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| 1 FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 25. Jg. 2 | 2012 EDITORIAL ................................................................................................................................. 2 Kampf um die Köpfe. Der Meinungskampf um die Klimapolitik AKTUELLE ANALYSE ................................................................................................................................. 6 Martina Sauer Bürgerschaftliches Engagement türkeistäm- miger Migranten THEMENSCHWERPUNKT ................................................................................................................................. 21 Achim Brunnengräber Die neue Klima-Geopolitik. Konflikte und Chancen im Klimaschutz durch Deutungs- verschiebungen 29 Inga Schlichting/Andreas Schmidt Strategische Deutungen des Klimawandels. Frames und ihre Sponsoren 41 Interview mit Michael Hopf, Greenpeace „Ein Problem und eine Lösung auf die Agenda setzen“ 44 Interview mit Joachim Löchte, RWE Unser Ziel ist mehr Sachlichkeit 47 Silke Beck Kommunikation als Schutzschild. Zur Stra- tegie des Weltklimarats IPCC 52 Markus Rhomberg Zwischen „Blame Game“ und Vernachläs- sigung. Die klimapolitische Debatte in den Massenmedien 62 Axel Bojanowski Sorry, wir wollen nicht stören. Wissen- schaftsjournalisten ergründen die Klimafor- schung? Eine Relativierung 65 Markus Lehmkuhl Journalismus und Klimaforschung: Aus- schnitte einer spannungsreichen Beziehung 70 Mike S. Schäfer „Hacktivism“? Online-Medien und Social Media als Instrumente der Klimakommu- nikation zivilgesellschaftlicher Akteure 79 Roger Pielke jr. Experten in Blogs. Positive und negative Aspekte Inhalt 83 Werner Krauss Ausweitung der Kampfzone: Die Klima- blogosphäre 89 Jochen Roose Wollen die Deutschen das Klima retten? Mobilisierung, Einstellungen und Handlun- gen zum Klimaschutz PULSSCHLAG ................................................................................................................................. 101 Johannes Hillje/Oliver Quiring Klickaktivismus? Über die Wirkung von po- litischen Online-Kampagnen 106 Lena Partzsch Social Entrepreneurship – Einordnung ei- ner Aktivitätsform 111 Sandra Kotlenga/Doreen Müller Finanzinvestoren als Vermieter: Hürden und Strategien für Bewohnerinitiativen in be- nachteiligten Stadtteilen TREIBGUT ................................................................................................................................. 118 Materialien, Notizen, Hinweise LITERATUR ................................................................................................................................. 123 Melanie Müller Analysen über die Politikwissenschaften hi- naus – Neue und neuere Werke rund um die Klimapolitik (Sammelbesprechung) 126 Volker Mittendorf Wider die Evergreens konservativer Rhe- torik (Roth, Roland: Bürgermacht. Eine Streitschrift für mehr Partizipation) 128 Berthold Kuhn Kompendium der Engagementpolitik: Brei- ter Blickwinkel auf deutschlandbezogene Themenstellungen (Olk, Thomas/Hart- nuß, Birger: Handbuch Bürgerschaftliches Engagement) 131 ABSTRACTS ................................................................................................................................. 139 IMPRESSUM .................................................................................................................................

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FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 25. Jg. 2 | 2012

EDITORIAL.................................................................................................................................

2 Kampf um die Köpfe. Der Meinungskampfum die Klimapolitik

AKTUELLE ANALYSE.................................................................................................................................

6 Martina SauerBürgerschaftliches Engagement türkeistäm-miger Migranten

THEMENSCHWERPUNKT.................................................................................................................................

21 Achim BrunnengräberDie neue Klima-Geopolitik. Konflikte undChancen im Klimaschutz durch Deutungs-verschiebungen

29 Inga Schlichting/Andreas SchmidtStrategische Deutungen des Klimawandels.Frames und ihre Sponsoren

41 Interview mit Michael Hopf, Greenpeace„Ein Problem und eine Lösung auf dieAgenda setzen“

44 Interview mit Joachim Löchte, RWEUnser Ziel ist mehr Sachlichkeit

47 Silke BeckKommunikation als Schutzschild. Zur Stra-tegie des Weltklimarats IPCC

52 Markus RhombergZwischen „Blame Game“ und Vernachläs-sigung. Die klimapolitische Debatte in denMassenmedien

62 Axel BojanowskiSorry, wir wollen nicht stören. Wissen-schaftsjournalisten ergründen die Klimafor-schung? Eine Relativierung

