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FACHZEITSCHRIFT FÜR WIRTSCHAFTSRECHT APRIL 2011 04 281 380 Immobilien-Makelei oder verdienstlich im Dienste zweier Herren Vertragsanpassung nach Zuschlagsverzögerung Verfall statt Bereicherungs-Abschöpfung im Wirtschaftsstrafrecht Kostenrecht Neues, nicht nur Erfreuliches Spezialisierte Kammern für Internationale Handelssachen Einlagenrückgewähr durch Besicherung Abfall Besitzer, Erzeuger, Sammler, Behandler www.ecolex.at

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FACHZEITSCHRIFT FÜRWIRTSCHAFTSRECHT

A P R I L 2 0 1 1

04281– 380

Immobilien-Makeleioder

verdienstlich im Dienste zweierHerren

Vertragsanpassung nach

ZuschlagsverzögerungVerfall statt Bereicherungs-Abschöpfung im

WirtschaftsstrafrechtKostenrecht

Neues, nicht nur ErfreulichesSpezialisierte Kammern für

Internationale HandelssachenEinlagenrückgewähr durch

BesicherungAbfall

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Interzession, extensiv(§ 25 c KSchG)

GEORG WILHELM

DieInstitutionen des Privatrechts wandeln sich imnie entschiedenen Kampf der Interessen (Heck),und wer nicht mitkommt, den straft das Leben.

In der Aneignung vonWissen erschafft sich derWirkende(Goethe, Schwanitz; Nachweise auf Anfrage).

Im Folgenden der Blick auf eine Nebenfront. „LiesRechtsprechung zur rechten Zeit, bist dann nicht der,der übrig bleibt.“ (Kalenderweisheit)Was sich wirklich begabAuf der Kreditgeberseite steht eine Bank, nicht liebe-,nicht fantasievoll. Auf der Gegen-(Verbraucher-)Seite ste-hen Papa (ab 2000 arbeitslos, ab 2005 Früh-, dann Pen-sionist) und Sohn (selbständiger Fotograf). Zur Finanzie-rung eines Wohnhauses für seine Familie nimmt Sohn2002 bei der Bank einen Fremdwährungskredit (Wert€ 50.000,–) auf, für den Papa sich verbürgt. Als des Soh-nes wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, nimmter ab 2002 bei der Bank weitere Kredite auf, die er abernicht abzahlen kann: Die Bank stellt ihm die Rute insFenster. Dies genügt, um die Bank zu befähigen, Papazu bewegen, bei ihr 2006 und 2007 selbst zwei Kredite(Wert € 95.000,–) aufzunehmen; Verwendungszweck:die Befreiung des Sohnes. Wirklich wird der größte Teilder Valuta dem Kreditkonto des Sohnes gutgebucht, ei-nen kleineren behält Papa für eigene Anschaffungen.Der Abschluss der Verträge vollzieht sich in 15 Minuten,die gerade zur bankseitigen Versicherung ausreichen, diessei die einzige Möglichkeit, den Sohn „über Wasser zuhalten“, die Kreditaufnahme für Papa selbst (damalslängst Rentner!) „kein Problem“ und „es wird schon allesgut gehen“; auf die schlechte Vermögenslage des Sohnesund die Folgen von dessen Zahlungsunfähigkeit für Papahinzuweisen war keine Zeit mehr. Die wirtschaftlichenund gesundheitlichen Verhältnisse des Sohnes ver-schlechtern sich ab 2007 rapide: er sagt 2008 Insolvenzan, erkrankt 2009 schwer, im Februar 2010 wird Leber-krebs diagnostiziert, an dem der Sohn am 28. 6. 2010verstirbt, kurz nachdem sein Versuch, eine Ratenverein-barung zu erwirken und so die Versteigerung seinesWohnhauses abzuwenden, gescheitert war (!). Nach Ab-zug dessen, was die Familie noch zusammenkratzenkonnte, haften von der Kreditschuld Papas noch€ 50.000,– aus, die Papa nicht aufbringen kann.Was man sich dazu denken sollDie Bank ist kein Shylock, sie nützt eben ihren vermute-ten juristischen Vorteil. Hat § 25 c KSchG studiert, woder Begriff der Interzession gebildet ist: „Tritt ein Ver-braucher einer Verbindlichkeit als Mitschuldner, Bürgeoder Garant bei (Interzession) (…)“, es folgt die Rechts-folge: Aufklärungspflicht des Gläubigers, deren Erfüllungdie übernommene Verbindlichkeit bedingt. Den Geset-zesworten vertrauend veranlasst die Bank Papa, dieSchuld, deren Zahlung den Sohn befreien soll, geradenicht als Mitschuldner, Bürge oder Garant zu überneh-men, sondern als selbständig-hauptschuldnerischer Kre-ditnehmer. Und als solcher wird Papa nun bedrängt.

Was verkehrsüblich-sorgfältiges Rsp-Studium beiKreditvergabe aber noch nicht ergeben konnte: Das Hin-tertürchen, sich aus der Interzession fortzustehlen, ist ins-

künftig – aber mit der Rückwirkung, die fortschreitendehöchstrichterliche Erleuchtung für sich in Anspruchnimmt – gerichtlich versiegelt. Denn zur Interzession ge-hören nicht nur die formalia (nimm eins aus 1, 2, 3) derSchuldbegründung, sondern auch deren wirklicher unddem Gläubiger erkennbarer Zweck: dass der Einschreitersich im Fremdinteresse (eines Dritten) verpflichtet. Diesinhaltliche Gewürz schmeckt so vor, dass es schließlichganz gleichgültig ist, ob der Einschreiter Mitschuldner,Bürge oder Garant wird oder seine Verpflichtung auf an-derer, von der Hauptschuld unabhängiger causa beruht(so 10 Ob 34/06g) – zB eben eigenständiger Kreditver-gabe. Ja es kommt – äußerste Freiheit – gar nicht mehr da-rauf an, ob der Begünstigte dem Gläubiger selbst ver-pflichtet ist. Wir wissen das alles aus der aktuellen Rsp,die sich zur Zeit von Papas zweitem Einschreiten geradein diesem Sinne eingrub; was zu erkennen damals nichtganz leicht, aber nicht unmöglich war, weil die Lit seit län-gerem ihr Menetekel geschrieben hat (s 10 Ob 34/06g,3 Ob 111/08g mit Falltypen, und die zusammenfassendeAnm von P. Bydlinski, JBl 2009, 257 zur zweiten E): ZurInterzession genügt es daher, wenn nur der Gläubiger undder Einschreiter in Vertragsbeziehung – zugunsten des Drit-ten – stehen. Es ist kein Riesenkummer, dass damit derTatbestand des § 25 c auf den Kopf gestellt wird: Seine ge-nannten Voraussetzungen werden durch die ungenannte,sich aus der ratio legis ergebende ersetzt. Diese ratio isteine „gestufte“ mit nuancierter Folge nach der Verschie-denheit des vorvertraglichen Verhältnisses. Präsentiertsich der Einschreiter als zweiter Schuldner, so ist es derVorteil der Besicherung, der die Pflicht zur Warnungdes Fremdnützigen vor der Gefährdung des Regressesrechtfertigt (guter Tropfen, böser Tropfen). Anders wennder Einschreiter allein schuldet: Die Warnpflicht desGläubigers, die auch hier besteht, ist Folge des verständ-nislosen Mitleids, das eine raffgierige Welt für Altruismushaben soll, und ist daher auch geringer: Besondere Nach-forschungen zur Bonität des Begünstigten wird man nichtfordern. Das eine wie das andere übrigens culpa in contra-hendo, doch gehört das alles nicht mehr hierher.

Presto ad finemDie Lösung unserer Begebenheit liegt danach auf derHand. Die Bank musste über die Irrealität des Regressesaufklären. Die Unterlassung der Aufklärung war zwarnicht schuldhaft – die Rechtslage war noch nicht eindeu-tig genug – aber objektiv sorglos. Diese Sorglosigkeit trägtden Anscheinsbeweis, dass die Bank dadurch Papa beiAbschluss des Kreditvertrags in Irrtum – nach § 25c Ge-schäftsirrtum – über die Chancen seines Regresses geführthat (veranlasster Irrtum, § 871 Abs 1, 1. Fall ABGB) undder Irrtum für die Aufnahme des Kredits ursächlich war;auch für den Teil der Valuta, den Papa selbst verbrauchthat: Irrtumsanfechtung des Kreditvertrags. Dass Papamindestens qua Nachteilsausgleich von der Erstattungder nie empfangenen Kreditvaluta befreit ist, versteht sichebenso von selbst, wie, dass die Schuldbefreiung des Soh-nes, beruhend auf der Verrechnungsabrede, aufrechtbleibt. Wer zuletzt lacht usw . . . Die Begebenheit ist ver-glichen.

EDITORIAL

ecolex 2011 281

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FACHZEITSCHRIFT FÜRWIRTSCHAFTSRECHT22. JG. HEFT 04, APRIL 2011

Zitiervorschlag: ecolex 2011, Seite

Entscheidungen: ecolex 2011/[Entscheidungsnr], [Seite]

HERAUSGEBER:Hon.-Prof. Dr. G. KUCSKO, RAUniv.-Prof. Dr. W. MAZALUniv.-Prof. Dr. P. OBERHAMMERUniv.-Prof. Dr. J. REICH-ROHRWIG, RADr. Ch. SCHMELZ, RAUniv.-Prof. MMag. Dr. J. SCHUCH, StBUniv.-Prof. Dr. G. WILHELMMag. Dr. H. WOLLMANN, LL.M., RAUniv.-Prof. Dr. B. ZÖCHLING-JUD

BEIRAT:Univ.-Prof. DDr. W. BARFUSSSen.-Präs. d. VwGH Dr. L. BUMBERGERUniv.-Prof. Dr. B.-Ch. FUNKUniv.-Prof. Dr. H. KREJCIDr. J. E. LANGERUniv.-Prof. DDr. H. MAYERHon.-Prof. HR Dr. M. NEUMAYRUniv.-Prof. Dr. G. H. ROTHUniv.-Prof. Dr. W. SCHRAMMELUniv.-Prof. Dr. R. WELSERMin.-Rat Dr. W. WIESNER

SCHRIFTLEITUNG:Univ.-Prof. Dr. G. WILHELM

STÄNDIGE MITARBEITER:Hon.-Prof. Dr. A. DUSCHANEKUniv.-Prof. DDr. Th. EILMANSBERGERSen.-Präs. d. OLG Wien iR ao. Univ.-Prof. Dr. G. ERTLMag. J. FISCHERLEHNER

Dr. H. FRIEDL, RAAMMag. Dr. K. H. HILBER, StBUniv.-Prof. Dr. M. HOLOUBEKDr. St. KÖCK, RAUniv.-Prof. Dr. M. LANGMag. M. LAUDACHERDr. I. MOSERDr. E. PRIMOSCHDr. Th. RABL, RAMag. B. RENNERDr. R. SCHANDA, RAUniv.-Prof. Dr. F. SCHRANKMag. N. SCHROTTMEYER, WP u StBDr. Ch. SCHUMACHER, LL.M., RAUniv.-Prof. Dr. H. SCHUMACHER, RAUniv.-Doz. Dr. St. SCHWARZERDr. A. SPITZLDr. B. TONNINGER, RADr. W. URBANTSCHITSCHao. Univ.-Prof. MMag.Dr. M. WINDISCH-GRAETZ

S CHWERPUNKTIMMOBILIENMAKLER

Die Verdienstlichkeit des Maklers 284Stephan EberhardtImmobilienmakler im Interessenkonflikt 287Clemens LimbergImmobilienmaklerverordnung – erste Erfahrungen mit der Novelle 2010 291Peter Madl

EDITORIALInterzession, extensiv (§ 25 c KSchG) 281Georg WilhelmImpressum U3

LEGISLATIVE ÖSTERREICHLegislative Österreich 292Ingrid Moser

ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHTVertragsanpassung bei verzögerter Zuschlagserteilung aus vergaberechtlicher und werkvertraglicher Sicht 293Hans GöllesIst ein Einheitspreisvertrag ein Vertrag mit Kostenvoranschlag? 297Hermann WenuschIT-Update 298Wolfgang ZanklOGH 4. 8. 2010, 3 Ob 79/10d * Mündelsichere Wertpapiere: Umfang der Prüfpflicht eines Gutachters nach

§ 230e ABGB (Ingo Kapsch) 300OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 139/10p * Verkehrsüberwachung mit Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwingbar 302OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 143/10a * Kündigungsrecht eines privaten monopolartigen Wasserversorgers 303OGH 22. 9. 2010, 8 Ob 94/10x * Verbot der Aufrechnung im Auftragsverhältnis (Reisebüro) bei

Akontozahlungen 305OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 218/10b * Erbschaftskauf kein Vorkaufsfall 305OGH 3. 9. 2010, 9 Ob 52/10b * Auflösungstatbestand „Aufgabe des Unternehmens“ in Leasing-AGB 305OGH 4. 8. 2010, 3 Ob 87/10 f * Zwischen Kündigungsgrund und Kündigungsverzicht 306OGH 31. 8. 2010, 4 Ob 137/10 s * Haftung bei Vermittlung von „Mietkauf“ besonders günstiger fabrikneuer Kfz 307OGH 4. 11. 2010, 8 Ob 9/10x * Haftung des Anlageberaters bei fremdfinanzierter Veranlagung 309OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 5/10 s * Eigenhaftung des Kapitalanlagevermittlers 309OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 203/10g * Sozialhilfeumlage: vermeintliches Anerkenntnis der Gemeinde 311OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 186/10x * Keine besondere Nachforschungspflicht eines

(Immobilien-)Doppelmaklers 311OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 14/10 i * Verdienstlichkeit des Immobilienmaklers: Flächenabweichung eines Raumes 312OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 162/10b * Mängelbehebungskosten nicht nach PHG ersatzfähig 312OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 98/10b * Verjährung nach AÖSp bei innerstaatlichen Transporten außerhalb

Österreichs 313OGH 23. 11. 2010, 1 Ob 164/10 i * Verschleierung Verhältnis Gewährleistung – Garantie in AGB 314OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 219/10x * Feststellungsklage auf Nichthaftung als Interzedent bzw Mäßigung 315OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 152/10 z * Geschäftsführer haften nach § 31 WRG solidarisch mit der Gesellschaft 316

WIRTSCHAFTSSTRAFRECHTVerfall statt Abschöpfung der Bereicherung im österreichischen Strafrecht 317Hubert Hinterhofer

INHALT

282 ecolex 2011

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DISPUTE RESOLUTIONNeues vom Kostenrecht 320Jürgen C.T. RassiDie Internationalisierung von Handelssachen an Zivilgerichten 324Maxi Scherer / Franz SchwarzOGH 14. 12. 2010, 3 Ob 211/10 s * Nebenintervention – bloßes Interesse am Erzielen bestimmter

Beweisergebnisse? 325OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 143/10y * Zweiseitigkeit des Verfahrens über die Richterablehnung 325OGH 14. 12. 2010, 3 Ob 231/10g * Oppositionsklage gegen einen Europäischen Vollstreckungstitel 326

A Checkliste: Zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen des Budgetbegleitgesetzes 2011 327

GESELLSCHAFTSRECHTVoreinzahlungen auf Kapitalerhöhungen 329Christopher Schrank / Gernot Wilfling

C Memo: Einlagenrückgewähr durch Besicherung 332Alexander Taiyo ScheuwimmerOGH 29. 9. 2010, 7 Ob 35/10p * Bürgschaft der Gesellschaft für einen dem Gesellschafter nahestehenden

Dritten ist Einlagenrückgewähr, wenn keine betriebliche Rechtfertigungvorliegt 334

OGH 17. 12. 2010, 6 Ob 63/10y * Änderung der Judikatur: Keine Notariatsaktspflicht bei nachträglicherÄnderung von Aufgriffsrechten im GmbH-Vertrag (Stephan Verweijen) 335

OGH 29. 9. 2010, 3 Ob 86/10h * Unterdeckung einer nominellen Kapitalerhöhung: Keine Differenzhaftung derGesellschafter 335

OGH 17. 11. 2010, 6 Ob 212/10k * Gerichtliche Abberufung eines Fremdgeschäftsführers – Klage ist gegenMitgesellschafter zu richten; Nebenintervention des Fremdgeschäftsführers 337

OLG Wien 8. 11. 2010, 28 R 146/10 * Aktienrecht: Antrag des OLG Wien auf Aufhebung des § 225c Abs 3 Z 2AktG wegen Verfassungswidrigkeit beim VfGH 338

WETTBEWERBS- UND IMMATERIALGÜTERRECHTA Checkliste: Ärzte-Website 339

Roland Marko / Dominik HofmarcherOGH 5. 10. 2010, 4 Ob 117/10 z * Zur Verjährung des Verwendungsanspruchs 342OGH 9. 11. 2010, 4 Ob 111/10 t * Kumulation von Superlativen (Bernhard Tonninger) 342OGH 15. 12. 2010, 4 Ob 176/10 a * Keine Irreführung über Kapitalgaranten (Michael Horak) 343OGH 5. 10. 2010, 4 Ob 159/10a * Prüfpflichten von Werbepartnern (Michael Horak) 343OGH 5. 10. 2010, 17 Ob 8/10 s(EuGH C-523/10)

* EuGH-Vorlageverfahren zum Verletzungsgerichtsstand bei Markenverletzungim Internet (Christian Schumacher) 345

ARBEITSRECHTHaustiere im Arbeitsrecht 346Andreas GerhartlNeue Kompetenzen der Betriebspartner im Entgeltbereich 349Alexander BurzOGH 22. 12. 2010, 9 ObA 42/10g * Doppelte Prüfung der Kündigung eines begünstigten Behinderten 351OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 27/10 a * Motivkündigung wegen Geltendmachung nicht offenbar unberechtigter

Ansprüche 353OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 22/10 s * Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden 355

STEUERRECHTFinanzstrafrecht 2011: Der Steuerpflichtige – Kaninchen vor der Schlange? 356Klaus Gaedke / Stefan LauseggerGrundlagen der neuen Kapitalbesteuerung 359Klaus HilberVwGH 28. 10. 2010, 2007/15/0191 * Nachhaltigkeit einer Erfindertätigkeit (Elisabeth Hütter) 361UFS 18. 2. 2011, RV/0686-L/10 * Anrechnung von Quellensteuern aus Vorjahren auf die Körperschaftsteuer

(Marco Laudacher) 362

ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHTVon Abfallbesitzern und Abfallerzeugern 363Alexander GrauNeue Erlaubnispflicht für Abfallsammler und -behandler 367Thomas WimmerVwGH 18. 11. 2010, 2010/07/0119 * Kostenfolgen der Ersatzvornahme und Schonungsprinzip (Edmund Primosch) 369VwGH 20. 12. 2010, 2009/03/0028 * Gewerbsmäßige Kfz-Transporte von Kranken undMenschen mit Behinderung

(Edmund Primosch) 370VwGH 23. 11. 2010, 2009/06/0081 * Barrierefreiheit einer Außenaufzugsanlage (Edmund Primosch) 370

EUROPANEUES AUS EUROPA – Aktuelle Rechtsetzung und Entscheidungen der EU 371Wolfgang Urbantschitsch / Edith HoferDer Austritt aus der Europäischen Union 372Jens BudischowskyRechtsprechungsübersicht Europäische Gerichte 375Sebastian Bohr / Susanne Kämpfer

INHALT

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Die Verdienstlichkeit des MaklersDie Verdienstlichkeit des Maklers bei seiner Tätigkeit ist Voraussetzung für den Provisions-anspruch. Es stellt sich die Frage, was darunter zu verstehen ist und welche Auswirkungen einAbgehen von der geschuldeten verdienstlichen Tätigkeit, das Nichtzustandekommen, dieNichtausführung oder der nachträgliche Wegfall des Hauptgeschäfts auf den Provisions-anspruch des Maklers haben.

STEPHAN EBERHARDT

A. Einleitung

Der Begriff der Verdienstlichkeit des Maklers bei sei-ner Tätigkeit hat in Österreich eine lange Tradition.1)Eine Definition sieht das MaklerG jedoch nicht vor.Es wird daher versucht, den Begriff im Hinblick aufdie Gesetzessystematik und den Gesetzeszweck zu be-stimmen.2) Verdienstlichkeit wird definiert als dieSumme aller zwischen Auftraggeber und Makler ver-einbarten Pflichten,3) genauer, wenn die Maklertätig-keit den Anforderungen des Vermittlungsvertragsentspricht und ihrer Art nach geeignet ist, für denAuftraggeber Vertragspartner aufzufinden bzw diesezum Vertragsabschluss zu bewegen.4) Es handelt sichum die mindestens zu entfaltende und im Einzelfallan den besonderen Umständen zu messende Vermitt-lungstätigkeit des Maklers, um das vom Auftraggeberbeabsichtigte Geschäft herbeizuführen.5)

B. Verdienstlichkeit als Voraussetzungfür den Provisionsanspruch

Erfüllt der Makler die maklervertraglichen Pflichten,ist dessen Tätigkeit grds verdienstlich. Der Provisi-onsanspruch entsteht, wenn die übrigen Vorausset-zungen hierfür vorliegen.6)

1. Pflichten des Maklersa) NachweismaklerDer Nachweismakler hat dem Auftraggeber nicht nurdie Gelegenheit zum Vertragsschluss, sondern auchden Vertragspartner oder zumindest dessen zu Ver-tragsverhandlungen bevollmächtigten Vertreter indi-viduell bekannt zu geben.7) Mangels Vereinbarungoder Geschäftsgebrauch8) soll bloße Namhaftma-chung nicht ausreichend sein.9)

b) VermittlungsmaklerDer Vermittlungsmakler – als „Normalfall“ des Mak-lers –muss im Auftrag seines Auftraggebers mit einemDritten Kontakt aufnehmen und auf diesen mit demZiel motivierend einwirken, den beabsichtigten Ge-schäftsabschluss zustande zu bringen.10) In derRV11) wird Vermitteln als die Tätigkeit, zwei poten-zielle Vertragspartner zusammenzuführen, bezeich-net. Untergrenze soll die bloße Namhaftmachungsein.12) Diese soll die von der RV13) als Vermittlungs-kriterien genannten Verhandlungstätigkeiten geradenicht mehr umfassen: Vermitteln iSd § 1 MaklerG(als Vermitteln iwS) ist Namhaftmachung und Ver-mitteln ieS.14)

& Namhaftmachung ist die erstmalige Nennung ei-nes bisher unbekannten Interessenten für den Ab-schluss des Hauptvertrags, wobei wesentlich ist,dass die genannte Person in ihrer Eigenschaft alspotenzieller Vertragspartner unbekannt ist.15)

& Vermitteln ieS bedeutet jede Tätigkeit, die geeignetist, potenzielle Vertragspartner zusammenzufüh-ren.16) Zu diesem Zweck muss der Makler verhan-deln, worunter das Herantreten an den entspre-chenden Vertragsinteressenten und die Einwir-kung auf diese Person, um ihr Interesse für denVertragsschluss zu wecken, verstanden wird.17)Der genaue Inhalt des Verhandelns ist der Partei-envereinbarung zugänglich und im konkretenEinzelfall durch Vertragsauslegung zu ermitteln.

c) Keine generelle TätigkeitspflichtDer „schlichte“ Maklervertrag ist im Gegensatz zumAlleinvermittlungsauftrag18) sowohl für den Maklerals auch für den Auftraggeber unverbindlich.19) Der

RA Dr. Stephan Eberhardt ist als österreichischer und deutscher Rechtsan-walt bei der Schönherr Rechtsanwälte GmbH tätig.Kontakt: [email protected]) Vgl Fromherz, MaklerG – Maklergesetz, Kommentar (1997) § 3

Rz 60.2) Vgl Fromherz,MaklerG-Komm § 3 Rz 62 mit Beispielen aus der älte-

ren Rsp.3) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 72; Noss, Maklerrecht3 (2008)

Rz 31 unter Verw auf OGH 17. 1. 2001, 6 Ob 151/00 z; 12. 6. 2001,4 Ob 135/01h.

4) Vgl OGH 21. 9. 2006, 2 Ob 80/05m; 21. 12. 2005, 7 Ob 145/05g;vgl Noss, MaklerR3 Rz 31.

5) Noss, MaklerR3 Rz 31 unter Verw auf ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 18und 23.

6) Wie zB der Vermittlungserfolg, die Kausalität und Adäquanz für denAbschluss des Hauptgeschäfts sowie die tatsächliche Ausführung desHauptvertrags.

7) OGH 13. 3. 2001, 5 Ob 48/01x; LG Wiener Neustadt 1. 12. 1999,17 R 88/99h.

8) Vgl zB beim Immobilienmakler (OGH 20. 3. 2007, 10 Ob 26/07g).9) Vgl § 6 Abs 2 MaklerG; OGH 26. 3. 1996, 4 Ob 2020/96d.

10) Noss, MaklerR3 Rz 33; OGH 10. 5. 2006, 7 Ob 92/06 i.11) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 7 unter Verw auf RV 2 BlgNR

20. GP 15.12) Vgl § 6 Abs 2 MaklerG; Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8.13) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8 unter Verw auf RV 2 BlgNR

20. GP 15.14) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8.15) Fromherz, Der Zivilmaklervertrag (1990) 23.16) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 11.17) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 11.18) § 14 MaklerG.19) Vgl § 4 Abs 1 und 2 MaklerG; Noss, MaklerR3 Rz 34.

IMMOBILIENMAKLER

284 ecolex 2011

SCHW

ERPUNKT

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Auftraggeber kann also jederzeit auch andere Maklerzusätzlich einschalten, der Makler mangels andererVereinbarung muss keine Tätigkeit entwickeln odersich um Vermittlung bemühen.20) In diesem Zusam-menhang wird die Erfolgsbezogenheit der Provisionals Absicherung gesehen, dass der Makler überhaupteine Tätigkeit entfaltet.21)

d) Nebenpflichten& Sorgfalts-, Beratungs-, Informations- und Aufklä-

rungspflichtenDen Makler treffen jedenfalls Nebenpflichten, diezum Teil aus dem Gesetz resultieren. Zu den Auf-klärungspflichten des Maklers zählen insb Sorg-faltspflichten, die diesen als Sachverständigen iSd§ 1299 ABGB treffen. Er muss über einschlägige Pro-bleme Bescheid wissen, richtige Auskünfte erteilenund den Auftraggeber über die für die Beurteilungdes zu vermittelnden Geschäfts günstigen und un-günstigen wesentlichen Umstände aufklären.22)& Interessenwahrnehmungs-, Unterstützungs- und

TreuepflichtenDen Makler treffen auch Interessenwahrnehmungs-und Unterstützungspflichten.23) Der Makler hat insbdie Interessen des Auftraggebers redlich und sorgfältigzu wahren. Er ist auch zur Verschwiegenheit ver-pflichtet.& Besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Konsu-

mentenDer Immobilienmakler hat dem Verbraucher vor Ab-schluss des Maklervertrags eine schriftliche Übersichtüber die Kosten des Maklervertrags und die den Ver-braucher treffenden sonstigen finanziellen Belastun-gen durch den erstrebten Geschäftsabschluss zu über-geben.24) Der Makler hat auf sein Einschreiten undein Tätigwerden als Doppelmakler aufgrund von Ge-schäftsgebrauch hinzuweisen.25)

Verletzt der Makler wesentliche der vorgenanntenPflichten, kann dies zur Provisionsermäßigung füh-ren.

2. Nichtzustandekommen, Nichtausführung,nachträglicher Wegfall des Hauptvertrags

Das rechtswirksame Zustandekommen des Hauptge-schäfts (zB beim Immobilienmakler der Kauf- oderMietvertrag, beim Personalkreditvermittler der Kre-ditvertrag oder beim Versicherungsmakler der Versi-cherungsvertrag) ist Voraussetzung für das Entstehendes Provisionsanspruchs.26) Vorverträge oder Optio-nen reichen im Gegensatz zur Punktation nichtaus.27)

a) Bedingter HauptvertragBei aufschiebend bedingtem Hauptvertrag entstehtder Provisionsanspruch grds mit Bedingungsein-tritt.28) Die Frage einer Herbeiführungspflicht insbdes Auftraggebers wird vom OGH danach beurteilt,ob eine Maklerentschädigung trotz fehlenden Ver-mittlungserfolgs vereinbart wurde, dh der Auftragge-ber entgegen dem bisherigen Verhandlungsverlauf wi-der Treu und Glauben einen für das Zustandekom-men des Geschäfts erforderlichen Rechtsakt ohne be-achtenswerten Grund unterlässt.29) Bei auflösend

bedingtem Hauptvertrag ist für die ProvisionspflichtVoraussetzung, dass der vermittelte Hauptvertragfür den Auftraggeber trotz Eintritts der auflösendenBedingung einem unbedingten wirtschaftlich ausZweckgleichwertigkeitsgründen gleichzuhalten ist,oder – bei fehlendem wirtschaftlichen Nutzen – derAuftraggeber den Bedingungseintritt zu vertretenhat.30)

b) Erwerb im ZwangsversteigerungsverfahrenBeim nicht auf freier Willenseinigung beruhendenErwerb im Zwangsversteigerungsverfahren soll einProvisionsanspruch nur bei ausdrücklicher Vereinba-rung entstehen.31)

c) ZweckgleichwertigkeitAuch wenn das tatsächlich abgeschlossene Geschäftnicht dem Geschäft entspricht, von dem das Entste-hen des Provisionsanspruchs abhängig gemachtwurde, führt die wirtschaftliche Zweckgleichwertig-keit des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts zurProvisionspflicht.32) Zweckgleichwertigkeit ist ob-jekt-, vertrags- und personenbezogen nach dem Emp-fängerhorizont der Parteien durch Vertragsauslegungzu ermitteln.33) Die Lit nähert sich der uneinheitli-chen Rsp und dem Zweckgleichwertigkeitsbegriffdurch Fallgruppen.34)

ecolex 2011 285

IMMOBILIENMAKLER

20) Vgl aber § 27 Abs 2 MaklerG.21) Vgl Noss, MaklerR3 Rz 34 und 48; vgl aber die Fälle der Entschädi-

gung des Maklers trotz fehlenden Vermittlungserfolgs (§ 15 Mak-lerG).

22) OGH 11. 1. 2005, 10 Ob 89/04 t; 28. 5. 2002, 4 Ob 8/02h;28. 8. 2007, 5 Ob 135/07 z; 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02w. Der Provi-sionsanspruch kann entfallen, wenn der Makler nicht auf ein allfälligeswirtschaftliches oder familiäres Naheverhältnis zwischen ihm und demvermittelten Dritten hinweist (§ 6 Abs 4 Satz 3 MaklerG).

23) Vgl § 3 Abs 1 MaklerG; zur Konkretisierung der Sorgfaltspflichtendurch Gesetz, Immobilienmaklerverordnung (IMV), Personalkredit-vermittlerverordnung (PKVVO) sowie Standesrichtlinien der Berufs-gruppen vgl Noss, MaklerR3 Rz 36.

24) § 30b Abs 1 KSchG; vgl aber OGH 9. 3. 2006, 6 Ob 25/06d.25) § 30b Abs 2 KSchG; Kolba in Kosesnik-Wehrle, Konsumentenschutz-

gesetz (KSchG) Kurzkommentar (2010) § 30b Rz 31 ff. Es gilt derSorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Immobilienmaklers.

26) Vgl § 6 Abs 1, § 7 Abs 1 MaklerG; Noss, Rechtsprechungsübersichtzum (schlüssigen) Zustandekommen eines Maklervertrags, immolex1009, 140; zur zulässigen Provisionsvereinbarung für Fälle fehlendenVermittlungserfolgs vgl § 15 MaklerG.

27) OGH 23. 3. 1999, 1 Ob 8/99d; LGZWien 15. 12. 1998, 37 R 927/98 t; OGH 14. 10. 1997, 1 Ob 2322/96 v; 26. 6. 2003, 6 Ob 241/02p.

28) OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04g.29) Vgl § 15 Abs 1 Z 1 MaklerG; OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04g;

15. 10. 2002, 4 Ob 37/02y. Vgl für die deutsche Rsp hinsichtlichdes Bedingungseintritts § 162 Abs 1 dBGB, wonach der Bedingungs-eintritt fingiert wird, wenn er wider Treu und Glauben verhindertwird (BGH NJW-RR 2002, 50).

30) OGH 26. 6. 1985, 1 Ob 564/85 SZ 58/111; vgl auchNoss,MaklerR3

Rz 45 unter Verw auf OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04g.31) OGH 19. 12. 2006, 1 Ob 240/06k; vgl Noss,MaklerR3 Rz 46; From-

herz, MaklerG-Komm § 7 Rz 73.32) Vgl § 6 Abs 3 MaklerG.33) Noss, MaklerR3 Rz 47 unter Verw auf OGH 28. 7. 1998, 1 Ob 91/

98h; 20. 6. 2002, 2 Ob 122/01g.34) Vgl Noss, MaklerR3 Rz 47; vgl etwa die Zweckgleichwertigkeit beja-

hend: OGH 28. 7. 1998, 1 Ob 91/98h (Abschluss mit Tochtergesell- SCHW

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d) Wurzelmängel, Nichtausführung,nachträglicher Wegfall des Hauptvertrags

Aus § 7 Abs 1 MaklerG wird abgeleitet, dass sogWurzelmängel den Titel des Hauptvertrags beseiti-gen, dh, mangels eines rechtswirksam zustande ge-kommenen Hauptgeschäfts aufgrund eines imHauptvertrag selbst liegenden Mangels entsteht keinProvisionsanspruch.35) Gem § 7 Abs 2 Satz 1 Mak-lerG entfällt der Provisionsanspruch, wenn und so-weit feststeht, dass der Vertrag zwischen dem Drittenund dem Auftraggeber aus nicht vom Auftraggeber zuvertretenden Gründen nicht ausgeführt wird.36) DerAuftraggeber trägt in diesem Fall die Behauptungs-und Beweislast.37)

& Verbotsgesetz und SittenwidrigkeitBei Nichtigkeit des Hauptvertrags wegen Verstoßesgegen ein gesetzliches Verbot oder bei Sittenwidrig-keit entsteht mangels eines wirksam zustande gekom-menen Hauptgeschäfts kein Provisionsanspruch, je-denfalls dann nicht, wenn auch der Maklervertragvon der Verbotsnorm bzw Sittenwidrigkeit erfasstwird.38) Ist der Nichtigkeitsgrund nur im Hauptver-trag zu finden, soll – zur Vermeidung von Wertungs-widersprüchen – § 7 Abs 2 MaklerG Anwendung fin-den.39)

& RücktrittDie Rsp zu Auswirkungen eines Rücktritts auf denProvisionsanspruch ist nicht einheitlich.40) Richtiger-weise lässt sich eine Lösung auf die Frage, ob einRücktritt vom Hauptvertrag den Wegfall der Provisi-onspflicht rechtfertigt, durch Heranziehung derGrundsätze des Ausführungsprinzips gem § 7 Abs 2MaklerG finden. Wird ein (jederzeitiges) vertraglichesRücktrittsrecht vereinbart, so kann dies sowohl eineraufschiebenden als auch auflösenden Bedingunggleichkommen.41)

& Rücktritt des KonsumentenIst der Verbraucher nach § 30a KSchG zum Rück-tritt berechtigt, ein Makler eingeschritten und wirddie Rücktrittserklärung an diesen gerichtet, so giltder Rücktritt auch für einen im Zug der Vertragser-klärung geschlossenen Maklervertrag.42)

& AnfechtungWenn der Hauptvertrag wegen sog Wurzelmängelwirksam aufgelöst wird, zB insb durch Anfechtungwegen Irrtums, Zwang oder List, scheidet ein Provisi-onsanspruch grds aus.43) Liegt der Auflösungsgrundin einer Partei begründet, ist § 7 Abs 2 MaklerG aus-schlaggebend.44) Bloße Anfechtbarkeit soll grds nichtausreichend sein.45) Im Falle der Aufhebung desHauptvertrags durch Anfechtung wegen laesio enormiskommt § 7 Abs 2 MaklerG in Betracht, wenn derAuftraggeber verkürzt wird. Im Falle der Vertragsan-passung durch den verkürzenden Dritten bietet sicheine Zweckgleichwertigkeitsbetrachtung an.

& VertragsaufhebungIm Fall der Aufhebung des Hauptvertrags gilt grds,dass der bereits entstandene Provisionsanspruch nichtwieder entfällt.46) Es empfiehlt sich jedoch, differen-zierter auf den Auflösungsgrund die hierfür geltendenGrundsätze anzuwenden.47)

& LeistungsstörungenLeistungsstörungen (zB Gewährleistung) führen grdsnicht zum Ausbleiben des Hauptgeschäfts. Es findet –ohne gleichzeitige Wurzelmängel – § 7 Abs 2 Mak-lerG Anwendung.

C. Provisionsmäßigung, -teilung, -entfall

Bei den Titel des Hauptvertrags ex tunc beseitigendenWurzelmängeln, schwerwiegenden (Haupt-)Pflicht-verletzungen oder bei ausdrücklicher gesetzlicher Re-gelung entsteht grds kein Provisionsanspruch. Im Üb-rigen, dh bei zunächst wirksamem Hauptgeschäft,kommen Provisionsmäßigung, Provisionsteilung oderProvisionsentfall in Betracht.

1. Provisionsmäßigung

Neben Schadensersatz kann der Auftraggeber gem§ 3 Abs 4 MaklerG wegen Verletzung wesentlicherPflichten auch eine Provisionsmäßigung nach Maß-gabe der durch den Pflichtverstoß bedingten geringe-ren Verdienstlichkeit verlangen. Ein Schadenseintrittist für die Provisionsminderung nicht erforderlich.48)Von der Verletzung wesentlicher Pflichten ist dannauszugehen, wenn die verletzte Nebenpflicht nichtvon ganz untergeordneter Bedeutung ist.49) Das Aus-maß der Provisionsmäßigung ist vom Maß der Min-derung der Verdienstlichkeit abhängig, was im Ein-zelfall unter Berücksichtigung der dem Makler er-kennbaren Interessen des Auftraggebers zu bewertenist.50)

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schaft statt mit Auftraggeber selbst); 18. 5. 1998, 8 Ob 410/97w(Hauptvertragsabschluss zu günstigeren Konditionen).

35) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 79.36) Bei Leistungsverzug des Dritten hat der Auftraggeber nachzuweisen,

dass er alle zumutbaren Schritte unternommen hat, um den Drittenzur Leistung zu veranlassen (§ 7 Abs 2 Satz 2 MaklerG).

37) Vgl etwa OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04g.38) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 80.39) Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 81.40) Vgl etwa zum gerechtfertigten Rücktritt OGH 23. 3. 1999, 1 Ob 8/

99d (bei erst zu schaffender Eigentumswohnung bzw mangels Be-nutzbarkeit derselben); OGH 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02w (mangelsMöglichkeit des Verkäufers zur Lastenfreistellung); trotz Umstandsin der Sphäre des Auftraggebers vgl OGH 13. 7. 2006, 2 Ob 38/05k (bei Entfallen der bereits zugesagten Finanzierung entgegen derErwartung aller Beteiligten als nicht vom Auftraggeber zu vertretendenHinderungsgrund iSd § 7 Abs 2 MaklerG).

41) Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 101.42) § 30a Abs 2 Satz 2 KSchG.43) OGH 24. 3. 1998, 1 Ob 352/97 i; 1. 6. 1995, 6 Ob 570/95;

26. 9. 2001, 7 Ob 170/01b; 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02w.44) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 85 (anderer Ansicht etwa vgl

OGH 1. 6. 1995, 6 Ob 570/95; 18. 1. 1989, 1 Ob 509/89).45) OGH 3. 12. 1997, 7 Ob 272/97v ecolex 1998, 465 (Wilhelm); vgl

aber Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 88.46) Vgl OGH 24. 4. 2003, 2 Ob 296/01w.47) Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 92.48) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 53.49) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 58; OGH 28. 4. 1998, 1 Ob

372/97 f (keine Information über fehlende gewerbebehördliche Ge-nehmigungen); 17. 12. 2001, 4 Ob 242/01v (unrichtige bzw unvoll-ständige Angaben über den Zustand der Heizungsanlage).

50) OGH 23. 10. 1998, 10 Ob 335/98g; 12. 6. 2001, 4 Ob 135/01h;23. 4. 2002, 5 Ob 43/02p; 20. 3. 2007, 10 Ob 26/07g;24. 11. 2010, 9 Ob 14/10 i. Zu § 30b KSchG vgl Kolba in Koses-

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2. Provisionsteilung bei Maklermehrheit

Bei zwei oder mehreren Maklern des Auftraggebersschuldet der Auftraggeber die Provision nur ein-mal.51) Provisionsberechtigt ist der Makler, dessenVerdienstlichkeit an der Vermittlung eindeutig über-wogen hat.52) Die Provision ist nach Maßgabe derVerdienstlichkeit, im Zweifel zu gleichen Teilen, auf-zuteilen.53) Hat der Auftraggeber einem von mehre-ren beteiligten Maklern ohne grobe Fahrlässigkeitzu viel an Provision bezahlt, so ist er von seinerSchuld im Betrag der Überzahlung gegenüber sämtli-chen verdienstlichen Maklern befreit. Dadurch ver-kürzte Makler können von den anderen Maklernden Ausgleich verlangen.54)

3. Provisionsentfall

Neben den gesetzlich besonders geregelten Fällen desProvisionsentfalls (zB beim Eigengeschäft oder Unter-lassen des Hinweises auf ein sonstiges familiäres oderwirtschaftliches Naheverhältnis)55) kann die Nichtaus-führung bzw der nachträgliche Wegfall des Hauptver-trags zum Provisionsentfall aus nicht vom Auftragge-ber zu vertretenden Gründen führen.56) Die Gründeder Nichtausführbarkeit müssen wichtig, dh, die Aus-führung des Geschäfts muss objektiv unzumutbarsein.57) Dies wurde von der nicht immer einheitlichenRsp zB bei mangelnder Zahlungsfähigkeit des Käu-fers,58) Ausfall bisher leistungsfähiger Sublieferanten59)oder Vertragsauflösung wegen Verkäuferirrtums überden Liegenschaftswert aufgrund von Falschinforma-tion des Maklers60) bejaht, bei nicht rechtzeitiger Dar-lehens- bzw Krediterlangung des Auftraggebers,61)Veräußerung der Liegenschaft, auf die sich die gema-keltenMietverträge bezogen,62) oder einvernehmlicherVertragsauflösung (um einen noch gewinnträchtigerenVertrag abzuschließen)63) aber verneint.64)

Praxistipp

Das Ausmaß der Provisionsmäßigung hängt vomMaß der Minderung der Verdienstlichkeit durch

die Verletzung der wesentlichen Pflicht ab. Diesist im Einzelfall unter Berücksichtigung der demMakler erkennbaren Interessen des Auftraggeberszu beurteilen.

SCHLUSSSTRICH

Verdienstlichkeit bedeutet die Summe aller zwi-schen Makler und Auftraggeber vereinbartenPflichten. Bei schwerwiegenden (Haupt-)Pflicht-verletzungen oder sog Wurzelmängeln entstehtkein Provisionsanspruch. Die Verletzung wesentli-cher Pflichten führt zur Provisionsmäßigung imAusmaß der durch den Umfang der Pflichtverlet-zungen geschmälerten Verdienstlichkeit, in Ex-tremfällen zum Provisionsentfall. Letzteres kannauch bei Nichtausführung bzw nachträglichemWegfall des Hauptvertrags gelten.

Immobilienmakler imInteressenkonflikt Immobilienmakler werden in der Praxis

zumeist als Doppelmakler tätig undstehen zudem oft einer Seite näher als der anderen. Der Beitrag stellt dieses Spannungsfeldsystematisch dar und beleuchtet die geltende Gesetzeslage und Lehre und Rechtsprechungkritisch.

CLEMENS LIMBERG

A. Immobilienmakler in der Praxis

In den allermeisten Fällen wird ein Immobilienmak-ler von dem Vermieter oder Verkäufer beauftragt, ei-nen Mieter oder Käufer zu suchen, tritt in Folge mitpotenziellen Mietern oder Käufern auch direkt inKontakt und wird so als Doppelmakler tätig.1) Nur

ausnahmsweise beauftragen Abgeber und Abnehmerjeweils einen eigenen Makler; solche „Ameta-Ge-

IMMOBILIENMAKLER

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nik-Wehrle, Kurzkomm KSchG § 30b Rz 27 a. Zu Besonderheitenbeim Versicherungsmakler vgl Noss, MaklerR3 Rz 88; OGH16. 5. 2002, 6 Ob 86/02v.

51) § 6 Abs 5 Satz 1 MaklerG (Ausnahme: Alleinvermittlungsauftrag, vglUmkehrschluss aus § 15 Abs 2 Z 2 MaklerG); OGH 21. 5. 2003,9 Ob 47/03g; vgl Noss, MaklerR3 Rz 69.

52) § 6 Abs 5 Satz 2 MaklerG; vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7Rz 129 ff.

53) § 6 Abs 5 Satz 2 und 3 MaklerG; vgl etwa OGH 18. 11. 1999, 2 Ob308/98b; 21. 5. 2003, 9 Ob 47/03g.

54) § 6 Abs 5 Satz 4 und 5 MaklerG.55) Vgl § 6 Abs 4 MaklerG; § 30b iVm § 31 Abs 2 KSchG.56) § 7 Abs 2 MaklerG. Die Gründe dürfen also weder durch den Auf-

traggeber verschuldet sein, noch in seine Sphäre fallen (vgl Fromherz,MaklerG-Komm § 7 Rz 112).

57) Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 116; vgl auch SZ 43/111; OGH19. 6. 1991, 9 Ob 706/91; SZ 6/276; OGH 14. 10. 1993, 8 Ob620/93.

58) SZ 66/85.59) SZ 5/140.60) OGH 2. 9. 2009, 7 Ob 157/09b immolex 2010, 79.61) MietSlg 26.421; OGH 2. 9. 2003, 1 Ob 304/02 s.62) MietSlg 32.595.63) MietSlg 37.703.64) Weitere Beispiele bei Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 122 f.

MMag. Dr. Clemens Limberg, LL.M., ist Rechtsanwaltsanwärter.1) Zur Tätigkeit als Doppelmakler s ausführlich Kriegner, Der Immobi-

lienmakler (2007) 123 ff und 155 ff; Ostermayer/Schuster, Maklerrecht(1996) 44 ff; Noss, Maklerrecht3 (2008) 4 ff jeweils mwN.

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schäfte“ oder „Meta-Geschäfte“2) sind nach der jüngs-ten Novelle zur Immobilienmakler-Verordnung3)(wirtschaftlich gesehen) überhaupt nur noch beihochpreisigen Mietobjekten oder bei Kaufobjektenmöglich.

Als Doppelmakler hat der Immobilienmaklergrundsätzlich die Interessen beider Seiten zu wahren,einen „neutralen Standpunkt“ einzunehmen undbeide Seiten gleich zu behandeln.4) Dies ist in der Pra-xis natürlich nicht immer leicht und wird auch da-durch erschwert, dass der Immobilienmakler (va beiMietobjekten im privaten Bereich) oft nur durchden Mieter bezahlt wird, obwohl er zunächst vomVermieter beauftragt wurde und von diesem insofernauch abhängig ist.

Der Gesetzgeber war bei der Einführung des Mak-lergesetzes ua auch bestrebt, eine solche Ungleichbe-handlung hintanzuhalten,5) hat dabei aber – wie nochzu zeigen sein wird – zum Teil über das Ziel hinaus-geschossen.

Im Folgenden werden die jeweiligen Kategorienan Interessenkonflikten, beginnend bei der Situationmit dem geringsten (möglichen) Interessenkonflikt,systematisch abgehandelt.

B. Doppelmakler

Der soeben geschilderte Geschäftsgebrauch, nämlichdass Immobilienmakler zumeist als Doppelmakler tä-tig sind, hat insofern in das Gesetz Einzug gefunden,als § 17 MaklerG bestimmt: „Wird der Immobilien-makler auftragsgemäß nur für eine Partei des zu ver-mittelnden Geschäfts tätig, so hat er dies dem Drittenmitzuteilen.“6) Die allgemeine Regelung des § 5MaklerG7) wird damit genau in das Gegenteil ver-kehrt. E contrario könnte man aus § 17 MaklerG ab-leiten, dass den Immobilienmakler, der dem Ge-schäftsgebrauch folgend als Doppelmakler tätig ist,keine besondere Informationspflicht trifft.

Dies steht aber § 30b KSchG entgegen, der fürden Fall, dass der Auftraggeber ein Verbraucher ist,eine entsprechende Hinweispflicht normiert.8) Zu-sammengefasst besteht daher für Immobilienmaklergrundsätzlich die Pflicht, darüber aufzuklären, wennkeine Doppeltätigkeit vorliegt, gegenüber Verbrau-chern aber auch eine zusätzliche Hinweispflicht,wenn eine solche besteht; der Verbraucher muss alsojedenfalls informiert werden.

Nun ist diese Informationspflicht zwar nur eine„kleine“ Nebenpflicht, ein Verstoß dagegen kannaber empfindliche Folgen für den Makler haben (Pro-visionsmäßigung nach § 3 Abs 4 MaklerG).9) Diesgilt, obwohl der Informationsgehalt der Hinweis-pflicht vernachlässigbar ist; denn den Kunden der Im-mobilienmakler ist es – wie man vernimmt – mittler-weile geradezu selbstverständlich bewusst, dass Im-mobilienmakler als Doppelmakler tätig werden10)und der entsprechende Hinweis in der überreichtenÜbersicht verwirrt daher mehr, als er erklärt.

Ein Entfall der Hinweispflicht auf die Doppeltä-tigkeit (§ 30b KSchG) würde also den Verbrauchernnicht schaden, aber den mit Informationspflichtenmittlerweile ohnehin stark belasteten Immobilien-maklern11) das Leben etwas erleichtern, weshalb ein

solcher Entfall mE de lege ferenda zu begrüßenwäre.12)

In diesem Zusammenhang ist nochmals zu beto-nen, dass den Immobilienmakler als Doppelmaklereine Pflicht zur Objektivität und Gleichbehandlungbeider Seiten trifft. Daher ist allein der Umstand,als Doppelmakler tätig zu sein, noch für keinen derAuftraggeber benachteiligend und hinsichtlich einermöglichen Interessenkollision auch nicht besondersgefährlich. (Anderes gilt natürlich dann, wenn einerder Auftraggeber den Immobilienmakler regelmäßigbeauftragt und der Makler diesem daher „nähersteht“, dazu aber unten D.)

Eine Doppeltätigkeit iSd MaklerG ist übrigensnicht davon abhängig, dass auch beide Auftraggebereine Provision zahlen, und liegt auch nicht nur dannvor, wenn der Immobilienmakler von beiden Seiten(ausdrücklich) beauftragt wurde, sondern wird gem§ 5 MaklerG auch dann angenommen, wenn der Im-mobilienmakler bloß eine Belohnung annimmt.13)ME müsste Doppeltätigkeit überhaupt immer dannangenommen werden, wenn der Immobilienmakler– aus welchen Gründen auch immer – bewusst im In-teresse beider Seiten tätig wird (unabhängig von derEntlohnung im konkreten Geschäft), also zB auchdann, wenn sich der Makler von der nicht-bezahlen-den Seite nur in Zukunft Aufträge erwartet und derenInteressen daher auch vertritt. Denn das entscheidendeKriterium bei der Beurteilung einer Doppeltätigkeit istwohl der (mögliche) Interessenkonflikt und nicht dierechtliche oder wirtschaftliche Ebene darunter.

C. Hausverwalter

Ist der Immobilienmakler einer Mietwohnung gleich-zeitig auch der Hausverwalter der entsprechendenLiegenschaft, so darf er vom Vermieter grundsätzlichnur zwei Bruttomonatsmieten Provision verlangen

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2) Zu diesem Begriff s etwa Noss, Maklerrecht3 (2008) Rz 68, 70.3) V des BMWA über Standes- und Ausübungsregeln für Immobilien-

makler, BGBl 1996/297 idF BGBl 2010/268 (im Folgenden IMV).4) Vgl 6 Ob 227/99x und Noss, Maklerrecht3 6 f; ausführlich Kriegner,

Immobilienmakler 128 ff.5) Vgl ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 16 ff; Fromherz, Kommentar zum

Maklergesetz § 3 Rz 30 ff.6) Zum Geschäftsgebrauch und dessen Entwicklung s Fromherz, Mak-

lerG § 5 Rz 8 f und § 17 Rz 1 ff.7) § 5 Abs 1 MaklerG lautet: „Der Makler darf ohne ausdrückliche Ein-

willigung des Auftraggebers nicht zugleich für den Dritten tätig wer-den (. . .) wenn nicht für den betreffenden Geschäftszweig ein abwei-chender Gebrauch besteht“ und Abs 3 konkretisiert: „Sobald der Mak-ler als Doppelmakler tätig wird, hat er dies beiden Auftraggebern mit-zuteilen.“

8) Weiterführend Fromherz, MaklerG § 30b KSchG Rz 1 ff.9) Dazu weiterführend jüngst Kriegner, Immobilienmakler 223 ff mwN.

10) In diese Richtung auch schon ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 17, 26, 39und 18, die zu § 5 sinngemäß ausführen, dass bei Immobilienmaklern„der Auftraggeber aber ohnehin“ mit einer Doppelmaklertätigkeit„rechnen“ werde.

11) Vgl auch Ch. Kothbauer, Zur Haftung des Immobilienmaklers, immo-lex 2007, 352.

12) Anders Fromherz, MaklerG § 5 Rz 28 und § 17 Rz 7, der den Wider-spruch durch Entfall des § 17 MaklerG lösen möchte; auch diesersieht aber anscheinend Handlungsbedarf. Kritisch zur geltendenRechtslage auch Wilhelm, Ein neues Maklerrecht, ecolex 1995, 389.

13) Dazu weiterführend Fromherz, MaklerG § 5 Rz 2 ff (Rz 3) mwN.

IMMOBILIENMAKLER

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und vomMieter nur die Hälfte der sonst höchstzuläs-sigen Provision, also im Normalfall eine Monatsmiete(§ 21 IMV).

Der Hintergrund dieser Regelung ist unklar:14) Ei-nerseits könnte man argumentieren, dass der Haus-verwalter bei der Vermittlung einer von ihm verwalte-ten Wohnung ja auch seine Pflicht als Hausverwaltererfüllt und daher weniger verdienstlich ist, anderer-seits wird der Hausverwalter für die Vermittlungstä-tigkeit ja nicht (zusätzlich) bezahlt und ist mE daherfraglich, ob das Verwaltungsentgelt tatsächlich aucheine Vermittlungstätigkeit abdecken soll. Hinzukommen zwei weitere Argumente, die gegen einensolchen Telos des § 21 IMV sprechen: Erstens sinddurch diese Bestimmung sowohl die Vermieter- alsauch die Mieterprovision herabgesetzt, obwohl derHausverwalter ja nur von einer Seite (zumeist derMieterseite)15) bezahlt wird; zweitens gilt die Herab-setzung gem § 21 Abs 3 IMV ausnahmsweise dannnicht, wenn an dem Haus Wohnungseigentum be-gründet wurde und der Vermieter nicht auch Mehr-heitseigentümer der Liegenschaft ist. Diese Aus-nahme zeigt deutlich, dass die Motivation des Gesetz-gebers bei der Herabsetzung der Provision eines Miet-wohnungen vermittelnden Hausverwalters nicht vonder angeblich geringeren Verdienstlichkeit (Arbeitser-sparnis, Doppelfunktion) desselben herrührt, sonderneher von der (abstrakten) Gefahr der einseitigen Inte-ressenvertretung, die eben bei einem Liegenschafts-Mehrheitseigentümer als Auftraggeber höher ist alsbei einem bloß einfachen Wohnungseigentümer.16)

Die als Rechtsfolge verordnete Provisionskürzungin einem solchen Fall ist aber, gemessen an den übri-gen Sanktionen im Maklerrecht, systemwidrig. So istein Provisionsentfall ja nur bei dem (mit der Vermitt-lung durch einen Hausverwalter aber nicht vergleich-baren) Eigengeschäft vorgesehen (dazu unten E.),während ein Naheverhältnis, selbst wenn es noch soeng ist, bei entsprechender Aufklärung keine Provisi-onskürzung bewirkt. Umso weniger dürfte die Provi-sionskürzung daher bei der Vermittlung durch denHausverwalter angeordnet sein. Es ist kein Grund er-sichtlich, den Hausverwalter anders zu behandeln alsandere mit dem Liegenschaftseigentümer im Nahe-verhältnis stehende Personen.

Angesichts dieses systemwidrigen Hintergrundsdes § 21 IMV ist mE eine enge und streng wörtlicheAnwendung dieser Bestimmung geboten, sodass dieProvisionskürzung nur dann zur Anwendung kommt,wenn der Hausverwalter (selbst) vermittelt, nicht aberwenn etwa eine Tochter-, Mutter-, Schwester- odersonstige Gesellschaft im Konzern als Vermittlerin tä-tig wird.17)

De lege ferenda sollte überhaupt überlegt werden,die Sonderregelung für die Vermittlung durch Haus-verwalter aufzugeben und diese Konstellation als Un-terfall der Vermittlung im (wirtschaftlichen) Nahe-verhältnis zu betrachten. Der Hausverwalter könntedann ebenso wie übrige Makler die Provision in nor-maler Höhe kassieren und müsste nur auf sein Nahe-verhältnis hinweisen. (Große Hausverwaltungen ha-ben das bisher ohnehin schon über ein Tochterunter-nehmen so gespielt; die gesetzliche Regelung ist daherpraktisch weitgehend ausgehöhlt.)

D. Naheverhältnis

Ein praktisch besonders bedeutsames Kapitel ist jenesder Immobilienvermittlung mit wirtschaftlichemoder familiärem Naheverhältnis zu einer Seite. DerImmobilienmakler kann in diesen Fällen zwar grund-sätzlich die gleiche Provision wie sonst verlangen, ermuss den Dritten aber über dieses Naheverhältnis un-verzüglich aufklären, widrigenfalls er gem § 6 Abs 4MaklerG seinen Provisionsanspruch verliert. Gegen-über Verbrauchern muss dieser Hinweis zudemschriftlich in der zu überreichenden Übersicht erfol-gen (§ 30b KSchG).

Als wirtschaftliches Naheverhältnis wird va jedeArt der wechselseitigen Beteiligung oder ständigenBetrauung oder Zusammenarbeit angesehen;18) fami-liär liegt ein solches Naheverhältnis unstrittig bei (ge-schiedenen) Ehegatten und Verwandten in geraderLinie vor.19)

Im Vergleich zu den übrigen Abstufungen der(möglichen) Interessenkollision (hier B. bis E.) fälltbei der Vermittlung „mit Naheverhältnis“ auf, dassGesetzgeber und Praxis verhältnismäßig nachsichtigsind. Vielleicht wird diese Konstellation als „Zwi-schenstufe“ unterschätzt, praktisch gesehen ist sieaber die gefährlichste für den Dritten. Denn währenddas (bloße) Doppelgeschäft kein besonderes Interes-senkonflikt-Potenzial birgt (ein Makler ist bis zu ei-nem gewissen Grad immer im Interesse beider Seitenaktiv, will er doch ein Geschäft zwischen diesen ver-mitteln) und dieses beim Eigengeschäft ohnehin evi-dent ist, ist der (mögliche) Interessenkonflikt beimVermittlungsgeschäft mit Naheverhältnis mitunterversteckt, für den Dritten nicht erkennbar und daherbesonders heimtückisch.

Um derartige Interessenkollisionen zu entschär-fen, wäre es in Ergänzung zu der strengen Sanktion(Verlust des Provisionsanspruchs bei Nicht-Aufklä-rung) mE geboten, das wirtschaftliche oder familiäreNaheverhältnis weit zu verstehen. So könnte mandas familiäre Naheverhältnis etwa an § 4 AnfO („naheAngehörige“) anlehnen und Verwandte oder Ver-schwägerte in direkter Linie oder bis zum viertenGrad der Seitenlinie einbeziehen.20) Die vom OGHbereits angewandte Einzelfall-Betrachtung21) kannfreilich dennoch nicht ersetzt werden, weil die Gestal-tungsmöglichkeiten in der Praxis so vielfältig sind,

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14) Und wird auch in der einschlägigen Literatur nicht dargestellt (vglFromherz,MaklerG § 21 IMV Rz 1 bis 6; Noss,Maklerrecht3 73); De-gelsberger, Das neue Maklergesetz, wobl 1996, 195, erwähnt diesbe-züglich, aber ohne weitere Begründung eine „mangelnde“ Verdienst-lichkeit des makelnden Hausverwalters (FN 37).

15) Vgl § 22 iVm § 15a Abs 3 Z 1 MRG.16) Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Bestellung

bzw Abberufung eines Hausverwalters grundsätzlich mit einfacherMehrheit erfolgt, vgl § 836 ABGB, Koziol/Welser I13 299.

17) Diese Auffassung deckt sich auch mit der gängigen Praxis, ohne dass esallerdings bisher in der Judikatur oder Literatur eine Stellungnahmedazu gibt.

18) RIS-Justiz RS0114079; s auch weiterführend mit Auflistung der Judi-katur Noss, Maklerrecht3 47 ff; Kriegner, Immobilienmakler 117 f.

19) OGH 1 Ob 201/07 a; Noss, Maklerrecht3 47 ff (48).20) Ebenso erfasst wären dann Wahl- oder Pflegekinder sowie Lebensge-

fährten (§ 4 AnfO).21) StRSp RIS-Justiz RS0114078.

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dass sie gesetzlich nicht klar abgegrenzt werden kön-nen.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dassden Makler auch im Falle einer Nahebeziehung zu ei-ner Seite selbstverständlich eine Gleichbehandlungs-und Objektivitätspflicht trifft.22) Eine strenge Pflichtzur Aufklärung über ein solches Naheverhältnis istaber in der Praxis dennoch bedeutsam, weil der Drittedann zumindest weiß, dass ein Gefahrenpotenzial be-steht, er dieses kalkulieren kann und bereits das Wis-sen darüber den Immobilienmakler unter genauereBeobachtung stellt und damit wohl (erst recht) zurObjektivität drängt.

E. Eigengeschäft

Die größtmögliche Verbindung zwischen einer Seiteund dem Makler (und damit das größte Interessen-konflikt-Potenzial) ist beim Eigengeschäft gegeben,also dann wenn der Immobilienmakler selbst Ver-tragspartei des vermittelten Geschäfts wird. In einemsolchen Fall gebührt dem Immobilienmakler nachgeltendem Recht gar kein Provisionsanspruch, weiler nach Ansicht des Gesetzgebers keine Vermittlungs-tätigkeit erbracht hat.23)

Der Gesetzgeber will Umgehungen verhindern undhat den Provisionsentfall auch für das „Eigengeschäftim weiteren Sinn“ vorgesehen und in § 6 Abs 4 Mak-lerG normiert: „Dies gilt auch, wenn das mit demDrit-ten geschlossene Geschäft wirtschaftlich einem Ab-schluss durch den Makler selbst gleichkommt.“

Die Judikatur zum Vorliegen eines Eigengeschäftsist mitunter sehr kasuistisch und widersprüchlich. Sowurde etwa sogar dann ein (die Provision ausschlie-ßendes) Eigengeschäft festgestellt, wenn der Vermie-ter 60% der GmbH-Anteile der vermittelnden Ge-sellschaft hielt24) oder bloß die Familie des VermietersEigentümer der Makler-Gesellschaft war.25)

ME ist schon die grundsätzliche Regelung desProvisionsentfalls beim Eigengeschäft überdenkens-wert; auch in anderen Rechtsgebieten werden Profes-sionisten entlohnt, wenn sie „in eigener Sache“ tätigwerden. So kann bspw ein Rechtsanwalt auch in eige-ner Sache Kosten nach Tarif verzeichnen oder kannder Mechaniker, der seinen Blechschaden selbst repa-riert hat, die Kosten der Reparatur einfordern.26)Auch dem (ver)mietenden oder (ver)kaufenden Im-mobilienmakler stünde es frei, einen anderen Immo-bilienmakler zu beauftragen und würde in diesem Fallunstrittig Provision für den Dritten anfallen. Ist nun(wie auch in den erwähnten Beispielen) die Leistungbei der Eigenerbringung qualitativ (zumindest)ebenso hochstehend und professionell wie eineFremdleistung, so ist es mE nicht gerechtfertigt, denProvisionsanspruch gänzlich auszuschließen.

Ohne auf die oben skizzierte Rsp27) näher einzu-gehen, geht diese mE am Ziel vorbei. Zu bedenkenist, dass von der Qualifikation als Eigengeschäft dasEntstehen des Provisionsanspruchs abhängt. DerMakler kann – anders als etwa beim Naheverhältnis– den Provisionsanspruch auch nicht durch Aufklä-rung oder dergleichen retten. Die Beurteilung als Ei-gengeschäft ist daher mE eher als ultimo ratio zu se-hen und grundsätzlich zurückhaltend anzuwenden.

Unabhängig von dieser grundsätzlichen Einstel-lung kann aber auch das in der Rsp anzutreffendeEntscheidungskriterium der „Beherrschbarkeit“ bzw„konzernmäßigen Verflechtung“28) nicht ausschlagge-bend sein. Denn geht es tatsächlich darum, jene Um-gehungsversuche hintanzuhalten, die „wirtschaftlicheinem Abschluss durch den Makler selbst“29) gleich-kommen, so dürfte ein Eigengeschäft iwS nur dannvorliegen, wenn der Makler (direkt oder indirekt)an einer Vertragspartei zu – nahezu – 100% beteiligtist bzw zu – nahezu – 100% von dem Geschäftsab-schluss profitiert.

Die derzeit vorherrschende Praxis, Eigengeschäfte(iwS) schon dann anzunehmen wenn der Makler(oder gar dessen Familie) zu 50% oder mehr an einerVertragspartei beteiligt ist (oder umgekehrt), über-sieht, dass der Makler in solchen Fällen zwar auchin seinem eigenen Interesse tätig wird, aber nur in un-tergeordnetem Ausmaß (so fallen zB bei 50%-Beteili-gung des Maklers an einer von zwei Vertragsparteienbloß 25% der Gesamtinteressen auf diesen).

Zu kritisieren an dieser hA sind also insb zweiPunkte: Erstens ist mE ganz deutlich zwischen Ge-schäften mit dem Makler nahestehenden Personen(Familie) und Eigengeschäften des Maklers zu unter-scheiden. Warum auch nicht? Makler und Familien-angehörige sind unterschiedliche Rechtspersonen undes muss bezweifelt werden, dass diese generell als wirt-schaftliche Einheit gesehen werden können. Auch inanderen Rechtsbereichen gibt es kein „kollektives Fa-milienvermögen“.30) Selbstverständlich wird aber indiesen Konstellationen ein Naheverhältnis vorliegen,auf das der Makler hinweisen muss, widrigenfalls erseinen Provisionsanspruch verliert.

Zweitens kann mE ein „kontrollierender“ Einfluss(„konzernmäßige Verflechtung“)31) für die Qualifika-tion als Eigengeschäft nicht entscheidend sein; eskommt ja nicht auf die Mehrheitsverhältnisse bzwauf die Entscheidungsgewalt beim Auftraggeber an,sondern einzig auf die wirtschaftliche Komponente.

Deutlich wird das an folgendem Extrembeispiel:Der Makler ist an der vermietenden Gesellschaft zwarnur zu 1% beteiligt, hat aber die Mehrheit derStimmrechte an dieser. Nach § 244 Abs 2 Z 1UGB wäre eine konzernmäßige Verflechtung gege-ben, ein Eigengeschäft scheidet aber mE dennoch

22) Für viele Noss, Maklerrecht3 47 f.23) ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20; Noss (Maklerrecht3 47 ff) spricht in

diesem Zusammenhang von keiner „verdienstvollen, den Vertragsab-schluss fördernden Vermittlungstätigkeit“.

24) LGZ Graz 4. 12. 1996, 7 R 89/96 a, dazu weiterführend Noss, Mak-lerrecht3 46 ff; Kriegner, Immobilienmakler 116 f.

25) OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob 2177/96 z; 5 Ob 2024/96 z.26) Für viele Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1323 Rz 11 mwN.27) LGZ Graz 4. 12. 1996, 7 R 89/96 a; OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob

2177/96 z; 5 Ob 2024/96 z; zu weiterer Judikatur s etwaNoss,Makler-recht3 46 ff; Kriegner, Immobilienmakler 116 f.

28) RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien (ErläutRV2 BlgNR 20. GP 20).

29) § 6 Abs 4 MaklerG, vgl dazu Noss, Maklerrecht3 45 ff.30) Abzulehnen daher OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob 2177/96 z; 5 Ob

2024/96 z sofern darin zwischen Vermögensverhältnissen des Maklersund dessen Familie nicht unterschieden wird.

31) So aber RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien(ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20).

IMMOBILIENMAKLER

290 ecolex 2011

SCHW

ERPUNKT

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aus, weil der Makler nur zu 1% (und damit ganz un-tergeordnet) von der Vermietung profitiert. Es liegt indiesem Beispiel bloß ein Naheverhältnis vor.

Zu bedenken ist auch, dass es in den jeweiligenKonstellationen keinen Fall geben soll, in dem einan der Maklergesellschaft Beteiligter auf keiner Seite(weder als Makler noch als Vertragspartner des ver-mittelten Geschäfts) profitiert. Genau das kann aberpassieren, wenn man für ein Eigengeschäft schon eine50%-Beteiligung genügen lässt; so würde der zu 50%an der Maklergesellschaft, nicht aber an der Vertrags-partei Beteiligte seinen Provisionsanspruch (aufgrundder Qualifikation als Eigengeschäft) verlieren, zu-gleich aber (mangels Beteiligung) auch nicht am ver-mittelten Geschäft partizipieren. Ein solcher Zweckkann dem Gesetz nicht unterstellt werden.

Bei der Beurteilung, ob ein Eigengeschäft vorliegt,kann es also nicht entscheidend sein, ob eine „kon-zernmäßige Verflechtung“ gegeben ist, sondern mussmE einzig darauf abgestellt werden, ob der Maklerwirtschaftlich gesehen derart in eigenem Interesse han-delt, dass eine zusätzliche Vergütung in Form einerProvision nicht angemessen erscheint. Diese An-nahme ist mE aber nur dann gerechtfertigt, wenndie (wirtschaftliche) Grenze zwischen Vertragsparteiund Immobilienmakler verwischt, wovon bei einerbloß 50%-Beteiligung keinesfalls ausgegangen wer-den kann. Die Vertragspartei und der Immobilien-makler müssen daher mE wirtschaftlich gesehen (na-hezu) ident sein, damit ein Eigengeschäft angenom-men werden kann.

De lege ferenda ist der Provisionsentfall beim Ei-gengeschäft überhaupt zu überdenken; möglich wäre

ja etwa auch eine Provisionshalbierung, wie sie derzeitfür Hausverwalter vorgesehen ist (§ 21 IMV). Damitwürden vom Eigengeschäft immer noch beide Seitenprofitieren (gegenüber anderen Geschäften verrin-gerte Provision für den Nicht-Makler; immerhinnoch eine Provision für den Makler).

SCHLUSSSTRICH

Die Thematik „Immobilienmakler im Interessen-konflikt“ ist ein spannender Rechtsbereich undwirft bei näherer Betrachtung einige Fragen undKritik an der geltenden Rechtslage auf. Insbeson-dere ist der Entfall des § 21 IMV (Herabsetzungder Provision bei vermittelndem Hausverwalter)überlegens- und dessen enge Auslegung empfehlens-wert. Strenger angewandt werden sollten hingegendie Regelungen über Vermittlung mit Nahever-hältnis. Auch bei der Regelung des Eigengeschäftsim weiteren Sinn (§ 6 Abs 4 MaklerG) ist diehA und Rsp 32) zu weit und unpräzise. Richtiger-weise kann ein Eigengeschäft nur dann angenom-men werden, wenn der Makler mit einer Vertrags-seite (wirtschaftlich gesehen) nahezu ident ist; diebloße „konzernmäßige Verflechtung“ 33) ist nichtausreichend.

32) Zu dieser weiterführend mit Auflistung Noss, Maklerrecht3 46 ff;Kriegner, Immobilienmakler 116 f.

33) So aber RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien(ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20).

Immobilienmaklerverordnung – erste Erfahrungenmit der Novelle 2010

PETER MADL

In einem Überraschungscoup hat der Wirtschaftmi-nister per 1. 9. 2010 die seit vielen Jahren unveränder-ten Höchstgrenzen der Provisionen, die Immobilien-makler für die Vermittlung von Wohnungsmiet-verträgen verlangen dürfen, um ca ein Drittel ge-senkt.1) Ziel war damals, die Wohnungsmieter zuentlasten und ihnen damit etwas Gutes zu tun. Die Er-wartung des Ministers war, dass die Vermieter bereitsein werden, für die Leistung des Maklers zu zahlen.

Nach einem halben Jahr hat sich gezeigt, dass dieMakler sehr unterschiedlich auf diese Änderung rea-giert haben:

Wie in jeder Branche gibt es auch bei den Maklernschwarze Schafe, die bei der Vermittlung von Woh-nungen weiterhin drei Bruttomonatsmieten verlangen,aber nur über zwei eine Rechnung ausstellen – alsokeine Änderung für die Kunden und eine Schlechter-stellung des Staates, der Steuereinnahmen verliert.

Der Großteil der gesetzestreuen Makler (meistkleinere Büros) hat den Ausfall eines Drittels der Ein-nahmen durch eine Reduktion der Leistung kompen-

siert, weil die Vermieter nicht bereit sind, Provisionenan die Makler zu zahlen. Der Wettbewerb unter denMaklern ist derart groß, dass Vermieter immer nochausreichend Makler finden, die von ihnen keine Provi-sion verlangen – und dieses Angebot nehmen sie auchan. Die in anderen Ländern überwiegende Praxis, dasssich der Vermieter die Makler nach deren Leistungaussucht und dafür selbstverständlich bezahlt, hat sichin Österreich bisher nicht etabliert. Es ist jedoch zuhoffen, dass sich auch auf diesem Markt ein Qualitäts-wettbewerb durchsetzt und die Vermieter erkennen,dass ein sorgfältig ausgewählter Mieter wichtiger istals die Einsparung von Maklerkosten zu Beginn. Alsoauch hier ein schlechtes Bild: Es wird zwar billiger,aber die Qualität sinkt.

Insbesondere unter den größeren Maklern gibt eseinige, die sich aus dem Bereich der Vermittlung

ecolex 2011 291

IMMOBILIENMAKLER

Mag. Dr. Peter Madl ist Partner der Schönherr Rechtsanwälte GmbH.1) Zu den Höchstgrenzen im Detail s Rainer, immolex 2010, 229 (Edi-

torial).

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IMMOBILIENMAKLER

292 ecolex 2011

von Wohnungsmietverträgen zurückgezogen haben,weil sie nicht mehr genug verdienen können. DerMarkt ist hier also kleiner geworden – und zwar beiden Marktführern.

Insgesamt zeigt sich, dass der Wohnungssuchendedurch die Novelle schlechter gestellt ist – entwederwird er gezwungen, schwarz zu zahlen, oder er erhältschlechtere Betreuung. Für weniger Geld wird sichkein Makler mehr an Kollegen wenden, um das An-gebot für einen Wohnungssuchenden zu vergrößernund ihm eine seinen Vorstellungen entsprechendeWohnung anbieten zu können – müsste er dochdie reduzierte Provision auch noch mit einem zwei-ten Makler teilen. Selbst wenn der Kunde bereitist, für die von ihm nachgefragte Leistung mehr zubezahlen, wird er von den gesetzestreuen Maklern ab-gelehnt.

Außer dem Gefühl, dass denMaklern etwas wegge-nommen wurde, hat die Novelle also wenig gebracht.

Lediglich die Aufschlüsselung der Gesamtmiete inMiete, Betriebskosten und USt wird durchgeführtund bringt dem Konsumenten mehr brauchbare Infor-mation in den Inseraten – allerdings gilt diese Vor-schrift nicht für Personen, die selbst als Eigentümer in-serieren.

Insbesondere im gehobenen Bereich sind Höchst-grenzen nicht gerechtfertigt, weil sie den Interessen ei-nes wirtschaftlich erfahrenen Kunden, der eine guteLeistung zu einem fairen Preis möchte, widersprechen.Der Verordnungsgeber könnte daher überlegen, ob ernicht nur die in einer typischen Zwangslage befindli-chen Nachfrager von Basiswohnungen schützen unddafür sowohl bei allen anderen Wohnungen als auchbei Geschäftsräumlichkeiten die Obergrenzen aufhe-ben sollte. Nach einer Schockstarre über den Wintergibt es jetzt auch bei den Maklern wieder Ansätze indiese Richtung, die der Minister zu einer ausgewoge-nen Neuregelung nutzen kann.

FLEGISLATIVE – ÖSTERREICH

INGRID MOSER

AußenhandelsgesetzRV 1073 BlgNR

F Die RV dient im Wesentlichen der Implementie-rung der EU-RL betreffend die innergemeinschaftli-che Verbringung von Verteidigungsgütern. Das bis-herige österreichische System von Meldepflichtenmit Untersagungsrecht wird durch ein System ausAllgemein-, Global- und Einzelgenehmigungen imVerkehr mit Verteidigungsgütern innerhalb der EUersetzt. Die neue Dual-Use-Verordnung wiederummacht neben begrifflichen Anpassungen neue Rege-lungen über die Vermittlung von Gütern mit dop-peltem Verwendungszweck zwischen Drittstaaten so-wie die Einführung neuer nationaler Kontrollen derDurchfuhr von Dual-Use-Gütern notwendig.

TelekommunikationsgesetzRV 1074 BlgNR

F Der Entwurf sieht nun die Rechtsgrundlage für dieVorratsspeicherung von Daten im Handy- und E-Mail-Verkehr vor. Nach den ErläutRV sollen überdie schon bisher für Telekommunikationsbetreiberbestehende Berechtigung zur Speicherung und Verar-beitung von Daten für betriebsnotwendige-, insb fürVerrechnungszwecke hinaus bestimmte, näher um-schriebene Daten (insb IP-Adressen) ab dem Zeit-punkt der Erzeugung oder Verarbeitung bis sechsMonate nach Beendigung der Kommunikation ge-speichert werden können (vorgeschlagener § 102aTKG). Der Begriff „Vorratsdaten“ stellt keine neueKategorie im Sinne von Verkehrsdaten, Standortda-ten, Inhaltsdaten oder Stammdaten dar, sondern stelltvielmehr auf den Zweck ab, für den die Daten vonden Telekommunikationsanbietern gesammelt wer-

den müssen. – Netzbetreiber und Anbieter vonDiensten werden weiters verpflichtet, die Vorratsda-ten nach Ablauf der Frist wieder zu löschen. – Zudembegründet die RV die Verpflichtung der Betreiberund Anbieter zur Auskunftserteilung an die Strafver-folgungsbehörden, wobei klargestellt werden soll, dassdie gespeicherten Daten ausschließlich aufgrund einergerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwalt-schaft zur Verfolgung von vorsätzlich begangenenStraftaten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als einemJahr bedroht sind, übermittelt werden dürfen. – Lautden ErläutRV sollen die mit der Vorratsdatenspeiche-rung verbundenen Grundrechtseingriffe so gering wiemöglich ausfallen. Die Sicherheit der Daten soll best-möglich gewährleistet und den datenschutzrechtli-chen Informationspflichten soll nachgekommen wer-den. Auch stünden den Betroffenen alle notwendigenRechtsmittel zur Verfolgung der datenschutzrechtli-chen und grundrechtlichen Interessen offen, darüberhinausgehende unabhängige datenschutzrechtlicheKontrollen seien vorgesehen. –Nähere Ausführungenzu den europarechtlichen Grundlagen enthalten dieErläutRV.

