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Ebook Edition - Willkommen auf den Seiten von Irwish! · 2 Die vielen Geheimnisse, die sich hinter Gazprom verstecken 3 Über Hintergründe, die den unaufhaltsamen ... 7 Die Quelle

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  • Ebook Edition

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  • JRGEN ROTH

    GAZPROM DASUNHEIMLICHE IMPERIUM

    WIE WIR VERBRAUCHERBETROGEN UND STAATEN

    ERPRESST WERDEN

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  • Mehr ber unsere Autoren und Bcher:www.westendverlag.de

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulssig. Das giltinsbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    ISBN 978-3-86489-001-7 Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012Satz: Publikations Atelier, DreieichDruck und Bindung: CPI Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

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    http://www.westendverlag.dehttp://dnb.d-nb.de

  • Inhalt

    Vorwort

    1 Das Mrchen vom possierlichen Weltkonzern, der sich allesund jeden kaufen kann

    2 Die vielen Geheimnisse, die sich hinter Gazprom verstecken

    3 ber Hintergrnde, die den unaufhaltsamen Siegeszug desKreml-Machtinstruments Gazprom ermglichten

    4 Zuckerbrot und Peitsche das Kaleidoskop derErpressungen und Einflussnahmen

    5 Gazprom und das Netzwerk von Gnstlingen undSeilschaften

    6 Die Armee Putins und des Imperiums

    7 Die Quelle der Macht, des Reichtums und verborgeneGeheimnisse

    8 Gazproms Beziehungen zu mafiosen Strukturen

    9 Ein gewagtes Machtspiel oder Hintergrnde eines eiskaltenWinters

    10 Die deutschen und europischen Amigos des SystemsPutin-Gazprom

    Schluss: Politische Ethik als Blockade fr blendende Geschfte

    Anmerkungen

    Abkrzungen

    Personenregister

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  • Vorwort

    Als sie von meinem Vorhaben, ein Buch ber den Gazprom-Konzern zuschreiben, erfuhren, warnten mich sowohl osteuropische wie deutscheFreunde: Sollte ich es wirklich versuchen, hinter die Kulissen desGazprom-Imperiums zu schauen, wrde ich mir jede Menge Problemeeinhandeln. Denn, so der russische Publizist Wladimir Iwandize, der wegenseiner kritischen Berichterstattung Russland verlassen musste undinzwischen in Frankreich lebt: Gazprom ist eine Mafia-hnlicheOrganisation, weil Gangster das Geld von Gazprom fr ihre Aktivittenbenutzen.1 bertreibt der Kollege da malos?

    Schon im September 2007 begann der Journalist Hans-Martin Tillackeinen Bericht ber Gazprom im Stern mit den Stzen: Es geht bei dieserInvasion um Gas. Aber mehr noch um eine groe Menge Geld. Um sehr vielGeld fr sehr wenige. Und zwar fr Menschen, die grten Wert darauflegen, nicht bekannt zu werden.2 Und das angesehene englischeWirtschaftsmagazin The Economist schrieb bereits 2006 in einem Artikelmit der berschrift Lege dich nicht mit Russland an: Putins Einsatz vonEnergie als Waffe ist nur eine Instanz des russischen Selbstbewusstseins,das heutzutage an Gangstertum anzugrenzen scheint.3

    Worum handelt sich also bei diesem Gazprom-Imperium?Zu Zeiten der Sowjetunion war Gazprom ein Arbeitsbereich des

    Ministeriums fr Gasfrder- und Gastransportindustrie. Im Zuge derPerestroika wurde Gazprom 1989 in einen Staatskonzern umgewandelt undhatte sofort das Monopol auf 95 Prozent der gesamten sowjetischenGasfrderung. Am 17. Februar 1992 wurde aus dem bisherigenStaatskonzern eine Aktiengesellschaft, an der der russische Staat 41 ProzentAnteile hielt. Nach Wladimir Putins Machtantritt im Jahr 2000 erhhte sichdie Beteiligung des russischen Staates an Gazprom auf 50,002 Prozent.4Putin machte Gazprom zu seinem persnlichen Projekt.

    Heute beschftigt Gazprom ber 400 000 Mitarbeiter und ist einer derweltweit mchtigsten Energiekonzerne. Zu seinen Geschftsbereichengehren nicht nur die Frderung und Lieferung von Gas, sondern er istzudem einer der wichtigsten Erdlproduzenten Russlands. Auerdem istGazprom unter anderem Mitbesitzer von Banken, Investmentgesellschaften,Fluggesellschaften, Versicherungen, Bauunternehmen und Medien. Geschtztwird, dass Gazprom allein zwischen 2001 und 2007 ber vierzig MilliardenDollar ausgegeben hat, um Anteile von Unternehmen zu kaufen, die nichts

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  • mit dem Gasgeschft zu tun haben.5 Dazu gehren insbesondere Anteile anKonzernen der Erdlindustrie und Elektrizittswerke. ber Hunderte vonTochtergesellschaften und Joint Ventures ist Gazprom zudem auf demglobalen Gasmarkt aktiv, unter anderem in Deutschland, sterreich, derSchweiz, Holland und Frankreich.

    Auffllig sind die schier unberschaubaren Netze von Strohfirmen undgeheimen Holdings, die von der Schweiz nach Luxemburg, Deutschland,sterreich, Ungarn, Italien bis nach Zypern reichen. Gazprom-Tochtergesellschaften haben ihren Sitz in Steueroasen, um die Steuerlastenzu vermindern.6 Fr einen Staatskonzern eher ungewhnlich. Denn das Geldfehlt fr die notwendigen sozialen Infrastrukturmanahmen in Russland. ImJahr 2010 betrug der von Gazprom erwirtschaftete Gewinn 23,8 MilliardenEuro und damit 24 Prozent mehr als im Jahr 2009.7Von diesem Weltkonzernkommt immer wieder gebetsmhlenartig die Aussage, die von deutschenPolitikern gern nachgeplappert wird: Durch Gazprom werde dieVersorgungssicherheit mit Gas in Europa, insbesondere in Deutschland odersterreich, gewhrleistet.8 Die Frage, wie hoch der Preis dafr ist, den wiralle bezahlen mssen, wird hingegen kaum gestellt.

    Wer das Gazprom-Imperium verstehen will, muss sich zwangslufig auchmit Wladimir Putin und seiner Vergangenheit und die seiner langjhrigenWegbegleiter beschftigen. Vor ber zehn Jahren recherchierten derrussische Journalist Wladimir Iwandize und ich unabhngig voneinanderber die mutmalichen Verstrickungen Putins in korrupte und kriminelleMachenschaften in Sankt Petersburg, wo er Anfang der neunziger Jahrezweiter Brgermeister war. Sich damit zu beschftigen ist auerordentlichgefhrlich, schrieb er mir damals. Du hast es mit ehemaligen und nochaktiven KGBLeuten zu tun, und dazu kommt noch die Tambowskaja-Mafia.

    hnlich argumentierte Craig Murray, der ehemalige BotschafterGrobritanniens in Usbekistan. Es ist wahr, Russland ist heute so etwaswie ein Gangsterstaat, in dem die Mafia in Verbindung mit dem KGB undehemaligen KGB-Angehrigen in Wirklichkeit diesen Staat kontrolliert.9

    Viel Lrm um nichts, billige Hysterie?Beim wichtigsten russischen Konzern Gazprom beziehungsweise dessen

    Tochterfirma Nord Stream AG ist schlielich ein deutscherExbundeskanzler sogar Vorsitzender des Aktionrsausschusses, und er hatdort sein berragendes, ausgeprgtes sozialdemokratisches politisches undpersnliches Renommee eingebracht. Der wird doch niemals mit jemandemaus einem Gangsterstaat kooperieren. Schlielich besitzt er das SPD-Parteibuch, und im Grundsatzprogramm der SPD steht: Mit ihrer durch

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  • Kartelle und Verbnde noch gesteigerten Macht gewinnen die fhrendenMnner der Growirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mitdemokratischen Grundstzen nicht vereinbar ist. Sie usurpierenStaatsgewalt. Und genau das wird ja Gazprom vorgeworfen.

    Auffllig ist, dass es sich bei Gazprom und den weit ber hundertTochter- und Zwischengesellschaften um einen nicht besonderstransparenten Konzern handelt, um es diplomatisch zu formulieren. Hinzukommt, dass einige Gazprom-Zwischenfirmen Verbindungen zu Gruppender organisierten Kriminalitt in Russland und Europa hatten, whrendandere dieser Mittlerfirmen verdchtigt wurden, Hunderte Millionen Dollarzu waschen, die auf Konten von hochrangigen russischen, ukrainischenPolitikern und Staatsbeamten deponiert wurden.10 Alles nur bleVerdchtigungen?

    Unbestritten drfte sein, dass in den letzten Jahren Hunderte vonMillionen Euro in mehr oder weniger dunklen Kanlen versickert sind. Undgenauso sicher ist, dass die Brger in Europa kaum Aussichten haben,billiger Gas geliefert zu bekommen im Gegenteil. Sie mssen mit immerhheren Energiepreisen rechnen. Prinzipiell gelingt es Gazprom, mitwelchen Mitteln wird in den kommenden Kapiteln gezeigt, langfristigeVertrge abzuschlieen, bei denen der Gaspreis an den lpreis gebundenist.

    Das sichert hohe Gewinne zu Lasten der Verbraucher, denn dieWahrscheinlichkeit, dass die lpreise wegen politischer Instabilitt in denlfrderlndern in Zukunft weiter steigen werden, die Kosten fr Gasjedoch wegen des enormen Angebots eher sinken, lsst Rubel und Dollar indie Kassen der multinationalen Konzerne sprudeln. Und die deutschenVerbraucher werden deshalb in Zukunft hohe Gaspreise zahlen drfen.

    Fr Andrej Owschinnikow, dem l- und Gasanalytiker der Credit Suisse,ist klar, dass die Verbindung des Gaspreises mit dem lpreis Gazprom inEuropa zum Hochpreislieferanten gemacht hat, eine Situation, die sich in derZukunft fortsetzen wird.11 Aber wohin flieen diese Gewinne, und werprofitiert davon? Es ist das System Putin!

    Gazprom war nach Putins Machtantritt am 7. Mai 2000 das ersteUnternehmen, in dem smtliche Schlsselpositionen durch seine Bekanntenund/oder engen Freunde aus Sankt Petersburg besetzt wurden. Sie arbeitetenin den neunziger Jahren entweder in der Sankt PetersburgerStadtverwaltung, der Aktiengesellschaft Hafen Sankt Petersburg, in SanktPetersburger Handelsunternehmen oder beim Geheimdienst, dem KGBbeziehungsweise, nachdem der umbenannt wurde, beim heutigen FSB.

    Diese Konstellation ist im Vergleich zu anderen globalen

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  • Energiekonzernen durchaus ungewhnlich. blicherweise werden derartigeFhrungspositionen von jenen Mnnern oder Frauen bernommen, die bereine entsprechende Ausbildung und langjhrige Erfahrungen inEnergieunternehmen verfgen. Ob das fr die ehemaligenVerwaltungsangestellten, die Mitarbeiter oder Manager von Hafenbetriebenoder Immobilienfirmen aus Sankt Petersburg gilt, darf bezweifelt werden.

    Genau sie jedoch wurden von Wladimir Putin in die Toppositionen derfhrenden russischen l- und Gasunternehmen gehievt. Alle verbindetzudem ein Geheimnis, das in Sankt Petersburg im wahrsten Sinne desWortes begraben ist.

    In diesem Buch will ich davon abgesehen, dass ein Sankt PetersburgerGeheimnis gelftet werden soll zwei Probleme aufzeigen, die unsereGesellschaft verndert haben oder verndern werden. Da geht es zum einenum jene Konzernchefs, Toppolitiker, Lobbyisten und manche Dunkelmnnernicht nur in Russland, die Millionen und Milliarden Euro in ihren Taschenverschwinden lassen, sowie ihre Helfershelfer und Propagandisten auch inWesteuropa. Das hat nicht nur, aber in diesem Fall viel mit Gazprom unddem Kreml zu tun. Zum anderen geht es darum zu zeigen, dass heute inPolitik und Wirtschaft, ob in Russland oder beispielsweise auch inDeutschland oder sterreich, nicht einmal ansatzweise ethische Grundstzevon Bedeutung sind. Auch das wiederum lsst sich am besten am Beispielvon Gazprom und den direkten oder indirekten Helfershelfern wre manbsartig, wrde man sie Komplizen nennen in Europa und Deutschlanddokumentieren.

    Gazprom jedenfalls, tnte am 27. Mai 2008 der damalige russischePrsident Dmitri Medwedew in einer Rede vor Vorstandsmitgliedern vonGazprom, sei eine Macht, mit der man rechnen muss, und eine wichtigeMacht in der Welt.12 Diese Aussage bekrftigte mir in einemHintergrundgesprch ein osteuropischer Unternehmer, der eineTochtergesellschaft von Gazprom fhrt: Das ist eine politische Firma. Diewirklich Mchtigen bei Gazprom sind Politiker. Und dadurch war und istbis heute immer ausreichend viel Geld vorhanden, um ihre Politik zufinanzieren.

