gesica investigators (1994)

Randomised trial of low dose-amiodaronein severe congestive heart failure. Lancet

344: 493–498

2. Dusman RE, Stanton MS, Miles WM, Klein LS, Zi-

pes DP, Fineberg NS, et al. (1990) Clinical fea-tures of amiodarone-induced pulmonarytoxicity. Circulation 82: 51–59

3. Gibb P, Melendez LJ (1986) Segmental pul-monary consolidation due to amiodarone.Can Med Assoc J 134: 611–613

4. Gonzales-Rothi RJ, Hannan SE, Hood CI, Franzi-

ni DA (1987) Amiodarone pulmonary toxici-ty presenting as bilateral exsudative pleu-ral effusions. Chest 92: 179–182

5. Heipel J, Dawdy J, George CFP, Bayliff CD (1993)

Bronchiolitis obliterans secondary toamiodarone. Can J Hosp Pharm 46: 275–277

6. Jessurun GAJ, Crijns HJGM (1997) Amiodaro-ne pulmonary toxicity. BMJ 314: 619–620

7. Kuhlman JE,Teigen C, Ren H, Hruban RH, Hut-

chins GM, Fishman EK (1990) Amiodaronepulmonary toxicity: CT findings in sympto-matic patients. Radiology 77: 121–125

8. Martin WJ II, Rosenow EC III (1988) Amiodaro-ne pulmonary toxicty: recognition and pa-thogenesis. Chest 93: 1067–1075

9. Patel P, Honeybourne D,Watson RDS (1987)Amiodarone-induced pulmonary toxicitymimicking metastatic lung disease. Post-

graduate Med J 63: 393–394

10. Rotmensch HH, Liron M,Tupilski M, Laniado S

(1980) Possible association of pneumonitiswith amiodarone therapy. Am Heart J 100:

12–13

Der vorliegende Fall

Bei unserer Patientin sprachen folgendeGründe für das Vorliegen einer Amioda-ron-induzierten Lungentoxizität: Er-stens entspricht der Befund der subpleu-ral gelegenen Infiltrate den Angaben ausder Literatur. Zweitens waren diese be-schriebenen Lungenveränderungen zuBeginn der Amiodaron Therapie nach-weislich nicht vorhanden (Abb. 1). Drit-tens spricht die hohe Leberdichte von100 Hounsfield Einheiten für eine signi-fikante Ablagerung von jodhaltigenAmiodaronabbauprodukten.Schließlichzeigte eine Röntgenkontrolle vier Mona-te nach Absetzen des Amiodarons nurnoch diskrete Residuen der vorbeschrie-benen Infiltrate.

Die Tatsache, daß die subpleuralenInfiltrate nicht die charakteristischenhohen Dichtewerte zeigten, könnte aufein frühes Stadium dieser Läsionen zu-rückzuführen sein.Die Schmerzsympto-matik der Patientin läßt sich mit einerPleuritis gut erklären. Sowohl dieSchmerzen als auch die Dyspnoe gingennach Absetzen von Amiodaron langsamzurück.

Fazit

Zusammenfassend läßt sich festhalten,daß das Krankheitsbild der Amiodaron-induzierten Lungentoxizität eine diagno-stische Herausforderung darstellt, wobeider Radiologie eine wichtige Rolle zu-kommt. Am Anfang der bildgebenden Dia-gnostik steht die Thoraxröntgenaufnahmein zwei Ebenen, wobei der befundende Ra-diologe unter Umständen über eine beste-hende Amiodaron-Therapie gar nicht in-formiert ist. Ein indirekter Hinweis auf einesolche Therapie kann, wie in unserem Fall,der Nachweis eines ICD sein, der als nicht-medikamentöse antiarrhythmische Thera-pie bei schweren Rhythmusstörungen zumEinsatz kommt. Gegebenenfalls muß derbefundende Radiologe gezielt nachfragen.Bei entsprechendem Verdacht ist als näch-ster diagnostischer Schritt eine Computer-tomographie indiziert, wobei auf die be-schriebenen charakteristischen Lungen-und Leberveränderung [7] geachtet wer-den sollte.

Der Radiologe 10·99 | 907

„Charakteristisch sind subpleurale Läsionen, die in der Computertomo-

graphie gut erkennbar sind.“

Dr. Jan RabeInstitut für Klinische Radiologie

Universitätsklinikum Mannheim

Fakultät für Klinische Medizin Mannheim

der Universität Heidelberg

Theodor Kutzer Ufer

D-68167 Mannheim

e-mail: [email protected]