65 Markus LehmkuhlJournalismus und Klimaforschung: Aus-schnitte einer spannungsreichen Beziehung

70 Mike S. Schäfer„Hacktivism“? Online-Medien und SocialMedia als Instrumente der Klimakommu-nikation zivilgesellschaftlicher Akteure

79 Roger Pielke jr.Experten in Blogs. Positive und negativeAspekte

Inhalt

83 Werner KraussAusweitung der Kampfzone: Die Klima-blogosphäre

89 Jochen RooseWollen die Deutschen das Klima retten?Mobilisierung, Einstellungen und Handlun-gen zum Klimaschutz

PULSSCHLAG.................................................................................................................................

101 Johannes Hillje/Oliver QuiringKlickaktivismus? Über die Wirkung von po-litischen Online-Kampagnen

106 Lena PartzschSocial Entrepreneurship – Einordnung ei-ner Aktivitätsform

111 Sandra Kotlenga/Doreen MüllerFinanzinvestoren als Vermieter: Hürden undStrategien für Bewohnerinitiativen in be-nachteiligten Stadtteilen

TREIBGUT.................................................................................................................................

118 Materialien, Notizen, Hinweise

LITERATUR.................................................................................................................................

123 Melanie MüllerAnalysen über die Politikwissenschaften hi-naus – Neue und neuere Werke rund umdie Klimapolitik (Sammelbesprechung)

126 Volker MittendorfWider die Evergreens konservativer Rhe-torik (Roth, Roland: Bürgermacht. EineStreitschrift für mehr Partizipation)

128 Berthold KuhnKompendium der Engagementpolitik: Brei-ter Blickwinkel auf deutschlandbezogeneThemenstellungen (Olk, Thomas/Hart-nuß, Birger: Handbuch BürgerschaftlichesEngagement)

131 ABSTRACTS.................................................................................................................................

139 IMPRESSUM.................................................................................................................................

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FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 25. Jg. 2 | 2012

Editorial

Der Kampf um die KöpfeDer Meinungskampf um dieKlimapolitik

Der Klimawandel ist einer der größten, vielleichtdie größte Herausforderung, der die Mensch-heit gegenwärtig gegenübersteht – wenigstensin den Augen von UNO-Generalsekretär BanKi-Moon, Microsoft-Milliardär Bill Gates, Phy-siker Stephen Hawking, Klimaökonom OttmarEdenhofer und anderen. Die von der Wissen-schaft in den vergangenen Jahrzehnten zuneh-mend konsensuell beschriebenen und aufmenschliche Treibhausgasemissionen zurückgeführten Veränderungen der globalen Durch-schnittstemperaturen wirken sich in vielerleiWeise aus (vgl. IPCC 2007): Sie führen zuGletscher- und Eisschmelze und einem Anstiegdes Meeresspiegels. Zugleich werden sich wohlWüsten und wasserarme Regionen vergrößern,Wasserressourcen werden voraussichtlich knap-per. Die Folgen bedrohen existierende Öko-systeme und Biodiversität, auch die Nah-rungsmittelproduktion könnte leiden. Hinzukommen extreme Wetterereignisse wie Flutenoder Stürme.

Mit diesen Veränderungen verbunden sind– teils schwerwiegende – gesellschaftliche Fol-gen. So dürften neu entstehende oder verstärk-te Knappheiten von Ressourcen wie Wasser unddie Zunahme regionaler Wetterextreme zuneuen Herausforderungen und Bedrohungenfür menschliches Zusammenleben führen. „Ge-rade Küstenregionen dürften infolge der Kli-maänderung und des Anstiegs des Meeresspie-gels immer größeren Risiken – einschließlichKüstenerosion – ausgesetzt sein werden“ (IPCC2007: 25), viele Menschen insbesondere in tie-fer liegenden Gebieten werden von Über-schwemmungen betroffen sein. Hinzu könn-ten schwerwiegende ökonomische Folgen kom-men – der von der britischen Regierung inAuftrag gegebene Stern Report schätzt, dasssich die weltweiten volkswirtschaftlichen Kos-ten der momentanen Klimaveränderungen aufetwa fünf Prozent der weltweiten Wirtschafts-

leistung belaufen werden (Stern 2007: 161),und gibt zu bedenken, dass die ärmsten Län-der, die wenig zum Problem Klimawandel bei-getragen haben, wohl am härtesten getroffenwerden würden. Dies wiederum könnte zurEntstehung neuer oder Verschärfung bereitsexistierender Konflikte in sicherheitspolitischen„Hot Spots“ führen (vgl. WBGU – Wissen-schaftlicher Beirat der Bundesregierung fürGlobale Umweltveränderungen 2008), undnicht zuletzt deswegen seien künftig auchmassive Migrationsbewegungen von „Klima-flüchtlingen“ (z.B. Jakobeit/Methmann 2007,Morrissey 2009) denkbar.