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  • 1 Das Mrchen vom possierlichen Weltkonzern,der sich alles und jeden kaufen kann

    Wenn wir unsere Gasheizung anstellen, damit die Zimmer kuschelig warmwerden, freuen sich auf jeden Fall nicht nur die Aktionre beim sogenanntenEnergiekonzern Gazprom. Denn von diesen Einnahmen fliet gleichzeitigauf jeden Fall indirekt ein Teil in Wladimir Putins Machtapparat, an seineGnstlinge, und damit folgerichtig zur Partei Einiges Russland, das heit derPartei der Diebe und Gauner.1 So gesehen finanzieren wir, ob wir wollenoder nicht, direkt jene Strukturen, die fr die undemokratischen undmrderischen Zustnde in der Russischen Fderation mitverantwortlichsind. Dazu gehrt auch die Unterdrckung der Presse- und Meinungsfreiheit.Fr einige hohe Politiker, etwa Sergei Sobjanin, den MoskauerBrgermeister, ist das vollkommen richtig. Ich denke nicht, dass einJournalist an sich frei sein kann, und auch die Presse kann bei uns nicht freisein.2

    Doch was hat das mit Gazprom zu tun?Gern wird ausgeblendet, wahrscheinlich sogar wissentlich verschwiegen,

    dass der Kreml ber Gazprom-Media, eine Tochtergesellschaft vonGazprom, nicht nur die fnf wichtigsten Fernsehsender besitzt und damit dieFernsehlandschaft dominiert. Ihr gehren inzwischen mindestens zweiDrittel aller russischen Medien. Neben der Iswestija, einer einstangesehenen Zeitung, sind vierzehn weitere Zeitungsredaktionen unter derGazprom-Media-Holding vereint und damit das Propagandainstrument, umdie Politik des Kreml abzunicken. Und die wenigen briggebliebenenMedien werden massiv unter Druck gesetzt. Zensur, berflle auf kritischeJournalisten und nicht aufgeklrte Morde die Angst davor hat sich in denmeisten Kpfen eingenistet. Die Folgen? Eine Untersuchung derJournalistenunion hat einen dramatischen Anstieg unkritischer Berichte berPutin und dessen Nachfolger Medwedew sowie negativer Beitrge berGegenkandidaten und Opposition ausgemacht. Der Propagandaanteil inpolitischen Sendungen habe vor acht Jahren bei dreiig Prozent gelegen,erlutert Igor Jakowenko (Generalsekretr der Journalistenunion, d. Autor).Heute seien es mehr als neunzig Prozent.3 Mindestens zwanzigunaufgeklrte Journalistenmorde gab es in der achtjhrigen Regierungszeitvon Putin als Prsident in den Jahren 2000 bis 2008.

    Demokratie ist die Summe aus einer freien Gesellschaft, freier Presse

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  • und Meinungsfreiheit war das Thema der Konrad-Adenauer-Stiftung am29. April 2008. Hier wurde der Demokratiereport 2008 vorgestellt. Erbeschftigte sich unter anderem mit der Pressefreiheit in Russland. Diefreie Berichterstattung hat in Russland in den vergangenen fnf Jahrenmassiv abgenommen. Urschlich hierfr sind eine enge Staatskontrolle,indirekte Einflussnahme durch Regierungsbeamte auf die Herausgeber undverantwortlichen Redakteure sowie Strafmanahmen gegen kritischeJournalisten, klagte Alexei Simonow, der Vorsitzende der Stiftung fr denSchutz von Glasnost. Die Berufsausbung von Journalisten wird immermehr zum Heldentum. Mit der Verstaatlichung von Druckereien gibt es eineindirekte Mglichkeit der Zensur, Computerdurchsuchungen seien an derTagesordnung, mit der Grndung von Parallelstrukturen wrden kritischeVereinigungen wie der Journalistenverband untergraben.

    Mit der Freiheit des Wortes in Russland ging auch die Freiheit derWahlen verloren, so Alexei Simonow. Deshalb ist die Medienmacht aucheine Gefahr fr die Demokratie in Russland.4 Auf dem Index frPressefreiheit 20112012 von Reporter ohne Grenzen steht Russland aufPlatz 142, noch hinter Uganda und Gambia.5

    Es ist nicht bekannt, dass Gazprom-Medien an irgendeiner prominentenStelle in ihren Zeitungen und Fernsehprogrammen jemals diesen Zustandbeschrieben oder gar kritisiert htten. Sie wrden sich damit ja auch selbstmassiv in Frage stellen. Schlielich sind sie nicht mehr als das Sprachrohrdes Kreml. Denn das Gas und damit Gazprom sind schlielich auch einGarant dafr, dass das Vermgen Wladimir Putins nicht geringer werdenwird als bisher. Demnach soll er unter anderem an Gazprom einenAktienanteil von 4,5 Prozent besitzen.6

    Auf meine entsprechende Nachfrage in der Presseabteilung der MoskauerGazprom-Zentrale, ob und wie viele Aktien Wladimir Putin an Gazpromhalte, habe ich keine Antwort erhalten.7

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  • Idylle am Strand, das Geschrei der Mwen undNord StreamDie Gemeinde Lubmin liegt am stlichen Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern. Einst stand hier zu Zeiten der DDR ein Atomkraftwerkrussischer Bauart. Nach der Wende sollte es eigentlich abgebaut werden,von 2012 an nur noch eine grne Wiese zu sehen sein. Die Gebude mit denhohen Schornsteinen stehen noch. Aber heute ist ein Teil des ehemaligenAKW ein Museum. Zu besichtigen ist Block sechs, der kurz vor derInbetriebnahme war. Inzwischen steht am Rande des ehemaligenKernkraftwerks eine riesige Halle, die direkt an ein Naturschutzgebietangrenzt, das neue Zwischenlager fr abgebrannte Brennstbe und Kastoren.

    Seit Herbst 2011 kam Nord Stream hinzu, in Sichtweite des altenAtomkraftwerks und des Kastorzwischenlagers. Am neu gebautenIndustriehafen, der wie ausgestorben wirkt, blickt der Besucher auf diesilbern glnzenden Kompressorenanlagen mit drei hochragendenSchornsteinen, die Verdichterstation und das Erdgas-Druckerhhungswerk.Von hier aus wird das russische Erdgas weitergeleitet.

    Gesteuert wird alles nicht hier in Lubmin, sondern von einemKontrollzentrum im schweizerischen Zug aus, dem Sitz von Nord Stream.ber eine Satellitenverbindung steht das Kontrollzentrum mit derAnladestation in stndiger Verbindung. Nord Stream ist ein internationalesJoint Venture von fnf Unternehmen, das zur Planung, zum Bau und zumBetrieb der Erdgaspipeline durch die Ostsee gegrndet wurde.Hauptaktionr ist Gazprom mit einer 51-Prozent-Beteiligung. Die deutschenEnergiefirmen Wintershall Holding und E.ON Ruhrgas AG sind mit jeweils15,5 Prozent an dem Projekt beteiligt. Die anderen beiden Unternehmen sinddie niederlndische Gasunie und die franzsische GDF Suez mit jeweilsneun Prozent.

    Nicht weit von der Nord-Stream-Anladestation entfernt hat dieBundespolizei ein zweistckiges Gebude errichtet. Von hier aus sollenjhrlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas transportiert werden, um denEnergiebedarf, so Nord Stream, von mehr als 26 Millionen europischenHaushalten zu decken. Eingebettet sind die Industrieanlagen hier in einNaturschutzgebiet von hoher Qualitt: zwei ausgewiesenen EU-Vogelschutzgebieten und einem nationalem Schutzgebiet.

    Derjenige, der die Industrialisierung in der Region mageblichangetrieben hat, wohnt nicht weit vom Industrie- und GewerbegebietLubminer Heide entfernt im Seebad Lubmin, der Perle am Greifswalder

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  • Bodden, wie es in den Werbebroschren der Kurverwaltung steht. DieterRittscher, Chef der Energiewerke Nord (EWN) und anderer Unternehmen,residiert in einem langgezogenen wei verklinkerten, etwas spieigwirkenden Bungalow. Beeindruckend ist das groe Gelnde hinter demBungalow, wo einst einmal Kiefernwald war. Und bis zum weien Strandder Ostsee sind es nur wenige Schritte.

    Der Name Dieter Rittscher ist untrennbar verbunden mit strahlendemAbfall in der Republik.8 Als Vorsitzender der Geschftsfhrung der EWNist er unter anderem fr den Rckbau des Kernkraftwerks Greifswaldzustndig. Ein Mann mit langjhrigen Erfahrungen. Medienberichte, wonachdie Bundesregierung plant, Atommlllager zu privatisieren und dieVerantwortung dafr den Energiewerken Nord (EWN) zu bertragen, hattenbei der SPD-Fraktion im Niederschsischen Landtag helle Emprungausgelst. Es verschlgt einem die Sprache! Ein Mitverantwortlicher frdie Asse-Schande, ein Mann, der aktiv daran mitgewirkt hat, dass wir in derAsse diese Situation haben, so ein Mann soll Verantwortung tragen fr densorgsamen Umgang mit den gefhrlichsten Giften, die die Menschheit kennt.Das wre ein unglaubliches Bubenstck, sagte Detlef Tanke,stellvertretender Vorsitzender und umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, im September 2010 in Hannover. Seine Kritik entzndete sich vorallem an der Person des EWNGeschftsfhrers Dieter Rittscher.9

    Zahlreiche fehlerhafte Einlieferungslisten fr die Asse aus den siebzigerJahren tragen Rittschers Unterschrift. Die Erkenntnisse des Asse-Untersuchungsausschusses des Landtags sowie der vor kurzem vorgelegteBericht der Arbeitsgemeinschaft Asse-Inventar belegen, wie fahrlssigdamals bei der Einlagerung von Atommll verfahren wurde. Herr Rittscherwar daran beteiligt. Und nun soll er Zugriff auf () Atommlllagerbekommen. Damit wrde man tatschlich den Bock zum Grtner machen,sagte Tanke.10 Auf meine Nachfrage bei dem inzwischen pensioniertenDieter Rittscher, was er zu den Vorwrfen des SPD-Abgeordneten DetlefTanke sage, antwortete er mir: Diese Aussagen bewerte ich gar nicht. Dasist Unsinn. An den ganzen Vorwrfen ist nichts dran. Der Plan,Atommlllager zu privatisieren, wurde inzwischen fallengelassen.

    Nord Stream schien auch Valeri Jasew zu begeistern, den Vizeprsidentender russischen Staatsduma und auf russischer Seite fr das Vorantreiben derOstee-Pipeline zustndig. Es ist groer Bahnhof auf dem Gelnde derEnergiewerke Nord (EWN), als der Hubschrauber aus Berlin landet. Dochder Gast, der aus dem Chassis springt, macht sich nichts aus Formalitten.Valeri Jasew trgt eine Freizeitjacke, schttelt allen die Hand und eilt mitEWN-Chef Dieter Rittscher zum Ostseestrand. Anpacken und los! Das soll

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  • sein Auftritt vermitteln, und so sagt er es auch in die russischen TV-Kameras, die er gleich mitgebracht hat: Keine Probleme, alles luft nachPlan, berichtete das Neue Deutschland im Juni 2009.11

    Das schmucke Seebad Lubmin. Mit vielen bunten Werbebroschrensorgte Nord Stream in der Vergangenheit dort fr gute Stimmung. Selbst inder Kurverwaltung konnte Nord Stream seine Prospekte auslegen. Beimgroen Seefest 2010 wurden von Nord Stream an der Seebrcke dieWerbebroschren verteilt. Sie waren innerhalb einer halben Stunde weg,erzhlt mir der ehrenamtliche Brgermeister Axel Vogt in seinem Bro imalten Bahnhofsgebude des Seebades Lubmin. Einwnde gegen das ProjektNord Stream habe es nicht gegeben. Schlielich habe Lubmin whrend derBauzeit von Nord Stream profitiert, weil Zimmer an die Angestellten undArbeiter von Nord Stream vermietet werden konnten.

    Auf die Frage, ob denn unter den Lubminer Brgern nicht einmal derZusammenhang zwischen Gazprom und der fehlenden demokratischen Kulturund der grassierenden Korruption in Russland diskutiert wurde, meinte AxelVogt, dass die Menschen ja schon zu Zeiten der DDR mit demKernkraftwerk ganz gut gelebt htten. Ja, man erinnert sich: Die Geschichteder vier Reaktorblcke vom sowjetischen Typ WWER 440, die seit 1973nacheinander ans Netz gingen, gleicht einer Horrorchronik. Nach bis Anfangdieses Jahres geheimgehaltenen Berichten und Dokumenten, die demSpiegel vorliegen, gab es im Kombinat Bruno Leuschner nahe dem DorfLubmin, 22 Kilometer von Greifswald, immer wieder schwere Strflle undfortwhrend Verste gegen auch nur minimale Anforderungen an denStrahlenschutz.12

    Vier Tage lang, vom 22. Juni 2009 bis 25. Juni 2009, dauerte derErrterungstermin in Stralsund ber die vierzig Einwendungen vonVerbnden, Institutionen und Privatpersonen gegen das deutsche achtzigKilometer lange Teilstck der geplanten Ostsee-Pipeline. Die Frage derUmweltzerstrung spielte dabei eine besondere Rolle. Denn was bedeutendie Anladestation und die Pipeline tatschlich fr die Umwelt?