GaswirtschaftsgesetzRV 1081 BlgNR

F Mit der RV soll das 3. Energie-Binnenmarktpaketder Europäischen Union umgesetzt werden. Im Ein-zelnen wird die Stärkung und Absicherung der Ver-braucherrechte, eine wirksame Entflechtung derFernleitungsnetzbetreiber, die Gewährleistung des

LEGISLATIVEÖSTERREICH

Dr. Ingrid Moser ist Juristin in der Parlamentsdirektion in Wien.

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LEGISLATIVEÖSTERREICH

Ffreien Marktzugangs für die Versorger und die Ent-wicklung von Kapazitäten für neue Verbraucheranla-gen sowie die Schaffung des Entry-Exit-Marktmo-dells vorgesehen. Weiters legt das Gesetz einen Gas-Versorgungsstandard über einen Zeitraum von30 Tagen für geschützte Kunden fest. Das Gesetz ko-difiziert die Bestimmungen über die Festlegung derSystemnutzungsentgelte und regelt das Verfahrender Datenerhebung, Datenverarbeitung und Daten-übermittlung nach dem Preistransparenzgesetz neu.

Internetportal: www.parlament.gv.at

Bitte beachten Sie, dass das Internetportal des ös-terreichischen Parlaments neu gestaltet wurde! Sie fin-den Informationen zumGesetzgebungsverfahren jetztunter dem Menüpunkt „PARLAMENT AKTIV“.

Inhalt: Insbesondere die Volltexte der Initiativan-träge, Regierungsvorlagen und Ausschussberichte so-wie eine Fülle von Informationen zu parlamentari-schen Gremien und Verfahren.

Bei Fragen zur Suche und Bedienung können Siesich an das Bürgerservice des Parlaments wenden.

Vertragsanpassung bei verzögerterZuschlagserteilung aus vergabe-rechtlicher und werkvertraglicherSicht Aufbauend auf seinem Urteil 11. 5. 2009 hat der dt BGH seine

Überlegungen zum „Grundsatz einer im Zweifel vergaberechtskonformenAuslegung“ von Erklärungen im Vergabeverfahren einschließlich des Auftragsschreibensverfeinert. Klargestellt hat der BGH wiederum, dass im Falle einer wegen einer Verzögerungder Zuschlagserteilung erforderlichen Anpassung der Bauzeit auch der vertraglicheVergütungsanspruch anzupassen ist.

Urteil des BGH 22. 7. 2010, VII ZR 129/09

HANS GÖLLES

A. Einführung

Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich kommtes gelegentlich vor, dass eine Zuschlagserteilungdurch ein Nachprüfungsverfahren1) verzögert wird,eine Verlängerung bzw Hemmung des Fortlaufs derAngebotsfrist erfolgt,2) und die Leistungsfristen bzwLeistungstermine gemäß Ausschreibungsunterlagendadurch obsolet werden und in die Zukunft verlegtwerden müssen.

Dabei stellt sich immer wieder die Frage, welcheBedeutung es hat, wenn bereits im Auftragsschreiben(bzw Schlussbrief) vom AG kurzerhand neue Fristenbzw Termine festgeschrieben werden.

Der (dt) BGH hat bereits mit Urteil vom11. 5. 2009, VII ZR 11/083) festgehalten, dass dieeinfache Bindefristverlängerung durch einen Bieternur die Bedeutung habe, dass das ursprüngliche Ver-tragsangebot inhaltlich konserviert werde. Nicht gere-gelt sei damit, was zu gelten habe, wenn die Ausfüh-rungsfristen der Ausschreibung und des Angebotsnicht mehr eingehalten werden könnten; insb werdedas Angebot dadurch nicht hinsichtlich der Ausfüh-rungstermine geändert. Der BGH ging davon aus,dass im Falle eines Vertragsabschlusses mit verzöge-rungsbedingt fortgeschriebenen neuen Terminen beider Vertragsauslegung der „Grundsatz einer im Zwei-

fel vergaberechtskonformen Auslegung“ zu berück-sichtigen ist.

Die diesem BGH-Urteil zugrunde liegendeRechtslage ist im Wesentlichen mit dem österreichi-schen Werkvertragsrecht und Vergaberecht vergleich-bar, so dass die dt Judikatur durchaus auch bei analo-gen österreichischen Causen zu bedenken sein wird.

B. BGH 22. 7. 2010, VII ZR 129/08

Der BGH entschied erneut über den Anspruch desAN auf Mehrkostenvergütung wegen einer Bauzeit-verschiebung aufgrund eines durch ein Nachprü-fungsverfahren verzögerten Vertragsabschlusses.

Neu war dabei die rechtliche Beurteilung derFrage, inwieweit sowie unter welchen Voraussetzun-gen dem Auftragnehmer bei einer Verzögerung desZuschlags ein Anspruch auf Verzögerungs-Mehrkos-

ecolex 2011 293

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHTGELEITET VONG. WILHELM

Dr. Hans Gölles ist Sachverständiger für das Vergabe- und Bauver-tragswesen und Autor von Fachpublikationen. Kontakt: Tel: +43 664733 86 490; E-Mail: [email protected]) Analog zB auch durch Verzögerung des Inkrafttretens einer für die

Leistungserbringung erforderlichen behördlichen Bewilligung.2) Gemäß § 112 Abs 2 oder 4 BVergG 2006.3) Vgl Gölles, Anspruch auf Vergütung von Mehrkosten des Werkunter-

nehmers bei Verzögerung der Zuschlagserteilung, ecolex 2009, 853.

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ten zusteht, wenn im Auftragsschreiben (bzw Schluss-brief) ausdrücklich eine neue Bauzeitregelung vomAG vorgesehen ist, aber keine Anpassung der Vergü-tung.

1. Sachverhalt

Gemäß Ausschreibung hätten die Bauarbeiten beiTeil 1 von April bis Oktober 2003 ausgeführt werdensollen. Infolge zweier Nachprüfungsverfahren wurdedie Bindefrist verlängert und verzögerte sich die Auf-tragserteilung bis 10. 11. 2003. Im Auftragsschreibenlegte der AG fest, dass nunmehr die Bauarbeiten spä-testens ab März 2004 auszuführen sind. Der Gegen-brief zum Auftragsschreiben wurde vom Auftragneh-mer (AN) ohne Vorbehalt am 24. 11. 2003 bestätigt.

Am 12. 2. 2004 erfolgte eine einvernehmlicheFestlegung, dass gemäß den „aufgrund der Verlänge-rung der Zuschlagsfrist“ fortzuschreibenden neuen„Bauzeiten“ die Bauarbeiten ab 1. 3. 2004 zu begin-nen sind.

Am 21. 4. 2004 meldete der AN erstmals eineMehrvergütung wegen Mehrkosten für Zement undStahl an (E 601.347,34).

Der AG war bereit, für die Zeit vom 10. 11. 2003bis zum 1. 3. 2004 die Mehrkostenforderung anzuer-kennen, aber nicht die Mehrkosten für den Zeitraumvor Vertragsabschluss 10. 11. 2003.

2. Urteil des OLG Celle

Die Klage des AN war auf dieser Stufe nur zum Teilerfolgreich.

Vom BerG (dt) OLG Celle4) wurde der AG zurZahlung im Ausmaß seines deklaratorischen Aner-kenntnisses verurteilt (E 288.262,54 sA). Das BerGging davon aus, dass am 10. 11. 2003 das bis dahininhaltlich nicht veränderte Angebot nicht angenom-men wurde, sondern der AG mit seinem Auftrags-schreiben vom 10. 11. 2003 ein „neues Angebot“5)unterbreitet habe. Im Urteil des BGH wird dieRechtsmeinung des BerG wie folgt wiedergegeben:

„Nehme ein Auftraggeber das Angebot des Auftragneh-mers auf Abschluss eines Bauvertrages mit der Maßgabe an,dass eine neue Bauzeit festgelegt werde, gelte das als Ableh-nung, verbunden mit einem neuen Antrag auf Abschluss desVertrages. Z 6 des Zuschlagsschreibens enthalte die Festle-gung eines neuen Baubeginns bis spätestens 29. 3. 2004 so-wie Ziffer 5 die Bestimmung, beide Bauabschnitte seien imJahr 2004 durchzuführen. Diese Änderungen gegenüberdem Ursprungsangebot und damit der Umstand, dass dieBeklagte ein neues Angebot auf Abschluss eines Bauvertragesunterbreitet habe, sei für die Klägerin auch ohne weiteres er-kennbar gewesen. Die Beklagte habe der Vorgabe des § 28Nr 2 Abs 2 VOB/A aF entsprochen, den Bieter aufzufor-dern, sich unverzüglich über die Annahme zu erklären.Denn sie habe in Ziffer 12 des Zuschlagsschreibens vom10. November 2003 die Klägerin aufgefordert, den Emp-fang dieses Auftrags schriftlich zu bestätigen und den tat-sächlichen Baubeginn mitzuteilen.

Es könne dahinstehen, ob das Schreiben der Klägerinvom 24. November 2003 lediglich eine Empfangsbestäti-gung hinsichtlich des Zuschlagsschreibens vom 10. Novem-ber 2003 oder eine Annahmeerklärung beinhalte. In jedemFall habe die Klägerin das neue Angebot der Beklagten durchdie Aufnahme der Arbeiten konkludent angenommen. Dasneue Angebot der Beklagten habe das Ursprungsangebot

der Klägerin indes nur hinsichtlich der Bauzeit, nicht jedochhinsichtlich der ursprünglichen Angebotspreise geändert. Ineinem solchen Falle komme eine ergänzende Vertragsausle-gung nach den Maßstäben des Senatsurteils vom 11. Mai2009 (VII ZR 11/08, aaO) nicht in Betracht. Denn derauf der Basis des neuen Angebotes zustande gekommeneVertrag enthalte keine Regelungslücke. Das neue Angebotenthalte neue Fristen, basiere aber hinsichtlich der Preiseauf dem Ursprungsangebot des Bieters.

An diesem Ergebnis ändere das Schreiben der Klägerinvom 21. April 2004 nichts. Dies stelle lediglich ein Angebotauf eine Vertragsänderung dar, das die Beklagte nicht ange-nommen habe.“

Diese Rechtsansicht wurde vom BGH verworfen.

3. Auslegungsregeln des BGH

Der Senat des BGH hat die Auslegung der im Rah-men des Vergabeverfahrens abgegebenen Willenser-klärungen des AG und des Bieters (AN) selbst vorge-nommen und hierzu ausgeführt:

„a) Noch zu Recht ist das Berufungsgericht in Überein-stimmung mit den vom Senat im Urteil vom 11. Mai 2009(VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47) entwickelten Grundsätzendavon ausgegangen, dass die einfache Bindefristverlängerungdurch einen Bieter nur die Bedeutung hat, dass das ur-sprüngliche Vertragsangebot inhaltlich konserviert und dierechtsgeschäftliche Bindungsfrist an das Angebot gemäߧ 148 BGB, zugleich Bindefrist nach § 19 Nr 3 VOB/AaF, verlängert werden soll. Aussagen dazu, was vertraglichzu gelten hat, wenn die Ausführungsfristen der Ausschrei-bung und des Angebots nicht mehr eingehalten werden kön-nen, sind damit nicht verbunden. Insbesondere ändert derBieter hiermit nicht sein Angebot hinsichtlich der Ausfüh-rungstermine ab (vgl zuletzt BGH, Urteil vom 26. Novem-ber 2009 VII ZR 131/08, BauR 2010, 455 = NZBau 2010,102 = ZfBR 2010, 245).

b) Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedochan, die Beklagte habe das hiernach unveränderte Angebotder Klägerin vom 29. Januar 2003 mit ihrem Zuschlags-schreiben vom 10. November 2003 nicht unverändert ange-nommen.

Zwar ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zu-treffend, dass die als bindend verstandene Festlegung einervom Angebot abweichenden Bauzeit in der Annahmeerklä-rung nach § 150 Abs 20 BGB als Ablehnung des Antragsverbunden mit einem neuen Angebot gilt (BGH, Urteilvom 24. Februar 2005 VII ZR 141/03, BGHZ 162, 259,268 f.; vgl auch BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR11/08, aaO Tz. 33 m.w.N.). Jedoch leidet die Auslegungdes Zuschlagsschreibens dahin, dass dieses eine neue Bauzeitverbindlich festlegen wolle, mithin nur mit dieser Änderungdas Angebot der Klägerin annehme, an Rechtsfehlern. DasBerufungsgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff unbe-rücksichtigt gelassen, die Interessen der Parteien in seine Er-wägungen zur Auslegung nicht genügend einbezogen undden Grundsatz einer im Zweifel vergaberechtskonformen Ausle-gung nicht hinreichend berücksichtigt.

aa) Das Berufungsgericht hat ausschließlich auf denWortlaut der Nrn. 5 und 6 des Zuschlagsschreibens abge-stellt und ohne nähere Begründung hierin die Festlegung ei-ner veränderten Bauzeit gesehen. Es hat versäumt, die Nrn.1 und 11 des Zuschlagsschreibens bei der Auslegung zu be-rücksichtigen. Es hätte sich damit auseinandersetzen müs-sen, wie deren Wortlaut mit dem Wortlaut der Nrn. 5und 6 des Schreibens in Einklang zu bringen ist. Denn nachder Nr 1 sollte der Klägerin ,hiermit

,

der Auftrag zu den imAngebot vom 28. 01. 2003 ausgeführten xxx Bedingungen

,

4) Urteil 17. 6. 2009, 14 U 62/08 BauR 2009, 1308.5) Gemäß § 150 Abs 2 (dt) BGB.

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

294 ecolex 2011

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erteilt werden. Letzteres spricht gerade gegen eine Änderungder dort vorgesehenen Bauzeit. Gleiches gilt für die Formu-lierung, dass der Auftrag ,hiermit

,

erteilt sei, was der Not-wendigkeit einer Annahmeerklärung durch die Klägerin ent-gegensteht. Noch ausdrücklicher findet sich diese Sichtweisein Nr 11 des Schreibens, wonach der Vertrag mit diesemZuschlagsschreiben als geschlossen gelten solle und eine ur-kundliche Festlegung nicht vorgesehen sei.

Demgegenüber lässt der Wortlaut der Nr 5 des Schrei-bens jedenfalls zu, hierin nur einen Hinweis auf die tatsäch-lich notwendig werdende Verschiebung der Bauzeit in dasJahr 2004 zu sehen, nachdem das Zuschlagsschreiben erstam 11. November 2003 erging und die verbleibende Zeitim Jahr 2003 ersichtlich nicht ausreichte, das Bauvorhabendurchzuführen. Die Nr 6 des Schreibens nennt lediglich ei-nen Termin als spätesten Baubeginn. Angaben zu Dauerund Fertigstellungsterminen fehlen. Der Wortlaut steht ei-nem Verständnis deshalb nicht entgegen, dass eine neue ver-bindliche Bauzeit mit dem Zuschlagsschreiben noch nichtgenannt worden sein soll.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sprichtder Wortlaut der Nr 12 des Schreibens nicht für eine Ände-rung des Angebots der Klägerin. Denn die Vorgabe des § 28Nr 2 Abs 2 VOB/A aF6) wird hiermit nicht erfüllt. Die Be-klagte bat lediglich um eine Bestätigung des ,Empfangs die-ses Auftrages

,

. Dies ist gerade keine Aufforderung, einerechtsgeschäftliche Erklärung dazu abzugeben, ob man mitÄnderungen des Angebotes einverstanden sei. Auch die Auf-forderung, den tatsächlichen Baubeginn schriftlich mitzutei-len, deutet nicht auf den Wunsch nach einer rechtsgeschäft-lichen Erklärung hin, sondern beinhaltet dem Wortlautnach zunächst nur die Mitteilung einer tatsächlichen Hand-lung.

Indem das Berufungsgericht den Inhalt und Wortlautdes Zuschlagsschreibens nicht insgesamt gewürdigt und zu-einander in Beziehung gesetzt hat, hat es sich den Blick dafürverstellt, dass die Erwähnung der Termine und Zeiten in denNrn. 5 und 6 nicht nur eine Bedeutung im Sinne einer ver-traglichen Vorgabe der Bauzeit haben kann. Vielmehr be-steht auch die Möglichkeit, dass es sich insgesamt um dievorbehaltslose und unveränderte Annahme des Angebotsder Klägerin durch die Beklagte handelt, gekoppelt mitdem gleichzeitigen Vorschlag einer Einigung über eine neueBauzeit. Zu diesem Verständnis führt eine interessengerechteAuslegung der Erklärung.

bb) Das Berufungsgericht hat die Interessen der im öf-fentlichen Vergabeverfahren nach VOB/A ausschreibendenbeklagten Auftraggeberin nicht berücksichtigt. Ein Zuschlagin einem solchen Verfahren ist nämlich regelmäßig so auszu-legen, dass er sich auch auf wegen Zeitablaufs obsolet gewor-dene Fristen und Termine bezieht (BGH, Urteil vom11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 37 zu Fällen, in de-nen im Zuschlagschreiben keine Äußerungen zur Bauzeitenthalten sind). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – zwareine neue Bauzeit angesprochen wird, das Zuschlagsschrei-ben insgesamt aber nicht eindeutig ergibt, dass der Vertragnur zu bestimmten veränderten zeitlichen Bedingungen ge-schlossen werden soll.

Im Rahmen des auch für den modifizierten Zuschlaggeltenden § 150 Abs 2 BGB sind die Grundsätze von Treuund Glauben anzuwenden. Sie erfordern, dass der Empfängereines Vertragsangebots, wenn er von dem Vertragswillen desAnbietenden abweichen will, dies in der Annahmeerklärungklar und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt derVertragspartner seinen vom Angebot abweichenden Vertragswil-len nicht hinreichend deutlich, so kommt der Vertrag zu den Be-dingungen des Angebots zustande (BGH, Urteil vom11. 5. 2009 – VII ZR 11/08, aaO, Tz. 35; Urteil vom18. 11. 1982 – VII ZR 223/80, BauR 1983, 252, 253).

(1) Der Zuschlag auf das unveränderte Angebot mit denwegen Zeitablaufs bereits obsolet gewordenen Fristen undTerminen ist die einzige Möglichkeit, das wesentliche Ziel

des Vergabeverfahrens, es mit einem Vertragsschluss zu be-enden, mit Sicherheit zu erreichen. Ginge man von einerAnnahme unter Abänderungen aus, hätte es der Bieter inder Hand zu entscheiden, ob das bis dahin ordnungsgemäßdurchgeführte Vergabeverfahren letztlich vergeblich war; erwäre an sein Angebot gerade im Widerspruch zu den erklär-ten Bindefristverlängerungen faktisch nicht mehr gebunden.Außerdem bestünde die Gefahr, dass es möglicherweise niezu einem Vertragsschluss kommt. Denn bei jedem mangelsVertragsschluss neu durchgeführten Vergabeverfahren könn-ten erneut Verzögerungen durch Nachprüfungsverfahreneintreten, die wieder dieselben Folgen hätten. An einem sol-chen Ergebnis kann niemand interessiert sein; es muss tun-lichst vermieden werden (vgl Gröning, BauR 2004, 199,201). Deshalb entspricht es im Zweifel dem Interesse beiderParteien, dass mit dem Zuschlag der Vertrag zwischen ihnenbindend zustande kommt. Dieses Interesse des Auftragge-bers zeigt sich auch in der wiederholten Aufforderung andie Bieter, Zustimmungserklärungen zur Bindefristverlänge-rung, die über die ursprünglich ins Auge gefassten Ausfüh-rungsfristen hinausgehen, abzugeben. Dies belegt, dass derAuftraggeber in einem solchen Verfahren ein gewichtiges In-teresse an einem sicheren, von ihm durch den Zuschlag be-stimmten Vertragsschluss mit dem Bieter hat, dessen Ange-bot sich im Vergabeverfahren als das wirtschaftlichste erwie-sen hat. Würde der Auftraggeber am Ende eines solchenVergabeverfahrens lediglich eine abändernde Annahme aus-sprechen, mit der er die wunschgemäß aufrecht erhalteneBindung des Bieters gerade lösen würde, handelte er im Wi-derspruch zu den zuvor geäußerten Wünschen auf Verlänge-rung der Bindefrist. Damit muss und kann ein Bieter imZweifel nicht rechnen.

(2) Auch der Bieter hat ein Interesse am Zustandekom-men des Vertrages bereits mit dem Zuschlag, weil er ansons-ten das im Hinblick auf die Ausführungsfristen neue Ange-bote des Auftraggebers (ohne Preisänderungen) nicht vorbe-haltlos annehmen, sondern nur abgeändert, also als erneutesAngebot im Sinne von § 150 Abs 2 BGB akzeptieren dürfte,wollte er sich die Möglichkeit erhalten, Preisänderungen gel-tend zu machen. Er könnte dann nicht sicher sein, dass derAuftraggeber sich mit einem solchen Ansinnen auf Preisan-passung einverstanden erklären wird. Damit bliebe letztlichzumindest vorübergehend der Abschluss eines wirksamenBauvertrages offen.

(3) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, seine Aus-legung stehe mit dem Nachverhandlungsverbot des § 24 Nr 3VOB/A aF7) im Einklang, weil die Vorschrift nicht für dieZeit nach dem Zuschlag gelte. Jedenfalls im Zeitpunkt derErklärung des Zuschlags gegenüber dem Bieter ist der Auf-traggeber an das Nachverhandlungsverbot noch gebunden,weil anderenfalls der hiermit verbundene Schutz des Wett-bewerbs und der Bieter im Vergabeverfahren unvollkommenwäre (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO,Tz. 39). Etwas Anderes ergibt sich nicht aus § 28 Nr 2 Abs 2VOB/A aF.8) Denn diese Regelung erlaubt einen veränder-ten Zuschlag nur dann, wenn nicht gegen das Nachverhand-lungsverbot verstoßen wird (BGH, Urteil vom 11. Mai2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 40 m.w.N.).

Da dem Auftraggeber nicht unterstellt werden kann, ge-gen das Nachverhandlungsverbot verstoßen zu wollen, kannin einem Zuschlag, der das ursprüngliche Angebot akzep-tiert, auch wenn er eine neue Bauzeit erwähnt, grundsätzlichkeine Anfrage nach Veränderung der angebotenen Ausfüh-rungsfrist, weder mit gleich bleibender noch veränderterVergütungsvereinbarung, gesehen werden.

(4) Damit ergibt die interessengerechte Auslegung unterBerücksichtigung des gesamten Inhalts des Zuschlagsschrei-bens vom 10. 11. 2003, dass die Beklagte das Angebot der

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

6) Vgl § 133 BVergG 2006.7) Vgl § 101 Abs 4 und § 104 Abs 2 BVergG 2006.8) Vgl § 133 BVergG 2006.

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Klägerin unverändert auch hinsichtlich der Bauzeiten ange-nommen hat. Die Angabe zur neuen Bauzeit, die wegen derinzwischen abgelaufenen alten Bauzeit gefunden werdenmusste, stellt bei interessengerechter Auslegung keine verga-berechtlich unzulässige Neuverhandlung anderer Vertrags-bedingungen dar, sondern einen Hinweis der Beklagten da-rauf, welche neue Bauzeit sie aufgrund der veränderten Um-stände für notwendig erachtet. Denn der Abschluss einesVertrages zu Bedingungen, die eine Bauzeit vorsehen, diezum Zeitpunkt des Abschlusses bereits verstrichen ist, ent-hält zugleich die Einigung darüber, dass die Parteien denVertrag zwar bereits bindend schließen, über neue, dem ein-getretenen Zeitablauf Rechnung tragende Fristen jedochnoch eine Einigung herbeiführen wollen (BGH, Urteilvom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 44). Vorschlägedes Auftraggebers, die eine solche nachträgliche Einigungherbeiführen sollen, müssen nicht in einer getrennten Erklä-rung erfolgen. Vielmehr können sie bereits zusammen mitdem Vertragsschluss abgegeben werden, weil zum Zeitpunktdes Zugangs dieses Vorschlags die durch den Vertragsschlussentstandene Notwendigkeit einer Neuverhandlung und Be-stimmung der Ausführungsfristen bereits besteht. Diese sindnoch verhandelbar. Die Parteien sind nach dem Vertrag ver-pflichtet, sich über eine neue Bauzeit zu einigen. Dies habensie am 12. Februar 2004 ausdrücklich getan.

c) Zugleich mit der Bauzeit ist jedoch auch der vertrag-liche Vergütungsanspruch anzupassen. Die Vermutung derAusgewogenheit von Leistung und Gegenleistung gilt bei ei-nem Bauvertrag nicht unabhängig von der vereinbarten Leis-tungszeit, weil diese regelmäßig Einfluss auf die Vereinba-rung der Höhe der Vergütung des Auftragnehmers hat (vglBHG, Urteil vom 15. 4. 2008 X ZR 129/06, NZBau2008, 505 = ZfBR 2008, 614). Deshalb hat die durch einverzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leis-

tungszeit auch zur Folge, dass die Parteien sich über eine An-passung der Vergütung verständigen müssen (vgl BGH, Ur-teil vom 11. 5. 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49). Zu einersolchen Einigung ist es hier nicht gekommen. Damit exis-tiert eine zu füllende Regelungslücke. Diese ist dahin zuschließen, dass der vertragliche Vergütungsanspruch in An-lehnung an die Grundsätze des § 2 Nr 5 VOB/B anzupassenist. Diese Vorschrift haben die Parteien mit der Einbezie-hung der VOB/B als angemessene Regel bei einer durchden Auftraggeber veranlassten Änderung der Grundlagendes Preises vereinbart. Ihre Grundsätze führen auch im Falleder Verschiebung der Bauzeit aufgrund eines verzögertenVergabeverfahrens im Rahmen der berechtigten Interessender Parteien zu angemessenen Lösungen (vgl BGH, Urteilvom 11. 5. 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49–58).“ (Her-vorhebungen vom Verfasser).

C. Parallelität mit österreichischerRechtslage

Die deutschen Vergabe- undWerkvertragsregelungen(GWB, VOB/A, BGB und VOB/B) sind weitgehendmit den entsprechenden österreichischen Regelungen(BVergG, ABGB und ÖNORM B 2110) vergleich-bar, so dass die Ausführungen des BGH grundsätzlichauch bei österreichischen Parallelfällen für die Beur-teilung passend sind.

Das im Angebot des Bieters gegebene Preis-/Leis-tungsverhältnis9) muss natürlich auch dann erhaltenbleiben, wenn obsolet gewordene Ausführungster-mine gemäß Ausschreibung an geänderte Umstände(zB verzögerter Baubeginn10) und somit auch spätereBaufertigstellung) angepasst werden müssen. Die An-passung der Bauzeit im Auftragsschreiben hat aucheine Anpassung des vertraglichen Vergütungsan-spruchs zur Folge.

SeminarankündigungDie Rechtswissenschaftliche Fakultät der UniversitätLinz veranstaltet vom 19. 9. bis 21. 9. 2011 inTraunkirchen ein Seminar für absolvierte Juristen.Folgende Themen aus dem Gebiet des Privatrechtsund des zivilgerichtlichen Verfahrensrechts stehen aufdem Programm:

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SCHLUSSSTRICH

In der Praxis der Zuschlagserteilung gem §§ 133und 134 BVergG 2006 zu Bauaufträgen wirdin den Fällen, bei denen eine Verzögerung der Zu-schlagserteilung eine Anpassung der Bauzeit erfor-derlich macht, häufig nur die Anpassung der Bau-zeit bzw der Bautermine im Auftragsschreibenfestgelegt und die Klarstellung der Preisanpassungvernachlässigt.Hierzu wird zweckmäßig sein, im Auftragsschrei-ben auch vorzusehen, dass die preisliche Auswir-kung der Bauzeitveränderung gemäß den Regelnder ÖNORM B 211011) (bzw B 2118)12) zu be-stimmen ist, um die interessengerechte Klarstellungschon mit der Auftragserteilung zu deklarieren.

9) Das Preis-/Leistungsverhältnis des Angebots beinhaltet eine Vermu-tung der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung (Preis).

10) ZB durch ein Vergabe-Nachprüfungsverfahren gem BVergG oderdurch eine Verzögerung des Erlangens einer behördlichen Bewilli-gung.

11) Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistung. Werkver-tragsnorm, Ausg 1. 1. 2009.

12) Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen unter Anwen-dung des Partnerschaftsmodells, insb bei Großprojekten. Werkver-tragsnorm, Ausg 1. 6. 2010.

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

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Ist ein Einheitspreisvertrag ein Vertrag mitKostenvoranschlag?

HERMANN WENUSCH

Den folgenden Überlegungen muss vorangestellt wer-den, dass grundsätzlich ein Kostenvoranschlag ohneGewährleistung gem § 1170a Abs 2 ABGB gemeintist, wenn von „einem Kostenvoranschlag“ gesprochenwird: Da es nämlich einer der Zwecke1) für den Ab-schluss eines Einheitspreisvertrags ist, dass die genauenMassen bei Abschluss noch nicht „auf die Komma-stelle genau“ bekannt sein müssen, scheint kein Grundfür die Annahme gegeben, dass es sich dabei um einenKostenvoranschlag unter Gewährleistung für seineRichtigkeit gem § 1170 a Abs 1 ABGB handelt.2)

„Für einen Kostenvoranschlag ist nach Lehre undRechtsprechung die Zergliederung der mutmaßlichenKosten unter ausführlicher Berechnung der einzelnenAnsätze nach Arbeitskosten, Materialkosten usw kenn-zeichnend“.3) Diese offenbar herrschende Ansicht4)mag zwar zu hinterfragen sein, weil es wohl ausschließ-lich darauf ankommt, ob der potenzielle Besteller miteiner allenfalls etwas eingeschränkten (endgültig ist derin einem Kostenvoranschlag ohne Gewährleistung ge-nannte Betrag ja nicht unbedingt, weil Überschreitun-gen, die nicht beträchtlich sind, nicht ausgeschlossenwerden können) Verbindlichkeit der Entgeltprognoserechnen kann und darüber hinaus nicht einzusehenist, weshalb Aussagen, wie „dieses Gartenmäuerchenwird Sie X kosten“, nicht als Kostenvoranschlag anzu-sehen sind,5) doch soll sie hier einmal als ein Ausgangs-punkt der Überlegungen dargestellt werden.

Tatsächlich enthält (auch) ein Einheitspreisvertragdefinitionsgemäß eine detaillierte Gliederung, nur istes fraglich, ob dieses Merkmal tatsächlich ausreicht, ei-nen solchen prinzipiell als Werkvertrag mit Kostenvor-anschlag anzusehen, wie dies häufig geschieht.6) Mitanderen Worten: Ist ein Einheitspreisvertrag nur des-halb ein Werkvertrag mit Kostenvoranschlag, weilbeide eine detaillierte Gliederung enthalten? Tatsäch-lich findet sich keine über den Umstand der Gemein-samkeit der Detaillierung hinausgehende Begründungdafür, dass die Bestimmungen des § 1170 a Abs 2ABGB auf den Einheitspreisvertrag anzuwenden seinsollen.7)

Es wird zwar darauf verwiesen, dass der Kostenvor-anschlag dem potenziellen Besteller „die Möglichkeitder Überprüfung der Ansätze“8) ermöglichen sollund dass genau das beim Einheitspreisvertrag auchder Fall ist, nur ist dies keine ausreichende Begrün-dung, weil diese Gemeinsamkeit wohl durchaus auchzufällig sein kann.

Tatsächlich muss ein Einheitspreisvertrag keineGliederung nach Arbeits- und Materialkosten enthal-ten,9) was gerade als das Kennzeichen eines Kostenvor-anschlags angesehen wird: Es kommt zwar in der Pra-xis sehr häufig vor, dass die einzelnen Positionen einesEinheitspreisvertrages in „Lohn“ und „Sonstiges“10)untergliedert sind, doch hat dies nur den Sinn, bei län-ger laufenden Verträgen eine sinnvolle Preisgleitung –die für „Lohn“ und „Sonstiges“ aufgrund voneinandermehr oder weniger unabhängiger Entwicklung ge-

trennt erfolgt – vorzunehmen. Gerade bei Verträgenmit kurzen Laufzeiten ist eine Trennung entbehrlichund unterbleibt dann durchaus auch nicht allzu selten.Sind die Positionen eines Einheitspreisvertrags nichtweiter aufgegliedert, so ist nicht unbedingt eine „Mög-lichkeit der Überprüfung der Ansätze“ gegeben, weileine Methode zur Ermittlung des Entgelts (darumhandelt es sich nämlich aus ökonomischer Perspektivebeim Einheitspreisvertrag) nicht zwingend eine Mög-lichkeit zur Überprüfung mit sich bringt. Dass dabeiohnehin fraglich bleibt, was denn überprüft könnenwerden soll, sei nur am Rande erwähnt: Hätte der Be-steller nämlich das notwendige Wissen, um eine Über-prüfung vorzunehmen, so bräuchte er gar keinen Kos-tenvoranschlag. Soll die Angemessenheit der Kalkula-tionsansätze überprüft werden können, so ist zu sagen,dass die Angemessenheit einzelner Positionspreise vadann kaum möglich ist, wenn diese nicht in „Lohn“und „Sonstiges“ aufgegliedert sind: Die Kalkulation ei-nes Unternehmers in einer Marktwirtschaft ist einkomplexer Vorgang, der nicht nur von den Kosten ab-hängt. Selbst wenn eine Gliederung nach „Lohn“ und„Sonstigem“ erfolgt, ist damit nicht gesagt, dass deswe-gen eine „Überprüfung der Ansätze“ möglich ist: DieProduktionsfaktoren „Arbeit“ und „Betriebsmittel“lassen sich in gewissem Rahmen miteinander substitu-ieren und ein handwerklich organisierter Betrieb hat

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

Ing. DDr. Hermann Wenusch ist Rechtsanwalt in Rekawinkel.1) Wenusch, Der Bauwerkvertrag als Einheitspreisvertrag, ecolex 1998,

112.2) Tatsächlich behandelt die ÖNORM B 2110 – auf deren Bedeutung

noch weiter unten eingegangen wird – einen Kostenvoranschlag unterGewährleistung für seine Richtigkeit (in der Diktion der ÖNORMB 2110: Garantierte Angebotssumme) nicht als den Regelfall.

3) OGH 1 Ob 546/82 SZ 55/83. Vgl auch Hutter, Der Kostenvoran-schlag 18: „[V]om Vorliegen eines Kostenvoranschlages [ist] auszuge-hen, wenn die zu erwartenden Kosten (nach technisch-kaufmänni-schen Gesichtspunkten) detailliert berechnet und aufgegliedert wer-den, wobei die erforderlichen Arbeits- und Materialkosten (nach Ein-heitssätzen) möglichst bis auf Einzelheiten nach Art, Zahl, Gewicht,etc, festzustellen bzw abzuschätzen sind“ – dabei bleibt allerdings völ-lig offen, was unter „technisch-kaufmännischen Gesichtspunkten“oder „Einheitssätzen“ (ev Einheitspreise?) gemeint ist.

4) Vgl Rebhahn in Schwimann, ABGB § 1170a ABGB Rz 1.5) Dadurch würden mündliche Kostenvoranschläge übrigens praktisch

ausgeschlossen.6) Längle, Das Entgelt beim Bauvertrag 42: „Einheitspreisverträge sind

aber zugleich Verträge unter Zugrundelegung eines Kostenvoranschla-ges iSd § 1170a ABGB“ unter Berufung auf Karasek, Die Pauschal-preisvereinbarung in der Baupraxis, ecolex 1991, 235.

7) Hutter, Der Kostenvoranschlag 185 bezeichnet den Einheitspreisver-trag als „Weitere vertragliche Preisgestaltung“.

8) Vgl Rebhahn in Schwimann, ABGB § 1170a ABGB Rz 1.9) Die Gliederung erfolgt vielmehr nach im Allgemeinen einfach zu er-

mittelnden Leistungsteilen, die dem Besteller nutzen (zB m3 Mauer-werk, m2 Wandputz, m Rohrleitung oder Stk Türen einer bestimmtenDimension).

10) Nach der entsprechenden Definition der ÖNORM B 2061 „Preiser-mittlung für Bauleistungen“ sind dies im Wesentlichen die Material-und Gerätekosten.

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im Allgemeinen ein anderes Verhältnis von „Arbeit“ zu„Betriebsmittel“ als ein Industriebetrieb.

Zwei Ziele des potenziellen Bestellers sind beimEinheitspreisvertrag vorrangig: Erstens soll durch dasLeistungsverzeichnis das vom Unternehmer geschul-dete Werk beschrieben werden und zweitens soll dieHöhe des endgültigen Entgelts errechnet werden.Dem gegenüber steht bei einem Kostenvoranschlagim Vordergrund, dass der potenzielle Besteller einenEindruck von der Höhe des Entgelts erhält, wobei ersich im Allgemeinen über die Konstruktion des Werkskein Kopfzerbrechen machen muss.

Unterstellt man, dass bei einem Einheitspreisver-trag kein funktionaler Erfolg geschuldet wird,11) wäh-rend das ABGB sehr wohl davon ausgeht,12) so scheintgerade letzterer Punkt wichtig: Beim Kostenvoran-schlag, wie ihn das ABGB sieht, wird die konzeptiveTätigkeit vom Unternehmer erwartet, beim Einheits-preisvertrag wird sie vom potenziellen Besteller zurVerfügung gestellt.

Natürlich ist bei der Entscheidung eines konkretenEinzelfalls der (durch entsprechende Erklärungen er-kennbare) Willen der Vertragsparteien ausschlagge-bend. Hilfreich ist dabei wohl zu erfahren, was denn„üblich“ ist – genau das findet sich (zumindest fürdie Baubranche) in der ÖNORM B 2110. DieÖNORM B 2110 sieht bei Vereinbarung einesEinheitspreisvertrags unter Pkt 8.1 („Abrechnungs-grundlagen“) lapidar vor, dass die „erbrachten Leistun-gen (…) nach den Mengen der erbrachten Leistun-gen“ abzurechnen sind – keine Rede von einer erfor-derlichen Anzeige für den Fall, dass die Angebots-summe überschritten wird. Wenn man bedenkt, dassdie ÖNORM B 2110 nicht nur ein das dispositiveRecht anpassendes bzw ergänzendes Regelwerk ist,sondern auch ein „Handbuch für den ordentlichenBaubetrieb“ (was aus rechtlich unwirksamen Schrift-lichkeitsgeboten und der wortwörtlichen Kopie der ge-setzlichen Gewährleistungsbestimmungen ersichtlich

ist), so wird offenbar, dass die ÖNORM B 2110 einenEinheitspreisvertrag nicht als Kostenvoranschlag be-trachtet. Dies ergibt sich übrigens wohl auch aus der20%-Klausel,13) die bestimmt, dass „[b]ei Über- oderUnterschreitung der im Vertrag angegebenen Mengeeiner Position mit Einheitspreis um mehr als 20%(. . .) über Verlangen eines Vertragspartners ein neuerEinheitspreis für die tatsächlich ausgeführte Mengeunter Berücksichtigung der Mehr-/Minderkosten zuvereinbaren“ ist. Auch hier keine Rede davon, dassder Besteller nach einer doch möglicherweise empfind-lichen Verteuerung vom Vertrag zurücktreten kann.

Wird also bei einem Einheitspreisvertrag die ur-sprüngliche Angebotssume überschritten, muss derUnternehmer dies nicht anzeigen, um nicht in Gefahrzu kommen, des übersteigenden Betrags verlustig zugehen: Schließlich stammt das Leistungsverzeichnisja vom Besteller14) und er hat sich falsche Ansätzeselbst zuzuschreiben. Eine Pflicht – entsprechend dertechnischen Warnpflicht gem § 1168 a ABGB –, beiangestrebtem Einheitspreisvertrag im vorvertraglichenBereich vor Kostenüberschreitungen zu warnen, gibtes nicht.

Praxistipp

Ein Einheitspreisvertrag ist kein Werkvertrag mitKostenvoranschlag – wird das Entgelt die Ange-botssumme überschreiten, so ist dies vom Unter-nehmer nicht anzuzeigen.

IT-Update Von Abo-Fallen, Homepages und Urteilsveröffentlichun-gen.

WOLFGANG ZANKL

A. Homepage per se nicht grenz-überschreitend1)

Der EuGH hatte sich mit der Frage auseinanderzuset-zen, wann die Tätigkeit eines Unternehmens als aufeinen Wohnsitzmitgliedstaat eines VerbrauchersiSd Art 15 Abs 1 lit c EG-Verordnung 2001/44(EuGVVO) ausgerichtet ist. Dafür gelte es eine Reihevon Kriterien zu beachten, welche das nationale Ge-richt bei der Beurteilung abzuwägen habe. Auszugs-weise seien folgende Umstände genannt, welche aufeine solche Ausrichtung schließen lassen: Sprache(Homepage, Buchung, Bestellbestätigung), Wäh-rung, Anfahrtsbeschreibung aus anderen Mitglied-staaten, Anführung eines grenzüberschreitenden

Kundenkreises, entsprechend verschiedene Toplevel-Domains, internationale bzw in den jeweiligen Mit-gliedstaaten angemeldete Telefonnummern oder ge-nerell ein internationaler Charakter des Auftritts. Al-lein der Umstand, dass eine Homepage des Unterneh-mens international abrufbar sei, stelle für sich alleinkeine solche Ausrichtung dar, da dies gerade im Wesen

11) Wenusch, Nochmals: Der Schuldinhalt bei einem Werkvertrag mitLeistungsverzeichnis, ecolex 2010, 841 ff.

12) OGH 7 Ob 687/90: „Auszugehen ist davon, dass der Unternehmerden werkvertraglichen Erfolg schuldet“ (wobei dabei als Erfolg derfunktionale Erfolg gemeint ist).

13) Pkt 7.4.4 („Mengenänderungen ohne Leistungsabweichung“).14) Hier nicht zu untersuchen ist der Spezialfall, dass gem § 109 Abs 2

BVergG 2006 bei einer funktionalen Ausschreibung die Angeboteein vom Bieter zu erstellendes Leistungsverzeichnis mit Mengen-und Preisangaben enthalten müssen.

Dr. Wolfgang Zankl ist Professor am Institut für Zivilrecht der UniversitätWien (www.zankl.at) und Direktor des europäischen zentrums für e-com-merce und internetrecht (www.e-center.eu). Mag. Alina Schmidt, MMag.DI Bernhard Horn, Mag. Frank Polster, Tamara Gotthart, Andreas Meißlund Alexander Skoff haben an umfangreichen Recherchen und der Vorbe-reitung des Beitrags mitgewirkt; sie sind Mitarbeiter des e-center.1) EuGH 7. 12. 2010, C-585/08, C-144/09.

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des Internets liege. Weiters gelte dies für E-Mail-Ad-ressen oder dann, wenn zufällig auch in einem ande-ren Mitgliedstaat Sprache und Währung gleich sind,aber sonst keine Ausrichtung auf diesen Staat vor-liege. Somit gilt bspw nicht jede Tätigkeit eines deut-schen Unternehmens auch auf Österreich ausgerich-tet, nur weil dieselbe Sprache und Währung verwen-det werden.

B. Abbildungen im Internetproduktbeschreibend2)

Der BGH hatte sich mit zwei die Gewährleistung imOnline-Handel betreffenden Fragen zu beschäftigen.Zum einen führte der Gerichtshof aus, dass be-stimmte Produkteigenschaften, welche auf einer ei-nem Online-Angebot beigefügten Abbildung darge-stellt sind, als dem Angebot eingeschlossen anzusehensind. Dies gelte auch dann, wenn auf diese Eigen-schaften im Text nicht explizit hingewiesen wird.Im konkreten Fall handelte es sich um die Standhei-zung eines gebrauchten Kfz, welche auf einer Abbil-dung im Online-Angebot deutlich zu erkennen war.In der Produktbeschreibung erwähnt wurde dieses„Extra“ jedoch nicht (und vom Verkäufer vor Über-gabe ausgebaut). Der BGH sah durch Abbildung die-ser Produkteigenschaft diese verbindlich in das Ange-bot mit einbezogen, wodurch es auch Gegenstanddes abgeschlossenen Vertrags geworden sei. Der Käuferhabe daher Anspruch darauf, die Ware so zu erhalten,wie sie auf Abbildungen zu sehen war. Der Käufermachte keinen Gewährleistungsanspruch geltend,sondern beschaffte sich eigenständig eine gebrauchteStandheizung und baute diese auch selbst ein. Im An-schluss begehrte er vom Verkäufer Schadenersatz aufLeistung der Sach- und Arbeitskosten. Dieses Begeh-ren wies der BGH jedoch ab, da der Käufer vorerstden Anspruch auf Nachtrag oder Verbesserung ausdem Titel der Gewährleistung oder des Schadenersat-zes geltend machen müsse. Eine Ersatzvornahmekomme nur dann in Frage, wenn der Verkäufer dieVerbesserung zB verweigert hätte und somit die se-kundären Gewährleistungsbehelfe zum Tragen kä-men.

C. Keine vorzeitige Access-Kündigungbei Umzug3)

Nach Auffassung des BGH kann der Kunde einesDSL-Anschlusses den Vertrag mit einem Telekomun-ternehmen vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauerauch dann nicht kündigen, wenn er aus beruflichenoder familiären Gründen an einen Ort umzieht, andem noch keine DSL-fähigen Leitungen verlegt sind.Ein wichtiger Grund für eine Kündigung könne indem Umzug nicht erblickt werden. Ein solcher be-stehe generell dann nicht, wenn er aus Vorgängenhergeleitet wird, die dem „Einfluss des anderen Ver-tragspartners entzogen sind und der Interessensphäredes Kündigenden“ entstammen. Der Kunde, der einenlängerfristigen Vertrag über die Erbringung einerDienstleistung abschließt, trage grundsätzlich das Risiko,diese aufgrund einer Veränderung seiner persönlichenVerhältnisse nicht mehr nutzen zu können.4)

D. Gewerbsmäßiger Betrug durchAbofallen im Internet5)

Gegenstand der inkriminierten Webseiten waren„gratis“ angebotene Routenplaner, Gehaltsrechner so-wie verschiedenste Archive bspw für Gedichte, Rätsel,Rezepte, Hausaufgaben uvm. Sämtliche Seiten warennahezu identisch gestaltet. Oft wurden die Abos miteinem Gewinnspiel verknüpft, für das man persönli-che Daten bekanntzugeben hatte. Für eine Nutzungs-dauer von drei bis sechs Monaten wurden pro Abo biszu € 69,95 verrechnet. Wenn die Nutzer nicht zahl-ten, wurden Mahnungen und rechtsanwaltliche Auf-forderungsschreiben verschickt. Gleichartige Ange-bote wurden auf anderen Seiten im Internet unent-geltlich angeboten. Das LG Frankfurt lehnte die Er-öffnung des Hauptverfahrens mit der Begründungab, dass sich auf der Seite Preishinweise befunden hät-ten, wenn auch an versteckter Stelle. Das OLGFrankfurt hingegen sah den Tatverdacht des gewerbs-mäßigen Betrugs als erfüllt an, weshalb es dem LG auf-trug, den Fall zu verhandeln: Ein durchschnittlich in-formierter und verständiger Verbraucher als Nutzerdieser Websites müsse nicht erwarten, dass die ange-botenen Leistungen kostenpflichtig sind. Vielmehr ister gewohnt, im Internet zahlreiche kostenlose Dienst-leistungs- und Downloadangebote zu öffnen, ohneden Grund für deren Unentgeltlichkeit zu kennen.

E. Urteile auf Facebook6) und Youtube7)veröffentlicht8)

Auf der Facebook-Seite der Beklagten fanden sich Bil-der, die das Unternehmen der Klägerin iSd § 1 UWGin einer sittenwidrigen Weise herabsetzten. DemTalionsprinzip folgend erkannte das HG Wien – so-weit ersichtlich erstmals – auf Urteilsveröffentlichungauf der entsprechenden Facebookseite. Schon kurzzuvor hatte das HG Wien in einem anderen Fall dieUrteilsveröffentlichung in Form eines Youtube-Vi-deos am unternehmenseigenen Youtube-Channelder Beklagten angeordnet. Der Urteilsspruch mussteals Fließtext erscheinen und verlesen werden.

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

2) BGH 12. 1. 2011, VIII ZR 346/09.3) BGH 11. 11. 2010, III ZR 57/10.4) Http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.

py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&Sort=3&nr=53938&po-s=1&anz=216

5) OLG Frankfurt 17. 12. 2010, 1 Ws 29/09.6) HG Wien, 39 Cg 75/10p.7) HG Wien, 10 Cg 115/10g.8) Vgl dazu auch die Anm von Mag. Dominik Hofmarcher (Wolf Theiss)

in der e-center law survey 12/2010 (www.e-center.eu/newsletter).

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RECHTSPRECHUNG

Mündelsichere Wertpapiere: Umfang der Prüfpflicht eines Gutachtersnach § 230 e ABGB1. Die Vertragshaftung besteht zunächst nur gegen-über dem Besteller des Gutachtens, gegenüber Drit-ten aber dann, wenn der Besteller erkennbar auchdie Interessen Dritter mitverfolgt. Die objektiv-recht-lichen Sorgfaltspflichten erstrecken sich auf einenDritten, wenn der Sachverständige damit rechnenmuss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis ge-langen wird und eine Entscheidungsgrundlage dar-stellen soll. Der Sachverständige haftet bei drittgerich-teten Aussagen für die geschaffene Vertrauenslage.Primär beantwortet der Zweck des Gutachtens dieFrage, ob es (auch) drittgerichtet ist.

2. Das in § 230 Abs 1 ABGB verankerte Hand-lungsgebot, Geld eines Minderjährigen „möglichstfruchtbringend“ anzulegen, bewirkt die Gleichrangig-keit der in den §§ 230a bis 230e ABGB näher be-handelten Anlegungsarten. Das PflegschaftsG ist so-mit dann verpflichtet, die Anlegung des Mündelgeldsauf eine andere als der in den §§ 230a bis 230dABGB umschriebenen Weise zu genehmigen, wenndies den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermö-gensverwaltung entspricht. Ob diese Voraussetzun-gen zutreffen, ist anhand der Umstände des Einzel-falls zu prüfen. Maßgebend wird dabei sein, ob auchein Fachmann auf dem Gebiet der Vermögensverwal-tung sein Geld auf die vom gesetzlichen Vertreter vor-geschlagene Weise anlegen würde.

3. Die Richtigkeit eines Gutachtens über den Er-werb von Wertpapieren zur Anlegung von Mündel-geld iSd § 230e ABGB ist einer ex-ante-Prüfung zuunterziehen, sodass es auf die Vorhersehbarkeit desWertverlusts der Aktien zum Zeitpunkt der Gutach-tenserstellung ankommt. Bei der Beurteilung darfsich ein Sachverständiger auf öffentlich zugänglicheErkenntnisquellen (Jahresabschlüsse; Prüfberichte;Börsenstatistiken; Presseberichte) beschränken, so-lange keine begründeten Zweifel an deren Richtigkeitbestehen.

Der bekl SV erstattete in den Jahren 1999 bis 2007 imAuftrag einer Bank insgesamt sieben Gutachten bezüg-lich der grundsätzlichen Eignung der I-Aktien zur Ver-anlagung von Mündelgeld. Ihm war dabei bekannt, dasszwischen der Bank und der I-AG enge geschäftliche Be-ziehungen und auch personelle Verflechtungen bestan-den. In seinen jeweiligen Gutachten stellte der SV fest,dass diese Aktien derzeit zur Veranlagung von Mündel-geld geeignet seien, sofern die Veranlagung im Rahmeneines sinnvollen Portfoliomix erfolgt. Die Gutachtenwurden auszugsweise an Dritte weitergegeben und imInternet zum Download angeboten. Nach Genehmigungdurch das PflegschaftsG kaufte eine Mutter, der ein Gut-achten des SV auszugsweise vorgelegen war, I-Aktien fürihre beiden Kinder. Dadurch erlitten die Kinder hoheVerluste. Der Schadenersatzanspruch wurde dem VKIzum Inkasso abgetreten. Eine Haftung des SV wurde je-doch verneint.

Aus der Begründung (nur zu 2. und 3.):Die Haftung des Bekl ist nicht deswegen zu vernei-nen, weil das PflegschaftsG vor seiner Veranlagungs-genehmigung gem § 230e Abs 1 ABGB einen SVfür das Börsen- oder Bankwesen zu hören hat. Nachdieser Bestimmung reicht wohl ein dem Pfleg-schaftsG vorgelegtes Privatgutachten für die Geneh-migung des Erwerbs der Wertpapiere nicht aus, dasPrivatgutachten könnte aber durchaus als Entschei-dungsgrundlage mit herangezogen werden, wennein anderer SV dem Gericht die Richtigkeit des Pri-vatgutachtens bestätigt. Hier ist dem Standpunktdes Kl zu folgen, dass eine allfällige Amtshaftungdie Haftung des bekl Gutachters nicht ausschließt,sondern nur zu dieser Haftung solidarisch hinzutritt.

(…)Der Kl (Anm: der VKI) wirft dem Bekl unter Vor-

lage von Privatgutachten eine Fülle von Erhebungs-mängeln vor. Da die Unrichtigkeit des Gutachtensnur auf diese Sachverhaltsbehauptungen gestütztwurde, seien diese hier wörtlich wiedergegeben(Anm: nur teilweise abgedruckt):

Es „fand keine Prüfung und Analyse des Liegen-schaftsbestandes bzw der -erwerbe durch die einzel-nen Immobiliengesellschaften der I*****-Gruppestatt;

erfolgte keine Prüfung der Lagequalität und sons-tiger wertbestimmender Faktoren (Mieterstruktur,Bonität, Mietentgelte, Laufzeiten, Leerstände etc);

erfolgte keine eingehendere Auseinandersetzungmit der tatsächlichen Nutzung oder von Verkehrs-wertermittlungen des Immobilienbestands, weshalbauch keine Aussagen zur Erfüllung des § 230eAbs 2 ABGB getroffen werden konnten;

(…)ist der Vergleich von Aktien der I***** mit der

Rendite- und Risikoerwartung von Anleihen desBundes oder der Länder oder von Pfandbriefen undKommunalschuldverschreibungen iSd § 230b Z 1bis 3 ABGB im vorliegenden Fall völlig unzutreffend,weil deren Haftungsunterlegung in keiner Weise mitdem Deckungsstock in Immobilien oder sonstigerSachwerte der I***** vergleichbar war/ist und im Üb-rigen ein solcher vom bekl SV auch gar nicht geprüftwurde; (…)“

Die aus den Jahren 2008 und 2009 stammenden,den Immobilienmarkt analysierenden Privatgutach-ten verweisen ua auf in der Branche zunächst (bis2007) stattgefundene hohe Kurssteigerungen, auf un-realistische Zuschläge von bis zu 30% auf den „NetAsset Value“ und die ab 2007 einsetzenden über-durchschnittlichen Verluste von Immobilienaktien.Den Risken hätten die Unternehmen durch höhereRisikozuschläge Rechnung tragen müssen. „Bewer-tungs- und bilanzpolitische Gestaltungsspielräume“seien genutzt worden. Zum Kursrückgang ab 2007wird in den Privatgutachten ua auf die US-Hypothe-kenkrise, die rückläufige Wirtschaftsentwicklung in

BEARBEITET VONH. FRIEDL

§§ 230 ff, 1295,1300 ABGB

OGH 4. 8. 2010,3 Ob 79/10d

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Osteuropa und später bekannt gewordene Kursmani-pulationen einzelner Unternehmen verwiesen. In denPrivatgutachten wird eine Fülle von Gutachtens-grundlagen angeführt (ua: Bau- und Ausstattungsbe-schreibungen; Mietverträge; Zinslisten; Luftaufnah-men von den Objekten; Erhebungsunterlagen übergleichwertige Objekte; zusätzliche Fotodokumentati-onen; Online-Abfragen über Flächenwidmungs- undBebauungspläne ua).

(…)Die Richtigkeit des Gutachtens ist ex ante nach

dem Zeitpunkt seiner Erstellung, also nach den da-mals zur Verfügung gestandenen Erkenntnisquellen,zu beurteilen:

Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit des Gutach-tens aus dem Jahr 2003 kann die zumindest in ihremAusmaß und den Folgen notorischerweise die ge-samte Welt überraschende US-Hypothekenkriseebenso wenig ins Treffen geführt werden wie spätereKursmanipulationen (also wohl auch strafrechtlich re-levante, ex ante nicht vorhersehbare Sachverhalte).Mit dem heutigen Wissen ausgestattet kann sogarder Standpunkt vertreten werden, Aktien seien gene-rell nicht mehr als sichere Anlagen zu bewerten (vgldie Probleme des milliardenschweren BP-Konzerns),ja nicht einmal mehr Staatsanleihen (vgl die Grie-chenlandkrise).

Dessen ungeachtet lässt der Gesetzgeber die Anle-gung von Mündelgeld in Wertpapieren zu. Nach§ 230 Abs 1 ABGB ist das Vermögen nicht nur si-cher, sondern auch „möglichst fruchtbringend“ anzu-legen. Maßstab dabei ist, ob auch ein Fachmann aufdem Gebiet der Vermögensverwaltung sein Geld aufdie vom gesetzlichen Vertreter vorgeschlagene Weiseanlegen würde (RIS-Justiz RS0111790). SpekulativeVeranlagungen sind allerdings nicht zu genehmigen(7 Ob 29/10 f).

Den Aspekt der Sicherheit will der Gesetzgebermit der Anhörung eines SV (§ 230e Abs 1 ABGB)wahren. Zum Umfang der Prüfpflicht des SV ist Fol-gendes auszuführen:

Auffällig ist zunächst, dass der Gesetzgeber nureine Anhörung und nicht eine schriftliche Gutach-tenserstattung anordnet und weiters, dass nur von ei-nem SV für das Börsen- oder Bankwesen die Rede ist.Schon daraus ist zu schließen, dass nicht umfangrei-che Bewertungsgutachten über den Wert der Aktien-gesellschaft und den Wert ihres Gesellschaftsvermö-gens (Liegenschaften; Inventar; Beteiligungen) zu er-statten sind, dass vielmehr die gutachtliche Stellung-nahme eines SV für Börsen- oder Bankwesenausreicht, der im Ergebnis zu beurteilen hat, ob auchein vorsichtiger Anleger solche Aktien kaufen würde.Für eine solche Auslegung spricht schon der Um-stand, dass das anzulegende Mündelgeld im Normal-fall nicht so groß ist, dass die Einholung der nach demStandpunkt des Kl notwendigen umfangreichen Gut-achten in Anbetracht deren hohen Kosten in Fragekäme. Ein solcher Standpunkt führte vielmehr dazu,dass Aktien von großen, schon jahrezehntelang amMarkt tätigen und eine gesunde Börsenentwicklungaufweisenden Aktiengesellschaften a priori für die An-legung von Mündelgeld ausgeschieden werden müss-ten, der gesetzlichen Anordnung einer auch ertragrei-

chen Veranlagung (§ 230 Abs 1 ABGB) also gar nichtentsprochen werden könnte.

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass derSV seine Sorgfaltspflichten bei der Befundaufnahmenicht verletzt hat:

a) Die festgestellten Erhebungen (Bilanzen, Prü-fungsberichte über Jahresabschlüsse, Statistiken überdie Aktienkursentwicklung und die Entwicklungdes Immobilienmarkts) waren ausreichend, die Bei-schaffung von öffentlich nicht zugänglichen weiterenErkenntnisquellen (vgl die Schwierigkeiten des Be-schaffens wegen Geschäftsgeheimnissen) war ohnebegründete Zweifel etwa an der Richtigkeit der veröf-fentlichten Bilanzen oder an einer günstigen künfti-gen Marktentwicklung entbehrlich. Relevante Zwei-fel hätten allenfalls aufgrund von Presseberichten odereinschlägigen Publikationen bestehen können. Derar-tiges wurde vom behauptungspflichtigen Kl abernicht einmal vorgebracht. Festzuhalten bleibt also,dass sich ein SV bei der Beurteilung von Aktien iSd§ 230e ABGB bei der Befundaufnahme auf öffent-lich zugängliche Erkenntnisquellen (Jahresabschlüsse;Prüfberichte; Börsenstatistiken; Branchenstatistiken;Presseberichte) beschränken darf.

b) Neben dem nicht berechtigten Vorwurf unge-nügender Stoffsammlung bei der Befundaufnahmeführte der Kl im Verfahren erster Instanz zur Unrich-tigkeit des Gutachtens nur den vom SV angestelltenSicherheitsvergleich mit Bundesanleihen und anderenim § 230b Z 1 bis 3 ABGB angeführten Wertpapie-ren ins Treffen:

Der SV (Anm: der Bekl) hat die Aktien nicht als„sicher wie Anleihen des Bundes“ bewertet, sondernabgeschwächt eine Sicherheit der Veranlagung „in an-nähernd gleichem Ausmaß“ als gewährleistet erachtet.(…) Zu seiner Kritik am Sicherheitsvergleich des SV(der Aktien mit Bundesanleihen) ist der Revisions-werber mit dem ErstG daran zu erinnern, dass dieRichtigkeit des Gutachtens nach dem Zusammen-hang der Äußerungen in seiner Gesamtheit zu beur-teilen ist. Daraus geht aber klar hervor, dass es sichbeim Gutachten um eine Beurteilung nach § 230eABGB handelt, bei der a priori nicht eine Sicherheitebenso, wie sie für Bundesanleihen gegeben ist, attes-tiert wird und dass eben deshalb vom SV auch derHinweis auf einen „sinnvollen Portfoliomix“ erfolgte.

Anmerkung:Der vorliegenden E ist, was das grundsätzliche Einste-henmüssen des SV für die Richtigkeit seines Gutachtensgegenüber Dritten betrifft, beizupflichten. Eine derartigeHaftung hatte das ErstG noch mit der Begründung ver-neint, dass eine deliktische Haftung gegenüber Drittenfür reine Vermögensschäden nur bei bedingtem Vorsatzdes Bekl in Betracht käme. Der OGH hat demgegenübervöllig zutreffend in Einklang mit der hL und stRsp aus-gesprochen, dass eine Haftung gegenüber Dritten bereitsdann anerkannt werden muss, wenn der Besteller desGutachtens – wie hier – für den SV erkennbar geradeauch die Interessen des Dritten mitverfolgt. Dies ist dannder Fall, wenn der SV damit rechnen muss, dass seinGutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesenals Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird. Man-gels ausdrücklicher Bestimmung im Vertrag kann sich

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die Beurteilung nach der Verkehrsübung richten (8 Ob51/08w ecolex 2008/374; 2 Ob 191/06m JBl 2007,518; 6 Ob 39/06p ecolex 2006/240; Kapsch, ecolex2006, 578). Dass die von der hA aufgestellten Grund-sätze im vorliegenden Fall zur Haftung des SV für dieRichtigkeit seines Gutachtens gegenüber potenziellen An-legern in I-Aktien führen, ist nur folgerichtig.

Anders gesehen werden muss allerdings die Frage, obdem SV in casu tatsächlich keine inhaltliche Unrichtig-keit seines Gutachtens nachgewiesen werden kann. Inder rechtskräftigen E vom 3. 12. 2008, 30 Cg 21/08 sdes LG für ZRS Wien wurde ein Amtshaftungsanspruchbejaht, weil das PflegschaftsG die Anlage von mehr alsder Hälfte des Gesamtvermögens eines Mündels in Ak-tien der I-AG bewilligt hatte. Nach zutreffender Ansichtberuhte die Genehmigung des Erwerbs dieser Aktiendurch das PflegschaftsG auf einer unvertretbaren Rechts-auffassung, weil es sich bei dieser Investition um keinensinnvollen Portfoliomix handeln könne. Im vorliegendenFall ist zu hinterfragen, ob die Relativierung im Gutach-ten – sofern die Veranlagung im Rahmen eines sinnvol-len Portfoliomix erfolgt – tatsächlich ausreichend für dieFreizeichnung des SV von jeglicher Haftung ist: Nachdem Gesetz bedürfen, sofern die Vermögensangelegenheitnicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, aus-schließlich die Veranlagung von Spareinlagen bei eineminländischen Kreditinstitut gem § 230a ABGB und derErwerb der im § 230b ABGB taxativ aufgezähltenWertpapiere keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmi-gung. I-Aktien zählen nicht dazu, weshalb hierfürgrundsätzlich eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung

erforderlich ist. § 230 e ABGB stellt daher lediglich eineAuffangklausel/Generalklausel für die Anlage in Vermö-gensgegenstände dar, die nach dem Gesetz als derart ris-kant angesehen werden, dass sie der vorangehenden Ge-nehmigung des PflegschaftsG bedürfen. Mit anderenWorten: Es mag in Einzelfällen auch eine Veranlagungvon Mündelvermögen in höchstriskante Wertpapiere ei-ner wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprechen,wenn das übrige Mündelgeld entsprechend konservativveranlagt ist. Dass daraus – wie der SV dies in seinemGutachten getan hat – der Umkehrschluss gezogen wer-den kann, die Veranlagung in höchstriskante Wertpa-piere, die ja auch durchaus fruchtbringend iSd § 230Abs 1 ABGB sein kann, wäre zur Mündelgeldveranla-gung geeignet, ist alles andere als bestechend. Bei der Be-urteilung ist vielmehr auf das jeweilige Wertpapier ansich abzustellen und nicht auf ein – im Übrigen garnicht näher beschriebenes – Portfolio. Durch die Ver-wendung des Qualifikationsmerkmals „geeignet“ unter-stellt der SV der I-Aktie die Eigenschaft der Mündelsi-cherheit, die ihr aber nur in Ausnahmefällen zukommt,und verkehrt sohin das Regel-Ausnahme-Verhältnis.Nach den Urteilsfeststellungen war dem SV überdies be-kannt, dass diese zentrale Gutachtensaussage als –marktschreierische –Werbeaussage verwendet wird, frei-lich ohne dass dies für einen Privatanleger gleich auf denersten Blick erkennbar wäre (vgl 8 Ob 25/10z ecolex2010/380 [Wilhelm]).

Ingo KapschRA Dr. Ingo Kapsch ist Partner bei HLMK Rechtsanwälte HochedlingerLuschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien.

Verkehrsüberwachung mit Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwingbar1. Jene höchstgerichtliche Judikatur, die nachbar-rechtliche (Ausgleichs-)Ansprüche bei Immissionen,die von öffentlichen Straßen ausgingen, bejahte, be-zieht sich auf Maßnahmen der Gebietskörperschaf-ten im Rahmen der Straßenerhaltung, also der Pri-vatwirtschaftsverwaltung („übermäßige“ Salzstreu-ung; Baumaßnahmen auf öffentlichen Straßen;Windbruchschäden infolge der Rodung für den Stra-ßenbau ua). Bei Immissionsschäden durch den öf-fentlichen Verkehr sind hingegen derartige Aus-gleichsansprüche gegen den Straßenerhalter ausge-schlossen.

2. Geht es den Unterlassungsklägern im Endeffektdarum, dem bekl Rechtsträger Maßnahmen aufzutra-gen, die die (lückenlose) Einhaltung der höchstzuläs-sigen Geschwindigkeit von 30 km/h garantieren sol-len, so können derartige Maßnahmen der Hoheitsver-waltung aber mit den privatrechtlichen Mitteln desNachbarrechts nicht erzwungen werden. Diese Rege-lung und Sicherung des Gemeingebrauchs an öffent-lichen Straßen ist eindeutig der Hoheitsverwaltungzuzuordnen.

3. Der RL 2002/49/EG über die Bewertung undBekämpfung von Umgebungslärm lässt sich ein sub-jektives Recht des Einzelnen, dem Staat (bzw hier ei-ner Gebietskörperschaft) konkrete Maßnahmen zurBekämpfung von Lärmemissionen aufzutragen, nichtentnehmen.

Die Kl bewohnen ein Einfamilienhaus in Wien. Entlangihrer Liegenschaft verläuft auf einem Grundstück derbekl Stadt Wien (öffentliches Gut) eine Landes- bzw Ge-meindestraße, die in beiden Fahrtrichtungen zu befah-ren ist und deren Aktivfahrbahn (ua) im Bereich derLiegenschaft der Kl aufgrund gepflasteter Parkflächenund vorgezogener Gehsteige auf 7,1m reduziert wur-de. Jenes Wohngebiet, in dem sich die Liegenschaftder Kl befindet, wurde 1990 durch Verordnung desLandes Wien zur sog Tempo 30-Zone erklärt. Die Be-schränkung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf30 km/h wurde ua unmittelbar bei der Liegenschaft derKl als Piktogramm auf die Fahrbahnoberfläche gezeich-net. Die Kl begehren 1. die Unterlassung von Immissio-nen durch Straßenlärm, soweit dieser von Verkehrsteil-nehmern durch die Überschreitung der Geschwindigkeitvon 30 km/h auf der erwähnten Straße verursacht wird,2. die Feststellung derHaftung der Bekl für jeden zukünf-tigen Schaden infolge derartiger Immissionen, und 3. dieZahlung von E 6.552,– wegen des Einbaus von Schall-schutzfenstern und einer Klimaanlage.

Aus der Begründung:Wie sich schon aus der Formulierung des Unterlas-sungs- bzw Feststellungsbegehrens ergibt, geht esden Kl im Endeffekt darum, dem bekl RechtsträgerMaßnahmen aufzutragen, die die (lückenlose) Ein-

§§ 364, 364aABGB;

§ 1 AHG;§ 1 JN;

RL 2002/49/EG

OGH 14. 9. 2010,1 Ob 139/10p

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haltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit von30 km/h garantieren sollen. Diese Regelung und Si-cherung des Gemeingebrauchs an öffentlichen Stra-ßen ist eindeutig der Hoheitsverwaltung zuzuordnen.Derartige Maßnahmen der Hoheitsverwaltung kön-nen aber mit den privatrechtlichen Mitteln desNachbarrechts nicht erzwungen werden (Spielbüchlerin Rummel 3 § 364 ABGB Rz 6; Oberhammer inSchwimann, ABGB3 II § 364 Rz 14; RIS-JustizRS0010522). Jene höchstgerichtliche Judikatur, dienachbarrechtliche (Ausgleichs-)Ansprüche bei Immis-sionen, die von öffentlichen Straßen ausgingen, be-jahte, bezieht sich auf Maßnahmen der Gebietskör-perschaften im Rahmen der Straßenerhaltung, alsoder Privatwirtschaftsverwaltung („übermäßige“ Salz-streuung: 4 Ob 239/08p; 3 Ob 77/09h; Baumaß-nahmen auf öffentlichen Straßen: 7 Ob 66/02kmwN; Windbruchschäden infolge der Rodung fürden Straßenbau: JBl 1989, 646). Bei Immissionsschä-den durch den öffentlichen Verkehr sind hingegenderartige Ausgleichsansprüche gegen den Straßener-halter ausgeschlossen (6 Ob 548/81 SZ 55/55; vglauch 3 Ob 534/90).

Ob die Verordnung einer Tempo 30-Zone in ei-nemWohngebiet als Maßnahme der Verkehrsberuhi-gung tatsächlich nicht (auch) dem Schutz der Anrai-ner vor Lärmbelästigung dient und deshalb ein Amts-haftungsanspruch ausgeschlossen sein soll, wie dieVorinstanzen angenommen haben, kann dahingestelltbleiben: Die Kl, die im Amtshaftungsprozess dasrechtswidrige Organverhalten als Ursache für die be-haupteten (zukünftigen) Schäden darzulegen haben(1 Ob 68/09w mwN), werfen der Bekl die rechtswid-rige Unterlassung gebotener (hoheitlicher) Maßnah-men zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschrän-kung (insb Verkehrsüberwachung im Rahmen derVerkehrspolizei) vor. Rechtswidriges Organverhaltenkann zwar uU durch die Unterlassung zumutbarer

Maßnahmen im Rahmen der Verkehrspolizei begrün-det werden (vgl Koziol, Haftung der öffentlichenHand wegen mangelhafter Verkehrsüberwachung,RdW 1985, 4; Schragel, AHG3 Rz 144). Die Auffas-sung des BerG, die Kl hätten keinen Anspruch aufMaßnahmen, die die von ihnen ja angestrebte Einhal-tung der höchstzulässigen Geschwindigkeit durchsämtliche Verkehrsteilnehmer garantieren, wie die (lü-ckenlose) Kontrolle verordneter Geschwindigkeitsbe-schränkungen, ist aber keine aufzugreifende Fehlbeur-teilung, entspricht sie doch auch dem allgemeinenGrundsatz, es bestehe grundsätzlich kein subjektivesRecht auf gesetzmäßige Führung der gesamten Ver-waltung (RIS-Justiz RS0049967).

Der RL 2002/49/EG des Europäischen Parla-ments und des Rates vom 25. 6. 2002 über die Be-wertung und Bekämpfung von Umgebungslärm lässtsich ein subjektives Recht des Einzelnen, dem Staat(bzw hier einer Gebietskörperschaft) konkrete Maß-nahmen zur Bekämpfung von Lärmemissionen aufzu-tragen, nicht entnehmen. Ziel der RL ist nach ihremArt 1 insb die Festlegung eines gemeinsamen Kon-zepts zur Verhinderung oder zur Reduktion vonschädlichem Umgebungslärm. Dieses Ziel soll insbdurch die in den Art 7 und 8 der RL festgelegten,den Mitgliedstaaten obliegenden Maßnahmen (Aus-arbeitung strategischer Lärmkarten und Aktionsplä-nen) erreicht werden. Dass die zitierte RL entgegendem klaren Wortlaut dem Einzelnen ein subjektivesRecht einräumt, zur Bekämpfung von Umgebungs-lärm detaillierte, allenfalls in einem Aktionsplan iSdArt 8 der RL festgehaltene Maßnahmen zu verlangen(vgl 1 Ob 68/09w zur RL 96/62 EG des Rates vom27. 9. 1996 über die Beurteilung und Kontrolle derLuftqualität), behauptet die Revision gar nicht. Da-mit legt sie die Erheblichkeit der dem Zulassungsaus-spruch zugrunde liegenden Rechtsfrage nicht ausrei-chend dar.

Kündigungsrecht eines privaten monopolartigen Wasserversorgers1. Die nach § 914 ABGB zu erforschende Parteienab-sicht kann uU darauf gerichtet sein, die sonst freieKündbarkeit eines unbefristeten Wasserbezugsver-trags (mit privatem Wasserversorger) nicht ohne An-gabe von Gründen ohne weiteres zuzulassen. Die mo-nopolartige Stellung einer privaten Wasserversorgerinist ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung derFrage nach dem Zweck des Vertrags, der das maßgeb-liche Kriterium für die Absicht der Parteien darstellt,die freie Kündbarkeit auszuschließen.

2. Unterlaufene Fehleinschätzung der wirtschaftli-chen bzw touristischen Entwicklung sowie die beiAbschluss des betroffenen Altvertrags unterlassenewirtschaftliche Kalkulation, die der Sphäre des Unter-nehmens zuzuordnen sind, rechtfertigen nicht unbe-dingt eine Vertragsauflösung aus wichtigem Grund.Immerhin schließt die Beteiligung am Geschäftslebenbei freier Marktwirtschaft ein spekulatives Elementmit ein, dessen Folgen nicht auf den Vertragspartnerüberwälzt werden können.

3. Das bedeutet aber nicht, dass ein Versorgungs-unternehmen (selbst wenn es Monopolstellung hat)

die Versorgung aufgrund der Altverträge fortsetzenmuss, wenn das gesamte Unternehmen aus diesemGrund nur mehr defizitär geführt werden kann; einUnternehmen muss nicht erst insolvent werden, umunwirtschaftlich gewordene Dauerschuldverhältnisse,die zur negativen Entwicklung geführt haben, auflö-sen zu können.

Aus der Begründung:Der Wasserbezugsvertrag wurde auf unbestimmteZeit geschlossen und enthielt – was unstrittig ist –keine Regelung zu Mindestbindungsfristen, Kündi-gungsterminen oder Kündigungsfristen. Richtig istnun, dass mangels einer gegenteiligen Vereinbarungdie freie Kündbarkeit eines derartigen Dauerschuld-verhältnisses – und zwar unter Setzung einer ange-messenen Frist – die Regel ist. Entscheidend ist aberimmer die nach der Auslegungsregel des § 914 ABGBzu erforschende Parteienabsicht, die uU auch daraufgerichtet sein kann, die freie Kündbarkeit ohne An-

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§§ 118, 879, 936ABGB

OGH 14. 9. 2010,1 Ob 143/10a

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gabe von Gründen nicht ohne weiteres zuzulassen(RIS-Justiz RS0018924).

Im konkreten Fall ist die monopolartige Stellungder Kl ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilungder Frage nach dem Zweck des Vertrags, der das maß-gebliche Kriterium für die Absicht der Parteien dar-stellt, die freie Kündbarkeit auszuschließen (3 Ob103/08 f mwN). Die Kl bezweifelt nicht ihre Ver-pflichtung als eine Art Monopolistin, in ihrem Ver-sorgungsgebiet Wasserversorgungsverträge zu ange-messenen Bedingungen abzuschließen (RIS-JustizRS0030805), sie rechtfertigt aber die ordentlicheKündigung mit der in den letzten Jahren eingetrete-nen Unwirtschaftlichkeit eines Wasserbezugs durchZweitwohnungsbesitzer ohne Verpflichtung einerMindestabnahmemenge, also einer Versorgung zununmehr unangemessenen Bedingungen, was nichtvon der Parteienabsicht umfasst gewesen sein könnte.Dabei vernachlässigt sie in ihren Argumenten die beiVertragsabschluss vorhandene Interessenlage auf Sei-ten der Abnehmer, die bei Kauf der Grundstückezum Abschluss von Wasserversorgungsverträgen mitder Verkäuferin bzw Rechtsvorgängerin der Kl prak-tisch gezwungen waren, und zwar zu den vom Was-serversorgungsunternehmen zum damaligen Zeit-punkt (1972) im Rahmen des Gesamtkonzepts(Schaffung eines Tourismusgebiets samt entsprechen-den Einnahmequellen durch Grundstücksverkäufeund Errichtung bzw Betrieb von Schiliften) als ange-messen angesehenen Bedingungen (ua Anschlusspreisvon S 152.000,– „Exklusivbezug“). Ein jederzeit aus-zuübendes unbedingtes ordentliches Kündigungs-recht wäre aus der damaligen Sicht keine wirtschaft-lich vernünftige Lösung gewesen. Für das Wasserver-sorgungsunternehmen konnten sich die getätigten In-vestitionen bei einem kurzfristigen Bestand desjeweiligen Versorgungsvertrags keinesfalls rentieren.Für die Abnehmerin war die Ausübung eines ordent-lichen Kündigungsrechts deshalb nicht von Vorteil,weil – abgesehen vom Verlust des Anschlusspreises– sich im Nahbereich der Liegenschaft der Bekl keineandere Wasserversorgungsanlage befindet und derWasserbedarf – sofern keine eigene Wasserquelle vor-handen ist – nur über die Rechtsvorgängerin der Klgedeckt werden konnte (vgl dazu die im Verbands-prozess ergangene E 1 Ob 224/06g). Dass auf denverkauften Grundstücken Appartementanlagen mitFerienwohnungen errichtet werden sollten, war dendamaligen Verkäufern auch bekannt, sie haben dieseEntwicklung sogar selbst gefördert. Es wäre daher Sa-che der Rechtsvorgängerin der Kl gewesen, die Wirt-schaftlichkeit des Wasserbezugs durch Zweitwohn-sitze mit bekanntermaßen geringeren Nutzungsmen-gen durch eine zulässige Mindestabnahmemenge si-cherzustellen, wie dies ab Mitte der 70er Jahre desvergangenen Jahrhunderts auch der Fall war.