Beim Klimawandel handelt es sich, so einvielzitiertes Diktum des Stern Reports, um das„größte Marktversagen aller Zeiten“ – undnötig sei entsprechend ein internationales po-litisches Handeln mit gemeinsamen, langfristi-gen Zielen (Stern 2007: xviii). Die grundsätz-lichen Handlungsoptionen sind dabei weitge-hend klar und lassen sich den Polen Vermei-dung („mitigation“) und Anpassung („adapta-tion“) zuordnen.

Auf der einen Seite steht die Vermeidungdes (künftigen) Klimawandels durch eine deut-liche Verringerung des CO2-Ausstoßes weltweit,wobei hochentwickelte Industrieländer und indiesen bestimmte Industrien naheliegenderWeise am stärksten von entsprechenden Limi-tierungen betroffen wären. Die Vermeidungs-Option steht in der internationalen Klimapoli-tik bislang im Mittelpunkt. Das Ziel der inter-nationalen Klimakonferenzen („Conferences ofthe Parties“, COP) sowie vieler zur Klimapoli-tik verabschiedeten Beschlüsse – das „Kyoto-Protokoll“ ist das wohl bekannteste Beispiel –besteht darin, einen internationalen Konsensauszuhandeln, bei dem sich die Teilnehmerlän-der zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßesverpflichten. Grundsätzlich wird momentanangestrebt, „den globalen Temperaturanstiegauf zwei Grad Celsius über dem Niveau dervorindustriellen Zeit (1850) zu begrenzen“(Narain 2010: 3).

Auf der anderen Seite steht die Anpassungan die bereits existierenden oder jetzt schon

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Der Kampf um die Köpfe

unvermeidlichen Folgen des Klimawandelsdurch Schutzmaßnahmen. Diese Optionen ha-ben in den vergangenen Jahren, auch angesichtsdes vermeintlichen Scheiterns von Vermeidungs-bemühungen, an Bedeutung gewonnen. Sie lie-gen vornehmlich auf nationaler, regionaler undlokaler Ebene: Hier geht es etwa um Deich-bau, um die Unterstützung bestimmter Bau-oder Umbauformen und auch um Versicherungs-regelungen, mit denen Betroffene bei klimabe-dingten Schäden entgolten werden sollen (vgl.Heinrichs/Grunenberg 2009: 17ff., Stehr/vonStorch 2008). Hier lassen sich auch techni-sche Entwicklungen als Ersatz für CO2-intensi-ve Technologien oder das „Geoengineering“zuordnen, worunter technische Eingriffe ingeochemische resp. biogeochemische Kreisläu-fe zu verstehen sind, mit denen den Folgendes Klimawandels entgegen gewirkt werden soll(vgl. Crutzen 2008).

Die Umsetzung derartiger Maßnahmen istaber schwierig. Schon die dem eigentlichenHandeln und politischen Entscheidungen vor-

gelagerte Verständigung über wünschbare Zie-le fördert oft so unterschiedliche Positionenzu Tage, dass eine Konsensbildung schweroder gar unmöglich scheint – das dürfte Be-obachtern der Weltklimakonferenzen der ver-gangenen Jahre ebenso klar sein wie Besu-chern von lokalen Dialog-Veranstaltungen zuden Folgen des Klimawandels in der Nord-seeregion. Mitunter sind die wissenschaftli-chen Folgenprognosen und -erwartungenumstritten. Klimawandel-„Skeptiker“, die ander Existenz des Phänomens an sich zwei-feln, treffen auf „Alarmisten“, die in missio-narischer Weise versuchen, die Tragweite derKlimaproblematik deutlich zu machen undihr andere Problemlagen und Handlungsop-tionen unterzuordnen. Vertreter globalerpolitischer Vermeidungs-Ziele sehen sichAnhängern eher regionaler und lokaler An-passungsstrategien gegenüber. Vertreter vonIndustrieländern streiten mit Entwicklungs-und Schwellenländern. Unternehmerinteres-sen treffen auf NGOs.