    Verlust teils hochwertiger Bden, Beeintrchtigung von hochwertigenSandstandorten, Verlust von hochwertigen Biotoptypen (Kiefernwald etcetera), Verlust von Habitatsstrukturen fr Brutvgel, erheblicheBeeintrchtigung fr Seeadler, Rotmilan, Schwarzspecht, Heidelerche durchdauerhaften Funktionsverlust von Brutrevieren, klagten engagierteNaturschtzer wie der Biologe Gnther Vater aus Greifswald, der seineEinwnde bei dem Errterungstermin im Juni 2009 dokumentierte.13

    Das Bergamt Stralsund, zustndig fr das Genehmigungsverfahren, hattealle diese Beeintrchtigungen besttigt. Im Planfeststellungsbeschluss heit

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  • es dazu jedoch: Die Vertrglichkeitsprfung ergab, dass der Bau undBetrieb der Anladestation geeignet sind, das EU-VogelschutzgebietGreifswalder Bodden und sdlicher Strelasund erheblich zubeeintrchtigen, und dementsprechend das Projekt insoweit zunchstunzulssig ist. Aber die Beeintrchtigungen der Vogelarten rechtfertigennicht die Ablehnung des fr die Energieversorgung Deutschlands undEuropas bedeutsamen energiewirtschaftlichen Projekts. Msste auf den Bauder Anladestation an vorgesehener Stelle verzichtet werden, kmen dadurchdie beantragten Projekte NEL14 und OPAL15 sowie auch das Projekt NordStream zu Fall.16 Am 31. Mrz 2011 gab Nord Stream in einerPresseerklrung bekannt, dass eine Naturschutzstiftung Deutsche Ostseegegrndet wurde und Nord Stream ein Stiftungskapital von zehn MillionenEuro einbringt. Bemerkenswert ist, wer zu der Stiftung gehrt. Es sind dieUmweltverbnde BUND Mecklenburg-Vorpommern und der World WideFund For Nature (WWF) Deutschland.

    Es ist der 6. September 2011. An diesem Tag wurde in Lubmin einJahrhundertereignis gefeiert zum Wohle der sicheren EnergieversorgungDeutschlands und Westeuropas, versteht sich. Es findet der Probelauf frdie Erdgasleitung Nord Stream statt. Durch diese Pipeline wird nun dasrussische Gas aus den Gasfeldern Sibiriens nach Wyborg (nahe derrussisch-finnischen Grenze) und von dort durch die Ostsee nach Lubmingepumpt. Anwesend sind unter anderem der russische MinisterprsidentWladimir Putin, Reprsentanten der deutschen Energiekartelle undAltbundeskanzler Gerhard Schrder, Vorsitzender des Aktionrsausschussesder Gazprom-Tochter Nord Stream. Mit verschmitztem, breitem Lchelnmarschiert Gerhard Schrder, leger gekleidet im Sakko mit offenemhimmelblauem Hemd, auf den zweitmchtigsten Mann der Welt zu: aufWladimir Putin. Gerhard Schrder herzt Wladimir Putin auf eine Art undWeise, die man unter Umstnden als ausgesprochen innige Beziehunginterpretieren knnte.17 In Russland gilt diese Form der Umarmung alsAusdruck kameradschaftlicher Nhe und Brderlichkeit.

    In einem strategischen Analysebericht des Schweizer Bundesamts frPolizeiwesen vom Juni 2007 Titel des Analyseberichts: OrganisierteKriminalitt und Nachrichtendienste aus der GUS wird auf Nord Streamhingewiesen. Dort wird unter anderem behauptet: Generell lsst sichfeststellen, dass die Nachrichtendienste bei Geschften im Auslandvermehrt ihren Einfluss geltend machen und dabei auch aufnachrichtendienstliche Verbindungen mit anderen Staaten zurckgreifen Daslsst sich beispielsweise bei der im Jahr 2005 in Zug gegrndeten FirmaNord Stream veranschaulichen.

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  • Der Bericht nimmt dabei Bezug auf den im Jahr 2005 einzigenVerwaltungsrat der Pipeline-Betreibergesellschaft Northern European GasPipeline Company, die spter in Nord Stream umbenannt wurde. Er sa von1987 bis 1990 im Verwaltungsrat einer Zuger Firma, die unter Umgehungder Embargobestimmungen gegen die DDR den Beschaffungshandel vonWaren fr die DDR organisierte. In dieser Zeit soll Urs Hausheer, laut demBericht des Bundesamts fr Polizeiwesen, mit Wladimir Putin in Dresdenin Kontakt gestanden haben.18 Das Unternehmen Asada galt fr die DDRals Schwerpunkt bei der Beschaffung von Embargowaren. Urs Hausheerbestritt, Kontakte in die DDR oder die Sowjetunion gehabt zu haben.

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  • Wenn Politiker nach Lubmin eilenEs ist der 8. November 2011, und die Nord-Stream-Pipeline wird offiziellvon Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Prsidenten DmitriMedwedew in Betrieb genommen.

    500 Ehrengste feierten das Ereignis, 250 Journalisten beobachteten dasGeschehen, und knapp 500 Sicherheitskrfte und Servicemitarbeiter sorgtenfr das allgemeine Wohlbefinden der mehr oder weniger illustren Gste.Einen Tag vor der Feier wurden bereits mit einer Iljuschin II 167 M diebeiden gepanzerten Staatslimousinen des Prsidenten Medwedeweingeflogen. Der jedoch schwebte nach seinem Abschiedsbesuch alsrussischer Prsident bei Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihr in einemHubschrauber aus Berlin ein.

    An der Erffnungszeremonie nahmen auerdem die Regierungschefs ausden Niederlanden und aus Frankreich teil. Und: Gerhard Schrder, alsAufsichtsratschef der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream , hat es sich zurAufgabe gemacht, den deutschen Zeigefinger zu geieln und den frherensowie knftigen Prsidenten Wladimir Putin als besondersvertrauenswrdigen Menschen zu preisen.19

    Zwischen Schrder und Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint essowieso keine groen Differenzen mehr zu geben. Von einemausgezeichneten Verhltnis ist die Rede und dass Gerhard Schrder in bezugauf Russland und Putin der Bundeskanzlerin mit seinen langjhrigenErfahrungen ein wichtiger Ratgeber sei.

    Um Energiepolitik ging es in Lubmin nur bedingt, wie der Tagesspiegelber das Ereignis schrieb: Brgerfragen nach dem Nutzen wren fehl amPlatz. Es geht um strategische, langfristige Auenpolitik.20 Auf jeden Fallwird es nun einfacher werden, Osteuropern den Gashahn abzudrehen,ohne Westkundschaft in Mitleidenschaft zu ziehen.21

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  • Pipelines fr Gazprom die GelddruckmaschineEine l- oder Gaspipeline ist in Russland mehr als ein Stahlrohr, sie ist fastso etwas wie ein groer Lottogewinn. Tatsache ist, dass dort bei dem Bauund der Verlegung von Pipelines ungewhnlich viel Geld verdient wird undgleichzeitig Personen versorgt werden, die zu Putins Freunden gehren. 140000 Rohre fr die beiden Leitungsstrnge wurden von der Firma Europipein Mhlheim produziert, schreibt Nord Stream in seinem Prospekt DieLogistik fr die Pipeline. Auffllig ist, dass ein Teil des Auftrags ber dasHandelshaus Eurotube in Kaarst abgewickelt wurde. ber dieses gelang esEuropipe, insgesamt 97 000 Tonnen Grorohre fr Russland zu buchen.Doch warum bentigt ein so serises Unternehmen wie Europipe dieVermittlung eines vergleichsweise eher bescheidenen Handelshauses? Undwer verbirgt sich dahinter?

    Das Unternehmen Eurotube GmbH wurde im Jahr 2005 gegrndet, alsauch der Bau von Nord Stream beschlossen wurde. Interessant wird es,wenn man sich die Eigentmer des Unternehmens im deutschenHandelsregister anschaut. Da tauchen zwei deutsche Minderheitsaktionreauf, die bereits fr Mannesmann aktiv im Rhrengeschft mit derSowjetunion ttig waren. Und dann gibt es drei Unternehmer aus Russland,die zusammen eine Beteiligung von 46 Prozent an der Eurotube GmbH inKaarst halten, also die faktische Mehrheit.

    Einer dieser Unternehmer ist Igor Schabalow. Er ist Vorsitzender derVereinigung des Rats der russischen Rhrenproduzenten und war zuvorGeneraldirektor der Firma Gaztaged, die von Boris Rotenberg, ebenfalls einMiteigentmer von Eurotube, kontrolliert wurde. Der Vereinigung gehrtunter anderem eines der weltweit fhrenden Unternehmen auf dem Gebietdes Rhrenmarktes an. Aber nicht deren Reprsentanten erhielten denVorsitz der Vereinigung, sondern der frhere Generaldirektor von Gaztaged.

    Gleichzeitig taucht Igor Schabalow in Deutschland in einem weiterenUnternehmen auf: der Luxburg GmbH in Gelsenkirchen. Geschftszweck istdie Investment- und Anlageberatung. Schabalow hlt fnfzig Prozent an derLuxburg GmbH. Betrug die Bilanzsumme im Jahr 2006 noch magere 25 000Euro, waren es ein Jahr spter acht Millionen. Und fr das Jahr 2010 wurdeeine Bilanzsumme von zehn Millionen Euro genannt. Mit welchenInvestitionen dieser Gewinnsprung erreicht wurde, ist aus denverffentlichten Bilanzen nicht zu ersehen.

    Die wichtigsten Eigentmer von Eurotube sind jedoch die Brder Arkadiund Boris Rotenberg, die je 16,675 Prozent halten, whrend Igor Schabalow16,65 Prozent besitzt.

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  • Die beiden Rotenberg-Brder gelten als enge Freunde Wladimir Putinsseit ihrer gemeinsamen Zeit in Sankt Petersburg in den neunziger Jahren.Der heutige Multimillionr Arkadi Rotenberg war einer der Grnder desPetersburger Judoklubs Jawara-Newa, in dem Putin Ehrenmitglied war.Arkadi Rotenberg und sein Bruder Boris sind nicht nur Besitzer der BankSeverny Morskoy Put. Im Jahr 2000 grndete Arkadi Rotenberg einweiteres Unternehmen in Moskau, das sechs Jahre spter wieder liquidiertwurde. Das Unternehmen verkaufte offiziell Lebensmittel, whrend einehemaliger Direktor berichtete, in Wirklichkeit sei Gas verkauft worden.

    Gazprom verkaufte an Arkadi Rotenberg im Jahr 2008 fnf Firmen.Journalisten der Nowaja Gazeta, die bei Gazprom um nhere Ausknftebaten, erhielten zur Antwort, dass diese Vermgenswerte in einer offenenAuktion vergeben worden seien und dass eben der Hchstbietende dieAnteile bekommen htte.22

    Im Jahr 2008 verkauften die Besitzer des Seehafens Nowosibirsk zehnProzent des Hafenbetriebes an die Rotenberg-Firmen, und im gleichen Jahrverkaufte Gazprom fnf Baufirmen ebenfalls an Arkadi Rotenberg. DieseFirmen wiederum hielten Anteile an Mittlerfirmen, die Pipelines undAusrstungsmaterial an Gazprom lieferten. Der ehemalige Direktor einerdieser Firmen wurde Direktor der Bauabteilung und Mitglied desAufsichtsrats von Gazprom. So konnten viele bedient werden, wobeiGazprom diese Zwischenfirmen eigentlich berhaupt nicht bentigen wrde,sondern alles in eigener Regie abwickeln knnte. Aber die vielen Freundemssen ja irgendwie zufriedengestellt werden.

    Boris Rotenberg ist ebenfalls ein Judofan, der gern mit Wladimir Putintrainierte. Ihm gehren zwei Unternehmen, die Pipelines undAusrstungsmaterialien fr Gazprom liefern. Eine dieser Firmen istwesentlich am Unternehmen Gaztaged beteiligt, das wiederum zu 75 Prozentvon einer Gazprom-Tochtergesellschaft kontrolliert wird. Die Rotenberg-Brder haben quasi ein Monopol fr die Lieferung von Pipelines, die auseinem besonders hochwertigen Stahl produziert werden und in der Lagesind, sogar Gas aus dem arktischen Eis zu transportieren. Auch Pipelines frNord Stream wurden von ihnen geliefert. Im Jahr 2010 verkauften sie ber1,5 Millionen Tonnen Rhren im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar miteinem Gewinn von 266 Millionen US-Dollar. Wenn irgendwohin Pipelinesverlegt wurden, dann profitierten die beiden Brder Rotenberg aufgrundihrer bisherigen engen Geschftsbeziehungen zu Gazprom in hohem Madavon.