Der Kl geht es letztlich darum, die für sie ungüns-tigen Altverträge zu beenden, um über das ordentli-che Kündigungsrecht mit denselben Abnehmernneue Verträge zu für das Versorgungsunternehmengünstigeren Bedingungen abzuschließen, was sieselbst gar nicht in Abrede stellt. Den Abnehmernbliebe aber mangels anderweitiger Versorgungsmög-lichkeit gar keine Wahl, als neue Verträge abzuschlie-

ßen und dann ein Vielfaches als bisher für den Was-serbezug, dessen Bedeutung für die Benutzung einerWohnung evident ist, zu zahlen. Die Vereinbarungeines solchen Kündigungsrechts zu Gunsten einesWasserversorgungsunternehmens mit Monopolstel-lung würde bedeuten, dass dieses nach dem Willender Parteien seine faktische Übermacht zu Lastender Abnehmer ausspielen kann, was nach der Judika-tur einem Monopolisten allgemein verwehrt bleibensoll (RIS-Justiz RS0110808; vgl RS0018306). Dieseungleiche Gewichtung der jeweiligen Rechtsposition(Monopolist gegen Abnehmer) im Fall eines (auch)zu Gunsten des Unternehmens vereinbarten ordentli-chen Kündigungsrechts zeigt sich eben insb darin,dass das Versorgungsunternehmen kaum mit der or-dentlichen Kündigung des Wasserbezugsvertragsdurch den jeweiligen Abnehmer rechnen musste, zu-mal ein Abnehmer einen nach damaligen Verhältnis-sen sehr hohen Anschlusspreis zahlen musste.

Das Argument der Kl zur Unzulässigkeit einerewig andauernden Vertragsbindung überzeugt des-halb nicht, weil ein zeitlich unbeschränkter Verzichtauf das ordentliche Kündigungsrecht eine Auflösungdes Vertragsverhältnisses ja nicht überhaupt aus-schließt (Iro in KBB2 § 1116 Rz 2; RIS-JustizRS0018368). Haben die Vorinstanzen aufgrund desGeschäftszwecks, der nach den Verhältnissen im Jahr1972 zu beurteilen ist, eine Vereinbarung über einenAusschluss des ordentlichen Kündigungsrechts desWasserversorgungsunternehmens angenommen, soist das kein bedenkliches Auslegungsergebnis.

Ein außerordentliches Kündigungsrecht setzt ei-nen wichtigen Grund voraus, der die Voraussetzungdes Vertragsverhältnisses für die Kl unzumutbar ma-chen würde (RIS-Justiz RS0027780). Wie schondas BerG an sich zutreffend ausgeführt hat, müssendie der Rechtsvorgängerin der Kl unterlaufene Fehl-einschätzung der wirtschaftlichen bzw touristischenEntwicklung sowie die bei Abschluss des betroffenenAltvertrags unterlassene wirtschaftliche Kalkulation,die der Sphäre des Unternehmens zuzuordnen sind,nicht unbedingt eine Vertragsauflösung aus wichti-gem Grund rechtfertigen. Immerhin schließt die Be-teiligung am Geschäftsleben bei freier Marktwirt-schaft ein spekulatives Element mit ein, dessen Fol-gen nicht auf den Vertragspartner überwälzt werdenkönnen (6 Ob 59/00w SZ 73/180 mwN). Dasselbegilt für die Änderung der Rahmenbedingungen durchVerschärfung hygienischer und technischer Vor-schriften zu Wasserleitungen, die nicht einseitig zuLasten des anderen Vertragspartners gehen können.

Das bedeutet aber nicht, dass ein Versorgungsun-ternehmen (selbst wenn es Monopolstellung hat) dieVersorgung aufgrund der Altverträge fortsetzen muss,wenn das gesamte Unternehmen aus diesem Grundnur mehr defizitär geführt werden kann (1 Ob 524/85). Anders formuliert: Ein Unternehmen muss nichterst in Insolvenz verfallen, um unwirtschaftlich ge-wordene Dauerschuldverhältnisse, die zur negativenwirtschaftlichen Entwicklung geführt haben, auflösenzu können. Genau eine solche Gefahr behauptet aberdie Kl in ihrem Vorbringen, aufgrund des Fortbe-stands der Altverträge vom wirtschaftlichen Ruin be-droht zu sein bzw den Betrieb nur wirtschaftlich füh-

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ren zu können, wenn in sämtlichen Wasserbezugsver-trägen eine Mindestabnahmemenge von 150m3 undein höherer Wasserzins vereinbart werden. Die Ein-stellung der Wasserversorgung wegen Unwirtschaft-lichkeit derselben läge nun keinesfalls im Interesseder jeweiligen Abnehmer, also auch nicht der Bekl.Das ErstG hat zwar für das Rumpfgeschäftsjahr2007 und für das Geschäftsjahr 2008 – ziffernmäßignicht konkretisierte – Verluste festgestellt, was aber

noch nichts darüber aussagt, ob der Fortbestand derAltverträge ohneMindestabnahmemenge dieses nega-tive Ergebnis verursacht hat. Im fortgesetzten Verfah-ren wird daher das ErstG konkrete Feststellungenzu treffen haben, ob das Unternehmen der Kl auf-grund der ungünstigen Altverträge defizitär arbeitetund das Aufrechterhalten des Betriebs zu den derzei-tigen Bedingungen wirtschaftlich nicht zu rechtferti-gen ist.

Verbot der Aufrechnung im Auftragsverhältnis (Reisebüro) beiAkontozahlungen1. Die Frage, ob das Aufrechnungsverbot iSd § 1440Satz 2 ABGB auf Auftrags- und Treuhandverhältnisse(analog) anwendbar ist (hier Verhältnis Reisebüro –Reiseveranstalter), wird in Rsp und Lehre uneinheit-lich beantwortet. Nach der jüngeren Rsp ist die Auf-rechnung jedenfalls in jenen Fällen zulässig, in denender Rückforderungsgläubiger typischerweise mit Ge-genansprüchen des Beauftragten (jedenfalls) aus dem-selben Rechtsverhältnis rechnen muss, sodass die Auf-rechnung für ihn nicht überraschend kommt. DieAufrechnung ist dann nicht zuzulassen, wenn demBeauftragten die Sache bzw der betreffende Geldbe-trag mit einem bestimmten Verwendungszweck, dersich auch durch Vertragsauslegung ergeben kann,übergeben wurde.

2. Wird eine mit einer Zweckbestimmung verse-hene Akontozahlung vom Beauftragten widmungs-widrig verwendet, so kann sich der Übergeber aufdas Aufrechnungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGBberufen und die Aufrechnung mit Gegenforderungendes Beauftragten verhindern, sofern er nicht aufgrundder konkreten Vertragslage mit Gegenansprüchen desBeauftragten aus demselben Rechtsverhältnis rechnenmusste.

3. Der Ansicht, jeder Gläubiger einer auf Gat-tungssachen und damit auch auf Geld gerichtetenForderung müsse immer damit rechnen, dass sein An-spruch durch Kompensation mit einer gleichartigenForderung ganz oder teilweise zum Erlöschen ge-bracht werde, kann in dieser allgemeinen Form nichtbeigepflichtet werden. In diesem Sinn ist das Ver-trauen des Auftraggebers auf unverzügliche Rückstel-

lung anzuerkennen, wenn ausnahmsweise Gegenan-sprüche in Frage stehen, die für den Auftraggeber ge-radezu überraschend sein müssten.

Die Bekl (ein Reisebüro) hatte im Auftrag der Kl, einerrussischen Reiseveranstalterin, im eigenen Namen undauf eigene Rechnung Buchungen von Hoteldienstleistun-gen in Österreich vorzunehmen. In Abhängigkeit vomBuchungsvolumen für die jeweils kommende Wintersai-son waren Akontierungen der Kl auf die Winterbuchun-gen üblich. Die Stornomodalitäten wurden zwischenden Streitteilen nicht besprochen. Auch anlässlich derFußballeuropameisterschaft 2008 nahm die Bekl fürdie Kl Hotelbuchungen (sog EURO-Buchungen) vor,die von der Kl teilweise wieder storniert wurden. Hin-sichtlich der Zahlung der Hotel- bzw Stornokostenkam es zu Meinungsverschiedenheiten, in deren ZugeRechnungen von der Bekl storniert wurden. Am18. 8. 2008 stellte die Bekl eine neue Rechnung (überE 26.523,–) aus, worauf die Kl ihre Erleichterung überdie Lösung des Problems ausdrückte und die Überwei-sung der für die Wintersaison 2009 geforderten Akonto-zahlung ankündigte. Die Akontozahlung wurde mitdem Vermerk „Winter 2009 Tourist Services“ geleistet.Da die Bekl nach erneuten Diskussionen über die Zah-lung von Kosten aus EURO-Buchungen aus EigenemWinterbuchungen für die Kl rückgängig machte, löstedie Kl das Vertragsverhältnis auf und forderte die Akon-tobeträge zurück. Die Bekl verweigerte die Rückzahlungwegen Aufrechnung mit den Forderungen aus denEURO-Buchungen.

Erbschaftskauf kein VorkaufsfallDer Erbschaftskauf löst, solange kein Umgehungsge-schäft vorliegt, das Vorkaufsrecht nicht aus. Die be-sonderen Wirkungen des Erbschaftskaufs für den Er-

werber gehen weit über die eines bloßen Kaufs hi-naus.

Auflösungstatbestand „Aufgabe des Unternehmens“ in Leasing-AGB1. Für den (wirksam) vereinbarten Auflösungstatbe-stand der „Aufgabe des Unternehmens“ in AGB fürLeasingverträge kommt es auf die Einstellung derAusübung der unternehmerischen Tätigkeit, die zurErreichung des Unternehmenszwecks typischerweiseausgeübt wird, an (hier auf die Aufgabe der anwaltli-chen Vertretungstätigkeit infolge Verzichts auf dieAusübung der Rechtsanwaltschaft).

2. Der zu beurteilende Auflösungsgrund beziehtsich nämlich auf das Leasing zu Geschäftszwecken

und damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Lea-singgegenstand dem Leasingnehmer solange zur Ver-fügung stehen und das Auflösungsrecht des Leasing-gebers nicht bestehen soll, solange eine Nutzung desLeasinggegenstands zu Geschäftszwecken erfolgt.Die Vertragsgrundlage besteht somit in der einver-nehmlich unterstellten Nutzung des Leasingobjektsfür die unternehmerische Tätigkeit, die zur Errei-chung des Unternehmenszwecks typischerweise aus-geübt wird.

ecolex 2011 305

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§§ 1002, 1440ABGB

OGH 22. 9. 2010,8 Ob 94/10x

2011/116

§§ 1079, 1278ABGB

OGH 18. 1. 2011,4 Ob 218/10b

2011/117

§§ 1090, 1118ABGB

OGH 3. 9. 2010,9 Ob 52/10b

2011/118

Page 28: ecolex 4/2011

3. Die den Leasingverträgen zugrunde gelegte An-waltstätigkeit kann nach dem Sinn und Zweck derVerträge nicht auf Abrechnungen im Auflösungssta-dium reduziert werden. Schon gar nicht kann aufdie endgültige Betriebsstilllegung bzw Vollbeendi-gung des Unternehmens abgestellt werden.

In den Jahren 2004 und 2006 schloss der bekl ehemaligeRA mit der U***** GmbH Leasingverträge über vierFahrzeuge ab, die im Rahmen seiner RA-Kanzlei ge-nutzt wurden. Diesen Verträgen liegen die AllgemeinenVertragsbedingungen für KFZ- und Mobilien-Leasingzugrunde, die auszugsweise lauten:

13. Vorzeitige Vertragsauflösung:13.1 Die LG (Leasinggeberin) ist zur sofortigen, vor-

zeitigen Auflösung des LV (Leasingvertrags) berechtigt,

wenn der LN (auch nur einer von mehreren LN oderein Sicherstellung leistender Dritter)

(…)c) stirbt oder handlungsunfähig wird, oder bei Lea-

sing zu Geschäftszwecken sein Geschäft (Unternehmen)aufgibt oder veräußert,

(…)g) sich die wirtschaftliche Lage des LN (eines von

mehreren LN oder eines Sicherstellung leistenden Drit-ten) derart verschlechtert, dass eine regelmäßige Zahlungdes Leasingentgelts gefährdet erscheint, insbesonderewenn der LN (…),“

Als der bekl RA in Untersuchungshaft genommenwurde und am 13. 9. 2007 auf die Ausübung derRechtsanwaltschaft verzichtete, löste die Leasinggeberinbzw ihre Kooperationspartnerin den Leasingvertrag aufund begehrte den Nichterfüllungsschaden samt Spesenaus den aufgelösten Leasingverträgen.

Zwischen Kündigungsgrund und Kündigungsverzicht1. Die widmungswidrige Verwendung des Mietob-jekts ist, ungeachtet ihres Ausmaßes, ein Kündigungs-grund, wenn sie wichtigen Interessen des Vermieterszuwiderläuft.

2. Blieb der Vermieter, der eine widmungswidrigeVerwendung kennt, untätig, so kann daraus jedenfallsnicht auf seine Zustimmung zu einer Ausweitung derwidmungswidrigen Verwendung geschlossen werden.

3. Die Nichterteilung der Kündigung wegen er-heblich nachteiliger Verwendung in der Vergangen-heit nimmt dem Vermieter nicht das Kündigungs-recht wegen Fortsetzung solcher Verwendung in derZukunft.

4. Der Mieter, der den Vermieter mehrfach ge-ohrfeigt hat, deshalb aber nicht gekündigt wordenist, darf daraus keinen Kündigungsverzicht für denFall ableiten, dass er dem Vermieter auch in der Zu-kunft mehrfach Ohrfeigen erteilt.

Aus der Begründung:Erheblich nachteiliger Gebrauch gem § 1118 ABGBumfasst sowohl den nachteiligen Gebrauch iSd § 30Abs 2 Z 3 erster Fall MRG als auch das unleidlicheVerhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG(RIS-Justiz RS0020956). Nach stRsp liegt erheblichnachteiliger Gebrauch auch in einem Verhalten desBestandnehmers, das geeignet ist, den Ruf oder wich-tige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Be-standgebers zu schädigen (RIS-Justiz RS0020940;7 Ob 321/99b SZ 73/29 mwN). Eine widmungs-widrige Verwendung berechtigt den Vermieter gem§ 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG zur Kündigung be-reits dann, wenn die mit der widmungswidrigen Ver-wendung zusammenhängenden Störungen zwar dasübliche Ausmaß nicht übersteigen, die Nutzung aberdie Interessen des Vermieters erheblich beeinträchtigt(5 Ob 501/92 wobl 1992/113; Würth/Zingher/Kova-nyi, Miet- und Wohnrecht22 § 30 MRG Rz 17mwN). Falls hingegen der widmungswidrige Ge-brauch nicht erheblich nachteilig ist, kann der Ver-mieter zwar Unterlassung begehren, nicht aber den

Bestandvertrag nach § 1118 erster Fall ABGB auflö-sen (3 Ob 248/75 SZ 48/132; 5 Ob 501/92).

Eine Gesamtbetrachtung führt zu einer Bejahungder Verletzung wichtiger Interessen der Vermieterin(der ÖBB, deren Bahnhof ganz in der Nähe des Bestand-objekts liegt, Anm): Jedenfalls die spätestens seit demFrühjahr 2007 in wöchentlichem bzw 14-tägigemRhythmus stattfindenden (Live-)Musik- undTanzveranstaltungen sind auch unter Zugrundele-gung der Tatsache, dass dabei im Regelfall überdiesFilme vorgeführt werden, nicht mehr mit dem verein-barten Verwendungszweck „Kinobetrieb“ in Einklangzu bringen. (. . .) Dem ErstG ist darin beizupflichten,dass die Kl ein legitimes wirtschaftliches Interesse da-ran hat, im Interesse des reibungslosen Bahnbetriebsein weiteres Absinken des Standorts zur Problemzonezu verhindern.

Aber auch der Einwand, die Kl habe jahrelang vonder geänderten Nutzungsart Kenntnis gehabt, daherauf die Geltendmachung des Auflösungsgrunds des§ 1118 erster Fall ABGB verzichtet bzw der geänder-ten Nutzungsart stillschweigend zugestimmt, ist nichtstichhältig:

Die Kl hat in der Vergangenheit alle Wünschenach einer Nutzungsänderung abgelehnt. Ihr war seit2000 die Abhaltung gelegentlicher Musikveranstal-tungen – bis 2003 lediglich etwa vier Mal jährlichohne Live-Musik – bekannt. Erst danach kam eszu vereinzelten Anzeigen, wobei die gravierenderenLärmbelästigungen erst seit etwa 2006 auftretenund die Bekl Veranstaltungen (erst) seit dem Jahr2005 weiter intensiviert hat und nunmehr in wö-chentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus Musikver-anstaltungen abhält. Selbst wenn man darin die Zu-stimmung der Kl zu etwa vier Musikveranstaltungenjährlich sähe, kann diese nicht auf die nun in wö-chentlichem bzw in 14-tägigem Rhythmus stattfin-denden Musikveranstaltungen mit weitaus stärkererLärmbelästigung erstreckt werden. Bei Beurteilungder Frage, ob eine schlüssige Zustimmung iSd§ 863 ABGB zu einer Änderung der bedungenenVerwendungsart vorliegt, ist ein strenger Maßstab

§ 1118 ABGB;§ 30 Abs 2 Z 3erster Fall MRG

OGH 4. 8. 2010,3 Ob 87/10 f

2011/119

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

306 ecolex 2011

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anzulegen (RIS-Justiz RS0014312). Von der in derRevision behaupteten, über siebenjährigen wider-spruchslosen Duldung der geänderten Nutzungsartkann jedenfalls in Ansehung der erst seit 2005 inten-sivierten und mit erheblichen Belästigungen einher-gehenden Veranstaltungen keine Rede sein. Eine Än-derung des Verwendungszwecks wurde daher nichtvereinbart.

Die Kl hat auf ihr Kündigungsrecht auch nichtverzichtet: Der Grundsatz, dass Auflösungs- undKündigungsgründe ohne unnötigen Aufschubgeltend gemacht werden müssen (RIS-JustizRS0014427), gilt für Dauertatbestände nicht unein-geschränkt, weil bei diesen grundsätzlich nicht auf ei-nen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündi-gungsgrunds geschlossen werden kann (stRsp; RIS-Justiz RS0067134). Das gilt insb für § 30 Abs 2Z 3 MRG (6 Ob 129/04w; 4 Ob 1566/95 uva;Würth/Zingher/Kovanyi, § 30 MRG Rz 24), der§ 1118 erster Fall ABGB entspricht; gleichsinnig9 Ob 16/08 f mwN.

Auch bei erheblich nachteiligem Gebrauch undunleidlichem Verhalten ist – wenngleich unter Anle-gung des allgemein streng anzusetzenden Maßstabs –

ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendma-chung eines bereits verwirklichten Kündigungs(-auf-lösungs-)grunds möglich. Dieser Verzicht gilt jedochnicht für zukünftiges weiteres vertragswidriges Ver-halten. Das in der Revisionsbeantwortung selbst als„plastisch drastisch“ bezeichnete Beispiel des Mieters,der den Vermieter zunächst vier Mal jährlich und in derFolge acht Mal jährlich ohrfeigt, ohne dass der Vermie-ter Konsequenzen zieht, belegt dies eindrucksvoll:Selbstverständlich kann der Vermieter in diesem Bei-spielsfall das Mietverhältnis auflösen, wenn der Mieterihn nun im achten Jahr 25–30 Mal jährlich ohrfeigt.Die Auffassung der Revisionsbeantwortung, die Dul-dung der Ohrfeigen in der Vergangenheit bewirke,dass der Vermieter sich auch in Zukunft und überdiesweitaus häufiger ohrfeigen lassen müsse, ohne das Be-standverhältnis auflösen zu können, ist schlicht un-haltbar und mit der Rsp nicht in Einklang.

Anmerkung:Vgl zu dieser E erhellend noch das Editorial von Wil-helm, Wohnungsmiete: Zwischen Kündigungsgrundund Kündigungsverzicht, ecolex 2011, 185.

Haftung bei Vermittlung von „Mietkauf“ besonders günstigerfabrikneuer Kfz1. Wer als selbständiger Vermittler von besondersgünstigen Verträgen über den Erwerb von fabriks-neuen Kfz tätig ist, nimmt für sich in Anspruch, überbesondere Sachkunde auf dem Gebiet des Kfz-Ver-triebs zu verfügen, die es ihm ermöglicht, wesentlichhöhere Rabatte zu erwirken als im sonstigen Handel.Diese Sachkunde bezieht sich – anders als bei Anlage-vermittlern und Immobilienmaklern – nicht auf dasvermittelte Produkt, sondern auf wirtschaftliche Zu-sammenhänge, die einen günstigen Vertragsabschlussermöglichen.

2. Der Vermittler ist zwar mangels ihm erkennba-rer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des dt „Groß-händlers“ nicht verpflichtet, den Kunden vor demgrundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenenInsolvenzrisiko zu warnen (allgemeine Warnpflicht),jedoch darf er auf Bedenken gegenüber dem Ge-schäftsmodell nicht mit dem Hinweis reagieren, die-ses sei abgesehen von einer Insolvenz des Herstellersder Kfz (Unternehmen im VW-Konzern) „sicher“.

3. Den Kunden trifft jedoch ein Mitverschulden,denn zum einen mussten der hohe Rabatt und die un-gewöhnliche Geschäftsabwicklung, an der mehrereUnternehmen beteiligt waren, Zweifel an der Seriosi-tät des Vertriebssystems erwecken und zum anderenist die Aussage des Vermittlers, dass das Geschäft ab-gesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“sei, angesichts der Vorauszahlung an ein anderes Un-ternehmen eine bloße Behauptung, für die er jede Be-gründung schuldig blieb. Vertraut die Kundin dieserAussage unbesehen und überweist einen hohen Geld-betrag ohne jede Sicherheit an ein ihr unbekanntesUnternehmen, liegt darin eine Sorglosigkeit in eige-nen Angelegenheiten. Diese wiegt jedoch deutlich ge-ringer als das Verschulden des Vermittlers, der ob-

gleich gutgläubig, aber doch ohne fundierte Kennt-nisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte. DasAusmaß des Mitverschuldens ist mit einem Viertelzu bemessen.

Der Bekl vermittelte als selbständiger „Mobilitätsbera-ter“ Verträge über den „Mietkauf“ von fabriksneuenPkw. Für diese Tätigkeit war er – mit anderen – von ei-nem Schweizer Unternehmen angeworben worden, dasihm das Vertriebskonzept bei einer Schulung erläuterthatte. Durch die Ausschaltung von Zwischenhändlernsollten Rabatte von 25% auf den Listenpreis ermöglichtwerden. Vertragspartner des Kunden sollte ein dt Unter-nehmen werden, das die Fahrzeuge als „Großhändler“günstig vom Hersteller erwarb. Für die Vermittlungsollte der Kl vom Schweizer Unternehmen eine Provisionerhalten. Im Vertriebssystem traten die „Mobilitätsbera-ter“ jeweils als eigene „Autovermittlungsagenturen“ auf;der Bekl war „Geschäftsführer“ der – offenkundig alleinaus ihm bestehenden und auch nach ihm benannten –„Mihu Autopreis Agentur“. Die Kl nahm an zwei Ver-anstaltungen teil, bei denen der Bekl das Angebot vor-stellte, und äußerte ihr Interesse am Erwerb eines Pkw.Der Bekl verwies sie zunächst auf die Website desSchweizer Unternehmens, auf der Interessenten die ge-wünschte Ausstattung des Pkw zusammenstellen konn-ten. Zu diesem Zeitpunkt war für die Kl noch nicht er-kennbar, dass der Vertrag mit dem dt Unternehmen ge-schlossen werden sollte. Sie nahm vielmehr an, dass ihrVertragspartner das Schweizer Unternehmen würdeund dass sie den Kaufpreis direkt an den Hersteller zuüberweisen hätte.

Nachdem die Kl dem Bekl die gewünschte Ausstat-tung mitgeteilt hatte, suchte er sie im November 2007mit den Vertragsunterlagen zu Hause auf. Dort war erst-

ecolex 2011 307

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§ 1300 ABGB

OGH 31. 8. 2010,4 Ob 137/10 s

2011/120

Page 30: ecolex 4/2011

mals das dt Unternehmen als Geschäftspartner genannt.Der Bekl teilte der Kl mit, dass sie im Voraus an diesesUnternehmen zahlen müsse, dieses würde das Geld dannan den Hersteller weiterleiten. Die Kl wünschte stattdes-sen eine treuhändische Abwicklung. Dies war jedochzum damaligen Zeitpunkt im Vertriebssystem nichtmöglich. Der Bekl stellte ihr das Vertriebssystem mit Aus-nahme des Insolvenzrisikos des Herstellers als „sicher“dar. Daraufhin unterzeichnete die Kl den Vertrag undüberwies dem dt Unternehmen das gesamte Entgeltvon E 18.742,98. Dieses Entgelt setzte sich nach derihr gelegten Rechnung aus einer „Mietsonderzahlung“ so-wie aus der „Vorauszahlung“ der „Monatsraten“ und der„Schlussrate“ zusammen. Das Schweizer Unternehmenbestätigte den Eingang dieses Betrags beim deutschenUnternehmen und gab „unverbindlich“ eine Lieferzeitvon 22 bis 26 Wochen an. Für die Zwischenzeit stelltedas dt Unternehmen der Kl „unentgeltlich“ ein vonihm angemietetes Fahrzeug zur Verfügung. Die Kl„musste“ dieses Fahrzeug jedoch noch vor der Ausliefe-rung des gekauften Pkw zurückgeben. Im Juni 2008wurde über das dt Unternehmen das Insolvenzverfahreneröffnet. Dem Bekl waren das Insolvenzrisiko oder (all-fällige) betrügerische Machenschaften nicht bekannt ge-wesen, er wollte die Kl nicht „bewusst“ täuschen. DieKl erhielt in weiterer Folge weder das Fahrzeug, nochwurde ihr das Entgelt rückerstattet. Der Bekl hatte fürdie Vermittlung des Geschäfts vom Schweizer Unterneh-men eine Provision von E 400,– erhalten.

Aus der Begründung:Der Bekl wurde nach den Feststellungen der Vorins-tanzen – was den vorliegenden Fall von jenem unter-scheidet, der zu 7 Ob 76/10 t zu entscheiden ist – alsselbständiger Vermittler von besonders günstigenVerträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kraft-fahrzeugen tätig. Damit nahm er für sich in An-spruch, über besondere Sachkunde auf dem Gebietdes Kfz-Vertriebs zu verfügen, die es ihm ermöglichte,wesentlich höhere Rabatte zu erwirken als im sonsti-gen Handel. Diese Sachkunde bezog sich zwar – an-ders als bei Anlagevermittlern und Immobilienmak-lern – nicht auf das vermittelte Produkt, sondernauf wirtschaftliche Zusammenhänge, die einen güns-tigen Vertragsabschluss ermöglichten. Genau dieseSachkunde nahmen aber die Kunden des Bekl in An-spruch. Insofern trat er ihnen gegenüber als Sachver-ständiger auf.

Der Bekl haftet – Kausalität vorausgesetzt – nach§ 1300 Satz 1 ABGB.

Die Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB setztnach stRsp nicht Entgeltlichkeit voraus; es genügt,dass der Rat oder die – diesem gleichgehaltene(RIS-Justiz RS0026527) – Auskunft nicht aus bloßerGefälligkeit (selbstlos) erteilt wurde (RIS-JustizRS0044121; RS0026596; Karner in KBB2 § 1300Rz 2; Harrer in Schwimann3 § 1300 Rz 2). Das trifftinsb dann zu, wenn das beanstandete Verhalten iZmeiner von dritter Seite erwarteten Leistung (insb einerProvision für die Vermittlung eines Geschäfts) gesetztwird (8 Ob 532/83 JBl 1985, 38; RIS-JustizRS0026596 [T 4]).

Die Auskunft des Bekl, das beabsichtigte Geschäftsei abgesehen von einem allfälligen Insolvenzrisiko

des Herstellers sicher, erfolgte iZm der Vermittlungeines Vertrags, für dessen erfolgreichen Abschluss ereine Provision erhielt. Der Bekl handelte daher nichtaus bloßer Gefälligkeit, sondern verfolgte ein eigeneswirtschaftliches Interesse. Aus diesem Grund haftet ernach § 1300 Satz 1 ABGB auch dann, wenn er durchbloß fahrlässiges Verhalten einen reinen Vermögens-schaden verursacht. Auf das Bestehen eines vom Beklvermissten „Auskunftsvertrags“ – der allerdings in derRsp gelegentlich allein aufgrund der Auskunftsertei-lung angenommen wurde (1 Ob 182/97 i SZ 70/147 mwN; vgl dazu aber Reischauer in Rummel 3§ 1300 Rz 6) – kommt es daher nicht an.

Richtig ist, dass der Bekl mangels ihm erkennba-rer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des dt Unter-nehmens nicht verpflichtet war, die Kl vor demgrundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenenInsolvenzrisiko zu warnen. Um eine solche allge-meine Warnpflicht geht es hier aber nicht. Die Klwirft dem Bekl vielmehr vor, dass er auf ihre Beden-ken gegenüber dem Geschäftsmodell mit dem Hin-weis reagiert habe, dieses sei abgesehen von einer In-solvenz des Herstellers „sicher“. Da es sich beim Her-steller um ein Tochterunternehmen des VW-Kon-zerns handelte, erweckte der Bekl damit denEindruck völliger Risikolosigkeit.

Zwar führte der Bekl nicht aus, aus welchenGründen eine Insolvenz des dt Unternehmens un-möglich, äußerst unwahrscheinlich oder für die Klunerheblich sei. Durch den Hinweis auf die „Sicher-heit“ nahm er aber für sich in Anspruch, das Ver-triebssystem zu durchschauen und auf der Grundlagedieser besonderen Sachkunde eine Einschätzung überdie mit der Zahlung verbundenen Risiken abgeben zukönnen. Damit ist der Bekl durchaus mit einem Fi-nanzdienstleister vergleichbar, der die Risikolosigkeiteines typischen Risikogeschäfts behauptet (RIS-JustizRS0108074 [T 1, T 5]). Zwar bezog sich seine Aus-kunft nicht auf das vermittelte Produkt, sondern aufdie Abwicklung des Geschäfts. Diese Abwicklungwar aber für die Kl im konkreten Fall ähnlich un-durchschaubar wie die Anlage in ein ungewöhnlichesFinanzprodukt. Der Bekl hätte daher die Auskunftüber die „Sicherheit“ dieser Abwicklung nur gebendürfen, wenn ihm entsprechende Tatsachen – etwaeine besondere wirtschaftliche Stärke des dt Unter-nehmens oder die Übernahme einer Haftung durchden Hersteller – bekannt gewesen wären. Der bloßeUmstand, dass bis zu diesem Zeitpunkt anscheinendalle Fahrzeuge ausgeliefert worden waren, reichte alsGrundlage für seine Aussage nicht aus.

Der Bekl hat daher fahrlässig eine unrichtige Aus-kunft erteilt. Die Vorinstanzen haben allerdings –aufgrund ihrer Rechtsauffassung folgerichtig – keineFeststellungen zur Frage getroffen, ob diese Auskunftauch kausal für den Vertragsabschluss durch die Klwar. Aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteiltwerden, ob das Verhalten des Bekl den Schaden derKl tatsächlich verursacht hat. Die Beweislast dafürtrifft die Kl (RIS-Justiz RS0106890).

Der Bekl hat vorgebracht, dass die Kl das Risikoder Insolvenz ihres Geschäftspartners selbst tragenmüsse. Damit hat er in der Sache einen Mitverschul-denseinwand erhoben.

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

308 ecolex 2011

Page 31: ecolex 4/2011

Dieser Einwand ist berechtigt. Denn zum einenmussten der hohe Rabatt und die ungewöhnliche Ge-schäftsabwicklung, an der mehrere Unternehmen be-teiligt waren, bei der Kl Zweifel an der Seriosität desVertriebssystems erwecken. Zum anderen war dieAussage des Bekl, dass das Geschäft abgesehen von ei-ner Insolvenz des Herstellers „sicher“ sei, angesichtsder Vorauszahlung an ein anderes Unternehmen einebloße Behauptung, für die er der Kl jede Begründungschuldig blieb. Dennoch hat sie dieser Aussage unbe-

sehen vertraut und einen hohen Geldbetrag ohne jedeSicherheit an ein ihr unbekanntes Unternehmenüberwiesen. Darin liegt eine Sorglosigkeit in eigenenAngelegenheiten, die jedoch deutlich geringer wiegtals das Verschulden des Bekl, der zwar nach den Fest-stellungen gutgläubig war, aber doch ohne fundierteKenntnisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte.Das Ausmaß ihres Mitverschuldens ist mit einemViertel zu bemessen.

Haftung des Anlageberaters bei fremdfinanzierter Veranlagung1. Der Anlageberater ist nach stRsp verpflichtet, rich-tig und vollständig über diejenigen tatsächlichen Um-stände zu informieren, die für den Anlageentschlussvon Bedeutung sind, und hat für unzureichendeKenntnisse einzustehen, wenn er diese nicht offenlegt. Der Anlageberater haftet auch dann für die un-richtige Aufklärung über die typischen Risiken, wenner selbst von der Seriosität des Anlagegeschäfts über-zeugt war.

2. Wenn bei begrenzter Risikobereitschaft desAnlageinteressenten zu einem durch einen Fremd-währungskredit finanzierten, in Relation zum Ein-kommen (hier Rentnerin mit monatl ca E 1.000,–)sehr hohen Veranlagungsvolumen (hier zunächstE 40.000,– und dann weitere E 38.000,–) ohne ent-

sprechende Risikostreuung geraten wird, ist von ei-nem grob fahrlässigen Beratungsfehler auszugehen.

3. Finden sich in dem vom Anlageinteressentenunterfertigten Formular auch Risikohinweise, mit de-nen Privaten vom Kauf von Wertpapieren auf Kreditgenerell abgeraten und zum konkreten Wertpapierauch darauf hingewiesen wurde, dass das Risiko einesTeilverlusts bis zum Gesamtverlust des eingesetztenKapitals bestehe, dann kann von einem Mitverschul-den von einem Drittel ausgegangen werden.

Anmerkung:Zur den erhöhten Pflichten des Anlageberaters beiFremdfinanzierung der Veranlagung s 2 Ob 236/04aecolex 2005/277.

Eigenhaftung des Kapitalanlagevermittlers1. Besteht kein ausgeprägtes wirtschaftliches Eigenin-teresse des Anlagevermittlers am Zustandekommendes Vertrags – der bloße Entgeltanspruch im Innen-verhältnis zum Geschäftsherrn genügt hiefür nicht –und wird auch kein besonderes Vertrauensverhältnisin Anspruch genommen, das über jenes hinausgeht,das jedermann seinem Vertrags- oder Verhandlungs-partner entgegenbringt, ist eine eigene Haftung desErfüllungsgehilfen (Anlagevermittlers) als Ausnahmevon der abschließenden Regelung des § 1313a ABGBanzunehmen, wenn der Anlageinteressent klar macht,er wolle – bezogen auf eine bestimmte Anlageent-scheidung – die einschlägigen Kenntnisse und Ver-bindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen.Nach der Rsp haftet nicht nur ein Anlageberater, son-dern auch der Anlagevermittler für die Verletzung ihntreffender Auskunftspflichten, wenn vom schlüssigenZustandekommen eines Auskunftsvertrags iSd§ 1300 ABGB ausgegangen werden kann. Dass derBerater (Vermittler) nicht vom Kunden, sondernvom Emittenten entlohnt wird, spielt dabei keineRolle.

2. Anlageberater und -vermittler müssen richtigeund vollständige Information über jene tatsächlichenUmstände bieten, die für den Anlageentschluss desInteressenten von besonderer Bedeutung sind (hierstille Beteiligungen an US-Unternehmen). Um dieserVerpflichtung zu entsprechen, müssen sie sich vorherselbst auf zuverlässige Weise über die Wirtschaftlich-keit der Anlage und über die Bonität des Kapitalsu-chenden informieren. Verfügt der Berater oder Ver-mittler nicht über objektive Daten und entspre-

chende Informationen, sondern nur über unzurei-chende Kenntnisse, muss er dies demAnlageinteressenten zumindest offenlegen. DerKunde darf grundsätzlich darauf vertrauen, dassdem Anlageberater (Vermittler) der nötige Einblickin die angebotene Beteiligung gewährt worden ist.

3. Stille Beteiligungen an einem Unternehmensind grundsätzlich ein risikoträchtiges Geschäft; auchim Fall betrügerischer Machenschaften ist der Risiko-zusammenhang anzunehmen, weil der stille Teilhaberkeine Sicherheiten und damit keinen besseren Zugriffauf das Gesellschaftsvermögen als Haftungsgrundlagehat als andere Gesellschaftsgläubiger auch.

4. Der Einwand, durch eigene Investition selbsteinem Betrug aufgesessen zu sein, kann den Anlage-berater oder -vermittler nicht exkulpieren.

Der Bekl war selbständiger Vermögensberater und hattedie Vermittlung von stillen Beteiligungen an einer„S***** Inc.“ (im Folgenden kurz: S*****) übernom-men. Wie auch andere Vermögensberater war der Beklvom Schweizer Staatsbürger W***** damit beauftragtworden, stille Beteiligungen an dieser amerikanischenGesellschaft zu verkaufen, deren Präsident er sei. Biszum 31. 12. 2006 waren Veranlagungen über eine„H***** H*****“ erfolgt, hinter welcher ebenfallsR***** W***** gestanden war. Ab 2007 sollte dieS***** die Veranlagungstätigkeiten übernehmen, wobeies den „H***** H*****“-Anlegern freistand, entwederihre Einlagen samt vereinbarten Zinsen zurückzuverlan-gen oder aber in „S*****-Produkte“ zu investieren. DemBekl wurden ein Befähigungszeugnis, eine Reisepassko-

ecolex 2011 309

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§ 1300 ABGB

OGH 4. 11. 2010,8 Ob 9/10x

2011/121

§§ 1300, 1313aABGB

OGH24. 11. 2010,9 Ob 5/10 s

2011/122

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pie, ein Strafregisterauszug und eine Meldebestätigungdes in Vorarlberg wohnhaften W***** vorgelegt. Im an-geführten Zeitraum gab es keine Warnhinweise derFMA bezüglich Tätigkeiten der S***** in Ö. Dem Beklwar bekannt, dass W***** als Präsident und danebennoch eine Sekretärin und ein Wirtschaftsprüfer für dieS***** tätig waren. Von Jänner bis Oktober 2007 gabes rund 530 vermittelte Verträge mit einem Volumenvon ca 5 Mio Euro. W***** stellte das Produkt (stille Be-teiligungen an der S*****) seinen Vermittlern gegenüberals „relativ sicher“ dar, indem er angab, dass zum einenein Depot mit Grundschuldbriefen zur Verfügung stehe,die auf 70–80% belehnt werden könnten und zum an-deren er selbst persönlich hafte, sodass nach einem gewis-sen Zeitraum eine 100%ige Sicherheit der Einlagen ga-rantiert sei. Der Bekl – der Kontakt wurde über die Le-bensgefährtin des Kl hergestellt – trat dem Kl gegenübernur als Vermittler für die S***** auf und erklärte diesemin zwei Beratungsgesprächen die Beteiligungsmöglichkei-ten an der S*****, wobei in erster Linie die Rendite vonca 8% jährlich erörtert wurde. Über das Wesen einerstillen Beteiligung wurde nicht gesprochen, doch stellteder Bekl das Produkt als „relativ sicher und risikolos“dar. Der Bekl wies im Zuge dieser Gespräche daraufhin, dass er selbst Beteiligungen an „H***** H*****“bwz S***** halte und damit bislang gute Erfahrungengemacht habe. Tatsächlich war es bis zu diesen Gesprä-chen im August 2007 zu Auszahlungen an Anleger (innicht festgestellter Höhe) gekommen. Der Bekl solltevon S***** 5% an Provision für die vermittelten Ver-träge erhalten. Der Kl unterschrieb nach dem zweitenGespräch zwei vorbereitete Vertragsformulare über stilleBeteiligungen an der S*****, und zwar zu jeE 15.000,–, wobei sich die Verträge im Wesentlichennur dadurch unterschieden, dass einer auf unbestimmteZeit, jedoch kündbar abgeschlossen war und der andereauf einen bestimmten Zeitraum lautete.

Im Oktober oder November 2007 wurde W*****wegen des Verdachts des Anlagebetrugs in Untersu-chungshaft genommen und in der Folge deshalb (nichtrechtskräftig) verurteilt. Da der Kl bis 28. 1. 2008 ent-gegen den Vereinbarungen keine monatlichen Auszah-lungen erhalten hatte, erklärte er über Anraten des Beklmit Schreiben von diesem Tage die „außerordentlicheKündigung“ beider Verträge. Zu einer Auszahlung derveranlagten Gelder kam es bisher nicht.

Aus der Begründung:Die Vereinbarung zwischen einem Anlagevermittlerund seinem Geschäftsherrn entfaltet nach hM keineSchutzwirkung zu Gunsten des Kunden. Nach stRspkann es jedoch zu einer eigenen Haftung des Erfül-lungsgehilfen kommen, wenn sein Verhalten keinemGeschäftsherrn zugerechnet werden kann, wenn erein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse amZustandekommen des Vertrags hatte oder wenn erbei den Vertragsverhandlungen im besonderen Maßepersönliches Vertrauen in Anspruch nahm (1 Ob182/97 i mwN). Stets muss die Eigenhaftung des Ver-treters jedoch die seltene Ausnahme bleiben (6 Ob249/07x mwN). Nach den Feststellungen ist auszu-schließen, dass ein ausgeprägtes wirtschaftliches Ei-geninteresse des Bekl am Zustandekommen des Ver-trags bestand; der bloße Entgeltanspruch im Innen-

verhältnis zum Geschäftsherrn genügt hiefür nicht(1 Ob 182/97 i). Auch ein besonderes Vertrauensver-hältnis, das über jenes hinausgehen muss, das jeder-mann seinem Vertrags- oder Verhandlungspartnerentgegenbringt, ist hier nicht zu erkennen (1 Ob182/97 i).

Eine weitere Ausnahme von der abschließendenRegelung des § 1313 a ABGB wird aber auch dannangenommen, wenn der Anlageinteressent klarmacht, er wolle – bezogen auf eine bestimmte Anlage-entscheidung – die einschlägigen Kenntnisse undVerbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen(1 Ob 182/97 i). Nach der Rsp haftet nicht nur einAnlageberater, sondern auch der Anlagevermittlerfür die Verletzung ihn treffender Auskunftspflichten,wenn vom schlüssigen Zustandekommen einesAuskunftsvertrags iSd § 1300 ABGB ausgegangenwerden kann. Regelmäßig wird der stillschweigendeAbschluss eines Auskunftsvertrags angenommen,wenn die Umstände des Falls bei Bedachtnahme aufdie Verkehrsauffassung und die Bedürfnisse desRechtsverkehrs den Schluss rechtfertigen, dass beideTeile die Auskunft zum Gegenstand vertraglicherRechte und Pflichten machen, etwa wenn klar zu er-kennen ist, dass der Auskunftswerber eine Vermö-gensdisposition treffen und der Berater durch dieAuskunft das Zustandekommen des geplanten Ge-schäfts fördern will (1 Ob 182/97 i, 3 Ob 13/04 i je-weils in RIS-Justiz RS0108073 uva). Dass der Berater(Vermittler) nicht vom Kunden, sondern vom Emit-tenten entlohnt wird, spielt dabei keine Rolle (RIS-Justiz RS0026596). Ein solcher Auskunftsvertrag istauch hier anzunehmen, wo der Bekl dem Kl ein die-sem erkennbar völlig unbekanntes Anlageprodukt nä-her bringen wollte, nämlich die stille Beteiligung aneiner unbekannten US-amerikanischen Gesellschaft,deren Bonität auch nicht einmal ansatzweise fest-stand.

Anlageberater und -vermittler (Letzteres trifft aufden Bekl zu) sind daher regelmäßig zur Aufklärungihrer Kunden über die Risikoträchtigkeit der in Aus-sicht genommenen Anlage verpflichtet. Sie müssenrichtige und vollständige Information über jene tat-sächlichen Umstände bieten, die für den Anlageent-schluss des Interessenten von besonderer Bedeutungsind. Um dieser Verpflichtung zu entsprechen, musssich der Anlageberater oder -vermittler vorher selbstauf zuverlässige Weise über die Wirtschaftlichkeitder Anlage und über die Bonität des Kapitalsuchen-den informieren. Verfügt der Berater oder Vermittler– wie hier – nicht über objektive Daten und entspre-chende Informationen, sondern nur über unzurei-chende Kenntnisse, muss er dies dem Anlageinteres-senten zumindest offenlegen. Der Kunde darf grund-sätzlich darauf vertrauen, dass dem Anlageberater(Vermittler) der nötige Einblick in die angeboteneBeteiligung gewährt worden ist (3 Ob 13/04 i; RIS-Justiz RS0108073). Dass der Berater (Vermittler) –wie hier der Bekl – selbst auf die ihm vom Organder kapitalsuchenden (angeblich bestehenden) Gesell-schaft gegebenen Zusicherungen vertraute, keine nä-heren Informationen einholte und selbst die Unrich-tigkeit der von ihm gegebenen Zusage offenbar nichtzu erkennen vermochte, befreit im Hinblick auf sein

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

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insoweit fahrlässiges Verhalten nicht (3 Ob 13/04 i;RIS-Justiz RS0108074 [T1]). Entgegen der Rechts-auffassung der Vorinstanzen kann daher der Ein-wand, selbst einem Betrug aufgesessen zu sein, denBekl nicht exkulpieren.

Stille Beteiligungen an einem Unternehmen sindgrundsätzlich ein risikoträchtiges Geschäft (RIS-JustizRS0025993); auch im Fall betrügerischer Machen-schaften ist der Risikozusammenhang anzunehmen,weil der stille Teilhaber keine Sicherheiten und damitkeinen besseren Zugriff auf das Gesellschaftsvermö-gen als Haftungsgrundlage hat als andere Gesell-schaftsgläubiger auch. Reicht bei risikoträchtigen Ge-schäften selbst der bloße Hinweis auf einen mögli-chen Totalverlust nicht aus (RIS-Justiz RS0108073[T10]), kann die Darstellung des Produkts als „rela-tiv“ sicher bzw risikolos ohne weitere Aufklärungnoch weniger genügen.

Als professioneller Anlagevermittler hätte sich derBekl mit der Zusicherung durchW***** nicht begnü-gen dürfen, zumal es sich bei der S***** weder um einallgemein bekanntes noch sonst ausreichend ausge-

wiesenes Unternehmen handelte. Vielmehr wäre zuerwarten gewesen, dass sich der Bekl die für die Beur-teilung der Existenz und der Bonität der emittieren-den Gesellschaft erforderlichen Unterlagen vorlegenhätte lassen. Wenn dies nicht erfolgt wäre, hätte diesbeim Bekl entsprechende Bedenken hervorrufenmüssen, die er, wenn er nicht auf die Vermittlungder Beteiligungen überhaupt verzichtet hätte, demKl zumindest hätte mitteilen müssen. Dies hat derBekl aber genauso verabsäumt wie eine Aufklärungüber die allgemeinen Gefahren einer stillen Beteili-gung. Damit ist seine Haftung gegenüber dem Klgrundsätzlich anzunehmen.

Es fehlen aber noch Feststellungen über den vomBekl bestrittenen Totalverlust der Einlage des Kl, derdafür genauso behauptungs- und beweispflichtig istwie für die Umstände, die das Verlangen nach einemhöheren als dem gesetzlichen Zinssatz rechtfertigenkönnten.

Außerdem bedarf auch der vom Bekl erhobeneEinwand eines Mitverschuldens des Kl der Erörte-rung.

Sozialhilfeumlage: vermeintliches Anerkenntnis der Gemeinde1. Ein Sozialhilfeverband iSd § 21 Abs 1 stmk SHGist ein durch Gesetz geschaffener öffentlich-rechtli-cher Rechtsträger. Dessen Anspruch gegenüber einerverbandsangehörigen Gemeinde auf Entrichtung derSozialhilfeumlage gem § 21 Abs 15 Stmk SHG istkeine vor die ordentlichen Gerichte gehörige „bürger-liche Rechtssache“ iSv § 1 JN.

2. Nach der Rsp können Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur dann im Klageweg durchgesetztwerden, wenn sie auf einem privatrechtlichen Rechts-grund, wie etwa Anerkenntnis, Vergleich oder ver-tragliche Vereinbarung, gestützt werden. Ein konsti-tutives Anerkenntnis liegt aber nur vor, wenn derGläubiger aufgrund eines bestimmen Sachverhaltsernstlich den Bestand einer Forderung behauptetund der Schuldner die Zweifel am Bestand der Forde-rung durch Anerkenntnis wie bei einem Vergleich be-seitigt.

3. Lagen irgendwelche Zweifel über die Verpflich-tung der bekl Gemeinde, die Sozialhilfeumlage zu be-zahlen, überhaupt nicht vor, sondern bezahlte diebekl Gemeinde vielmehr wegen finanzieller Engpässenicht, liegen die Voraussetzungen eines konstitutivenAnerkenntnisses nicht vor.

Die Kl, ein Sozialhilfeverband iSd § 21 Abs 1 Stmk So-zialhilfegesetz, LGBl 1998/29 in der geltenden Fassung(SHG), begehrt gem § 21 Abs 15 SHG von der bekl Ge-meinde die dort geregelte sog Sozialhilfeumlage vorläufigfür den Monat März 2010 in Höhe des Klagsbetrags.Die Bekl sei ihrer Zahlungsverpflichtung nach der zitier-ten Bestimmung nicht nachgekommen. Sie habe den Fi-nanzierungsbedarf anerkannt, jedoch gleichzeitig mitge-teilt, dass es ihr aufgrund ihrer finanziellen Lage unmög-lich sei, den Sozialhilferückstand zu begleichen.

Keine besondere Nachforschungspflicht eines(Immobilien-)Doppelmaklers1. Das Verbot der sog Doppeltätigkeit besteht für Im-mobilienmakler nicht, weil im Geschäftszweig derImmobilienmakler ein abweichender Geschäftsge-brauch besteht (§ 5 Abs 1 MaklerG)

2. Aus § 3 Abs 1 iVm § 5 Abs 3 MaklerG lässtsich ableiten, dass im Fall der zulässigen Doppel-beauftragung anders als im Fall der Einzelbeauftra-gung die beiden Maklerverträge dahingehend zu in-terpretieren sind, dass der Makler zur Wahrung derInteressen der Auftraggeber lediglich im Rahmendes zu erwirkenden Interessenausgleichs verpflichtetist.

3. Hat der Makler seine Pflichten gegenüber demAuftraggeber verletzt, kann bei Vorliegen auch derübrigen Voraussetzungen nach allgemeinen Grund-sätzen Schadenersatz verlangt werden. Insofern ver-

weist Satz 1 des § 3 Abs 4 MaklerG lediglich auf all-gemeines Schadenersatzrecht.

4. Der Immobilienmakler ist Sachverständiger iSd§ 1299 ABGB, weshalb von ihm erwartet werdenkann, über einschlägige Probleme Bescheid zu wissenund richtige Auskünfte zu erteilen. Er hat daher denAuftraggeber jedenfalls über sämtliche Umstände zuunterrichten, die für die Beurteilung des zu vermit-telnden Geschäfts wesentlich sind, er ist jedoch imRahmen des zu erwirkenden Interessenausgleichsbei zulässiger Doppeltätigkeit nicht verpflichtet,dem Alter der Wohnung nicht entsprechenden Män-geln nachzuforschen, einen Kaufinteressenten imRahmen der gemeinsamen Besichtigung einer Woh-nung auf sichtbare Schäden am Kaufobjekt hinzuwei-sen und diesen – ohne besonderen Auftrag – von sich

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§ 1375 ABGB;§ 21 Stmk SHG;§ 1 JN

OGH 2. 12. 2010,2 Ob 203/10g

2011/123

§§ 3, 5 MaklerG;§§ 1295, 1299ABGB

OGH 18. 1. 2011,4 Ob 186/10x

2011/124

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aus darüber aufzuklären, dass der begehrte Kaufpreisden Verkehrswert bei Berücksichtigung dem Maklerunbekannter, dem Alter der Wohnung nicht entspre-chender Mängel geringfügig übersteigt.

Die Kl wusste (wenn auch nicht vom Bekl), dass derBekl als Doppelmakler sowohl für die Verkäufer alsauch für die kl Käuferin tätig ist. Dem Bekl erschiender Kaufpreis für das Objekt angemessen. Die Kl hatdie Wohnung vor Kaufabschluss mehrmals besichtigt;ein Mal mit dem Bekl, ein anderes Mal mit einem Be-kannten, der selbst Makler ist und sie in der Frage derPreisangemessenheit bestärkte. Zum Zeitpunkt der ge-meinsamen Besichtigung durch die Streitteile wies dieWohnung ihrem Alter entsprechende Abnützungenauf; darüber hinausgehende Mängel wurden bei derBesichtigung nicht erkannt. Der Kaufpreis betrug

E 157.469,82 inkl Inventar. Die Bandbreite der tat-sächlichen Kaufpreise derartiger Objekte bewegt sichzwischen +/- 15% des Verkehrswerts, der für das gegen-ständliche Objekt bei entsprechendem Erhaltungszu-stand E 141.000,– betragen hätte (Bandobergrenzedemnach E 162.150,–). Die im Übergabezeitpunktvorhandenen Mängel berücksichtigte der SV im Vorver-fahren über die Provisionsforderung des Bekl mit einemAbschlag in Höhe von 5%. Damit ergibt sich ein Ver-kehrswert der Wohnung von E 133.950,–. Der Kauf-preis lag somit nur geringfügig (E 3.427,–) über derObergrenze der Bandbreite tatsächlicher Kaufpreise ver-gleichbarer Objekte (E 154.042,–). Die Kl begehrte alsSchadenersatz die Differenz zwischen Kaufpreis undVerkehrswert der Wohnung und die Feststellung derHaftung für alle Nachteile aus der Verletzung derPflichten aus dem Maklervertrag.

Verdienstlichkeit des Immobilienmaklers: Flächenabweichung einesRaumes1. Eine Mäßigung des Provisionsanspruchs eines Im-mobilienmaklers nach § 30b KSchG iVm § 3 Abs 4MaklerG hat nur dann zu erfolgen, wenn die Ver-dienstlichkeit des Maklers durch einen Pflichtverstoßgeringer als ohne diesen einzustufen ist. Dies ist im-mer im Einzelfall unter Berücksichtigung der demMakler erkennbaren Interessen des Auftraggebers zubeurteilen.

2. Weiß der Immobilienmakler bei Übernahmeder Vermittlung über ein im Garten vergrabenes

Kunststoffschwimmbad nicht Bescheid und wurdedas Schwimmbad vor Abschluss des Kaufvertrags fol-genlos entfernt, liegt ebenso wenig eine Minderungder Verdienstlichkeit vor, wie eine vor Kaufabschlussaufgeklärte geringe (ca 5,5%) Flächenabweichung ei-nes Raumes, die den Abnehmer nicht dazu veran-lasste, den Kaufpreis (mit Mängelrüge oder Irrtum)anpassen zu lassen.

Mängelbehebungskosten nicht nach PHG ersatzfähig1. Nach stRsp des OGH lässt die Verbindung einerbeweglichen mit einer unbeweglichen Sache eine ein-mal gegebene Produkteigenschaft unberührt, sodassetwa der Hersteller oder Importeur fehlerhaften Bau-materials für den dadurch am (übrigen) Gebäude ein-getretenen Schaden haftet. Unter Sachschaden istnicht der am Produkt entstandene Schaden zu verste-hen, sondern der sog Folgeschaden, den ein Fehlerdes Produkts an anderen Sachen als dem fehlerhaftenProdukt verursacht hat. Ein bloßer („reiner“) Vermö-gensschaden, der schon im Rahmen der Produkt-Ver-schuldenshaftung prinzipiell außer Ansatz bliebe,scheidet aus dem Anwendungsbereich des PHG aus.Zu den bloßen Vermögensschäden zählen auch Män-gelbehebungskosten.

2. Die Berufung auf den Vertrag (zwischen beklProduzentin und erstemHändler) mit Schutzwirkungzugunsten Dritter versagt, wenn der Produzent seinenSitz in Deutschland hat und somit auf diesen Vertrag(nach dem damals geltenden § 36 IPRG) dt Recht an-zuwenden ist. Dort wird der Vertrag mit Schutzwir-kung zugunsten Dritter als Anspruchsgrundlage fürdie Produzentenhaftung abgelehnt.

Die in Deutschland ansässige Bekl war Herstellerin einerUnterspannbahn (Dachfolie) und brachte diese 1997und 1998 in Deutschland auf den Markt. Derartige Fo-lien wurden auch in Österreich im Baustoffhandel ver-kauft. Die Bekl wollte bei Verkauf der gegenständlichen

Folie an Großhändler zwar das Produkt verkaufen unddafür den Kaufpreis einnehmen, sie wollte aber keineüber die gesetzlichen Bestimmungen sowie die Garantie-erklärung hinausgehenden Verpflichtungen eingehen,insb nicht einen ihr unbekannten Kreis von Endver-brauchern über die gesetzliche Verpflichtung bzw dieGarantieerklärung hinausgehend schützen. Nach dieserGarantieerklärung beträgt die Garantiezeit fünf Jahre,die bei Bauabnahme, spätestens jedoch sechs Monatenach Auslieferung des Materials beginnt. Im Oktober1998 kaufte der Kl 324m2 der Dachfolie bei einer Zim-merei und verlegte sie fachgerecht auf seinem Einfamili-enhaus. Danach wurde das Dach von einem Fachunter-nehmen eingedeckt. Durch den Sturm Kyrill am 18. und19. 1. 2008 kam es zu einer Verrückung einzelnerDachziegel am Dach des Kl, sodass die Unterdachbahnerstmals frei sichtbar wurde. Dadurch entdeckte derKl, dass sich die Dachfolie auflöste, und zwar war sieauf der besonnten Seite des Hauses völlig zerstört, imÜbrigen schadhaft. Im gesamten Dachbereich hatte dieDachfolie die ursprüngliche Schutzwirkung (Abhaltungvon Witterungseinflüssen) verloren, sodass Wasser vonder Folie nicht vom Eindringen in unter der Folie lie-gende Teile des Daches abgehalten würde. Dennoch istes bisher zu keinen Folgeschäden am Dach bzw anderenGebäudeteilen gekommen, es ist lediglich die Dachfolieselbst schadhaft bzw zerstört.

Die Dachfolie erfüllt nicht einmal annähernd dieEigenschaften, die dem jeder Rolle der Folie angeschlosse-

§§ 3, 5, 7 MaklerG

OGH24. 11. 2010,9 Ob 14/10 i

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§§ 1, 4 PHG;§ 36 IPRG aF

OGH 2. 12. 2010,2 Ob 162/10b

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

312 ecolex 2011

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nen Produktdatenblatt zu entnehmen sind, und zwarauch nicht an der Nordseite, wo die Folie weniger beein-trächtigt ist. Der Grund für diese Auflösungserscheinun-gen liegt in der mangelnden Hitzebeständigkeit. Zur Sa-nierung muss die schadhafte Folie durch eine neue Folieersetzt werden, was voraussetzt, dass die Dachziegel ab-genommen und nach dem Austausch der Folie wiederaufgelegt werden. Die Wiederherstellungskosten bei Be-auftragung eines Fachunternehmens (Arbeitszeit fürFacharbeiter und Helfer, Material in Form von Dach-ziegeln und neuer Dachfolie) für den Teil der Dachflä-che, bei der die gegenständliche Dachfolie verwendetwurde, betragen E 24.379,16 (inkl USt). Materialan-teil für die neue Dachfolie beträgt E 816,– (inkl USt).

Aus der Begründung:Wird durch den Fehler eines Produkts eine von demProdukt verschiedene körperliche Sache beschädigt,so haftet für den Ersatz des Schadens gem § 1 Abs 1PHG der Hersteller, der Inverkehrbringer oder derImporteur.

Nach mittlerweile stRsp des OGH lässt die Ver-bindung einer beweglichen mit einer unbeweglichenSache eine einmal gegebene Produkteigenschaft un-berührt, sodass etwa der Hersteller oder Importeurfehlerhaften Baumaterials für den dadurch am (übri-gen) Gebäude eingetretenen Schaden haftet (RIS-Jus-tiz RS0071532). Unter Sachschaden ist nicht der amProdukt entstandene Schaden zu verstehen, sondernder sog Folgeschaden, den ein Fehler des Produktsan anderen Sachen als dem fehlerhaften Produkt ver-ursacht hat. Ein bloßer „reiner“ Vermögensschaden,der schon im Rahmen der Produkt-Verschuldenshaf-tung prinzipiell außer Ansatz bliebe, scheidet aus demAnwendungsbereich des PHG aus (RIS-JustizRS0111170). Zu den bloßen Vermögensschädenzählen auch Mängelbehebungskosten (RIS-JustizRS0111982 [T 2]).

Entgegen der Auffassung des BerG ist der Fall2 Ob 162/97 f mit dem vorliegenden Fall nicht ver-gleichbar. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass

dort die Frage, ob der Schaden an der Verfliesungdes Schwimmbads, der durch das fehlerhafte Abdich-tungsmaterial entstanden war, ein solcher sei, für dennach PHG gehaftet werde, nicht entscheidungsrele-vant war. Zum anderen sind die abgefallenen Fliesengegenüber dem Produktabdichtungsmaterial eine„verschiedene körperliche Sache“. Im vorliegendenFall steht aber fest, dass am Dach des Hauses desKl, von der das Produkt bildenden Dachfolie abgese-hen, keinerlei Schaden aufgetreten ist.

Schließlich ist darauf zu verweisen, dass das PHGeinen verschuldensunabhängigen, va Konsumentenbegünstigenden Mindestschutz gewährt, es aber nichtAufgabe der Produkthaftung ist, alle nachteiligen Fol-gen auszugleichen (RIS-Justiz RS0111171).

Auch die übrigen vom Kl ins Treffen geführtenAnspruchsgrundlagen vermögen den geltend gemach-ten Anspruch nicht zu begründen:

Die Berufung des Kl auf den Vertrag (zwischenbekl Produzentin und erstem Händler) mit Schutz-wirkung zugunsten Dritter versagt, weil die Bekl ih-ren Sitz in Deutschland hat und (sofern der ersteHändler nicht ohnehin ebenfalls in Deutschland sei-nen Sitz hatte) somit auf diesen Vertrag (gemäß demdamals geltenden § 36 IPRG) deutsches Recht anzu-wenden ist. Danach wird aber der Vertrag mit Schutz-wirkung zugunsten Dritter als Anspruchsgrundlagefür die Produzentenhaftung abgelehnt (BGHZ 51,91; Wagner in MünchKomm BGB5 [2009] § 823Rz 592 mwN; Palandt, BGB68 § 328 Rz 27, § 15ProdHaftG Rz 6; vgl auch Koziol, HaftpflichtrechtII2 94).

Entsprechendes würde für die allfällige Verletzungeiner vertraglichen Produktbeobachtungspflicht gel-ten (vgl hiezu 2 Ob 309/99a; Welser/Rabl, PHG2

§ 5 Z 57 ff mwN). Selbst bei einem deliktischen An-satz (Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht; vglWelser/Rabl, aaO Rz 59 aE; Wagner, aaO Rz 645 ff)ließe sich aus den vorinstanzlichen Feststellungenkeine Pflichtverletzung der Bekl ableiten.

Verjährung nach AÖSp bei innerstaatlichen Transporten außerhalbÖsterreichs1. Die Anwendung der CMR auch im Inland ist einösterreichisches Spezifikum. Die Anwendung derCMR kommt mangels eines grenzüberschreitendenoder inländischen (§ 439a Abs 1 UGB) Transportsnicht in Betracht. Die Annahme einer Regelungslü-cke in § 439a UGB ist nicht gerechtfertigt.

2. Da die CMR auf Transporte im Ausland (derSchadensfall ereignete sich auf der letzten Teilstreckevon Durban nach Pretoria), die dort nicht grenzüber-schreitend sind, nicht anwendbar sind, ist für denTeilstreckentransport auf die allgemeinen Bestim-mungen des UGB zurückzugreifen. Nach § 439iVm § 414 UGB verjähren zwar die Ansprüche ausdem Frachtvertrag innerhalb eines Jahres, doch kanndie Verjährungsfrist durch Vereinbarung verkürztwerden. Durch die Vereinbarung der AÖSp, die in§ 64 eine solche Verkürzung vorsehen, gilt daher einesechsmonatige Frist.

Aus der Begründung:Die Revision gesteht ausdrücklich zu, dass auf dasvorliegende Vertragsverhältnis österreichisches Rechtanzuwenden ist (§ 65 lit c AÖSp), vertritt jedochdie Auffassung, der im Rahmen des multimodalenTransports auf der (letzten) Teilstrecke von Durbannach Pretoria eingetretene Transportschaden sei nachden zwingenden Bestimmungen der CMR zu beurtei-len, welche nach § 439a UGB für alle nicht grenz-überschreitenden Straßentransporte zu gelten hätten,die nach österreichischem Recht zu beurteilen seien,also auch für rein innerstaatliche Transporte außer-halb Österreichs. Der OGH habe sich mit dieserFrage noch nie beschäftigt.

Demgegenüber hat der OGH in 7 Ob 235/09y,die einen vergleichbaren Fall betraf (der nach österrRecht zu beurteilende Schadensfall trat bei einem

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§ 439a UGB;Art 1 CMR;§ 64 AÖSp

OGH 19. 1. 2011,7 Ob 98/10b

2011/127

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Transport auf einer Teilstrecke innerhalb der USAein), bereits ausgeführt, dass die Anwendung derCMR in einer solchen Konstellation schon mangelseines grenzüberschreitenden oder inländischen(§ 439a Abs 1 HGB) Transports nicht in Betrachtkommt (unter Hinweis auf de la Motte/Temme inThume, CMR-Kommentar2 Art 1 Rn 21). Dieswurde in 7 Ob 145/10 i, die sich ebenfalls mit denhier maßgebenden Fragen befasst, näher begründetwie folgt:

Nach österr Recht unterliegen den CMR Verträgeüber die entgeltliche Beförderung von Gütern auf derStraße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Über-nahme des Guts und der für die Ablieferung vorgese-hene Ort in zwei verschiedenen Staaten liegen, vondenen mindestens einer ein Vertragsstaat ist (Art 1Z 1 CMR). Weiters sind auf eine derartige entgeltli-che Beförderung mit hier nicht in Betracht kommen-den Ausnahmen auch die CMR anzuwenden, sofernder vertragliche Ort der Übernahme oder der vertrag-liche Ort der Ablieferung des Guts im Inland liegt(§ 439a UGB). Im vorliegenden Fall war der Trans-port auf der Teilstrecke, auf der der Schaden eingetre-ten ist, weder grenzüberschreitend noch ,,inländisch ,,,weshalb die Anwendung der CMR nicht in Betrachtkommt (7 Ob 235/09y). Für diese Auslegung des§ 439a UGB spricht auch die klar dokumentierte In-tention des Gesetzgebers, der das ,,Regelungsbedürf-nis ,, zur Einführung des § 439a HGB (nunmehrUGB) ausdrücklich mit dem Fehlen zwingender Vor-schriften für das Frachtgeschäft ,,im rein inneröster-reichischen Straßengüterverkehr ,,begründet hat (Er-läutRV 1234 BlgNR 17. GP 3). Auch Jesser, Anmer-kungen zum Binnen-Güterbeförderungsgesetz, ecolex1990, 600 unterstellt dieses Verständnis. Ebenso ge-hen Schütz in Straube, HGB3 § 439a Rz 7 und Csok-lich in Jabornegg/Artmann,UGB2 § 439a Rz 5 von ei-nem Regelungsinhalt aus, der die Anwendung derCMR auf nicht grenzüberschreitende Transporte imAusland verhindert. Schütz meint, es liege eine Rege-lungslücke vor. Sachgerechter wäre ein Wortlaut des§ 439a HGB, wonach die CMR (entsprechend ein-geschränkt) auf alle näher beschriebenen Verträge an-zuwenden seien, die nicht ohnedies schon nach Art 1den CMR unterlägen. Csoklich will eine ungewollteRegelungslücke erkennen und tritt für eine Analogieein.

Die Meinung, dass eine ungewollte Regelungslü-cke vorliegt, kann schon im Hinblick auf die Er-läutRV nicht geteilt werden. Der Gesetzgeber wolltedemnach eindeutig nur den Transport für das (öster-

reichische) Inland regeln. Diese zunächst in das HGBeingefügte Bestimmung wurde auch in das UGBübernommen. Die Anwendung der CMR auch imInland ist ein österr Spezifikum (diese Bestimmungfehlt zB im dt Recht), das sich aus den Motiven desGesetzgebers erklären lässt. Eine durch Analogie zuschließende Regelungslücke ist nicht erkennbar.

Da die CMR auf Transporte im Ausland, die dortnicht grenzüberschreitend sind, nicht anwendbarsind, ist für den Teilstreckentransport auf die allge-meinen Bestimmungen des UGB zurückzugreifen.Nach § 439 iVm § 414 UGB verjähren zwar die An-sprüche aus dem Frachtvertrag innerhalb eines Jahres,doch kann die Verjährungsfrist durch Vereinbarungverkürzt werden. Durch die Vereinbarung der AÖSp,die in § 64 eine solche Verkürzung vorsehen, gilt da-her für den vorliegenden Schadensfall eine sechsmona-tige Frist. Diese war im Zeitpunkt der Klagseinbrin-gung abgelaufen. Der Anspruch ist daher, wie die Vor-instanzen zutreffend erkannten, verjährt.

Da die Beurteilung, dass die Anwendbarkeit derCMR auf den vorliegenden Fall aus § 439a UGBnicht abzuleiten ist, der zitierten Rsp des OGH ent-spricht, ist insoweit keine Rechtsfrage iSd § 502Abs 1 ZPO zu beantworten.

Im Übrigen beruft sich die außerordentliche Revi-sion auf eine Anwendbarkeit der Bestimmungen derCMR gem § 413 UGB. Auch damit wird jedochkeine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt; ginge mannämlich – entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen– davon aus, dass eine für die Annahme einer Fixkos-tenspedition erforderliche Vereinbarung zwischenSpediteur und Versender über einen „bestimmtenSatz der Beförderungskosten“ getroffen wurde, würdedies lediglich bedeuten, dass der bekl Spediteur aus-schließlich die Rechte und Pflichten eines Frachtfüh-rers hätte (§ 413 Abs 1 Satz 1 UGB). Auf den vorlie-genden Schadensfall wäre dann (zwar) Frachtrechtanzuwenden; weiterhin jedoch nicht die CMR:

Sind ihre Normen doch – wie bereits dargelegt –auf nicht grenzüberschreitende Transporte im Aus-land unanwendbar, weshalb auf die allgemeinen Be-stimmungen des UGB zurückgegriffen werden muss.Die Ansprüche aus dem Frachtvertrag verjähren zwarnach § 439 iVm § 414 UGB innerhalb eines Jahres,doch kann die Verjährungsfrist durch Vereinbarungverkürzt werden. Genau dies geschah durch § 64AÖSp. Da auch die vorliegende Klage zwar innerhalbeiner einjährigen, nicht jedoch innerhalb der sechs-monatigen Frist von § 64 AÖSp erhoben wurde, istder Anspruch jedenfalls verjährt.

Verschleierung Verhältnis Gewährleistung – Garantie in AGBFolgende gegenüber Verbrauchern in Vordrucken fürReparaturaufträge enthaltene Bestimmungen einesbundesweit im Handel im Bereich der Unterhal-tungselektronik, Foto und Optik tätigen Unterneh-mens sind intransparent und verstoßen daher gegen§ 6 Abs 3 KSchG (beanstandete Klauselteile kursiv):

„Garantie-Antrag: Wenn die Kosten aus welchenGründen auch immer vom Hersteller nicht gedeckt wer-den, werden die gesamten entstandenen Kosten vomKunden übernommen (Klausel 1) (nicht beanstandeter

Klauselteile): Reparaturbedingungen: Reparaturenkönnen nur gegen sofortige Bezahlung ausgefolgtwerden. Reklamationen bitten wir innerhalb von dreiTagen bekannt zu geben, da diese sonst nicht mehranerkannt werden können. Für die auf den Gerätengespeicherten Daten und Einstellungen übernehmenwir keine Haftung. Für nicht abgeholte Geräte müs-sen wir uns vorbehalten, diese nach 6 Monaten zuveräußern. Der Kunde bestätigt und akzeptiert die Be-dingungen des L*****kaskos (Klausel 2). Eventuelle

§ 6 Abs 3, §§ 28,29 KSchG

OGH23. 11. 2010,1 Ob 164/10 i

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ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

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Selbstbehalte werden anerkannt oder die Reparatur/der Ersatz nicht durchgeführt.“

Aus der Begründung:Zur Klausel 1:

Voranzustellen ist, dass bei einer vertraglichen Ga-rantie der Übergeber oder ein Dritter (zB der Herstelleroder Importeur) seine Verpflichtung erklärt, eine man-gelhafte Sache zu verbessern, auszutauschen, den Kauf-preis zu ersetzen oder sonst Abhilfe zu schaffen (§ 9bKSchG, dazu Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,Klang3 § 9b KSchG Rz 2 f). Die Verpflichtung ausder Garantie tritt zur gesetzlichen Gewährleistungsver-pflichtung des Übergebers hinzu (4 Ob 96/89).

Wenn der Verbraucher auf die ihm gegenüber derBekl als Übergeber zustehenden Gewährleistungs-rechte nicht hingewiesen wird, wird dem sich aus § 6Abs 3 KSchG ergebenden Vollständigkeitsgebot nichtRechnung getragen. Ohne diesen Hinweis bleibt fürden Verbraucher unklar, ob die gesetzliche Gewähr-leistungspflicht der Bekl neben der vertraglichen Ga-rantiezusage besteht oder durch diese eingeschränktoder gar ausgeschlossen ist. Zwecks Vermeidung ge-rade dieser Irreführung normiert § 9b Abs 1 KSchGausdrücklich die Verpflichtung des Garanten, denVerbraucher auf dessen gegenüber dem Übergeber be-stehende gesetzliche Gewährleistungsrechte sowie da-rauf hinzuweisen, dass diese durch die Garantie nichteingeschränkt werden. Fehlt der Hinweis auf die ge-setzliche Gewährleistungspflicht der Bekl, ist die Klau-sel geeignet, dem Kunden ein unzutreffendes Bild sei-ner Position als Gewährleistungsberechtigter zu ver-mitteln und den Eindruck zu erwecken, es werde ne-ben der Garantie des Herstellers keine (zusätzliche)Mängelhaftung des Übergebers geboten; der Verbrau-cher kann so von der Durchsetzung seiner Gewährleis-tungsrechte abgehalten werden. Diese Auswirkungenergeben sich selbst dann, wenn man davon ausgehenwollte, dass einem für die Vertragsart typischen Ver-braucher der Unterschied zwischen Gewährleistungund Garantie bekannt ist. Das von der Bekl selbstder Klausel beigelegte Verständnis (nach dem auf ihrSchuldverhältnis zum Kunden die §§ 922 f ABGBund § 8 KSchG anzuwenden seien) ist im Verbands-prozess nicht maßgeblich (1 Ob 224/06 g). Aus diesenGründen entspricht die Beurteilung der zweiten In-stanz, es fehle der Klausel die erforderliche Transpa-renz iSd § 6 Abs 3 KSchG, der Rsp des OGH.

Zur Klausel 2:Dass das BerG dem Einwand der Bekl, die Klausel

stelle eine der Prüfung im Verbandsprozess nicht un-terliegende „Tatsachenbestätigung“ dar, nicht folgte,

wirft schon deshalb, weil es auf der Hand liegt, dassdie Erklärung des Kunden, Vertragsbedingungen zu„akzeptieren“, geeignet ist, Rechtsfolgen herbeizufüh-ren, keine erheblichen Rechtsfragen auf.

Auch in ihrer Revision gesteht die Bekl zu, dassim Reparaturauftrag auf die Bedingungen des„L*****kaskos“ verwiesen werde, ohne dass diese Be-dingungen dem Kunden zwecks Kenntnisnahme zurVerfügung gestellt würden. Wird aber in einer Klau-sel auf eine andere (dem Kunden nicht vorliegende)Norm verwiesen, ist die Klausel grundsätzlich als un-vollständig zu qualifizieren; sie entspricht nicht demErfordernis, dass sich der Inhalt einer Vertragsbestim-mung aus dieser selbst ergeben muss (Schurr in Feny-ves/Kerschner/Vonkilch, aaO § 6 Abs 3 KSchG Rz 37mwN). Für den Kunden bleibt gänzlich offen, wel-chen Inhalt die Bedingungen des „L*****kaskos“ ha-ben. Die Auswirkungen seiner Erklärung sind wegender Unbestimmtheit des Inhalts nicht absehbar, so-dass für ihn die Tragweite der Klausel nicht „durch-schaubar“ ist (RIS-Justiz RS0122169).