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Editorial

Aus der öffentlichen Kommunikation überden Klimawandel und die (vermeintlich) rich-tigen politischen Herangehensweisen an dieThematik ist längst ein umkämpftes Feld ge-worden. Bei der Klimathematik hat sich dieMobilisierung von Bewegungen wie in kaumeinem anderen Themenbereich in die Mitteder Gesellschaft und der Politik vorgearbeitet.Damit ist das Problem aber eben keineswegsgelöst, sondern mit der Anerkennung der Pro-blematik ist die Auseinandersetzung um Ver-antwortlichkeiten und Lösungen erst voll ent-brannt. Eine Schlüsselfrage ist dabei, wer dieöffentliche Meinung für sich gewinnen kann,um seine Interpretationen des Problems undseine Lösungsstrategien durchzusetzen. Undweil mit den diskutierten Veränderungen im-mense Kosten für viele verbunden sind, hatdie Auseinandersetzung erhebliche Brisanz. Esfindet ein Kampf um die Köpfe statt – unddieser Kampf ist Gegenstand dieses Themen-heftes.

Das Heft beleuchtet die Auseinandersetzungum und die Strategien zur Beeinflussung deröffentlichen Meinung zum Klimathema. Wieagieren Wirtschaft, Wissenschaft, Politik undNGOs? In welcher Weise versuchen sie, dieÖffentlichkeit für ihre Deutungen und Lösun-gen zu gewinnen? Welche Rolle spielen dieMedien? Und welche Entwicklungen lassen sichin der öffentlichen Wahrnehmung, in derMobilisierung der Öffentlichkeit (in einemweiten Sinne) für Klimafragen und -lösungenerkennen?

Das Heft geht auf diese grundsätzlichenFragen ein und beleuchtet dabei exemplarischdie prominenten Konflikte in der Klimadebat-te. Eingangs beschreibt Achim Brunnengrä-ber die wesentlichen klimapolitischen Debat-ten und zeigt auf, dass diese vornehmlich imBereich der Vermeidungsstrategien zu verortensind.

Anschließend betrachten wir in einem ers-ten thematischen Block die klimabezogene Öf-fentlichkeitsarbeit unterschiedlicher Akteure.Inga Schlichting und Andreas Schmidt legendas Feld der Akteure dar, die aktiv zum The-

ma kommunizieren. Sie geben einen Überblicküber politische sowie NGO- und Unternehmens-kampagnen und können einen Wandel der The-mendeutung aufzeigen. Sehr unterschiedlicheAkteurspositionen werden auch in zwei Inter-views deutlich, die wir mit Michael Hopf, demPressesprecher von Greenpeace Deutschland,sowie mit Joachim Löchte von RWE geführthaben. Sie beschreiben recht unterschiedlicheSichtweisen auf das Klimathema, die sie aberauf ähnliche Weise – wenngleich mit variieren-dem Erfolg – öffentlich zu vermitteln versu-chen. Dies kontrastiert ein Beitrag von SilkeBeck, in dem sie sich mit der öffentlichen Rolledes UN-Weltklimarates IPCC, mit dessen kom-munikativem Krisenmanagement und dem da-mit einher gehenden Glaubwürdigkeitsverlustbeschäftigt.

Der Beitrag von Markus Rhomberg setztsich mit der klimapolitischen Debatte in denMassenmedien auseinander. Er beleuchtet dieSelektions- und Präsentationslogiken von Re-daktionen und geht auf die Darstellung derDebatte ein. Gefolgt wird er von zwei Beiträ-gen, die sich eher mit der Praxis der massen-medialen Klima-Darstellung auseinandersetzen.Zunächst beschreibt Axel Bojanowski die Rolleund die Schwierigkeiten von Wissenschaftsjour-nalisten bei der Thematisierung komplexerThemen wie des Klimawandels – und die kon-kreten Fallstricke dieses spezifischen Themas.Anschließend schildert Markus Lehmkuhl denkonkreten Konflikt einer Journalistin mit ei-nem Klimawissenschaftler.