    Nein, sagte Arkadi Rotenberg in einem Interview, Putin habe ihm beiseinem geschftlichen Erfolg nicht geholfen. Wir sind noch

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  • freundschaftlich verbunden, obwohl wir uns nicht mehr so hufig treffen wiefrher.23 Arkadi Rotenbergs Vermgen wird auf 1,28 Milliarden Eurogeschtzt, ebenso das seines Bruders.24

    In der Dokumentation des Finanzinvestors William Broweder aus demJahr 2003 wurde bereits die Verlegung einer anderen Pipeline heftigkritisiert. Es geht um Blue Stream. Das ist eine Gaspipeline, die von dernahe der Schwarzmeerkste gelegenen Stadt Izobilny durch das SchwarzeMeer nach Samsun in die Trkei bis nach Ankara fhrt. Die Bauarbeitenwaren im Oktober 2002 zu Ende, und seit Februar 2003 floss das Erdgas indie Trkei. Die Kosten betrugen 3,2 Milliarden Euro. Der Finanzinvestorhatte ausgerechnet, dass die Pipeline, wre sie mit trkischer Effizienz frden russischen Teil gebaut worden, fr Gazprom mindestens 596 MillionenUS-Dollar billiger gewesen wre. Denn die 444 Kilometer auf trkischemBoden zwischen Ankara und Samsun kosteten 1,35 Millionen US-Dollar proKilometer, whrend die krzere Strecke in Russland ber 373 Kilometer2,95 Millionen US-Dollar pro Kilometer kostete. Schlielich musste ja dasrussische Pipeline-Unternehmen Stroitransgas bedient werden, quasi einFamilienunternehmen von Gazprom-Managern.25

    Bei dem Projekt der Trans-Kaspischen Pipeline von Turkmenistan durchdas Kaspische Meer nach Europa hingegen kam heftiger Widerstand ausMoskau. Die Pipeline unter dem Kaspischen Meer htte unbersehbarekologische Folgen, auerdem drohten dort heftige Erdbeben. Denn dasKaspische Meer sei ein geschlossenes System ohne Verbindungen zu denMeeren der Welt, wurde argumentiert.26 Bei Blue Stream lagen die Dingenoch anders, aber da war Russland ja beteiligt. Auf jeden Fall scheinen dieHerstellung und der Vertrieb von Rhren eine stndig sprudelndeGeldquelle zu sein. Das belegen auch andere Beispiele. Im Jahr 2006verffentlichte Gazprom auf seiner Webseite, dass die 2 800 Kilometerlange Gaspipeline von Westsibirien nach China, das Altai-Projekt, gebautwerde. Sie kostet einschlielich der Kompressorstationen pro Kilometerzwischen 1,3 und 1,4 Millionen Euro.27

    Und nach offiziellen Angaben von Gazprom aus dem Jahr 2005 plante dasUnternehmen damals bereits den Bau einer 144 Kilometer langen Pipelinevon Gryazovets nach Wyborg von wo aus seit Dezember 2011 das Gasnach Deutschland gepumpt wird. Die Kosten sollten pro Kilometer jedochvier Millionen Euro betragen.28 Das heit, die Pipeline nach Wyborg istviermal teurer als die nach China, deren Bau unter ungleich ungnstigerengeographischen Bedingungen durchgefhrt werden wird.

    Bemerkenswert ist, dass die Kosten fr einen Kilometer der OPAL-

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  • Pipeline zwischen Lubmin bei Greifswald und Olbernhau an derdeutschtschechischen Grenze nur 2,1 Millionen Euro betragen, so MikhailKorchemkin, ein renommierter amerikanischer Experte fr den russischenGassektor.29 In einer Studie ber die Inflation der Baukosten beiGazprom nennt er ein anderes Beispiel: Im Mrz 2008, vor derWirtschaftskrise und den hohen Preisen fr Materialien undDienstleistungen, errechnete das russische Unternehmen Piter GazEngineering30, dass die Kosten fr die Sotschi-Gas-Pipeline einschlielichder Kompressorstationen zwischen 190 und 250 Millionen Euro betragenwrden.

    Im September 2009, als die Preise fr Stahlrohre und andere Materialienniedriger als vor der Krise waren, erklrte der Vorstandsvorsitzende vonGazprom, Alexei Miller, dass die Kosten fr diese Pipeline 650 MillionenEuro betragen wrden.31 Fazit dieser Studie? Die Verantwortlichen vonGazprom genehmigten ihren Kontraktfirmen und Brokern anscheinend hoheGewinnmargen, so dass die Kosten fr die Pipelineprojekte vier- bisfnfmal hher sind als normal.32

    Und nicht viel anders drfte es bei dem Projekt Nord Stream abgelaufensein. Doch darber redet in Deutschland niemand, und die Verbraucherbezahlen das letztlich alles mit den entsprechend hohen Gaspreisen. Am 26.Oktober 2011 startete die Fderale Antimonopolagentur (FAS) Ermittlungengegen Unternehmen der Brder Rotenberg wegen des Vorwurfs derKartellbildung und Preisabsprachen zu Lasten von Gazprom. Die FAS siehtAnzeichen fr Verletzungen des Antimonopolgesetzes bei russischenHerstellern von Rohren mit groem Durchmesser In der Tat weigertensich die Marktteilnehmer zu konkurrieren und koordinierten ihre Aktivitten,was mit Sicherheit zu Einschrnkungen des Wettbewerbs fhrte.33 Daserklrt dann auch vielleicht, warum bei Ausschreibungen von Gazprom fastimmer Firmen gewonnen hatten, die zum Rotenberg-Konzern gehrten.34Und da Rotenberg ja freundschaftlich mit dem russischen Zar WladimirPutin verbunden ist, drfte das Ergebnis der Antimonopolagentur feststehen:Es wird im Sande verlaufen.

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  • Die Angst der Polen vor Nord StreamAuf wenig Gegenliebe stie die Erffnung der Nord-Stream-Pipeline imNachbarland Polen. Die herrschende Elite im Kreml ist hier immer noch aus verstndlichen historischen Motiven wenig beliebt. Und das nicht nurwegen des Massakers an etwa 4 400 polnischen Offizieren am 19. Mai1949 im Wald von Katyn durch Einheiten des Innenministeriums der UdSSRund wenig spter die Massenmorde von ber 24 000 Offizieren, Priesternund Intellektuellen, ebenfalls aufgrund eines Befehls von Josef Stalin.

    Ich erinnere mich an ein Gesprch mit Zbigniew Wassermann. Als ich ihnin Krakau im Mrz 2003 traf, war er noch Staatsanwalt. Im Jahr 2005 wurdeer Geheimdienstminister in der national-konservativen Regierung vonKazimierz Marcinkiewicz. Wir hatten uns auch ber Gazprom unterhalten.Er sagte mir: Jede Art der Erpressung kommt im Zusammenhang mitGazprom in Frage. Die Begrenzung der Lieferung, Erhhung des Preises,niedrigere Preise fr den Transit. Deshalb ist Gazprom fr uns eineBedrohung. Er gehrte am 10. April 2010 zu einer polnischen Delegation,die auf dem Weg nach Katyn war, um dort des siebzigsten Jahrestags desMassakers zu gedenken. Die Maschine strzte in Smolensk ab, die gesamteRegierungsdelegation sowie hochrangige Reprsentanten des polnischenStaates kamen dabei ums Leben. Die Hintergrnde des mysterisenFlugzeugabsturzes sind bis zum heutigen Tag nicht geklrt.

    Das alles trug dazu bei, dass es in Polen zu massiven Vorbehalten gegenNord Stream kam. Nord Stream sei gegen die Solidaritt in der EUgerichtet, und Russland knnte in einem neuen Energiekrieg Polen knftigden Gashahn zudrehen, ohne dass die lukrativen Lieferungen nachWesteuropa betroffen wren.35

    Die konkrete Hauptsorge gilt jedoch der Pipeline. Mit ihr knne die volleNutzung der Umschlagmglichkeiten der polnischen Hfen in Swinemndeund Stettin nicht mehr gewhrleistet werden, so der Vorwurf. Dadurchwerde der Zugang zu dem strategischen Energieversorgungsprojekt der EU,dem Flssiggasterminal in Swinemnde, blockiert. Denn es gibtEinschrnkungen, was den maximalen Tiefgang der Schiffe anbelangt, dieden Hafen anlaufen. Wir wollen, dass das Konsortium Nord Stream denTeil des Bauplans abndert, der den sicheren Zugang zum HafenSwinemnde fr die Schiffe mit dem maximalen Tiefgang von ber fnfzehnMeter betrifft, erklren die Ratsmitglieder von Swinemnde in einergemeinsamen Mitteilung.36 Das ist mit der verlegten Pipeline jedoch nichtmglich.

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  • Demnach wrden Schiffe mit einem solchen Tiefgang die Pipelinebeschdigen. Fr Schiffe bis zu einem Tiefgang von 13,5 Metern gibt eshingegen kein Problem. Inzwischen klagt die polnische HafengesellschaftSwinemnde gegen das Bundesamt fr Seeschifffahrt und Hydrographie, dasden Verlauf der Trasse auf dem deutschen Festlandsockel vor demSwinemnder Hafen bereits genehmigt hat. Mit der Klage soll erreichtwerden, dass die Pipeline in der Fahrrinne Swinemnde und imgegenberliegenden schwedischen Hafen auf einer Lnge von 2,8 Seemeilenim Meeresboden versenkt wird, damit knftig Schiffe mit einem Tiefgangvon fnfzehn Metern den polnischen Hafen erreichen knnen.

    Doch das wird, nachdem bereits das Erdgas durch die Pipeline fliet, nieund nimmer geschehen. Allen polnischen Protesten zum Trotz. Hier zhlt nurdas ganz groe Projekt. Und da die Vertiefung der Hafenzufahrten sowiesonur mglichen zuknftigen Entwicklungen dient, muss man sich auch weiterkeine Gedanken um die Entwicklung in dem Seehafen Swinemnde mehrmachen. Die Tatsachen liegen unabnderlich unter der Ostsee begraben.

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  • Demokratie und die nicht vorhandene Herrschaftdes GesetzesVom 9. bis 11. Oktober 2011 fand in Prag das mit internationalenMenschenrechtlern, Politikern und Wissenschaftlern hochkartig besetzteForum 2000 statt. Thema in diesem Jahr: Demokratie und die Herrschaftdes Rechts. Die Erffnungsrede hielt Vclav Havel, der ehemaligePrsident der Tschechischen Republik. Auf einer der zahlreichenPodiumsdiskussion ging es unter anderem um Korruption undGesellschaft. Lapidar stellte dort der Straburger WirtschaftsprofessorLaurent Weill fest: Russland ist Europas korruptester Staat und einer derkorruptesten weltweit.

    Aber, wandte der russische Wirtschaftsexperte und OppositionspolitikerGrigori Jawlinski auf dem Podium ein, so einfach drften wir es uns nichtmachen. Und damit spricht er die Komplizenschaft westlicher Regierungen,Banken und Konzerne an: Warum wurde das System Putin berhauptermglicht?, fragte er. Doch erst durch die massive Untersttzung derwestlichen Welt, durch den Internationalen Whrungsfonds (IWF), dieWeltbank und durch die westlichen Regierungen. Wenn Sie Russlandkritisieren, mssen Sie sehen, dass es ja ein Joint Venture mit denwestlichen Banken gibt, die viel Geld mit der russischen Korruptionverdienen. Oder mit den westlichen Unternehmen, die ebenfalls davonprofitieren.37

    Grigori Jawlinski machte klar, dass dieses hundertprozentige korrupteSystem in Russland ein Teil des globalen Systems sei. Die korruptenEliten bei uns in Russland haben ihr Geld doch nicht in Banken vonNordkorea oder in der Vergangenheit bei Saddam Hussein gebunkert,sondern in den bekannten westlichen Metropolen.38 Nach seinen Wortenknnten 98 Prozent der russischen Nomenklatura sofort wegen Korruptionangeklagt werden, wenn es so etwas wie die Herrschaft des Rechts inRussland geben wrde. Und die, so bereinstimmend allePodiumsteilnehmer, gebe es in Russland nicht. Russische Gesetze, das heitimmer noch, es wird nach Zarenart willkrlich Recht gesprochen. Wer denZaren, in diesem Fall Wladimir Putin, nicht kritisiert, sondern ihn sttzt, lebtunbehelligt. Er darf Steuern hinterziehen, betrgen, stehlen und morden.

    Was nicht bedeutet, dass die kriminellen Taten vergessen wrden. Siesind fein suberlich in den Tresoren des Inlandsgeheimdienstes FSBarchiviert und dienen als ideales Erpressungsmaterial, sofern es dem Kremlnutzt. Doch wehe, der Zar im Kreml wird misstrauisch und sieht seine

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  • Position und die seines Hofstaates gefhrdet. Dann werden die FSB-Archive geffnet und das Gesetz auf einmal extensiv durchgesetzt. VonRechtssicherheit kann keine Rede sein es gilt ausschlielich das Recht desStrkeren, das Recht, wie es dem Kreml passt.