Entgegen der Auffassung der Bekl wird die strit-tige Klausel auch nicht durch das Vorbringen klarer,sie finde ausschließlich dann Verwendung, wenn derKunde angegeben habe, anlässlich des Kaufvertragsbereits ein „L*****kasko“ abgeschlossen zu haben.Wird nämlich eine an sich intransparente Klauselnur aufgrund zusätzlicher Darlegungen des Unter-nehmers ausreichend verständlich gemacht, hat dieskeinen Einfluss auf die gerichtliche Beurteilung derKlausel aufgrund einer Verbandsklage. Im Verbands-prozess kann zudem auf individuelle Vereinbarun-gen, die zwischen dem Unternehmer und dem Ver-braucher geschlossen wurden, keine Rücksicht ge-nommen werden. Wie schon die Vorinstanzen auf-gezeigt haben, bliebe außerdem offen, ob dieBedingungen des „L*****kaskos“ in jener Fassunggelten sollen, die zum Zeitpunkt des Ankaufs derWare in Geltung stand oder in einer zwischenzeitigallenfalls geänderten Fassung. Dass – wie die Beklvermeint – lediglich auf die bereits bei Ankauf derWare abgeschlossenen Bedingungen in deren zumdamaligen Zeitpunkt geltenden Fassung hingewiesenwerde, ist für den mit der Klausel konfrontiertenKunden nicht erkennbar. Der Grundsatz, im Rah-men der Verbandsklage habe die Auslegung vonKlauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen(RIS-Justiz RS0016590), lässt eine Auslegung iS die-ses Standpunkts der Bekl nicht zu. Die Ansicht desBerG, auch diese Klausel sei wegen Verstoßes gegen§ 6 Abs 3 KSchG nichtig, hält sich somit im Rah-men der bisherigen Rsp.

Feststellungsklage auf Nichthaftung als Interzedent bzw Mäßigung1. Steht fest, dass der Darlehensgeber den Interzeden-ten gemahnt hat und dass er beabsichtigt, diesen imFalle des Zahlungsverzugs mit Kreditraten als Bürgenund Zahler in Anspruch zu nehmen, genügt dies, umein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren,dass die Zahlungsverpflichtung der Kl aus denBürgschaftsverträgen nicht bestehe (§ 25c KschG),zu begründen.

2. Für die Anwendung des richterlichen Mäßi-gungsrechts nach § 25d KSchG besteht aber im Rah-men des Feststellungsbegehrens kein Raum.

3. Gelangt nämlich der ursprünglich einkom-mens- und vermögenslose Mithaftende später zu Ein-kommen oder Vermögen, so soll er mangels sozialenBedarfs von der Schutzbestimmung nicht erfasst wer-den. Eine entsprechende teleologische Reduktion derBestimmung ist daher geboten.

ecolex 2011 315

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

§§ 25 c, 25dKSchG;§ 228 ZPO

OGH 19. 1. 2011,7 Ob 219/10x

2011/129

Page 38: ecolex 4/2011

Geschäftsführer haften nach § 31 WRG solidarisch mit der Gesellschaft1. Von der Haftung des § 31 Abs 1 WRG wird nichtnur der Anlagenbetreiber, sondern auch der unmittel-bare Verursacher erfasst, und zwar unabhängig davon,ob dessen schädliche Einwirkungen auf Gewässerdurch organisatorische oder aber durch faktischeMaßnahmen oder Unterlassungen verursacht wur-den. Daher haften Geschäftsführer im Fall der Zu-rechnung der schädlichen Einwirkung gemeinsammit der Anlagenbetreiberin als unmittelbare Täter so-lidarisch.

2. Der Gesetzgeber hat für die Bestimmung desnach § 31 Abs 1 WRG – und damit auch für den An-wendungsbereich von Abs 2 Satz 1 und Abs 3 – Ver-pflichteten eine sehr weitgehende Formulierung („je-dermann“) gewählt. Sollte er ungeachtet dessen ausrechtspolitischen Gründen eine Beschränkung auf be-stimmte Personen für sachgerechter halten, ist esseine Sache, für eine ausreichende Klarstellung zu sor-gen und praktikable Abgrenzungskriterien zu statuie-ren.

3. Der Liegenschaftseigentümer haftet bei einerMehrheit von Verursachern nur dann, wenn der Kos-tenersatz von allen solidarisch Haftenden nicht he-reingebracht werden kann.

Aus der Begründung:§ 31 Abs 1 WRG verpflichtet jeden, dessen Anlagen,Maßnahmen oder Unterlassungen eine Einwirkungauf Gewässer herbeiführen können, die Anlagen soherzustellen, instand zu halten und zu betreiben odersich so zu verhalten, dass eine Gewässerverunreini-gung vermieden wird. Mehrere Verursacher haften je-denfalls solidarisch (RIS-Justiz RS0111936). Dieseprimäre Verursacherhaftung schließt die in § 31Abs 4WRG geregelte subsidiäre Ersatzpflicht des Lie-genschaftseigentümers (hier Antragstellerin) grund-sätzlich aus (1 Ob 173/97 s SZ 70/222; RIS-JustizRS0108335). Der Liegenschaftseigentümer haftetbei einer Mehrheit von Verursachern also nur dann,wenn der Kostenersatz von allen solidarisch Haften-den nicht hereingebracht werden kann (1 Ob 65/08b RIS-Justiz RS0108335 [T 2]).

Die Antragsgegnerin bezweifelt in ihrem Revisi-onsrekurs weder die Verursacherhaftung jener – inKonkurs verfallenen – GmbH, deren konsenswidriggelagerte, in Brand geratene Abfälle sofortige Maßnah-men zur Vermeidung von Grundwasserverunreini-gung erfordert hatten, noch den Grundsatz der subsi-diären Ersatzpflicht des Liegenschaftseigentümers. Siemeint aber, nur die Kapitalgesellschaft zähle zu dendurch § 31 Abs 1 WRG Verpflichteten, keinesfallsaber deren Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter.

Entgegen dieser Auffassung hat der OGH in sei-ner – auch schon von den Vorinstanzen zitierten –E 1 Ob 65/08b klargestellt, dass nicht nur der Anla-genbetreiber, sondern auch der unmittelbare Verursa-cher von § 31 Abs 1 WRG erfasst wird, und zwar un-abhängig davon, ob dessen schädliche Einwirkungenauf Gewässer durch organisatorische oder aber durchfaktische Maßnahmen oder Unterlassungen verur-sacht wurden. Ausdrücklich genannt werden Ge-schäftsführer der Anlagenbetreiberin, die im Fall der

Zurechnung der schädlichen Einwirkung gemeinsammit der Betreiberin als unmittelbare Täter solidarischhaften. Diese Mithaftung von Geschäftsführern wirdauch in der Lehre (Oberleitner, WRG2 § 31 Rz 13)und der Judikatur des VwGH (VwGH 24. 4. 2003,2002/07/0018 VwSlg 16.069A/2003) befürwortet.

Weder die im Revisionsrekurs erwähnte KritikWagners (Jahrbuch des österreichischen und europä-ischen Umweltrechts 2009, 83) an 1 Ob 65/08bnoch die ebenfalls zitierten ErläutRV 1152 BlgNR17. GP 27 zwingen zu der von der Antragsgegnerinangestrebten Beurteilung, bereits die Insolvenz derAnlagenbetreiberin müsse zur Haftung des Grund-eigentümers führen.

Wagner sieht die in der zitierten E – in einem Bei-satz – erwähnte Haftung anderer (als der Geschäfts-führer) Mitarbeiter nach dem Konkurs der Betreiber-gesellschaft als zu weit. Ein Unternehmer hafte für diedurch seinen Gehilfen verursachte Verunreinigung,während der Gehilfe selbst nicht Leistungspflichtigernach § 31 WRG sei. Zunächst sind Geschäftsführernicht „einfach nur Gehilfen“ eines Unternehmers,sie haben das Unternehmen zu leiten und zu führen.Der gewerberechtliche Geschäftsführer ist dabei insbfür die Einhaltung gewerberechtlicher Vorschriftenund Anordnungen verantwortlich. Die zitierten Ma-terialien zählen drei Fälle auf, in denen die Beseiti-gungskosten dem Grundeigentümer auferlegt werdensollen: Ein Verursacher ist nicht bekannt, nicht mehrexistent (liquidierte Gesellschaft oder Ähnliches) odernicht (mehr) entsprechend leistungsfähig. Das heißtnoch lange nicht, dass bei mehreren Verursachern,die nicht alle unbekannt (die Verantwortlichkeit auchehemaliger Geschäftsführer ließe sich wohl ohne be-sonderen Aufwand feststellen), nicht mehr existentoder nicht mehr leistungsfähig sind, der Grundeigen-tümer haften muss. Eine derartige Interpretation wi-derspräche dem eindeutigen Gesetzestext des § 31Abs 1 WRG, der die Verursacherhaftung eben nichtauf denjenigen beschränkt, der eine Anlage betreibt.

Im konkreten Fall musste den Geschäftsführerndas Problem der konsenswidrigen Lagerung ja auchdeshalb bewusst sein, weil diese mehrfach von derLiegenschaftseigentümerin und auch von der zustän-digen Behörde beanstandet wurde. Sie wären dahergem § 31 Abs 2 WRG verpflichtet gewesen, die zurVermeidung einer Gewässerverunreinigung erforder-lichen Maßnahmen zu treffen, zumal evident ist, dassdie (konsenswidrige) Lagerung nicht ohne denWillender Geschäftsführer vorgenommen (und aufrechter-halten) wurde.

Die im Revisionsrekurs zitierte E des VwGH vom21. 1. 2003, 2001/07/0105, verneint zwar die Haf-tung ehemaliger Komplementäre einer gelöschtenKommanditgesellschaft (Anlagenbetreiberin), beziehtsich dabei aber in der Begründung ausschließlich aufdie persönliche Haftung der Komplementäre nachden §§ 128, 161 Abs 2 HGB, welche die Haftungder Gesellschafter für die Einhaltung der Verwal-tungsvorschriften durch die Gesellschaft nicht erfasse.Sie spricht dabei mit keinemWort eine Geschäftsfüh-rungsbefugnis der persönlich haftenden Gesellschaf-

§ 31 WRG

OGH 14. 9. 2010,1 Ob 152/10z

2011/130

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-

RECHT

316 ecolex 2011

Page 39: ecolex 4/2011

ter, also die ihnen mögliche Einflussnahme auf eineGewässerverunreinigung oder deren Vermeidung,als Kriterium für ihre Stellung als Verpflichtete iSd§ 31 Abs 1 WRG an.

Die Auffassung der Vorinstanzen, insb die beiden– im erstinstanzlichen Beschluss auch benannten –Geschäftsführer zu den solidarisch haftenden Mitver-ursachern zu zählen und die subsidiäre Haftung derAntragsgegnerin davon abhängig zu machen, dassder Kostenersatz von allen solidarisch Haftendennicht hereingebracht werden kann, entspricht damit

den von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickel-ten Kriterien. Der Gesetzgeber hat für die Bestim-mung des nach § 33 Abs 1 WRG – und damit auchfür den Anwendungsbereich von Abs 2 Satz 1 undAbs 3 – Verpflichteten eine sehr weitgehende Formu-lierung („jedermann“) gewählt. Sollte er ungeachtetdessen aus rechtspolitischen Gründen eine Beschrän-kung auf bestimmte Personen für sachgerechter hal-ten, ist es seine Sache, für eine ausreichende Klarstel-lung zu sorgen und praktikable Abgrenzungskriterienzu statuieren.

Verfall statt Abschöpfung derBereicherung im österreichischenStrafrecht Das im Dezember 2010 verabschiedete strafrechtliche

Kompetenzpaket (BGBl I 2010/108) führte ua zurUmgestaltung der Abschöpfung der Bereicherung (§ 20 StGB aF) und des Verfalls (§ 20bStGB aF) in einen umfassenden Verfall neuen Typs (§§ 20–20 c StGB nF). Damit ging einWechsel vom bisher maßgeblichen Netto- zum Bruttoprinzip einher. Im Folgenden werdenAnwendungsbereich und Rechtsnatur des Verfalls neuen Typs erörtert, ehe sich der Beitrag derAbgrenzung des Verfalls zur ebenfalls neu eingeführten Konfiskation (§ 19a StGB)1)widmet.

HUBERT HINTERHOFER

A. Anwendungsbereich

1. Verfall (§§ 20 – 20 a StGB)

Nach § 20 Abs 1 StGB hat das Gericht alle Vermö-genswerte, die für die Begehung einer mit Strafe be-drohten Handlung oder durch sie erlangt wurden,für verfallen zu erklären. Der Begriff Vermögenswertebeinhaltet alle wirtschaftlichen Vorteile, die in Zahlenausgedrückt werden können.2) Neben körperlichenSachen (zB die Geld- oder Schmuckbeute) zählenauch Forderungen (Bankguthaben) und sonstigewirtschaftliche Werte, wie etwa geldwerte Dienstleis-tungen (zB betrügerisch erschwindelte Reise), dazu.3)Gem § 20 Abs 2 StGB erstreckt sich der Verfall auchauf Nutzungen (Zinsen, Dividenden, Miet- undPachteinnahmen) und Ersatzwerte (zB der Verkaufs-erlös) jener Vermögenswerte, die nach § 20 Abs 1StGB für verfallen zu erklären sind.4)

Der Täter hat einen Vermögensvorteil iSd § 20Abs 1 StGB durch die Begehung einer mit Strafe be-drohten Handlung erlangt, wenn die Tat kausal fürdie eingetretene Vermögensvermehrung war.5) Diesgilt insb für die Beute zB bei einem Raub oder für Ge-winne aus (sonstigen) Vermögensstraftaten.6) EinVermögensvorteil ist außerdem dann gem § 20Abs 1 StGB für verfallen zu erklären, wenn der Täterdiesen für die Begehung einer mit Strafe bedrohtenHandlung empfangen hat. Damit wird die Belohnungerfasst, die der Täter von dritter Seite für die Vor-nahme der Straftat erhält.

Schon durch den Wechsel von der Abschöpfungder (bloßen) Bereicherung (§ 20 StGB aF) hin zu ei-nem umfassenden Verfall von Vermögenswerten(§ 20 StGB nF) wird deutlich, dass das bisherige Net-toprinzip durch das Bruttoprinzip ersetzt wird.7) Auf-wendungen des Täters haben also nunmehr bei derBerechnung der für verfallen zu erklärenden Vermö-genswerte außer Betracht zu bleiben.

§ 20 Abs 3 StGB normiert den sog Wertersatzver-fall. Können dem Verfall nach § 20 Abs 1 oder 2StGB unterliegende Vermögenswerte nicht sicherge-stellt oder beschlagnahmt werden (§§ 110 ff StPO),insb weil der betreffende Vermögenswert nicht aufge-funden wurde,8) hat das Gericht einen Geldbetrag fürverfallen zu erklären, der den vom Täter erlangtenVermögenswerten entspricht. Primär für diesen Fallist die Regelung des § 20 Abs 4 StGB relevant. Da-

ZIVIL- UNDUNTERNEHMENS-RECHT

ecolex 2011 317

WIRTSCHAFTS-STRAFRECHTBETREUT VONG. WILHELM

Dr. Hubert Hinterhofer ist Professor für Straf- und Strafverfahrensrecht(Schwerpunkt: Wirtschafts- und Europastrafrecht) an der Universität Salz-burg.1) Siehe zu dieser neuen Sanktion jüngst Hinterhofer Die Konfiskation –

oder: Erweiterung des Sanktionensystems im österreichischen Straf-recht, ecolex 2011, 216.

2) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7.3) Siehe zu § 20 StGB aF Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 9.4) Siehe ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7.5) Zu § 20 StGB aF Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 11 f.6) Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 17 ff.7) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7.8) Das ist ein praktisch durchaus häufiger Fall (ErläutRV 918 BlgNR

24. GP 8).

Page 40: ecolex 4/2011

nach hat das Gericht den Umfang der für verfallen zuerklärenden Vermögenswerte nach seiner Überzeu-gung festzusetzen, soweit dieser nur mit unverhältnis-mäßigem Aufwand ermittelt werden kann (Schät-zung). Vermögensrechtliche Anordnungen einesStrafgerichts, die auf einer bloßen Schätzung beru-hen, sind allerdings bereits per se problematisch.Diese Möglichkeit sollte daher restriktiv gehandhabtwerden.9)

Der Verfall der Vermögenswerte kann sich auchgegen Dritte, also an der Tat nicht beteiligte Perso-nen, richten. Denn die Vermögenswerte, die für ver-fallen erklärt werden, müssen nicht im Eigentum desTäters stehen. Allerdings ist der Verfall von Nutzun-gen und Ersatzwerten sowie der Wertersatzverfall ge-genüber einem Dritten dann unzulässig, wenn dieserdie Vermögenswerte in Unkenntnis der mit Strafe be-drohten Handlung erworben hat (§ 20a Abs 1StGB). Ein Verfall nach dem Grundtyp des § 20Abs 1 StGB gegenüber einem Dritten ist hingegennur dann ausgeschlossen, wenn dieser die Vermö-genswerte in Unkenntnis der Straftat entgeltlich er-worben hat (§ 20 a Abs 2 Z 1 StGB). Einen ahnungs-losen Erben oder Schenkungsnehmer kann somit derVerfall jener straftatverfangenen Vermögenswertetreffen, die er geerbt bzw geschenkt bekommenhat.10)

§ 20 a Abs 2 StGB normiert eine Verhältnismäßig-keitsklausel. Nach dieser kann vom Verfall abgesehenwerden, wenn der für verfallen zu erklärende Betragoder die Aussicht auf dessen Einbringung außer Ver-hältnis zum Verfahrensaufwand steht, den der Verfalloder die Einbringung erfordern würde.

2. Erweiterter Verfall (§§ 20 b-20 c StGB)

Die Bezeichnung „erweiterter“ Verfall bringt zumAusdruck, dass es im Gegensatz zum Grundtyp desVerfalls nach § 20 StGB (oben A.1.) keines ausdrück-lichen Nachweises bedarf, aus welcher konkreten mitStrafe bedrohten Handlung die Vermögenswertestammen.11) § 20b Abs 1 StGB ermöglicht es zu-nächst wie bisher, Vermögenswerte, die der Verfü-gungsmacht einer kriminellen Organisation(§ 278a) oder einer terroristischen Vereinigung(§ 278b) unterliegen oder als Mittel der Terrorismus-

finanzierung (§ 278d) bereitgestellt oder gesammeltwurden, für verfallen zu erklären.12) In § 20b Abs 2StGB wird nunmehr der erweiterte Verfall mit Be-scheinigungslastumkehr normiert. Danach können imFall der Begehung einer rechtswidrigen Tat nach§ 165 (Geldwäscherei), § 278 (Kriminelle Vereini-gung), § 278c StGB (Terroristische Straftaten) auchjene Vermögenswerte für verfallen erklärt werden,die in einem zeitlichen Zusammenhang mit dieserTat erlangt wurden, sofern die Annahme nahe liegt,dass sie aus einer rechtswidrigen Tat stammen. Zu-sätzliche Voraussetzungen eines solchen Vorfalls ist,dass der Betroffene die rechtmäßige Herkunft derVermögenswerte nicht glaubhaft machen kann. Glei-ches gilt, wenn die Vermögenswerte aus einem Ver-brechen (§ 17 Abs 1 StGB) stammen oder für dessenVornahme erlangt wurden. Wenn es dem Betroffenenalso gelingt, die rechtmäßige Herkunft des Vermö-genszuwachses glaubhaft zu machen (zB Erbschaft,realisiertes Sparguthaben), dürfen die Vermögensge-genstände nicht für verfallen erklärt werden.

B. Rechtsnatur

Mit der Umstellung vom früheren Nettoprinzip beider Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGBaF auf das Bruttoprinzip beim Verfall nach § 20 StGBnF könnten Konsequenzen für die Rechtsnatur desVerfalls neuen Typs verbunden sein. Für die Ab-schöpfung der Bereicherung war es einhellige Auffas-sung, dass es sich um keine Strafe handelte, weil demTäter „durch die Abschöpfung keine Nachteile wegender Tat zugefügt (…), sondern ihm lediglich in einemcontrarius actus (…) die unrechtmäßig erlangtenVorteile aus der Tat wieder abgenommen“ wurden.13)Vielfach wird jedoch eine auf dem Bruttoprinzip ba-sierende Abschöpfungs- bzw Verfallsregelung alsStrafe angesehen, weil dem Täter hier mehr entzogenwerde, als er durch die Tat erlangt hat.14) Träfe dieszu, wäre die Neuregelung des Verfalls in mehrfacherHinsicht problematisch: Zum einen läge wohl einVerstoß gegen das Schuldprinzip vor und zum ande-ren ließe es sich nicht rechtfertigen, den Verfall auchgegenüber solchen Vermögenswerten zuzulassen, dieim Eigentum einer an der Tat nicht beteiligten Personstehen.

Allerdings erscheint es nicht zwingend, dass alleindas Umstellen vom Netto- auf das Bruttoprinzip denVerfall neuen Typs zu einer (Neben-)Strafe macht.Der Umstand, dass dem Täter mehr Übel zugefügtwird als die bloße Abschöpfung des Gewinns ausder Straftat, genügt nämlich für sich genommennicht, um von einer Strafe sprechen zu können. Rich-tig ist vielmehr, dass es sich auch bei einem auf dem

Das Recht der österreichischen Berufsdetektive

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9) So schon für die frühere Regelung in § 20 Abs 3 StGB aF Fuchs/Ti-pold, WK-StGB § 20 Rz 107.

10) Schwaighofer, Anmerkungen zum strafrechtlichen Kompetenzpaket(sKp), JSt 2010, 203 (205).

11) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 8.12) Ausführlich dazu zB Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20b Rz 1 ff.13) ZB Fuchs/Tipold, WK-StGB Vor §§ 20–20 c Rz 12 mwN.14) Schwaighofer, JSt 2010, 205; Fuchs/Tipold, WK-StGB Vor §§ 20–

20 c Rz 16; ErläutRV StRÄG 1996, 27; ebenso die hL in Deutsch-land: zB Eser in Schönke/Schröder, StGB28 § 73 Rz 19 mwN.

WIRTSCHAFTS-STRAFRECHT

318 ecolex 2011

Page 41: ecolex 4/2011

Bruttoprinzip basierenden Verfall um eine strafrecht-liche Sanktion eigener Art,15) namentlich um einenquasi-kondiktionellen Ausgleichsanspruch handelt.16)

Dafür spricht zum einen bereits der Wortlaut des§ 20 StGB; denn dieser setzt für den Verfall (ledig-lich) die Begehung einer mit Strafe bedrohten Hand-lung voraus. Anders als etwa bei der Konfiskation(§ 19 a StGB), welche die Begehung einer Straftat er-fordert, genügt es somit, dass der Täter tatbe-standsmäßig und rechtswidrig agiert hat; ein schuld-haftes Handeln ist dagegen nicht notwendig. Da esauf die Schuld nicht ankommt, kann der Verfall nachden §§ 20–20c StGB somit keine Strafe sein.17)Hinzu kommt, dass die Anordnung des Verfalls kein– für die Einordnung als Strafe konstitutives – perso-nales Unwerturteil über den Täter beinhaltet.18) Zubeachten ist außerdem, dass sich der Unterschied zwi-schen Brutto- und Nettoprinzip allein auf solche Ver-mögensaufwendungen des Täters beschränkt, die die-ser zur Vorbereitung bzw Durchführung einer mitStrafe bedrohten Handlung eingesetzt hat. Diese Auf-wendungen hat der Täter freiwillig und gezielt aus sei-nem Vermögen entäußert; anders als die Geldstrafebewirkt daher der Verfall nach dem Bruttoprinzipkeine originäre Vermögensverschiebung vom Betroffe-nen auf den Staat.19) Auch deshalb kann es sich beimVerfall neuen Typs um keine (Neben-)Strafe han-deln. Die Anordnung des Verfalls unterscheidet sichferner in ihren Wirkungen deutlich von einer Geld-strafe. Denn diese muss aus dem allgemeinen Vermö-gen des Täters erbracht werden (s § 19 Abs 2 StGB),während der Verfall grundsätzlich nur in Bezug aufsolche Vermögensgegenstände möglich ist, die fürbzw durch die mit Strafe bedrohte Handlung erlangtwurden.20)

C. Abgrenzung zur Konfiskation(§ 19 a StGB)

Der Verfall ist von der Konfiskation (§ 19 a StGB) ab-zuschichten. Diese beiden Maßnahmen weisen zu-nächst abweichende Bezugspunkte auf: Die Konfiska-tion bezieht sich auf Gegenstände, die zur Begehungder Tat verwendet oder durch diese hervorgebrachtwurden (instrumenta et producta sceleris), währendder Verfall solche Vermögenswerte betrifft, die durchdie Tat oder für deren Begehung erlangt wurden(oben A.1.). Zwischen Vermögensgegenständen, diedurch die Tat hervorgebracht wurden, und solchen,die durch die Tat erlangt wurden, besteht ein Unter-schied. Durch die Tat hervorgebracht werden näm-lich nur Gegenstände, deren Entstehung oder gegen-wärtige Beschaffenheit auf die Straftat zurückzufüh-ren ist, wie zB erzeugtes Suchtgift, nicht aber zB dieBeute.21) Ein vermögenswerter Gegenstand ist dem-gegenüber durch die Tat erlangt, wenn diese kausalfür die beim Täter eingetretene Vermögensvermeh-rung war, wie insb die Beute (oben A.1.). Der Begriffdes Erlangens ist also erheblich weiter als jener desHervorbringens.

Die Rechtsnatur beider Instrumente weicht eben-falls voneinander ab: Die Konfiskation ist als eine Ne-benstrafe einzustufen, während es sich beim Verfallum eine strafrechtliche Sanktion eigener Art, nament-

lich um einen quasi-kondiktionellen Ausgleichsan-spruch handelt (oben B.). Dementsprechend setzteine Konfiskation voraus, dass der Täter eine Vor-satzstraftat begangen, dh insb tatbestandsmäßig,rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.22) DerVerfall ist dagegen bereits bei der Verwirklichung ei-ner mit Strafe bedrohten Handlung möglich; es genügthier also, dass der Betroffene tatbestandsmäßig undrechtswidrig gehandelt hat, ein schuldhaftes Verhal-ten ist demgegenüber nicht erforderlich. Daher istzB ein Verfall bei zurechnungsunfähigen (§ 11 StGB)Tätern denkbar, während eine Konfiskation – nebenallen anderen Schuldmerkmalen – Zurechnungsfä-higkeit voraussetzt. Im Gegensatz zum Verfall musssich die Anordnung einer Konfiskation außerdemauf die zugleich im Strafurteil verhängte Geld- oderFreiheitsstrafe mindernd auswirken; dies ergibt sichzwingend aus der Einordnung der Konfiskation alsNebenstrafe. Schließlich ist eine Konfiskation immernur gegen den Eigentümer des Gegenstands zulässig,sofern es sich bei diesem um den Täter der Vorsatzst-raftat handelt.23) Im Gegensatz dazu ist der Verfallunter bestimmten Voraussetzungen auch gegenDritte, also gegen Personen zulässig, die an der betref-fenden Straftat nicht beteiligt waren (oben A.1.).

ecolex 2011 319

WIRTSCHAFTS-STRAFRECHT

SCHLUSSSTRICH

Der jüngst vom österreichischen Gesetzgeber voll-zogene Wechsel vom Netto- zum Bruttoprinzipbei der vermögensrechtlichen Sanktion des Verfallsist zu begrüßen: Der Umstand, dass der Täter fürdie Begehung der Straftat auch Aufwendungen er-bracht hat, soll ihm nicht nachträglich durch An-rechnung zu Gute kommen.24)

15) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7.16) Ebenso für die mit § 20 öStGB vergleichbare Verfallsregelung des

§ 73 dStGB BGH NJW 1995, 2235; Schmidt LK § 73 Rz 7, 12;Wallschläger, Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften (2002) 28 ff.

17) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7.18) Joecks, MüKo § 73 Rz 14.19) Wallschläger (FN 16) 28.20) Wallschläger (FN 16) 28.21) Hinterhofer, ecolex 2011, 216.22) Hinterhofer, ecolex 2011, 216.23) Hinterhofer, ecolex 2011, 216.24) Siehe Schmoller, Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf, 1/SN-

187/ME (24. GP) 3 (abrufbar unter www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00187_01/fname_195469.pdf. 2), der derNeuregelung des Verfalls in den §§ 20–20c StGB ebenso grundsätz-lich zustimmt.

Page 42: ecolex 4/2011

Neues vom KostenrechtDas Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) änderte auch zahlreiche verfahrens-rechtliche Bestimmungen. Der Autor stellt davon die Änderungen im Kostenrecht der ZPOvor und beleuchtet deren Bedeutung für die Praxis.

JÜRGEN C. T. RASSI

A. Kostenvorbehalt

1. Normzweck

Nach § 52 Abs 1 ZPO nF kann mit unanfechtbaremBeschluss die Entscheidung über die Kosten bis zurrechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehal-ten werden. Die Bestimmung lehnt sich an § 78Abs 1 Satz 2 AußStrG an und geht auf einen Vor-schlag der Richterschaft zurück.1) Die Regelung istzu begrüßen, weil bisher der Aufwand zahlreicher –mitunter sehr aufwändiger – Kostenentscheidungenfrustriert ist, wenn das Urteil aufgehoben oder abge-ändert wird und damit die Grundlage für die Kosten-entscheidung wegfällt.2) Jede Kostenentscheidungsteht stets unter der Bedingung, dass die Sachent-scheidung rechtskräftig wird. Auch wenn eine erstge-richtliche Kostenentscheidung einwandfrei getroffenwurde, musste bisher über die Kosten desselben Ver-fahrensabschnitts nach einer Abänderung oder Aufhe-bung des Urteils mehrfach entschieden werden. Dembeugt der Kostenvorbehalt vor, der zudem auch Kos-tenrekurse bzw Berufungen im Kostenpunkt verhin-dert, die ex post betrachtet (bei Abänderung oderAufhebung des Urteils) überflüssig waren.

Nach den Mat würde die gesonderte Kostenent-scheidung auch dazu führen, dass die Sachentschei-dungen rascher gefällt werden könnten, weil der rech-nerische Aufwand auf einen späteren Zeitpunkt ver-schoben werde.3) Allerdings muss dem der höhereGesamtaufwand im Fall einer bestätigten Entschei-dung entgegengehalten werden, weil der Kostenvor-behalt die Gerichte dazu zwingt, den Akt nachRechtskraft der Sachentscheidung neuerlich zu bear-beiten. Insg ist (bei Anwendung des bloß fakultativenVorbehalts in der Praxis) durch die mit dem Vorbe-halt verbundene Reduzierung frustrierter Kostenent-scheidungen und Rechtsmittel eine moderate Entlas-tung der Gerichte zu erwarten.

2. Zuständigkeit und Anwendungsbereich

Nach dem Regelfall wird ein Kostenvorbehalt bereitsdurch das ErstG erfolgen. In diesem Fall haben auchdie Rechtsmittelgerichte keine Kostenentscheidungzu treffen, weder über die Kosten erster Instanz nochüber die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.4) Sofernkein Kostenvorbehalt durch das ErstG erfolgt ist,kann der Vorbehalt aber auch erstmalig durch die In-stanz erfolgen.

Unabhängig davon, ob sich das Erst- oder dasZweitG die Kostenentscheidung vorbehalten hat,hat – nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache

– über alle Kosten immer das ErstG zu entscheiden(§ 52 Abs 3 ZPO nF). Vor dem rechtskräftigen Ab-schluss des Verfahrens ist im weiteren Rechtsgangkeine Entscheidung über die (von der Hauptsache ab-hängigen) Kosten zu treffen.5) Ist die Kostenersatz-pflicht vom Ausgang der Hauptsache unabhängig,so erfolgt nach dem inhaltlich unverändert gebliebe-nen § 52 Abs 1 (nunmehr) S 3 ZPO eine sofortigeKostenentscheidung. Der Anwendungsbereich für ei-nen schon nach dem bisherigen Recht möglichenVorbehalt bei einem Teil- oder Zwischenurteil bzwAufhebungsbeschluss wird durch das BBG 2011nicht eingeschränkt. Ein Kostenvorbehalt nach § 52Abs 1 S 1 ZPO nF ist nicht ausgeschlossen, wennbei einem Teilurteil eine sofortige Kostenentschei-dung möglich wäre.6)

Als Entgegenkommen gegenüber der den Vorbe-halt ablehnenden Anwaltschaft7) macht § 52 Abs 2ZPO nF8) (im Gegensatz zum Ministerialentwurf)den Kostenvorbehalt davon abhängig, dass dieser auf-grund der Komplexität der zu treffenden Kostenent-scheidung aus Gründen der Verfahrensökonomiezweckmäßig ist. Nach den Mat ist das dann der Fall,wenn für die Kostenentscheidung eingehende Be-rechnungen erforderlich sind, die einen unverhältnis-mäßigen Aufwand verursachen, mehrfache Ein-schränkungen oder Ausdehnungen des Klagebegeh-rens erfolgt sind, unterschiedliche Obsiegensquotenin mehreren Verfahrensabschnitten gegeben sind,sich mehrere Parteien im Verfahren beteiligen, einekombinierte Anwendung von § 43 Abs 1 und 2ZPO erforderlich ist udgl.9) Das erinnert an diejüngste Rsp des OGH zum Auftrag zur Kostenbe-rechnung an das BerG.10) Die in den Mat erwähntenBeispiele sind dahin zu ergänzen, dass die geforderteKomplexität auch bei langer Verfahrensdauer,11)

GELEITET VONP. OBERHAMMER

Dr. Jürgen C.T. Rassi ist Richter am OLG Wien und Lehrbeauftragter ander Universität Wien.1) Beran et al, RZ 2002, 126.2) ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 80 (im Folgenden: Mat).3) Mat 80.4) Mat 81.5) Mat 81.6) Mat 81.7) Vgl etwa M. Bydlinski, § 54 Abs 1 a ZPO – Ein gelungener Versuch

der Ressourcenoptimierung im Kostenverfahren? Jahrbuch Zivilver-fahrensrecht 10 (2010) 217 oder die unter www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00233_03/index.shtml abrufbare Stel-lungnahme des ÖRAK zum Ministerialentwurf.

8) Anders noch der Ministerialentwurf.9) Mat 81.

10) RIS-Justiz RS0124588.11) Etwa bei Anwendung unterschiedlicher Fassungen des RATG.

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bei einem mehrbändigen Akt, bei einer Prozess-verbindung oder bei bereits gefassten Teilentschei-dungen vorliegen kann. Das Erfordernis der Kom-plexität schwächt die verfahrensökonomischen As-pekte des Modells ab, zumal mit dem Kostenvorbe-halt nicht nur überflüssige Kostenentscheidungen,sondern auch Kostenrekurse vermieden werden kön-nen.

Ein Vorbehalt ist bei einem Zahlungsbefehl,Wechselzahlungsauftrag12) oder einem Versäu-mungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteil ausge-schlossen (§ 52 Abs 2 Satz 2 ZPO nF); hier wirddie fehlende Komplexität generell unterstellt.

In Anknüpfung an den Zweck der Bestimmunglegt § 52 Abs 2 Satz 1 ZPO nF fest, dass ein Vor-behalt nur dann möglich ist, wenn die Sachent-scheidung noch angefochten werden kann. Der„Kostenvorbehalt neu“ kann daher nicht durchden OGH (erstmals) erfolgen. Das ZweitG darf sichdie Kosten dann nicht vorbehalten, wenn die Revi-sion jedenfalls unzulässig ist. Hingegen ist derKostenvorbehalt durch das BerG nicht aus-geschlossen, wenn die o Revision oder auch nurdie ao Revision zulässig ist. Kann die Entscheidungbei einem Entscheidungsgegenstand über E 5.000,–bis E 30.000,– nur mehr über den Umweg desAbänderungsantrags nach § 508 ZPO bekämpftwerden, schließt das Gesetz einen Kostenvorbehaltdurch die Instanz nicht aus, weil die Berufungs-entscheidung iZm dem Abänderungsantrag nochangefochten werden kann. Eine derartige Vorgangs-weise des BerG wäre aufgrund des Zulassungs-ausspruchs allerdings sinnwidrig und inkonse-quent.

§ 52 ZPO nF gilt für Verfahren, in denen derVerhandlungsschluss nach dem 30. 6. 2011 liegt.

3. Ausblick

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der bloß fakultativeCharakter der Norm deren verfahrensvereinfachen-den Zweck aushöhlt, zumal § 78 Abs 1 Satz 2AußStrG von der Praxis nur sehr sparsam angewendetwird.13) Die Bedenken der Erstrichter, auch über dieKosten eines allfälligen Instanzverfahrens entscheidenund den Akt nach Abschluss des Verfahrens noch ein-mal in die Hand nehmen zu müssen, lassen den Kos-tenvorbehalt als unpraktisch erscheinen. Freilich istdas von Billigkeit geprägte außerstreitige Kostenrechtals Testballon für den Kostenvorbehalt nur bedingtgeeignet. Dessen ungeachtet hätte sich unter Berück-sichtigung der bisherigen Erfahrungen ein größererWurf angeboten, etwa ein zwingender Vorbehalt.14)Dies würde eine strukturelle Entkoppelung derHaupt- von der Kostenentscheidung erleichtern unddamit das eigentliche Verfahren entlasten. Als flankie-rende Maßnahme müsste normiert werden, dass dieKostenentscheidung nur nach auf Antrag zu fassenist. In vielen Fällen ist nämlich nach rechtskräftigemAbschluss der Hauptsache zu erwarten, dass die Frageder Kosten im Korrespondenzweg zwischen den be-teiligten Anwälten ohne weitere Befassung des Ge-richts geklärt werden kann.15)

B. Einwendungen gegen das Kosten-verzeichnis

1. Allgemeines

Das BBG 2009 bescherte mit § 54 Abs 1a ZPO einein Rsp und Lit16) heftig diskutierte Bestimmung, wo-nach die verzeichneten Kosten der Kostenentschei-dung zu Grunde zu legen sind, wenn gegen das Kos-tenverzeichnis keine begründeten Einwendungen er-hoben wurden. Diese Regelung hat die Gerichtezum einen entlastet, weil viele Kostenentscheidungenmangels Einwendungen erleichtert wurden.17) Zumanderen hat die Bestimmung in der Praxis allerdingszahlreiche Fragen aufgeworfen.18) Etwa die Frage deskonkreten sachlichen Anwendungsbereichs, die Aus-wirkung auf Unvertretene, der Umfang der Ein-schränkung der Prüfungspflicht bei unterlassenen Ein-wendungen, die Auswirkung einer unterlassenen (oderverspäteten) Übergabe des Kostenverzeichnisses anden Gegner, die Wirkung von unterlassenen Einwen-dungen auf das Rekursrecht und die Frage der Kosten-ersatzpflicht. Der mit der Klärung der Probleme ver-bundene Aufwand und die durch die Bestimmungausgelöste Rechtsunsicherheit stehen zu den Vorteilender Regelung in keinem Verhältnis, weshalb diese zueinerMehrbelastung derGerichte führte.Der Versuchder Ressourcenoptimierung im Kostenverfahren istgescheitert.19)Mit demBBG 2011 sollen nun drei bis-her offene Fragen geklärt werden.20)

2. Einschränkung auf den Anwaltsprozess

Nach § 54 Abs 1a Satz 3 ZPO nF gilt die Obliegen-heit zur Erhebung von Einwendungen nur für einedurch einen Anwalt vertretene Partei. Diese Ein-schränkung ist zu begrüßen, zumal dadurch der An-wendungsbereich der eher verunglückten Norm ver-ringert wird. Den Gerichten bleibt eine allfällige An-

ecolex 2011 321

DISPUTERESOLUTION

12) Richtig: Zahlungsauftrag (§ 555 Abs 1 ZPO).13) Nach einem (informellen) österreichweiten Rundruf des Verfassers un-

ter erfahrenen Rechtsmittel- bzw Außerstreitrichtern wird die Bestim-mung von der Praxis nicht bzw nur äußerst selten angewandt.

14) Ausgenommen davon müssten allerdings Zahlungsbefehle, Zahlungs-aufträge, Versäumungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteile sein.

15) Deshalb sollte für den Antrag eine ausreichende Frist eingeräumt wer-den; vgl Beran et al, RZ 2002, 126.

16) Vgl etwa (mwN): Höllwerth, ÖJZ 2009, 743; Salficky, AnwBl 2009;Fucik, ÖJZ 2009, 791; Woller, ecolex 2009, 567; Mayr, ecolex2009, 662; Reisenhofer, JAP 2009/2010/13; Obermaier, Zak 2010,150; ders, Kostenhandbuch2 Rz 52 ff; Kolmasch, Zak 2010/152; M.Bydlinski, aaO 217.

17) Der positive Aspekt der Regelung ist insoweit beschränkt, weil dieEinwendungen nur den unproblematischen Teil der Kostenprüfungbetreffen. Die mitunter komplizierte Anwendung des § 43 ZPO (vol-ler oder teilweiser Ersatz bei teilweisem Obsiegen, Ermittlung derQuoten, Abschnittsbildung, kombinierte Anwendung des § 43Abs 1 und 2 ZPO), die Prüfung der Kosten bei verschiedenen Erfol-gen von Streitgenossen oder bei Prozessverbindungen ist von der Ein-wendungsobliegenheit nicht umfasst.

18) M. Bydlinski, aaO 195 und Obermaier, aaO Rz 52 ff je mwN.19) M. Bydlinski, aaO 212.20) In den Mat 82 wird klargestellt, dass die Bestimmung ausschließlich

für das am Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegteKostenverzeichnis gelten soll. Hier war eine Klarstellung im Gesetznicht geboten, weil sich diese Auslegung auf den Wortlaut des § 54Abs 1 a Satz 1 ZPO stützen kann.

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leitung21) der unvertretenen Partei oder die Bearbei-tung von Verfahrenshilfeanträgen zwecks Beigebungeines Rechtsanwalts zur Erhebung von Einwendun-gen erspart.22)

3. Verbot der amtswegigen Überprüfung

Nach § 54 Abs 1a Satz 3 ZPOnF sind die verzeichne-ten Kosten der Entscheidung „ungeprüft“ zu Grundezu legen. Die Mat betrachten diese Bestimmung alsauthentische Interpretation und führen aus, dass eineamtswegige Wahrnehmung von unrichtig verzeichne-ten Leistungen schon nach dem BBG 2009 nicht vor-gesehen gewesen wäre.23) Der von Teilen der Lehreund Rsp vertretenen Ansicht,24) dass die Positionendes Kostenverzeichnisses auch ohne Vorliegen einerbegründeten Bestreitung auf ihre Schlüssigkeit, ihreÜbereinstimmung mit dem Akteninhalt sowie aufzwingende gesetzliche Bestimmungen zu überprüfenseien, halten die Mat zum BBG 2011 – gestützt aufden Wortlaut der ursprünglichen Fassung und dieMat zum BBG 200925) – „die unmissverständliche In-tention des Gesetzgebers“ entgegen. Nur so könneeine tatsächliche Entlastung der Gerichte erreicht wer-den. Eine weitere Erörterung kann dahinstehen, weildas Wort „ungeprüft“ eine amtswegige Überprüfungder Kostennote kategorisch ausschließt.

Die neue Fassung steht unter dem Gesichtspunktdes Gleichheitsgrundsatzes in seiner Ausprägung alsallgemeines Sachlichkeitsgebot26) und verglichen mitähnlichen Normen unter dem Verdacht der Verfas-sungswidrigkeit. In der Tat sind ein Verbot der amts-wegigen Überprüfung und der damit verbundenemögliche Zuspruch von zu Unrecht verzeichnetenKosten unsachlich. Das Verbot kann auch nicht mitder „Dispositionsmaxime“ erklärt werden.27) In denunterlassenen Einwendungen zum (öffentlich-rechtli-chen) Kostenersatzanspruch liegt (anders als bei ei-nem Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis) keineDisposition der Partei! Vielmehr handelt es sich umeine Untätigkeit der passiven Partei. Auch bei einerbewussten Unterlassung von Einwendungen lägekeine Disposition vor, weil eine Partei, die eine un-richtige Entscheidung gegen sich ergehen lässt, damitnicht über den Prozessgegenstand verfügt.28)

Dazu wurde in der Lit bereits zutreffend daraufhingewiesen, dass die Verfahrensgesetze in vergleich-baren Fällen eine richterliche Prüfung zulassen.29)Ein Versäumungsurteil ist nicht zu erlassen, wenndas Vorbringen des Klägers durch vorliegende Be-weise widerlegt wird bzw unschlüssig ist.30) Auchein ausdrückliches oder schlüssiges Geständnis bindetnach der Rsp in zahlreichen Konstellationen nicht.31)Nach der hL wird eine solche Bindung sogar generellabgelehnt.32) Im Exekutionsverfahren ist bei einernach § 56 EO anzunehmenden fiktiven Zustimmungdes Gegners ein entsprechender Antrag nur nach Prü-fung der gesetzlichen Voraussetzungen zu bewilli-gen.33) Ähnliches gilt für § 17 AußStrG, wonach An-träge mangels rechtlicher Voraussetzungen für eineStattgebung selbst bei unterlassenen Einwendungenabzuweisen sind.34) Auch im Gebührenrecht kannder Gebührenantrag auch ohne Einwendungen nach§ 39 GebAG auf seine Schlüssigkeit, seine Überein-stimmung mit dem Akteninhalt sowie auf zwingende

gesetzliche Bestimmungen überprüft werden.35) Alldas zeigt, dass eine Bindung an eine falsche Kosten-note systemwidrig, unsachlich und damit auch verfas-sungswidrig ist.

Jüngst hatte der VfGH § 54 Abs 1 a ZPO aF zuprüfen36) und verneinte die Verfassungswidrigkeit,weil die Wendung „seiner Entscheidung zu Grundezu legen“ verfassungskonform dahin auszulegen sei,dass das Gericht durchaus in der Lage sei, „offenbareUnrichtigkeiten“ (auch ohne Einwendungen) zu kor-rigieren. Die in den Mat zum BBG 2009 vorgenom-mene Interpretation37) qualifizierte der VfGH freilichals unsachlich. Eine derartige Auslegung hätte ein ver-fassungswidriges Ergebnis zur Folge.

Durch die nunmehrige „Klarstellung“ im BBG2011 ist eine verfassungskonforme Interpretationder Regelung schwer denkbar, weil jegliche Überprü-fung der Kostennote ausgeschlossen ist (arg „unge-prüft“). Das Verbot der Prüfung umfasst auch „offen-bare Unrichtigkeiten“, weil auch solche Positionen ei-ner (wenngleich einfacheren) Prüfung unterzogenwerden müssten.

Um einer monatelangen Rechtsunsicherheit biszum nächsten VfGH-Erk vorzubeugen, wäre eine ra-sche Reparatur der Bestimmung durch den Gesetzge-ber zu empfehlen. Gegen eine ersatzlose Streichungdes § 54 Abs 1 a ZPO hätten die Praktiker aufgrundder bisherigen Erfahrungen wohl wenig Widerstandentgegenzusetzen. Als Alternative kämen die Strei-chung des dritten Satzes38) und die Anordnung einerBegründungserleichterung nach dem Vorbild des§ 39 GebAG in Betracht. Dies hätte – wie im Gebüh-renrecht – verfahrensvereinfachende Effekte zurFolge. Langfristig bietet sich eine Einbettung einesallfälligen Äußerungsverfahrens in ein kostenrechtli-ches Annexverfahren an.

4. Ausschluss des Kostenersatzes

Die kontrovers geführte Diskussion, ob für Einwen-dungen ein Kostenersatz zusteht,39) wurde mit § 54

21) In der Praxis wird eine allfällige Anleitungspflicht mit Blick auf § 182 aSatz 2 ZPO bzw § 432 Abs 1 ZPO nicht einheitlich bejaht.

22) Obermaier, aaO Rz 62.23) Mat 81.24) Dazu und zur Gegenmeinung: Obermaier, aaO Rz 64.25) 113 BlgNR 24. GP 31: „Nicht begründet bestrittene Positionen sind der

Entscheidung ungeprüft zu Grunde zu legen“.26) VfSlg 14.362; Berka, Verfassungsrecht2 Rz 1650 [„Es ist hier kein Ver-

gleich der geprüften Regelung mit anderen Normen notwendig. Es wirdvielmehr das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel losgelöst von einer vergleich-baren Regelung auf seine Vertretbarkeit (Legitimität des Zieles, Verhält-nismäßigkeit der eingesetzten Mittel) geprüft.“].

27) IdS die Mat zum BBG 2009.28) IdS bereits Bernhardt in FS Rosenberg (1949) 30.29) Obermaier, aaO Rz 64.30) Rechberger in Rechberger3 § 396 Rz 7.31) Vgl Rechberger in Rechberger3 § 266 Rz 2 mwN.32) Rechberger in Rechberger3 § 266 Rz 2 mwN.33) Rassi in Burgstaller/Deixler-Hübner § 56 EO Rz 16.34) Fucik/Kloiber § 17 AußStrG Rz 3.35) Krammer/Schmidt3 § 39 GebAG E 42.36) E vom 3. 12. 2010 zu G 280/09–7.37) FN 25.38) Und eine Einschränkung auf den Anwaltsprozess.39) Obermaier, aaO Rz 66 ff und M. Bydlinski, aaO 204 ff jeweils mwN

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Abs 1 a Satz 4 ZPO nF iS eines ausdrücklichen Aus-schlusses des Kostenersatzes gelöst. Die Mat berufensich hier auf § 39 Abs 1 und § 41 Abs 3 Satz 2 Geb-AG.40) Die neue Regelung wird wohl nicht dazu füh-ren, dass die Parteien deshalb auf Einwendungen ver-zichten, zumal die bestrittenen Kosten idR ein allfäl-liges Honorar für die Einwendungen beträchtlichübersteigen. Dessen ungeachtet entlastet die neueFassung die Gerichte, weil zB bei den Einwendungender obsiegenden Partei eine Überprüfung des hypo-thetischen Erfolgs entfällt.41)

5. Fristhemmung

Aufgrund des Umstands, dass die Fristenhemmungnach § 222 ZPO nF (ehemals verhandlungsfreie Zeit)nur mehr Notfristen im Rechtsmittelverfahren be-trifft, konnte die bisherige Ausnahme einer Fristhem-mung für Einwendungen gegen die Kosten entfal-len.42)

6. Inkrafttreten

Nach Art 39 Abs 2 BBG 2011 trat die neue Fassungdes § 54 Abs 1 a ZPO mit 1. 1. 2011 in Kraft. § 54Abs 1 a Satz 4 ZPO nF (nicht aber § 54 Abs 1 a Satz 3ZPO nF) ist in Verfahren anzuwenden, in denen derSchluss der mündlichen Verhandlung erster Instanznach dem 31. 12. 2010 lag (Art 39 Abs 10 a BBG2011). Diese Übergangsbestimmungen verwirren in-sofern, weil nach den Mat mit § 54 Abs 1 a Satz 4ZPO nF nur „klargestellt“ werden sollte, dass fürdie Einwendungen keine Kosten gebühren. Das sug-geriert, dass bereits die bisherige Fassung nach derAnsicht des Gesetzgebers einen Kostenersatzanspruchausschließt. Unklar bleibt daher, warum § 54 Abs 1 aSatz 4 ZPO nF für Verfahren mit einem Verhand-lungsschluss vor dem 1. 1. 2011 nicht gelten soll.

Weder aus dem Gesetz noch aus den Mat gehthervor, dass es sich bei der Ausnahme für Unvertre-tene um eine Klarstellung handeln sollte. Dessen un-geachtet ist § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF ohne Unter-schiede bereits mit 1. 1. 2011 anwendbar, unabhän-gig vom Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung.Das betrifft auch das Verbot der amtswegigen Über-prüfung (vgl aber Art 89 Abs 2 B-VG). Die Rechts-mittelgerichte haben auf § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPOnF auch dann Bedacht zu nehmen, wenn der ange-fochtene Beschluss bereits vor Inkrafttreten desBBG 2011 gefasst wurde.43)

C. Rekursbeschränkung beim Kosten-rekurs

Nach § 517 Abs 3 ZPO nF ist ein Kostenrekurs dannnicht statthaft, wenn der Betrag, dessen Zuspruchoder Aberkennung beantragt wird, E 50,– nichtübersteigt (vgl auch § 41 Abs 1 GebAG). Die mitder Bagatellgrenze durchaus zu erwartende Entlas-tung der Rechtsmittelgerichte44) dürfte sich im Zivil-prozess in Grenzen halten. Ein deutlicher Rückgangder Kostenrekurse ist hingegen im Exekutionsverfah-ren zu erwarten,45) bedenkt man die umfangreicheRsp zu Barauslagen und Drittschuldnerkosten. Kodekbefürchtet durch die Einschränkung ein „Auswei-

chen“ auf Amtshaftungsverfahren.46) Freilich warschon die bisherige Rekursmöglichkeit kein Schutzvor Amtshaftungsverfahren. Es war zwar möglich,eine falsche Kostenentscheidung in der Instanz zu sa-nieren. Die dadurch entstandenen Rekurskostenkonnten in der Folge aber über das AHG gefordertwerden.47)

ecolex 2011 323

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SCHLUSSSTRICH

Die neuen Kostenbestimmungen können nur zumTeil begrüßt werden. Eine Entlastung ist lediglichin einem eingeschränkten Ausmaß zu erwarten.Für einen zukünftigen Gesetzwerdungsprozessempfiehlt sich eine umfassende Einbindung vonLehre und Vertretern der Praxis. Statt der hastigenVerabschiedung zivilverfahrensrechtlicher Bestim-mungen im Rahmen von umfangreichen Budget-begleitgesetzen sollten angemessene Begutach-tungsfristen gewährt werden.

40) Mat 82.41) Vgl M. Bydlinski, aaO 207.42) Mat 81.43) Kodek in Rechberger3 § 482 Rz 12; RIS-Justiz RS0106868.44) Mat 88.45) § 517 ZPO ist – mit Ausnahmen (§ 65 Abs 2 EO) – auch im Exeku-

tionsverfahren anwendbar (§ 78 EO).46) Kodek, Zak 2011/8.47) Dagegen bietet auch § 11 RATG keinen Schutz, weil der Entloh-

nungsanspruch gegenüber der eigenen Partei unverändert bleibt.

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Die Internationalisierung vonHandelssachen an ZivilgerichtenIm internationalen Wirtschaftsverkehr stehen auch die staatlichen Gerichte im Wettbewerb.In diesem Wettbewerb versuchen sich Frankreich und Deutschland neu zu positionieren,indem sie spezialisierte Kammern für internationale Handelssachen einrichten, vor denenetwa auch die Verhandlung in englischer Sprache möglich sein soll. Daraus ergeben sich auchfür Österreich interessante Perspektiven.

MAXI SCHERER / FRANZ SCHWARZ

A. Deutschland

In Deutschland wurde ein Pilotprojekt am 1. 1. 2010im Oberlandesgerichtsbezirk Köln mit der Einset-zung von drei Kammern für internationale Handels-sachen gestartet. Dieses Projekt ermöglicht es derzeit,vor diesen Kammern in englischer Sprache zu verhan-deln, ohne jedoch Schriftsätze in fremder Spracheaustauschen zu können. In den Geschäftsverteilungs-plänen wurden entsprechende Kammern eingesetzt,deren Richterinnen bzw Richter über vertiefte engli-sche (Rechts-)Sprachkenntnisse verfügen. Erste Ver-handlungen haben am Landgericht Bonn bereitsstattgefunden.

Am 16. 6. 2010 hat der Bundesrat dem Bundes-tag einen weitergehenden Gesetzesentwurf1) vorge-legt, der unter Mitwirkung des Deutschen Richter-bundes und des Deutschen Anwaltsvereins erarbeitetworden ist. Danach ist § 184 Gerichtsverfassungsge-setz (GVG)2) nF insofern abgeändert worden, dassVerfahren vor den internationalen Kammern in Eng-lisch geführt werden. Eine Fortführung des Verfah-rens in Deutsch bleibt aber jederzeit möglich. Erfor-derlich ist nach § 114b GVG3) nF allein, dass derRechtsstreit einen internationalen Bezug aufweistund Kläger und Beklagter sich auf die Verhandlungs-führung in englischer Sprache geeinigt haben. Somitkönnen sowohl Schriftsätze, Protokolle und sogardas Urteil in englischer Sprache abgefasst werden. Da-für ist eine ergänzende Fortbildung der Richterinnenund Richter vorgesehen.4) Nach positiver Stellung-nahme der Regierung5) ist mit der Gesetzesverab-schiedung zu rechnen, welches zwölf Monate nachder Verkündung in Kraft treten würde.6)

B. Frankreich

In Frankreich besteht schon seit einiger Zeit eine ,,in-ternationale Kammer ,, am Handelsgericht in Paris.Am 17. 1. 2011 wurde diese Kammer, in Anlehnungan den deutschen Gesetzesentwurf, durch offiziellenEinsetzungsakt ermächtigt, von nun an Plädoyers inenglischer, deutscher oder spanischer Sprache anzu-hören und schriftliche Beweise in diesen Sprachender Entscheidung ohne Übersetzung zu Grunde zu le-gen.7) Der Kammer sollen neun Richter bzw Laien-richter angehören, die die erforderlichen Sprach-kenntnisse in einer der drei Sprachen besitzen.

Einer Gesetzesänderung bedurfte es nicht, daArt 23 des Code de Procedure Civile (CPC) demRichter im Rahmen der Verhandlung erlaubt, auf ei-nen Dolmetscher zu verzichten, wenn er die Fremd-sprache „kennt“.8) Diese Vorschrift wurde nun fürdie Kammer generell und nicht nur als Ausnahmevor-schrift für anwendbar erklärt. Voraussetzung dafür istebenfalls das Einverständnis der Parteien. Im Unter-schied zum deutschen Gesetzesentwurf soll es abernoch nicht möglich sein, in der Fremdsprache Schrift-sätze einzureichen. Zudem müssen die Entscheidun-gen weiter ausschließlich in französischer Sprache ver-fasst werden.

C. Ausblick und Anregung

In Deutschland und Frankreich hat man den Weg ei-ner internationalen Gerichtsbarkeit sehr bewusst ge-wählt, um sich als Alternative zum GerichtsstandEngland anzubieten, der in internationalen Handels-sachen die Gerichtsstandswahlstatistiken anführt.Auch für Österreich – immerhin ein Dreh- und An-gelpunkt im zentral- und osteuropäischen Wirt-schaftsleben – böten sich diesbezüglich Perspektiven

Dr. Maxi Scherer ist als Counsel der Sozietät tätig. Sie ist deutsche Juristin,als Advocat al la Court in Paris zugelassen, und derzeit Fellow des Transna-tional Law Centers der New York University School of Law.Rechtsanwalt Franz Schwarz ist Partner der internationalen Sozietät Wil-mer Cutler Pickering Hale and Dorr LLP und Vice-Chair der InternationalArbitration Practice Group, die sich mit etwa 70 Anwälten in Europa,Asien und den USA auf Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Investitions-schutz spezialisiert.1) Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internatio-

nale Handelssachen (KfiHG).2) BT-Drucks 17/2163, 5.3) BT-Drucks 17/2163, 5.4) Den Neuerungen wird vorgeworfen, dass durch die Verhandlung in

einer Fremdsprache der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht mehr gewahrtbleibt. Dem ist entgegenzusetzen, dass es bereits jetzt genügend Rich-ter gibt, die in ausländischen Rechtsordnungen qualifiziert sind undsich dementsprechend übergreifend, ggf in mehreren Sprachen aus-drücken können. Eine zusätzliche Ausbildung wird dem Grundsatznach und nach gerecht werden.

5) BT-Drucks 17/2163, 15.6) BT-Drucks 17/2163, 14.7) Communiqué du Tribunal de Commerce de Paris du 17. janvier

2011.8) Art 23 CPC selon lequel “le juge n’est pas tenu de recourir à un interprète

lorsqu’il connaît la langue dans laquelle s’expriment les parties”.

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an. Viele, wenn nicht die meisten, der Verträge öster-reichischer Unternehmen mit Unternehmen aus derRegion werden in englischer Sprache geschlossen.Hier könnte eine internationale Abteilung mit ent-sprechender Flexibilität in der Verfahrensführungund -sprache den österreichischen Gerichten einenentscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen. Diesgilt insb auch für die Rolle der österreichischen Ge-richte in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeitauf österreichischem Boden: hier treten die österrei-

chischen Gerichte insb im Aufhebungsverfahren nach§ 611 ZPO in Erscheinung – regelmäßig in englisch-sprachigen Schiedsverfahren und in Bezug aufSchiedssprüche, deren Bearbeitung durch speziali-sierte Abteilungen in einem ebenfalls englischsprachi-gen Verfahren Beschleunigung und Effizienz erfahrenwürde. Denn, so sollte man meinen, was unsere bun-desdeutschen Nachbarn können, können wir schonlange.

RECHTSPRECHUNG

Nebenintervention – bloßes Interesse am Erzielen bestimmterBeweisergebnisse?1. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zu-lässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Das In-terventionsinteresse ist zu bejahen, wenn der Rechts-streit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten be-rührt.

2. Das Interesse am Erzielen bestimmter Beweis-ergebnisse reicht zur Begründung eines rechtlichenInteresses nicht aus.

Der Kl begehrte vom Bekl Schadenersatz wegen ärztli-cher Fehlbehandlung. In einer weiteren Klage nahm erden Nebenintervenienten ebenso auf Schadenersatz we-gen eines Behandlungsfehlers während einer der Nach-operationen in Anspruch. Dieser erklärte, dem erstenVerfahren auf Seiten des Bekl als Nebenintervenient bei-zutreten. Das ErstG wies den Antrag auf Zulassung derNebenintervention zurück, das RekG bejahte hingegendas rechtliche Interesse und wies den Antrag auf Zurück-weisung der Nebenintervention ab.

Aus der Begründung:Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das RekG imEinzelfall von der höchstgerichtlichen Rsp abgewi-chen ist; er ist auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist, dass die Bestimmung des§ 18 Abs 4 ZPO, nach der die Zulassung der Neben-intervention nicht durch ein abgesondertes Rechts-mittel angefochten werden konnte, mit der Zivilver-fahrens-Novelle 2009, BGBl I 2009/30, mit Wir-kung vom 1. 4. 2009 aufgehoben wurde. (…)

3. Die Rsp ist in Bezug auf die Zulassung der Ne-benintervention großzügig, indem betont wird, dassbei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zuläs-sig ist, kein strenger Maßstab anzulegen ist. Es ge-nügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Ne-benintervenienten berührt (RIS-Justiz RS0035638).

Die Nebenintervention ist aber dann zurückzuwei-sen, wenn schon aus den vorgebrachten Tatsachenkein rechtliches Interesse zu erkennen ist (RIS-JustizRS0035638 [T 6]). In diesem Sinn hat der Beitre-tende sein rechtliches Interesse iSd § 18 Abs 1 ZPOzu spezifizieren, insbesondere auch dahingehend, dasses am Obsiegen derjenigen Prozesspartei besteht, aufderen Seite der Nebenintervenient beitritt (hier alsoauf Seite des Bekl).

4. Nach dem Inhalt des Beitrittsschriftsatzes stütztder Nebenintervenient sein rechtliches Interesse amObsiegen der bekl Partei auf Auswirkungen auf derSachverhaltsebene. Wie der OGH bereits mehrmalsdargelegt hat, reicht das Interesse am Erzielen be-stimmter Beweisergebnisse zur Begründung einesrechtlichen Interesses nicht aus (7 Ob 725/80SZ 53/168 [für einen „Musterprozess“]; 2 Ob 12/09 t unter Berufung auf 2 Ob 132/60 JBl 1961, 91;zuletzt 3 Ob 73/10x; RIS-Justiz RS0035724 [T 4];ebenso Schubert in Fasching/Konecny, ZPO2 § 17Rz 1 mwN).

Selbst die Feststellung eines möglichen Eigenver-schuldens des Kl im Verfahren gegen den Bekl würdekeine Bindungswirkung für den Prozess gegen denNebenintervenienten entfalten.

5. Mangels entsprechender Darlegung eines recht-lichen Interesses am Obsiegen des Bekl hat das ErstGden Beitritt zu Recht zurückgewiesen; diese E ist wie-derherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 iVm§ 41 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulassungdes Nebenintervenienten wird auch dieser kostener-satzpflichtig (RIS-Justiz RS0035436). Kosten fürdie Rekursbeantwortung wurden vom Kl nicht ver-zeichnet.

Zweiseitigkeit des Verfahrens über die Richterablehnung1. Nach § 521a Abs 1 ZPO idF der ZVN 2009 istauch das Rekursverfahren über die Abweisung des ge-gen einen Richter gestellten Ablehnungsantrags zwei-seitig. Da die Ablehnung eines Richters nicht nur dieBelange des Ablehnungswerbers berührt, sondernauch das verfassungsrechtlich garantierte Recht deranderen Partei auf den gesetzlichen Richter (Art 83Abs 2 B-VG), erfordert der Eingriff in dieses Rechtzwingend die Gewährung rechtlichen Gehörs.

2. Der Anschein der Befangenheit besteht insb beipersönlichen Beziehungen zwischen dem Richter undeiner Partei, die über ein kollegiales oder beruflich be-dingtes Verhältnis hinausgehen.

Im vorliegenden Fall gab der abgelehnte Richter an, denErstbekl seit etwa 15 Jahren persönlich zu kennen undwährend seiner Konzipiententätigkeit von 1996 bis2001 regelmäßig Kontakt mit beiden Bekl gehabt zu ha-

BEARBEITET VONCH. KOLLERM. SONINAA. WALL

ecolex 2011 325

DISPUTERESOLUTION

§§ 17 f ZPO

OGH14. 12. 2010,3 Ob 211/10 s

2011/131

§§ 19, 24 JN;§ 521a Abs 1ZPO;Art 87 B-VG;Art 6 EMRK

OGH 18. 1. 2011,4 Ob 143/10y

2011/132

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ben; später habe er den Erstbekl zumindest einmal imJahr in einem Sportverein getroffen. Im Jahr 2005 habeder Erstbekl beim Verkauf einer Wohnung des Richtersauf Veranlassung der Käufer die Treuhandabwicklungund die Beglaubigung der Unterschriften übernommen.Kontakte mit der Zweitbekl seien seltener gewesen, seineFrau habe deren Sohn aber von 2003 bis 2006 Nach-hilfe gegeben. Der OGH gab dem Ablehnungsantragstatt, obwohl die häufigeren Kontakte schon länger zu-rück lagen. Begründet wurde diese E ua damit, dass es

sich bei der gegen den Notar eingebrachten Haftungs-klage um eine offenkundig heikle Angelegenheit handelt,die bei einem hohen Streitwert den Kern der Standes-pflichten des Erstbekl betrifft. Hier ist nicht auszuschlie-ßen, dass bei der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung derEindruck entsteht, mehrfache Berührungspunkte und ge-meinsame Interessen im außerberuflichen Bereich(Sportverein) könnten zu einer gewissen Voreingenom-menheit des Richters führen.

Oppositionsklage gegen einen Europäischen VollstreckungstitelForderungen, die bereits vor dem Abschluss eines ge-richtlichen Vergleichs, der im Ursprungsstaat als Eu-ropäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde, zurAufrechnung zur Verfügung gestanden wären, kön-nen in Österreich als Vollstreckungsstaat dem betrie-benen Anspruch nicht mittels Oppositionsklage ent-gegengesetzt werden.

Aus der Begründung:(…)

3.1. Richtig ist, dass nach der Rsp des OGH beiOppositionsklagen gegen vollstreckbare Notariatsakteund gerichtliche Vergleiche beachtet werden muss,dass diesen die Rechtskraftwirkung fehlt; deshalb istdie Geltendmachung der Aufrechnung mittels Oppo-sitionsklage auch dann noch möglich, wenn zwar dieAufrechenbarkeit schon bei Errichtung des Notariats-akts bzw bei Abschluss des Vergleichs gegeben war,die Aufrechnungseinwendung aber erst nach Titel-schaffung erhoben wurde (RIS-Justiz RS0107709).

3.2. Diese dem innerstaatlichen Verständnis ent-springende Rsp lässt sich jedoch nicht unbesehenauf Konstellationen übertragen, in denen die Exeku-tionsführung auf einem ausländischen gerichtlichenVergleich beruht, der als Europäischer Vollstre-ckungstitel bestätigt wurde. Der OGH hat in derE 3 Ob 12/10 a mit ausführlicher Begründung darge-legt, dass auch bei Oppositionsklagen der unions-rechtliche Kontext zu beachten ist. Insofern ist fürden Kl aus dem von ihm relevierten Gleichheitssatznichts zu gewinnen: Dass ein als Europäischer Voll-streckungstitel bestätigter Vergleich, der vor einemausländischen Gericht abgeschlossen wurde, unterden gleichen Bedingungen zu vollstrecken ist wieein im Vollstreckungsstaat geschlossener Vergleich(Art 20 Abs 1 Satz 2 iVm Art 24 Abs 3 EuVTVO)besagt nicht, dass auch alle innerstaatlichen Rechtsbe-helfe gegen den Anspruch und die Exekutionsfüh-

rung in gleicher Weise zur Verfügung stehen wie inBezug auf einen innerstaatlichen Titel (vgl etwaMcGuire, Rechtsbehelfe des Schuldners gegen denEU-Vollstreckungstitel, ecolex 2006, 83 ff, und Ober-hammer, Der Europäische Vollstreckungstitel:Rechtspolitische Ziele und Methoden, JBl 2006,477 [499 ff]).

Auch wenn die Ansicht, der Verpflichtete könneOppositionsgründe im Anwendungsbereich derEuVTVO nur mit Oppositionsgesuch, nicht abermit Oppositionsklage geltend machen (in diesemSinnMcGuire, ecolex 2006, 85, und Jakusch in Angst2§ 35 Rz 70c; aA etwa Burgstaller/Neumayr,Der Euro-päische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forde-rungen, ÖJZ 2006, 179 [190]; Höllwerth in Burgstal-ler/Neumayr, IZVR [6. Lfg 2006] Art 20 EuVTVORz 14; König, Der Europäische Vollstreckungstitel:Haben wir gehörig vorgesorgt? in König/Mayr, Euro-päisches Zivilverfahrensrecht in Österreich [2007]113 [126]), nicht herrschend geworden ist, ist dochzu beachten, dass nach Art 24 Abs 2 EuVTVO dieVollstreckbarkeit eines Vergleichs im Vollstreckungs-staat nicht mehr angefochten werden darf. Damit istgemeint, dass die Berechtigung des Titels im Zeit-punkt seiner Schaffung nicht angreifbar ist (Pabst inRauscher, EuZPR/EuIPR [2010] Art 20 EuVTVORz 36), woraus abzuleiten ist, dass Ansprüche, die be-reits vor Titelschaffung zur Aufrechnung zur Verfü-gung standen, nicht mittels Oppositionsklage dembetriebenen Anspruch entgegengesetzt werden kön-nen. Ihre selbständige Geltendmachung wird dadurchaber nicht ausgeschlossen, worauf auch schon dasBerG hingewiesen hat. Die vom Kl angesprochene„faktische Unmöglichkeit“ der Geltendmachung derGegenforderung im Verfahren im Ursprungsstaatkann eine Zulassung als Oppositionsgrund keines-wegs rechtfertigen.

DISPUTERESOLUTION

326 ecolex 2011

Sauer ∙ Reiter-Zatloukal

Advokaten 1938

2010. XIV, 386 Seiten.Geb. mit Schutzumschlag. EUR 39,–ISBN 978-3-214-04194-6

Art 20, 24EuVTVO

OGH14. 12. 2010,3 Ob 231/10g

2011/133

Page 49: ecolex 4/2011

ecolex 2011 327

DISPUTERESOLUTION

ACHECKLISTE

ZivilverfahrensrechtlicheBestimmungen des Budgetbegleit-

gesetzes 2011Das Budgetbegleitgesetz (BGBl I 2010/111) ließ auch den Bereich der Zivilrechtspflege nichtunberührt. Diese Checkliste stellt die geänderten Gesetzesbestimmungen und die Über-gangsvorschriften übersichtlich dar und soll der Praxis eine klare und einfache Handhabungder Neuerungen ermöglichen.

ANDREA WALL

Änderungen nach dem 31. 12. 2010 / ab dem 1. 1. 20111. § 54 Abs 1 a ZPO Das Gericht hat die Positionen eines Kostenverzeichnisses, gegen die

vom vertretenen Gegner keine Einwendungen erhoben wurden, un-geprüft seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.1)Satz 4: Kein Kostenersatz für die Einwendungen zum Kostenverzeich-nis.& Anknüpfungspunkt (nur Satz 4): Schluss der mündlichen Verhand-

lung erster Instanz

A

2. § 80 Z 2 EO Die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung setztnicht mehr voraus, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück demVerpflichteten im Inland zu eigenen Handen zugestellt wurde. Da-durch wird den durch das Budgetbegleitgesetz 2009 (BGBl I 2009/52) erfolgten Änderungen der Klagezustellung entsprochen.& Anknüpfungspunkt: Zustellung der (ausländischen) Ladung und

Verfügung nach dem 30. 6. 2009

A

Änderungen nach dem 30. 4. 2011 / ab dem 1. 5. 20113. § 87 ZPO Gerichtliche Zustellungen erfolgen primär nach den Regeln der ZPO,

subsidiär nach den §§ 89a ff GOG und – soweit diese keine Rege-lungen treffen – nach dem Zustellgesetz.

A

4. § 222 ZPO Die verhandlungsfreie Zeit entfällt. Zwischen 15. 7. und 17. 8. sowie24. 12. und 6. 1. werden die Notfristen im Rechtsmittelverfahrengehemmt. Die Fristenhemmung gilt nicht in den im Abs 2 genanntenVerfahren.Nach Abs 3 leg cit gilt ein rechtzeitig bekannt gegebener Urlaub derunvertretenen Partei oder des Vertreters der Partei in dieser Zeit als Er-streckungsgrund nach § 134 Z 1 ZPO.Die §§ 223 bis 225 ZPO werden aufgehoben.

A

5. § 23 Abs 1 AußStrG; § 78EO; § 254 Abs 1 Z 4 IO;§ 548 Abs 1 ZPO; § 39Abs 4 ASGG

Die Fristenhemmung gem § 222 ZPO kommt im Außerstreit-, Exe-kutions-, Insolvenz- und Europäischen Bagatellverfahren sowie imVerfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht zur Anwendung.

A

6. § 277 ZPO Die unmittelbare Beweisaufnahme unter Verwendung technischerEinrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (sog „Videoeinver-nahme“ ) ist der Einvernahme durch einen ersuchten Richter vorzu-ziehen, sofern nicht Zweckmäßigkeitserwägungen dagegen sprechen.

A

7. § 393 Abs 4 ZPO Der Verweis auf § 52 Abs 2 wird auf § 52 Abs 4 geändert.2) A

1) Vgl hierzu die (zu Recht) kritischen Ausführungen von Rassi, in diesem Heft 320 ff.2) Auch der Verweis auf § 52 Abs 2 in § 392 Abs 2 hätte richtigerweise durch § 52 Abs 4 ersetzt werden müssen.

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A8. § 393a ZPO Über den Einwand der Verjährung des Anspruchs kann das Gericht

durch Zwischenurteil entscheiden. Ist der Anspruch verjährt, hat einabweisendes Endurteil zu ergehen.

A

9. § 461 Abs 2; § 465; § 467Z 5; § 468; § 469 Abs 1;§ 473a Abs 4; § 520Abs 1; § 521a Abs 1 ZPO;§ 47 AußStrG; § 39 Abs 2Z 2 ASGG

Die Möglichkeit, Rechtsmittel zu Protokoll zu geben, entfällt.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

10. § 517 Abs 3 ZPO Ein Kostenrekurs ist unzulässig, wenn der strittige Betrag € 50,– nichtübersteigt.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

11. § 8 a JN Über Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Sachverständigen-und Dolmetschergebühren entscheidet der Einzelrichter.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

12. § 11 Abs 3, 4 RpflG Über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers ent-scheidet das Gericht zweiter Instanz.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

13. § 70 Abs 2 IO Der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrensist dem Schuldner nicht mehr zu eigenen Handen zuzustellen. Da-durch wird die bereits mit dem Budgetbegleitgesetz 2009 (BGBl I2009/52) eingeleitete Abschaffung der Eigenhandzustellung fortgeführt.& Anknüpfungspunkt: Abfertigung des Schriftstücks

A

Änderungen nach dem 30. 6. 2011 / ab dem 1. 7. 2011

14. § 52 ZPO Sowohl das Erst- als auch das InstanzG können durch unanfechtbarenBeschluss die Kostenentscheidung vorbehalten. Das ErstG entscheidetnach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache über den Kostener-satz.3)& Anknüpfungspunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung erster

Instanz

A

15. § 86 a ZPO Nach Abs 1 leg cit sind beleidigende Schriftsätze nach erfolglosemVerbesserungsversuch zurückzuweisen und weitere derartige Schrift-sätze dieser Partei ohne inhaltliche Behandlung zu den Akten zunehmen, worauf im Verbesserungsauftrag hinzuweisen ist.Nach Abs 2 leg cit sind verworrene, unklare, sinn- oder zweckloseSchriftsätze ohne Verbesserungsversuch zurückzuweisen und weiterederartige Schriftsätze dieser Partei ohne inhaltliche Behandlung zuden Akten zu nehmen, worauf im Zurückweisungsbeschluss hinzu-weisen ist.& Anknüpfungspunkt: Einbringen des Schriftsatzes bei Gericht

A

16. § 10 AußStrG § 86a ZPO gilt im außerstreitigen Verfahren sinngemäß. A

17. § 92 ZPO Ist die Zustellung an eine juristische Person an der im Firmenbucheingetragenen Abgabestelle nicht möglich und keine andere Abgabe-stelle bekannt, hat die Zustellung auf Antrag des Kl ohne Bestellungeines Kurators durch Mitteilung in der Ediktsdatei zu erfolgen.& Anknüpfungspunkt: Anbringung der Klage bei Gericht

A

18. § 469 Abs 3 ZPO Der Nichtigkeitsberufung gem § 477 Abs 1 Z 4 ZPO gegen ein Ver-säumungsurteil kann das Gericht, dessen Urteil angefochten wird,selbst stattgeben.& Anknüpfungspunkt: Datum des Versäumungsurteils

A

19. § 12 Abs 6 ASGG Die Gründe für die Änderung der Senatszusammensetzung sind nichtmehr im Akt festzuhalten.

A

20. § 38 ASGG Die verpflichtende Anhörung des Kl vor Überweisung an das zu-ständige Gericht entfällt.

A

3) Ausführlich dazu Rassi, in diesem Heft 320 ff.

DISPUTERESOLUTION

328 ecolex 2011

Page 51: ecolex 4/2011

DISPUTERESOLUTION

A& Anknüpfungspunkt: Anbringung der Klage bei Gericht

21. § 75 ASGG In Sozialrechtssachen sind primär „justizinterne“ Dolmetscher zu be-stellen.