Ein weiterer thematischer Block trägt derwohl zentralen Veränderung in der Medienland-schaft der vergangenen Jahrzehnte Rechnung:der Digitalisierung. Zunächst beschreibt MikeS. Schäfer, wie die Klimabewegung Online-Me-dien und Social Media nutzt, um für ihre The-men Aufmerksamkeit zu finden, Bürger zumobilisieren und sich selbst mit Gleichgesinn-ten zu vernetzen. Die spezielle Rolle von Web-logs in der Klimadebatte beleuchten im An-schluss zwei Wissenschaftler, die selbst derar-tige Blogs betreiben: der Politikwissenschaft-ler Roger Pielke jr., der seit Jahren einer der

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aktivsten und renommiertesten US-Blogger zumThema ist, und der Ethnologe Werner Krauss,der maßgeblich am deutschen Blog „Klimazwie-bel“ beteiligt ist.

Abschließend stellt Jochen Roose die Gret-chenfrage für den Kampf um die Köpfe: Wel-che Mobilisierung für dieses Thema lässt sichfinden und was denken und tun die Menschenin Bezug auf den Klimawandel?

Wir schlagen damit einen thematischenBogen von der strategischen Kommunikationzentraler gesellschaftlicher Akteure über dieAusgestaltung der öffentlichen Debatte bishin zu den Auswirkungen dieser Kommuni-kation. Mit dem Themenfeld Klimawandelund Klimapolitik nehmen wir dafür exempla-risch eine große und dauerhaft aktuelle poli-tische Auseinandersetzung in den Blick. Indieser zeigen sich typische Konflikte und Stra-tegien zur Gewinnung und auch Manipulati-on der öffentlichen Meinung. Die Auseinan-dersetzung um das Klima ist nicht nur einzentraler Konflikt unserer Zeit, sondern auchein Beispiel für die Strategien und Logikenöffentlicher Kampagnen in anderen umstrit-tenen Politikfeldern.

Jochen Roose (Berlin), Mike S. Schäfer (Ham-burg).

Literatur

Crutzen, Paul J. 2008: An Example of Geo-Engineering. Cooling Down Earth’s Climateby Sulfur Emissions in the Stratosphere. In:Arber, S.W. (Hg.): Predictability in Science.

Der Kampf um die Köpfe

Accuracy and Limitations. Proceeding of Plena-ry Session, 3-6 November 2006. Vatican City:Pontifical Academy of Sciences.

Heinrichs, Harald/Grunenberg, Heiko2009: Klimawandel und Gesellschaft: Perspek-tive Adaptionskommunikation. Wiesbaden:Verlag für Sozialwissenschaften.

IPCC 2007: IPCC Fourth Assessment Re-port: Climate Change 2007. Geneva: IPCC -Intergovernmental Panel on Climate Change.

Jakobeit, Cord/Methmann, Chris 2007:Klimaflüchtlinge. Hamburg: Greenpeace.

Morrissey, James 2009: EnvironmentalChange and Forced Migration. A State of theArt Review (Refugee Studies Center Back-ground Paper). Oxford: University of Oxford,Oxford Department of International Develop-ment, Refugee Studies Centre.

Narain, Sunita 2010: Klimawandel: Keinegemeinsame Teilhabe an der Welt. In: AusPolitik und Zeitgeschichte, Jg. 2012, Heft 32/33, 3-7.

Stehr, Nico/von Storch, Hans 2008: An-passung und Vermeidung oder von der Illusionder Differenz. Reaktion auf H. Ziegler: Adap-tation versus mitigation – Zur Begriffspolitikin der Klimadebatte. In: GAIA, Jg. 17,Heft 1,19-24.

Stern, Nicholas 2007: The Economics ofClimate Change. The Stern Review. Cambridge:Cambridge University Press.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat derBundesregierung für Globale Umweltverän-derungen 2008: Welt im Wandel: Sicherheits-risiko Klimawandel. Berlin, Heidelberg & NewYork: Springer.