    Auf dem Panel zum Thema Organisierte Kriminalitt, Korruption undPolitik sprach Professor Yakov Gilinsky aus Sankt Petersburg. Er ist einerder wenigen, die versuchen, Einblicke in die herrschenden kriminellenStrukturen zu gewinnen. Der Vorsitzende des Instituts fr Soziologie undabweichendes Verhalten an der russischen Akademie fr Wissenschaftensowie Dekan der juristischen Fakultt der Sankt Petersburgerinternationalen Universitt fr Wirtschaft und Recht fhrte Mitte derneunziger Jahre eine kriminologische Studie ber dieSchwarzmarktwirtschaft und die organisierte Kriminalitt in SanktPetersburg durch. Er lebt in einem Hochhauskomplex am Rande von SanktPetersburg in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Sein Verdienst reichtgerade aus, um das Ntigste zu besorgen. Auslandsaufenthalte kann er nurdann finanzieren, wenn er eine Einladung bekommt.

    Auf die Frage eines Teilnehmers auf dem Podium, wie Korruption inRussland heute aussehe, antwortete er: Wir haben heute in Russland dietotale Korruption. Bei Baumanamen liegt das Kick-back bei 35 Prozent, inder Wissenschaft ebenfalls. Besonders stark ist sie in der Polizei und Justizausgeprgt. Und auf die Frage, was dagegen getan werden knne, was dennder Staat berhaupt tue, um Korruption zu bekmpfen, antwortete derKriminologe wenig optimistisch: Es tut mir leid, darauf kann ich keineAntwort geben.39

    Das sagte er im Jahr 2011. Wladimir Putin ist seit ber zehn Jahren ander Macht.

    Fnfzehn Jahre zuvor sah Yakov Gilinsky die Situation, zumindest aufSankt Petersburg bezogen, fast hnlich. Seine Aussage ist deshalbaufschlussreich, weil in jener Zeit, als er seine Studie ber kriminelleStrukturen in Sankt Petersburg durchfhrte, Wladimir Putin bereits inentscheidender Position in der Sankt Petersburger Stadtverwaltung war, alsstellvertretender Brgermeister: Von dem Moment an, wenn neueHandelsstrukturen beginnen, Profite zu erzielen, wecken sie das Interessekrimineller Organisationen. Von Geschftsleuten wird versichert, dasseinhundert Prozent der Handelsstrukturen von Schutzgeldzahlungen betroffensind sie kommen in allen Unternehmen mit Ausnahme der Militrindustrieund einigen auslndischen Firmen vor.40

    Seine fr die Studie gewonnenen Interviewpartner beschrieben ihreSituation zusammengefasst folgendermaen: Man kommt ohne illegale

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  • Geschfte nicht aus. Legale und illegale Methoden sind ineinanderverzahnt. Das besttigten auch fhrende Polizeioffiziere gegenber YakovGilinsky. Die mittleren Geschftsleute sind uerst kriminalisiert manmuss fr alles Bestechungsgelder zahlen die Schulden msseneingetrieben werden, indem man Gewalt anwendet man kann keineSteuerprfungen abwickeln, ohne Bestechungsgelder zu bezahlen Mafiosiknnen unter den Vorstandsmitgliedern von Banken angetroffen werden. Erlistete auf, wie die Delikte aussehen, die von den Banditen in den Bankenselbst verbt werden: Bankbetrug, fiktive Transaktionen imImmobiliensektor, Autodiebsthle und Wiederverkufe, illegale Exportevon nicht eisenhaltigen Metallen, Schwarzmarkttransaktionen mithumanitrer Hilfe, Produktion und Schmuggel von schwarz produziertemAlkohol, Waffenhandel, Geldflschung, Agenturen, die sexuelle Leistungenanbieten, Drogengeschfte.41 Fazit des Wissenschaftlers damals vorfnfzehn Jahren: In Russland gibt es keine legale Wirtschaft mehr. Und erfgte dann hinzu: Wenn wir alle Verbrecher einsperren, bricht dieWirtschaft zusammen.

    ber fnfzehn Jahre sind vergangen, seit Wladimir Putin in SanktPetersburg und dann in Russland herrschte. Nichts Prinzipielles hat sichseitdem verndert, abgesehen davon, dass viele der einstigen Banditen zuehrenwerten Unternehmern, Politikern und Oligarchen mutierten.

    Roberto Scarpinato, Oberstaatsanwalt aus Palermo, sieht die Situationnicht viel anders. In einem Vortrag in Karlsruhe sagte er im Jahr 2011: WasRussland angeht, so ist bekannt, dass mafise kriminelle Vereinigungen, dieaus dem KGB und dem sowjetischen Staatsapparat hervorgegangen sind,sich in den hchsten Positionen wirtschaftlicher und politischer Machtetabliert haben. Inzwischen wird allgemein anerkannt, dass der russischeKapitalismus mafis ist und zwar zu etwa sechzig bis siebzig Prozent.42Er hatte sich in der Vergangenheit brigens mit Gazprom-Tochtergesellschaften und der sizilianischen Cosa Nostra beschftigt.Tatsache ist, so Jelena Paniflowa, die Direktorin von TransparencyInternational in Russland, es gibt keine Insel der Integritt im ffentlichenund wirtschaftlichen Leben Russlands.43

    Hinzu kommt, dass Gazprom zugleich laut Professor Jonathan Stern,Direktor am renommierten Institut fr Energiestudien in Oxford frWladimir Putin eine mchtige Melkkuh sei.44 Gemolken werden inWirklichkeit wir, die ahnungslosen Verbraucher in Europa, die in Zukunftimmer hhere Energiepreise zahlen mssen. Und die russische Bevlkerungleidet. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 66 Jahren, niedriger

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  • als in Papua-Neuguinea, Honduras und sogar im Irak. In Europa liegt sie bei79 Jahren. Diese Lebenserwartung wird wahrscheinlich nicht jene Personenbetreffen, die seit Putins Machtantritt zu Milliardren wurden. Ihre Zahlwird auf 62 geschtzt. Viele davon stehen in direkter Beziehung zuWladimir Putin.45

    Die Kluft zwischen Arm und Reich ist zwar auch in Westeuropa immerweiter auseinandergegangen. Aber in der Russischen Fderation sieht esfolgendermaen aus: In dreizehn Regionen ist die Situation katastrophal:Hier leben dreiig Prozent der Bevlkerung in Armut. Zu den rmstenRegionen zhlt der autonome Distrikt Ust-Orda Buryat (125 000 Einwohner,d. Autor) mit einer Armutsrate von 72 Prozent, die Republik Kalmckien(290 000 Einwohner, d. Autor) mit 59 Prozent und der Oblast Ivanovo(knapp 410 000 Einwohner, d. Autor) mit 41 Prozent. Hingegen gelten alsreiche Bezirke Sankt Petersburg mit einem Armutsanteil von 10,2 Prozentund Moskau mit immerhin noch 13,2 Prozent. Vergleichsweise niedrig istdie Armut in der autonomen Region Yamalo-Nenets mit 8,6 Prozent.46 Indieser Region werden neunzig Prozent des russischen Naturgases gefrdert.

    Wegen der hohen Armutsrate in der Russischen Fderation stellte NikolaiPetrovich Popov, Wissenschaftler am ltesten und heute fhrendenunabhngigen Forschungszentrum fr ffentliche Meinung (RPORC) inMoskau,47 der die Studie ber Armut in Russland im Jahr 2008 verfasst hat,die Frage: Ist Armut keine Kriminalitt?48

    Dabei sollte doch seit 1999 unter Wladimir Putin und seinem NachfolgerDmitri Medwedew nach den chaotischen Zeiten unter Boris Jelzin allesbesser werden. Mit diesen Erklrungen gehen bis heute viele Politiker undExpolitiker in Deutschland hausieren. Viel wurde den Menschen in derRussischen Fderation versprochen, insbesondere der Kampf gegenKorruption und das organisierte Verbrechen.

    Doch irgendwie zerplatzten alle vollmundigen Versprechungen WladimirPutins. Fr helle Emprung im Kreml wie im MoskauerOberbrgermeisteramt von Juri Luschkow sorgte deshalb ein geheimerBericht des US-Botschafters John R. Beyerle vom 12. Februar 2010.Luschkow beherrscht ein System, in dem jeder auf jeder Ebene inKorruption oder kriminelles Verhalten eingebunden ist. Er ist ein loyalesGrndungmitglied der Partei Einiges Russland und ein sicherer Lieferantvon Stimmen. Luschkows Verbindungen in die Moskauer Geschftswelt zuden groen und legalen wie den marginalen und korrupten Krften hat ihmdie Mglichkeit gegeben, Untersttzung zu verlangen, wenn er siebentigt.49

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  • Und weiter: Die direkten Verbindungen der Moskauer Stadtregierung zuKriminellen zeigen, dass die Regierung mehr wie eine Kleptokratie arbeitetals eine Regierung.50 Partnerstadt von Moskau ist brigens Dsseldorf.

    Die Analyse der US-Botschaft ist verheerend, selbst wenn man dem US-Botschafter Parteilichkeit unterstellt und fast das Gleiche in einer Studie derUS-Sicherheitsorganisation Stratfor vom 3. Februar 2010 nachzulesenwar.51 Hier wird lediglich besttigt, was aus einer ganz anderen Sichtweisebereits ausfhrlich analysiert wurde, etwa von dem in jeder Beziehungunabhngigen Professor fr Kriminalistik, Yakov Gilinsky.

    Im September 2010 wurde Juri Luschkow von seinem Posten alsOberbrgermeister aufgrund eines Dekrets von Staatsprsident Medwedewentfernt. Aber nicht etwa, weil der Kreml die mafiosen Machenschaften deskorrupten Juri Luschkow und seiner Komplizen beenden wollte. Nein, dieoffizielle Begrndung war Vertrauensverlust. Sofort nachdem er sein Amtverlassen musste, hatten Oligarchen und Staatsunternehmen, die dem Kremlsehr nahestehen, systematisch Luschkows Imperium bernommen. Die Bankvon Moskau zum Beispiel ging an die staatliche VTB Bank, die auch inFrankfurt am Main eine Filiale unterhlt. Sie wird von russischenBankenkritikern auch als das schwarze Loch fr Cash-Einlagen des Kremlgesehen, die versucht, das Gazprom des russischen Banksystems zuwerden.52 Im Aufsichtsrat der VTB Bank sitzt seit 2007 unter anderemMatthias Warnig53, ein enger Freund von Wladimir Putin. Er wird spter imZusammenhang mit Nord Stream und Stasikontakten wieder auftauchen.

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  • Wie Milliarden verschoben werdenAuf den Kapverdischen und den Kanarischen Inseln waren im Sommer 2002zwei Mnner unterwegs, Jouri M. und Leonid Ch. Sie investierten Hundertevon Millionen Euro in Immobilien das jedenfalls erzhlten sie anderenImmobilienhndlern.

    Woher kommt das Geld?, fragten die nach.Die Antwort: Machen Sie sich mal da keine Gedanken. Wir machen das

    fr Gazprom, und ber uns ist die schtzende Hand von Wladimir Putin.Und dieses Prinzip hat bis heute Tradition: die schtzende Hand. Ohne

    diese schtzende Hand droht Investoren und Unternehmern in Russland dieexistentielle Vernichtung.

    Lange Zeit war die deutschschweizerische Grenze in Richtung Zrich derOrt, wo Zollbeamte, wenn sie denn aufmerksam bestimmte Fahrzeugekontrollierten, auf Mnner mit russischen Unterlagen stieen. Im gepanzertenMercedes kam am 20. Mai 2002 Wladislav L., der Inhaber einerHandelsagentur in Schweinfurt, von einem Trip aus Zrich nachDeutschland zurck. Mit im Auto sa Arsen Arslan Abakarow. Wladislav L.gab an, dass er hauptschlich die Angestellten von Gazprom in Russland mithochwertigen Autos beliefere, wofr er wohl auch die sechsGeschftskonten in Riga bentigte. Dann fiel den Zollbeamten bei derDurchsuchung des Autos auf, dass er zwei Polaroidfotos bei sich hatte, aufdenen er mit starken Gesichtsverletzungen und ausgeschlagenen Zhnen zuerkennen war.

    Das geht Sie nichts an, erklrte er den Zllnern.Sein Begleiter Arslan Abakarow erzhlte zumindest bersetzte es

    Wladislav L. so , dass er der zweite Mann von Gazprom in Moskau seiund Inhaber eines Unternehmens in Wien, der A & M Trading HandelsGmbH. Neugierig geworden, suchten die Zllner im Auto nach Dokumentenund stieen auf einen in Tapeten eingewickelten Briefumschlag, derzustzlich noch in einer Plastikhlle steckte. Darauf stand: TridentCorporate Services, Zrich.

    Es handelte sich um ein Schreiben der Firma Trident Trust samt mehrererDokumente, darunter eine Aktie im Wert von fnfzig Millionen US-Dollar.Der Mann, der von sich behauptete, eine wichtige Persnlichkeit beiGazprom zu sein, verfgte auerdem ber zahlreiche Bankverbindungen:von der Frankfurter Volksbank ber die Erste Bank Wien, die UBS Zrich,die Taunus-Sparkasse Bad Homburg bis zur Banco de Andaluca war allesdabei, was Rang und Namen hat. Auerdem unterhielt er noch einBankkonto in Moskau, eines in Belize und ein weiteres in Riga. Zudem

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  • stellten die Zllner fest, weil es aus dem ihnen vorliegenden Schriftverkehrhervorging, dass Arslan Abakarow und ein Alexander Sch. von Geschften,die ber Gazprom liefen, zwanzig Prozent Provision kassierten.