A

22. § 90 Abs 2 ASGG Im sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt insb dann keine Zurückver-weisung an das ErstG, wenn die Beweisergänzung nur die Einholungeines Gutachtens erfordert.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

23. § 46 AußStrG Abs 3 leg cit, der die Anfechtung von Beschlüssen auch nach Ablaufder Rekursfrist ermöglicht, entfällt.& Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz

A

24. § 249 Abs 3 EO Bei der Fahrnisexekution muss die im vereinfachten Bewilligungsver-fahren ergangene Exekutionsbewilligung dem Verpflichteten nichtvorweg zugestellt werden, wenn die hereinzubringende Forderungweniger als € 500,– beträgt und die Zahlung aufgrund der Zustellungnicht zu erwarten ist.& Anknüpfungspunkt: Einlangen des Exekutionsantrags bei Gericht

A

Voreinzahlungen auf Kapital-erhöhungen Benötigt eine Kapitalgesellschaft weiteres Eigenkapital,

besteht der klassische Weg der Kapitalaufbringung in einerKapitalerhöhung. Die dafür notwendigen Schritte sind im Gesetz klar vorgegeben. In denmeisten Fällen ist es auch unproblematisch, diesen Ablauf einzuhalten. Schwierigkeitenergeben sich aber dann, wenn die Gesellschaft das frische Geld sehr rasch benötigt. In diesenFällen stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, auf die Kapitalerhöhung Vorauszahlungen zuleisten.

CHRISTOPHER SCHRANK / GERNOT WILFLING

A. Einleitung

In Folge der Finanzkrise ist va für finanzschwacheUnternehmen die Aufnahme von Fremdkapitalschwieriger geworden, weshalb in letzter Zeit die Un-ternehmenssanierung durch Zuführung von frischemEigenkapital an Bedeutung gewonnen hat. Zur Aus-stattung von Kapitalgesellschaften mit Eigenkapitalstehen im Wesentlichen zwei Alternativen zur Verfü-gung, nämlich die Leistung eines (nicht rückzahlba-ren) Gesellschafterzuschusses oder die Zeichnung ei-ner Kapitalerhöhung.

Die Zuführung von frischem Eigenkapital mit-tels Gesellschafterzuschuss ist – weil es zu keinerFirmenbucheintragung kommt – einfach. Es reichtaus, dass der Gesellschafter das Geld an die Gesell-schaft überweist und erklärt, diese Zahlung als nichtrückzahlbaren Gesellschafterzuschuss zu tätigen. Dakeine neuen Anteile ausgegeben werden, ist der Ge-sellschafterzuschuss in Folge der sonst eintretendenVerwässerung in der Regel aber nur bei Gesellschaf-ten mit einem Alleingesellschafter oder dort, wo alleGesellschafter im Ausmaß ihrer Beteiligung neuesKapital zuführen, ein taugliches Mittel der Kapital-ausstattung.

Immer dann, wenn lediglich einzelne Gesellschaf-ter oder ein Dritter der Gesellschaft (weiteres) Eigen-kapital zur Verfügung stellen, erfordert die Ausgabeneuer Anteile – von hier nicht zu behandelnden Aus-nahmen abgesehen – eine ordentliche Kapitalerhö-hung unter Einhaltung der dafür gesetzlich vorgese-henen Regelungen (§§ 149 ff AktG, §§ 52 ffGmbHG). Bereits durch die einzuhaltenden Fristenfür die Einberufung der Haupt- bzw Generalver-sammlung1) geht daher (sofern keine Vollversamm-lung möglich ist) wertvolle Zeit verloren, was den Zu-fluss des frischen Kapitals verzögert. Dies kann va inZeiten der Krise der Gesellschaft zu Schwierigkeitenführen.

Es stellt sich daher die Frage, ob eine Durchbre-chung des gesetzlich vorgezeichneten Ablaufs beider Kapitalerhöhung dahingehend möglich ist, dassdie Einlage eines Gesellschafters auch dann schuldtil-

ecolex 2011 329

GESELLSCHAFTS-RECHTGELEITET VONJ. REICH-ROHRWIG

MMag. Dr. Christopher Schrank ist Rechtsanwalt undMag. Gernot WilflingRechtsanwaltsanwärter der Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH, 1070Wien, Mariahilfer Straße 116, [email protected], www.btp.at1) Diese betragen – sofern die Satzung nicht längere Fristen vorsieht – bei

der GmbH zumindest sieben Tage (§ 38 Abs 1 GmbHG), bei der AGaber zumindest 21 Tage (§ 107 AktG).

Page 52: ecolex 4/2011

gend erfolgt, wenn sie bereits vor dem förmlichen Ka-pitalerhöhungsbeschluss an die Gesellschaft geleistetwurde und im Zeitpunkt der Beschlussfassung allen-falls nicht mehr (vollständig) im Gesellschaftsvermö-gen vorhanden ist.

B. Aktuelle Rechtslage

Weder im AktG noch im GmbHG ist explizit festge-schrieben, bis zu welchem Zeitpunkt ein Kapitalerhö-hungsbetrag unvermindert im Vermögen der Gesell-schaft zur Verfügung stehen muss. Bei Gesellschafts-gründungen gilt nach § 29 AktG bzw § 10 GmbHG,dass die Geschäftsführung den Nachweis zu erbringenhat, dass die Einzahlungsbeträge geleistet wurden unddie Geschäftsführung in der Verfügung über die ein-gezahlten Beträge nicht, namentlich nicht durch Ge-genforderungen, beschränkt ist. Dieser Nachweis istdurch Vorlage einer Bankbestätigung zu erbringen.Die Firmenbuchpraxis verlangt eine Bankbestäti-gung, welche zum Zeitpunkt der Anmeldung nichtälter als ein bis zwei Wochen ist.2) Überdies mussdie Geschäftsführung bei der Bargründung in der Fir-menbuchanmeldung erklären, dass das Kapital imvorgesehenen Ausmaß bar eingezahlt ist und sichder eingezahlte Betrag in der freien und unbeschränk-ten Verfügung der Geschäftsführung befindet (vgl§ 10 Abs 3 GmbHG). Die Literatur leitet darausab, dass bei Gesellschaftsgründungen die Bareinzah-lungsbeträge zumindest zum Zeitpunkt der Anmel-dung der Gesellschaft zum FB noch unvermindertvorhanden sein müssen.3) Die Rsp hat bisher einenetwas strengeren Ansatz vertreten: Es wird verlangt,dass sich der Bareinzahlungsbetrag auch noch zumZeitpunkt des Einlangens der Anmeldung beim Ge-richt auf dem Konto befindet.4) Seit Firmenbuchan-träge via web-ERV eingebracht werden, ist dieserZeitpunkt freilich identisch mit dem Zeitpunkt derAnmeldung, sodass die Differenzierung hinfälligwird.

Für Kapitalerhöhungen gelten § 29 AktG bzw§ 10 GmbHG grundsätzlich analog.5) Die Frage,wie lange der Kapitalerhöhungsbetrag real vorhandensein muss, wird hier jedoch weniger streng gesehen alsbei der Gründung. Die überwiegende Lehre6) vertrittdem BGH7) folgend, dass die freie Verfügung der Ge-schäftsführung über den Erhöhungsbetrag zu irgend-einem Zeitpunkt nach der Beschlussfassung genügt.Mit anderen Worten: Bei Kapitalerhöhungen ist an-erkannt, dass die Gesellschaft das Geld gleich nachBeschlussfassung verbrauchen kann und nicht dieEintragung im Firmenbuch abwarten muss.

Besonders brisant sind bei der Kapitalerhöhungjedoch jene Situationen, in denen Gesellschafter denErhöhungsbetrag bereits vor der förmlichen Be-schlussfassung über die Kapitalerhöhung auf ein Ge-sellschaftskonto einzahlen („Voreinzahlung“). Diesist zwar dann unproblematisch, wenn der Einzah-lungsbetrag zum Zeitpunkt der Anmeldung der Kapi-talerhöhung beim FB oder zumindest nach der Be-schlussfassung über die Kapitalerhöhung noch un-vermindert vorhanden ist. Umstritten ist jedoch, obeiner Voreinzahlung schuldtilgende Wirkung zukom-men kann, wenn der Voreinzahlungsbetrag im Zeit-

punkt der förmlichen Beschlussfassung über die Kapi-talerhöhung bereits verbraucht ist.8)

C. Schuldtilgende Wirkung vonVoreinzahlungen

Die Bestimmungen in den §§ 10 GmbHG und 29AktG dienen dem Gläubigerschutz bei der Kapital-aufbringung. Der Gläubigerschutz soll ua durch dieErklärung der Geschäftsführung und die Bestätigungeines Kreditinstituts sowie der damit einhergehendenHaftung der Geschäftsführung bzw des Kreditinsti-tuts für Falscherklärungen erreicht werden.9) DerSchutz der Gläubiger bei der Kapitalaufbringung er-fordert es jedoch nicht unbedingt, Voreinzahlungenauf künftig zu beschließende Kapitalerhöhungen dieschuldtilgende Wirkung in jedem Fall zu versagen,wenn die Voreinzahlung im Zeitpunkt der Beschluss-fassung bereits verbraucht wurde.

Weder im GmbHG noch im AktG gibt es gesetz-liche Bestimmungen, die das Leisten von Voreinzah-lungen explizit verbieten.10) Die nach herrschenderLehre und Rsp zwingende gesetzliche Abfolge (diebei der Voreinzahlung durchbrochen wird) sieht je-doch zuerst einen Kapitalerhöhungsbeschluss vor,auf den dann die Übernahmeerklärung hinsichtlichder neuen Einlagen folgt;11) erst danach sollen dieLeistung der Einlagen erbracht und die Anmeldungbeim Firmenbuchgericht eingebracht werden.12)

Dennoch gibt es gute Gründe dafür, eine Durch-brechung des gesetzlich vorgesehenen Ablaufs zuzu-lassen, wenn dies zum Wohl der Gesellschaft erfor-derlich ist (zB wenn die Gesellschaft sofort frisches Ei-genkapital benötigt, um den Fortgang des Geschäfts-betriebs zu gewährleisten). Dringender Kapitalbedarfkann auch zur Sanierung von Tochtergesellschaften,für Akquisitionen, für dringend erforderliche Investi-tionen oder in sonstigen Fällen, in denen der Gesell-schaft ein Schaden entstehen kann, wenn nichtschnell frisches Kapital in die Gesellschaft gelangt, ge-geben sein.

2) Gruber, ÖBA 2003, 735.3) Reich-Rohrwig,GmbH-Recht I2 Rz 1/593, 606; weitere Nachweise bei

Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 10 Rz 17, die jedoch selbst der An-sicht sind, dass es ausreicht, wenn das Kapital zum Zeitpunkt der An-meldung wertmäßig (also entweder in bar oder in Vermögenswerten)noch vorhanden ist.

4) OGH ecolex 1994, 819; OGH RdW 1990, 13; auf den Zeitpunkt derAnmeldung abstellend OLG Wien 20. 5. 1994, 6 R 22/94.

5) Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 53 Rz 4; Winner in Doralt/No-wotny/Kalss, AktG § 155 Rz 18 mwN.

6) Nagele/Lux in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 155 Rz 3;Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 21; Pfeifer in Kropff/Semmler, Münch-Komm AktG2 § 188 Rz 15.

7) BGH 18. 3. 2002, ZIP 2002, 799; Rechtsprechung des OGH zu die-ser Frage gibt es soweit ersichtlich nicht.

8) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 24.9) Van Husen in Straube, Wiener Komm GmbHG § 10 Rz 52 ff.

10) Für die vergleichbare deutsche Rechtslage Ulmer, Die Voreinzahlungauf Barkapitalerhöhungen im GmbH-Recht – Von Fallstricken undFußangeln, in FS Westermann 1576.

11) OGH 25. 9. 1997, 6 Ob 264/97k; BGH GmbHR 1995, 113 f; Ka-rollus, DStR 1995, 1065 f; Groß, GmbHR 1995, 848.

12) Ähnlich Karollus, DStR 1995, 1065; Ehlke, ZGR 1995, 427 f; Wül-fing, GmbHR 2007, 1124.

GESELLSCHAFTS-RECHT

330 ecolex 2011

Page 53: ecolex 4/2011

Aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor,dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des gesetzli-chen Ablaufs solche Fälle bedacht hätte, weshalb inso-fern vom Vorliegen einer Regelungslücke ausgegan-gen werden kann.13) Diese Lücke ist durch zweckmä-ßige Interpretation im Hinblick auf einen effektivenGläubigerschutz zu schließen. Um einen effektivenGläubigerschutz zu gewährleisten, ist in Situationen,in denen die Gesellschaft einen dringenden Kapital-bedarf hat (sei es aufgrund einer Krisensituation oderaus anderen Gründen), Voreinzahlungen schuldtil-gende Wirkung zuzuerkennen.14) Das starre Einhal-ten des gesetzlich vorgezeichneten Ablaufs auch insolchen Situationen würde nämlich die Zufuhr vonLiquidität erschweren und zu einer (nachhaltigen)Schädigung der Gesellschaft führen. Für Gläubigerist es daher regelmäßig besser, es kommt Geld vorder förmlichen Beschlussfassung in die Gesellschafts-kasse und wird zur Deckung des dringenden Kapital-bedarfs (schon vor der Beschlussfassung) verwendet,als die Gesellschafter halten sich an den vorgegebenenAblauf und treiben die Gesellschaft dadurch allenfallsin die Insolvenz. Gerade die im Zeitpunkt der Vor-einzahlung bereits bestehenden Gläubiger werdenan einer möglichst raschen Zahlung interessiert sein.Die Einhaltung der gesetzlichen Abfolge ist daherzum Schutz von Altgläubigern keinesfalls erforderlich.

UE erfordert auch der Schutz der Neugläubigernicht, Ausnahmen vom gesetzlichen Ablauf abzuleh-nen. Potenzielle Neugläubiger werden in der Regel(wenn überhaupt) erst nach Eintragung im FB vonder Kapitalerhöhung Kenntnis erlangen. Wie bereitserwähnt, kommt es nach der herrschenden Meinungjedoch darauf an, dass der Kapitalerhöhungsbetrag zuirgendeinem Zeitpunkt nach der Beschlussfassungüber die Kapitalerhöhung vorhanden ist. Ein poten-zieller Neugläubiger kann daher ohnedies nicht da-rauf vertrauen, dass der Kapitalerhöhungsbetragzum Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhungin das FB noch vorhanden ist, sondern lediglich da-rauf, dass in einem zeitlichen Zusammenhang mitder Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung einMittelzufluss erfolgt ist.15) Es besteht daher schondeshalb auch kein schutzwürdiges Interesse der Neu-gläubiger. Diese Auffassung wird dadurch gestützt,dass Kapitalerhöhungen auch bei schlechter Vermö-genslage der Gesellschaft zulässig sind. Ein Gläubigerkann sich daher nicht auf eine bestimmte Vermögens-lage oder Liquidität der Gesellschaft verlassen, nurweil diese gerade eine Kapitalerhöhung durchgeführthat. In diesem Punkt weicht die Situation bei der Ka-pitalerhöhung auch erheblich von der Situation beider Gründung ab, weshalb eine großzügigere Behand-lung der Kapitalerhöhung geboten ist.16)

Während Voreinzahlungen die Interessen der Ge-sellschaftsgläubiger somit nicht beeinträchtigen, spre-chen die Interessen der Übernehmer der Kapitalerhö-hung klar für die Anerkennung der Voreinzahlung.Beim voreinzahlenden Gesellschafter handelt es sichin aller Regel um einen Gesellschafter, welcher im In-teresse der Gesellschaft (und daher auch im Interesseder Gesellschaftsgläubiger) handelt.17) Dieser müssteaber – würde man die Voreinzahlung nicht anerken-nen – den Kapitalerhöhungsbetrag noch einmal leis-

ten, während er gegenüber der Gesellschaft nur einenAnspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung wegender rechtsgrundlosen Zahlung geltend machenkönnte.18) Letzterer ist jedoch in der Insolvenz (Vor-einzahlungen werden in der Regel in der Insolvenzdurch den Masseverwalter aufgedeckt) Konkursforde-rung und würde daher nur mit der Konkursquote be-dient.19)

Aus all diesen Gründen steht das Gebot des Gläu-bigerschutzes der Anerkennung von schuldtilgenderWirkung von Voreinzahlungen in Fällen, in denendie Gesellschaft ein dringendes Bedürfnis nachfrischem Kapital hat, nicht entgegen.20) Die Be-schlussfassung über die Kapitalerhöhung muss jedochohne schuldhafte Verzögerung nachgeholt werden.21)Es ist uE aber nicht notwendig, dass die Kapitalerhö-hung im Zeitpunkt der Voreinzahlung – insb durchEinberufung der Haupt- bzw Generalversammlung– bereits in die Wege geleitet ist.22)

Freilich ist es notwendig, die Voreinzahlung ge-genüber dem Firmenbuchgericht offen zu legen. Diesallein deshalb, weil es wegen des erfolgten (teilweisen)Verbrauchs des Geldes nicht möglich sein wird, demFB eine nach der Beschlussfassung ausgestellte förm-liche Bankbestätigung vorzulegen. Die Geschäftsfüh-rer werden daher gegenüber dem Firmenbuchgerichtzu bestätigen haben, dass der Kapitalerhöhungsbetragim Leistungszeitpunkt unbeschränkt, namentlichnicht durch Gegenforderungen beschränkt, zur Ver-fügung stand. Zusätzlich wäre es sinnvoll, durch Vor-lage einer Überweisungsbestätigung bzw einer geson-derten Bestätigung der Bank zu dokumentieren, dassdas Geld – wenn auch vor dem Kapitalerhöhungsbe-schluss – geleistet worden ist.

Weitere Voraussetzungen für die schuldtilgendeWirkung einer Voreinzahlung bestehen uE nicht.Insbesondere sollte man sich nicht auf das Besteheneiner Krise versteifen, sondern – wie zuvor erwähnt– jede Art von dringendem Kapitalbedarf anerken-nen.23) Überdies wäre es nicht sachgerecht, die Vor-einzahlung nur dann anzuerkennen, wenn die Sanie-rung ohne derselben scheitern würde. Dies schon des-halb, weil es für die handelnden Akteure im Zeit-

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GESELLSCHAFTS-RECHT

13) Ebenso zum dGmbHG Priester, Voreinzahlung auf Stammeinlagenbei sanierender Kapitalerhöhung, in FS Fleck 237.

14) Ebenso Fellner/Kaindl, ÖBA 2006, 114; Winner, AktG § 155 Rz 24;Lutter in Zöllner, Kölner Komm AktG2 § 188 Rz 25; Hüffer, AktG9

§ 188 Rz 8; ähnlich Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHGGroßkomm § 56a Rz 33, 33 a.

15) Vgl nur Ulmer in FS Westermann 1583.16) Ähnlich Lutter in Zöllner, Kölner Komm AktG2 § 188 Rz 24.17) Ebenso Ehlke, ZIP 2007, 752.18) Ebenso Pfeifer in Kropff/Semmler, MünchKomm AktG2 § 188 Rz 19.19) Groß, GmbHR 1995, 846; Ehlke, ZIP 2007, 752.20) Ebenso auf das Erfordernis des dringenden Kapitalbedarfs abstellend

Lutter/Hommelhof/Timm, DB 1980, 750.21) BGH ZIP 2006, 2216.22) Ebenso Ehlke, ZGR 1995, 446; Groß, GmbHR 1995, 849; Kort,

DStR 2002, 1226; aA BGH ZIP 2006, 2216; Priester in FS Fleck231, 237 ff; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 63 Rz 22 a; Zöllner inBaumbach/Hueck, GmbHG16 § 56 a Rz 6a.

23) AA der BGH (ZIP 2006, 2216) und die hL, vgl nurWinner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 24; Karollus,DStR 1995, 1065; Pfeiferin Kropff/Semmler, MünchKomm AktG2 § 188 Rz 18 f; Veil inSchmidt/Lutter, AktG § 188 Rz 14.

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punkt der Einzahlung oft nicht erkennbar ist, ob dieSanierung tatsächlich scheitern würde, wenn sie mitder Einzahlung noch zuwarten würden.24) Ebensokann es nicht auf eine objektive Sanierungsfähigkeitund Eignung der Voreinzahlung zur durchgreifendenSanierung ankommen.25) Aus der Sicht des einzahlen-den Gesellschafters werden diese Kriterien in aller Re-gel erfüllt sein, da er andernfalls nicht bereit wäre, fri-sches Geld in die Gesellschaft einzuzahlen. Die Ein-holung einer objektiven Meinung, wie bspw das Gut-achten eines Unternehmensberaters, wird inKonstellationen wie der hier fraglichen jedenfalls amzeitlichen Faktor scheitern.26)

D. Abgrenzung zur verdecktenSacheinlage

Sofern eine Zahlung im engen zeitlichen Zusammen-hang vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss mit demZahlungszweck erfolgt, eine Bareinlage an die Gesell-schaft zu leisten, liegt keine (verdeckte) Einlage vonForderungen vor.27) Dies ist damit zu begründen,dass es bei der Voreinzahlung gar nicht erst zum Ent-stehen einer Forderung des Gesellschafters gegenüberder Gesellschaft kommt. Mangels Vorliegen einerForderung kann eine solche auch nicht als Sachein-lage eingebracht werden.28) Wird jedoch eine Zah-lung ohne zeitlichen Zusammenhang zur Kapitaler-höhung zuerst als Darlehen geleistet, auf das der Ge-sellschafter dann im Hinblick auf die geplante Kapi-

talerhöhung verzichtet, besteht eine (wenn auchvielleicht nicht fällige) Forderung des Gesellschaftersgegenüber der Gesellschaft. Die Einbringung dieserForderung wäre als Sacheinlage zu qualifizieren.29)

SCHLUSSSTRICH

Hat eine Gesellschaft dringenden Kapitalbedarf,kommt einer Voreinzahlung auf eine künftig zubeschließende Kapitalerhöhung auch dann schuld-tilgende Wirkung zu, wenn der Voreinzahlungsbe-trag im Zeitpunkt der Beschlussfassung über dieKapitalerhöhung bereits verbraucht war, sofernein zeitlicher Zusammenhang zwischen Vorein-zahlung und Kapitalerhöhungsbeschluss besteht.Aus praktischen Gründen wird eine Offenlegungder Voreinzahlung beim Firmenbuchgericht erfor-derlich sein.

CMemo: Einlagenrückgewähr durch Besicherung

ALEXANDER TAIYO SCHEUWIMMER

Eine der zentralen Bestimmungen des Kapitalerhal-tungsrechts1) für die GmbH findet sich in § 82GmbHG: jene über das Verbot der Einlagenrückge-währ. Nach dieser Bestimmung können GesellschafterStammeinlagen nicht zurückfordern und haben nurAnspruch auf den Bilanzgewinn (sofern nicht vonder Verteilung ausgeschlossen). Die Gesetzesstelle prä-zisiert den Tatbestand der Einlagenrückgewähr nochweiter; im Zusammenspiel mit anderen Bestimmun-gen und der Judikatur ergibt sich daraus:2) Verbotenist jede vermögensmindernde Leistung von der Gesell-schaft an den Gesellschafter, ausgenommen:& Verteilung von Bilanzgewinn& Liquidationserlös& gesetzliche Ausnahmefälle (Einziehung von Ge-

schäftsanteilen gem § 58 GmbHG, ordentlicheKapitalherabsetzung gem §§ 54 ff GmbHG, Son-derfälle im Verschmelzungsrecht)3)

& drittübliche Austauschgeschäfte (der in § 82 Abs 4genannte Fall ist in Wahrheit nur ein Beispiel hier-für)

Als verdeckte Einlagenrückgewähr werden nun vermö-gensmindernde Leistungen an Gesellschafter bezeich-net, bei denen es zu keiner direkten Vermögenszuwen-dung kommt.4) Geradezu klassische Fälle sind die

Miete oder der Kauf einer Immobilie durch die Gesell-schaft zu einem überhöhten Preis, Miete oder der Kaufeiner Immobilie durch den Gesellschafter zu einem zuniedrigen Preis, unentgeltliche Nutzung von Einrich-tungen der Gesellschaft durch den Gesellschafter5) so-wie überhöhte Vergütungen an einen Gesellschafter-Geschäftsführer.6)

Ein etwas „exotischerer“ Fall von Einlagenrückge-währ erfolgt durch Besicherung:7) Hier bestellt dieGesellschaft eine Sicherheit (Bürgschaft, Pfand, Ga-rantie)8) zugunsten des Gesellschafters. Das Rechts-verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

24) Ebenso Ehlke, ZIP 2007, 750.25) Ebenso Priester in FS Fleck 249; Ehlke, ZIP 2007, 750; aA BGH ZIP

2006, 2216.26) Ähnlich Ehlke, ZIP 2007, 750.27) Lutter/Hommelhof,GmbHG15 § 56 Rz 19; ähnlich Priester in FS Fleck

240; Groß, GmbHR 1995, 847; aA Wiedemann, GmbHR 1967, 146(147).

28) Groß, GmbHR 1995, 849; ähnlich Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter,GmbHG Großkomm § 56 Rz 30; ders in FS Westermann 2578.

29) Vgl nur Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 63 Rz 15.

Dr. Alexander Taiyo Scheuwimmer, M.B.A. (Tokyo), ist RAA bei DLA Pi-per Weiss-Tessbach Rechtsanwälte in Wien und Gründer von J Law-JapanJuristen (www.j-law.at).1) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 57.2) Reich-Rohrwig, Verbotene Einlagenrückgewähr bei Kapitalgesellschaf-

ten, ecolex 2003, 152.3) § 2 Abs 2 Z 3 UmwG, §§ 9, 11 SpaltG.4) Reich-Rohrwig, ecolex 2003, 154.5) OGH 26. 4. 2000 ecolex 2001/19.6) OGH SZ 7/328.7) MwN Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-

Gesetz § 82 Rz 110.8) Siehe Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG4 Rz 18 mwN.

GESELLSCHAFTS-RECHT

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GESELLSCHAFTS-RECHT

Cwird in aller Regel nur konkludent begründet undwird rechtlich wie ein Auftrag gem §§ 1002 ff ABGBbehandelt. Die verpönte Leistung an den Gesellschaf-ter besteht in der Tatsache, dass dieser einen Kredit,allenfalls zu besseren Bedingungen, aufnehmenkann.9)

Fraglich ist in diesem Zusammenhang der Zeit-punkt der Vermögensverminderung bei der Gesell-schaft. In Frage kommt der Abschluss der Vereinba-rung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter.10)Ebenso denkbar ist die allenfalls zeitlich nachfolgendeBestellung der Sicherheit. Schließlich kann aber auchdie Ansicht vertreten werden, dass erst die Verwertungder Sicherheit durch den Besicherten die Vermögens-verminderung auslöst.11)

An dieser Stelle ist ein Exkurs in die Finanzierunginnerhalb eines Konzerns allgemein angebracht: Manunterscheidet grundsätzlich individuelle von koordi-nierter Unternehmensfinanzierung. Erstere liegt vor,wenn jedes Unternehmen des Konzerns einzeln, alsounabhängig von den anderen, finanziert wird. Beider koordinierten Unternehmensfinanzierung hinge-gen kann man weiter unterscheiden:12)& Finanzierungen zwischen Mutter- und Tochterge-

sellschaft können entweder Down-stream (Kapital-erhöhung, Zuschuss, Darlehen) erfolgen; diesfallsliegt kein Problem der Einlagenrückgewähr jedochallenfalls eines des Eigenkapitalersatzes vor;13) siekönnen aber auch Up-Stream geschehen; hier kön-nen sich durchaus Einlagenrückgewährfragen stel-len.

& Finanzierungen zwischen Schwestergesellschaftenkönnen in vielen verschiedenen Formen auftreten;beim (effektiven oder fiktiven) Cash-Pooling zBwird auf eine optimale Nutzung der konzerninter-nen Liquidität abgezielt, indem Liquiditätsüber-schüsse bei der einen Gesellschaft einen entspre-chenden Mangel bei einer anderen ausgleichen.

& Zentrale Konzernfinanzierung existiert ebenfalls inzahlreichen Ausgestaltungen. Am häufigsten anzu-treffen sind Konstellationen, bei denen die Mutter-oder eine eigens geschaffene Finanzierungsgesell-schaft die Finanzierung abwickelt und koordiniert.

Bei der zuletzt genannten Konstellation leisten in derRegel andere Konzerngesellschaften einen Beitrag, in-dem sie eine Sicherheit bestellen. An dieser Stelle tre-ten Probleme mit der Einlagenrückgewähr auf. Unter-schieden wird je nach Sicherheit:& Entspricht die Sicherheitenbestellung jenem Teil-

betrag der Gesamtfinanzierung, welcher der besi-chernden Gesellschaft zukommt, liegt keine Einla-genrückgewähr vor.14) Ausgenommen sind freilichFälle, in denen die besichernde Gesellschaft ihrenTeilbetrag als Kapitalerhöhung oder für Gewinn-auszahlung verwendet. Ebenfalls aufgepasst musswerden, wenn der Teilbetrag der besichernden Ge-sellschaft durch ein Gesellschafterdarlehen zu-kommt: Zwar gilt dies nicht als Einlagenrückge-währ, da eine Aufrechnung möglich ist;15) jedochmuss jede Rückzahlung auch die Sicherheitenbe-stellung um denselben Betrag vermindern.

& Steht der Besicherung eine andere angemesseneGegenleistung gegenüber, liegt ebenfalls keine Ein-lagenrückgewähr vor.

& Eine Besicherung, bei der die besichernde Gesell-schaft durch die Besicherung in ihrer Existenz ge-fährdet wird, ist nie zulässig. Hier ist keine ange-messene Gegenleistung möglich.16)

Darüber, was – außer einem Anteil an der Gesamt-finanzierung – alles eine angemessene Gegenleistungfür die Besicherung sein kann, herrscht Uneinig-keit:& Ein Teil der Lehre nimmt an, dass durch die Ein-

gliederung in den Konzern bereits eine Gegenleis-tung erfolgt. Insbesondere bei arbeitsteiliger Glie-derung (zB wenn reine Produktions- und Ver-triebsgesellschaften vorliegen) und anderen engenBeziehungen soll dies als angemessene Gegenleis-tung ausreichen.17)

& Anerkannt ist, dass eine Avalprovision eine ange-messene Gegenleistung darstellen kann.18) Freilichmuss diese einem Drittvergleich standhalten. Dazuwird wohl eine Bonitätsprüfung erforderlichsein.19)

& Eine Besicherung kann einlagenrückgewährrecht-lich aber auch zulässig sein, wenn der Geschäfts-führer der besichernden Gesellschaft dem Maßstabdes sorgfältig handelnden Geschäftsführers ent-sprechend handelt und die Besicherung aus ande-ren betrieblichen Gründen im Interesse der Gesell-schaft ist.20)

& Schließlich ist noch der Fall denkbar, in dem diebesichernde Gesellschaft ihrerseits besichert wirdoder realistische Regressmöglichkeiten hat.21)

Wird keines dieser Kriterien erfüllt, ist die Besicherungabsolut nichtig. Dies gilt auch für einen entsprechen-den Weisungsbeschluss der Gesellschafter und für mit-telbare Gesellschafter.22) Fraglich ist allenfalls, wie dieRückabwicklung zu erfolgen hat. Die herrschendeMeinung geht von einer bereicherungsrechtlichenRückabwicklung aus. Vereinzelt wurde aber auch ver-treten, dass der Anspruch mit Eigentumsklage geltend

9) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbHsowie GmbH & Co KG (2004) 177 f.

10) Siehe Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz § 82 Rz 120.

11) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbHsowie GmbH & Co KG 179.

12) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbHsowie GmbH & Co KG 187.

13) Dann nämlich wenn die Finanzierung iZm einer Krise erfolgt.14) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz

§ 82 Rz 115 ff.15) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz

§ 82 Rz 118.16) MwN Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-

Gesetz § 82 Rz 108 und Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52Rz 65.

17) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz§ 82 Rz 112; Karollus, ecolex 1999, 326; Saurer, RdW 1998, 596 f;Saurer, D/K/N, AktG § 52 Rz 66 ff; Koppensteiner/Rüffler, GesRZ1999, 98.

18) Anders Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 70.19) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 63.20) OGH 1. 12. 2005, 6 Ob 271/05d; s auch Reich-Rohrwig, Grundsatz-

fragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbH sowie GmbH & Co KG180 ff und Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 66 ff.

21) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 64.22) OGH 22. 10. 2003, 3 Ob 287/02 f.

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Cgemacht werde bzw ein solcher sui generis sei.23) DieGesellschaft hat ein Leistungsverweigerungsrecht; so-wohl gegenüber dem Gesellschafter wie auch gegen-über wissenden (oder grob fahrlässig nicht wissenden)Kreditgebern.24)

Neben den zivilrechtlichen Folgen werden uUauch insolvenzrechtliche und mitunter sogar straf-

rechtliche Tatbestände erfüllt. Steuerrechtlich liegtwohl Einkommensverwendung vor.25)

RECHTSPRECHUNG

Bürgschaft der Gesellschaft für einen dem Gesellschafter nahestehendenDritten ist Einlagenrückgewähr, wenn keine betriebliche Rechtfertigungvorliegt1. Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrif-ten kann auch in der auf Veranlassung eines Gesell-schafters erfolgten Bestellung von Sicherheiten füreinen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten, sozB an eine Ges, an der der Gesellschafter selbst betei-ligt ist, liegen (RIS-Justiz RS0105534; RS0105518[T1]).

2. Eine Bestellung von Sicherheiten für einen demGesellschafter nahestehenden Dritten kann damit ge-rechtfertigt werden, dass besondere betrieblicheGründe im Interesse der Ges vorliegen, wenn diesnach der Formel des Fremdvergleichs dahin gedecktist, dass das Geschäft, das mangels objektiver Wert-äquivalenz ein Vermögensopfer der Ges bedeutet,auch mit einem Außenstehenden geschlossen wordenwäre (RIS-Justiz RS0120438 6 Ob 271/05d =SZ 2005/178 = ÖBA 2006, 293 [zust Karollus] =JBl 2006, 388 [zust Artmann]; vgl auch Reich-Rohr-wig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung, 178). Esist auf alle Vorteile abzustellen, die der Ges zukom-men; diese können in einer monetären Gegenleis-tung, aber auch in sonstigen Vorteilen liegen, die sichaus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit demGesellschafter ergeben (Artmann, JBl 2006, 388 [E-Besprechung]).

3. Nur ausnahmsweise sind in Fällen verbotenerEinlagenrückgewähr Dritte rückgabepflichtig oderist ihnen gegenüber die Ges zur Leistungsverweige-rung berechtigt; Normadressaten des Verbots derEinlagenrückgewähr gem § 82 GmbHG und § 52AktG sind die Ges und der Gesellschafter oder Aktio-när. Solche Ausnahmefälle liegen vor bei Kollusion,aber auch in jenen Fällen, in denen der Gesellschafterbewusst zum Nachteil der Ges handelt und der Drittedavon wusste oder sich der Missbrauch ihm geradezuaufdrängen musste, dessen Unkenntnis somit auf gro-ber Fahrlässigkeit beruht.

4. Eine allgemeine Erkundigungs- und Prüfpflichtdes Kreditgebers besteht nicht für alle Fälle denkmög-licher Einlagenrückgewähr, sondern ist dort zu for-dern, wo sich der Verdacht schon so weit aufdrängt,dass er nahezu einer Gewissheit gleichkommt (RISJustiz RS0105537 [T 4]; 6 Ob 271/05d SZ 2005/178 = ÖBA 2006, 293 [zust Karollus] = JBl 2006,388 [zust Artmann]).

Aus der Begründung:1.3 Entgegen der Ansicht des BerG vermag daran we-der eine hervorragende Bonität des Ing S als begüns-tigter Gesellschafter, die den Rückgriffsanspruch ge-gen ihn als vollwertig erscheinen ließe, noch fehlendeExistenzgefährdung der Bekl bei Rückgriff auf ihreBürgschaften oder marktübliche Kreditkonditionenetwas zu ändern. Solche Umstände bewirken nämlichallenfalls nur eine Reduzierung des Risikos, verschaf-fen der besichernden Ges aber dadurch keinen Vor-teil, der zur Annahme einer betrieblichen Rechtferti-gung führen könnte.

Unabhängig von diesen Kriterien wird nämlichdurch die Sicherheitenbestellung das Gesellschaftsver-mögen vermindert, wobei diese Wertverschiebungbereits zum Zeitpunkt der Rechtsverbindlichkeit derBesicherung zu Lasten der Ges eintritt (vgl Nowotnyin Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht Rz 4/417 mwN; Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG4

§ 52 Rz 18 mwN) und damit den Verstoß gegendie Kapitalerhaltungspflicht verwirklicht.

1.4 Wesentlich bleibt nur, ob ein sorgfältig han-delnder Gf die Sicherheit auch für einen Dritten ge-stellt hätte, was nur der Fall ist, wenn der Sicherhei-tenleistung ein gleichwertiger betrieblicher Vorteilder besichernden Ges gegenübersteht. (…)

Von der Lehre wird die neuere Rsp zur Erkundi-gungspflicht einer kreditgebenden Bank – zutreffend– dahin interpretiert (Artmann, JBl 2006, 388 undKarollus, ÖBA 2006, 300 [je E-Besprechung]), dassin jenen Fällen, in denen das Vorliegen einer betrieb-lichen Rechtfertigung schon bei erstem Anscheinplausibel erscheint und in denen keine Verdachtsmo-mente gegeben sind, die den Kreditgeber am Vorlie-gen einer betrieblichen Rechtfertigung zweifeln lassenmüssten, kein weiterer Überprüfungsbedarf in dieseRichtung besteht; schon von vornherein hoch ver-dächtige Fälle lösen hingegen Erkundigungspflichtenaus. Der Kreditgeber hat bei den Beteiligten nach derGegenleistung nachzufragen, wobei er sich auf nichtoffenkundig unrichtige Auskünfte verlassen darf. (…)

23) Großkomm AktG2 (1961) § 56 Anm 17, 19, § 52 Anm 11.24) OGH 5. 8. 2009, 9 Ob 25/08d.25) Siehe Reich-Rohrwig, ecolex 2003, 157 f.

§ 879 ABGB;§ 82 GmbHG;

§ 52 AktG

OGH 29. 9. 2010,7 Ob 35/10p

2011/134

GESELLSCHAFTS-RECHT

334 ecolex 2011

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Änderung der Judikatur: Keine Notariatsaktspflicht bei nachträglicherÄnderung von Aufgriffsrechten im GmbH-Vertrag1. Die nachträgliche Begründung statutarischer Auf-griffsrechte in einer GmbH bedarf nicht derNotariatsaktsform. Eine notarielle Beurkundung alsFormerfordernis ist ausreichend. Bei Aufgriffsrechtenhandelt es sich zumeist um materielle Satzungsbe-standteile, die nach § 49 GmbHG eines Gesellschaf-terbeschlusses bedürfen.

2. Der Formpflicht des § 76 Abs 2 GmbHG ent-spricht die Funktion der Immobilisierung von Ge-schäftsanteilen, des Übereilungsschutzes des Erwer-bers und der Publizität der Gesellschafterstellung.Bei der Begründung von Aufgriffsrechten kommt kei-ner dieser Funktionen eine wesentliche Bedeutungzu.

3. Auch für die Klarstellung, wer Gesellschafterist, bedarf es bei Begründung des Aufgriffsrechts nichtder Form des Notariatsakts.

Aus der Begründung:Auch nach Auffassung des erk 6. Sen sprechen diebesseren Gründe dafür, bei der nachträglichen Be-gründung statutarischer Aufgriffsrechte in einerGmbH eine notarielle Beurkundung als Formerfor-dernis ausreichen zu lassen. Dies ergibt sich einerseitsdaraus, dass es sich bei Aufgriffsrechten meist um ma-terielle Satzungsbestandteile (nach Frizberg/Frizberg„echte Satzungsbestimmungen“) handeln wird, dienach § 49 GmbHG eines Gesellschafterbeschlusses,der bloß notariell beurkundet werden muss, bedür-fen, und va aus dem Normzweck: Wenn man derFormpflicht des § 76 Abs 2 GmbHG die FunktionenImmobilisierung, Übereilungsschutz des Erwerbersund Publizität der Gesellschafterstellung zuerkennt,so wird deutlich, dass bei der Begründung von Auf-griffsrechten keiner dieser Funktionen eine wesentli-che Bedeutung zukommen kann. Die Immobilisie-rung soll den börsenartigen Handel mit den Ge-schäftsanteilen, also den Erwerb Dritter, verhindern,jedoch nicht den Erwerb durch einen Gesellschafter.Der Funktion des Übereilungsschutzes kann in die-sem Zusammenhang ebenfalls keine Bedeutung zu-kommen; immerhin ist zum Zeitpunkt der Statuie-rung oftmals nicht klar, wer überhaupt der Erwerbersein wird bzw ob dieser überhaupt schon Gesellschaf-ter ist und zu welchem Zeitpunkt diesem das Auf-griffsrecht zustehen wird.

Auch für die Klarstellung, wer Gesellschafter ist,bedarf es keiner Notariatsaktsform zur Begründungdes Aufgriffsrechts. Dies ergibt sich aus der stRspdes OGH, wonach Aufgriffsrechte nicht dazu führen

können, dass die Geschäftsanteile eines verstorbenenGesellschafters mit dessen Todesfall eo ipso auf dieübrigen Gesellschafter übergehen, sondern dass dafürnoch ein Abtretungsvertrag mit den Erben geschlos-sen werden muss (RIS-Justiz RS0007884). DieserAbtretungsvertrag ist als Verpflichtungsgeschäft (rich-tig wohl: Verfügungsgeschäft [Anm des Verfassers])aber ohnehin notariatsaktspflichtig.

(…)

Anmerkung:Mit dieser Entscheidung des 6. Senats wird den Argu-menten der Lehre Rechnung getragen und aufbauendauf eine jüngere Rsp mancher OLG eine unnötig formal-istische Rechtsprechungslinie revidiert. Die die doppelteFormpflicht statuierende E 1 Ob 510/95 erscheint demBetrachter im Nachhinein als Notlösung, um im damalsvorliegenden Fall eine sachgerechte Entscheidung herbei-zuführen. Sie vermag aber nicht jene Argumente zu ent-kräften, die in weiterer Folge seitens der Lehre, insbeson-dere von Frizberg/Frizberg, gegen sie vorgebracht wur-den. Keiner der drei von der Rsp anerkannten Zweckedes Notariatsakts wird durch die „bloße“ Beurkundungvon Generalversammlungsbeschlüssen untergraben, daim Fall der nachträglichen Satzungsänderung dieSchutzzwecke Immobilisierung, Übereilungsschutz undSicherheit der Gesellschafteridentifikation nicht gefähr-det erscheinen.

Die Immobilisierung soll den börsenartigen Handelmit Dritten verhindern, nicht aber den Erwerb einesAnteils durch Gesellschafter selbst. Auch der Überei-lungsschutz ist bei Personen, die bereits Gesellschaftersind, wohl kaum gefährdet. Da die Verfügung im Falleder Geltendmachung eines Aufgriffsrechtes ohnehin einesNotariatsaktes bedarf, ist auch der Telos der Identifizier-barkeit der Gesellschafter nicht gefährdet.

Wenngleich der Beschluss der Gesellschafter denRechtstitel für eine spätere Verfügung in Ausübung desAufgriffsrechtes schafft, unterliegt der Beschluss der Ge-sellschafter als organschaftlicher Akt dem I. Hauptstückdes GmbHG und den dort für die Änderung desGesellschaftsvertrages vorgesehenen Formen. Eine weitereForm der Beurkundung in Form eines Notariatsaktes istüberschießender Formalismus.

Für die Praxis bedeutet diese zu begrüßende E einedeutliche Erleichterung in der Handhabung von Auf-griffsrechten für alle Beteiligten. Es bleibt zu hoffen, dasssich die übrigen Senate des OGH dieser E anschließen.

Stephan VerweijenDr. Stephan Verweijen ist öffentlicher Notar in Wien-Margareten.

Unterdeckung einer nominellen Kapitalerhöhung: KeineDifferenzhaftung der Gesellschafter1. Stellen sich die zu einer „nominellen Kapitalerhö-hung“ herangezogenen Rücklagen als nicht werthaltigheraus, haften die Gesellschafter nicht im Rahmen einer„Differenzhaftung“ für den nicht gedeckten Teil derStammeinlage. (Vgl dazu Ettmayer/Lahnsteiner inWiener Kommentar zum GmbH-Gesetz AnhKapBG Rz 20; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 Anh

KapBG § 53 § 3 Rz 6, mit der wesentlichen Begrün-dung, dass die Gesellschafter die Einlage nicht schul-deten. Diese Auffassung wird auch für Kapitalberich-tigungen von AG von mehreren Autoren vertreten, uaNagele in Jabornegg/Strasser, AktG Anh KapBG § 173§ 2 Rz 10; Tichy in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG AnhKapBG § 17 § 2 Rz 18; aA Reich-Rohrwig, Das öster-

GESELLSCHAFTS-RECHT

ecolex 2011 335

§ 4 Abs 3, § 49Abs 1, § 76 Abs 2GmbHG

OGH17. 12. 2010,6 Ob 63/10 y

2011/135

§§ 6, 6a, 10, 10a,52 ff, 72 GmbHG;§§ 52, 149 ff AktG;§§ 1–8 KapBG

OGH 29. 9. 2010,3 Ob 86/10h

2011/136

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reichische GmbH-Recht [1983] 500; Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesell-schaftsrechts 310 FN 27; zur selben Problematik inD, eine Differenzhaftung ablehnend: Lutter in Lut-ter/Hommelhoff, GmbHG17 [2009] § 57 i Rz 15; Ul-mer in Ulmer, GmbHG Groß-Kommentar § 57 iRz 30; Roth in Altmeppen/Roth, GmbHG6 § 57 iRz 13; eine Differenzhaftung annehmend: Priesterin Scholz, GmbHG10 § 57 i Rz 21; Hermanns in Mi-chalski, GmbHG2 [2010] § 57 i Rz 21). Gegen eineplanwidrige Gesetzeslücke spricht die Definition derKapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, bei derder Ges keine zusätzlichen Mittel zugeführt werden.Die Gläubiger der Ges erleiden durch eine inhaltlichfalsche Kapitalerhöhung (wegen Überbewertung derRücklagen) gegenüber dem vor der Kapitalerhöhungbestehenden Zustand keinen Schaden.

2. Im Ergebnis läuft die Annahme einer Diffe-renzhaftung bei unterdeckter nomineller Kapitalerhö-hung entgegen denWertungen des § 72 GmbHG aufeine Nachschusspflicht ohne Deckung in der Satzunghinaus. Die in Kapitalerhöhungsbeschluss und derSatzungsänderung deklarierte Absicht der Gesell-schafter, keine zusätzlichen Einlagen leisten zu wol-len, aus schadenersatzrechtlichen Erwägungen insGegenteil zu verkehren und die analoge Anwendungvon Sacheinlagevorschriften zu fordern, ignoriert diefehlende Ähnlichkeit der beiden Arten der Kapitaler-höhung und überspannt den Kapitalaufbringungs-grundsatz.

Aus der Begründung:Ettmayer/Lahnsteiner in Straube (Wiener KommGmbHG § 1 KapBG Rz 3 bis 5) beschreiben dasCharakteristische der nominellen Kapitalerhöhungtreffend wie folgt:

„Auch aus dem vom österr Gesetzgeber im Kurz-titel verwendeten Ausdruck ,Kapitalberichtigung

,

geht hervor, dass bei der Kapitalerhöhung aus Gesell-schaftsmitteln nicht neues Kapital zugeführt, sonderndieses nur berichtigt wird.

Die Gesellschafter erhalten durch die Kapitalbe-richtigung allerdings auch nichts, was sie nicht schonzuvor hatten (vgl den insofern irreführenden Aus-druck ,Gratisaktien

,

im Aktienrecht), da sie an denRücklagen schon bisher entsprechend ihren Ge-schäftsanteilen beteiligt waren. Der Wert der Ge-schäftsanteile bleibt unverändert, es erfolgt nur eineErhöhung des Nennbetrags.

Obwohl der GmbH bei einer Kapitalerhöhungaus Gesellschaftsmitteln kein neues Kapital zugeführtwird, so erhöht die Kapitalberichtigung doch die Kre-ditwürdigkeit der GmbH, da durch die bilanzmäßigeUmwandlung von Rücklagen in Stammkapital einerhöhtes Vermögen dem Zugriff der Gesellschafterentzogen und für die Gläubiger reserviert ist. Entspre-chend erleiden die Gläubiger im Zuge einer nominel-len Kapitalerhöhung keinen Nachteil, sondern erlan-gen einen Vorteil: die in Stammkapital umgewandel-ten Rücklagen können nicht mehr nach Belieben auf-gelöst und ausgeschüttet, sondern nur mehr im Wegeder Kapitalherabsetzung unter Einhaltung der Gläu-bigerschutzbestimmungen an die Gesellschafter aus-gezahlt werden.“ (…)

1. a) Im dt Schrifttum treten für eine Einlagenver-pflichtung der Gesellschafter und deren Differenzhaf-tung va Priester (in Scholz, GmbHG10 § 57 i Rz 21)und Hermanns (in Michalski, GmbHG2 [2010]§ 57 i Rz 21) ein.

Priester räumt zwar ein, dass es Einlagepflichtenbei der nominalen Kapitalerhöhung nicht gebe.Gleichwohl müsse wegen einer Vergleichbarkeit derInteressenlagen die in § 9 geregelte Differenzhaftungdes Sacheinlegers entsprechend eingreifen. Diese Haf-tung sei nicht Ausfluss etwaiger Einlageverpflichtun-gen. Es liege deshalb auch kein Rückgriff auf die frü-here Konstruktion der Kapitalerhöhung aus Gesell-schaftsmitteln als Doppelmaßnahme vor. Vielmehrhandle es sich um eine Haftung für die reale Deckungdes Kapitals. Das rechtfertige die analoge Anwendungdes § 9. Vorrangig seien allerdings Schadenersatzan-sprüche gegen Bilanzprüfer und Gf. Die Gesellschaf-ter könnten ihre Haftung dadurch vermeiden, dass siedas Stammkapital herabsetzten. Verpflichtet seien siedazu freilich nicht. Unzureichend sei das bloße Ste-henlassen von Gewinnen.

Hermanns vertritt die Ansicht, dass die Gesell-schafter entsprechend § 9 verpflichtet seien, die Dif-ferenz der Unterdeckung durch ergänzende Einlageauszugleichen. Zwar sei es richtig, dass hiedurch einebislang nicht bestehende Einlageverpflichtung be-gründet werde. Dies geschehe indes auch im unmit-telbaren Anwendungsfall von § 9, indem der Gesell-schafter eine von ihm nicht zugesagte Geldeinlagezu erbringen habe. Auch die Ausfallshaftung nach§ 24 (dGmbHG) treffe die Gesellschafter ungeachtetder Frage, ob sie an der Kapitalerhöhung durch Über-nahme von Einlagen teilgenommen haben. Dies be-lege, dass das Gesetz dem Gebot der realen Kapital-aufbringung Vorrang einräume vor dem Interesseder Gesellschafter, keine weitergehenden Einlage-pflichten auferlegt zu bekommen. Richtigerweiseseien die Gesellschafter daher im Falle einer Unterde-ckung in Rechtsanalogie zu §§ 9 und 24 verpflichtet,die Unterdeckung im Wege der ergänzenden Bar-oder Sacheinlage zu beseitigen, sofern sie nicht dasStammkapital um die Differenz herabsetzten.

b) Überwiegend wird in der dt Lehre aber die Dif-ferenzhaftung abgelehnt:

Nach Lutter (in Lutter/Hommelhoff, GmbHG17

[2009] § 57 i Rz 15) gebe es weder eine Ersatzeinlage-pflicht noch eine Differenzhaftung der Gesellschafter,da es bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmit-teln weder Einlagen noch Übernahmeerklärungengebe. Der Ausgleich werde hier durch § 30(dGmbHG), der das Stehenlassen künftiger Gewinnebis zum Ausgleich des Verlusts erbringe, oder durcheine Kapitalherabsetzung erreicht.

Nach Ulmer (in Ulmer, GmbHG Groß-Kom-mentar § 57 i Rz 30) sei die Frage, ob die Gesellschaf-ter für den Fehlbetrag anteilig analog §§ 9, 24 haftenoder ob die Unterbilanz nur entweder durch eine ver-einfachte Kapitalherabsetzung nach § 58a oder durchnach § 30 (dGmbHG) einzubehaltende Gewinneauszugleichen sei, iS einer Ablehnung der Differenz-haftung der Gesellschafter zu entscheiden. Gegen eineDifferenzhaftung der Gesellschafter spreche der aufUmwandlung von Rücklagen in Stammkapital ge-

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richtete Normzweck des § 57 c und das Fehlen jederArt von Übernahmeerklärungen oder sonstigen Einla-gepflichten im Fall der nominellen Kapitalerhöhung.Diese das Rechtsinstitut kennzeichnende Rechts-grundlage stehe auch der Heranziehung des Rechtsge-dankens der Differenzhaftung (§§ 9, 24) entgegen.Die gegenteilige Ansicht von Priester bedeute der Sa-che nach einen Rückfall in die schon seit dem Kap-ErhG 1959 überwundene Theorie der nominellenKapitalerhöhung als Doppelmaßnahme (mit Letzte-rem meint Ulmer die Umwandlung freier Rücklagenin Haftkapital nicht als Einheit zu begreifen, sondernals Doppelmaßnahme, bestehend aus der Ausschüt-tung der Rücklagen als Gewinne an die Gesellschafterund die Einbringung der daraus resultierenden Ge-sellschafterforderungen als Sacheinlagen).

Die Ablehnung der Differenzhaftung (auch Un-terbilanzhaftung) wird im dt Schrifttum überwiegendvertreten (etwa auch von Roth in Altmeppen/Roth,GmbHG6 § 57 i Rz 13), was auch Hermanns (aaO)einräumt. (…)

Die Gläubiger der Ges erleiden durch eine inhalt-lich falsche Kapitalerhöhung (wegen Überbewertungder Rücklagen) gegenüber dem vor der Kapitalerhö-hung bestehenden Zustand keinen Schaden. Ein sol-cher könnte nur durch die infolge der Kapitalberich-tigung irrig angenommene höhere Kreditwürdigkeitder Ges entstehen, wenn diese in der Folge zahlungs-unfähig wird und die Gläubiger mit einer „kleinenGmbH“ nicht kontrahiert hätten. Der Schaden ent-stünde aber (zunächst) nicht der Ges, sondern denGläubigern, die nach Schadenersatzrecht gegen den

Gf oder Abschlussprüfer vorgehen können und sichauf deren unrichtige Angaben im Zuge der nominel-len Kapitalerhöhung berufen können, allenfalls auchgegen den Gesellschafter, wenn ihm eine rechtswid-rige Mitwirkung (etwa durch Weisung an den Gf)bei der bilanziell unrichtigen nominellen Kapitalerhö-hung vorgeworfen werden kann. (…)

In diesem Zusammenhang überzeugt das Argu-ment Hermanns (aaO) nicht, dass der Gesetzgebermit der Ausfallshaftung nach § 24 dGmbHG eineZahlungspflicht auch des Gesellschafters vorsehe,der an der effektiven Kapitalerhöhung nicht teil-nehme (also keine Einlageverpflichtung übernom-men hat). In diesem Fall liegt immerhin ein Kapital-erhöhungsbeschluss der übrigen Gesellschafter samtÜbernahmeerklärungen vor. Die Ausfallshaftungdes der Kapitalerhöhung nicht zustimmenden Ge-sellschafters beruht hier auf den gesetzlichen Mehr-heitsvoraussetzungen für den Beschluss auf Kapital-erhöhung. Bei der nominellen Kapitalerhöhung hin-gegen gibt kein einziger Gesellschafter zu einer zu-sätzlichen Einlage aus Gesellschaftervermögen eineVerpflichtungserklärung ab. Im Gegensatz zu Her-manns, der von einer im Analogieweg (zu den §§ 9und 24 dGmbHG) begründeten Einlageverpflich-tung ausgeht, spricht Priester (aaO) nur von einerHaftung für die reale Deckung des Kapitals undschwächt dies weiters insofern ab, dass Schadener-satzansprüche gegen Gf und Bilanzprüfer vorrangigseien und die Gesellschafter überdies ihre Haftungdurch eine Herabsetzung des Stammkapitals vermei-den könnten. (…)

Gerichtliche Abberufung eines Fremdgeschäftsführers – Klage ist gegenMitgesellschafter zu richten; Nebenintervention des Fremdgeschäfts-führers1. Bekl der Zustimmungsklage auf Abberufung einesFremd-Gf (§ 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG) ist jeder Ge-sellschafter, der gegen die Abberufung gestimmt hat(Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 30c;Straube/Ratka in Straube, WK zum GmbHG § 16Rz 57).

2. Der Fremd-Gf ist nicht Bekl, selbst wenn er Al-leingesellschafter einer Gesellschafterin der GmbHist.

3. Dem Fremd-Gf ist lediglich gerichtlich derStreit zu verkünden, sodass er vom Verfahren erfährt,dem er als (streitgenössischer) Nebenintervenient bei-treten kann (Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 30e;Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 59 mwN).

4. Wird der Abberufungsklage rechtskräftig statt-gegeben, gelten die Stimmen der bekl Gesellschafterals im Sinn der Abberufung abgegeben. Sachlegiti-miert können nur Gesellschafter sein, denn diese sindan der Willensbildung der Generalversammlung krafteigenen Rechts beteiligt (vgl Eckert, Die Abberufungdes GmbHG-Gf 61).

Aus der Begründung:§ 16 Abs 2 GmbHG regelt die gerichtliche Abberu-fung eines Gf. Ein Gf kann aus einem wichtigen

Grund durch gerichtliche E abberufen werden(Satz 1). Ist er zugleich Gesellschafter, so sind die§§ 117 und 127 UGB sinngemäß anzuwenden(Satz 2). Sonst können jene Gesellschafter, die nichtfür die Abberufung des Gf gestimmt haben, auf dieZustimmung geklagt werden (Satz 3). Dem Gf ist ge-richtlich der Streit zu verkünden (Satz 4).

Die Klage auf Abberufung eines Ges-Gf ist gegenden abzuberufenden Ges-Gf zu erheben, wobei esnach der Rsp (6 Ob 695/87 SZ 60/285; RIS-JustizRS0059607) nicht darauf ankommt, ob der Gf schonallein durch Ausübung seines Stimmrechts seine Ab-berufung durch die anderen Gesellschafter verhindernkann (aA Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 23mwN; Straube/Ratka in Straube, WK zum GmbHG§ 16 Rz 46). (…)

Ein Gf, der nicht Gesellschafter ist (Fremd-Gf)und für dessen Abberufung sich keine Gesellschafter-mehrheit findet, kann aus wichtigem Grund gem§ 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG durch eine Klage gegenden oder die Gesellschafter, die nicht für die Abberu-fung gestimmt haben, auf Zustimmung zur Abberu-fung geklagt werden. Bekl dieser Zustimmungsklageist jeder Gesellschafter, der gegen den Antrag auf Ab-berufung gestimmt hat (Koppensteiner/Rüffler, aaO§ 16 Rz 30c; Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 57). Der

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§ 16 Abs 2GmbHG;§§ 117, 127 UGB

OGH17. 11. 2010,6 Ob 212/10k

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Fremd-Gf selbst ist nicht Bekl; ihm ist lediglich vomGericht der Streit zu verkünden (§ 16 Abs 2 Satz 4GmbHG), sodass er vom Verfahren erfährt, dem erals (streitgenössischer) Nebenintervenient beitretenkann.

(…) Die Abberufung von Fremd-Gf, die von derGesellschaftermehrheit gestützt werden und ansons-ten nicht abberufen werden könnten, aus wichtigemGrund durch gerichtliche E wurde erst durch dasIRÄG 1997 im Gesetz geregelt. Zuvor bestimmte§ 16 Abs 2 idF der GmbHG-Novelle 1980: „EinGf, der Gesellschafter ist, kann aus einem wichtigenGrund durch gerichtliche Entscheidung abberufenwerden. Dabei sind die §§ 117, 127 HGB sinnge-mäß anzuwenden“ (zur Rechtslage vor dem IRÄG1997 s Eckert, Abberufung des GmbH-Gf 59 ffmwN).

Nach hA war diese Bestimmung (wie auch jetzt§ 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG) auf Fremd-Gf nicht,auch nicht analog anwendbar (3 Ob 549/86 SZ 61/99; Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 23; Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 48 je mwN). Eine Ausnahmemachte die Rsp in dem Fall, dass ein Gf zwar mangelsBeteiligung an der Gesellschaft „formell“ Fremd-Gfist, wegen der „tatsächlichen wirtschaftlichen Identi-tät“ mit einem Gesellschafter der GmbH aber densel-ben beherrschenden Einfluss wie der Gesellschafterselbst ausüben kann. Als Ges-Gf sieht diese Rsp daherauch einen Gf einer GmbH an, der beherrschenderGesellschafter jener GmbH ist, die ihrerseits Gesell-schafterin der erstgenannten GmbH ist, aber auchdenjenigen an, der die Geschäftsführerfunktion nurals Strohmann eines beherrschenden Gesellschaftersausübt (3 Ob 549/86, SZ 61/99; vgl 8 Ob 515/86SZ 59/43; 6 Ob 549/92; abl schon Koppensteiner,

GmbHG1 § 16 Rz 12; Koppensteiner/Rüffler,GmbHG3 § 16 Rz 23).

Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 23, füh-ren gegen die zuletzt referierte Rsp ins Treffen, denvon ihr gemachten Ausnahmen sei nicht zu folgen,liege doch keine Gesetzeslücke vor, weil Fremd-Gfstets auf dem von § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG vorge-zeichneten Weg abberufen werden könnten.

Diesem Argument vermag sich der erk Sen nichtzu verschließen. Die referierte Rsp ist zur Rechtslagevor dem IRÄG 1997 ergangen und vor dem Hinter-grund zu sehen, dass diese Rsp eine Abberufung einesFremd-Gf gegen den Willen der Gesellschaftermehr-heit durch das Gericht für nicht möglich ansah. Danach der jetzigen Rechtslage Fremd-Gf aus wichtigenGründen durch gerichtliche Entscheidung nach § 16Abs 2 Satz 3 GmbHG abberufen werden können,gibt es unter Rechttschutzaspekten keinen Grund,diese Rsp aufrechtzuerhalten. Die Wirkung des derKlage nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG stattgebendenund rechtskräftigen Urteils besteht darin, dass dieStimmen des bekl Gesellschafters iS der Abberufungals abgegeben gelten (§ 367 EO; Koppensteiner/Rüff-ler, aaO § 16 Rz 30 f; Straube/Ratka, aaO § 16Rz 60 mwN). Das Urteil greift in den Kompetenzbe-reich der GV ein. Folgerichtig können sachlegitimiertnur Gesellschafter sein, denn diese sind an der Wil-lensbildung der GV kraft eigenen Rechts beteiligt(vgl Eckert, Die Abberufung des GmbHG-Gf 61).Hinzu kommt, dass es im Einzelfall schwierig seinkann festzustellen, ob ein Gf, der Nichtgesellschafterist, „lediglich Strohmann“ eines beherrschenden Ge-sellschafters ist oder ob zwischen ihm und einem Ge-sellschafter der GmbH „wirtschaftliche Identität“ be-steht.

Aktienrecht: Antrag des OLG Wien auf Aufhebung des § 225 c Abs 3 Z 2AktG wegen Verfassungswidrigkeit beim VfGHDie Einschränkung des Antragsrechts von Minder-heitsaktionären gem § 225c Abs 3 Z 2 AktG durchVorschreibung einer Erheblichkeitsschwelle (lit a:1% vom Grundkapital oder Aktien im anteiligen Be-trag von zumindest E 70.000,–) oder durch Nomi-nierung des Mindestbesitzes nach lit b ist verfassungs-rechtlich bedenklich. Auch unter dem Blickwinkeldes Eigentumsschutzes bestehen Zweifel an der Ver-fassungskonformität der angefochtenen Entschei-dung.

I. Das OLG Wien stellt gem Art 89 Abs 2 Satz 2 iVmArt 140 B-VG an den VfGH den Antrag, im § 225 cAbs 3 AktG idF BGBl I 2009/71 die Wortfolge

„ , und2. entwedera) bei einer der beteiligten Gesellschaften, sei es auch

nur gemeinsam, insgesamt jeweils über mindestens eines

vom Hundert des Grundkapitals oder über Aktien imanteiligen Betrag von mindestens 70.000 Euro oder

b) gemeinsam über alle Aktien verfügen, für die dieVoraussetzungen gemäß Z 1 erfüllt sind“

als verfassungswidrig aufzuheben.II. Gem § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung

des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung desVfGH innegehalten.

Anmerkung:Das OLG Wien nimmt in seiner Entscheidungsbegrün-dung auf eine spaltungsrechtliche E des VfGH(16. 6. 2005, G 129/04 ua VfSlg 17.584/2005) Bezug,wonach die in § 9 Abs 2 SpaltG enthaltene Wortfolge„§ 225 c Abs 3 und 4 sowie“ als verfassungswidrig aufge-hoben wurde.

§ 225 c Abs 3 Z 2AktG

OLG Wien8. 11. 2010,

28 R 146/10m

2011/138

GESELLSCHAFTS-RECHT

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WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-GÜTERRECHT

ACHECKLISTE

Ärzte-Website1)Ärzte unterhalten vermehrt eigene Internetauftritte, um ihre Leistungen zu bewerben. DieRichtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ gestattet es Ärzten auch ausdrücklich, eigene Websiteseinzurichten oder sich an Websites Dritter zu beteiligen; gleichzeitig unterliegen Ärzte aberstrengen standesrechtlichen Werbebeschränkungen, die sich auf die Gestaltung ihrer Web-präsenz unmittelbar auswirken.Ziel dieses Leitfadens ist eine Darstellung der geltenden Ordnungsvorschriften und Werbe-beschränkungen, die es bei der Einrichtung einer Ärzte-Website zu beachten gilt.

ROLAND MARKO / DOMINIK HOFMARCHER

A. Allgemeine Rechtsgrundlagen2)

1. Impressum- und Offenlegungspflicht3)

A Regelmäßig sind auch Ärzte Diensteanbieter iSd § 3 Z 2 ECG (kommerzielle Online-Werbung, Online-In-formationsangebot), jedenfalls aber Medieninhaber iSd MedienG. Zu beachten sind daher:& Impressumpflicht gem § 5 ECG; Informationen sind „ständig und leicht zugänglich“ zur Verfügung zu

stellen,& Offenlegungspflicht gem § 25 MedienG; bei bloßer Selbstdarstellung des Arztes bzw seiner Ordination

idR nur beschränkte Offenlegungspflicht gem § 25 Abs 5 MedienG,& Impressumpflicht gem § 24 MedienG, wenn auch Newsletter oÄ verschickt werden.

A Musterimpressum gem § 5 ECG unter Berücksichtigung der Offenlegungspflicht für „kleine Websites“(§ 25 Abs 5 MedienG) bspw wie folgt:

ImpressumInformation gemäß § 5 E-Commerce-Gesetz und Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz:Diensteanbieter und Medieninhaber:Dr. Max MustermannMustergasse 11010 WienTel.: +43 (0)1 XXXXXFax.: +43 (0)1 XXXXXE-Mail: [email protected]: www.mustermann.atMitglied der Ärztekammer WienBerufsbezeichnung: Arzt für Allgemeinmedizin (verliehen in Österreich)Tätigkeit unterliegt dem Ärztegesetz 1998 www.Link-zur-Rechtsvorschrift-im-RIS.bka.gv.atFirmenbuchnummer: FN XXXXX (sofern vorhanden)Firmenbuchgericht: FN XXXXX (sofern vorhanden)UID-Nr.: XXXXX

2. Urheberrechte und Kennzeichenrechte

A Einholung der erforderlichen Verwertungsrechte für Bilder, Texte, Tabellen, Studien etc im Rahmen derWebsite.

A Wird der Name des Arztes als Domainname verwendet,& ist dieser für gewöhnlich unterscheidungskräftig und genießt Namens- und Kennzeichenschutz;4)

GELEITET VONG. KUCSKOH. WOLLMANN

Mag. Roland Marko, LL.M., ist Rechtsanwalt, Mag. Dominik Hofmarcher Rechtsanwaltsanwärter bei Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien.1) Diese Checkliste ist eine Ergänzung und Zusammenfassung des in RdM 2011/Heft 3 erscheinenden Beitrags „Werben im Internet – Ärzte ohne Gren-

zen?“ derselben Autoren.2) Vgl auch Mitteilung der Ärztekammer von Tirol Nr 2/06, www.aekwien.at/media/Gestaltung_Arzt-Homepage.pdf (8. 2. 2011).3) Dazu ausführlicher Zankl, ecolex 2004, 711.4) Aicher in Rummel3 § 43 Rz 3a.

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A& bei Gleichnamigkeit mit Kollegen kann unterscheidungskräftiger Zusatz nötig sein.5)

A Bei Verwendung anderer Domainnamen sind fremde Namens- und Kennzeichenrechte zu beachten.

3. Linksetzung

A Das Setzen von Links auf andere Websites ist grds erlaubt.A Fremde Inhalte sollten niemals als eigene Inhalte dargestellt werden, um

& eine direkte Leistungsübernahme iSd § 1 UWG zu vermeiden und& Rechtsverletzungen auf fremden Websites nicht auch zu eigenen zu machen.6)

A Gem § 17 ECG besteht keine Haftung (strafrechtlich oder wegen Verstoßes gegen das UWG, das UrhG odersonstige Gesetze) für verlinkte Seiten, wenn& der Linksetzer von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information keine Kenntnis hat,& dem Linksetzer die Rechtswidrigkeit nicht hätte auffallen müssen (die Rechtswidrigkeit muss „offensicht-

lich“ sein; es müssen also keine komplexen juristischen Überlegungen getroffen werden) und& der Linksetzer den Link, sobald ihm die Rechtswidrigkeit bewusst wird, unverzüglich entfernt.& Dieser Haftungsausschluss betrifft nicht auch Unterlassungsansprüche.

4. Disclaimer

A Haftungsausschlüsse in Websites sind nicht zwingend notwendig, aber empfehlenswert, um Haftungen fürRichtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie für mögliche Schäden durch die Nutzung der Website aus-zuschließen. Umfang und Rechtswirksamkeit eines Haftungsausschlusses sind im Einzelfall zu prüfen.

A „Copyright-Disclaimer“ haben keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines urheberrechtli-chen Schutzes der Website. Dennoch empfiehlt es sich, Nutzer der Seite auf den (möglichen) urheberrecht-lichen Schutz der Website hinzuweisen, um die „Hemmschwelle“ für urheberrechtswidrige Handlungen zuerhöhen.

5. Sonstiges

A Bei Verarbeitung personenbezogener oder sensibler Daten sind die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes2000 zu beachten.

A Soweit in Ausnahmefällen über die Ärzte-Website auch Verträge abgeschlossen werden können, sind die ent-sprechenden Bestimmungen des ECG und des KSchG (Informationspflichten, Rücktrittsrecht etc) zu be-achten.7)

A Abgesehen von den speziellen Werbebeschränkungen für Ärzte muss eigeneWerbung oder Werbung Dritter(zB Werbebanner) gem § 6 ECG& als solche erkennbar sein,& den Auftraggeber erkennen lassen,& Angebote zur Absatzförderung wie etwa Zugaben und Geschenke sowie Preisausschreiben und Gewinn-

spiele als solche erkennen lassen und einen einfachen Zugang zu den entsprechenden Bedingungen ent-halten (vgl aber Punkt B. unten).

A Bei Werbung mittels Anrufen oder elektronischer Post sind auch § 7 ECG und § 107 Telekommunikations-gesetz 2003 (Spam-Mailing) zu beachten.

A Nach dem Fall des standesrechtlichen Preisnennungsverbots für Ärzte können auch Honorarinformationenzur Verfügung gestellt werden. Gem § 5 ECG müssen Preise diesfalls& leicht lesbar und zuordenbar sein,& eindeutig erkennen lassen, ob es sich um Brutto- oder Nettopreise handelt (allgemeine Pflicht zur Brutto-

preisauszeichnung; ärztliche Leistungen unterliegen aber regelmäßig nicht der USt).

B. Werbebeschränkungen

Art 4 lit d der Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ (kurz „RL“) gestattet ausdrücklich die „Einrichtung einereigenen Homepage“ oder die „Beteiligung an einer fremden Homepage“. Da die Website aber per se eine Formder Werbung darstellt, müssen die geltenden Werbebeschränkungen beachtet werden:

1. Werbebeschränkungen

A Gem § 53 Abs 1 ÄrzteG haben sich Ärzte jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beein-trächtigenden Information iZm der Ausübung ihres Berufs zu enthalten. Konkretisiert wird dieses Verbotdurch die RL.

5) Aicher in Rummel3 § 43 Rz 3a.6) OGH 18. 11. 2003, 4 Ob 219/03 i MR 2004, 46.7) Dazu ausführlich Zankl, ecolex 2004, 711.

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-

GÜTERRECHT

340 ecolex 2011

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ecolex 2011 341

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-GÜTERRECHT

AA Die RL ist für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich, gleichgültig ob der Arzt im Rahmen einer Gruppen-

praxis8) oder Ärzte-GmbH9) tätig ist, nicht aber für Krankenanstalten.10) Zunächst galt die RL auch fürZahnärzte.11) Für diese gilt nunmehr seit dem 1. 7. 2009 aber ausschließlich die Werberichtlinie der Öster-reichischen Zahnärztekammer (,,WR-ÖZÄK ,,).12)

A Die RL untersagt:& Unsachliche und unwahre Informationen (Art 2):& Unsachlich ist eine medizinische Information dann, wenn sie wissenschaftlichen Erkenntnissen oder me-

dizinischen Erfahrungen widerspricht.& Unwahr ist eine Information, wenn sie nicht den Tatsachen entspricht.& Der OGH ergänzt die beiden von der RL aufgezählten Fälle generell um Informationen, die in keinem

Zusammenhang mit Eigenschaften der angebotenen Leistung stehen.13)& Informationen, die das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen (Art 3), jedenfalls:& herabsetzende Äußerungen über ÄrztInnen, ihre Tätigkeit und ihre medizinischen Methoden,& Darstellung einer wahrheitswidrigen medizinischen Exklusivität,& Selbstanpreisung der eigenen Person oder Leistungen durch aufdringliche bzw marktschreierische Dar-

stellung,& Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller

oder Verkäufer,14)& Fernbehandlungen (Art 5 lit c),15)& Veröffentlichungen mit Name und/oder Bildern von bzw mit Patienten, ohne die gegenüber dem Arzt

erklärte Zustimmung des Patienten (Art 5 lit d).A Die RL erlaubt gem Art 4 (demonstrativ):

& Informationen über die eigenen medizinischen Tätigkeitsgebiete, die der Arzt aufgrund seiner Aus- undFortbildung beherrscht,

& Einladung eigener Patienten zu Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen, Impfungen und dgl (Recall-Sys-tem) und

& Informationen über die Ordinationsnachfolge.A Der Arzt muss gem Art 5 lit a RL in zumutbarer Weise dafür sorgen, dass standeswidrige Information durch

Dritte, insb durch Medien, unterbleibt. Ärzte bleiben daher trotz Überbindung der Einhaltung der RL zB aneinen Werbedienstleister oder Webdesigner standesrechtlich verantwortlich.16)

2. Fallbeispiele – Website17)

Bei der Beurteilung eines Internetauftritts ist auf den Gesamtzusammenhang und das Gesamtbild abzustel-len.18) Bild und Text sind in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.19)A Webdesign:

& nicht „reißerisch“ bzw marktschreierisch (zB mittels Leuchtschrift, blinkender Reklame etc),& sachlich und angemessen, zumal der Gesamteindruck zählt.

A Darstellung des Arztes:& Selbstdarstellung zulässig (Werdegang, besondere Qualifikationen etc),& keine Übertreibungen,& keine Kumulierung von Superlativen (medizinische Exklusivität),20)& Vorsicht bei nicht medizinischen Informationen zB über Promi-Patienten (möglicherweise unsachlich

iSd Art 2 RL).A Darstellung der Ordination:

& Adresse und Öffnungszeiten unproblematisch,& Darstellung der Lage/Räumlichkeiten und deren Vorzüge (zB Ausblick) nicht in den Vordergrund der

Präsentation stellen (Gefahr verbotener unsachlicher Information),21)

8) Vgl § 53 Abs 3 ÄrzteG.9) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 17. 9. 2001, Ds 5/2001 RdM 2003/17.

10) OGH 9. 11. 2010, 4 Ob 169/10x.11) OGH 20. 1. 2009, 4 Ob 199/08 f RdM-LS 2009/49.12) Vgl Werberichtlinie der Österreichischen Zahnärztekammer idF vom 5./6. 6. 2009. Diese Werberichtlinie wurde durch die Werberichtlinie der Öster-

reichischen Zahnärztekammer idF vom 4. 12. 2009 novelliert, wobei die Novelle seit 22. 12. 2009 in Kraft ist.13) OGH 20. 6. 2006, 4 Ob 88/06d RdM 2007/58 = MR 2006, 324, Botoxbehandlung. Ebenso schon OGH 8. 2. 2005, 4 Ob 258/04 a MR 2005, 392

und 20. 1. 2009, 4 Ob 199/08 f wbl 2009/140, Zahn-Oase.14) Dazu ausführlich Karollus, RdM 2006/2.15) Siehe aber Thiele, RdM 2003/33.16) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 5. 12. 2000, Ds 5/2000 RdM 2001, 157.17) Im Folgenden wurden nur jene Beschränkungen für Websites berücksichtigt, die sich aus der RL ergeben; die zahnarztspezifischen Beschränkungen

wurden dagegen nicht berücksichtigt.18) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 7. 11. 2000, Ds 2/2000 RdM 2001/11, Werbung auf Website.19) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMFG 6. 12. 2004, Ds 14/2004 RdM 2005/44, Beinverschönerung.20) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 23. 4. 2001, Ds 1/2001 RdM 2003/103; ders beim BMG 16. 3. 2009, Ds 6/2008 RdM 2010/183.21) OGH 20. 6. 2006, 4 Ob 88/06d RdM 2007/58 = MR 2006, 324, Botoxbehandlung.

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A& sachliche Information über medizinische bzw technische Geräte, die in der Ordination verwendet wer-

den, zulässig.22)A Verwendung von Patientenfotos:

& Patientenfotos nur mit gegenüber dem Arzt abgegebener Zustimmung,& Verwendung nur in sachlicher, nicht-marktschreierischer Weise,& keine Erweckung unrichtiger Eindrücke oder falscher Erwartungen,23)& Zurückhaltung bei der Verwendung von Fotos „prominenter“ Patienten,& Vorher-Nachher-Fotos regelmäßig zulässig, wenn sie der Patienteninformation dienen.

A Gästebücher und Erfahrungsberichte von Patienten:& Vorsicht vor standeswidriger Werbung durch Dritte (zB „Lobeshymnen“ von Patienten),& Inhalte von Gästebucheinträgen regelmäßig prüfen, um Haftung als Host-Provider zu vermeiden.

A Kein Bewerben von Arzneimitteln oder Arzneimittelherstellern.

Zur Verjährung des VerwendungsanspruchsDer Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB ver-jährt auch im urheberrechtlichen Zusammenhangerst nach 30 Jahren. Die kurze Verjährungsfrist des§ 1486 Z 1 ABGB ist nicht anwendbar.

Aus der Begründung:Es bildet nach Ansicht des erk Sen (…) keinen Wer-tungswiderspruch, den Anspruch auf angemessenesEntgelt nach § 86 UrhG entsprechend § 90 Abs 1UrhG nach drei Jahren als verjährt anzusehen, man-gels urheberrechtlicher Ansprüche nach § 1041ABGB zu beurteilende Verwendungsansprüche hin-

gegen erst nach 30 Jahren verjähren zu lassen. Die Re-gelungen des UrhG sehen für die Ansprüche desSchöpfers bestimmter Leistungen von den allgemei-nen Regeln des bürgerlichen Rechts abweichende Be-stimmungen vor, die in ihrer Gesamtheit ein Systembilden. Das Herausgreifen einzelner Bestandteile die-ses Systems – hier etwa die besondere Verjährungsbe-stimmung des § 90 Abs 1 UrhG – und deren (wer-tende) Gegenüberstellung mit einzelnen Bestimmun-gen des allgemeinen bürgerlichen Rechts ist dahernicht zulässig.

Kumulation von SuperlativenDurch Kumulation von Superlativen kann Werbungeine Alleinstellungswerbung darstellen; jedenfalls abereine Werbung mit der Zugehörigkeit zu einer Spit-zengruppe. Mögen auch einzelne Aussagen im Zu-sammenhang mit „Top-Qualität“ oder „Spitzentech-nologie“ vom Verkehr nicht wörtlich aufgefasst wer-den, so erwecken sie doch bei den angesprochenenVerkehrskreisen die Vorstellung, dass die angepriese-nen Fenster von überdurchschnittlicher, ja sogar erst-klassiger Qualität seien.

Die Parteien vertreiben Fenster mit derselben Bezeich-nung. Die Bekl bewarb ihre Fenster mit Superlativenwie „Top-Qualität“; „Ein Produkt von höchster Quali-tät“; „Immer am neuesten Stand der Technik“; „BesteIsolierung und Dichtheit“; „Spitzentechnologie mini-miert den Wärmeverlust“; „Optimale Dämmergebnisse“;„Optimale Fenstertechnik“; „Optimale Dichtheit“; „Per-fekte Isolierung“; „Nach den neuesten technischen For-schungsergebnissen entwickelt und gebaut“.

Während das ErstG und das RekG dem Antragauf EV nur bezüglich „Beste Isolierung“, „OptimaleDämmergebnisse“ sowie „Perfekte Isolierung“ Folge ga-

ben, erließ das Höchstgericht die EV antragsgemäß be-züglich aller Superlativaussagen der Bekl und führteaus, dass die Bekl bezüglich der Eigenschaften nicht ein-mal bescheinigen konnte, dass ihre Fenster von über-durchschnittlicher oder gar erstklassiger Qualität wären.

Anmerkung:Nach stRsp des OGH kann sich ein Unternehmen nurdann allgemeiner Superlative bedienen, wenn es seinerKonkurrenz wirklich nachhaltig überlegen ist, weshalbman in der Beratungspraxis schon bisher bei der Beurtei-lung von Alleinstellungs- oder Spitzengruppenwerbun-gen besonders kritische Rückfragen stellen musste. Darü-ber hinaus können nach gegenständlicher E auch Werbe-aussagen, die für sich gesehen von den beteiligten Ver-kehrskreisen als marktschreierisch nicht wörtlichaufgefasst würden, im Gesamtzusammenhang mit an-deren Werbeaussagen im Kern ernst genommen werden,was sie unlauter machen kann.

Bernhard TonningerDr. Bernhard Tonninger ist Rechtsanwalt bei Tonninger Schermaier RieglerMaierhofer, Wien.

RECHTSPRECHUNG

22) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 7. 11. 2000, Ds 2/2000 RdM 2001/11, Werbung auf Website.23) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMFG 6. 12. 2004, Ds 14/2004 RdM 2005/44, Beinverschönerung.

§§ 1041, 1478 f,1486 Z 1 ABGB

OGH 5. 10. 2010,4 Ob 117/10z

2011/139

§ 2 UWG

OGH 9. 11. 2010,4 Ob 111/10 t– A-Fenster –

2011/140

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-

GÜTERRECHT

342 ecolex 2011

Page 65: ecolex 4/2011

Keine Irreführung über KapitalgarantenEnthält die Werbung für ein Finanzprodukt mit Ka-pitalgarantie, Risikolosigkeit etc keinerlei Hinweis aufdie Identität des Garanten, ist sie von vornhereinnicht geeignet, falsche Vorstellungen über das in die-sem Fall beanstandete Verhältnis zwischen dem Emit-tenten des Finanzprodukts und dem davon verschie-denen Garanten hervorzurufen.

Die Bekl bewarb ein Finanzprodukt mit Kapitalgaran-tie. Garantin war die Muttergesellschaft der Emittentin.In der Werbung wurde zwar die Kapitalgarantie er-wähnt, zur Person der Garantin aber keinerlei Angabegemacht. Der Kl sah in dieser Werbung eine Irreführungüber das Risiko eines Kapitalverlusts, da nicht offengelegtwurde, dass Garantin und Emittentin konzernrechtlichverflochten sind bzw der Eindruck entstehen könne, dieEmittentin gewähre selbst die Garantie. Das BerG wiesdie Klage ab. Der OGH bestätigte.

Aus der Begründung:Enthält die Werbung für ein Finanzprodukt mit Ka-pitalgarantie, Risikolosigkeit etc keinerlei Hinweis aufdie Identität des Garanten, ist sie von vornhereinnicht geeignet, falsche Vorstellungen über das in die-sem Fall beanstandete Verhältnis zwischen dem Emit-tenten des Finanzprodukts und dem davon verschie-denen Garanten hervorzurufen. (. . .)

Die beanstandete Werbebroschüre weist deutlichund ausdrücklich auf die Person der Emittentin hinund nennt deren (zum damaligen Zeitpunkt) als völ-lig unproblematisch angesehene Bonität (Rating).Dies bedeutet eine Information der Anleger überdas Insolvenzrisiko der Emittentin. Dass dieses Ra-ting falsch gewesen wäre, behauptet der Kl nicht.Da nach den getroffenen Feststellungen das offenge-legte Bonitätsrisiko (zum damaligen Zeitpunkt) vonbloß theoretischer, vernachlässigbarer Natur war, be-stand zwischen der in der Werbebroschüre beworbe-nen Sicherheit des Finanzprodukts und den tatsächli-chen Verhältnissen (zu diesem Zeitpunkt) kein Wi-derspruch. Der für die Beurteilung der Richtigkeit ei-ner Werbeankündigung maßgebende Zeitpunkt istjener, in dem sie gemacht wurde.

Anmerkung:Mit der Finanzkrise und den dadurch verursachten er-höhten Zahlungsausfällen bei Anlageprodukten stiegdie Anzahl der Klagen wegen angeblich irreführenderWerbung für solche Produkte. Hauptthema war, ob Ver-brauchern eine Sicherheit der Veranlagung vorgetäuschtwurde, welche die Produkte tatsächlich nicht hatten. DieSicherheit eines Finanzprodukts ist neben der Renditewohl der entscheidende Faktor für die Kaufentscheidung.

Die wettbewerbliche Relevanz von Werbung mit der An-lagesicherheit ist deshalb ohne jeden Zweifel gegeben.

Um die Sicherheit eines Produkts zu erhöhen, wirdhäufig eine Kapitalgarantie gewährt. Dabei kann derGarant identisch mit dem Emittenten sein, zum selbenKonzern gehören oder auch ein völlig unabhängigerDritter sein. Tendenziell erhöht sich für den Kundendie Sicherheit, wenn keine wirtschaftliche Verbindungzwischen Emittenten und Garanten besteht, da er inden Genuss eines zusätzlichen Haftungsfonds gelangt.Unrichtige Vorstellungen über die Person des Garantenkönnen somit ebenfalls wettbewerblich relevant sein.

Gefährlich ist Werbung mit Kapitalgarantien va des-halb, da der Durchschnittsverbraucher nur sehr vageVorstellungen über die Struktur des Finanzproduktsund der Garantie hat. Für viele Verbraucher ist eine„Kapitalgarantie“ gleichbedeutend mit dem Ausschlussjeglichen Verlustrisikos, vergleichbar zB mit der staatli-chen Einlagensicherung bei Sparbüchern. Über ein In-solvenzrisiko des Emittenten oder eines – mehr oder we-niger unabhängigen – Garanten haben viele Verbrau-cher gar keine Vorstellung. Viele Anleger wurden durchdie Finanzkrise eines Besseren belehrt.

Es erscheint deshalb fraglich, ob diese E tatsächlichden Kern des Problems trifft. Eine Werbeangabe, dieden Eindruck erweckt, eine Kapitalgarantie schützevor jeglichem Verlust des angelegten Vermögens, täuschtüber das nicht vermeidbare Insolvenzrisiko von Emittentund/oder Garant und ist irreführend. Ob der Anlegeraußerdem noch falsche Vorstellungen über die Persondes Garanten hatte, ist in einem solchen Fall nicht mehrentscheidend.

Auch wenn auf dieses Risiko ausreichend deutlichhingewiesen wird, so kann sich dennoch eine Irreführungaus unzutreffenden Angaben über die Person des Garan-ten und die damit verbundene Höhe des Risikos einesTotalausfalls ergeben. Nach dem hier wiedergegebenenLeitsatz wäre es für Anbieter von Finanzprodukten si-cherer, grds keine Angabe zur Person des Garanten zumachen. Dies halte ich in dieser Allgemeinheit für unzu-treffend. Gerade wenn ein konzerninterner Garantwirtschaftlich kein Plus an Sicherheit bringt, kann einefehlende Angabe über die Identität des Garanten irre-führend sein. Um Verbrauchern informierte Entschei-dungen zu ermöglichen, sollte möglichst vollständig überein Produkt informiert werden. Voraussetzung ist natür-lich, dass die gewährten Informationen für den Durch-schnittsverbraucher auch verständlich sind, was für denGestalter der Werbung keine leichte Aufgabe darstellt.

Michael Horak

RA Dr.Michael Horak, LL.M. (LSE), ist Partner bei Salomonowitz HorakRechtsanwälte, Wien.

Prüfpflichten von WerbepartnernFür ein wettbewerbswidriges Verhalten eines anderenhat jeder einzustehen, der den Wettbewerbsverstoßdurch sein eigenes Verhalten fördert oder überhaupterst ermöglicht hat. Gehilfe ist jedoch nur, wer denTäter bewusst fördert. Der Gehilfe muss den Sachver-

halt kennen, der den Vorwurf gesetzwidrigen Verhal-tens begründet, oder zumindest eine diesbezüglichePrüfpflicht verletzt haben. Seine Kenntnis, dass dasVerhalten gesetzwidrig ist, ist keine Voraussetzungwettbewerbswidrigen Handelns.

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-GÜTERRECHT

ecolex 2011 343

§ 2 UWG

OGH15. 12. 2010,4 Ob 176/10a– 100% Kapital-garantie –

2011/141

§§ 1, 14 UWG;§ 11 TabakG

OGH 5. 10. 2010,4 Ob 159/10a– Camelbase II –

2011/142

Page 66: ecolex 4/2011

Die Bekl führte Aufträge zur Bewerbung der Bezeich-nung „Camelbase“ im Auftrag eines Zigarettenherstellersund des von diesem beauftragten Werbeunternehmensaus. Das RekG verbot der Bekl mittels EV, Werbungfür Tabakerzeugnisse (insb der Marke „Camel“), in-dem sie einen Internetdienst unter der Bezeichnungwww.camelbase.at betreut, zu organisieren und Event-promotionaktivitäten durchzuführen. Strittig war dieHaftung der Bekl als Gehilfin für die vom Zigaretten-hersteller und seinem Werbeunternehmen begangenenWettbewerbsverstöße.

Aus der Begründung:Für ein wettbewerbswidriges Verhalten eines anderenhat jeder einzustehen, der den Wettbewerbsverstoßdurch sein eigenes Verhalten fördert oder überhaupterst ermöglicht hat. Das Handeln eines selbständigenUnternehmers im (entgeltlichen) Auftrag eines ande-ren schließt seine wettbewerbsrechtliche Haftung alsGehilfe für Handlungen des auftraggebenden Störersgrds nicht aus.

Gehilfe ist jedoch nur, wer den Täter bewusst för-dert. Der Gehilfe muss den Sachverhalt kennen, derden Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens begründet,oder zumindest eine diesbezügliche Prüfpflicht ver-letzt haben. Seine Kenntnis, dass das Verhalten ge-setzwidrig ist, ist keine Voraussetzung wettbewerbs-widrigen Handelns. Der Kenntnis der Tatumständekommt ein vorwerfbares Nichtkennen gleich. DiePrüfpflicht ist nach der Rsp auf grobe und auffälligeWettbewerbsverstöße beschränkt. (. . .)

Aufgrund der Offenkundigkeit des Verstoßes ge-gen das Tabakwerbeverbot durch jene Tätigkeiten,an denen die Bekl mitwirkte bzw die sie förderte,kann sie sich von vornherein nicht darauf berufen,sie habe von den die Gesetzwidrigkeit begründendenTatumständen keine Kenntnis gehabt und eine allfäl-lige Prüfpflicht wäre auf grobe und auffällige Wettbe-werbsverstöße beschränkt. Das Vertrauen auf dasVorliegen eines Ausnahmetatbestands ohne konkreteAnhaltspunkte oder vorangegangene eigene Prüfung– beides behauptet die Bekl nicht einmal – genügtnicht.

Anmerkung:Die Unzulässigkeit der „Camelbase-Werbung“ nachdem TabakG und des daraus resultierenden unlauterenRechtsbruchs war bereits Gegenstand der E OGH23. 2. 2010, 4 Ob 14/10b, Camelbase-Events, ÖBl2010, 224. Im dortigen Verfahren war Bekl das Werbe-unternehmen, das die Werbung inhaltlich entwarf. Imhier besprochenen Parallelverfahren war Bekl die Auf-tragnehmerin dieses Werbeunternehmens, die ihre Wer-bekonzepte technisch umsetzte, ohne auf die inhaltlicheGestaltung Einfluss zu nehmen. Das ErstG wies dieEV ab, da die Rechtsverletzung für die Bekl nicht offen-sichtlich war. Das RekG erließ die beantragte EV. DerOGH wies den RevRekurs zurück.

An Wettbewerbsverstößen sind häufig mehrere Un-ternehmen oder Personen mit verschiedenen Beitrags-handlungen beteiligt. Einem Kl eröffnet dies grds einbreites Spektrum an potenziellen Bekl. Insb wenn der ei-gentlich Werbende und Hauptverantwortliche im Aus-

OBl-SEMINAR201117.

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WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-

GÜTERRECHT

344 ecolex 2011

Page 67: ecolex 4/2011

land niedergelassen ist, kann es vorteilhaft sein, gegen in-ländische Vertriebspartner oder Werbeunternehmen vor-zugehen, da es idR genügt, ein Glied der (Vertriebs-)Kette zu unterbrechen, um einen Verstoß abzustellen.Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob tatsächlich jeder,der irgendwie entfernt an einem Verstoß beteiligt ist, da-für haften soll, da dies nicht zuletzt schnell zu beträcht-lichen Kostenersatzpflichten führen kann.

Der Unterlassungsanspruch, dem im gewerblichenRechtsschutz die größte Bedeutung zukommt, ist grds ver-schuldensunabhängig. Demnach würde bereits jeder nochso kleine kausale Tatbeitrag zur Haftung eines Gehilfenführen. Dies erscheint unbillig, weshalb zB die Verant-wortung eines Zeitungsvertriebsunternehmens (OGH12. 2. 1991, 4 Ob 1/91, Einstandsgeschenk, ÖBl1991, 101) abgelehnt wurde, da dieses keine Kenntnisvon den wesentlichen Umständen des Verstoßes hatteund eine Prüfungspflicht mit dem Wesen des Zeitungs-vertriebs nicht vereinbar und unzumutbar ist. Die Rspbeschränkt die Haftung auf bewusste Rechtsverletzungen,bei denen der Gehilfe Kenntnis von den wesentlichenTatumständen hatte bzw schuldhaft nicht hatte. Im Er-gebnis führt dies zu einer Haftung für (grob) fahrlässigesVerhalten (Kodek/Leupold in Wiebe/G. Kodek, UWG§ 14 Rz 13). Diese Haftungsbeschränkungen setzen be-reits bei der fehlenden Kenntnis des Sachverhalts ein.

Darüber hinaus schließt der OGH bereits seit länge-rem die Haftung auch dann aus, wenn ein eigenverant-wortlich handelnder Dritter willentlich und adäquatkausal in irgendeiner Weise an der Herbeiführung einerRechtsverletzung mitgewirkt hat. Als Störer haften viel-mehr nur Dritte, die gegen eine sie treffende Pflichtzur Prüfung auf mögliche (vgl für Pressevertriebsunter-nehmen: OGH 18. 1. 2000, 4 Ob 316/99w, Format-Schecks, ÖBl 2000, 216) oder offenkundige, auch für ei-nen juristischen Laien erkennbare Rechtsverletzungenverstoßen haben (vgl für Domain-Vergabestelle: OGH13. 9. 2000, 4 Ob 166/06 s, fpo.at; für Suchmaschi-nenbetreiber: OGH 19. 12. 2005, 4 Ob 194/05 s,

Google). Bei letzteren Fällen kann es sich nur um dieFrage nach dem Vorliegen eines entschuldbaren Rechts-irrtums handeln. Für die Kenntnis des Sachverhalts istes nicht von Bedeutung, ob jemand Jurist oder Laie ist,sondern nur für die darauf aufbauende rechtliche Wür-digung.

Im konkreten Fall wurde bezüglich des Unterneh-mens, das die Camelbase-Werbung technisch durch-führte und die Werbesujets natürlich inhaltlich kannte,angenommen, dass ihm ein Verstoß gegen das Tabakwer-beverbot bekannt war bzw es eine Prüfung auf das Vor-liegen allfälliger Ausnahmen hätte vornehmen müssen.Dies dürfte in der Praxis kaum durchführbar sein. Eineumfassende rechtliche Prüfung kann vom Werbendenund allenfalls seiner Werbeagentur erwartet werden. An-deren beteiligten Personen, die Werbung nur technischverbreiten oder umsetzen (zB Grafiker, Promotoren,Druckereien etc), auf ihren Inhalt aber keinen Einflusshaben, ist eine rechtliche Prüfung in jedem Einzelfallnicht zumutbar und wirtschaftlich in den meisten Fällenschlicht unmöglich. Auch bei der Beurteilung der Haf-tung eines Zeitungsvertriebsunternehmens oder der Do-main-Vergabestelle spielten wirtschaftliche Überlegun-gen bei der Zumutbarkeit von Prüfungen im Einzelfallzu Recht eine Rolle.

Für die Praxis lässt sich leider keine klare Grenze zie-hen, wer neben dem Werbenden als unmittelbarem Tä-ter für mehr oder weniger entfernte Beitragshandlungenhaften soll. Als Faustregel kann allenfalls gelten, dass eineautomatisierte, massenweise und anonyme Bearbeitungeher von der Haftung befreien kann als persönlicherKundenkontakt. Jedem, der an Werbung und ihrer Ver-breitung in irgendeiner Form beteiligt ist, kann aber nurgrößte Vorsicht angeraten werden. Wer aufgrund seinerwirtschaftlichen Stärke dazu in der Lage ist, sollte unbe-dingt seinem Auftraggeber vertraglich die Schad- undKlagloshaltung auferlegen.

Michael Horak(als BV am Verfahren beteiligt)

EuGH-Vorlageverfahren zum Verletzungsgerichtsstand beiMarkenverletzung im Internet1. Ist die Formulierung „Ort, an dem das schädigendeEreignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ inArt 5 Nr 3 der VO (EG) 2001/44 (Brüssel I-VO)bei einem behaupteten Eingriff einer in einem ande-ren MS ansässigen Person in eine Marke des Gerichts-staats durch Verwendung eines mit dieser Markeidentischen Schlüsselworts (AdWord) in einer Inter-net-Suchmaschine, die ihre Leistungen unter ver-schiedenen länderspezifischen Top-Level-Domainsanbietet, dahin auszulegen,

1.1. dass die Zuständigkeit nur dann begründetist, wenn das Schlüsselwort auf jener Suchmaschi-nen-Website verwendet wird, deren Top-Level-Do-main jene des Gerichtsstaats ist;

1.2. dass die Zuständigkeit allein dadurch begrün-det ist, dass jene Website der Suchmaschine, auf derdas Schlüsselwort verwendet wird, im Gerichtsstaatabgerufen werden kann;

1.3. dass die Zuständigkeit davon abhängt, dassneben der Abrufbarkeit der Website weitere Erforder-nisse erfüllt sein müssen?

2. Wenn Frage 1.3. bejaht wird: Nach welchenKriterien ist zu bestimmen, ob bei Verwendung einerMarke des Gerichtsstaats als AdWord auf einer Such-maschinen-Website mit einer anderen länderspezifi-schen Top-Level-Domain als jener des Gerichtsstaatsdie Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO be-gründet ist?

Anmerkung:In einem Verfahren betreffend Keyword-Advertising(AdWord) strebt der OGH die Klärung der Rechtsfragean, wo eine Markenrechtsverletzung stattfindet, wenndie Benutzung einer fremden Marke im Internet erfolgt.Dazu sind bereits zwei Vorabentscheidungsverfahrenbeim EuGH anhängig (verb Rs C-509/09 und C-161/10 betreffend Persönlichkeitsverletzungen).

In der E BOSS-Zigaretten I (OGH 29. 5. 2001,4 Ob 110/01g ecolex 2001/318 [G. Schönherr]) hatteder OGH für einen Markeneingriff in Österreich daraufabgestellt, dass die Website (auch) auf Österreich ausge-

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-GÜTERRECHT

ecolex 2011 345

Art 5 Nr 3 VO(EG) 2001/44(Brüssel I-VO)

OGH 5. 10. 2010,17 Ob 8/10 s(EuGHC-523/10)– Wintersteiger –

2011/143

Page 68: ecolex 4/2011

WETTBEWERBS-UND IMMATERIAL-

GÜTERRECHT

346 ecolex 2011

ARBEITSRECHTGELEITET VON

W. MAZAL

richtet ist. Dies gelte auch dann, wenn die Domain imAusland registriert ist, weil der Inlandsbezug bereits da-durch hergestellt wird, dass die Website von einem Inter-netzugang in Österreich aus angewählt werden kann.

Der OGH hatte jedoch offen gelassen, ob die bloßeAufrufbarkeit einer Website in Österreich für einenMarkeneingriff in Österreich ausreicht. In diesem Zu-sammenhang ist die WIPO Joint Recommendation Con-cerning Provisions on the Protection of Marks, andOther Industrial Property Rights in Signs, on the Inter-net (Doc 845[E]),1) ebenfalls aus dem Jahr 2001, zu er-wähnen. Nach dieser Empfehlung soll sich eine Benut-zung nur dann auf einen Staat beziehen, wenn die Be-nutzung in diesem Staat kommerzielle Auswirkungen

hat (Art 2); das Dokument enthält in der Folge(Art 3) eine Reihe von Faktoren für die Beurteilungkommerzieller Auswirkungen.

Eigentlich ist es bemerkenswert, dass die weitere Klä-rung dieser Frage erst im Jahr 2010 notwendig wurde(und andererseits nunmehr gleichzeitig mehrere Vor-abentscheidungsverfahren anhängig sind), obwohl dasInternet inzwischen bereits seit vielen Jahren umfassendfür Werbung für Waren und Dienstleistungen verwen-det wird.

Christian Schumacher

Haustiere im ArbeitsrechtTiere sind gem § 285a ABGB zwar keine Sachen, die für Sachen geltenden Vorschriften sindauf sie aber insoweit anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen. Obwohl dasArbeitsrecht keine derartigen Sondervorschriften enthält, erscheint die undifferenzierteAnwendung sachenrechtlicher Bestimmungen auf sämtliche arbeitsrechtlicheProblemstellungen, die iZm Tieren auftreten können, inadäquat. Der Beitrag versucht, diewichtigsten Fragestellungen anzureißen.

ANDREAS GERHARTL

A. Mitnahme von Tieren auf denArbeitsplatz

1. Interessenabwägung

Die Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungender Arbeitnehmer dazu berechtigt ist, (s)ein Haustierauf den Arbeitsplatz mitzunehmen, ist mE unter demFokus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu lösen.1)Aufgrund der auch durch die Rechtsordnung insbdurch das Verbot der Tierquälerei geschützten, emo-tionalen Beziehung zwischen Mensch und Haustierist dabei mE auch das Persönlichkeitsrecht des Arbeit-nehmers zu berücksichtigen.2) Wie der OGH betont,schützt die Fürsorgepflicht die Persönlichkeitsrechtedes Arbeitnehmers nicht nur punktuell, sondern inihren diversen Ausstrahlungen schlechthin.3) Diezur Rechtfertigung eines Verbots erforderlichen Ar-beitgeber-Interessen müssen daher umso gewichtigersein, je intensiver ein Verbot daher in die Persönlich-keit des Arbeitnehmers eingreift.4) Im Ergebnis ist da-her eine Interessenabwägung durchzuführen.5) Dabeisind insb die potenzielle Gefährdung (für Sachen und/oder Menschen), die durch die Mitnahme des Tiereshervorgerufen würde,6) und der Umstand, inwieweitder Arbeitnehmer durch die Mitnahme des Tieresbei der Erbringung seiner Arbeitsleistung eingeschränktwürde, zu berücksichtigen.

Das Ergebnis der Interessenabwägung hängt so-mit maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls(insb von Art, Größe und Erziehung des Tieres sowieder konkreten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes) ab.So kann der Arbeitgeber aufgrund der mit diesen

Tieren einhergehenden überdurchschnittlichen Gefah-rengeneigtheit mE etwa das Mitbringen einer Riesen-schlange oder eines Kampfhundes auch bei Treffender verkehrsüblichen Schutzvorkehrungen (Maul-korb, Käfig) ohne Weiteres untersagen. Gleiches giltmE bei konkreten Gefährdungssituationen (zB unterTierallergien leidende Arbeitskollegen) oder bei In-kompatibilität mit den am Arbeitsplatz zu beachten-den Hygienevorschriften (zB Tiere in einer Küche).Die (durch Studien nachgewiesenen) positiven Effekteder Mitnahme von Tieren auf den Arbeitsplatz (ange-nehmeres Betriebsklima, Hebung der Stimmung, Ab-

1) Abrufbar unter www.wipo.int/about-ip/en/development_iplaw/

Dr. Andreas Gerhartl ist Mitarbeiter des Büros der Landesgeschäftsführungbeim AMS Niederösterreich.1) Vgl dazu Pačić, Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Lichte der

Rechtsprechung, ZAS 2010, 144 (150 ff) mwN.2) Vgl insbes § 5 TSchG, § 220 a, 222 StGB; Methling/Unshelm (Hrsg),

Umwelt- und tiergerechte Haltung 519 mwN; Götschel/Bollinger, Aus-wirkungen der neuen Rechtsstellung von Tieren auf das Mietrecht,Zeitschrift für schweizerisches Mietrecht 2003, 91.

3) OGH 17. 3. 2004, 9 ObA 143/03 z. Vgl zur Differenzierung zwi-schen identitätsstiftenden und schlichten Persönlichkeitsrechten Gra-benwarter, EMRK3 195; Frowein in Frowein/Peukert, EMRK2 Art 8Rz 7.

4) Gerhartl, Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis 27 ff; Felten, Ar-beitsrechtlicher Schutz für Raucher? ZAS 2009, 204 (204 ff) mwN.

5) Posch in Schwimann, ABGB I5 § 16 Rz 3; Aicher in Rummel, ABGB I3

§ 16 Rz 10; Schnorr, Arbeitsvertragliche Pflichten und Persönlich-keitsschutz, in FS Strasser 108.

6) Dazu gehört mE auch die Verschmutzungsgefahr und/oder die Lärm-belästigung.

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bau von Stress)7) können an diesem Ergebnis mEnichts ändern. Auch ein besonderes (allenfalls bloßtemporäres) Interesse an der Mitnahme des Tieres istzu berücksichtigen (zB das Bedürfnis eines blindenArbeitnehmers einen Blindenhund an den Arbeits-platz mitzubringen).8)

Da die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer die Mit-nahme des Haustiers an den Arbeitsplatz zu untersa-gen, und das Treffen von Vorkehrungen für einen all-fälligen Schadensfall9) voraussetzt, dass der Arbeitge-ber von dieser Absicht Kenntnis hat, trifft den Arbeit-nehmer mE im Normalfall die Verpflichtung, denArbeitgeber von der beabsichtigten Mitnahme einesHaustiers auf den Arbeitsplatz zu unterrichten.10)

2. Regelung durch Arbeitsvertrag oderBetriebsvereinbarung

Wird die Mitnahme von Tieren an den Arbeitsplatzim Arbeitsvertrag geregelt (etwa auch durch Verweisauf Richtlinien des Arbeitgebers wie Hausordnungoä), so kann eine derartige Bestimmung nach Maß-gabe des § 879 Abs 1 ABGB bei einem Verstoß gegendie guten Sitten nichtig sein.11) Eine solche Sittenwid-rigkeit kämemE bei Vereinbarung eines absoluten Ver-bots der Mitnahme von Tieren in Betracht, wenn dieInteressenabwägung eindeutig zu Gunsten des Arbeit-nehmers ausfällt, also etwa bei Kleinsttieren, von de-nen keinerlei Gefahr ausgeht und deren Mitnahmean den Arbeitsplatz weder Komplikationen für den Ar-beitgeber mit sich bringt, noch den Arbeitnehmer inder Erbringung seiner Arbeitsleistung einschränkt.12)

Die Zulässigkeit der Mitnahme von Tieren an denArbeitsplatz kann auch Gegenstand einer BetrV iSd§ 97 Abs 1 Z 1 ArbVG sein.13) Fraglich ist aber, obdies auch für Regelung der näheren Modalitäten derBetreuung bzw Beaufsichtigung des mitgebrachtenTieres durch den Arbeitnehmer gilt (zB Pausenrege-lungen zur Ermöglichung der Betreuung des Tieres,Betreuung des Tieres während der Durchführungder vertraglich geschuldeten Tätigkeit), da in diesemFall nicht nur das Verhalten des Arbeitnehmers im Be-trieb, sondern auch die Erbringung der Arbeitsleistungreglementiert wird.14) Unproblematisch wäre dem-nach bspw eine BetrV, die bloß regelt, wo an den Ar-beitsplatz mitgebrachte Tiere abzugeben bzw aufzu-bewahren sind (zB Zurverfügungstellung einer Be-treuungsperson durch den Arbeitgeber, Einrichtungvon Räumlichkeiten, an denen die Tiere unterge-bracht werden können).

3. Aufwendungen des Arbeitgebers

Die Mitnahme eines Haustiers an den Arbeitsplatzsetzt voraus, dass dies faktisch möglich ist (also die be-nötigten Unterbringungsmöglichkeiten am Arbeits-platz zur Verfügung stehen). Ob der Arbeitgeber ver-pflichtet ist, derartige Möglichkeiten zur Verfügungzu stellen, hängt mE ebenfalls von einer im Einzelfalldurchzuführenden Interessenabwägung ab. So wirdder Arbeitnehmer etwa berechtigt sein, leerstehendeRäumlichkeiten, die der Arbeitgeber nicht für andereZwecke benötigt, für die Unterbringung seines anden Arbeitsplatz mitgebrachten Haustieres zu nützen.Der Arbeitgeber ist mE aber idR nicht verpflichtet,

zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaf-fen.15)

B. Freizeit zur Betreuung von Haustieren

1. Zusätzliche Arbeitspausen

Zusätzliche Arbeitspausen sieht das AZG nur bei be-sonders anstrengenden oder gefährlichen Arbeitenvor.16) Ein Recht auf weitere (unbezahlte) Arbeitspau-sen kann sich aber aufgrund der Fürsorgepflicht erge-ben.17) Demnach kann eine Interessenabwägung mEauch einen Anspruch auf zusätzliche Arbeitspausenbegründen, wenn dies zur artgerechten Haltung desan den Arbeitsplatz mitgebrachten Haustieres erfor-derlich ist (zB „Gassigehen“ mit jungem Hund).Ein Anspruch auf Bezahlung der zusätzlichen Arbeits-pausen lässt sich mE aus der Fürsorgepflicht aller-dings nicht ableiten, da die Wertung der zusätzlichenPausen als bezahlte Arbeitszeit zum einen zur Wahr-nehmung der Interessen des Arbeitnehmers nicht er-forderlich ist und da andernfalls eine Privilegierung(Arbeitszeitverkürzung) gegenüber Arbeitnehmernohne Haustiere einträte.18) Der Arbeitgeber kannmE folglich vom Arbeitnehmer auch verlangen, diezusätzlichen (unbezahlten) Pausen aufzuzeichnen.19)

2. Vorliegen einer Dienstverhinderung

§ 8 Abs 8 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB räumendem Arbeitnehmer bei Vorliegen eines aus der Sphäredes Arbeitnehmers stammenden Dienstverhinde-rungsgrunds einen befristeten („für verhältnismäßigkurze Zeit“) Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts

ecolex 2011 347

ARBEITSRECHT

7) Vgl Tiere im Büro: Der Lieblingskollege, FAZ 9. 9. 2006, 52; Göt-schel/Bollinger, Das Tier im Recht 284 ff mwN.

8) Vgl zur Verpflichtung des Arbeitgebers, im Rahmen der Fürsorge-pflicht auch auf besondere Umstände (zB eine Behinderung des Ar-beitnehmers) Rücksicht zu nehmen, OGH 22. 2. 2006, 9 ObA142/05 f RdW 2006/418.

9) Siehe unter C.1.10) Keine derartige Informationspflicht wird allerdings für die kurzfristige

Mitnahme unauffälliger und harmloser Tiere bestehen (zB in der Klei-dung aufbewahrter Hamster).

11) Vgl zur Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes bei der Beurteilung derSittenwidrigkeit Rebhahn/Kietaibl in ZellKomm § 879 ABGBRz 14 ff.

12) Vgl BGH 20. 1. 1993, VIII ZR 10/92, wonach ein pauschales Heim-tierhaltungsverbot in einem Formularmietvertrag eine unangemesseneBenachteiligung des Mieters darstellt und daher unwirksam ist.

13) Reissner in ZellKomm § 97 ArbVG Rz 18.14) Vgl Tomandl, Die Schlichtung von Regelungsstreitigkeiten gem § 97

Abs 2 ArbVG, ZAS 1979, 209; Rauch, Sind Rauch- bzw Alkoholver-bote im Betrieb zulässig? ASoK 2002, 87; Hainz, Die Rechtsstellungvon Rauchern im Arbeitsrecht, in FS Tomandl 109 (125); Binder inTomandl (Hrsg), ArbVG § 97 Rz 11.

15) Anderes könnte mE bei Vorliegen besonderer Situationen (zB Blin-denhund) oder bei einem bloß minimalen Aufwand (zB Schaffungder Möglichkeit, Hunde auf einem bereits vorhandenen Außenstandanzuleinen) gelten.

16) Vgl § 11 Abs 3, 4 und 6, § 21 AZG.17) Felten, ZAS 2009, 210.18) Bezahlte Pausen könnten allerdings (allenfalls auch konkludent) ver-

einbart werden. Vgl zum Problem in Bezug auf Rauchpausen Rauch,Besteht ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Rauchpausen? ASoK2001, 274; ders, Gewohnheitsrecht auf Rauchpausen? ASoK 2003, 2.

19) Die Grenze bildet mE das Schikaneverbot.

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ein. Der Verhinderungsgrund muss nach Recht, Her-kommen oder Sitte wichtig genug sein, um den Arbeit-nehmer berechtigterweise an der Erfüllung seinesArbeitsvertrags zu hindern.20) Unstrittigerweise erfasstdiese Bestimmung (schwere) Erkrankungen naher Fa-milienmitglieder des Arbeitnehmers, deren notwen-dige Pflege seine Anwesenheit unbedingt erforderlichmacht.21) Fraglich ist, ob auch die notwendige Pflegeeines erkrankten Haustiers darunter subsumierbar ist.ME ist dies insb aufgrund der Anerkennung vonTieren als Mitgeschöpfe durch den Gesetzgeber, derVerankerung der besonderen Verantwortung des Men-schen für den Schutz des Wohlbefindens des Tieresund der gesetzlichen Verpflichtung zur Versorgungvon erkrankten oder verletzten Tieren zu bejahen.22)Die den Tierhalter demnach treffenden Verpflichtun-gen sind mE ausreichend, um einen Verhinderungs-grund iSd § 8 Abs 8 AngG bzw § 1154b Abs 5ABGB darstellen zu können.23)

Die (gewöhnliche) Betreuung eines gesundenHaustiers (egal, ob dieses an den Arbeitsplatz mitge-bracht wurde oder nicht) wird mE aus zwei Gründenim Allgemeinen keinen Dienstverhinderungsgrund iSder zitierten Bestimmungen darstellen. Zum einenüberwiegt die Verpflichtung des Arbeitnehmers zurBetreuung eines gesunden Haustiers mE nicht das In-teresse des Arbeitgebers an der Erbringung der Ar-beitsleistung.24) Dies folgt mE aus einem Größen-schluss: Wenn grds nicht einmal die Betreuung eineserkrankten Kleinkinds im Krankenhaus durch die El-tern einen gerechtfertigten Dienstverhinderungs-grund iS der Bestimmungen bildet,25) kann die Be-treuung eines gesunden TieresmE umso weniger einenderartigen Grund abgeben. Zweitens setzt das Beste-hen eines Entgeltanspruchs voraus, dass der Hinde-rungsgrund nicht vom Arbeitnehmer verschuldetwurde. Diese Voraussetzung wird so verstanden, dassein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur besteht,wenn der Arbeitnehmer alle zumutbaren Vorkehrun-gen zur Abwendung des Dienstverhinderungsgrundsgetroffen hat.26) Da die Betreuung eines gesundenHaustiers im Normalfall kein unvorhersehbares undüberraschendes Ereignis darstellt, ist es dem Arbeit-nehmer aber zumutbar, entsprechende Vorkehrungenzur Sicherstellung der Betreuung zu treffen.27)

C. Haftungsfragen

1. Haftung des Arbeitgebers

a) Haftung gegenüber dem ArbeitnehmerDie Fürsorgepflicht beinhaltet auch die Verpflichtungzum Schutz des Vermögens des Arbeitnehmers.28) Sohaftet der Arbeitgeber bei Verletzung seiner Ver-pflichtung zur Sicherung für den Verlust von vom Ar-beitnehmer eingebrachten Gegenständen.29) Übt derArbeitnehmer eine besonders gefahrengeneigte Tätig-keit aus, ist der Arbeitgeber aufgrund der erhöhtenBetriebsgefahr sogar zur Versicherung des Arbeitneh-mereigentums verpflichtet.30)

ME lässt sich daraus jedoch keine Haftung des Ar-beitgebers für Verletzungen oder den Verlust einesvom Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz mitgebrach-ten Tieres ableiten. Es handelt sich eben um keine

Tiere, die zur Erbringung der Arbeitsleistung benötigtwerden, sondern um Tiere, die der Arbeitnehmer ausprivaten Gründen (idR zur Erhöhung seines Wohlbe-findens) an den Arbeitsplatz mitnimmt. Insofernkommt mE der Grundsatz zum Tragen, dass den Ar-beitgeber keine Haftung bzw Ersatzpflicht für durchhöhere Gewalt zerstörtes, privates, am Arbeitsplatzverwendetes Eigentum des Arbeitnehmers trifft.31)Eine allfällige Schadenersatzpflicht des Arbeitgeberstritt daher mE nur nach Maßgabe des allgemeinenSchadenersatzrechts ein.

b) Haftung gegenüber einem geschädigtenDritten

Verursacht das an den Arbeitsplatz mitgebrachte Tiereinen Schaden (zB ein ins Büro mitgebrachter Hundbeißt einen Kunden), so stellt sich die Frage, ob(auch) der Arbeitgeber als Halter des Tieres anzuse-hen ist und dem Geschädigten gegenüber daher iSd§ 1320 Satz 2 ABGB haftet.32) Nach der Rsp ist alsHalter (ua) anzusehen, wer unabhängig von Anord-nungen Dritter darüber zu entscheiden hat, wie dasTier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist. Auf einebestimmte rechtliche Beziehung zum Tier kommt esnicht an, weshalb auch die Eigentumsverhältnisseam Tier nicht für die Haltereigenschaft entscheidendsind.33) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien wirddie Haltereigenschaft des Arbeitgebers mE zu bejahensein, da dieser die Möglichkeit hat, die Mitnahme desTieres an den Arbeitsplatz im Rahmen der durchzu-führenden Interessenabwägung (in die auch die Ge-fährlichkeitsprognose mit einzubeziehen ist) zu unter-sagen bzw im Rahmen der Ausübung des Hausrechts

20) Drs, Sonstige Dienstverhinderungsgründe, in Resch (Hrsg), Fragen derLohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers 39; Ettmayr, Die Risikover-teilung bei Verhinderung aus persönlichen Gründen, DRdA 2007,193; Heinz-Ofner, Andere wichtige Dienstverhinderungsgründe desArbeitnehmers, DRdA 2008, 114; OGH 12. 10. 1988, 9 ObA 227/88 DRdA 1993/7 (Ritzberger-Moser).

21) Drs in ZellKomm § 8 AngG Rz 125 ff mwN.22) Vgl §§ 1, 15 TSchG; Götschel (Hrsg), Recht und Tierschutz: Hinter-

gründe – Aussichten 217.23) Zur Informations- und Nachweispflicht des an der Dienstleistung ver-

hinderten Arbeitnehmers vgl Schima/Schedle, Rechtsfolgen verspäteterRückkehr zur Arbeit, ZAS 2010, 288 (290 f).

24) Vgl zu dieser Interessenabwägung Drs, Sonstige Dienstverhinderun-gen 42.

25) Vgl OGH 24. 11. 1993, 9 ObA 231/93.26) ZB Laminger, Sonstige Dienstverhinderungen von A-Z 37; Lindmayr,

Entgelt ohne Arbeit Rz 269.27) Anderes könnte etwa bei kurzfristiger Übernahme der Betreuung eines

fremden Haustiers gelten; das Vorliegen eines Dienstverhinderungs-grunds würde aber auch in diesem Fall (bereits) am Fehlen eines über-wiegenden Interesses an der Betreuung scheitern.

28) ZB Karner in Mazal/Risak (Hrsg), Das Arbeitsrecht Kap VI Rz 108.29) OGH 12. 10. 1982, 4 Ob 117/82; 5. 5. 2004, 9 ObA 48/04 f;

6. 10. 2005, 8 ObS 17/05 s.30) OGH 8. 2. 1966, 4 Ob 2/66; 11. 6. 1968, 4 Ob 25/68; 30. 5. 1969,

4 Ob 35/69.31) OGH 18. 9. 2003, 8 ObA 81/03 z.32) Die Haltereigenschaft des Arbeitnehmers wird idR unproblematisch

sein. Aufgrund der in § 1320 Satz 2 ABGB enthaltenen Beweislast-umkehr geht diese Haftung mE über die Haftung des Arbeitgebersgem §§ 1313a, 1315 ABGB hinaus.

33) Vrba/Lampelmayer/Wulff-Gegenbaur, Schadenersatz in der Praxis2 KapB.XIII, 3 mN.

ARBEITSRECHT

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ARBEITSRECHT

die Modalitäten der Unterbringung bzw Beaufsichti-gung des Tieres näher zu determinieren.

2. Haftung des Arbeitnehmers

Fraglich ist weiters, ob auf die Haftung des Arbeit-nehmers gegenüber dem Arbeitgeber (entweder fürSchäden, die das mitgebrachte Haustier dem Arbeit-geber verursacht hat oder für Regressansprüche im In-nenverhältnis bei Schädigung eines Dritten durch dasmitgebrachte Haustier) das DHG anzuwenden ist.Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend,ob die zur Schädigung führende Tätigkeit des Arbeit-nehmers (also die mangelnde Verwahrung bzw Beauf-sichtigung des Tieres) als Erbringung der DienstleistungiSd DHG zu werten ist.

Nach der Rsp ist dies wohl zu bejahen, da dem-nach der geforderte Zusammenhang zwischen derSchadenszufügung und der Dienstleistung nicht da-durch aufgehoben wird, dass ein erlaubtes, üblichesoder sozialadäquates Verhalten, das mit der eigentli-chen Dienstleistung nichts zu tun hat, als unmittel-bare Schadensursache anzusehen ist.34) Demnach fälltauch ein Arbeitnehmer, der sich während seinerDienstleistung oder in kurzfristiger Unterbrechungderselben „privaten“ Tätigkeiten widmet (Rauchen,Essen, Trinken, Einnahme von Medikamenten, Auf-suchen des WC, gymnastische Lockerungsübungen,…), weiterhin in den Anwendungsbereich desDHG.35) So wurde die Anwendbarkeit des DHGetwa auch bei Verursachung einer Feuersbrunst durch

Rauchen am Arbeitsplatz bejaht.36) Der OGH führtedazu aus, dass nicht entscheidend sei, ob die konkreteSchadensursache in einem Verhalten liege, das im In-teresse und zum Nutzen des Arbeitgebers gesetztwerde. Vielmehr komme es darauf an, ob zum fragli-chen Zeitpunkt die Haupttätigkeit des Arbeitnehmersder Erfüllung des Dienstvertrags, somit primär dem In-teresse des Arbeitgebers, gewidmet war. Dass der Ar-beitnehmer darüber hinaus zugleich private Interes-sen befriedigt, könne jedenfalls dort nicht schaden,wo dies mit der Dienstleistung grds ohne weiteres ver-einbar sei und das Privatinteresse nicht (für einennicht ganz unerheblichen Zeitraum) eindeutig dieOberhand über das dienstliche Interesse gewinne.

SCHLUSSSTRICH

Im Zusammenhang mit Tieren im Arbeitsrechtstellt sich nicht nur die Frage, ob diese an den Ar-beitsplatz mitgebracht werden dürfen, sondern esergeben sich auch andere Probleme (zB Haftungs-fragen, Recht auf Freistellung zur Pflege eines Tie-res), die bislang noch einer Klärung durch die Ju-dikatur harren.

Neue Kompetenzen der Betriebspartnerim Entgeltbereich

ALEXANDER BURZ

A. Neue BV-Tatbestände in§ 97 Abs 1 Z 16

Mit der ArbVG-Novelle 20101) wurden neue BV-Tatbestände für die Gestaltung von leistungs- und er-folgsbezogenen Entgeltmodellen eingeführt. Damitsoll eine Grenzziehung zwischen der immer noch be-stehenden notwendigen Mitbestimmung des Be-triebsrats bei Akkordlöhnen und akkordähnlichenPrämien und Entgelten2) einerseits und der fortanmöglichen, aber nur fakultativ disponiblen Mitbe-stimmung bei den sonstigen, generell eingeführten,leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgel-ten3) erfolgen. Zur Einschränkung des Vetorechts desBetriebsrats haben sich bereits Winter/Wolf geäu-ßert.4) Der Gesetzgeber hat mit der Novellierungdes § 96 Abs 1 Z 4 offensichtlich auf die E desOGH 9 ObA 144/07b5) reagiert6) und wollte klar-stellen, dass leistungsbezogene Entgeltmodelle, diekeine dem Akkordlohn ähnlichen Eigenschaften auf-weisen, nicht (mehr) der zwingenden Mitbestim-mung unterliegen.

Weiterhin bleibt jedoch zu prüfen, welche zusätz-lichen Entgeltsysteme im Zuge der Novellierung des

§ 97 Abs 1 Z 16 ArbVG durch fakultative BV einge-führt werden können. Die Klärung dieser Frage istdeshalb wichtig, weil ohne Ermächtigung geschlos-sene „Betriebsvereinbarungen“ zwar nichtig sind, ihrInhalt über allgemeine zivilrechtliche Grundsätzeder (konkludenten) Vertragsergänzung als „freieBV“ jedoch Rechtswirkungen entfalten kann. Einekollektive Beendigung derart zustande gekommenerRegelungen ist nach hM7) jedoch nicht möglich.

34) Oberhofer, Das DHG und die Nutzung betrieblicher Einrichtungen,ZAS 1988, 150; OGH 22. 12. 1994, 8 ObA 327/94 DRdA 1995,397 (Dirschmied).

35) Kerschner, DHG2 § 1 Rz 23 mwN; OGH 29. 5. 1991, 9 ObA 70/91.36) OGH 12. 7. 2006, 9 ObA 34/06 z DRdA 2007, 227 (Kerschner) =

ZAS 2007, 129 (Ettmayr).

Mag. Alexander Burz ist Assistent am Institut für Arbeits- und Sozialrechtder Universität Wien.1) BGBl I 2010/101.2) § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG.3) § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG.4) Winter/Wolf, Kein Vetorecht des Betriebsrats bei leistungsbezogenem

Entgelt, ecolex 2010, 1178.5) Vgl OGH 9 ObA 144/07b DRdA 2009, 307 (Jabornegg) = ZAS

2009/23 (Risak) = ZAS 2009/38 (Schrank).6) Vgl Winter/Wolf, Kein Vetorecht 1179.7) Vgl Schrammel in Tomandl/Schrammel, Betriebsvereinbarungen 84 ff,

mit einer differenzierenden Darstellung der Änderungsmöglichkeiten„freier BVen“.

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B. Regelungskompetenz der Betriebs-partner

Voraussetzung für eine gültige Betriebsvereinbarungist die Ermächtigung der Betriebsparteien durch Ge-setz oder Kollektivvertrag. § 29 ArbVG regelt dabeiden Rahmen der Zulässigkeit von BVen. Nur gene-rell-abstrakte Regelungen von Arbeitsbedingungendürfen Inhalt einer BV sein. Maßgeblich ist dabeinicht die Formulierung der Regelung, sondern derenAuswirkung.8)

IZm dem generell-abstrakten Charakter der BV istzu prüfen, ob Entgeltmodelle mit Zielvereinbarun-gen, Performance Management-Konzepte, Aktienop-tionspläne oder Provisionen tatsächlich unter § 97subsumierbar sind. Gerade im Bereich des „Perfor-mance Management“ wurde die individuelle Leis-tungskomponente von einigen Autoren9) iZm der Edes OGH 9 ObA 144/07b hervorgehoben. Ein gene-relles System, das objektive Bewertungsmaßstäbe fürvariable Entgeltteile vorsieht und für eine abstraktumschriebene Gruppe von Arbeitnehmern vorgese-hen ist, kann auf Grundlage von § 97 Abs 1 Z 16 ein-geführt werden. Die Vereinbarung der konkreten,personalisierten Zielvorgaben durch BV macht je-doch weder Sinn, noch kann sie rechtlich zulässigsein. Die bisherige Judikatur war diesbezüglich nichteindeutig. Nach Meinung des OGH genügte schondie Transparenz eines leistungsbezogenen Entgeltsys-tems (anstelle der Objektivität des Bewertungsverfah-rens) für die Mitbestimmungspflicht nach § 96 Abs 1Z 4,10) obwohl für die Berechnung der tatsächlichenEntgelthöhe individuelle Zielvorgaben zwischenge-schaltet wurden11) und außerdem ein nicht zu unter-schätzender Erfolgsbezug gegeben war – die Leistungder AN also mediatisiert wurde. Diese umstrittene Ju-dikatur zur notwendigen Mitbestimmung verleitetein der Praxis zur Einführung intransparenter und will-kürlicher Entgeltformen. Die Rechtsunsicherheitscheint beseitigt zu sein, da der Gesetzgeber mit derEliminierung der „Arbeits-(Persönlichkeits)bewer-tungsverfahren“ aus § 96 Abs 1 Z 4 klargestellt hat,dass Entgeltfindungssysteme, die stark subjektive Ele-mente einfließen lassen, um die Arbeitnehmer zu be-urteilen, nicht mehr mitbestimmungspflichtig sind.

Zudem ergibt sich durch § 97 Abs 1 Z 16 neu,der nur eine Ermächtigung, aber keine Verpflichtungfür den Abschluss einer BV vorsieht, ein wesentlichweiterer Anwendungsbereich für BVen. Nicht nurleistungsbezogene, sondern auch erfolgsbezogene Prä-mien und Entgelte können durch BV geregelt wer-den. Die Regelungskompetenz der Betriebsparteienwurde damit stark aufgewertet. Die Prüfung, welche„sonstigen“ Entgelte darunter fallen, bleibt demRechtsanwender aber auch weiterhin nicht erspart.

Schrank12) vertrat (zur alten Rechtslage), dass diein § 96 Abs 1 Z 4 gemeinten „sonstigen Entgelte“nur als Restmenge zu verstehen seien. Die Wertun-gen, die aus den Begriffen „Prämie“, „Akkordlohn“,„Stück- und Gedingelohn“ abgeleitet werden können,waren sE auch für diese Restmenge relevant. Nachgrammatikalischer und systematischer Auslegungmusste man laut Schrank zum Ergebnis kommen,dass „sonstige leistungsbezogene Prämien“ ein beson-

deres inhaltliches Naheverhältnis zu den Akkord-,Stück- und Gedingelöhnen sowie zu akkordähnlichenPrämien haben müssen.13)

ME war dieses Erfordernis für die alte Rechtslagetatsächlich relevant, die Neuregelung in § 97 kannhier aber extensiver verstanden werden.14) Der Zusatz„soweit diese Prämien nicht unter § 96 Abs 1 Z 4 fal-len“ nimmt explizit eine Abgrenzung zur notwendi-gen Mitbestimmung und ihren Voraussetzungenvor. Auch die von Schrank verlangte Kurzfristigkeitder Entgeltschwankung dürfte für § 97 Abs 1 Z 16kein Kriterium darstellen, weil nach der Neuregelungauch erfolgsbezogene Entgelte umfasst sind.15)

Folgende gängige Entgeltformen können mEdurch BV geregelt werden.& Die Einführung und generelle Ausgestaltung von

ProvisionssystemenSchon Strasser16) hat vertreten, dass ein fakultativerBV-Tatbestand für Provisionssysteme sinnvoll wäre.Bei Provisionen handle es sich zwar, aufgrund ihrerbesonderen Erfolgsbezogenheit, um ein „aliud“ zumLeistungslohn (die Subsumierung unter § 96 schlossdie hL deshalb aus), eine einschlägige kollektivarbeits-rechtliche Regelung hielt er jedoch für sinnvoll.& Zielvereinbarungen/Performance Management-

KonzepteHier muss auf die konkrete Ausgestaltung geachtetwerden. Diese Entgeltmodelle stellen im Regelfallstark auf individuelle Zielvorgaben ab. Nur die Ein-führung und generelle Ausgestaltung, nicht aber dieindividuelle Vereinbarung17) können durch BV gere-gelt werden. Ob Leistung oder Erfolg für das Modellmaßgeblich ist, spielt jedoch keine Rolle mehr.& AktienoptionspläneBisher hat die Frage, ob es sich bei Aktienoptionen umGewinnbeteiligungen iSd § 97 Abs 1 Z 16 alt han-delte, in der Literatur kaum Beachtung gefunden.18)Preiss19) nimmt Beteiligungssysteme am Unterneh-men „ohne Anknüpfung an eine bestimmte Gewinn-beteiligung“ aus dem Anwendungsbereich der Z 16aus. Nachdem es sich bei Aktienoptionen lediglich

8) Vgl Kietaibl in Tomandl (Hrsg), Arbeitsverfassungsgesetz § 29 Rz 5,31.

9) Vgl Risak, Innovative Entlohnungsmodelle, ZAS 2009, 141; Schrank,Jahreszielerreichungsprämien, ZAS 2009, 245.

10) Der OGH folgte hier den Ausführungen Reissners, „Performance Ma-nagement“-Konzepte und betriebliche Mitbestimmung, DRdA 2003,503 ff.

11) Krit Risak, ZAS 2009/23; Schrank, ZAS 2009/38.12) Schrank, Betriebsvereinbarungen über die Leistungsentgelte, in To-

mandl, Probleme des Einsatzes von Betriebsvereinbarungen 80.13) Vgl Schrank, Jahreszielerreichungsprämien 246.14) Vgl auch ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 6.15) Die Arbeit-Entgelt-Relation und damit verbundene (kurzfristige) Ent-

geltschwankungen sind dafür mE für die Ermittlung der Akkordähn-lichkeit nach § 96 Abs 1 Z 4 umso wichtiger geworden.

16) Vgl Strasser, Geltung des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, DRdA 1993, 95.17) Die Frage, wie weit eine auf § 97 Abs 1 Z 16 fußende BV auch kon-

krete Entgelthöhen, Werteinheiten oder Entgeltsätze regeln kann, be-darf noch einer eingehenden Untersuchung.

18) Dehn/Wolf/Zehetner, Aktienoptionsrecht 107 nennen § 97, ohne wei-tere Begründung, als „einschlägigen Betriebsvereinbarungstatbe-stand“.

19) Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht4

§ 97 Erl 22.

ARBEITSRECHT

350 ecolex 2011

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ARBEITSRECHT

um eine Beteiligungsmöglichkeit handelt und dieWertschöpfung für den Arbeitnehmer über die Kurs-entwicklung und den Kapitalmarkt, nicht aber überGewinnkennzahlen erfolgt, handelt es sichmE bei Ak-tienoptionen nicht umGewinnbeteiligungen iSd § 97Abs 1 Z 16. Erst nach Ziehen der Option wird der Ar-beitnehmer (je nach Modell) direkter Aktionär. ImHinblick aufDividenden, die den Eigentümern ausge-schüttet werden, kann dann von einer Gewinnbeteili-gung gesprochen werden. Durch die Novellierung fal-len jetzt jedenfalls auch Aktienoptionen unter die „er-folgsbezogenen Entgelte“ des § 97 Abs 1 Z 16.

C. Weiterführende Gedanken

Noch nicht diskutiert wurde, ob der Verweis in § 97auf § 96 auch den Vorrang des KV vor einer allfälli-gen BV erfasst. Behält man den Schutzgedanken des§ 96 im Auge, der eine mitbestimmungspflichtigeBV nur für den Fall vorsieht, dass kein KV besteht,so wird die Einschränkung wohl entfallen. Einegünstigere BV in Angelegenheiten des § 97 kann alsoauch für den Fall abgeschlossen werden, dass bereitseine Regelung durch KV besteht.

Die Frage, ob vor der Novelle abgeschlossene„freie BVen“, die vermeintlich den Tatbestand des

§ 96 Abs 1 Z 4 erfüllten, deren Inhalt jetzt aber je-denfalls unter § 97 Abs 1 Z 16 fällt, geheilt wurdenund ob demnach eine kollektive Änderung oder Be-endigung20) möglich ist, kann in diesem Kurzbeitragnicht erörtert werden.

SCHLUSSSTRICH

Die ArbVG-Novelle eröffnet eine ganze Palette anMitbestimmungsmöglichkeiten auf Betriebsebeneim Entgeltbereich. Sie führt damit zur Stärkungder Betriebspartner. Das traditionelle Monopolder KV-Parteien in Entgeltfragen wird dadurcheinen Schritt zurückgedrängt, auch wenn dieBV-Parteien weiterhin nur Grundsätze und Ein-führung von leistungs- und erfolgsbezogenen Ent-geltmodellen regeln dürfen. In Zukunft werden„versehentlich“ geschlossene „freie BVen“ weitestge-hend verhindert. Einmal eingeführte Modelle kön-nen in Folge auch kollektiv beendet werden. In derPraxis muss dennoch darauf geachtet werden, obdie gewünschten Regelungen durch die Ermächti-gung in § 97 ArbVG tatsächlich Deckung finden.

RECHTSPRECHUNG

Doppelte Prüfung der Kündigung eines begünstigten Behinderten1. Der Bescheid des Bundessozialamts hat keinen un-mittelbaren Einfluss auf den Fortbestand des Arbeits-verhältnisses, ist aber insoweit konstitutiver Natur, alsdem AG die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündi-gungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage be-gründet wird.

2. Mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung könnenbereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängiggemacht werden. Ist im Zeitpunkt des Ausspruchs deraufschiebendenWirkung durch den VwGH die Kün-digung bereits zugegangen, ist sie daher wirksam ge-worden.

3. Gründet sich der Kündigungsschutz desDienstnehmers auf die Bestimmung eines KV (hier:Kollektivvertrag Post AG), hat das Gericht die Kündi-gungsgründe selbständig zu prüfen, selbst wenn imVerfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündi-gungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde be-jaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grundegelegt wurde.

Das Bundessozialamt stimmte der Kündigung eines be-günstigten Behinderten zu. Fraglich war, ob das Gerichtdarüber hinaus die Kündigungsbeschränkungen des KVzu berücksichtigen hat.

Aus der Begründung:Mit der Zustimmung des Behindertenausschussesbzw (im vorliegenden Fall) der Berufungskommissionwird das im § 8 Abs 2 BEinstG normierte Kündi-gungsverbot aufgehoben. Der Arbeitgeber erhält da-mit konstitutiv die nach den Bestimmungen des Pri-vatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Ar-

beitsverhältnisses zurück. Der Bescheid hat also kei-nen unmittelbaren Einfluss auf den Fortbestand desArbeitsverhältnisses, er ist aber insoweit konstitutiverNatur, als dem Arbeitgeber die Erlaubnis zur Aus-übung seines Kündigungsrechts gegeben und so eineneue Rechtslage begründet wird.

Zunächst ist der Ansicht des ErstG entgegenzutre-ten, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Be-scheidbeschwerde an den VwGH den Eintritt derRechtskraft verhindere. Die „formelle Rechtskraft“,die regelmäßig mit der materiellen Rechtskraft desBescheids (Unwiderrufbarkeit) zusammenfällt (Wal-ter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwal-tungsverfahrensrechts8 Rz 461), bedeutet, dass derBescheid durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehrbekämpft werden kann. Die Möglichkeit, eine Be-schwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtszu erheben, hindert den Eintritt der formellenRechtskraft (= Unanfechtbarkeit) nicht (Walter/Mayer, aaO Rz 454; Antoniolli/Koja, AllgemeinesVerwaltungsrecht3 581 mit jeweils weiteren Zitatenaus Schrifttum und Judikatur). Im vorliegenden Fallist nicht strittig, dass die Zustellung des Bescheidsder Berufungskommission vor dem Ausspruch derKündigung durch die Bekl erfolgt ist, sodass bei Aus-spruch und Zugang der Kündigung ein rechtskräfti-ger Bescheid vorlag.

Zu der vom VwGH gem § 30 Abs 2 VwGG zuer-kannten aufschiebenden Wirkung kann im Wesentli-chen auf die zutreffenden Ausführungen des BerGverwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzendist den Ausführungen in der Revision entgegenzuhal-ten:

ecolex 2011 351

BEARBEITET VONM. WINDISCH-GRAETZ

20) Vgl schon die Rsp zu Änderungs- undWiderrufsvorbehalten in ,,freienBVen ,, OGH 8 ObA 99/04y ZAS 2006/40 (Runggaldier); OGH9 ObA 89/06p DRdA 2009/13 (Drs).

§ 8 Abs 2 BEinstG

OGH22. 12. 2010,9 ObA 42/10 g

2011/144

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Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentli-chen Rechts kommt kraft Gesetzes eine aufschie-bende Wirkung nicht zu (Puck, Die aufschiebendeWirkung bei Beschwerden vor den Gerichtshöfendes öffentlichen Rechts, ZfV 1982/4, 359). Im Rah-men einer Beschwerde an den VwGH kann daher dieaufschiebende Wirkung nur dadurch erzielt werden,dass der VwGH einem darauf gerichteten Antraggem § 30 Abs 2 VwGG stattgibt. Wird der Be-schwerde eines Dritten die aufschiebende Wirkunggegen eine Berechtigung zuerkannt, so darf der Inha-ber der Berechtigung davon keinen Gebrauch mehrmachen (Oberndorfer, Die österreichische Verwal-tungsgerichtsbarkeit 125; Puck, aaO 365). Eine bereitsausgeübte Berechtigung ist allerdings einem Aufschubnicht zugänglich (Puck, aaO 464 mw Judikaturnach-weisen; 9 ObA 88/05 i). Die Zuerkennung der auf-schiebenden Wirkung bedeutet nur die Pflicht, mitdem Vollzug oder der Berechtigungsausübung nichtzu beginnen bzw darin innezuhalten. Insofern istder Aufschiebungsumfang durch den im Verwal-tungsverfahren jeweils eingetretenen Stand der Um-setzung des Verwaltungsakts in die Wirklichkeit be-grenzt (Puck, aaO 365). So hat der VfGH (B 952/04 ua) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ju-dikatur des VwGH zu § 30 Abs 2 VwGG ausgespro-chen, dass mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung imSinne dieser Bestimmung bereits gesetzte Vollzugs-handlungen nicht rückgängig gemacht werden können.So hat auch der VwGH (AW 2004/11/0023) einemAntrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wir-kung eine Absage erteilt, wenn der Dienstgeber vonder ihm vom Behindertenausschuss eingeräumtenKündigungsmöglichkeit bereits Gebrauch gemachthat; ein bereits gekündigtes Dienstverhältnis sei einerGestaltung nicht mehr zugänglich.

Diese Erwägungen müssen auch im vorliegendenFall gelten. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der auf-schiebenden Wirkung durch den VwGH war dieKündigung bereits zugegangen und daher wirksamgeworden (RIS-Justiz RS0013923). Darauf, dass dieKündigungsfrist noch nicht abgelaufen war, kann esindes nicht ankommen, weil seitens der berechtigtenAG keine Schritte mehr für die Beendigung desDienstverhältnisses zu setzen waren, sondern diesesvon selbst mit dem Ende der Kündigungsfrist auslief.Insoweit ist daher die Begründung des angefochtenenUrteils zutreffend und der Revision nicht zu folgen.Sollte die Zustimmung nachträglich beseitigt werden,könnte dies nur einen Grund zur Wiederaufnahmedes Verfahrens geben (RIS-Justiz RS0044621 [T1]).

Zu prüfen bleibt daher, ob die Zustimmung desBehindertenausschusses bzw der Berufungskommis-sion zur Kündigung den ordentlichen Gerichten diematerielle Prüfung dort verwehrt, wo schon unabhän-gig von der Behinderteneigenschaft eines AN durchGesetz, KV oder Einzelvertrag ein besonderer Be-standschutz gewährt wird.

Im vorliegenden Fall genießt der Kl gem § 18Abs 2 iVm § 19 Abs 4 PTSG 1996 den Kündigungs-schutz des § 48 des KV Post AG (Dienstordnung).Sinngleich mit § 32 Abs 2 Z 2 VBG bestimmt § 48Abs 2 lit b der Dienstordnung, dass ein Grund, derden Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, insb vor-

liegt, wenn der Bedienstete sich für eine entspre-chende Verwendung als geistig und körperlich unge-eignet erweist. Im vorliegenden Fall hat die Beru-fungskommission ihre Zustimmung zur Kündigungdes Kl auch auf dessen Unfähigkeit für die im Dienst-vertrag vereinbarte Arbeit gegründet, sodass der AGeine Weiterverwendung gem § 8 Abs 4 lit b BEinstGnicht zumutbar sei.

Das BerG vertritt im Anschluss an Schrank (DerFortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjektder Rechtsordnung) die Auffassung, dass nach der po-sitiven Entscheidung durch den Behindertenaus-schuss (Berufungskommission) eine neuerliche mate-rielle Überprüfung durch das Arbeits- und Sozialge-richt nicht mehr zulässig sei. Zusammengefasst meintSchrank (aaO 232 f), dass dann, wenn Kündigungs-gründe verschiedener Gesetze konkurrieren, der je-weils schutzintensivere Grund den schwächeren ver-dränge. Im Vergleich zwischen dem Invalideneinstel-lungsgesetz – also der Vorgängerbestimmung desBehinderteneinstellungsgesetzes – und dem VBGmeint Schrank (aaO 234), dass, wenn auch der Kündi-gungsschutz des VBG durch die weitergehende, fürden Vertragsbediensteten sehr günstige Determinie-rung (§ 32 Abs 2 VBG) jenem des Invalideneinstel-lungsgesetzes überlegen sei, die Verfahrensbindungdes Invalideneinstellungsgesetzes mangels einzelfunk-tionellen Gegenstücks dennoch aufrecht bleibe, dasheißt, dass die E des Invalidenausschusses der des Ge-richts vorgehe. Allerdings habe der Invalidenausschussden durch § 32 Abs 2 VBG gewährten Inhaltsschutzbei seiner Entscheidung wahrzunehmen. Schrankmuss in seinem Résumé jedoch selbst zugestehen, dassim Einzelfall schwierige Wertungen hinsichtlich derStärke oder Kongruenz des Schutzes nicht erspart blei-ben und erhebliche Unsicherheitsfaktoren zurückblei-ben. An diese Lehrmeinung schließt Schrammel (inTomandl/Schrammel, Arbeitsrecht 26, 36 4d) an:Der Gesetzgeber habe regelmäßig Doppelgleisigkeitenvermeiden wollen und nur den jeweils stärkeren Kün-digungsschutz wirksam werden lassen wollen. Die je-weils stärkere Kündigungsschutzbestimmung (zB derenger formulierte Kündigungsgrund) verdränge diefunktionsgleiche schwächere; seien die verschiedenenKündigungsschutzbestimmungen jedoch nicht funk-tionsgleich (zB die eine sieht die behördliche Zustim-mung, die andere Schriftlichkeit der Kündigungser-klärung vor), seien sie kumulativ anzuwenden.

Der OGH vertrat zu 8 ObA 99/97k die Auffas-sung, dass nach Zustimmung des Behindertenaus-schusses zu einer Kündigung nicht neuerlich vom Ge-richt zu prüfen sei, ob ein wegen Dienstunfähigkeitgekündigter Landesvertragsbediensteter die im § 35Abs 2 lit b und c des Steiermärkischen Gemeindever-tragsbedienstetengesetzes genannten Kündigungs-gründe erfüllt habe.

Ernst/Haller (BEinstG6 303) sowie K. Mayr (Zell-Komm § 8 BEinstG Rz 2 mw Literaturnachweisen)haben an dieser von Schrank begründeten MeinungBedenken angemeldet und führen als Bsp an, dassim Falle des Zusammentreffens des besonderen Kün-digungsschutzes des BEinstG mit dem des MuttSchGeine doppelte Prüfung zu erfolgen habe und daherbeide Verfahren einzuhalten seien.

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§ 8 Abs 5 BEinstG sieht vor, dass gesetzliche Be-stimmungen, die die Beendigung des Dienstverhält-nisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unbe-rührt bleiben. Ob dies bedeutet, dass den Arbeits-und Sozialgerichten eine neuerliche materielle Prü-fung schon vom Behindertenausschuss geprüfterKündigungsgründe versagt ist und nur die Einhal-tung zusätzlich erforderlicher Schritte des Kündi-gungsvorgangs, wie zB besondere Formerfordernisse,vom Gericht geprüft werden darf, bedarf aber hierkeiner abschließenden Klärung. § 8 Abs 5 BEinstGbezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf gesetzlicheBestimmungen. Vorliegend ergibt sich der besondereneben dem BEinstG bestehende Kündigungsschutzaus einem KV. Dem Gesetzgeber kann aber nicht un-terstellt werden, mit der vorerwähnten Regelung auchBestandschutzregelungen in KV erfassen zu wollenoder auf solche „vergessen“ zu haben. Somit bestehtauch keine Gesetzeslücke, die zu schließen wäre.

Daraus folgt, dass zumindest dann, wenn sich derKündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestim-mung eines KV (hier: Kollektivvertrag Post AG) grün-det, das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zuprüfen hat, selbst wenn im Verfahren nach § 8BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits

von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustim-mung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde.

Die Bekl kann sich aber nicht auf eine allgemeineBindung des Gerichts an die E der Verwaltungsbe-hörde in dem Sinn berufen, dass die von dieser imZustimmungsbescheid angenommenen Kündigungs-gründe jedenfalls vorliegen:

Nach Lehre (Schragel in Fasching/Konecny2 II/2§ 190 ZPO Rz 14; Fucik in Rechberger3 § 190 Rz 5)und stRsp (SSV-NF 5/49; MietSlg 47.626; RIS-JustizRS0037051 ua) ist für die Gerichte nur der Spruchüber den Bescheidgegenstand bindend, nicht jedochdessen Begründung bzw rechtliche Beurteilung. DerSpruch der Berufungskommission umfasst nur „dieZustimmung zur Kündigung des Antragsgegners“,nicht aber etwa die Feststellung, dass bestimmte Kün-digungsgründe vorliegen. Entgegen der Auffassungdes BerG sind daher im vorliegenden Fall Feststellun-gen des Gerichts zum behaupteten Kündigungsgrundnicht nur zulässig, sondern auch erforderlich. Da dasErstG – ausgehend von seiner durch den OGH nichtgeteilten Rechtsauffassung – keine Feststellungenzum Kündigungsgrund der Arbeitsunfähigkeit getrof-fen hat, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbe-dürftig.

Motivkündigung wegen Geltendmachung nicht offenbar unberechtigterAnsprüche1. Macht der AN glaubhaft, dass die Benachteiligungauf das verpönte Motiv zurückzuführen ist, dann isteine unzulässige Benachteiligung anzunehmen, sofernnicht der AG seinerseits glaubhaft macht, dass ein an-deres Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit aus-schlaggebend war.

2. Das „andere Motiv“ iSd § 105 Abs 5 ArbVG,das als für die Kündigung ausschlaggebend vom AGeingewendet werden kann, muss zumindest erlaubtsein. Gesetzwidrige und sittenwidrige Motive schei-den als „andere Motive“ des AG iSd § 105 Abs 5ArbVG aus.

Aus der Begründung:Die Kündigung kann bei Gericht angefochten wer-den, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtig-ten Geltendmachung vom AG in Frage gestellter An-sprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN er-folgt ist (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG). Insoweit sichder Kl im Zuge des Verfahrens auf einen Anfech-tungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG beruft, hater diesen glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklageist abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umständeeine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dassein anderes vom AG glaubhaft gemachtes Motiv fürdie Kündigung ausschlaggebend war (§ 105 Abs 5ArbVG).

Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der AGnach Meinung des AN bestehende Ansprüche nichterfüllt, dass der AN diese nicht erfüllten Ansprüchedem AG gegenüber geltend macht und dass der AGden AN wegen dieser Geltendmachung kündigt.Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene

Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wah-rung der Rechtsposition aus dem bestehenden Ar-beitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst. We-der dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zweckder Bestimmung, die arbeitsrechtliche Stellung desAN zu schützen (RIS-Justiz RS0104686 ua), lässt sichentnehmen, dass davon nur Ansprüche des AN auf(Geld-)Leistungen des AG umfasst seien. Dass sichder Anspruch letztlich als unberechtigt erweist,schließt die Berechtigung der Anfechtung ebenfallsnicht aus. Für den Schutz des § 105 Abs 3 Z 1 lit iArbVG reicht es aus, dass die Geltendmachung desAnspruchs „offenbar nicht unberechtigt“ war. Un-klarheiten oder unterschiedliche Auffassungen überden Bestand von Ansprüchen schließen daher denAnfechtungsgrund nicht aus (RIS-Justiz RS0051666ua). Für die Anfechtung von Kündigungen genügtes, dass das verpönte Motiv für die Kündigung we-sentlich war; es ist nicht notwendig, dass das Motivausschließlicher Beweggrund war (RIS-JustizRS0051661 ua).

Macht der AN glaubhaft, dass die Benachteili-gung auf das verpönte Motiv zurückzuführen ist,dann ist eine unzulässige Benachteiligung anzuneh-men, sofern nicht der AG seinerseits glaubhaft macht,dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlich-keit ausschlaggebend war. Ob das vom AG geltendgemachte Motiv geeignet ist, iSd § 105 Abs 5 ArbVGdas vom Anfechtungskl ebenfalls glaubhaft gemachteverpönte Motiv des AG zur Kündigung in den Hin-tergrund zu drängen, ist eine Folge der Abwägung al-ler festgestellten Umstände bei der objektiven Ermitt-lung der erhöhten Wahrscheinlichkeit des einen oderdes anderenMotivs. Meistens wird es unmöglich sein,

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§ 105 Abs 3 Z 1,§ 105 Abs 5ArbVG

OGH 22. 12.2010, 9 ObA 27/10a

2011/145

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Motive lückenlos zu beweisen. Es kommt stets auf dasGesamtbild an, das für die betriebliche Situation vorder Kündigung maßgeblich gewesen ist. Es ist daraufBedacht zu nehmen, dass es sich bei den Normenüber die Anfechtung wegen eines unzulässigen Mo-tivs um Schutzbestimmungen zugunsten des AN han-delt. Der Schutz ist schon dann gerechtfertigt, wenndie Erfüllung der entsprechenden Tatbestände nachden konkreten Umständen des Einzelfalls glaubwür-dig ist. Ein strenger Nachweis der Rechtsverletzungin einer jeden Zweifel ausschließenden Form istvom Gesetz nicht gefordert. Die Frage, welches Motivals bescheinigt angenommen werden kann, ist eineFrage der unüberprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0052037 ua).

Im Rekursverfahren ist nun strittig, welches „an-dere Motiv“ iSd § 105 Abs 5 ArbVG als für die Kün-digung ausschlaggebend vom AG eingewendet wer-den darf. Der Gesetzeswortlaut schränkt die in Fragekommenden anderen Motive nicht näher ein. Dieeinzige Vorgabe lautet dahin, dass es sich um ein„anderes“ Motiv als jenes verpönte Motiv handelnmuss, das der AN seiner Kündigungsanfechtung zu-grundelegt. Lehre und Rsp stimmen aber darin über-ein, dass das andere Motiv des AG zumindest „er-laubt“ (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG XXXIV § 105 Erl 68; Schrank, Ar-beitsrecht und Sozialversicherungsrecht 496; ders inTomandl, ArbVG § 105 Rz 128; 9 ObA 9/02 tDRdA 2003/12 [Trost] ua) bzw „zulässig“ (vgl Tinho-fer in Mazal/Risak, Arbeitsrecht Kap XVIII Rz 33 ua)sein muss und „nicht missbilligt“ (vgl Floretta in Flo-retta/Strasser, ArbVG-Handkommentar 692) oder„nicht verpönt“ (vgl Schrammel, Arbeitsrecht II6258; 9 ObA 40/01 z ua) sein darf. Eine besondere Be-gründung wird dafür – soweit überblickbar – nichtgegeben. Die Beschränkung auf „erlaubte“ Motiveist aber so selbstverständlich, dass ihre dogmatischeRechtfertigung nur in einer teleologischen Reduktiondes weiten Wortlauts des § 105 Abs 5 Satz 2 ArbVGgesehen werden kann. Die Zulassung „nicht erlaub-ter“ Motive zur Widerlegung einer Anfechtungsklagewegen eines (anderen) verpönten Motivs liefe demGesetzeszweck diametral zuwider (s allgemein zur te-leologischen Reduktion P. Bydlinski in KBB2 § 7ABGB Rz 5 mwN ua). Ausgeschlossen sind damitauch alle anderen verpönten Motive aus dem Katalogdes § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG. Der Senat hält an dereinhelligen Auffassung von Lehre und Rsp fest. Zu-sammenfassend scheiden also gesetzwidrige und sit-tenwidrige Motive als „andere Motive“ des AG iSd§ 105 Abs 5 ArbVG aus (vgl zur ähnlichen Problema-tik bei § 12 Abs 12 GlBG Hopf/Mayr/Eichinger,GlBG § 12 Rz 134 ua).