    Das erklrte vielleicht die zahlreichen Bankverbindungen, aber nicht,warum der Fahrer und Dolmetscher aus Schweinfurt ganz offenkundigzusammengeschlagen worden war.

    Als ich in Wien bei der in den Unterlagen angegebenen Firmennummervon Arslan Abakarow anrief, teilte man mir mit, dass er tatschlichReprsentant von Gazprom sei, und zwar in Dagestan. Aber unter derWiener Firmenadresse selbst stie ich auf einen russischen Journalisten, dernichts davon wusste, dass Abakarow diese Anschrift benutzte.

    Weitaus geschickter operierte da Viktor Tschernomyrdin, der 1989 dererste Vorstandsvorsitzende von Gazprom wurde. Und wre er nicht aufaufmerksame Zollbeamte gestoen, wre nicht bekannt geworden, wie er inder Schweiz Geld hchst fragwrdiger Herkunft deponierte.

    Anfang Februar 2001, es ist kurz vor Mitternacht, und das Thermometerzeigt minus fnf Grad an. Im Zollamt Bietingen an der deutsch-schweizerischen Grenze kontrollieren die deutschen Zollbeamten nurstichprobenartig die wenigen Fahrzeuge, die aus der Schweiz kommen.Einem Beamten fllt ein Ford Mondeo mit tschechischem Kennzeichen auf.

    Woher kommen Sie?, fragt der Zollbeamte den Fahrer.Aus Zrich, da war ich bei meinem Rechtsanwalt, um Geschfte zu

    regeln.Haben Sie etwas zu verzollen? Wie viel Bargeld haben Sie dabei?,

    bohrt der Zollbeamte weiter.Nein, nichts, war die Antwort.Doch der Beamte ist misstrauisch. Das Misstrauen verstrkt sich noch,

    als ihm der in Slowenien geborene Geschftsmann Peter K. freimtigerklrt, er sei in der Schweiz im Auftrag des Energiekonzerns Gazpromgeschftlich unterwegs gewesen. Und er erzhlt, er wrde regelmig nachMnchen, Stuttgart, Dsseldorf und Berlin reisen.

    Ein anderer Zollbeamter htte ihn vielleicht jetzt weiterfahren lassen.Nicht so der erfahrene Zllner, der sich im Fachbereich fr organisierteKriminalitt und Geldwsche weitergebildet hatte.

    Irgendwie stimmt da etwas nicht, denkt er sich und lsst sich die dreiAktenkoffer ffnen, die auf dem Rcksitz des Ford Mondeo liegen.

    In einem der Aktenordner findet er Passkopien von drei Unternehmern ausMoskau und einem Treuhnder aus Zrich. In einem weiteren Ordner findeter Unterlagen von Gazprom und von Peter K.s eigener Firma, derLaversdale Holding Limited mit Sitz auf den Bahamas, und eine Aufstellung

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  • ber die gesamte Gazprom-Fhrungsstruktur. Der Beamte spricht ihn auf dieUnterlagen von Gazprom an.

    Die Firma ist mein Leben, antwortet er und fgt hinzu: Ich habe guteBeziehungen zu hchsten Regierungskreisen in Russland, den USA, derSchweiz, sterreich, Belgien, Frankreich, Italien und Deutschland.

    Der Zllner wird noch neugieriger, findet in den Unterlagen einenSchuldschein ber hundert Millionen US-Dollar.

    Wegen dieser Papiere war ich beim Anwalt in Zrich.In der Schweiz geniet dieser Anwalt den Ruf, ein Tresor fr jene

    reichen Russen zu sein, die ihr Geld gern in Immobilien investieren.Als nchstes stt der Zollbeamte auf Korrespondenz zwischen einem

    deutschen Unternehmer und einem Mann namens Viktor StepanowitschTschernomyrdin beziehungsweise dessen Unternehmen United Gas Companysowie zwischen der bekannten Zricher Anwaltskanzlei und ViktorTschernomyrdin. Das scheint nun tatschlich eine hochkartigeAngelegenheit zu werden, denkt sich der Zllner.

    Viktor Tschernomyrdin war einst Minister fr Erdl- und Gaswirtschaftin der UdSSR, zwischen 1992 und 1998 unter Boris Jelzin sogarMinisterprsident Russlands und von 1999 bis zum Juni 2000 Vorsitzenderdes Gazprom-Aufsichtsrats. Von 2001 bis 2009 diente er als russischerBotschafter in der Ukraine.

    In seiner mehrseitigen ausfhrlichen Geldwscheverdachtsanzeige vom 3.Februar 2001 an das Zollfahndungsamt Stuttgart schrieb der Zllner ausBietingen, nachdem er alle Akten kopiert und an das ZollfahndungsamtStuttgart geschickt hatte: Aus den gesamten mitgefhrten Papieren istnachvollziehbar, wie und wo die Geldtransfers von Angehrigen derGazprom beziehungsweise deren Anwlten organisiert wurdenbeziehungsweise werden. Auch sei aus dem Schriftverkehr mit denZricher Anwlten auf Englisch beziehungsweise Russisch zu erkennen, wiedie Transaktionen stattfinden. Bei den aufgefhrten Summen geht es meistum zweistellige Milliarden-US-Dollar-Betrge, die kleinsten Summen sindzweistellige US-Dollar-Millionenbetrge. So weit die Auszge aus derGeldwscheverdachtsanzeige der Zollbeamten.

    Geldtransfers in Hhe zweistelliger Milliardenbetrge in US-Dollar,belastende Korrespondenz des ehemaligen russischen Ministerprsidentenund Gazprom-Aufsichtsratschefs wurden gefunden und was geschahdaraufhin mit den brisanten Dokumenten beim Landeskriminalamt inStuttgart? Nichts. Mit Gazprom oder deren europischen Reprsentantenlegte man sich damals nicht gern an.

    Viktor Tschernomyrdin liefert ein hervorragendes Beispiel dafr, was den

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  • Diebstahl von Staatseigentum angeht. Bekannt ist, dass er zum Beispiel insterreich Scheinfirmen installierte, ber die er einen Teil seinesVermgens bei Gazprom abgezweigt haben soll. Es soll sich um circa 600Millionen Euro handeln. Vorgeworfen wurde ihm zudem, dass hohe Summenber Gazprom an ihn und an Firmen, die von seinen Kindern kontrolliertwrden, geflossen seien. Die Rede ist von fnf Milliarden US-Dollar.Tschernomyrdin bestritt dies vehement, verwies auf seine offizielleSteuererklrung, wonach er fr 1996 bescheidene 8 000 US-Dollar alsJahreseinkommen deklarierte. Fr 1997 gab er dann eine Viertelmillion US-Dollar als Jahreseinkommen an.54

    Da ist es kein Zufall, dass ein groer Teil der Bauvorhaben von Gazpromber die Stroitransgas realisiert werden, einer Firma, die vomTschernomyrdin-Klan beherrscht wurde. Bereits 1998 erluterte derOppositionspolitiker Grigori Jawlinski in einem Spiegel-Interview dieGrnde, warum er Viktor Tschernomyrdin, der in den neunziger Jahren besteBeziehungen zu deutschen Unternehmern und Politikern unterhielt, frgefhrlich hielt: Weil wir die Korruption sehen, die sich unter ihmausgebreitet hat. Weil wir um die vielen politischen Morde wissen, die inseiner Regierungszeit geschehen sind. Er war und ist der Reprsentantdieses oligarchischen Systems. Er hat, wie die Russen sagen, einenKapitalismus aufgebaut fr einen eng beschrnkten Kreis von Leuten.55

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  • 2 Die vielen Geheimnisse, die sich hinterGazprom verstecken

    Entstanden ist Gazprom als das Werk zweier befreundeter und sehr fhigerGasexperten aus den Zeiten der UdSSR: Rem Wjachirew und ViktorTschernomyrdin. Beide machten in der Sowjetzeit als GasdirektorenKarriere. 1985 ernannte Michail Gorbatschow Tschernomyrdin zum Gas-und Industrieminister, dessen Stellvertreter wurde Rem Wjachirew. 1989,nach dem Ende der UdSSR, wurde das Gasministerium in einStaatsunternehmen namens Gazprom umgewandelt, und 1992 wurde aus demStaatsunternehmen eine private Aktiengesellschaft. Die alte Fhrung bliebbestehen, und Tschernomyrdin leitete auch den neuen Gazprom-Konzern.

    Im Dezember 1992 ernannte Boris Jelzin Viktor Tschernomyrdin zumMinisterprsidenten, der damit an die Schalthebel der Macht kam.Tschernomyrdins Nachfolger bei Gazprom wurde wiederum sein einstigerStellvertreter Rem Wjachirew.

    Tschernomyrdins enge Verbindungen zu Gazprom nach seinem Eintritt indie Regierung sind medienbekannt. Seine wichtigste Rolle bestand unteranderem darin, dafr zu sorgen, dass der Gasriese minimale Steuernbezahlte. Als Gegenleistung habe Gazprom unter anderem seinen Wahlkampfim Dezember 1995 mitfinanziert. Nach seinem Ausscheiden aus demMinisterprsidentenamt 1998 kehrte Tschernomyrdin alsAufsichtsratsvorsitzender zum Gazprom-Konzern zurck und blieb bis 2001in diesem Amt, als er als Botschafter in die Ukraine versetzt wurde.

    In seiner Zeit bei Gazprom begann die hemmungslose Bereicherung. DasTopmanagement hat den staatlichen Gazprom-Konzern buchstblich wieeinen Familienbetrieb gefhrt und durch Firmengrndungen die lukrativstenTeile in Familienbesitz gebracht. Whrend Gazproms Gewinne sanken,wuchsen die Einnahmen der Vertragspartner, die in den Hnden derManager lagen.1 Die Geschfte im Konzern liefen hnlich ab wie zuSowjetzeiten, als die roten Fabrikdirektoren lukrative Einnahmequellenerschlossen. Gazprom lieferte das Erdgas zu sehr niedrigen russischenPreisen an private Handelsfirmen, die im Besitz des Managements oder vonbefreundeten Unternehmern waren. Diese Handelsfirmen wiederumverkauften das Erdgas mit sehr hohen Profiten zu Weltmarktpreisen. DieErlse landeten auf auslndischen Konten, insbesondere in Zypern,sterreich, Liechtenstein und der Schweiz.

    Bereits 1995 lieferte der amerikanische Geheimdienst CIA dem Weien

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  • Haus in Washington einen geheimen Bericht, in dem die korrupten Praktikendes damaligen russischen Ministerprsidenten Viktor Tschernomyrdinaufgelistet wurden. Der private Besitz, den er sich in seiner Regierungszeitangeeignet htte, soll demnach mehrere Milliarden US-Dollar betragenhaben. Als der vertrauliche Bericht dem US-Vizeprsidenten Al Gorebergeben wurde, lehnte der ab, die Dokumentation berhaupt anzunehmenund schickte sie mit den Worten BULL*** der CIA zurck.2

    Damals bezeichnete sich Al Gore als Freund Tschernomyrdins. Freundehaben das Recht, stolz auf ihre Freunde zu sein. Je lnger man mit ihmzusammenarbeitet, umso tiefer wird der Respekt fr seine Fhigkeit, dieDinge zu tun.3 Irgendwie erinnert diese Erfahrung ein wenig an GerhardSchrder und sein Verhltnis zu Wladimir Putin.

    Dabei waren Teile der Vorwrfe der CIA bereits ausfhrlich in den US-amerikanischen Medien beschrieben worden. Peter Reddaway,Politikwissenschaftler an der George-Washington-Universitt undehemaliger Direktor des Kennan Institute fr russische Studien, schriebdarber in der Washington Post einen ausfhrlichen Artikel. Er zitierte denstellvertretenden russischen Finanzminister Boris Fjodorow. Demnach habeTschernomyrdin illegal groe Anteile an Gazprom whrend derPrivatisierung des Konzerns erhalten. Er bezeichnete die Privatisierungvon Gazprom als den grten Raubzug der Geschichte.4

    1998 dokumentierte der russische KGB-Oberst Valery Streletsky inseinem Buch ausfhrlich die Tolerierung der Korruption durchTschernomyrdin. Der Autor gehrte einer Ermittlungseinheit an, dieRegierungskorruption untersuchte. Er behauptete, dass Tschernomyrdinslangjhriger Stabschef, Gennadi Petelin, Millionen US-Dollar aufauslndische Bankkonten transferiert hatte.5 Vor einem Moskauer Gerichtmusste Tschernomyrdin zudem ber seine Rolle beim illegalen Export vonDiamanten und Gold im Wert von 180 Millionen US-Dollar whrend seinerRegierungszeit aussagen. Konsequenzen hatte das fr ihn nicht, weil er dieAussage verweigerte. In der russischen Presse wurden zudem SchweizerPolizeiquellen zitiert, wonach Tschernomyrdin Hunderte Millionen US-Dollar auf Schweizer Bankkonten transferiert habe, die von ihm kontrolliertwurden.6

    Nach Medienberichten wurde fr die Tochter von Gazprom-Chef RemWjachirew und einen Sohn seines Stellvertreters, Wjatscheslaw Scheremet,fr einen symbolischen Betrag von wenigen Dollar eine Firma gekauft, dieGazprom mit Industrieausrstung beliefert. In anderen Fllen wurde denKindern der Topmanager eine Tarnfirma bertragen, die ein Zehntel des

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  • Gasexports nach Ungarn kontrollieren soll. Einer der davon profitierte, istein Sohn Viktor Tschernomyrdins. Vorgeworfen wurde ihm, Anteile ananderen Unternehmen systematisch in ein Netzwerk nebulser Offshore-Holdings transferiert zu haben. Nach Aussagen des Gazprom-Vorstandsmitglieds Boris Fjodorow gehen jedes Jahr zwei bis dreiMilliarden Dollar bei Gazprom durch Korruption, Nepotismus und einfachdurch Diebstahl verloren.7

    Doch dann geschah zum ersten Mal genau das, was bis zum heutigen Tagdie Kreml-Politik unter Wladimir Putin charakterisierte. Rem Wjachirewverweigerte bei der Prsidentenwahl im Jahr 2000 Putin seine Untersttzungund favorisierte stattdessen den damaligen Moskauer Brgermeister JuriLuschkow. Damit war sein Schicksal bei Gazprom besiegelt. Er verlor denJob als Vorstandsvorsitzender und sein Sohn den Posten bei derTochtergesellschaft Gazexport.

    Es ist der 30. Mai 2001. Rem Wjachirew ist auf dem Weg zu PrsidentWladimir Putin. Im Kreml dankte Putin Wjachirew kurz fr die gute Arbeitund teilte ihm mit, Gazprom werde von nun an ein junger Mann leiten, dermein Vertrauen hat, der unternehmerische Erfahrung besitzt und sich inmodernen Leitungsmethoden auskennt. Von dem neuen Gazprom-Cheferwartete Putin die Strkung und den Ausbau der Beteiligung des Staates anGazprom. Wjachirew verlie das Bro des Prsidenten mit versteinerterMiene.8

    Die Personen und die Gnstlinge wurden ausgewechselt am System alssolchem nderte sich jedoch nichts. Nachfolger wurde Alexei Miller, einAbsolvent des finanzkonomischen Instituts in Sankt Petersburg. Erarbeitete von 1991 bis 1996 im Auenhandelskomitee desBrgermeisteramts der Stadt, vier Jahre davon unter Wladimir Putin, der indieser Zeit Vorsitzender des Auenhandelskomitees war. Von 1996 an warMiller drei Jahre Direktor der Aktiengesellschaft Seehafen Petersburg,danach Generaldirektor des Petersburger Konzerns BaltischesWasserrohsystem.

    Es ist ein altes Lied. So viel wie bei Gazprom, wird ein Bauunternehmerin den Medien zitiert, werde sonst nirgends bei der Auftragsvergabegestohlen. Der Bauunternehmer hatte fr Gazprom gearbeitet. Beim Bauder Blue Stream genannten Pipeline durch das Schwarze Meer hat derrussische Streckenabschnitt nach Angaben des russischen Rechnungshofs119 Prozent pro Kilometer mehr gekostet als der trkische Teil. BeiPipelinebauten ist Gazprom mittlerweile der teuerste Konzern Europas. DerEnergiemulti hat zudem 57 Prozent hhere Bohrkosten als Firmen imklimatisch hnlichen Kanada.9

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  • Am 3. November 2010 starb Tschernomyrdin an einer Krebserkrankungin Moskau. Drei Jahre zuvor, im Sommer 2007, hielt sich AltbundeskanzlerGerhard Schrder in Jalta auf, anlsslich einer Konferenz ber die Ukraineund ihr Streben nach Europa. Die Sddeutsche Zeitung schrieb ber dieseJalta-Konferenz, dass Gerhard Schrder so eifrig fr Russland geworbenhabe, wie es der entspannt in Reihe eins sitzende Viktor Tschernomyrdinnicht besser htte machen knnen.10

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  • Das Kartell des SchweigensViele in- wie auslndische Unternehmer in Russland kennen das WortRaiderstwo. Das heit Enteignung oder Plnderung. Der Staat oderpolitisch gut vernetzte Grokonzerne bedienen sich bei Justiz-, Steuer- undKartellbehrden, die in Russland meist kuflich sind. Deren Schergen setzenihre Opfer mit Verfahren, Razzien und dubiosen Steuernachforderungen solange unter Druck, bis sie ihre Unternehmen aufgeben.11 Beispielhaft dafrist der Fall William Browder.

    Sein Grovater war in den dreiiger und vierziger Jahren der Kopf derUS-amerikanischen kommunistischen Partei, bis er 1945 von Stalin desRevisionismus beschuldigt wurde. Seine Familie litt unter der Verfolgungdes durchgedrehten antikommunistischen Senators Joseph McCarthy Endeder vierziger, Anfang der fnfziger Jahre. Diese Familiengeschichte prgteWilliam Browder. Er rebellierte.

    Wie rebellierst du gegen eine kommunistische Familie? Ich trug nurAnzge mit Schlips und wurde Geschftsmann.12

    William Browder studierte unter anderem an der Stanford BusinessSchool. Als er dort 1989 sein Studium abgeschlossen hatte, sah er, dass sichfr ihn nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch derUdSSR phantastische Geschftsmglichkeiten boten. Russische Firmenwurden zu lcherlichen Preisen privatisiert, und William Browder erkanntedie lukrative Gelegenheit, billig Unternehmen zu kaufen. Im Jahr 1995 gabihm der New Yorker Banker Edmond Safra 25 Millionen US-Dollar, undBrowder ging nach Russland, wo er binnen weniger Monate vierstelligeRenditen schaffte. Er hatte den Investmentfonds Hermitage Capital aufgelegtund managte in seinen besten Zeiten ber diesen Fonds mehrere MilliardenUS-Dollar in Russland. Sein Fonds ist mit Einlagen von rund dreiMilliarden Dollar und 6 000 Anteilseignern einer der grten Investorengewesen.13

    Bei Gazprom wurde er ber seinen Fonds ein wichtiger Aktionr undMitglied im Gazprom-Aufsichtsrat. Eine Erfolgsgeschichte also, die zeigt,dass auch auslndische Unternehmen, sogar Hedge-Fonds, eine Chancehaben, hohe Profite in Russland zu erzielen.

    William Browder war auch Teilnehmer der 15. Konferenz Forum 2000 inPrag. Der zweite Tag der dreitgigen Konferenz war am 10. Oktober 2011der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja gewidmet undstand unter dem Motto: Annas Tag: Geschfte in Russland.

    An diesem Tag berichtete William Browder auf dem Panel ber die

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  • Zukunft Russlands im Hinblick auf die Auswirkungen von Kapital auf dieMenschen ber seine Erfahrungen, die damit endeten, dass er 2005 ausRussland ausgewiesen, sein Besitz gestohlen und einer seiner Anwlteermordet wurde.

    Damit steht er nicht allein. Den Finanzunternehmer Alexei Koslow zumBeispiel, berichtete Kerstin Holm, die Moskau-Korrespondentin derFrankfurter Allgemeinen Zeitung, lie ein russischer Exsenator einsperrenund raubte ihm seine Firma. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs.Urteile nach den Strafrechtsparagraphen fr Betrug und Geldwsche sindzu einer Industrie geworden, die schon Tausende Selbstndige enteignet undweggesperrt hat.14

    Doch der Fall des Investmentfonds Hermitage Capital und WilliamBrowder ist von einer hervorragenden Bedeutung, weil hier Finanzbeamteund Beamte des russischen Innenministeriums mit offensichtlicher Duldung wenn nicht sogar Frderung der obersten Spitze der Regierung betrgenund Firmen ausrauben drfen.

    Wie begann es? Als William Browder seinen Fonds Ende der neunzigerJahre auflegte, hatte er ein Ziel. Um seinen Investoren optimale Renditen zugarantieren, legte er groen Wert auf Transparenz in den Unternehmen, indenen er das Geld seiner Anleger investierte. Als Aufsichtsratsmitglied beiGazprom hatte er theoretisch dazu die Mglichkeit. Die Arroganz war soextrem, dass sie keine Vertuschung ntig hatten. Aber das war hilfreich fruns, weil es uns in die Lage versetzte, uns ein genaues Bild darber zumachen, was gestohlen wurde.15

    Deshalb stellte er bei Gazprom viele kritische Fragen, insbesondere nachden dubiosen Zwischengesellschaften, die fr ihn keinen wirtschaftlichenSinn ergaben, sondern nur die Aktionre schdigen wrden. Er hingegenwollte den Aktienwert von Gazprom, der nach seiner berzeugung totalunterbewertet war, steigern und damit natrlich den Profit fr die Anlegerseines Fonds.

    Er fragte zum Beispiel, warum von den meisten Einnahmen aus denGasverkufen die europischen Gasverteiler profitierten und nichtGazprom, und belegte das unter anderem mit den Gaspreisen frDeutschland im Jahr 2002. Whrend der Gaspreis in Russland bei 21 US-Dollar pro tausend Kubikmeter lag und das Gas nach Deutschland fr 103Dollar verkauft wurde, mussten die Verbraucher in Deutschland dafrinsgesamt 352 Dollar bezahlen. Eine Preissteigerung von 242 Prozent.16

    Die Analyse des Gasexports zeigte Browder, dass selbst Kunden indenselben Lndern, die Gas von Gazprom kaufen, unterschiedliche Preisebezahlen mssen. Whrend in Deutschland Ruhrgas pro tausend Kubikmeter

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  • Gas 131 Dollar zahlte, waren es bei dem Zarubezhgas Management (einerhundertprozentigen Tochter von Gazprom Germania, d. Autor) nur 110Dollar, also sechzehn Prozent weniger.17 hnlich sei es sowohl insterreich wie in der Schweiz.

    Besonders kritisch sah er das Unternehmen Stroitransgas. Das hatte imJahr 1995 fr einen 4,83-prozentigen Anteil an Gazprom 2,5 MillionenDollar bezahlt, obwohl der damalige Marktwert der Aktien 191 MillionenDollar betrug. Im Mai 2002 wurde Stroitransgas von einem russischenSchiedsgericht verurteilt, seine Anteile fr 2,5 Millionen Dollar wieder anGazprom zurckzugeben. Doch entgegen der Gerichtsentscheidung zahlteGazprom fr diese Anteile nun 144 Millionen Dollar. Und Browderwunderte sich noch mehr, als er herausfand, dass Stroitransgas vonGazprom dafr bezahlt wurde, Geschfte mit den eigenenTochtergesellschaften zu ttigen.

    Er fragte im Gazprom-Vorstand nach, ob es irgendwelche Konsequenzenfr die Familienangehrigen des ehemaligen Gazprom-Managements undvon Gazprom-Angestelten gegeben habe, die auf undurchsichtige Art undWeise Anteile von Sibnetgas erworben hatten. Eine zufriedenstellendeAntwort erhielt er nicht.

    Heftige Kritik uerte er auch an dem Gaszwischenhndler Itera.Gazprom war ein armes Unternehmen nur, weil es Itera reich machte. Wirschtzen, dass Gazprom dadurch, dass es die Gasverteilung an die Lnderder GUS an Itera bertragen hat, pro Jahr einen Verlust von einer MilliardeDollar fr Gazprom machte.18 Ihn strte auch, dass bei einemTochterunternehmen von Gazprom sich 75 Prozent der Anteile im Besitzehemaliger Gazprom-Manager befanden.

    Alle diese Unregelmigkeiten, die bei Gazprom festgestellt und vonWilliam Browder moniert wurden, hatten die Wirtschaftsprfer vonPricewaterhouseCooper (PwC) nicht entdeckt. Deshalb klagte seinInvestmentfonds Hermitage gegen die internationaleWirtschaftsprfungsgesellschaft wegen falscher und irrefhrender Prfung,und er forderte das Finanzministerium auf, die Lizenz von PwC zuwiderrufen. Sowohl von der russischen Regierung wie von Gazpromverlangte Browder deshalb, einen Wirtschaftsprfer in offenerAusschreibung auszuwhlen.

    Aufgrund seiner Erfahrungen insbesondere in den Jahren 1999 bis 2005forderte er im Juli 2003 vom Gazprom-Vorstand und Aufsichtsrat radikalenderungen. Dazu gehrten, die Mglichkeiten heimlicher Gas- undFirmenverkufe durch das Management zu eliminieren sowie dieherrschende Praxis zu beenden, Materialverluste durch

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  • Ermessensspielrume von Managern zu regeln. Insbesondere forderte erTransparenz bei allen Entscheidungsprozessen des Gazprom-Direktorenvorstands.19 Auerdem forderte er massive Anstrengungen desGazprom-Managements, alle in der Vergangenheit gestohlenenVermgenswerte zurckzufordern.

    Doch das Management hatte berhaupt kein Interesse und wollte lieberden Strenfried loswerden. Mit all seinen Aktivitten verletzte Browder einbislang ehernes Gesetz in Russland: Gerate nicht zwischen die mchtigenLeute und ihr Geld. Er wusste, dass er sich Feinde gemacht hatte, aber siewaren unsichtbar.20

    Dann, im November 2005, er kam gerade von einem Familienaufenthalt inLondon zurck, wurde er am Moskauer Flughafen festgenommen, sein Visumfr ungltig erklrt und er in die nchste Maschine nach London gesetzt. Erwar pltzlich eine Bedrohung fr die nationale Sicherheit Russlands.