Eine weitere Einschränkung der „anderen Mo-tive“, als dass sie im vorstehenden Sinn „erlaubt“ seinmüssen, kann dem ArbVG nicht entnommen wer-den. Insbesondere gibt es keine zwingenden Anhalts-punkte für die Auffassung des BerG, dass sich der AGwie bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwid-rigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) nur darauf stützenkönne, dass die Kündigung durch Umstände, die inder Person des AN gelegen sind und die betrieblichenInteressen nachteilig berühren, oder durch betriebli-

che Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung desAN entgegenstehen, begründet sei. Gegen diese Aus-legung sprechen schon gesetzessystematische Erwä-gungen, weil die vom BerG genannten Gründe nurbei § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, nicht aber bei § 105Abs 3 Z 1 bzw § 105 Abs 5 ArbVG angeführt sind.Die praktische Bedeutung dieser Frage ist aber ohne-hin gering, weil (im Rahmen des Erlaubten) andereals personen- oder betriebsbezogene Kündigungsmo-tive üblicherweise keine Rolle spielen. Für eine wei-tere teleologische Einschränkung des § 105 Abs 5ArbVG über die bloße Erlaubtheit des Motivs hinausbesteht keine Veranlassung.

Worauf das BerG aber offenbar hinaus will, wirdan seiner zweiten Frage ersichtlich, wegen der derRekurs an den OGH ebenfalls zugelassen wurde.Dabei geht es darum, ob bereits die gutgläubige An-nahme eines erlaubten Motivs ausreiche oder ob –wie das BerG annimmt – das tatsächliche Vorliegendes dem erlaubten Motiv zugrundeliegenden Sach-verhalts vom Anfechtungsgegner nachgewiesen wer-den müsse. Der Fragestellung liegt offenbar einMissverständnis des BerG zugrunde. Zur Verdeutli-chung sei nochmals der Wortlaut des § 105 Abs 5ArbVG vorangestellt: „Insoweit sich der Kl im Zugedes Verfahrens auf einen Anfechtungsgrund iSdAbs 3 Z 1 beruft, hat er diesen glaubhaft zu machen.Die Anfechtungsklage ist abzuweisen, wenn bei Ab-wägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlich-keit dafür spricht, dass ein anderes vom AG glaub-haft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlag-gebend war.“

Vorauszuschicken ist auch, dass § 105 Abs 3 Z 1und Abs 5 ArbVG nicht auf Kündigungsgründe, son-dern auf (verpönte oder erlaubte) Motive abstellt, dieder Kündigung zugrundeliegen. Die Bestimmung res-sortiert zum „allgemeinen Kündigungsschutz“. Da-nach kann eine Kündigung, die keines Grundes be-darf, unter bestimmten Voraussetzungen angefochtenwerden. Gelingt es dem AN, einen Anfechtungs-grund des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG glaubhaft zu ma-chen (§ 105 Abs 5 Satz 1 ArbVG), dann ist seinerAnfechtungsklage stattzugeben, es sei denn, der AGkann seinerseits das Gericht durch Glaubhaftma-chung überzeugen, dass bei Abwägung aller Um-stände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht,dass ein anderes vom AG geltend gemachtes Motivfür die Kündigung ausschlaggebend war (§ 105Abs 5 Satz 2 ArbVG). Abgewogen wird somit, wel-ches Kündigungsmotiv mit höherer Wahrscheinlich-keit der Kündigung zugrundelag. Nach § 105 Abs 5ArbVG muss der AG nicht den Nachweis bezüglicheines bestimmten Sachverhalts führen; er muss nurdas wahrscheinlichere Kündigungsmotiv dartun. Da-bei wird der AG mit seiner Version gegen ein vomAN glaubhaft gemachtes Motiv nur dann reüssieren,wenn seine Version überzeugender ausfällt als jenedes AN. Je glaubwürdiger der AN im Einzelfall ist,umso höher sind die Anforderungen an die Überzeu-gungskraft des AG. Dennoch sei aber nochmals be-tont, dass § 105 Abs 5 ArbVG weder vom AN nochvom AG den Nachweis eines bestimmten Sachver-halts verlangt. Es genügt grundsätzlich auf beiden Sei-ten die Glaubhaftmachung eines bestimmten Motivs.

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Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden1. Die von einem schadenersatzrechtlichen Feststel-lungsbegehren umfassten künftigen Schadenersatzan-sprüche sind im Konkurs als bedingte Konkursforde-rung (§ 16 KO) mit dem Schätzwert zur Zeit derKonkurseröffnung (§ 14 Abs 1 KO) anzumelden.

2. Schon die bloße Möglichkeit künftiger Unfall-schäden rechtfertigt die Erhebung der Feststellungs-klage, die nicht nur dem Ausschluss der Gefahr derVerjährung, sondern auch der Vermeidung spätererBeweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haf-tungsfrage dem Grund und dem Umfang nach dient.

3. Das Feststellungsinteresse ist schon dann zu be-jahen, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass dasschädigende Ereignis den Eintritt eines künftigenSchadens verursachen könnte.

Aus der Begründung:Im Revisionsverfahren geht es um die von der Kl be-gehrte Feststellung der Haftung des Bekl für sämtli-che künftige Schäden, die sie aufgrund des Unfallsvom 11. 9. 2006 erleide. Nach den Ergebnissen desBerufungsverfahrens und der bloß teilweisen Anfech-tung der Berufungsentscheidung durch die Kl ist vomAlleinverschulden des Bekl am gegenständlichen Un-fall auszugehen, bei dem die Kl eine schwere Fußver-letzung und die im Ersturteil näher festgestelltenSchmerzen erlitten hat. Der Unfall führte zu einerbleibenden körperlichen Behinderung der Kl. Spät-folgen können bloß „mit größter Wahrscheinlichkeit“ausgeschlossen werden.

Nach jüngerer Rsp sind die von einem schadener-satzrechtlichen Feststellungsbegehren umfasstenkünftigen Schadenersatzansprüche im Konkurs alsbedingte Konkursforderung (§ 16 KO) mit demSchätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung (§ 14Abs 1 KO) anzumelden (2 Ob 287/08g; Konecny,Feststellungsprozess über die Haftung für künftigeSchäden und Beklagtenkonkurs, ZIK 2009, 110;Nunner-Krautgasser, „Feststellungsansprüche“, zu-künftige Leistungsansprüche und Insolvenzverfahren,Zak 2009, 387; EvBl 2009/119 [Fellerer] ua). Demtrug die Kl Rechnung, als während des Berufungsver-fahrens am 29. 6. 2009 das Schuldenregulierungsver-fahren über das Vermögen des Bekl eröffnet wurde.Die Kl bezifferte den Schätzwert der festzustellendenHaftung des Bekl für künftige Schäden mitE 5.000,– und meldete ihre bedingte Forderung imSchuldenregulierungsverfahren an. Dem Schätzwertgem § 14 Abs 1 KO kommt nur beschränkte Bedeu-tung zu (vgl Konecny, ZIK 2009, 110 [111] ua). Soermöglicht § 16 KO bei aufschiebend bedingten For-derungen, dass das Begehren auf Sicherstellung derZahlung gestellt werden kann (2 Ob 287/08g ua).

Nach stRsp rechtfertigt schon die bloße Möglich-keit künftiger Unfallschäden die Erhebung der Fest-stellungsklage, die nicht nur dem Ausschluss der Ge-fahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidungspäterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellungder Haftungsfrage dem Grund und dem Umfangnach dient (RIS-Justiz RS0038976 ua). Davon ausge-hend erweiterte die Kl nach Vorliegen des medizini-schen Sachverständigengutachtens ihr erstinstanzli-

ches Leistungsbegehren um ein Feststellungsbegehrendes Inhalts, dass ihr der Bekl für sämtliche künftigeSchäden, die sie aufgrund des gegenständlichen Un-falls vom 11. 9. 2006 erleide, hafte und ersatzpflichtigsei. Die Kl begründete das Feststellungsbegehren da-mit, dass laut medizinischem Sachverständigen bei ihrUnfallfolgen verblieben seien, die zu einer bleibendenkörperlichen Behinderung führen; künftige Schädenseien daher möglich. So könne es bei einer bleibendenkörperlichen Behinderung später zum Verlust oder zueiner Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kommen, eskönnten auch Behandlungen oder Heilbehelfe not-wendig werden. Es bestehe daher ein rechtliches Inte-resse an der begehrten Feststellung.

Da der vom ErstG bestellte medizinische Sachver-ständige Spätfolgen zwar für unwahrscheinlich hielt,aber nicht schlechthin und absolut ausgeschlossenhat, wäre mit einer substantiierten Bestreitung desBekl zu rechnen gewesen, wenn er dem Feststellungs-begehren der Kl hätte ernsthaft entgegentreten wol-len. Der Bekl beschränkte sich jedoch auf eineschlichte Bestreitung des Feststellungsbegehrens underhob keine substantiierten Einwände gegen das Fest-stellungsbegehren. Nach Lage des Falls ging daher dasErstG offenbar vom Vorliegen eines schlüssigen Ge-ständnisses des Bekl bezüglich der tatsächlichenGrundlagen des Feststellungsbegehrens aus (§ 267ZPO; RIS-Justiz RS0039927 ua), als es ohne beson-dere Erörterungen iS der von der Kl begehrten Fest-stellung erkannte. Demgegenüber hielt das BerG eineVerbreiterung der Tatsachengrundlage für gebotenund traf ergänzende Feststellungen aus dem medizini-schen Sachverständigengutachten. Da das BerG vomselben als unbedenklich qualifizierten Gutachten wiedie Kl ausging, ergaben sich naturgemäß dieselbentatsächlichen Schlussfolgerungen, die vom Bekl nichtweiter bestritten wurden.

Nicht gefolgt werden kann jedoch den rechtlichenSchlussfolgerungen des BerG aus den ergänzendenFeststellungen. Wie der OGH bereits in zahlreichenE ausgesprochen hat, genügt zur Bejahung des Fest-stellungsinteresses iSd § 228 ZPO bereits der allge-meine Hinweis, dass weitere Schäden aus dem Scha-densereignis nicht mit Sicherheit (oder mit an Sicher-heit grenzender Wahrscheinlichkeit; vgl 2 Ob 162/05w) auszuschließen sind. Das Feststellungsinteresseist daher schon dann zu bejahen, wenn nur die Mög-lichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignisden Eintritt eines künftigen Schadens verursachenkönnte (2 Ob 29/05m; 2 Ob 30/05h; 2 Ob 83/09h; RIS-Justiz RS0038976 ua). Dass künftige Schä-den „nicht zu erwarten“ sind, reicht nach der Rsp desOGH nicht aus, um ein Feststellungsbegehren zuentkräften, solange künftige Schäden nicht mit Si-cherheit (oder mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit) ausgeschlossen werden können(2 Ob 29/05m; 7 Ob 87/07 f ua). Wenn hier nun– dem Sachverständigen folgend – feststeht, dassder Unfall zu einer bleibenden körperlichen Behinde-rung der Kl führte und Spätfolgen (bloß) „mit größterWahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden können,dann bedeutet dies vom Sinngehalt der Feststellung

ARBEITSRECHT

ecolex 2011 355

§§ 14, 16 KO;§ 228 ZPO

OGH22. 12. 2010,9 ObA 22/10 s

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nichts anderes, als dass der Eintritt von Spätfolgen„nicht zu erwarten“ ist, aber nicht schlechthin undabsolut ausgeschlossen werden kann. Bei einer sol-chen oder ähnlichen Prognose hat der OGH das Fest-stellungsinteresse bisher aber stets bejaht (vgl 2 Ob

29/05m; 2 Ob 30/05h; 7 Ob 149/06x; 7 Ob 87/07 f; 2 Ob 83/09h ua). Daran hält der Senat fest.Dies führt daher auch im vorliegenden Fall zur Statt-gebung des Feststellungsbegehrens wie aus demSpruch ersichtlich.

Finanzstrafrecht 2011: DerSteuerpflichtige – Kaninchen vorder Schlange? Die Novelle zum Finanzstrafgesetz, die mit 1. 1. 2011

in Kraft getreten ist, bringt eine Reihe vonNeuerungen. Neue Wege eröffnen sich nunmehr vor allem für den präsumtiven Steuersünder,insbesondere die Regelungen betreffend die strafaufhebende Selbstanzeige (§ 29 FinStrG)wurden neu gefasst.

KLAUS GAEDKE / STEFAN LAUSEGGER

A. Die Novelle – hervorzuhebendeNeuerungen

Vorab werden kurz die wesentlichsten Änderungen,die durch die Finanzstrafgesetz-Novelle 20101) einge-führt wurden, in Erinnerung gerufen.2)& Es wurden neue Tatbestände betreffend die ban-

denmäßige Begehung oder Begehung unter Ge-waltanwendung (§ 38 a FinStrG) und den Abga-benbetrug (§ 39 FinStrG) eingeführt.

& Die Regelungen betreffend die strafaufhebendeSelbstanzeige wurden geändert und präzisiert(§ 29 FinStrG).

& Die Möglichkeit einer Strafaufhebung in besonde-ren Fällen (Verkürzungszuschlag) wurde geschaf-fen (§ 30 a FinStrG).

& Auch bei gerichtlichen Finanzstrafverfahren mussnunmehr ein Teil der Geldstrafe unbedingt ver-hängt werden. Eine Geldstrafe darf nur bis zurHälfte bedingt nachgesehen werden, der nicht be-dingt nachgesehene Teil muss mindestens 10%des strafbestimmenden Wertbetrags betragen(§ 26 Abs 1 FinStrG).

& Die neu geschaffenen Tatbestände zielen nun-mehr zwingend auf die Verhängung einer Frei-heitsstrafe ab.3)

& Diverse Maßnahmen zur Verfahrensbeschleuni-gung wurden implementiert (ua Erhöhung der zu-ständigkeitsbegründenden Wertbeträge, verein-fachte Erkenntnisausfertigung gem § 141 Abs 3FinStrG, Wegfall der Bekämpfbarkeit des Einlei-tungsbescheides gem § 83 FinStrG etc).4)

Nicht Gesetz wurde demgegenüber die geplante Ein-schränkung des „Beraterprivileges“. Rechtliche undsteuerliche Berater selbst sind daher auch weiterhinnur bei einem sie treffenden schweren Verschuldenstrafbar. Mit der Einschränkung der Strafbarkeit auchim Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte trägt der Ge-setzgeber dem besonderen Risiko, dem Berater ausge-setzt sind, Rechnung.

B. Neuklassifikation der Steuerdelikte

Das System der Steuerdelikte wurde grundsätzlichunverändert gelassen. Ausgangspunkt der Sanktionist nach wie vor der „strafbestimmende Wertbetrag“.Neu hinzu kommen die Delikte des § 38 a FinStrG(Begehung als Mitglied einer Bande oder unter Ge-waltanwendung) und des § 39 FinStrG (Abgabenbe-trug).

Im Einzelnen stellen sich die Delikte des Finanz-strafgesetzes daher nunmehr simplifiziert5) wie folgtdar:& Im Falle der fahrlässigen Abgabenverkürzung (§ 34

FinStrG) ist eine Geldstrafe bis zu 100% des Ver-kürzungsbetrags zu verhängen (§ 34 Abs 4FinStrG).6)

& Im Falle der Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG)ist eine Geldstrafe von bis zu 200% des Verkür-zungsbetrags zu verhängen. In Abhängigkeit vomVerkürzungsbetrag sind Freiheitsstrafen bis zuzwei Jahren denkbar (§ 33 Abs 5 iVm § 15FinStrG).

& Liegt eine gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung(§ 38 FinStrG) vor, beträgt die Geldstrafe maxi-

ARBEITSRECHT

356 ecolex 2011

STEUERRECHTGELEITET VON

J. SCHUCH

Mag. Klaus Gaedke ist Steuerberater und Partner der Steuer-BeratungGaedke & Partner GmbH in Graz, Dr. Stefan Lausegger ist Rechtsanwaltund Partner der Kanzlei Daghofer Kaufmann Lausegger Rechtsanwältein Graz.1) BGBl I 2010/104.2) Siehe für eine umfassende Darstellung Brandl/Leitner/Schrottmeyer/

Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 7 f.3) Nach den parlamentarischen Materialien sollen dadurch „vorsätzliche

Finanzvergehen, die mit besonderer krimineller Energie begangen werden,mit einer entsprechenden Strafdrohung belegt werden“; s ErläutRV 874BlgNR 24. GP 10, wiedergegeben in ÖStZ 2010/1068, 535.

4) Siehe weiterführend Reger, FinStrG-Novelle 2010 – Die wesentlichenÄnderungen, ÖStZ 2010/1068, 550.

5) Für eine detaillierte, tabellarische Darstellung s Brandl/Leitner/Schrott-meyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 7 f.

6) Auf eine gesonderte Darlegung der Höhe der Verbandsgeldbußenwird aus Platzgründen verzichtet, s dazu § 28a, § 38 a Abs 2 lit a,§ 39 Abs 3 lit a FinStrG.

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mal das Dreifache des wertbestimmenden Betrags,eine Freiheitsstrafe von längstens fünf Jahren istgegebenenfalls zu verhängen (§ 38 Abs 1 iVm§ 15 FinStrG).

& In den Fällen des § 38 a FinStrG (BandenmäßigeBegehung oder Begehung unter Gewaltanwen-dung) droht im finanzstrafbehördlichen Verfahreneine Geldstrafe von 300% der Verkürzung (§ 38 aAbs 2 lit b iVm § 15 FinStrG), im Verfahren vordem Strafgericht eine Geldstrafe von höchstens1,5 Mio Euro (§ 38 a Abs 2 lit a iVm § 15FinStrG).7) Daneben sind im finanzstrafbehördli-chen Verfahren Freiheitsstrafen von bis zu dreiMonaten zu verhängen (§ 38 a Abs 2 lit b iVm§ 15 FinStrG). Im Falle der gerichtlichen Zustän-digkeit sind in Hinkunft primär Freiheitsstrafenzu verhängen (bis zu fünf Jahre, § 38 a Abs 2 lit aiVm § 15 FinStrG).

& Neu eingeführt wurde der Tatbestand des Abga-benbetrugs. Dieser ist definiert als Abgabenhinter-ziehung, Schmuggel, Hinterziehung von Ein-gangs- oder Ausgangsabgaben oder Abgabenhehle-rei nach § 37 Abs 1 FinStrG, wenn ein Verkür-zungsbetrag von mehr als E 100.000,– gegebenist, und wenn das jeweilige Grunddelikt entwederp (§ 39 Abs 1 lit a FinStrG) unter Verwendung

falscher oder verfälschter Urkunden, falscheroder verfälschter Daten oder anderer solcherBeweismittel mit Ausnahme unrichtiger nachabgaben-, monopol- oder zollrechtlichen Vor-schriften zu erstellenden Abgabenerklärungen,Anmeldungen, Anzeigen, Aufzeichnungenund Gewinnermittlungen, oder

p (§ 39 Abs 1 lit b FinStrG) unter Verwendungvon Scheingeschäften oder Scheinhandlungen(§ 23 BAO) begangen wurde.

Ebenso ist ein Abgabenbetrug gegeben (§ 39 Abs 2FinStrG), wenn Vorsteuerbeträge geltend gemachtwurden, denen keine Lieferungen oder sonstigenLeistungen zugrunde lagen, um dadurch eine un-gerechtfertigte Abgabengutschrift zu erlangen. Vo-raussetzung ist auch diesfalls die Zuständigkeit desGerichts, sohin gem § 53 FinStrG ein Verkür-zungsbetrag von E 100.000,–. In diesen Fällen istprimär eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die bis zuzehn Jahre betragen kann, sowie zusätzlich gegebe-nenfalls eine Geldstrafe vorzuschreiben (§ 39 Abs 3FinStrG).

C. Selbstanzeige Neu

1. Neuerungen im Überblick

Die Bestimmungen über die Selbstanzeige (§ 29FinStrG) wurden in Bezug auf Zuständigkeit der Be-hörde (§ 29 Abs 1 FinStrG), Schadensgutmachung(§ 29 Abs 2 FinStrG), objektiver Tatbestand und Tä-terbenennung (§ 29 Abs 3 lit b FinStrG) und Nen-nung des Täters (§ 29 Abs 5 FinStrG) überarbeitet.Eine zusätzliche Bestimmung für wiederholte Selbst-anzeigen desselben Abgabenanspruchs wurde in § 29Abs 6 FinStrG aufgenommen.

2. Zuständigkeit der Behörde

Um Selbstanzeigen nicht wie in der Vergangenheitdaran scheitern zu lassen, dass diese bei unzuständi-gen Behörden eingebracht werden, können Selbstan-zeigen nunmehr bei einem FA, einer Finanzstrafbe-hörde (in Bezug auf ESt, USt, KÖSt etc) oder einemZollamt (in Bezug auf Zoll, EUSt, Verbrauchsteuernetc) eingebracht werden. Keine Straffreiheit erlangtder Anzeiger durch Erstattung der Selbstanzeige vorAbgabenbehörden höherer Instanz,8) Polizei, Gerichtoder Staatsanwaltschaft.9) Die Selbstanzeige kannschriftlich (auch mittels Finanz-Online) oder münd-lich erstattet werden, hierbei sollte allerdings eineNiederschrift verlangt werden. Die Einbringung perE-Mail wird von der Finanzverwaltung nicht aner-kannt.

3. Schadensgutmachung

Im Vordergrund der Anpassung dieser Bestimmungsteht die tatsächliche Schadensgutmachung durchden Anzeiger. Zukünftig soll insb bei nachgelagertenInsolvenzverfahren die Entrichtung der in der Selbst-anzeige offengelegten Beträge, die vom Anzeiger ge-schuldet oder für die er zur Haftung herangezogenwerden kann, Voraussetzung für die Straffreiheit be-deuten.10) Nicht als Entrichtung gelten die Löschungund Nachsicht von Abgabenschulden und die Ent-lassung aus der Gesamtschuld gem § 235 BAO.11)Jedenfalls hat die Entrichtung bei selbst zu berechn-enden Abgaben binnen Monatsfrist ab Selbstanzeige,in allen anderen Fällen ab Bekanntgabe des geschul-deten Betrags an den Anzeiger zu erfolgen.12) Alter-nativ dazu besteht weiterhin die Möglichkeit der In-anspruchnahme eines Zahlungserleichterungsansu-chens (§ 212 BAO), das die Dauer von zwei Jahren(beginnend wie oben ausgeführt) nicht überschreitendarf. Vorsicht geboten ist zukünftig bei bestehendenZahlungserleichterungsansuchen aufgrund einerSelbstanzeige und Berufungen iVm der Aussetzungder Einhebung nach § 212 a BAO: ungeachtet derEinbringung des Rechtsmittels sind die Abgaben so-fort nach Maßgabe des § 29 Abs 2 FinStrG zu ent-richten.13)

Im Falle einer Anfechtung nach den §§ 27 ff IOmuss der Abgabengläubiger die entrichteten Beträgean die Insolvenzmasse zurückzahlen. Damit verbun-

ecolex 2011 357

STEUERRECHT

7) Gemäß § 53 FinStrG ist die gerichtliche Zuständigkeit ab einem straf-bestimmenden Wertbetrag von E 100.000,– gegeben, dies mit Aus-nahme des Schmuggels und der Hinterziehung von Eingangs- oderAusgangsabgaben und der Abgabenhehlerei, in welchen Fällen bereitsab einem strafbestimmenden Wertbetrag von E 50.000,– eine ge-richtliche Zuständigkeit vorliegt. Alle anderen Finanzvergehen sindvon den Finanzstrafbehörden zu ahnden (§ 53 Abs 6 FinStrG).

8) Siehe Reger/Hacker/Kneidinger, FinStrG I § 29 FinStrG Rz 10.9) Siehe auch Bergmann/Rebisant, Die neue Selbstanzeige nach der

FinStrG-Novelle 2010, SWK 2010, 375 (376).10) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 7; Bergmann/Rebisant, Die neue Selbst-

anzeige nach der FinStrG-Novelle 2010, SWK 2010, 375 (376).11) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 7.12) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetzno-

velle 2010, 38 ff.13) Siehe zutreffend Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafge-

setznovelle 2010, 40.

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den ist ein Wiederaufleben der Strafbarkeit, sofern dieTat nicht bereits verjährt ist.14)

4. Objektiver Tatbestand undTäterbenennung

Durch die Neufassung wird klargestellt, dass Straffrei-heit durch Erstattung einer Selbstanzeige jedenfallsdann nicht eintritt, wenn das objektive Tatbe-standsmerkmal bereits entdeckt war bzw die Entde-ckung unmittelbar bevorstand und der Anzeiger da-von Kenntnis hatte. Somit kommt es nicht mehrauf subjektive Tatbestandsmerkmale oder die Kennt-nis über die Identität des Täters für die Tatentde-ckung an. Unverändert bleibt in diesem Zusammen-hang die Beweislast der Behörden.15)

Bei vorsätzlichen Finanzvergehen ist bis zum Be-ginn einer abgabenbehördlichen Prüfung eine Selbst-anzeige möglich. Unter Prüfungsbeginn versteht manin diesem Zusammenhang die Übermittlung bzwÜbergabe von Büchern und Aufzeichnungen nachAufforderung zur Vorlage durch die Behörde.

Bei fahrlässigen Finanzvergehen ist eine Selbstan-zeige auch während einer abgabenbehördlichen Prü-fung noch möglich, sofern das Vergehen noch nichtentdeckt ist. Wird dieses Vergehen während der Prü-fungshandlung entdeckt, reichen objektive Tatbe-standsmerkmale für die Sperrwirkung des § 29Abs 3 lit b FinStrG aus.16)

5. Nennung des Täters

In der Vergangenheit wurden vielfach Selbstanzeigenim Namen der Gesellschaft, jedoch nicht für das Or-gan selbst erstattet. Dadurch kam es zwar zu einerStrafbefreiung für die Gesellschaft, jedoch nicht fürden Geschäftsführer.17) Die Änderung in diesem Ab-schnitt stellt nun klar, dass Selbstanzeigen für den An-zeiger und die Personen, für die sie erstattet werden,wirken. Die Selbstanzeige kann natürlich auch vonDritten (Bevollmächtigten) für bestimmte Personenerstattet werden.

6. Neuerliche Selbstanzeige

Als Strafzuschlag (iHv 25% bezogen auf die nachzu-zahlende Abgabenschuld) kann die Regelung für neu-erliche Selbstanzeigen betreffend denselben Abgaben-anspruch bezeichnet werden. Nach den parlamentari-schen Materialien sollen Selbstanzeiger dazu angeregtwerden, eine vollständige Offenlegung ihrer Verfeh-lungen bereits bei der ersten Selbstanzeige vorzuneh-men.18) Explizit ausgenommen sind Vorauszahlungender Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer.Somit sind neuerliche Selbstanzeigen in diesem Be-reich im Rahmen der Jahressteuererklärung weiterhinmöglich.

D. Verkürzungszuschlag Neu

Der neu geschaffene (10%ige) Verkürzungszuschlagdes § 30 a FinStrG stellt eine ebenso wesentlicheNeuerung dar. Darauf wurde in diesem Medium be-reits instruktiv eingegangen.19) Den Ausführungenvon Hilber ist grundsätzlich nichts hinzuzufügen. In

Erinnerung gerufen werden sollen nur die Eckpunkteder Anwendbarkeit des § 30 a FinStrG, der als Straf-aufhebungsgrund nach dem Willen des Gesetzgebersim Übrigen allen Beteiligten zugutekommen soll:20)Die Verkürzungen dürfen jährlich nicht mehrals E 10.000,– und insgesamt nicht mehr alsE 33.000,– betragen. Die Festsetzung eines Verkür-zungsbetrags muss, wenn sie nicht vom Abgaben-pflichtigen selbst beantragt wurde, von diesem bin-nen 14 Tagen akzeptiert werden. Auf ein Rechtsmit-tel muss verzichtet werden. Der Abgabenerhöhungs-betrag ist binnen eines Monats zu entrichten. EinZahlungsaufschub darf nicht gewährt werden. Ausge-schlossen ist ein Vorgehen nach § 30a FinStrG inFällen, in denen eine Selbstanzeige vorliegt oder es ei-ner Bestrafung bedarf, um den Täter von der Bege-hung weiterer Finanzvergehen abzuhalten (§ 30 aAbs 6 FinStrG, Vorliegen spezialpräventiver Erwä-gungen). Wie diese Bestimmung in der Praxis vonden Prüforganen gehandhabt wird, bleibt abzuwar-ten. Jedenfalls verbunden ist damit eine Entkrimina-lisierung von Delikten untergeordneter Bedeutung.21)

E. Conclusio

Wie dem Vorblatt zur Regierungsvorlage zur Ände-rung des Finanzstrafgesetzes wörtlich zu entnehmenist, soll durch die gesetzliche Anpassung die „Treffsi-cherheit und Effektivität des Finanzstrafrechtes verbes-sert werden“. Dass in manchen Fällen aus spezial-bzw generalpräventiven Gründen die Abkehr vombisherigen System der Entkriminalisierung im Steuer-recht zur „Kriminalisierung“ erfolgt, muss dennochbegrüßt werden, da einzelne Steuersünder – auf Kos-ten der Gesamtheit – die Einhaltung der gesetzlichenBestimmungen oft in großem Stil, und auch bewusst,negieren. Hier wurde bisweilen auch unbewusst vonder Finanzverwaltung Vorschub geleistet, da bspwUID-Nummer-Vergaben beim kleinen Handwerks-betrieb unter Hinweis auf Betrugsbekämpfung oderNachbescheidkontrollen iZm Steuerberatungshono-raren gelegentlich vordringlicher erscheinen als An-trittsbesuche bei meist unvertretenen Mantelgesell-schaften. Auch zeitnähere Prüfungen würden profes-sionellen Steuerbetrügern (Stichwort Vorsteuer-schwindel) das Leben schwerer machen.

Die Bereinigung und Vereinfachung der Behör-denzuständigkeit im Rahmen einer Selbstanzeige istjedenfalls zu begrüßen. Insbesondere dem Abgaben-pflichtigen, aber auch dem Berater, werden dadurchformale „Stolpersteine“ aus dem Weg geräumt, die

14) Bergmann/Rebisant, Die neue Selbstanzeige nach der FinStrG-Novelle2010, SWK 2010, 375 (378).

15) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetzno-velle 2010, 42.

16) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetzno-velle 2010, 42.

17) UFS 9. 2. 2010, FSRV/0116-W/09.18) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 8.19) Siehe Hilber, Verkürzungszuschlag – Fluch oder Segen? ecolex 2011,

71.20) Erläut RV 874 BlgNR 24. GP 8.21) Siehe auch ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 8.

STEUERRECHT

358 ecolex 2011

Page 81: ecolex 4/2011

ecolex 2011 359

STEUERRECHT

in der Vergangenheit zu gut gemeinten, aber im Er-gebnis verunglückten Selbstanzeigen geführt haben.

Die Schaffung einer Strafaufhebung in besonderenFällen (§ 30a FinStrG) ist dagegen kritisch zu betrach-ten. Den Betriebsprüfer zu ermächtigen, eine Abga-benerhöhung festzusetzen, wenn der Verdacht einesFinanzvergehens besteht, ist ein untauglicher Weg.Nunmehr hat nicht ein erfahrener Mitarbeiter der Fi-nanzstrafbehörde das Vorliegen einer finanzstrafrecht-lich relevanten Verkürzung zu beurteilen, sondern derBetriebsprüfer, mit dem der Abgabenpflichtige zuvorum den Ansatz von Betriebsausgaben oder Zuschät-zungen gerungen hat und dessen Auffassung der Abga-benpflichtige – uU aus Beweisnotstandsgründen – zu-gestimmt hat. Unmittelbar daran schließt der ungleichkontroversiellere Diskurs zwischen denselben Ge-sprächspartner an, ob nunmehr ein Verdacht des Vor-liegens einer finanzstrafrechtlich relevanten Verkür-zung gegeben sei, der allenfalls mittels Zahlung einesVerkürzungszuschlags aus der Welt geschafft werdenkann. Ob dieser Ablauf die eingangs erwähnte „Treff-sicherheit und Effektivität“ insb bei kleineren Verfah-ren erhöht, mag dahingestellt bleiben.

Natürlich muss der Abgabenpflichtige dem Ver-kürzungszuschlag nicht zustimmen, er wird sich aberüberlegen, ob nicht die Kosten eines immer unsiche-ren weiteren Strafverfahrens höher als der Zuschlagsein werden. Es riecht daher eher nach „Körberlgeldfür den Finanzminister“.22)

SCHLUSSSTRICH

Die Neuregelung der finanzstrafrechtlichen Selbst-anzeige ist durchwegs gelungen. Andere Neuerun-gen werden wohl zumindest positive budgetpoliti-sche Wirkungen zeitigen. Insgesamt trägt die No-velle dazu bei, Delikte von untergeordneter Bedeu-tung zu entkriminalisieren, solche mit höheremdeliktischem Gehalt härter zu bestrafen, undschließlich die Finanzstrafbehörden in die Lagezu versetzen, sich ressourcenmäßig auf letztere Auf-gabe zu fokussieren. Dies ist uneingeschränkt zubegrüßen.

Grundlagen der neuenKapitalbesteuerung Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011,

BGBl I 2011/111 wurde dieBesteuerung von Kapitalvermögen in § 27 EStG 1988 neu geregelt. Die wichtigstenÄnderungen wurden in einer BMF-Info, welche diesem Beitrag zugrunde liegt, im Überblickdargestellt. Das Wesentliche vorab: Veräußerungsgewinne aus Finanzvermögen werdengenerell steuerpflichtig.

KLAUS HILBER

A. Kapitaleinkünfte anstattSpekulationsgeschäfte

§ 27 Abs 1 EStG 1988 idF BBG 2011 nennt dreiGruppen von Kapitaleinkünften:& Einkünfte aus der Überlassung von Kapital (lau-

fende „Früchte“) gem Abs 2,& Einkünfte aus realisierten Wertsteigerungen gem

Abs 3 und& Einkünfte aus Derivaten gem Abs 4,soweit alle diese nicht zu den Einkünften iSd § 2Abs 3 Z 1 bis 4 (also zu den sog Haupteinkunftsar-ten) gehören.

Bislang werden Veräußerungsgewinne aus Aktienund anderem Finanzvermögen nur besteuert, wenndie Veräußerung innerhalb eines Jahres nach An-schaffung erfolgt (sog „Spekulationseinkünfte“ gem§ 30 EStG 1988) oder der Investor in den letzten fünfJahren zu mindestens 1% an der Körperschaft betei-ligt war (dies führte nach alter Rechtslage zur Veräu-ßerung von Beteiligungen iSd § 31 EStG 1988). Ab1. 10. 2011 werden Veräußerungsgewinne aus Fi-nanzvermögen generell (also unabhängig von Behalte-dauer und Beteiligungsausmaß) steuerpflichtig. Der

Veräußerungsgewinn ist der Unterschiedsbetrag zwi-schen dem Veräußerungserlös und den Anschaffungs-kosten des Steuerpflichtigen. Die Einlösung einesWertpapiers wird genauso wie die Veräußerung be-handelt. Zu beachten ist, dass Aufwendungen iZmdem Finanzvermögen (zB Depotgebühren) nach§ 20 EStG 1988 (wegen des Zusammenhangs mitendbesteuerten Einkünften) nicht abgezogen werdendürfen und – außer im betrieblichen Bereich – Ne-benkosten auch nicht aktiviert werden dürfen (zB tra-ding fees, Beratungskosten).

Beispiel:A erwirbt bei seiner österreichischen Hausbank Aktien

um E 1.000,– für die Anschaffung werden ihm Gebührenin Höhe von E 5,– verrechnet. Bis zur Veräußerung fallenzudem Depotgebühren in Höhe von E 20,– an. A veräußertum E 1.200,–.

Der Veräußerungsgewinn beträgt E 200,– (Veräuße-rungserlös in Höhe von E 1.200,– abzüglich Anschaffungs-kosten von E 1.000,–). Die Gebühren für die Anschaffung

22) Steuerinsider, SWK 2011, T 39.

MMag. Dr. Klaus Hilber ist Steuerberater, allgemein beeideter und gericht-lich zertifizierter Sachverständiger und geschäftsführender Gesellschafter ei-ner StB-Kanzlei in Mutters bei Innsbruck.

Page 82: ecolex 4/2011

gehören nicht zu den Anschaffungskosten, und die Depotge-bühren dürfen nicht abgezogen werden.

Auch Einkünfte aus Derivaten werden von derneuen Kapitalertragsteuer erfasst (s § 27 Abs 4 EStG1988). Wichtige Beispiele sind Optionsprämien, derDifferenzausgleich sowie die Veräußerung des Deri-vats selbst.

B. Die Besteuerung erfolgt durchKESt-Abzug

Bisher werden nur Zinsen und Dividenden, dh dieFrüchte1) aus dem Finanzvermögen, durch den Kapi-talertragsteuerabzug besteuert. Mit 1. 10. 2011 trittdas erweiterte KESt-System in Kraft, auch die Veräu-ßerungsgewinne unterliegen dann einem 25%igenKapitalertragsteuerabzug. Voraussetzung dafür istgrundsätzlich, dass das Finanzvermögen auf einem in-ländischen Depot gehalten wird.

Fortsetzung des Beispiels:Die Hausbank des A hat vom Veräußerungsgewinn

KESt in Höhe von E 50,– (= 200*25%) einzubehalten.

C. Nur Neuanschaffungen werden erfasst

Die Kapitalertragsteuer auf Veräußerungsgewinnesoll grundsätzlich nur für Neuanschaffungen gelten.Dabei unterscheiden die Inkrafttretensbestimmungendes § 124b Z 185 lit a EStG 1988 folgende Fallgrup-pen:

& Anteile an Körperschaften – also Aktien undGmbH-Anteile – und Fondsanteile unterliegender neuen Kapitalertragsteuer, wenn sie nachdem 31. 12. 2010 angeschafft werden. Beteiligun-gen, die vorher angeschafft wurden, werden nurdann generell steuerpflichtig, wenn sie zum30. 9. 2011 noch mindestens 1% betragen.

& Anderes Finanzvermögen – wie insb Anleihen,Derivate – wird nur von der neuen Kapitalertrag-steuer erfasst, wenn es nach dem 30. 9. 2011 an-geschafft wird.

Für vor den jeweiligen Zeitpunkten angeschafftes Fi-nanzvermögen laufen die Spekulationsbesteuerungund die maßgeblichen Fristen weiter.2)

Beispiele:B hat am 1. 12. 2010 einzelne Aktien erworben. Die

Spekulationsfrist des § 30 EStG 1988 läuft für die Aktienbis 30. 11. 2011 weiter; danach sind sie nicht mehr steuer-hängig und werden auch nicht im neuen KESt-System er-fasst.

C hat am 5. 1. 2011 einzelne Aktien erworben. Bis zum30. 9. 2011 wäre eine Veräußerung nach § 30 EStG 1988zu erfassen, danach bereits im Rahmen des neuen KESt-Sys-tems.

D hat am 3. 11. 2010 ein Aktienpaket im Ausmaß von5% erworben und hält dieses nach wie vor am 30. 9. 2011.Die Beteiligung ist ab 1. 10. 2011 im neuen KESt-Systemgenerell steuerhängig.

Aber auch für neu angeschafftes Finanzvermögenbesteht eine wichtige Ausnahme:3) Substanzgewinneaus Kapitalvermögen (bzw Derivaten) bleiben steuer-frei, wenn dieses im Rahmen eines vor dem1. 11. 2010 abgeschlossenen Tilgungsplans erworbenwurde. Der Tilgungsplan muss nachweislich iZm ei-nem Darlehen stehen, das dem Erwerb eines Eigen-heimes, der Wohnraumschaffung oder Wohnraumsa-nierung dient. Die Befreiung gilt nur, soweit die Dar-lehensvaluta den Betrag von E 200.000,– nicht über-steigt.

D. Schenkungen führen nicht zu einerVeräußerungsbesteuerung

Um Umgehungen der neuen Kapitalertragsteuer aufVeräußerungsgewinne zu verhindern, werden4) De-potentnahmen künftig grundsätzlich zu einemKESt-Abzug führen. Unentgeltliche Übertragungen– wie insbesondere Schenkungen und Erbschaften –sind davon aber ausgenommen. Dass eine unentgelt-liche Übertragung stattgefunden hat, kann dem Ab-zugsverpflichteten (idR Bank) anhand geeigneter Un-terlagen, wie zB Notariatsakt, Einantwortungsbe-schluss, Schenkungsmeldung), nachgewiesen werden.Alternativ kann der Abzugsverpflichtete ermächtigtwerden, dem Finanzamt die unentgeltliche Übertra-gung anzuzeigen. In beiden Fällen unterbleibt einKESt-Abzug. Selbstverständlich kann die unentgeltli-

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1) Nunmehr genannt „Einkünfte aus der Überlassung von Kapitalvermö-gen“.

2) Siehe dazu § 124b Z 184 EStG 1988.3) § 124b Z 185 lit d EStG 1988 spricht leider vom unbestimmten Ge-

setzesbegriff „Tilgungsplan“.4) § 27 Abs 6 EStG 1988 sieht daher Ersatztatbestände vor.

STEUERRECHT

360 ecolex 2011

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che Übertragung aber auch noch imWege der Veran-lagung nachgewiesen werden.

Auch führen unentgeltliche Übertragungen nichtdazu, dass Altanschaffungen plötzlich zu Neuanschaf-fungen werden und der neuen Kapitalertragsteuer un-terliegen.

Beispiel:E hat im Jahr 1999 Aktien erworben und hält diese auf

dem Depot seiner Hausbank. Im Dezember 2011 will er sieseinem Enkel F schenken. Zu diesem Zweck werden die Ak-tien auf das Depot des F übertragen. Weist E seiner Haus-bank die Schenkung zB anhand einer erfolgten Schenkungs-meldung nach, unterbleibt der KESt-Abzug.

E. Bei neuen Lebensversicherungenmuss die Laufzeit mindestens 15 Jahrebetragen

Bisher waren Einkünfte aus Lebensversicherungennur einkommensteuerpflichtig, wenn weder lau-fende, im Wesentlichen gleich bleibende Prämien-zahlungen vereinbart worden sind, noch die Laufzeitder Versicherung weniger als zehn Jahre beträgt. Fürseit dem 1. 1. 2011 abgeschlossene Lebensversiche-rungen wird diese Höchstlaufzeit auf 15 Jahre er-höht. Für davor abgeschlossene Verträge ändert sichnichts.

RECHTSPRECHUNG

Nachhaltigkeit einer ErfindertätigkeitEinkünfte aus einer selbständigen, nachhaltigen Er-findertätigkeit, die mit Gewinnabsicht unter Beteili-gung am wirtschaftlichen Verkehr unternommenwird, sind den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzu-rechnen. Von Nachhaltigkeit ist auszugehen, wennumfangreiche und planmäßige Maßnahmen zur Aus-wertung der Erfindung getroffen werden.

Der Bf entwickelte neben seiner unselbständigen Tätig-keit Patente aus dem Bereich von Windkraftanlagen.1994 wurden drei Patente, 1997 ein weiteres angemel-det und in einer Vielzahl weiterer Länder validiert. DiePatente wurden im September 2000 an die W-GmbH,deren Gesellschafter und Geschäftsführer der Bf bis zudiesem Zeitpunkt war, verkauft. Der Bf qualifiziertediesen Vorgang als Verkauf einer außerbetrieblichenEinkunftsquelle, der nicht der Einkommensteuer unter-liegt. Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfunggelangte das FA zur Auffassung, es liege eine planmäßigausgeübte Erfindertätigkeit vor. Der Erlös aus den Pa-tentverkäufen sei daher seinen Einkünften aus selbstän-diger Arbeit zuzurechnen.

Aus der Begründung:Die Erfindertätigkeit kann zu Einkünften aus Gewer-bebetrieb führen, wenn eine selbständige, nachhaltigeBetätigung vorliegt, die mit Gewinnabsicht unter-nommen wird und sich als Beteiligung am allgemei-nen wirtschaftlichen Verkehr darstellt.

Zufallserfindungen führen für sich nicht zu be-trieblichen Einkünften, es sei denn, der Erfinder trifftumfangreiche und planmäßige Maßnahmen zur Aus-wertung der Erfindung (vgl Doralt, EStG8 § 22 Tz94 f und Hofstätter/Reichel, § 22 Tz 17 und die dortzitierte Rsp).

Der deutsche BFH hat in seinem Urteil vom18. 6. 1998, BStBl 1998 II 567 = RdW 1999, 565,ua ausgeführt:

„Nicht jede ,Blitzidee

,

führt zu einer Zufallserfin-dung iS der eingangs zitierten Rechtsprechung. Be-darf es nämlich nach einem spontan geborenen Ge-danken einer weiteren Tätigkeit, um die Erfindungbis zur Verwertungsreife zu fördern, liegt eine plan-mäßige Erfindertätigkeit vor, die nicht mehr als ,gele-gentlich

,

anzusehen ist (…). Eine Tätigkeit, die nichtnur gelegentlich ausgeübt wird, ist als nachhaltig an-

zusehen. Nach allgemeiner Auffassung kommt dieZufallserfindung deshalb in der Praxis kaum vor.“

Der VwGH hält diese Ausführungen des deut-schen BFH zur Zufallserfindung auch für die österrei-chische Rechtslage für zutreffend.

Anmerkung:Die Erfindertätigkeit zählt bei Vorliegen von Selbstän-digkeit, Nachhaltigkeit, Gewinnabsicht sowie der Betei-ligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu denEinkünften aus Gewerbebetrieb gem § 23 EStG. In vie-len Fällen wird eine Erfindertätigkeit auch eine wissen-schaftliche Tätigkeit darstellen und daher gem § 22Z 1a EStG zu den Einkünften aus selbständiger Arbeitzu zählen sein. In einer Reihe von E sprach der VwGHbereits aus, dass Erfinden und Konstruieren eine freibe-rufliche Tätigkeit darstelle, ohne diese Subsumtion je-doch näher zu erläutern (vgl Hofstätter/Reichel, Ein-kommensteuer-Kommentar § 22 Tz 17). In der hier be-sprochenen E argumentiert der VwGH, es würden Ein-künften aus selbständiger Arbeit vorliegen, sofern dieErfindertätigkeit einer der in § 22 EStG aufgezähltenTätigkeiten entspricht.

Eine der Voraussetzungen einer betrieblichen Tätig-keit ist, wie bereits eingangs erwähnt, die Nachhaltigkeitder Betätigung. Diese ist insb anzunehmen, wenn meh-rere aufeinander folgende gleichartige Handlungen unterAusnützung derselben Gelegenheit und derselben Ver-hältnisse ausgeführt werden. Weiters kann von betriebli-cher Betätigung ausgegangen werden, wenn die tatsäch-lichen Umstände auf den Beginn oder die Fortsetzungdieser Tätigkeit hinweisen. Auch eine durch längere Zeitausgeübte Tätigkeit ist nachhaltig, selbst wenn sie nurgegenüber einem Auftraggeber erfolgt. Weiters ist nachwirtschaftlicher Betrachtungsweise ebenso die Erfüllungeines einzigen Auftrags eine nachhaltige Tätigkeit, wenneinerseits die lange Dauer der damit verbundenen Arbei-ten und andererseits deren Zusammensetzung aus einerFülle von Einzelleistungen diesen Schluss zulässt (vglHofstätter/Reichel, Einkommensteuer-Kommentar § 23Tz 10). Demzufolge ist der Begriff der Nachhaltigkeitweit zu interpretieren.

Genauso wird eine Erfindertätigkeit wohl in der Re-gel eine nachhaltige Tätigkeit sein, sofern umfangreicheund planmäßige Maßnahmen zur Auswertung der Er-findung getroffen werden. Nur Zufallserfindungen füh-

STEUERRECHT

BEARBEITET VONE. HÜTTER

ecolex 2011 361

§§ 22, 23 EStG

VwGH28. 10. 2010,2007/15/0191

2011/147

Page 84: ecolex 4/2011

ren hingegen nicht zu betrieblichen Einkünften (vgl Do-ralt, EStG8 § 22 Tz 94 f).

In seiner Berufung bezieht sich der Bf im Wesentli-chen auf die fehlende Nachhaltigkeit seiner Erfindertä-tigkeit. Der Bf argumentiert, bloß die Patentideen skiz-ziert und beim Patentamt eingereicht zu haben. Dieweitere Entwicklung der Patentideen sei durch die spätergegründete GmbH erfolgt (wobei der Bf während derZeit der Patententwicklung sowohl Mehrheitsgesellschaf-ter als auch Geschäftsführer war).

In seiner E zitiert der Gerichtshof betreffend der In-terpretation der Nachhaltigkeit die Rsp des deutschenBFH, welche der VwGH auch für die österreichischeRechtslage für zutreffend erachtet. Diesem Urteil zufolgeführt etwa die Tatsache, dass im Laufe von mehr alszwei Jahren vier Patente auf den Namen des Kl ange-meldet wurden zu einer Nachhaltigkeit seiner Erfinder-

tätigkeit. Der BFH ist auch der Ansicht, dass es nichtentscheidend sein kann, ob der Erfinder die bis zur Pa-tentreife erforderlichen Arbeiten selbst durchführt odervon einem anderen für sich durchführen lässt.

In diesem Sinne erkannte der VwGH, dass die Ent-wicklung und das schriftliche Festhalten der Patentideenicht getrennt von der planmäßigen Betreibung der Pa-tentverfahren im In- und Ausland gesehen werden kann.Das Erfassen der Entwicklung in Form von Zeichnun-gen und schriftlichen Beschreibungen sei gerade im Hin-blick auf die Patentverfahren erfolgt. Nach Ansicht desVwGH erfüllte diese Gesamtbetätigung des Bf daherohne Zweifel das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltig-keit. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.

Elisabeth HütterMag. Elisabeth Hütter ist Berufsanwärterin in einer Wirtschaftsprüfungs-und Steuerberatungskanzlei.

Anrechnung von Quellensteuern aus Vorjahren auf dieKörperschaftsteuerDie Bw stellt in ihrer Berufung gegen den Körperschaft-steuerbescheid Gruppe 2005 den Antrag, ausländischeQuellensteuern aus 1998 bis 2003 (Bezug von Kredit-zinsen, Wertpapierzinsen, Lizenzzahlungen und Divi-denden) iHv E 189.270,56 anzurechnen (Anrech-nungsvortrag ausländische Quellensteuer). Die Bw habein den Vorjahren negative Einkünfte ausgewiesen, sodassdie Quellensteuern nicht anrechenbar gewesen seien.Dass für die Anrechnung eine konkrete inländischeRechtsnorm fehle, sei nicht schädlich. Die Anrechnungergebe sich aus dem Abkommensrecht: DBA seien ab-kommensautonom auszulegen. Die Anrechnung „aufdie vom Einkommen zu erhebende Steuer“ könne nurin Richtung eines Anrechnungsvortrags ausgelegt wer-den. Andernfalls würde eine Doppelbesteuerung eintre-ten. Auch habe der VwGH im Erk v 25. 9. 2001, 99/14/0217 festgehalten, dass die Anrechnungsmethode eineperiodenübergreifende Wirkung habe. Dies werde durchjüngste Entwicklungen auf OECD-Ebene unterstützt.Auch das Gemeinschaftsrecht gebiete einen Anrech-nungsvortrag.

Aus der Begründung:1. Strittig ist ausschließlich, ob Quellensteuern aus1998 bis 2003 auf die Körperschaftsteuer 2005 anre-chenbar sind.

2. Eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, der zwin-gend eine Anrechnung zu entnehmen wäre, liegtnicht vor. Anrechnungen sind in jenen Zeiträumenvorzunehmen, in denen die ausländischen Einkünfteerzielt wurden (VwGH 21. 10. 2004, 2001/13/0017;UFS 14. 12. 2005, RV/4438-W/02).

3. Rsp und Verwaltungspraxis lehnen bei Quel-lensteuern einen Anrechnungsvortrag ab. Der VwGHstellt in stRsp fest, dass es in der Hand der Abkom-mensparteien liegt, bis zu welchem Ausmaß sie dasZiel verwirklichen wollen (VwGH 20. 4. 1999, 99/14/0012 zu Lizenzeinkünften; ebenso VwGH28. 2. 2007, 2003/13/0064). Der VwGH hat dabeinicht nur bestimmteWortfolgen der DBA herangezo-gen, sondern allgemein den Anrechnungsvortrag ver-

neint, weil er nicht auf Art 23 OECD-MA gestütztwerden kann (UFS 14. 12. 2005, RV/4438-W/02).In EAS 2021 vom 26. 3. 2002 (zu Lizenzgebühren)wird ausgeführt, ein Anrechnungsvortrag könne nichtvon der Abgabenverwaltung durch Nichtbeachtungeines klaren und eindeutigen Wortlauts der DBA her-beigeführt werden (ebenso in EAS 2591 vom24. 3. 2005 zu Zinsquellensteuern).

4. Die der Rechtsauffassung von Rsp und Finanz-verwaltung konträr gegenüberstehenden Auffassun-gen der Lehre stützen sich einerseits auf Zielsetzungender DBA, bei grenzüberschreitenden Konstellationendieselbe Besteuerung anzustreben wie bei innerstaatli-chen Sachverhalten, und andererseits auf das Erfor-dernis einer abkommensautonomen Auslegung (sGassner, SWI 1999, 59; Kühbacher, SWI 9/2008,387; Schuch, Verluste im Recht der Doppelbesteue-rungsabkommen 163 ff). Danach darf der Abkom-mensschutz nicht „ins Leere laufen“ und die Steuerdarf erst in jenem Zeitraum erhoben werden, indem kein Verlustvortrag mehr zur Verfügung steht.

5. Ungeachtet der Frage nach der Auslegung derDBA bildet zunächst das innerstaatliche Recht eineSchranke in bestimmten Bereichen. Gelingt zudemdie autonome Auslegung der DBA nicht, bestehtein „non liquet“ und der Mitgliedstaat kann nachArt 3 Abs 2 OECD-MA die Bestimmung nach sei-nem nationalen Recht auslegen, „wenn der Zusam-menhang nichts anderes erfordert“. Eine unterschied-liche Auslegung der Vertragsstaaten wird damit inKauf genommen.

6. Letztlich ist die Interpretation von Art 23OECD-MA aus dem Kontext heraus vorzunehmen,mit Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Ab-kommens. Die Frage nach dem Anrechnungsvortragreduziert sich darauf, ob dieser von den Vertragsstaa-ten gewollt und geregelt ist. Der Schluss, der Anrech-nungsvortrag sei dem allgemeinen Ziel der DBA ent-nehmbar, wonach der Abkommensschutz in der Ver-meidung der Doppelbesteuerung liege, die wiederumder Nichtanwendung des Anrechnungsvortrags ent-

RECHTSPRECHUNG DES UFSBEARBEITET VONM. LAUDACHER

Art 23 OECD-MA

UFS 18. 2. 2011,RV/0686-L/10

2011/148

STEUERRECHT

362 ecolex 2011

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springe, geht fehl. Die Lehre setzt damit nämlich dasin den DBA voraus, was sie darin zu finden hofft, undgerät in einen Zirkelschluss. Es obliegt der Privatauto-nomie der Mitgliedstaaten, welche Sachverhalte inden DBA geregelt sind und in welchem AusmaßDoppelbesteuerungen ausgeschlossen werden sollen.Ein genereller Ausschluss von Doppelbesteuerungenkann nicht von vorneherein jedem DBA unterstelltwerden. Daher wendet der überwiegende Teil derMitgliedstaaten das Instrument des Anrechnungsvor-trags bei Quellensteuern auch nicht an. Staaten dieden Anrechnungsvortrag zulassen, stützen sich auf in-nerstaatliche (verfahrensrechtliche) Mittel (wie zB§ 48 BAO).

Der Absicht der DBA, Doppelbesteuerungen zuvermeiden, kann für den speziellen Fall nichts ent-nommen werden. Im OECD-MK sind Zweifelsrege-lungen aufgezählt, deren Anführung sinnlos wäre,wenn Doppelbesteuerungen durch bloße Auslegungder DBA vermieden werden könnten. In OECD-MK zu Art 23 findet sich in Rz 66 Folgendes: „Die er-wähnten Probleme werden weitgehend vom innerstaatli-chen Recht und der innerstaatlichen Verwaltungspraxisbestimmt und daher ist die Lösung jedem Staat überlas-sen. Bemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass einigeStaaten bei der Anwendung der Anrechnungsmethodesehr großzügig verfahren. Manche Staaten erwägen auchdie Möglichkeit des Übertrags nicht in Anspruch genom-mener Anrechnungsbeträge oder haben diesen Übertrag

bereits zugelassen. Die Vertragsstaaten können selbstver-ständlich den Artikel in bilateralen Verhandlungen än-dern, um jeglichen der erwähnten Probleme zu begeg-nen.“ Solchen und ähnlichen Passagen kann man ent-nehmen, dass sich der Übertrag von Anrechnungsbe-trägen nicht den DBA selbst entnehmen lässt.

7. Eine gemeinschaftsrechtliche Anrechnungsver-pflichtung von Quellensteuern aus Dividenden hatder EuGH im Urteil vom 10. 2. 2011, C-436/08,Haribo/Saline, verneint. Der UFS kann auch nicht er-kennen, dass für anrechenbare Steuern aus anderenQuellen (zB Lizenzen) anderes gelten sollte.

8. Spezifisch verfassungsrechtliche Fragen warennicht zu prüfen.

Die Berufung war aus den bezeichneten Gründenabzuweisen.

Anmerkung:Die Ausführungen der Lehre haben den UFS nicht über-zeugt. Den DBA kann in genereller Form ein Anrech-nungsvortrag für Quellensteuern nicht entnommen wer-den. Dieser ist auch unionsrechtlich nach EuGH C-436/08 ausdrücklich nicht geboten. Er müsste daher inner-staatlich (generell) normiert werden, womit nach derzei-tiger Sachlage wohl nicht zu rechnen ist.

Marco LaudacherMag. Marco Laudacher ist Mitglied des UFS, Außenstelle Linz.

Von Abfallbesitzern undAbfallerzeugern Das AWG 2002 hat mit seiner Definition des

„Abfallbesitzers“ Verwirrung gestiftet. Die am16. 2. 2011 in Kraft getretene AWG-Novelle 2010 lässt die Legaldefinition unverändert, dieErläuterungen unternehmen aber Klarstellungsversuche. Eine Bestandsaufnahme.

ALEXANDER GRAU

A. Problem

Den „Abfallbesitzer“ treffen umfangreiche Entsor-gungs-, Aufzeichnungs- und Meldepflichten. Va ister nach §§ 15 f AWG 2002 für die ordnungsgemäßeBehandlung des Abfalls verantwortlich; widrigenfallsdrohen Verwaltungsstrafen1) und Behandlungsauf-träge.2)

Umso wichtiger wäre Klarheit darüber, wer Ab-fallbesitzer ist. In der Praxis hat die Legaldefinitiondes § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002, die neben dem Ab-fallerzeuger auch jeden bloßen Inhaber erfasst, aller-dings zu erheblichen Unsicherheiten geführt:

& In der Baupraxis stellt sich etwa die Frage, ob Bau-herren und/oder Bauunternehmer als Abfallbesitzeranzusehen sind.

& Bestandgeber fürchten, für vom Bestandnehmerhinterlassene Abfälle/Kontaminationen verant-wortlich gemacht zu werden.

& Dasselbe gilt für Liegenschaftseigentümer, die vonunbekannten Dritten mit illegalen Ablagerungen„beglückt“ werden.

B. Die Regelung des AWG 2002

1. Die Legaldefinition in § 2 Abs 6

„Abfallbesitzer“ ist nach § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002sowohl der Abfallerzeuger (lit a) als auch jede Person,welche die Abfälle innehat (lit b).

Unter dem „Abfallerzeuger“ versteht Z 2 primärdenjenigen, durch dessen Tätigkeit Abfälle anfallen(„Abfallersterzeuger“, lit a).

Der Begriff „Inhaber“ wird vom Gesetz dagegennicht näher definiert.

STEUERRECHT

ecolex 2011 363

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHTGELEITET VONCH. SCHMELZ

Dr. Alexander Grau ist Rechtsanwalt bei Doralt Seist Csoklich in Wien.1) § 79 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 4 AWG 2002.2) § 73 AWG 2002.

Page 86: ecolex 4/2011

2. Die Gesetzesmaterialien

Die Gesetzesmaterialien zum AWG 20023) enthieltendazu nur sehr knappe Erläuterungen: Inhaber sei „die-jenige Person, welche die Sachherrschaft über [die] Sachehat“. Bei einer Anlage sei dies „in erster Linie der Be-treiber“. Bei Maßnahmen nach LKW-Unfällen träfendie Pflichten des Abfallbesitzers die anordnende Behund nicht die von ihr beauftragten Hilfsorgane (Feu-erwehr) oder Unternehmen.

C. Historischer Hintergrund

1. Stammfassung des AWG

Die Stammfassung des alten AWG (BGBl 1990/325)enthielt noch gar keine Definitionen dieser Begriffe.Aus § 20 AWG ging lediglich indirekt hervor, dassder Transporteur grds nicht als Abfallbesitzer anzuse-hen sein konnte; die Verwertungs- und Behandlungs-pflichten des Abfallbesitzers (§ 17 AWG) trafen ihnnämlich explizit nur im Fall einer Beförderung ohnePapiere.

Naheliegenderweise zog der VwGH daher dentraditionellen Besitzbegriff des § 309 ABGB heran,der neben der faktischen Sachherrschaft (Gewahr-same, corpus) auch den Willen erfordert, die Sacheals eigene zu behandeln (Besitzwille, animus rem sibihabendi). Der Transporteur wurde dementsprechendnicht als Abfallbesitzer qualifiziert; ebenso wenig derAbbruchunternehmer; wohl aber der Liegenschaftsei-gentümer, der den Abbruchauftrag erteilt hat (undschon dadurch zu erkennen gab, mit dem Bauwerkwie mit einem eigenen verfahren zu wollen).4)

2. Novellen zum AWG

Erste Legaldefinitionen wurden durch Novellen zumAWG eingefügt.5) Im Unterschied zu heute wurdedarin noch auf Besitz und nicht auf Innehabung abge-stellt.

Der VwGH sah damit seine Judikatur, wonachBesitzwille erforderlich sei, bestätigt.6)

Diese Auslegung stand im Einklang mit den Ma-terialien, die zum Besitzbegriff auf die „zivilrechtli-chen Vorschriften“ verwiesen; die Absicht des Gesetz-gebers war allerdings auch auf Umsetzung der RL 75/442/EWG über Abfälle gerichtet.7)

D. Unionsrechtliche Grundlagen

1. Autonomer Besitzbegriff

Diese RL stellt nun tatsächlich darauf ab, in wessenBesitz sich die Abfälle befinden; ebenso die aktuelleRL 2008/98/EG über Abfälle („AbfallrahmenRL“).

„Besitz“ darf hier freilich nicht automatisch mitdem Besitz iSd § 309 ABGB gleichgesetzt werden.Denn erklärter Zweck der Definitionen war dieSchaffung einer „gemeinsamen Terminologie“;8) er-forderlich ist also eine einheitliche („autonome“) Ausle-gung.9) Dabei darf (nur) insoweit auf das Recht derMS zurückgegriffen werden, als sich aus dem Unions-recht keine Anhaltspunkte für den konkreten Be-griffsinhalt ergeben.10)

Der Besitzbegriff der MS ist aber unterschiedlich.ZB erfordert der Besitz iSd § 854 BGB nicht denWillen des Besitzers, die Sache „als ihm gehörend“zu besitzen (Eigenbesitz iSd § 872 BGB), sondernversteht sich als Oberbegriff für Eigenbesitz (mit ani-mus rem sibi habendi) und Fremdbesitz (mit animusrem alteri habendi).11) Er wird daher oft mit der blo-ßen Innehabung iSd § 309 ABGB gleichgesetzt (vglauch Art 5 der 4. EVHGB).

2. EuGH-Urteil

Der EuGH versteht unter dem „Abfallbesitzer“ jeden-falls – in einem obiter dictum – nicht nur den Eigen-besitzer, sondern auch den Fremdbesitzer.12)

E. Klarstellungsversuche anlässlich derAWG-Novelle 2010

1. Erläuterungen ohne Gesetzesänderung

Vielleicht vor diesem Hintergrund ist das AWG 2002in seiner Definition des „Abfallbesitzers“ auf bloße In-nehabung umgeschwenkt.

Die Erläut zur AWG-Novelle 201013) meinen je-denfalls, die Definitionen des AWG 2002 entsprä-chen bereits denen der neuen AbfallrahmenRL undsollten daher nicht geändert werden.

Trotzdem enthalten die Erläut – zur „Vorbeugungvon Auslegungsschwierigkeiten“ – eine Reihe vonKlarstellungsversuchen:

2. „Klarstellung“ zum Besitzwillen

Zur Definition des „Abfallbesitzers“ wird zunächstbetont, ein Besitzwille sei im Unterschied zum ABGB„nicht erforderlich“; Voraussetzung für die Inneha-bung sei (allein?), dass sich die Abfälle im Herrschafts-bereich der betreffenden Person befänden.

Das ist freilich missverständlich. Richtig ist, dassbloße Innehabung keinen Besitzwillen iSd § 309ABGB erfordert, also keinen animus rem sibi habendi.Schon zivilrechtlich ist jedoch stets einDetentionswille

3) RV 984 BlgNR 21. GP 87.4) VwGH 29. 8. 1995, 95/05/0005; 27. 5. 1997, 94/05/0087; jeweils

unter Ablehnung der vonMayer, ecolex 1994, 128, befürworteten An-lehnung an das Sonderabfallgesetz BGBl 1983/186. Ähnlich wieMayer auch OGH in 8 Ob 7/94, 8 Ob 8/94 (aus dem Sonderabfallge-setz schließend, es komme nicht auf einen Besitzwillen an).

5) Siehe § 2 Abs 8 a AWG idF der EU-Novelle 1996 zum AWG, BGBl1996/434; § 2 Abs 8b AWG idF der AWG-Nov 1998, BGBl I 1998/151.

6) VwGH 27. 6. 2002, 2001/07/0091; 7. 7. 2005, 2002/07/0111,2002/07/0112.

7) RV 149 BlgNR 20. GP 15; RV 1201 BlgNR 20. GP 20.8) ErwGr 3 der RL 91/156/EWG, auf die die einschlägigen Definitionen

zurückgehen.9) Grundlegend EuGH Rs 49/71, Hagen, Slg 1972, 23; Rs 50/71,Wün-

sche, Slg 1972, 53.10) EuGH Rs 327/82, Ekro, Slg 1984, 107; EuG Rs T-43/90, Díaz Gar-

cía, Slg 1992, II-2619; uvm.11) Palandt/Bassenge, BGB68 Überbl v § 854 Rz 2; Erman/O. Werner,

BGB II10 Vor § 854 Rz 5.12) EuGH C-1/03, Van de Walle e.a., Slg 2004, I-7613 Rn 55. Dazu auch

UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008.13) RV 1005 BlgNR 24. GP 14.

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

364 ecolex 2011

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erforderlich, auch wenn dafür ein genereller, auf einenbestimmten Herrschaftsbereich oder auf Sachen be-stimmter Art bezogener Wille genügt.14) Dasselbe giltfür den Besitz iSd BGB.15)

Außerdem dient der Begriff abfallrechtlich demZweck, den für die Abfallbehandlung Verantwortli-chen festzulegen (vgl Art 15 AbfallrahmenRL;§§ 15 f AWG 2002). Eine Zuweisung der Verantwor-tung an jeden, in dessen Herrschaftsbereich Abfällevöllig ohne, ja vielleicht sogar gegen seinen Willen gera-ten sind, würde auf willkürliche Inanspruchnahmenach dem reinen Zufallsprinzip hinauslaufen. Dage-gen sprechen grundrechtliche und systematischeÜberlegungen, für das österr Recht insb schon einUmkehrschluss aus § 74 AWG 2002:16) Dort istnämlich eine bloß subsidiäre Haftung des Liegen-schaftseigentümers bzw seiner Rechtsnachfolger vor-gesehen, und auch das nur bei Vorliegen subjektiverZurechnungsgründe (Zustimmung, Duldung etc);fehlen diese, hat die Allgemeinheit für die Behand-lung zu sorgen (Abs 4–6).

Neben der Zuordnung zum Herrschaftsbereich istalso auch ein Detentionswille zu fordern.

3. „Klarstellung“ zur Durchführung vonArbeiten

Weiter erfährt man aus den Erläut, in leicht gebroche-nem Deutsch: „Derjenige, nach dessen Anweisungenbzw Vorstellungen die Arbeiten durchgeführt werdenund bestimmt, welche Arbeiten wie durchgeführt wer-den, übt den faktischen Einfluss aus und hat nach derVerkehrsauffassung Gewahrsame an den Materialienund den daraus entstandenen Abfällen.“

Daraus ergibt sich zunächst – wenig überra-schend –, dass der Bauherr idR als Abfallbesitzer anzu-sehen sein wird; ebenso derjenige, der sonstige Arbei-ten veranlasst, bei denen Abfälle anfallen (zB Ro-dungsarbeiten).

Die wirklich interessierende Frage ist aber, obauch der Bauunternehmer, Handwerker oder sonstigeGehilfe als Abfallbesitzer anzusehen ist. Sie wird vadann virulent, wenn für die Entsorgung kein entspre-chendes Entgelt vereinbart wurde.17) Die Erläut ge-ben darauf keine Antwort. Die im Ministerialent-wurf 18) noch enthaltenen – aber völlig unausgegore-nen – Beispiele wurden nach Kritik in der Begutach-tung ersatzlos gestrichen.

4. „Klarstellung“ zur Abfallerzeuger-eigenschaft

Erhalten geblieben ist jedoch der kryptische Satz, fürdie Beurteilung der Abfallerzeugereigenschaft seien„ebenfalls die oben“ – dh zur Innehabung – „genanntenKriterien (insbesondere Sachherrschaft, allgemeine Ver-kehrsauffassung, Verfügungsgewalt) heranzuziehen“.

Gemeint ist offenbar, dass derjenige, „nach dessenAnweisungen bzw Vorstellungen die Arbeiten durchge-führt werden“, auch als Abfallerzeuger gelten soll.Das kann aber nur so verstanden werden, dass nichtschon jeder abhängige Gehilfe (Dienstnehmer etc) Ab-fallerzeuger sein soll, sondern nur der verantwortlicheUnternehmer. Dass dieser seinerseits „nur im Auf-trag“ eines anderen tätig wird, ist nach der Legaldefi-

nition dagegen irrelevant: So gibt etwa der Bauherrzwar vertraglich vor, welche Arbeiten auszuführensind, durch seine Tätigkeit fallen aber keine Abfällean. Im Übrigen wäre der Tatbestand des § 2 Abs 6Z 1 lit a AWG 2002 sinnlos, wäre er genauso zu ver-stehen wie lit b.

F. Schlussfolgerungen

1. Kein Besitz ohne Wille

Der „Abfallbesitzer“muss also entweder „Abfallerzeu-ger“ oder „Inhaber“ des Abfalls sein. Innehabung iSd§ 309 ABGB erfordert aber – wie der Besitz iSd BGB– zumindest einen Detentionswillen (wenn auch kei-nen animus rem sibi habendi).

Der Grundinhaber ist daher nur dann Abfallbesit-zer, wenn der am Grundstück befindliche Abfall zu-mindest von seinem generellen Gewahrsamswillen19)erfasst wird. Für die Behandlung von Abfällen, dievon Dritten ohne oder gar gegen seinen Willen hinter-lassen werden, ist er nicht verantwortlich; umso weni-ger der bloße Liegenschaftseigentümer (dieser haftet je-doch uU nach § 74 AWG 2002 subsidiär).

Konkrete Kenntnis ist allerdings nicht erforderlich:Ist eine Vorrichtung zur Aufnahme von Sachen be-stimmter Art vorgesehen, erwirbt der Inhaber Ge-wahrsame an allen bestimmungsgemäß eingebrachtenSachen auch dann, wenn er von diesen nicht im Ein-zelnen Kenntnis hat,20) zB der Inhaber einer Deponiean den eingebrachten Abfällen.

Der Verlust des Innehabungswillens entbindet –selbstverständlich – nicht automatisch von den Ab-fallbesitzerpflichten. Zwar gehen zivilrechtlich durchDereliktion Besitz und Innehabung verloren (§ 349ABGB), mit dem Zweck des AWG 2002 wäre es je-doch klarerweise unvereinbar, damit die Behand-lungspflicht enden zu lassen; diese besteht vielmehr,wie sich aus § 15 Abs 5 AWG 2002 ergibt, bis zurÜbergabe an einen zur Sammlung oder BehandlungBerechtigten.21)

ecolex 2011 365

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

14) Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982) 34 ff.15) Siehe Palandt/Bassenge, BGB68 § 854 Rz 4; Erman/O. Werner, BGB

II10 § 854 Rz 10.16) Vgl Huber-Medek, RdU-UT 2009/2, 4 f; Leszkovics, RdU-UT 2009/

3, 7.17) Die Pflicht zur Entsorgung der bei der Arbeit anfallenden Abfälle wird

sich, auch ohne explizite Vereinbarung, meist schon aus Vertrags-zweck und Verkehrssitte, zumindest aber aus ergänzender Vertragsaus-legung ergeben (vgl Rummel in Rummel3 § 914 Rz 18). Problematischsind insb jene Fälle, in denen sie in das vereinbarte Entgelt nicht ein-kalkuliert wurden. Da Kalkulationsirrtümer idR unbeachtlich sind (sRummel in Rummel 3 § 871 Rz 12), bleibt dann nur ein Regress nach§ 896 ABGB. Dieser wird aber – je nach dem „besonderen Verhältnis“zwischen den Beteiligten – oft nicht auf eine volle Abgeltung hinaus-laufen.

18) 156/ME 24. GP.19) Siehe oben bei FN 14.20) Iro, Besitzerwerb 35.21) Nach dem durch die AWG-Novelle 2010 eingefügten § 15 Abs 5 a

soll der Abfallbesitzer dabei die umweltgerechte Verwertung oder Be-seitigung „explizit“ beauftragen müssen. Da es völlig unsachlich wäre,konkludente Erklärungen auszuschließen, wird man dies – wie so oft –nur iS von „deutlich“ oder „unzweifelhaft“ interpretieren können (vglBollenberger in KBB3 § 863 Rz 2).

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2. Bestandgeber und Leasinggeber alsAbfallbesitzer

An vom Bestandnehmer eingebrachten Sachen erlangtder Bestandgeber idR keine Gewahrsame, da der Be-standnehmer üblicherweise keinenWillen hat, selbigefür den Bestandgeber innezuhaben, was aber Voraus-setzung für Gewahrsame des Bestandgebers wäre.22)

Derelinquiert der Bestandnehmer solche Sachenanlässlich seines Auszugs, wird diesbezüglich, soweites um Abfälle geht, idR wiederum kein – noch so ge-nereller – Gewahrsamswille des Bestandgebers beste-hen; dieser kann also nicht per „Zwangsbeglückung“zum Abfallbesitzer gemacht werden,23) in Betrachtkommt höchstens eine subsidiäre Haftung nach§ 74 AWG 2002.

Anders kann es sich im Einzelfall bei zurückblei-benden Kontaminationen verhalten, wenn das Grund-stück zum Betrieb eines bestimmten Unternehmensin Bestand gegeben wurde. Führt der vereinbarte Be-standzweck typischerweise zu solchen Kontaminatio-nen (Bsp: Tankstelle), wird man diese als vom gene-rellen Gewahrsamswillen des Bestandgebers in Bezugauf das Grundstück umfasst ansehen müssen, wennnicht für den Fall der Beendigung des Bestandverhält-nisses eine Dekontaminierung durch den Bestand-nehmer vereinbart war. Analoges wird für andere Ab-fälle gelten, die bei dem vereinbarten Bestandzwecktypischerweise zurückbleiben.

Werden geleaste oder gemietete Geräte selbst zuAbfall, ist nicht nur der Bestandnehmer, sondern

auch der Bestandgeber Abfallbesitzer; denn Erstererhat(te) das Gerät für Letzteren inne (Bsp: Der Lea-singnehmer entledigt sich der defekten Bauma-schine). Beim Betrieb des Geräts anfallende Abfällestehen hingegen grds nur im Abfallbesitz des Bestand-nehmers; der Bestandgeber erzeugt sie nicht durch ei-gene Tätigkeit, und der Bestandnehmer hat sie idRauch nicht für ihn inne.

3. Bestandnehmer, Verwahrer undTransporteure als Abfallbesitzer

Besitzmittler sind selbst auch Inhaber.24) Daher ist, inBezug auf den in seiner Gewahrsame befindlichenAbfall, der Bestand- oder Leasingnehmer als Abfallbe-sitzer anzusehen; ebenso der Entlehner, Verwahrer,Fruchtnießer oder Transporteur. Letzteren nimmt dasAWG 2002 allerdings von einzelnen Pflichten aus(zB § 17 Abs 2 AWG 2002).25)

Eine theoretisch weitreichende Ausnahme davonmöchte eine E des UVS Burgenland26) machen: Per-sonen, die lediglich im Auftrag handeln, seien mangelsDispositionsfreiheit nicht als Abfallbesitzer anzuse-hen. Damit wären etwa Verwahrer und Transporteure,aber wohl auch die meisten Werkunternehmer undDienstleister, völlig aus dem Schneider. Das geht abersicher zu weit: Schließlich beruhen vertragliche Be-schränkungen der Dispositionsfreiheit auf privatauto-nomer Vereinbarung. Den Transporteur von seinenPflichten nach dem AWG 2002 bloß deshalb befreienzu wollen, weil er mit irgendjemandem vereinbarthat, mit dem Abfall auf bestimmteWeise zu verfahren(im Extremfall: ihn im Wald zu „entsorgen“), würdedas Gesetz ad absurdum führen. Richtigerweise musswohl derjenige, der aufgrund eines Vertrags Abfallübernimmt, beim Vertragsabschluss darauf achten,dass der Vertrag ihm die Erfüllung der Abfallbesit-zer-Pflichten gem AWG 2002 erlaubt. Andereskönnte höchstens für bloße Besitzdiener27) gelten, evauch für Gehilfen der Beh.28)

4. Werkunternehmer und Dienstleister alsAbfallbesitzer

Da der „Abfallerzeuger“ schon per definitionem als„Abfallbesitzer“ gilt, sind Werkunternehmer undDienstleister kraft § 15 AWG 2002 zur ordnungsge-mäßen Behandlung aller Abfälle verpflichtet, die iSd§ 2 Abs 6 Z 2 AWG 2002 durch ihre Tätigkeit anfal-len (lit a) oder die von ihnen iSd lit b (vor)behandeltoder vermischt werden.29) Eine (gewollte) Innehabungist dafür nach dem klaren Gesetzeswortlaut gar nicht

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22) Vgl Iro, Besitzerwerb 35 f.23) Vgl VfGH 3. 12. 2008, B 1702/07 VfSlg 18.631; 8. 10. 2009, B 508/

09. Danach kann der Bestandgeber nicht als „Inhaber der Behand-lungsanlage“ iSd § 62 Abs 4 AWG 2002 angesehen werden, wenndiese bei Beendigung des Bestandverhältnisses ohne seinen Willen zu-rückbleibt.

24) ZB Spielbüchler in Rummel 3 § 309 Rz 2.25) Siehe Wolfslehner/Hochholdinger, RdU 2002/2.26) 25. 8. 2009, 020/11/08008.27) Siehe unten bei Pkt F.5.28) Vgl das Bsp des LKW-Unfalls oben unter Pkt B.2.29) Abw UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008 (dazu oben unter

Pkt F.3).

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

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ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

erst erforderlich (andernfalls wäre auch die Erwäh-nung des Abfallerzeugers neben dem Inhaber in § 2Abs 6 Z 1 AWG 2002 überflüssig).

Hinzu kommen alle sonstigen Abfälle, die derWerkunternehmer oder Dienstleister im Zuge seinerTätigkeit (willentlich) in seine Gewahrsame über-nimmt (§ 2 Abs 6 Z 1 lit b AWG 2002).

Bsp: Der Bauunternehmer ist Abfallbesitzer hin-sichtlich des Abbruch- und Aushubmaterials, ebensohinsichtlich der Abfälle aus von ihm auf die Baustelleverbrachten Materialien. Zur Entsorgung von sonsti-gen vorgefundenen Abfällen (zB Bodenkontaminatio-nen im Umkreis der Baugrube) ist er hingegen nichtverpflichtet, solange er sie nicht in seine Gewahrsameübernimmt. In Bezug auf das Abbruch- und Aushub-material ist freilich auch der Bauherr Abfallbesitzer.Ob selbiges für die Abfälle aus auf die Baustelle ver-brachte Materialien gilt, hängt primär davon ab, obder Bauunternehmer diese Materialien bereits fürden Bauherrn innehat (was üblicherweise durch Ver-wendung zur Bauausführung zum Ausdruck kommenwird).

5. Gehilfen, Stellvertreter und Besitzdienerals Abfallbesitzer

Nach dem Gesetz ist auch Abfallbesitzer, wer den Ab-fall bloß als Gehilfe oder Stellvertreter innehat.30)

Ob dies auch für abhängige Gehilfen (sog Besitzdie-ner31) wie Dienstnehmer oder in familiärem Abhän-gigkeitsverhältnis stehende Personen) gilt, ist zweifel-haft. Denn der Besitzbegriff der AbfallrahmenRLdürfte dem des BGB näherstehen als jenem des

ABGB.32) Auch vom Telos des Abfallwirtschaftsrechtsher erschiene es unnötig weitgehend, bloße Besitzdie-ner öffentlich-rechtlich für die Abfallbehandlung ver-antwortlich zu machen.33) Da nach österr Zivilrechtauch Besitzdiener Inhaber sind,34) sind sie vomWort-laut der Legaldefinition aber jedenfalls umfasst,wenngleich die Erläut zur AWG-Novelle 2010 gegenihre Einbeziehung sprechen dürften.35)

SCHLUSSSTRICH

Zur Klärung des Begriffs des „Abfallbesitzers“ hatdie AWG-Novelle 2010 wenig beigetragen. DerBesitzbegriff der AbfallrahmenRL dürfte indesdem des BGB näherstehen als dem des ABGB.Auch das AWG 2002 wird idS auszulegen sein.Bis zu einer echten Klärung durch den EuGHwerden die anwendenden Beh damit aber weiter-hin überfordert sein.

Neue Erlaubnispflicht fürAbfallsammler und -behandlerAufgrund unionsrechtlicher Vorgaben wurde nunmehr mit der AWG-Nov 2010 auch für dieTätigkeit als Abfallsammler oder -behandler nicht gefährlicher Abfälle eine Erlaubnispflichteingeführt. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Erlaubnispflicht, ihreVoraussetzungen und etwaige Ausnahmen.

THOMAS WIMMER

A. Neue europarechtliche Anforderungen

Die EU-Abfallrahmenrichtlinie (AbfRRL)1) nor-miert, dass nicht nur Abfallbehandlungsanlagen, son-dern auch Unternehmen, die beabsichtigen, Abfallbe-handlungen durchzuführen, einer Genehmigung be-dürfen.2) Mit einer bloßen Anzeigepflicht für dieSammlung oder Behandlung nicht gefährlicher Ab-fälle blieb das Abfallwirtschaftsgesetz 20023) vor derAWG-Nov 20104) hinter den unionsrechtlichen An-forderungen zurück.5) Die AWG-Nov 2010 beseitigtnunmehr dieses Umsetzungsdefizit, indem sie eine„Erlaubnispflicht“ auch für den Bereich der nicht ge-fährlichen Abfälle einführt.

B. Erlaubnispflicht für die Sammlungund Behandlung nicht gefährlicherAbfälle

Während die Vorgaben für die Sammlung oder Be-handlung von gefährlichen Abfällen im Wesentlichengleich geblieben sind, ist seit dem Inkrafttreten der

30) Zum Besitzerwerb durch Gehilfen und Stellvertreter vgl Iro, Besitzer-werb 11.

31) Vgl § 855 BGB.32) Vgl oben Pkt D.2.33) Vgl UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008, wonach überhaupt

schon jeglicher Beauftragte vom Abfallbesitzerbegriff ausgenommensein soll. Zur völlig unterschiedlichen Behandlung von Dienstneh-mern nach § 31 WRG 1959 und nach B-UHG durch die hM vglGrau, ecolex 2010, 93 (97).

34) Spielbüchler in Rummel 3 § 309 Rz 2; Kodek in Kletečka/Schauer,ABGB-ON 0.03 § 309 Rz 2 und § 344 Rz 3; Klicka in Schwimann3

§ 309 Rz 3 und § 319 Rz 1.35) Siehe oben Pkt E.4.

Mag. DI Thomas Wimmer ist RAA der Schönherr Rechtsanwälte GmbH.1) RL 2008/98/EG über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter RL,

ABl L 2008/312, 3.2) Art 23 AbfRRL.3) AWG 2002, BGBl I 2002/102 idF BGBl I 2009/115 (AWG aF).4) AWG-Nov 2010, BGBl I 2011/9.5) Vgl § 24 AWG aF.

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AWG-Nov 2010 am 16. 2. 2011 die Sammlung oderBehandlung nicht gefährlicher Abfälle erlaubnis-pflichtig.

Für die Erteilung der Erlaubnis ist der LH zustän-dig, in dessen Bundesland der Abfallsammler oder-behandler seinen Sitz hat.6) Der Antrag kann überdas EDM-Register gestellt werden.7) Über den Antraghat der LH innerhalb von drei Monaten mit Bescheidabzusprechen.8)

Um eine entsprechende Erlaubnis zu erlangen,müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein(§ 24 a Abs 3):& Fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten hinsicht-

lich der beantragten Abfälle (Z 4): Diese sind lautden Gesetzesmaterialien9) jedenfalls erfüllt, wennentweder eine 5-jährige einschlägige Berufserfah-rung vorliegt oder eine einschlägige Schulung,der Abschluss einer einschlägigen Schule (zB Um-welttechnik-HTL) oder eines Studiums nachge-wiesen werden kann. Eine zusätzliche Prüfung –wie sie für die Sammlung oder Behandlung gefähr-licher Abfälle vorgesehen ist – ist nicht erforder-lich.

& Verlässlichkeit (Z 5): Keinesfalls als verlässlich gilteine Person, der die Erlaubnis als Abfallsammleroder -behandler oder als abfallrechtlicher Ge-schäftsführer innerhalb der letzten fünf Jahre ent-zogen wurde oder die dreimal wegen bestimmterVerwaltungsübertretungen (insb GewO, WRG)bestraft worden ist.10) Vergleicht man jedoch dieAnforderungen mit jenen für Sammler oder Be-handler gefährlicher Abfälle,11) so sind die Maß-stäbe für Sammler oder Behandler nicht gefährli-cher Abfälle wesentlich weniger streng.

& (Zwischen-)Lagerung in geeigneten genehmigten(Zwischen-)Lagern (Z 6): Der Besitz bzw die Ge-nehmigung eines eigenen Zwischenlagers ist nichterforderlich. Vielmehr muss laut Gesetzesmateria-lien vertraglich sichergestellt sein, dass die Mög-lichkeit der Zwischenlagerung jederzeit und in ei-nem ausreichenden Ausmaß besteht.

& Behandlung in einer geeigneten genehmigten Be-handlungsanlage oder an einem für diese Behand-lung geeigneten Ort (Z 7): Der Betrieb einer ge-eigneten genehmigten Behandlungsanlage ist fürnicht gefährliche Abfälle nicht unbedingt erforder-lich. Die Gesetzesmaterialien betonen, dass gleich-zeitig mit dem Erlaubnisantrag ein Antrag auf Ge-nehmigung einer Behandlungsanlage gestellt wer-den kann.

C. Verantwortliche Person

Wird die Tätigkeit von einer nicht natürlichen Personausgeübt, besteht die Pflicht, dem LH eine „verant-wortliche Person“ namhaft zu machen. Diese Personmuss über die persönlichen Voraussetzungen für dieErlaubnis (fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten,Verlässlichkeit) verfügen.12) Als verantwortliche Per-son wird idR der handelsrechtliche Geschäftsführeroder ein verantwortlicher Beauftragter gem § 9 VStGfungieren.

Für juristische Personen, die bereits zum Zeit-punkt des Inkrafttretens der AWG-Nov 2010 die Tä-

tigkeit der Sammlung und Behandlung nicht gefähr-licher Abfälle rechtmäßig ausgeübt haben, gilt eineÜbergangsfrist: Die verantwortliche Person ist biszum 31. 1. 2012 namhaft zu machen.13)

D. Ausnahmen von der Erlaubnispflicht

Das AWG nützt die von der AbfRRL vorgegebenenSpielräume und sieht ua folgende Ausnahmen vonder Erlaubnispflicht14) vor:& Personen, die ausschließlich im eigenen Betrieb

anfallende Abfälle behandeln. Diese Ausnahmegilt jedoch nicht für die Verbrennung und Ablage-rung von Abfällen;

& Transporteure, soweit sie Abfälle im Auftrag desAbfallbesitzers nur befördern;

& Gebietskörperschaften und Gemeindeverbände,soweit sie zur Sammlung und Abführung nicht ge-fährlicher Abfälle gesetzlich verpflichtet sind;

& Deponieinhaber hinsichtlich der Übernahme vonAbfällen, für die er eine Einzelchargen- oder Pro-zessausstufung gem § 7 Abs 5 anzeigt;

& Sammel- und Verwertungssysteme;& Personen, die erwerbsmäßig Produkte abgeben in

Bezug auf die Rücknahme von Abfällen gleicheroder gleichwertiger Produkte, die dieselbe Funk-tion erfüllen, zur Weitergabe an einen berechtig-ten Abfallsammler oder -behandler.15)

E. Bestehende Berechtigungen

Abfallsammler und -behandler mit einer aufrechtenBerechtigung zur Sammlung oder Behandlung vongefährlichen oder nicht gefährlichen Abfällen könnenberuhigt ihre Tätigkeiten fortsetzen, gelten doch ihrederzeit bestehenden Berechtigungen nunmehr als Er-laubnis iSd § 24a AWG.16)

Die durch die AWG-Nov 2010 bewirkte Umstel-lung bietet jedoch eine gute Gelegenheit, den Um-fang bestehender Berechtigungen zu überprüfenund ggf entsprechende Ergänzungen vorzunehmen.

6) § 24a Abs 4 AWG.7) § 24a Abs 1 AWG.8) § 25a Abs 1 AWG.9) ErläutRV 1005 BlgNR 24. GP.

10) Vgl § 25a Abs 3 AWG.11) Vgl § 25a Abs 4 AWG.12) § 26 Abs 6 AWG.13) § 78 Abs 16 AWG.14) § 24a Abs 2 AWG.15) Die Rücknahme und Weitergabe der genannten Abfälle umfasst nach

den Gesetzesmaterialien die Entgegennahme, die Zwischenlagerungund die Weitergabe dieser Abfälle an einen befugten Abfallsammleroder -behandler. Diese Ausnahme umfasst damit zB einen Dachdeckerim Hinblick auf Abfälle von Dachziegeln. Nicht relevant ist dabei dieArt der Dachziegel bzw aus welchem Material diese bestehen. Hand-werker gelten idR als erlaubnisfreie Rücknehmer.

16) § 78 Abs 15 AWG.

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

368 ecolex 2011

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ecolex 2011 369

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

SCHLUSSSTRICH

Mit der AWG-Nov 2010 wurde auch für die Tätig-keit als Abfallsammler oder -behandler nicht gefähr-licher Abfälle eine Erlaubnispflicht eingeführt. Ab-fallsammler und -behandler mit einer aufrechten

Berechtigung können jedoch erleichtert aufatmen,ihre derzeit bestehenden Berechtigungen sind weiter-hin gültig.

RECHTSPRECHUNG

Kostenfolgen der Ersatzvornahme und Schonungsprinzip1. Die ursprünglich eingeräumte Wahlmöglichkeitzwischen mehreren Arten der Realisierung der aufge-tragenen Leistung wird dem Verpflichteten durch diezwangsweise Vollstreckung aus der Hand genommen;ein Einfluss auf die Durchführung der Ersatzvor-nahme steht dem Verpflichteten nicht zu (vgl VwGH20. 3. 1972, 1812/71; 13. 12. 1983, 83/05/0144;30. 6. 1992, 89/07/0155).

2. Es steht dem Verpflichteten frei, vor Beginn derErsatzvornahme durch das von der Beh beauftragteUnternehmen die im Titelbescheid vorgeschriebeneLeistung selbst zu erbringen und so die Notwendig-keit der Ersatzvornahme mit ihren Kostenfolgen zuvermeiden (vgl VwGH 19. 3. 2002, 2000/10/0015ua).

3. In den Anwendungsfällen des § 4 Abs 1 VVGträgt der Verpflichtete insoweit das Risiko erhöhterAufwendungen, als er es als Folge seiner Säumnis hin-nehmen muss, wenn die Kosten der Vollstreckung imWege der Ersatzvornahme für nach dem Titelbe-scheid erforderliche und auch tatsächlich verrichteteArbeiten sich insgesamt auf einen höheren Betrag be-laufen, als dies der Fall gewesen wäre, wenn sich dieNotwendigkeit eines behördlichen Einschreitensnicht ergeben hätte (vgl VwGH 21. 5. 1992, 92/06/0025; 23. 2. 1995, 94/06/188; 20. 12. 2002, 2002/05/0770).

4. Bei Erlassung eines Vorauszahlungsauftragsgem § 4 Abs 2 VVG ist die wirtschaftliche Lage einesVerpflichteten nicht zu berücksichtigen (vgl VwGH29. 5. 2000, 2000/10/0074).

5. Die Erlassung eines Kostenvorauszahlungsauf-trags sieht lediglich das Vorliegen einer Androhungder Ersatzvornahme, nicht aber deren Anordnung vo-raus (vgl VwGH 30. 3. 1992, 91/10/0102). Grdsmüssen sich aus der Begründung schon wegen dernachprüfenden Kostenschätzung ganz konkret dievorzunehmenden Maßnahmen ergeben; eine Bin-dung für die Ersatzvornahme tritt dadurch jedochnicht ein (vgl VwGH 12. 6. 1990, 89/05/0186,0187).

Anmerkung:Das vorliegende Erk rekapituliert wissenswerte Grund-sätze aus der bisherigen Rsp zur Ersatzvornahme, zur be-grenzten Einflussmöglichkeit und zum wirtschaftlichenRisiko des Verpflichteten sowie zum Verhältnis zwischen

Kostenvorauszahlungsauftrag und Anordnung der Er-satzvornahme.

Der Bf brachte vor, es widerspreche dem Schonungs-prinzip gem § 2 Abs 1 VVG, wenn die Beh bei einer be-scheidmäßig eingeräumten Wahlmöglichkeit zwischenmehreren Arten der Realisierung der aufgetragenen Leis-tung (hier: entweder Entsorgung oder ordnungsgemäßeVerwertung konsenslos geschütteter Baurestmassen) nichtjene Art der Ersatzvornahme wähle, die das gelindestenoch zum Ziel führende Zwangsmittel darstelle. NachAnsicht des Bf hätte die Vollstreckungsbehörde die Kos-tenschätzung nicht von einem Konkurrenzunternehmenund insb nicht auf Basis der teureren Entsorgung, son-dern auf einer solchen der wesentlich kostengünstigerenWiederverwertung einholen und dem Kostenvorauszah-lungsauftrag zugrunde legen müssen.

Demgegenüber folgerte der – die Beschwerde gem§ 42 Abs 1 VwGG abweisende – VwGH, es könne keineRede davon sein, dass die Beh im vorliegenden Fall eineschonendere Variante der Ersatzvornahme hätte wählenmüssen. Der Titelbescheid räume nämlich keine gänz-lich freie Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Methodender Behebung eines Missstands ein, zumal nicht jeder zubeseitigende Abfall auch auf zulässige Weise entsorgtwerden könne. Erst im Zuge der Vollstreckung – nachAuskofferung des Materials und Feststellung seiner Zu-sammensetzung – könne im Detail beurteilt werden,ob eine Verwertung überhaupt möglich ist. Die belBeh hätte nur dann eine Kostenschätzung im Hinblickauf eine Verwertung des gesamten Materials vornehmenkönnen, wenn es Indizien für eine gänzliche Verwert-barkeit des Materials gegeben hätte. Vor dem Hinter-grund der Ermittlungsergebnisse im Titelverfahren seies jedoch zulässig, wenn die Kostenschätzung lediglichvon einem geringen Anteil an wiederverwertbarem Ma-terial ausgehe. Die Begründung des angefochtenen Kos-tenvorauszahlungsauftrags stütze sich auf das „bei derVollstreckung aller Wahrscheinlichkeit nach vorliegendeSzenario“. Eine Bindung für die Ersatzvornahme be-stehe dadurch freilich nicht. Sollte das wiederverwert-bare Material entgegen der derzeitigen Annahme einenhöheren Anteil aufweisen, wäre – so der VwGH in ei-nem Obiter Dictum – „der überhöht angenommene Teilder Kostenvorauszahlung an den Bf rückzuerstatten“.

Edmund Primosch

Dr. Edmund Primosch arbeitet beim Amt der Kärntner Landesregierung(Abt 1 – Landesamtsdirektion) in Klagenfurt am Wörthersee.

§ 2 Abs 1, § 4VVG

VwGH18. 11. 2010,2010/07/0119

2011/149

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Gewerbsmäßige Kfz-Transporte von Kranken und Menschen mitBehinderung1. Nach § 2 Abs 1 GelVerkG bedarf auch die ge-werbsmäßige Beförderung von Kranken und Behin-derten mit Kfz im Umfang des § 1 Abs 1 GelVerkGeiner entsprechenden Gewerbeberechtigung (Konzes-sion).

2. Nach stRsp des VwGH kommt es bei Beurtei-lung der Frage, ob die von einem nach dem VereinsG2002 (früher VereinsG 1951) konstituierten Vereinentfaltete Tätigkeit der GewO 1994 unterliegt, nichtdarauf an, ob der Verein tatsächlich Gewinn erzielt.Entscheidend ist vielmehr, ob die Absicht besteht, ei-nen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zuerzielen.

3. Ist die Gebarung eines Vereins mit dem Be-mühen verbunden, Auslagen gering zu halten oderunter Umständen zu vermeiden, und im Übrigendahin ausgerichtet, Einnahmen lediglich in derHöhe der aus der Verwirklichung der ideellen Ver-einszwecke zwangsläufig erwachsenden Auslagen zuerzielen, so liegt eine solche Ertragserzielungsabsichtnicht vor. Umgekehrt mangelt aber nicht jeder Ver-einstätigkeit, deren Erträgnisse der Verminderungdes Gesamtaufwands eines Vereins dienen, schon al-lein im Hinblick auf diese Eigenschaft die Gewerbs-mäßigkeit. Entscheidend ist vielmehr, ob jene Ver-einstätigkeit, in deren Rahmen Einkünfte erzielt wer-den, in der Absicht betrieben wird, einen mit dieserTätigkeit im Zusammenhang stehenden Aufwandübersteigenden Ertrag zu erzielen. Bei Beurteilungder Ertragsabsicht ist also unter dem Gesichtspunktdes § 1 Abs 2 GewO 1994 nicht die Gesamtgeba-rung des Vereins, sondern nur die mit dem jeweilsin Rede stehenden Aspekt der Vereinstätigkeit ver-bundene diesbezügliche Absicht zu berücksichtigen(arg: Ertragsabsicht „im Zusammenhang mit dieserTätigkeit“ in § 1 Abs 2 GewO). Sollen mit den fürdie Leistungen des Vereins eingehobenen Entgeltenauch Kosten des Vereins iZm anderen Vereinstätig-keiten abgedeckt werden, so liegt die Ertragsabsichtvor (vgl etwa VwGH 23. 10. 1995, 93/04/0110mwN; idS auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kom-mentar zur GewO 19942 [2002] § 1 Rz 14). In Fäl-len, in denen Vereine durch die Entfaltung einer(wirtschaftlichen) Tätigkeit Einnahmenüberschüsseerzielen wollen, die dann zur Finanzierung anderer– rein ideeller – Aktivitäten verwendet werden sol-len, bedarf es dementsprechend einer Gewerbebe-

rechtigung (vgl auch Schulev-Steindl, Idealvereineund Gewerberecht, ecolex 1994, 10).

Anmerkung:Im Beschwerdefall wurde es dem Obmann eines Vereinsals Verwaltungsübertretung nach dem GelVerkG zurLast gelegt, gewerbsmäßig Kranken- und Behinderten-transporte durchgeführt zu haben, ohne über die hiefürerforderliche Gewerbeberechtigung zu verfügen. Fürdie im Schnitt täglich etwa 25 bis 30 Fahrten seien Be-förderungsentgelte tariflich mit den Sozialversicherungs-anstalten abgerechnet worden. Diese hätten die einzigeEinnahmequelle des Vereins dargestellt, welcher statu-tengemäß die „Durchführung von humanitären und an-deren Hilfeleistungen gegenüber allen Menschen, die derHilfe bedürfen, ohne Ansehen ihrer politischen, rassi-schen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit“ mit ei-ner Bandbreite an Vereinstätigkeiten bezwecke. Im De-liktzeitraum habe der Verein nach den von ihm vorgeleg-ten Saldenlisten und der Einnahmen- und Ausgaben-rechnung einen Gewinn erzielt.

Der Bf bestritt die Gewerbsmäßigkeit der Beförde-rungsleistungen unter Hinweis darauf, dass der Vereinkeine Ertragsabsicht habe. Es werde lediglich kostende-ckend gearbeitet; allfällige Überschüsse würden inves-tiert, um Kosten von anderen Vereinstätigkeiten abzude-cken.

Demgegenüber geht der – die Beschwerde als unbe-gründet abweisende – VwGH davon aus, dass die Er-tragsabsicht fallbezogen zu bejahen sei, weil mit den Ein-nahmen aus den Kranken- und BehindertentransportenKosten des Vereins iZm anderen Vereinstätigkeiten be-glichen werden sollen. Daran ändere auch nichts, dasszurzeit tatsächlich keine Einnahmen erzielt werden,die für andere Vereinszwecke genützt werden können.Der VwGH merkt an, dass sich aus der gesetzlichen Ver-mutung des § 1 Abs 6 GewO 1994, aus den entspre-chenden Gesetzesmaterialien und aus der E OGH12. 11. 1997, 4 Ob 216/97m, kein „allgemein gültigerRechtssatz ableiten lässt, wonach einem Verein, dessenTätigkeit sich tatsächlich in (mit den Sozialversiche-rungsanstalten tariflich abgerechneten) Kranken- undBehindertentransporten erschöpft, offenkundig die Er-tragsabsicht fehlt. Eine solche Sichtweise wäre daher un-zutreffend und mit dem G nicht in Einklang zu brin-gen“.

Edmund Primosch

Barrierefreiheit einer AußenaufzugsanlageVon einer barrierefrei ausgebildeten Außenaufzugsan-lage kann nur gesprochen werden, wenn auch ihr Zu-gang barrierefrei möglich ist.

Anmerkung:Nach § 13 Abs 8 Stmk BauG idF Nov LGBl 2008/27kann die Beh geringere Abstände von den Nachbar-grundgrenzen und Nachbargebäuden ua für barrierefreiausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförde-rung als Zubau zu bestehenden Gebäuden zulassen. § 4

Z 5 Stmk BauG definiert „Barrierefreiheit“ als baulicheGestaltung, die notwendig ist, um die unterschiedlichenphysischen Möglichkeiten aller Menschen in der gebau-ten Umwelt besser berücksichtigen zu können.

Zweck und systematischer Zusammenhang dieserBest sind nach Ansicht des VwGH dahin zu verstehen,dass der Begriff der barrierefrei ausgebildeten Außenauf-zugsanlage, die ein Nachbar im Abstandsbereich hin-nehmen muss, auch auf ihre Zugänglichkeit zu beziehenist. Es könne nämlich dem Gesetzgeber nicht zugesonnen

§ 2 Abs 1GelVerkG;

§ 1 Abs 2 und 6GewO 1994

VwGH20. 12. 2010,2009/03/0028

2011/150

§ 4 Z 5, § 13 Abs 8Stmk BauG

VwGH23. 11. 2010,2009/06/0081

2011/151

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

370 ecolex 2011

Page 93: ecolex 4/2011

ÖFFENTLICHESWIRTSCHAFTSRECHT

werden, gewollt zu haben, dass eine Aufzugsanlage nurtheoretisch eine Größe zur Beförderung eines behindertenMenschen mit Rollstuhl aufweist, jedoch diesem nichtzugänglich ist.

Im Beschwerdefall erwies sich das Vorbringen derNachbarn, eine Barrierefreiheit der Aufzugsanlage seizum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung nicht

gegeben gewesen, als zielführend. Der angefochtene Be-scheid, der das Nachbarrecht auf Einhaltung des Grenz-abstands gem § 13 Stmk BauG verletzt, wurde gem § 42Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltsaufgehoben. Der dem Leitsatz zugrunde liegende Ge-danke erscheint verallgemeinerungsfähig.

Edmund Primosch

DNEUES AUS EUROPA

Aktuelle Rechtsetzung und Entscheidungen der EUWOLFGANG URBANTSCHITSCH / EDITH HOFER

ZahlungsverkehrRL 2011/7/EU des EP und des Rates vom 16. 2. 2011zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäfts-verkehr, ABl L 2011/48, 1

D Die RL 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zah-lungsverzug im Geschäftsverkehr1) wird in wesentli-chen Punkten geändert und nun neu gefasst. Sie istauf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsver-kehr zu leisten sind, anzuwenden und hat zum Ziel,zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktsbeizutragen.

Die MS haben sicherzustellen, dass im Geschäfts-verkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger An-spruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einerMahnung bedarf. Voraussetzung dafür ist, dass derGläubiger seine vertraglichen und gesetzlichen Ver-pflichtungen erfüllt und er den fälligen Betrag nichtrechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuld-ner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist.

Der Gläubiger hat Anspruch auf Verzugszinsen abdem Tag, der auf den vertraglich festgelegten Zah-lungstermin oder das vertraglich festgelegte Endeder Zahlungsfrist folgt. Für den Fall, dass der Zah-lungstermin oder die Zahlungsfrist nicht vertraglichfestgelegt ist, hat der Gläubiger Anspruch auf Ver-zugszinsen nach Ablauf von in der RL näher be-stimmten Fristen (vgl dazu Art 3 Abs 3 lit b RL).Als Bezugszinssatz dient der am 1. 1. bzw am 1. 7.geltende Zinssatz.

Sonderregelungen gibt es für den Geschäftsver-kehr zwischen Unternehmen und öffentlichen Stel-len. Unberührt bleibt die Möglichkeit der Vertrags-parteien, Ratenzahlungen zu vereinbaren. Sie habenüberdies sicherzustellen, dass in Fällen, in denen imGeschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, derGläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruchauf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestensE 40,– hat. Weitere Regelungen betreffen nachteiligeVertragsklauseln und Praktiken, den Eigentumsvor-behalt sowie Beitreibungsverfahren für unbestritteneForderungen.

Die Mehrzahl der Regelungen ist bis zum16. 3. 2013 umzusetzen.

UnternehmensrechtEuropaweite Verknüpfung der Unternehmensregisterwird grenzübergreifenden Handel beleben und all-jährlich Einsparungen von bis zu 70Mio Euro ermög-lichen, IP/11/221

D Die Kom hat einen Vorschlag zur Verknüpfung derUnternehmensregister in der EU vorgelegt. Der RL-Vorschlag2) wird den grenzübergreifenden elektroni-schen Zugriff auf Unternehmensinformationen er-leichtern, indem sie sicherstellt, dass Unternehmens-register auf aktuellem Stand gehalten werden undUnternehmensinformationen leichter und schnellerverfügbar sind. Diese Veränderungen sind für Unter-nehmen, die in der EU Zweigniederlassungen errich-ten, grenzübergreifend Handel treiben oder Dienst-leistungen erbringen, von zentraler Bedeutung.

ecolex 2011 371

EUROPAGELEITET VONB. ZÖCHLING-JUD

Dr.Wolfgang Urbantschitsch leitet die Abteilung Recht der Energie-ControlGmbH in Wien. Mag. Edith Hofer arbeitet als Nationale Expertin in derGeneraldirektion Energie der Europäischen Kommission.1) RL 2000/35/EG des EP u des Rates v 29. 6. 2000 zur Bekämpfung

von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl L 2000/200, 35.2) Vorschlag für eine RL des EP und des Rates zur Änderung der RL 89/

666/EWG, 2005/56/EG und 2009/101/EG in Bezug auf die Ver-knüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern.

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Der Austritt aus der EuropäischenUnion Durch den Vertrag von Lissabon wurde der Austritt aus der Union

primärrechtlich geregelt. Der vorliegende Beitrag bietet einen erstenÜberblick über die neue Bestimmung.

JENS BUDISCHOWSKY

A. Allgemein

Im Rahmen des Vertrags von Lissabon wurde eineBestimmung über den Austritt eines Mitgliedstaatsaus der Union in Art 50 EUV eingefügt.1) Damitwurde eine Regelung über eine in der Lit lange um-strittene Frage getroffen.2)

Gem Art 50 EUV kann jeder Mitgliedstaat imEinklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschrif-ten beschließen, aus der Union auszutreten. Zu die-sem Zweck teilt der austrittswillige Staat dem Europä-ischen Rat seine Absicht mit. Dieser erarbeitet Leitli-nien, auf deren Grundlage die Union „mit diesemStaat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts(aushandelt) und schließt das Abkommen, wobei derRahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staateszur Union berücksichtigt wird“. Das Abkommen wirdgem Art 218 Abs 3 AEUV ausgehandelt; es wird imNamen der Union vom Rat geschlossen, der mit qua-lifizierter Mehrheit nach Zustimmung des EP be-schließt. Das Unionsrecht findet auf den betroffenenStaat ab dem Inkrafttreten des Austrittsabkommensoder zwei Jahre nach der Austrittsmitteilung keineAnwendung mehr, wobei diese Frist vom Europä-ischen Rat – der Beschluss darüber ist einstimmigzu fassen – im Einvernehmen mit dem betroffenenMitgliedstaat verlängert werden kann. Ein Staat, deraus der Union ausgetreten ist und erneut Mitgliedwerden möchte, muss dies nach dem Verfahren desArt 49 EUV beantragen.

Das Austrittsverfahren lässt sich in drei Teile glie-dern: Mitteilung, Vollzug und Folgen des Austritts.

B. Austrittsmitteilung

Art 50 EUV bezieht sich nur auf Mitgliedstaaten. DasAusscheiden von Gebietsteilen von Mitgliedstaatenaus dem Geltungsbereich der Verträge (zB Grönland1985) gilt ebenso wenig als Austritt iSd Art 50 EUVwie die Gründung eines unabhängigen Staates aufdem Territorium eines Mitgliedstaates (zB Algerien1962).3)

Der Beschluss eines Staates, aus der Union auszu-treten, muss „im Einklang mit seinen verfassungsrecht-lichen Vorschriften“ stehen. Wie weit der Union dieBefugnis zusteht, die Einhaltung dieser Voraussetzun-gen zu prüfen, ist in der Lit umstritten: Die Ansichtenreichen dabei von einer umfassenden Befugnis – dieEinhaltung der verfassungsrechtlichen Bestimmun-gen wäre für die Gültigkeit des Austritts beachtlich4)– bis hin zur generellen Verneinung diesbezüglicherKompetenzen der Union.5) Um sicherzustellen, dassdie Austrittserklärung dem jeweiligen MS zuzurech-

nen ist, ist mE die Prüfung, ob das nach nationalemVerfassungsrecht zuständige Organ die Erklärung ab-gegeben hat, jedenfalls zulässig.6)

Die in Art 50 Abs 2 EUV angesprochene „Ab-sicht“ aus der Union auszutreten ist eine einseitige,empfangsbedürftige Willenserklärung, dh ihre Rechts-folgen (zB der Beginn der zweijährigen Frist gemArt 50 Abs 3 EUV) treten ein, wenn sie beim Europä-ischen Rat eingegangen ist.7) Im Übrigen ist die Aus-trittserklärung mangels einer anders lautenden Vor-schrift formfrei.

Die Austrittserklärung ist nicht an Voraussetzungenund Bedingungen gebunden; den austretenden Staattreffen keine Begründungspflichten, die Erfüllungvon Kündigungsgründen ist ebenso wenig erforder-lich wie das Durchlaufen eines Schlichtungsverfah-rens. Auch der Abschluss eines Austrittsabkommens istfür den Austritt nicht notwendig: Dies ergibt sich auf-grund Art 50 Abs 3 EUV, dem zufolge die Verträgezwei Jahre nach der Mitteilung keine Anwendungauf den betroffenen Staat finden, und zwar auchdann, wenn ein Austrittsabkommen nicht zustandekommt (sog „sunset-clause“). Versuche von Teilender Lehre, aufgrund der Rechtsstellung der Bürger,der Unionstreue und der Solidarität dieses Austritts-recht an das Vorliegen von Kündigungsgründen oderan den Abschluss des Austrittsabkommens zu bin-den,8) scheitern am diesbezüglich eindeutigen Wort-laut des Art 50 EUV, am Willen des historischen Ge-setzgebers und an der Systematik des Primärrechts:& Die Konventsmitglieder haben die Verankerung

von Beschränkungen des Austrittsrechts diskutiert(zB Bindung des Austritts an den Abschluss einesAustrittsabkommens, Beschränkung des Austritts-

DDr. Jens Budischowsky ist Jurist am österreichischen Rechnungshof. DieAusführungen geben die persönliche Meinung des Autors wieder.1) ABl C 2010/83, 13 (43); eine entsprechende Regelung hatte der Ver-

tragsentwurf über eine Verfassung für Europa (Art I-60, ABl C 2004/310, 40) enthalten.

2) ZB Hummer, Zum weiteren Schicksal des Vertrags über eine Verfas-sung für Europa, JRP 2005, 269 ff mwN.

3) Booß in Lenz/Borchardt (Hrsg), EU-Verträge5 (2009) Art 50 EUVRz 7.

4) Zur vergleichbaren Bestimmung bei Vertragsänderungen: Meng inGroeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum EUV und EGV6 (2003)Art 48 EUV Rz 77.

5) BVerfGE 123, 267 (396).6) Calliess in Calliess/Ruffert (Hrsg), Verfassung der EU I (2006) Art I-60

VVE Rz 11.7) Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3 (1984) § 665.8) Gold, Voraussetzungen des freiwilligen Austritts aus der Union nach

Art I-60 Verfassungsvertrag, in Niedobitek/Ruth (Hrsg), Die neueUnion (2007) 59 ff.

EUROPA

372 ecolex 2011

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rechts auf Ausnahmesituationen), letztlich aller-dings darauf verzichtet.9)

& Die Annahme derartiger Pflichten setzt zudem vo-raus, dass „unwichtigere“ Bestimmungen (hier:Art 50 EUV) „wichtigeren“ (zB die Unionstreueoder das Solidaritätsprinzip) entsprechen müssten.Ein derartiger Stufenbau nach der derogatorischenKraft innerhalb des Primärrechts lässt sich aus dempositiven Recht allerdings nicht ableiten.10) Zu-dem wäre das Recht der Mitgliedstaaten, das Uni-onsrecht in jede Richtung abzuändern („Herrn derVerträge“), in Frage gestellt.

Der Austritt muss freiwillig, dh vom Willen des jewei-ligen Staates getragen sein. Damit unterscheidet sichder Austritt gem Art 50 EUV von Ausschluss (dernach der hL europarechtlich nicht zulässig ist).11)Dass einem bestimmten Mitglied das Ausscheidenaus der Union nahe gelegt wird, schließt die Freiwil-ligkeit nicht aus. Eine Grenze ist jedenfalls dort zuziehen, wo Zwang gegen Staaten oder Staatenvertreterausgeübt wird (Art 51 und 52 WVRK).

Art 50 EUV lässt die Frage offen, ob eine einmalabgegebene Kündigung wieder zurückgenommen wer-den kann. Dies ist mE zu verneinen: hätten die Mit-gliedstaaten eine einseitige Rücknahme12) oder einenWiderruf im Konsens mit der Union ermöglichenwollen, hätten sie zumindest Zuständigkeits- undVerfahrensregelungen getroffen. Das Schweigen derzit Bestimmung zu diesen wesentlichen Fragen lässtden Schluss zu, dass die Mitgliedstaaten die Rück-nahme einer Kündigung nicht zulassen wollten. Eineeinmal abgegebene Kündigung führt somit jedenfallszum Ausscheiden des jeweiligen Staates aus derUnion.13)

Art 50 EUV sieht zwei Rechtsfolgen der Austritts-mitteilungen vor: Die Zwei-Jahresfrist für das Wirk-samwerden der Kündigung beginnt zu laufen; dasMitglied des Europäischen Rates bzw Rates, das denaustretenden Mitgliedstaat vertritt, nimmt an dendiesen betreffenden Beratungen und der Beschlussfas-sung des Europäischen Rates bzw Rates nicht teil. Econtrario bedeutet dies, dass der austretende Staat inallen anderen Angelegenheiten sein Mitbestim-mungsrecht behält (ob allerdings von diesem Staateine konstruktive Mitwirkung erwartet werden kann,muss offen bleiben). Unberührt bleiben zudem dieRechte anderer „Funktionäre“, die dem austrittswilli-gen Staat zuzurechnen sind, zB die Mitglieder des Eu-ropäischen Parlaments.

Durch den Austritt wird Primärrecht geändert: je-denfalls betroffen ist die Bestimmung über den geo-grafischen Anwendungsbereich der Verträge (Art 52EUV). Im Stufenbau nach der derogatorischen Kraftist daher die Austrittserklärung als Teil des Primär-rechts anzusehen.

C. Vollzug des Austritts

1. Austrittsfrist

Die Kündigung muss zwar nicht begründet werden,sie wird allerdings erst nach einer bestimmten Fristwirksam. Art 50 Abs 3 EUV normiert eine Kündi-gungsfrist, die – sofern ein Austrittsabkommen nicht

abgeschlossen wird – grundsätzlich zwei Jahre beträgt.Diese Frist kann abgeändert werden:& Das Austrittsabkommen kann sein Inkrafttreten

selbst regeln und damit die Dauer zwischen Aus-trittserklärung und Wirksamkeit des Austritts fest-legen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Ab-kommen innerhalb der Zweijahresfrist oder einerallenfalls verlängerten Frist abgeschlossen wird,weil sonst der Austritt ohne Abkommen wirksamwürde.

& Der Europäische Rat und der betroffene Mitglied-staat beschließen im Einvernehmen, die Zweijah-resfrist zu verlängern. Der Rat beschließt dabeieinstimmig, faktisch bedarf die Fristverlängerungdaher der Zustimmung aller Mitgliedstaaten.

2. Austrittsabkommen

Das Austrittsabkommen regelt gem Art 50 Abs 2EUV „die Einzelheiten des Austritts“ und den „Rahmenfür die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union“.

Nachdem der Austritt jedenfalls zwei Jahre nachder Austrittsmitteilung an den Europäischen Ratwirksam wird, ist klargestellt, dass er des Abschlusseseines Austrittsabkommens nicht bedarf. Das Abkom-men ist somit nicht actus contrarius des Beitritts zurUnion. Aufgrund der sehr rudimentären Regelungder Austrittsfolgen in Art 50 Abs 3 EUV ist ein Ab-kommen zur Regelung der Details der Austrittsfolgenallerdings de facto unumgänglich (siehe unten).

Das Austrittsabkommen bezieht sich auf das bila-terale Verhältnis zwischen der Union und dem ausge-tretenen Staat, es ist daher konsequent, dass aus-schließlich die Union und der austrittswillige StaatVertragspartner werden, während die übrigen Mit-gliedstaaten, die Vertragspartner des Beitrittsvertrags,nicht beteiligt sind.

Über die Inhalte des Austrittsabkommens bestehtin der Lehre keine Einigkeit. Dabei ist insb die Frageumstritten, ob es auch Änderungen des Primärrechtsenthalten darf:& Aus der Perspektive der Rechtssicherheit sollte das

Austrittsabkommen möglichst umfassend sein undalle Aspekte des Ausscheidens eines Staates ausder Union regeln. Dazu zählen etwa auch institu-tionelle Anpassungen (Zusammensetzung der Or-gane, Stimmgewichte, Quoren etc) oder Detailsdes Ausscheidens aus gemischten Abkommen

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9) CONV 672/03, 3, 10 ff; 696/03, 10; 779/03, 31 f; vgl Haratsch, TitelIX: Zugehörigkeit zur Union, in Höreth/Janowski/Kühnhardt (Hrsg),Die Europäische Verfassung (2005) 281.

10) Zutr Nettesheim, Normenhierarchien im EU-Recht, EuR 2006, 737(740).

11) Booß in Lenz/Borchardt, EU-Verträge Art 50 EUV Rz 6; aA Schweit-zer/Hummer/Obwexer, Europarecht (2007) Rz 145.

12) Art 68 WVRK, der eine einseitige Rücknahmemöglichkeit von Kün-digungserklärungen vorsieht, ist mangels Ratifikation der Konventiondurch alle Mitgliedstaaten auf Revisionsverträge gem Art 48 EUVnicht anwendbar: Haratsch/Schmahl, Die Anwendung ratione tempo-ris der Wiener Konvention über das Recht der Verträge, ZÖR 58(2003) 119 ff.

13) Der ehemalige Mitgliedstaat kann seine Wiederaufnahme in dieUnion gem Art 49 EUV beantragen (Art 50 Abs 5 EUV).

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der Union und ihrer Mitgliedstaaten mit Dritt-staaten und Internationalen Organisationen.14)

& Das Austrittsabkommen bezieht sich auf das bila-terale Verhältnis zwischen der Union und dem aus-getretenen Staat. Regelungen, die sich nicht aufdieses Verhältnis, sondern auf das Verhältnis derverbliebenen Mitgliedstaaten untereinander oderzur Union beziehen, dürften in das Abkommennicht aufgenommen werden. Dazu zählen insbÄnderungen der Verträge, diese sind einem Revi-sionsvertrag gem Art 48 EUV vorbehalten.15)

Während hinsichtlich des Austritts „die Einzelheiten“zu regeln sind, ist hinsichtlich der Beziehungen desausgetretenen Staates zur Union nur „der Rahmen“zu regeln. In der Lit wurde deshalb die Meinung ver-treten, dass Details der Beziehungen des ausgetrete-nen Staates zur Union in separaten Abkommen fest-zulegen sind.16)

Über die Beziehungen des ausgetretenen Staateszur Union schweigt Art 50 EUV. Möglich sind daherua Assoziationen wie der EWR, bilaterale Vertrags-verhältnisse nach dem Vorbild der Schweiz oder Ab-kommen über die Nachbarschaft (Art 8 EUV).17)

D. Rechtsfolgen des Austritts

Art 50 Abs 3 EUV umschreibt die Rechtsfolgen desAustritts ohne Abschluss eines Austrittsabkommensknapp:18) „Die Verträge finden auf den betroffenenStaat (. . .) keine Anwendung mehr.“& Explizit angesprochen ist nur das Primärrecht (arg

„Verträge“), erfasst ist allerdings auch das aufgrundder Verträge erlassene Sekundärrecht: Das Europa-recht braucht von den nationalen Organen nichtmehr beachtet zu werden. Personen, die im ausge-tretenen Staat leben, können sich diesem gegen-über nicht mehr auf die Grundsätze der unmittel-baren Wirkung des Europarechts und des Vor-rangs vor nationalem Recht berufen.

& Alle Kompetenzen, die im Zuge des Beitritts sowieder nachfolgenden Vertragsänderungen auf dieUnion übergegangen sind, fallen an den ausgetre-tenen Staat zurück.

& Völkerrechtliche Verträge, die ausschließlich dieUnion abgeschlossen hat, gelten iSd Grundsatzesder beweglichen Vertragsgrenzen für den ausgetre-tenen Staat nicht mehr. Eine Notwendigkeit desAbkommens zur Anpassung besteht grundsätzlichnicht, kann sich jedoch aus dem Vertrag selbst er-geben.19)

& Gemischte Verträge bleiben dagegen auch für denausgetretenen Staat in Geltung: Die Vertragspart-ner brauchen den Austritt aus der Union nicht ge-gen sich gelten lassen. Es ist daher eine eigeneKündigung nach den Regeln des jeweiligen Ab-kommens erforderlich (zB Art 127 EWR-Abkom-men), es sein denn, es existierte eine Klausel, dieein automatisches Ausscheiden vorsieht.

& Unberührt bleibt das nationale Recht, das auf-grund von europarechtlichen Verpflichtungen er-lassen worden ist. Es ist allerdings unionsrechtlichnicht mehr determiniert und kann im Rahmen derVerfassungs- und Rechtsordnung des ausgetrete-nen Staates in jede Richtung abgeändert werden.

& Formal unberührt bleiben auch die Verträge imVerhältnis der verbleibenden Mitgliedstaaten un-tereinander. Sie müssen jedoch in Bezug auf denausgetretenen Staat angepasst werden, Bestim-mungen, die sich nur auf den ausgetretenen Staatbeziehen, können gestrichen werden.

Mit der Regelung des Art 50 Abs 3 EUV lassen sichsomit grundlegende Aussagen über die rechtlichenFolgen des Austritts aus der Union treffen. ZahlreicheDetailfragen bleiben jedoch unbeantwortet. Dazuzählt etwa das Schicksal von Angehörigen des ausge-tretenen Staates, die als „Funktionäre“ (zB Generalan-wälte, Richter des EuGH) oder Beamte der Union tä-tig sind, die Teilnahme von Angehörigen des ausge-tretenen Staates an Programmen der Union, die Ver-fahren gegen den ausgetretenen Staat vor deneuropäischen Gerichten, die Auflassung oder derWeiterbestand von Unionsbehörden, die im ausgetre-tenen Staat ihren Sitz haben, oder die Zahlung vonausstehenden Beiträgen durch den ausgetretenenStaat an die Union. Das Fehlen von einschlägigen Re-gelungen kann man aus der Sicht der Rechtsklarheitkritisieren.20) Die Konventsmitglieder waren sichder Problematik allerdings bewusst21) und haben of-fensichtlich mit Absicht auf eine Regelung verzichtet:Die Union und der austrittswillige Staat sollten auf-grund der rechtlichen Unwägbarkeiten eines Austrittsunter Inanspruchnahme der sunset-clause zum Ab-schluss eines Austrittsabkommens bewogen werden,die Frist sollte lediglich die Ernsthaftigkeit der Ver-handlungen auf beiden Seiten sicherstellen.

E. Exkurs: Austritt nur aus der EAG?

Durch den Vertrag von Lissabon wurde das sog„Drei-Säulen-Modell“ aufgelöst, die Union wurdemit der EG fusioniert und deren Rechtsnachfolgerin;die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) bestehtseither neben der Union als internationale Organisa-tion weiter. Gem Art 106a EAGV22) gilt ua Art 50EUV sinngemäß für die EAG. Ein Vorschlag des Ju-ristischen Dienstes des Rates, die beiden Austritts-klauseln miteinander zu verbinden – ein Staat, deraus der Union austritt, würde automatisch auch ausder EAG austreten –, wurde nicht umgesetzt.23) EinAustritt nur aus der EAG wurde aus politischenGründen immer wieder gefordert, die Diskussion da-

14) Kumin, Vertragsänderungsverfahren und Austrittsklausel, inHummer/Obwexer (Hrsg), Der Vertrag von Lissabon (2010) 319.

15) Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon(2010) 101 f; Heintschel von Heinegg in Vedder/Heintschel von Heinegg(Hrsg), Europäischer Verfassungsvertrag (2008) Art I-60 VVE Rz 6.

16) Längle, Revisionsverfahren und Austritt, in Hummer/Obwexer (Hrsg),Der Vertrag über eine Verfassung für Europa (2007) 246.

17) Kumin, Vertragsänderungsverfahren 320.18) Zu den Rechtsfolgen des Austritts allgemein vgl Waltemathe, Austritt

aus der EU (2000) 199 f.19) Vgl zum Beitritt Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Euro-

päischen Union Art 49 EUV Rz 43.20) Friel, Providing a Constitutional Framework for Withdrawal from the

EU, International and Comparative Law Quarterly 2004, 426.21) Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, 206 f.22) ABl C 2010/84, 43 idF Art 3 Protokoll Nr 2 des Vertrags von Lissa-

bon (ABl C 2007/306, 199).23) CIG 4/03, 544; vgl Längle, Revisionsverfahren 248 FN 38.

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rüber dürfte durch die neue Regelung intensiviertwerden.

Unproblematisch ist der Austritt aus der EAGohne Austritt aus der Union imWege eines Austrittsab-kommens. Ob die Union eine derartige Vereinbarungakzeptiert, muss allerdings dahingestellt bleiben.

Formal sind die Austrittsregelungen des EUV unddes EAGV voneinander unabhängig, nach demWortlaut wäre daher auch ein einseitiger Austrittnur aus der EAG ohne Abschluss eines Austrittsabkom-mens zulässig. Unstrittig ist jedoch, dass ein solcher„Austritt à la carte“ ebenso wenig politisch gewolltist, wie ein „Beitritt à la carte“.24)

Gegen einen einseitigen Austritt nur aus der EAGbestehen Einwände:& Ein Teil der Lehre hält ein derartiges Vorgehen

zwar für rechtlich zulässig, aufgrund der engen Ver-flechtung der Union und der EAG im Bereich derInstitutionen, der Finanzen und des Personals je-doch für praktisch nicht durchführbar.25)

& Eine Gegenmeinung hält einen einseitigen Aus-tritt nicht nur praktisch für undurchführbar, son-dern auch für rechtlich unzulässig: Der Verweis desArt 106a EAGV auf Art 50 EUV verfolge ledig-lich den Zweck, den gleichzeitigen Austritt aus der

Union und der EAG zu ermöglichen.26) Belegenlässt sich diese These allerdings nicht, die Tatsa-che, dass ein in dieser Frage eindeutiger Rege-lungsvorschlag aus 2003 nicht umgesetzt wurde,spricht gegen sie.

SCHLUSSSTRICH

Durch den Vertrag von Lissabon wurde eine Rege-lung über den Austritt von Mitgliedstaaten aus derUnion durch einseitige Kündigung in das Primär-recht aufgenommen. Zur Lösung zahlreicher recht-licher Probleme dürfte jedoch der Abschluss einesAustrittsabkommens erforderlich sein. Art 50EUV lässt wesentliche Zweifelsfragen offen, wieetwa den möglichen Inhalt des Austrittsabkom-mens, die Zulässigkeit eines Widerrufs der Aus-trittsmitteilung oder den separaten Austritt ausder EAG ohne Austritt aus der Union.

RechtsprechungsübersichtEuropäische Gerichte

Der Berichtszeitraum für die folgende Übersicht der wichtigsten Urteile in den BereichenFreizügigkeit, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und Sozialpolitik ist August 2010bis Januar 2011.

SEBASTIAN BOHR / SUSANNE KÄMPFER

A. Freizügigkeit von Arbeitnehmern

1. Anerkennung von Diplomen

Herr Koller (Kl) war nach Abschluss seines Studiumsder Rechtswissenschaften mit demMagistergrad nachSpanien gegangen, wo ihm nach Durchführung vonErgänzungsprüfungen sein österreichischer Titel alsmit dem spanischen Titel gleichwertig anerkanntwurde. Die Rechtsanwaltskammer Madrid stellteein Jahr später fest, dass er berechtigt sei, die Bezeich-nung „abogado“ zu führen. Sein Antrag in Österreich,zur Eignungsprüfung für den Beruf des Rechtsanwaltszugelassen zu werden und sämtliche Prüfungsfächererlassen zu bekommen, wurde abgelehnt.

Der Gerichtshof hatte in der Rs C-118/09,Robert Koller v 22. 12. 2010 zu klären, ob im vor-liegenden Fall die RL 89/48 über die Anerkennungvon Hochschuldiplomen, die eine mindestens drei-jährige Berufsausbildung abschließen,1) anwendbarist. Er entschied, dass der Kl Inhaber eines DiplomsiSd RL sei; er verfüge über die beruflichen Vorausset-zungen, die für den Zugang zu einem reglementierten

Beruf in Spanien erforderlich sind.2) Der EuGH fügtehinzu, dass es den Behörden des AufnahmeMS ver-wehrt ist, den Kl nicht zur Eignungsprüfung zuzulas-sen, weil er die in diesem MS geforderte praktischeVerwendung nicht absolviert hat.

2. Berufserfahrung

Ein anderer Fall betraf den Umfang der Ausgleichs-maßnahmen iSd Art 4 der RL 89/48. Konkret stelltesich die Frage, wieweit Behörden des AufnahmeMSpraktische Erfahrung berücksichtigen müssen, welchedie Unterschiede zwischen der vom Antragsteller er-worbenen und der im AufnahmeMS erforderlichenAusbildung ganz oder teilweise ausgleichen kann.

Der Gerichtshof führte in den Rs C-422/09,C-425/09 und C-426/09, Vassiliki Stylianou

24) Obwexer,Der Vertrag von Lissabon: Auswirkungen auf das öffentlicheRecht Österreichs, in Öffentliches Recht. Jahrbuch 2008 (2008) 87;zum Beitritt nur zur Union Budischowsky in Mayer (Hrsg), Kommen-tar zu EUV, AEUV (2010 ff) Art 49 EUV Rz 17.

25) Längle, Revisionsverfahren 249 f.26) Kumin, Vertragsänderungsverfahren 321 f.

Dr. Sebastian Bohr ist Mitarbeiter der Europäischen Kommission, SusanneKämpfer ist Richterin am Landgericht Bonn.1) ABl L 1989/19, 16 idF v RL 2001/19/EG, ABl L 2001/206, 1.2) Vgl C-311/06, Consiglio Nazionale degli Ingegneri, Slg 2009, I-415

RN 50.

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Vandrou, Vassilios Alexandrou Giankoulis, Ioan-nis Georgiou Askoxilakis/Ypourgos Ethnikis Pai-deias kei Thriskevmaton v 2. 12. 2010 aus, dass Er-fahrung vor Erlangung des Diploms, das den Antrag-steller zur Ausübung des reglementierten Berufs be-rechtigt, nicht die Ausübung des reglementiertenBerufs einschließen kann. Dies gelte auch für Arbeits-leistungen, die in einem MS erbracht werden, in wel-chem der Antragsteller noch keine Berechtigung zurAusübung eines Berufs erlangt hat. Zum Umfangder Ausgleichsmaßnahmen verwies der EuGH aufseine fr Rsp3) hin. Die zuständige Behörde habe jedepraktische Erfahrung, die für die Berufsausübungnützlich ist, zu berücksichtigen, was auch praktischeErfahrungen in der Ausübung verwandter Tätigkeiteneinschließen kann.

B. Dienstleistungsfreiheit

1. Glücksspiele

Der Gerichtshof hatte sich erneut4) zum Monopolvon Sportwetten, Lotterien und Glücksspielen inSpielbanken zu äußern. Mehrere Verfahren betrafendie Rechtslage in Deutschland.

In den Rs C-316/07, C-358/08 bis C-360/08,C-409/07 und C-410/07, Markus Stoß, AvalonService-Online-Dienste GmbH, Olaf AmadeusWilhelm Happel/Wetteraukreis, Kulpa Automa-tenservice Asperg GmbH, SOBO Sport & Enter-tainment GmbH, Andreas Kunert/Land Baden-Württemberg und C-46/08, Carmen Media GroupLtd/Land Schleswig-Holstein, Innenminister desLandes Schleswig-Holstein v 8. 9. 2010 ging es uaum die Tragweite der Rs Gambelli.5) In diesem Ver-fahren hatte der Gerichtshof hervorgehoben, dass Be-schränkungen der Spieltätigkeiten durch zwingendeGründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seinkönnen, soweit die Beschränkungen geeignet sind,dazu beizutragen, dass die Wetttätigkeiten in kohä-renter und systematischer Weise begrenzt werden.Zu diesem Erfordernis führte er in den vorliegendenUrteilen aus, eventuell durchgeführte Werbungmüsse maßvoll und auf das Erforderliche beschränktsein. Solche Werbung dürfe nicht den natürlichenSpieltrieb der Verbraucher dadurch fördern, dass siezu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden. Indieser Situation sei ein Monopol nicht zu rechtferti-gen.

In der Rs C-409/06, Winner Wetten GmbH/Bürgermeisterin der Stadt Bergheim v 8. 9. 2010ging es um die Frage, ob eine staatliche Regelung überein staatliches Monopol, welche das BVerfG für mitder Dienstleistungsfreiheit für unvereinbar erklärthatte, während einer Übergangszeit weiter angewen-det werden kann (bis eine neue Regelung in Krafttritt). Der EuGH berief sich auf die Vorrangwirkungdes Unionsrechts und verneinte die Frage.6)

Der Gerichtshof stellte in der Rs C-64/08, ErnstEngelmann v 9. 9. 2010 fest, dass ein Sitzerfordernisim AufnahmeMS gegen Art 43 EG verstößt.7) Es be-stünden weniger beschränkende Mittel, die Tätigkeitund die Konten der Wirtschaftsteilnehmer zu kon-trollieren. Die Begrenzung der Spielbankkonzessio-

nen in Österreich in Zahl (zwölf Orte) und Dauer(15 Jahre) hielt er für gerechtfertigt. Es verstoße je-doch gegen Art 43 EG und das damit verbundeneTransparenzgebot, wenn die Konzessionen nicht aus-geschrieben wurden.

2. Entsendung von Arbeitnehmern

Der Gerichtshof bestätigte seine fr Rsp8) in derRs C-515/08, Vitor Manuel dos Santos Palhota,Mario de Moura Gonçalves, Fernando Luis dasNeves Palhota, Termisio Limitada v 7. 10. 2010,welche die Entsendung portugiesischer AN nach Bel-gien betraf. Das in Belgien vorgesehene Verfahrenstelle sich als Genehmigungsverfahren durch die Ver-waltung dar.9) Ein solches Verfahren beschränke dieDienstleistungsfreiheit und sei unverhältnismäßig,weil ein reines Mitteilungsverfahren zum Schutz derentsandten AN ausreichend ist.

C. Niederlassungsfreiheit

1. Konzession

Ein in einem anderen MS niedergelassenes Unterneh-men beantragte eine Konzession, im Stadtgebiet vonWien Personen in Autobussen zu befördern. Der An-trag wurde zurückgewiesen.

In der Rs C-338/09, Yellow Cab Verkehrs-betriebs GmbH/Landeshauptmann von Wien v22. 12. 2010 erklärte der EuGH zunächst, dass dievorliegende Dienstleistung, weil die Beförderungnicht grenzüberschreitend erfolgt, nicht unter denfreien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet desVerkehrs fällt. Daher sei sie anhand der Niederlas-sungsfreiheit zu prüfen. Der Gerichtshof hielt fest,dass das Erfordernis, vor der Erteilung einer Konzes-sion einen Sitz im AufnahmeMS zu besitzen, eine un-gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfrei-heit darstellt. Ein Sitzerfordernis nach Erteilung derKonzession und vor Aufnahme der Tätigkeit sei dage-gen gerechtfertigt. Überdies lasse es Art 49 EG nichtzu, dass die Bewilligung allein auf Grund von Anga-ben des einzigen Konkurrenzunternehmens beurteiltwird.

3) Vgl C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357; C-313/01, Morgenbes-ser, Slg 2003, I-13467.

4) Vgl zuletzt C-447/08 und C-448/08, Sjöberg, ecolex 2010, 1013.5) C-243/01, Gambelli, Slg 2003, I-13031. Zu den neuen Urteilen s

auch Talos/Stadler, EuGH kippt österreichisches Glücksspielmonopol,ecolex 2010, 1006 ff.

6) Siehe Stadler/Arzt, EuGH: Winner-Wetten-Urteil zur Frage der Sus-pendierung des Anwendungsvorrangs, ecolex 2010, 1114 f.

7) Vgl C-243/01, Gambelli, FN 5, RN 74.8) Vgl C-244/04, Kommission/Deutschland, Slg 2006, I-885; ecolex

2006, 341.9) Vgl C-168/04, Kommission/Österreich, Slg 2006, I-9041 RN 41; eco-

lex 2007, 309.

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D. Sozialpolitik

1. Gleichbehandlung von Männern undFrauen – Kündigung bei Anspruch aufAlterspension

Die Kündigung von Arbeitnehmern, die einen An-spruch auf Alterspension erworben haben, stellt eineverbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrunddes Geschlechts dar, wenn Frauen diesen Anspruchauf Alterspension mit 60 Jahren, Männer hingegenmit 65 Jahren erwerben (EuGH, U v 18. 11. 2010,Rs C-356/09, Pensionsversicherungsanstalt/Chris-tine Kleist).10)

Frau Kleist war bei der Pensionsversicherungsan-stalt als leitende Ärztin angestellt. Die Pensionsversi-cherungsanstalt fasste den Beschluss, alle Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen, die die Voraussetzungen füreine Versetzung in den Ruhestand nach der DO.B(Dienstordnung B für die Ärzte und Dentisten beiden Sozialversicherungsträgern Österreichs) erfüllen,zu kündigen. Frau Kleist teilte ihrem Arbeitgebermit, dass sie nicht die Absicht habe, nach Vollendungdes 60. Lebensjahrs in Pension zu gehen, sondern bis65 weiterarbeiten wolle. Der Arbeitgeber teilte ihr da-raufhin mit, dass er ihre Versetzung in den Ruhestandzum 1. 7. 2008 beschlossen habe.

Gem § 134 Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 1 der DO.Bdürfen unkündbare Ärzte doch gekündigt werden,wenn sie einen Anspruch auf Alterspension gem§ 253 ASVG erworben haben. Nach § 253 Abs 1ASVG haben Männer diesen Anspruch, wenn siedas Alter von 65 Jahren, und Frauen, wenn sie das Al-ter von 60 Jahren erreicht haben. Folglich dürfen Ar-beitnehmer weiblichen Geschlechts gekündigt wer-den, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht haben,während Arbeitnehmer männlichen Geschlechts erstim Alter von 65 Jahren gekündigt werden dürfen.

Der EuGH hebt in seiner E hervor, dass die Situ-ation von Männern und Frauen in der Altersgruppe60 bis 65 Jahre in Bezug auf die Kündigung vergleich-bar sei und diese Vergleichbarkeit nicht dadurch inFrage gestellt werde, dass Frauen – im Gegensatz zuMännern – in diesem Alter über eine soziale Absiche-rung in Form der gesetzlichen Alterspension verfü-gen. Die Ungleichbehandlung kann auch nicht durchdas Ziel, die Beschäftigung junger Menschen zu för-dern, gerechtfertigt werden.

2. Zusätzlicher Elternurlaub bei Zwillingen

Im Urteil des EuGH v 16. 9. 2010, Rs C-149/10,Zoi Chatzi/Ypourgos Oikonomikon ging es umdie Entscheidung des Direktors des Finanzamts Thes-saloniki (Griechenland), Frau Chatzi keinen zusätzli-chen Elternurlaub wegen der Geburt von Zwillingenzu gewähren. Frau Chatzi beantragte nach Geburt ih-rer Zwillinge zunächst den nach griechischem Rechtmöglichen neunmonatigen bezahlten Elternurlaubfür eines ihrer Kinder und im Anschluss weitere neunMonate bezahlten Elternurlaub für das zweite derZwillingskinder.

Auf Grundlage von § 2 Nr 1 der Rahmenverein-barung über Elternurlaub11) hat der EuGH entschie-den, dass die Geburt von Zwillingen kein Recht auf

eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechendeZahl von Elternurlauben eröffnet. Im Licht desGrundsatzes der Gleichbehandlung verpflichtet dieserParagraf den nationalen Gesetzgeber jedoch, ein Sys-tem des Elternurlaubs zu schaffen, das Eltern vonZwillingen eine Behandlung gewährleistet, die ihrenbesonderen Bedürfnissen gebührend Rechnung trägt.Der EuGH hat klargestellt, dass § 2 Nr 1 der Rah-menvereinbarung über Elternurlaub dem Kind selbstkein individuelles Recht auf Elternurlaub verleiht.

3. Gleichbehandlung von Männern undFrauen – „Stillurlaub“ für Männer

Es ist mit der GleichbehandlungsRL 76/207/EWG12)unvereinbar, wenn weibliche Arbeitnehmer in denersten neun Monaten nach der Geburt eines KindesUrlaub in verschiedenen Formen beanspruchen kön-nen, während männliche Arbeitnehmer mit einemKind diesen Urlaub nur beanspruchen können, wennauch die Mutter des Kindes eine abhängige Erwerbs-tätigkeit ausübt (EuGH, U v 30. 9. 2010, Rs C 104/09, Pedro Manuel Roca Álvarez/Sesa Start EspanaETT SA).

Die fragliche spanische Vorschrift in der Ausle-gung durch die spanischen Gerichte sah vor, dassder sog „Stillurlaub“ (der jedoch losgelöst von der bi-ologischen Tatsache des Stillens allein als Kinderbe-treuungszeit gewährt wird) grundsätzlich der Kindes-mutter vorbehalten war, während der Vater einesKindes diesen Urlaub nur dann beanspruchenkonnte, wenn beide Elternteile Arbeitnehmer sind.Daraus folgt, dass Mütter, die eine abhängige Er-werbstätigkeit ausüben, stets Anspruch auf den sog„Stillurlaub“ haben, während Väter, die eine abhän-gige Erwerbstätigkeit ausüben, diesen Urlaubsan-spruch nur dann haben, wenn die Mutter ihres Kin-des ebenfalls eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt.Die Eigenschaft als Elternteil reicht also für männli-che Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub zunehmen, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer.Die darin liegende Ungleichbehandlung ist nichtdurch besondere Vorschriften zum Schutz der Frau(weder in Bezug auf Schwangerschaft und Mutter-schaft noch in Bezug auf die Förderung der Chancen-gleichheit) gerechtfertigt. Denn der „Stillurlaub“ istnicht mehr an das Stillen geknüpft, sondern wirdals reine Zeit der Kinderbetreuung und als eine Maß-nahme angesehen, um Berufs- und Familienleben in

ecolex 2011 377

EUROPA

10) Siehe dazuMazal, Kündigung von Frauen zum gesetzlichen Pensions-alter europarechtswidrig! ecolex 2010, 1221.

11) Rahmenvereinbarung über Elternurlaub im Anhang der RL 96/34/EG v 3. 6. 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenenRahmenvereinbarung in der durch die RL 97/75/EG v 15. 12. 1997geänderten Fassung.

12) Konkret Art 2 Abs 1, 3 und 4 sowie Art 5 der RL 76/207/EWG v9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der GleichbehandlungvonMännern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung,zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug aufdie Arbeitsbedingungen, ABl L 1976/39, 40. Diese RL wurde durchdie RL 2002/73/EG v 23. 9. 2002 (ABl L 2002/269, 15) geändertund durch die RL 2006/54/EG v 5. 7. 2006 zur Verwirklichung desGrundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Män-nern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung)(ABl L 2006/204, 23) aufgehoben.

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Einklang zu bringen. Wäre Inhaberin des Anspruchsallein die abhängig beschäftigte Mutter, während derVater, der dieselbe Voraussetzung erfüllt, diesen An-spruch nur wahrnehmen könnte, ohne selbst An-spruchsinhaber zu sein, würde dies zu einer Verfesti-gung der herkömmlichen Rollenverteilung zwischenMann und Frau führen, indem den Männern weiter-hin eine im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer El-ternschaft subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zu-gewiesen wird.

4. Verbot der Kündigung einer schwangerenArbeitnehmerin

Im Urteil v 11. 11. 2010, Rs C-232/09, Dita Da-nosa/LKB Lizings SIA, ging es um die Frage, obdie Abberufung der schwangeren alleinigen Ge-schäftsführerin einer Kapitalgesellschaft gegen Uni-onsrecht verstößt. Maßstab sind insoweit sowohl dieVorschriften zum Schutz schwangerer Arbeitnehme-rinnen13) als auch die GleichbehandlungsRL.14)

Zunächst kommt es dabei auf die Arbeitnehmerei-genschaft der Geschäftsführerin an. Der EuGH hatentschieden, dass die Arbeitnehmereigenschaft einesMitglieds der Unternehmensleitung einer Kapitalge-sellschaft, das dieser gegenüber Leistungen erbringtund in sie eingegliedert ist, zu bejahen ist, wenn esseine Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Wei-sung oder unter der Aufsicht eines anderen Organsdieser Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung fürdie Tätigkeit ein Entgelt erhält. Dies zu prüfen ist Sa-che des nationalen Gerichts. Sofern die Arbeitneh-mereigenschaft zu bejahen ist, verstößt die Abberu-fung der Geschäftsführerin gegen Art 10 der RL 91/85/EWG, wenn die Abberufungsentscheidung imWesentlichen auf der Schwangerschaft beruht. Selbstwenn die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen ist,kann gleichwohl die Abberufung der Geschäftsführe-rin wegen Schwangerschaft nur Frauen treffen undstellt daher eine unmittelbare Diskriminierung auf-grund des Geschlechts dar, die gegen die Gleichbe-handlungsRL15) verstößt.

5. Überschreitung der wöchentlichenHöchstarbeitszeit im Feuerwehrdienst

Zwei Urteile des EuGH befassen sich mit derÜberschreitung der wöchentlichen Höchstarbeits-zeit im Feuerwehrdienst (U v 14. 10. 2010,Rs C-243/09, Günter Fuß/Stadt Halle; U v25. 11. 2010 und Rs C-429/09, ebenfalls GünterFuß/Stadt Halle).

Herr Fuß ist seit 1982 bei der Stadt Halle beschäf-tigt. Bis zum 4. 1. 2007 wurde er im Einsatzdienst„abwehrender Brandschutz“ der Feuerwehr der StadtHalle als Fahrzeugführer verwendet. Sein Dienstplansah eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeitvon 54 Stunden vor, obwohl die wöchentlicheHöchstarbeitszeit nach der ArbeitszeitRL16) 48 Stun-den beträgt. Bei einer Anfang 2006 durchgeführtenPersonalversammlung wurde den Mitarbeitern desEinsatzdienstes durch die Leitung der Stadt Hallemitgeteilt, dass Umsetzungen in das Einsatzleitzent-rum der Feuerwehr erfolgten, wenn die Einhaltungder ArbeitszeitRL gewünscht werde. Herr Fuß bean-

tragte, dass seine wöchentliche Arbeitszeit künftigdie durch die ArbeitszeitRL vorgeschriebene durch-schnittliche Höchstgrenze von 48 Stunden nichtmehr überschreitet. Gleichzeitig machte er Aus-gleichsansprüche für die rechtswidrig geleistetenMehrarbeitsstunden geltend. Herr Fuß wurde darauf-hin gegen seinen Willen in das Einsatzleitzentrum derFeuerwehr umgesetzt. Er wendet sich nun mit zweiunterschiedlichen Klagen zum einen gegen diezwangsweise Umsetzung und zum anderen begehrter Ersatz des Schadens, der ihm durch den Verstoßgegen die Höchstarbeitszeit entstanden ist.

Der EuGH hat klar entschieden, dass die Umset-zung des Feuerwehrmanns gegen dessen Willen ausdem Einsatzdienst in einen anderen Dienst mit derBegründung, dass dieser die Einhaltung der wöchent-lichen Höchstarbeitszeit verlangt hat, gegen die Ar-beitszeitRL verstößt – selbst wenn dem Feuerwehr-mann durch die Umsetzung neben dem Nachteil,der sich aus dieser Verletzung ergibt, kein spezifischerNachteil entstanden ist. Darüber hinaus steht HerrnFuß auch dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruchzu, der sich direkt aus dem Unionsrecht herleitenlässt. Ein Verschulden des Arbeitgebers, das über einehinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechtshinausgeht, darf hierfür nicht verlangt werden.Ebenso wenig darf der Ersatzanspruch von einem An-trag auf Einhaltung der entsprechenden Bestimmungdes Unionsrechts abhängig gemacht werden. DieHöhe des Schadensersatzes regelt das Unionsrechtnicht. Diese muss jedoch dem erlittenen Schaden an-gemessen sein.

6. „Übergang“ von Unternehmen beiReinigungstätigkeiten

MitUrteil v 20. 1. 2011, Rs C-463/09, CLECE SA/Maria Socorro Martin Valor, Ayuntamiento deCobisa, hat der EuGH klargestellt, dass allein dieÜbernahme einer Tätigkeit (hier: Reinigungstätig-keit) – ohne damit verbundene Übernahme wesentli-cher materieller oder immaterieller Betriebsmittel undohne Übernahme einer Gesamtheit von Arbeitneh-mern – nicht in den Anwendungsbereich der Be-triebsübergangsRL17) fällt.

Im zugrunde liegenden Fall hatte eine spanischeGemeinde ursprünglich ein privates Unternehmenmit der Reinigung ihrer Räumlichkeiten betraut

13) RL 92/85/EWG v 19. 10. 1992 über die Durchführung vonMaßnah-men zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzesvon schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillendenArbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte EinzelRL iSd Art 16Abs 1 der RL 89/391/EWG).

14) RL 76/207/EWG v 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzesder Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zu-gangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Auf-stieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die RL2002/73/EG v 23. 9. 2002 geänderten Fassung.

15) So FN 14.16) RL 2003/88/EG v 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits-

zeitgestaltung (ABl L 2003/299, 9).17) RL 2001/23/EG v 12. 3. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschrif-

ten der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Ar-beitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unter-nehmens- oder Betriebsteilen (ABl L 2001/82, 16).

EUROPA

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und später beschlossen, diese Reinigungstätigkeitenselbst durchzuführen und hierfür neues Personal ein-zustellen. Hierin liegt kein „Übergang“ iSd Art 1Abs 1 lit b der BetriebsübergangsRL, weil keine wirt-schaftliche Einheit übergeht, die nach dem Inhaber-wechsel ihre Identität wahrt. Bei der Prüfung, ob einesolche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtli-che den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tat-sachen berücksichtigt werden. Dazu gehören die Artdes betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der et-waige Übergang der materiellen Betriebsmittel wieGebäude und bewegliche Güter, der Wert der imma-teriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die et-waige Übernahme der Hauptbelegschaft durch denneuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaftsowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor undnach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und dieDauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätig-keiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekteder vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfendeshalb nicht isoliert betrachtet werden.18) Vorlie-gend war jedoch das Einzige, das eine Verbindungzwischen den von dem privaten UnternehmenCLECE ausgeübten Tätigkeiten und den von der Ge-meinde übernommenen Tätigkeiten herstellt, der Ge-genstand dieser Tätigkeiten, nämlich die Reinigungvon Räumlichkeiten.

7. Diskriminierung wegen des Alters

Die Urteile v 12. 10. 2010, Rs C-45/09, GiselaRosenbladt/Oellerking Gebäudereinigungsges.mbH, und v 18. 11. 2010, verb Rs C-250/09 undC-268/09, Vasil Ivanov Georgiev/Tehnicheski uni-versitet – Sofia, filial Plovdiv, befassen sich mit derBeendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichendes Rentenalters. Rechtlicher Maßstab ist jeweils dieGleichbehandlungsRL.19) Zusammenfassend hat derEuGH entschieden, dass die Beendigung von Arbeits-verhältnissen bei Erreichen des Rentenalters nicht ge-gen Unionsrecht verstößt, sofern die zugrunde lie-gende Vorschrift objektiv und angemessen und durchein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeits-marktpolitik gerechtfertigt ist und die Mittel zur Er-reichung dieses Ziels angemessen und erforderlichsind. Der EuGH weist in C-45/09 darauf hin, dassdie automatische Beendigung der Arbeitsverhältnissevon Beschäftigten, die das Alter und die die Beitrags-zahlung betreffenden Voraussetzungen für den Bezugeiner Altersrente erfüllen, seit Langem Teil des Ar-beitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und in den Be-

ziehungen des Arbeitslebens weithin üblich ist. DieserMechanismus beruht auf einem Ausgleich zwischenpolitischen, wirtschaftlichen, sozialen, demografi-schen und/oder haushaltsbezogenen Erwägungenund hängt von der Entscheidung ab, die Lebensar-beitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder, im Ge-genteil, deren früheren Eintritt in den Ruhestand vor-zusehen.

Die Ausführungen geben die persönliche Meinungder Autoren wieder und nicht jene der Institutionen, de-nen sie angehören.

ecolex 2011 379

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schaftsrecht• Sitzverlegung: Besteht Bedarf für eine europäi-

sche Richtlinie?• Auf dem Weg zu neuen europäischen Gesell-

schaftsformen: Solide Grundlage für europä-isches Wirtschaften während und nach der Krise?

• Besteht Bedarf für die Europäische Privatgesell-schaft und wie könnte die EPG aussehen?

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EUROPA

18) Vgl ua EuGH C-24/85, Spijkers, Slg 1986, 1119 RN 13; C-29/91,Redmond Stichting, Slg 1992, I-3189 RN 24; C-340/01, Abler ua,Slg 2003, I-14023 RN 33.

19) RL 2000/78/EG v 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinenRahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäfti-gung und Beruf (ABl L 2000/303, 16).

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