    Zwei Jahre nach dem Einreiseverbot traf William Browder im Januar2007 den damaligen Gazprom-Chef Dmitri Medwedew21 beimWeltwirtschaftsforum in Davos. Der sagte ihm Hilfe zu. Die bestand darin,dass in Browders Bro in Moskau Artem Kuznetsow, ein Oberstleutnant desMoskauer Innenministeriums, anrief: Je frher wir uns treffen und Siebieten, was notwendig ist, um so schneller werden die Probleme gelstwerden. Als William Browder in seinem Londoner Bro ber diesenAnruf informiert wurde, wusste er, dass dieses Telefongesprch auch vonder Gegenseite aufgezeichnet wurde mit dem Ziel zu dokumentieren, dass erbestechlich sei. Er ignorierte den Anruf.

    Drei Monate spter strmten Oberstleutnant Artem Kuznetsow von derFinanzpolizei und Major Pavel Karpow vom Innenministerium BrowdersBro in Moskau und das eines seiner Moskauer Rechtsanwlte. Allegreifbaren Dokumente sowie Computer und Firmenstempel wurdenbeschlagnahmt. Der Vorwurf der russischen Behrden gegen Browder?Hermitage Capital habe ber Strohfirmen auf Zypern Gazprom-Aktienerworben und illegale Steuertricks angewandt. Weil bis Ende 2005Auslnder keine Gazprom-Papiere kaufen durften und mit den weitausteureren Anrechtsscheinen vorliebnehmen mussten, blhte bis zurLiberalisierung des Gazprom-Aktienmarktes der graue Markt. De factokauften zahlreiche Auslnder zu Inlandspreisen Gazprom-Aktien. Diesebliche Praxis wandte so gut wie jede Investmentbank in Russland an.22Denen geschah auch nichts aber um gegen den Strenfried vorzugehen,war es ein ideales Instrument. Zwar konnte William Browder nachweisen,dass er fr alles seine Steuern bezahlt hatte, doch das nutzte wenig.

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  • Unter den konfiszierten Unterlagen befanden sich dreiInvestmentzertifikate fr Firmen, die nach der Razzia sofort liquidiertwurden. Wenige Tage nachdem die Zertifikate beschlagnahmt und aus demFirmenregister gelscht worden waren, tauchten sie wieder auf und zwareingetragen auf einen neuen Besitzer. Das war Viktor Markelow, ein Mannmit einer langen kriminellen Karriere. Doch dann fand Sergei Magnitski, derRechtsanwalt William Browders, heraus, dass der Kriminelle nur einStrohmann war. Die Drahtzieher des Diebstahls war eine Gruppe aus demInnenministerium und den Finanzmtern Nummer 28 und Nummer 25 inMoskau. Die Ergebnisse seiner Recherchen bergab Browders Anwalt demzustndigen Moskauer Staatsanwalt sowie dem Innenministerium und demFSB. Doch es kam keine Reaktion.

    Am 5. Juni 2008 verfasste Rechtsanwalt Sergei Magnitski erneut eineErklrung. Er beschuldigte, mit zahlreichen Dokumenten belegt, dassOberstleutnant Artem Kuznetsow und dessen Kollege Major Pavel Karpowdie Stempel und Grndungsdokumente der drei Hermitage-Firmen an sichgenommen htten. Wieder geschah nichts. Danach legte Magnitski denMoskauer Ermittlungsbehrden Beweise vor, wonach Major Pavel Karpowund Oberstleutnant Artem Kuznetsow die Grndungsdokumente benutzthtten, um die Firmen von Hermitage Capital auf neue Eigentmerumzuschreiben. Mit einem fingierten Verlust soll sich dann die Gruppe Ende2007 insgesamt 230 Millionen Dollar Steuerrckzahlung erschlichen haben.Das ist genau die Summe, die Browders Firmen zuvor an Steuern entrichtethatten. Damit htten die beiden Offiziere auf betrgerische Art und Weise230 Millionen Dollar gestohlen, so Sergei Magnitski in seiner Strafanzeige.Wieder geschah lange Zeit nichts.

    Am 28. November 2008 wurde er in einer berfallartigen Aktion inseiner Wohnung verhaftet. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung. Seine Frau undseine beiden Kinder sahen ihn an diesem 28. November 2008 zum letztenMal. In den nchsten 358 Tagen wurde er von einem ins andere Gefngnisgebracht, bis er im gefrchteten Moskauer Butyrka-Gefngnis landete. Erdurfte nicht telefonieren, kein einziges Mal wurde der Besuch von seinerFrau und seinen beiden Kindern genehmigt. Er wurde schikaniert undwahrscheinlich auch gefoltert. Auf jeden Fall wurde ihm trotz stndigerPetitionen jegliche medizinische Hilfe versagt.

    Das klare Ziel der ihn vernehmenden Beamten war, ihn dazu zu bringen,gegen William Browder auszusagen. Doch statt ihn zu belasten, verfasste ereine Erklrung, in der er die beiden Offiziere Artem Kuznetsow und PavelKarpow erneut beschuldigte, an dem Steuerbetrug beteiligt gewesen zu sein.In einem Statement erklrte Sergei Magnitski gegenber den

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  • Vernehmungsbeamten: Als Rechtsanwalt meines Klienten erhielt ich davonKenntnis, dass Beamte des russischen Innenministeriums wahrscheinlichKomplizen beim Diebstahl der Firmen sind und dass die gestohlenenUnternehmen benutzt wurden, um vom Staatsbudget 5,4 Millionen Rubel(230 Millionen Dollar) zu stehlen.

    Ein Jahr nach seiner Verhaftung, am 16. November 2009, starb der 36-jhrige Anwalt im Gefngniskrankenhaus. Ob seine Krankheit nichtbehandelt wurde und er keine Medikamente erhielt, obwohl er stndigdarum gebeten hatte, oder ob er an den Folgen der Misshandlungengestorben ist bislang gibt es keinerlei Aufklrung ber die Ursachenseines Todes.

    Nach dem Tod von Sergei Magnitski erklrte Zoya Swetowa, einMitglied der Moskauer Menschenrechtsorganisation Oversight Commission,dass es ein beabsichtigter Tod war. Und ein weiteres Mitglied derMenschenrechtsorganisation, Andrei Babuschkin, sagte: Sergei Magnitskiwurde ermordet, um den Betrug zu verschleiern, den er aufgedeckt hat.23Ludmila Alekseiwa, ein Vorstandsmitglied der MoskauerMenschenrechtsorganisation Helsinki-Gruppe, erklrte: Sergei Magnitskistarb durch regulre Folter, die von Beamten des Innenministeriumsangewiesen wurde.

    Das stimme alles nicht, widersprach Angelika Kastujewa, die Sprecherindes Innenministeriums in einer Stellungnahme: Der Gefangene verstarbaufgrund von Herzinsuffizienz.24

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  • Der pltzliche Reichtum der Ruber aus demInnenministeriumWhrend Sergei Magnitski im Gefngnis massiv unter Druck gesetzt wurde,um seine Aussagen ber Artem Kuznetsow und Pavel Karpow zuwiderrufen, kam es bei beiden Offizieren zu einer wundersamenGeldvermehrung. Sie, die verantwortlich dafr waren, dass SergeiMagnitski in einer dunklen Zelle inhaftiert war, genossen zur gleichen Zeitdas se Millionrsleben trotz eines bislang eher mageren Einkommens.

    Oberstleutnant Artem Kuznetsow reiste nach Dubai, Kuba, Paris, wardreimal in Italien, jettete in einer Privatmaschine zusammen mit seiner Frauzu einem Kurzurlaub nach Zypern und residierte im Luxushotel Londa inLimassol. Seine Eltern waren in der gleichen Zeit wie bei einemLottogewinn von einem Tag auf den anderen geradezu unermesslich reichgeworden. Die beiden Pensionre mit einer monatlichen Rente von je 180US-Dollar kauften in Moskau Immobilien im Wert von 3,2 Millionen Dollar.Hinzu kamen noch zwei teure Range Rover und ein Mercedes-Benz SLK200. Alle Luxusfahrzeuge wurden auf die beiden Pensionre eingetragen.Kuznetsow selbst wurde befrdert: vom Bro gegen Steuerkriminalitt derStadt Moskau zum FSB, Abteilung fr wirtschaftliche Sicherheit.

    Sein Kollege Major Pavel Karbow vom Innenministerium, dessenMonatseinkommen 2008 noch rund 535 US-Dollar betrug, genoss die neueSituation ebenfalls. Er dinierte in den edelsten Moskauer Restaurants undfeierte in Nobeldiskotheken. Besonders viel dachte er jedoch genauso wiesein Freund und Komplize Artem Kuznetsow an seine Eltern. Dasmonatliche Einkommen seiner Eltern belief sich im Jahr 2007 aufumgerechnet 550 US-Dollar. Am 27. November 2008 wurde im Grundbuchder Stadt Moskau Karbows Mutter als Besitzerin eines Appartements imWert von 930 000 US-Dollar eingetragen. Dazu kamen zwei Grundstckeauerhalb Moskaus im Wert von 120 000 Euro. Seine Eltern kauften sichauerdem einen neuen Audi A3 im Wert von 47 000 Euro und einengebrauchten Porsche 911 Carrera fr 41 000 US-Dollar. Der Major lie aufseinen eigenen Namen einen Mercedes Benz 280 fr 72 610 US-Dollar undeinen Porsche Cayenne im Wert von 126 000 US-Dollar eintragen. Und erunternahm im Jahr 2008 zahlreiche Reisen: nach Grobritannien, in dieUSA, nach Italien, Barcelona, Wien, Griechenland, zweimal nach Zypernund Dubai; er machte zwei Wochen Urlaub in der Karibik . Auch ihm wurdeein profitabler Karrieresprung beschert: vom Ermittler der MoskauerAbteilung des Innenministeriums zum Mitglied des Untersuchungskomitees

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  • des russischen Innenministeriums.Diejenigen vier Mitarbeiter des Moskauer Finanzamtes Nr. 28, die vor

    Weihnachten 2007 innerhalb eines Tages die Steuerrckerstattung dergeraubten Hermitage-Unternehmen ohne jegliche Prfung genehmigten,profitierten in besonderem Mae von dem Betrug. Addiert man ihre neuenVermgenswerte, kommt man auf die Summe von mindestens 43 MillionenDollar.

    Am meisten profitierten Olga Stepanowa, die Leiterin des Finanzamts 28,und ihr Ehemann Vladlan Stepanow. In der Zeit von 2006 bis 2008, so gehtaus ihren Steuerunterlagen hervor, verfgten sie ber ein jhrlichesEinkommen von immerhin 38 381 US-Dollar. Vladlan Stepanow grndeteam 26. Januar 2008 die in Nicosia eingetragene Arivust Holding. Von hieraus wurden auf ein Konto bei der Credit Suisse in Zrich hohe Summenberwiesen. Innerhalb eines Monats waren das 7,1 Millionen US-Dollar.Auerdem wurde von ihm auf den Virgin Islands eine weitere Gesellschaftgegrndet, die Aikate Properties. Hier gingen zwei Einzahlungen in Hhevon 750 000 und 650 000 US-Dollar ein. Gleichzeitig investierten dieLeiterin des Finanzamtes 28 und ihr Ehemann elf Millionen US-Dollar inImmobilien in Moskau, aber diesmal im Namen von Vladlan StepanowsMutter. Eine Villa in Bar, Montenegro, war fr das Ehepaar Olga undVladlan Stepanow selbst gedacht. Wert: 471 000 US-Dollar. Und sie reistenjetzt viel, allein neunmal nach Dubai, wo sie sich 95 Tage aufhielten.Wahrscheinlich um endlich eine ihnen angemessene Villa zu finden. DreiMillionen US-Dollar investierten sie in das gefundene Objekt. Fr 455Quadratmeter, Kinoraum, sieben Badezimmer und sechs Schlafzimmer mussman schon einiges hinlegen. Im Kempinski-Hotel in Dubai kauften sie nochzwei Luxusappartements laut den Hotelunterlagen im Wert von 2,6Millionen US-Dollar.25

    Olga Stepanowa, die Chefin des Finanzamtes Nummer 28, die urpltzlichmit ihrem Mann zu sagenhaftem Reichtum gekommen ist, hat unterdessenihren Posten beim Finanzamt verlassen. Sie arbeitet nun fr eine neueAgentur, die von Dmitri Medwedew gegrndet wurde und die Aufgabe hat,die Beschaffung und Verteilung der Polizei- und Militrausrstungen fr dieSicherheitsdienste und das Militr zu kontrollieren.

    Kein einziger der Beteiligten an diesem Riesenbetrug wurde bislangangeklagt, geschweige denn verurteilt. Fr die rechtskonservative ErikaSteinbach, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und HumanitreHilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist der Fall des RechtsanwaltsSergei Magnitski beispielhaft fr gravierende Mngel im russischenJustizsystem Das Interesse seitens der russischen Regierung an der

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  • Strafver