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AKTUELLE ANALYSE

1 | Hintergründe und Forschungsstand

Die Einbindung von Migranten in zivilgesell-schaftliche Organisationen findet inzwischenbreite Unterstützung in der Politik. Zum ei-nen wird durch die stärkere Aktivierung vonMigranten eine integratorische Wirkung erwar-tet, zum anderen ein Ausgleich des infolge desdemographischen und des Wertewandels beste-henden Beteiligungsengpasses erhofft (Halm2011: 15). In den letzten Jahren wurden zurFörderung des bürgerschaftlichen Engagementsvon Migranten insbesondere durch den Natio-nalen Integrationsplan zahlreiche Maßnahmeneinerseits im Bereich der interkulturellen Sen-sibilisierung aufnahmegesellschaftlicher Orga-nisationszusammenhänge, andererseits aber auchim Kontext eines fortschreitenden „Empower-ments“ der Migrantenorganisationen geplantoder umgesetzt.1

Engagement von Migranten findet nicht nurin mehrheitsgesellschaftlichen Organisationenstatt, sondern auch in eigenethnischen Zusam-menschlüssen. Doch sieht sich dieses Engage-ment mitunter dem Vorwurf ausgesetzt, desin-tegrativ zu wirken. Nicht selten wird in Mig-rantenorganisationen ein Zeichen der Heraus-bildung von „Parallelgesellschaften“ und derVerfestigung von Herkunftslandbezügen er-kannt (Koopmans 2005: 105). Eine weit ver-breitete Meinung ist nach wie vor, dasszumindest die religiösen und politischen Orga-nisationen zu einer Orientierung auf das Her-kunftsland tendieren und/oder durch das Her-kunftsland gesteuert sind. Die Arbeiten vonKoopmans widerlegen jedoch diese Annahme.Für Deutschland kommt er auf einen Anteilvon 53,4% der erwähnten Organisationen, dierein aufnahmelandbezogene Interessen vertre-

Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger MigrantenMartina Sauer

ten (Koopmans 2005). Eine Befragung zumEngagement Türkeistämmiger aus dem Jahr2004 ergab sogar nur 11% der Engagierten,die sich in Organisationen betätigen, die aus-schließlich auf das Herkunftsland gerichtet sind(Halm/Sauer 2007: 73f). Zu differenzieren istmithin nicht nur zwischen dem Engagementvon Zuwanderern innerhalb aufnahme- oderherkunftsgesellschaftlicher Organisationen.Auch beim Engagement innerhalb der eigenenEthnie liegen von Fall zu Fall sehr unterschied-liche Orientierungen, Erwartungen und Zieleder bürgerschaftlichen Tätigkeit vor (Halm2011: 16f).

Will man verschiedene Arten bürgerschaft-lichen Engagements von Migranten unterschei-den, so ist neben der Differenzierung deut-scher, eigenethnischer und multikulturellerKontexte die Untersuchung der inhaltlichenAusrichtung auf das Herkunfts- oder das Zu-wanderungsland sinnvoll.

Obwohl inzwischen umfangreiche Befundezu den Bedingungen und Potentialen bürger-schaftlichen Engagements2 der Gesamtgesell-schaft vorliegen und es auch im politischenDiskurs einen festen Platz auf der Agenda hat,gibt es nach wie vor nur wenige Studien, diesich explizit mit dem Engagement von Mig-rantinnen und Migranten befassen (Alscher etal. 2009a; Alscher et al. 2009b).

Sowohl die Sonderauswertung des Freiwil-ligensurveys 2004 (Geiss/Gensicke 2005) zumEngagement von Migranten als auch die spezi-fische Studie der Stiftung Zentrum für Tür-keistudien und Integrationsforschung (ZfTI)zum freiwilligen Engagement von Türkinnenund Türken – nach Herkunftsland nach wievor die größte Zuwanderergruppe in Deutsch-land – aus dem gleichen Jahr3 zeigten Unter-

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Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

schiede nach Art und Umfang im bürgerschaft-lichen Engagement der Migrantinnen undMigranten und der Gesamtgesellschaft (Halm/Sauer 2007). So waren türkeistämmige Mig-ranten zwar in ähnlichem Umfang in Verei-nen, Verbänden, Initiativen und Gruppierun-gen aktiv4. Allerdings engagierten5 sich Mig-ranten trotz einer ähnlichen Aktivitätsquotewesentlich seltener als Einheimische.

Die Einschätzung, dass sich das Engage-ment Türkeistämmiger in erster Linie mit demHerkunftsland und der Konservierung türki-scher Kultur beschäftigt, ist nach diesen Er-gebnissen unzutreffend. Die Mehrheit derEngagementgruppen (59%) war in ihrer Tä-tigkeit und ihrem Inhalt hauptsächlich auf dasLeben, die Kultur, die Gesellschaft oder diePolitik in Deutschland gerichtet. Nur gut je-der zehnte Engagierte (11%) war in einer Grup-pe, deren Tätigkeit hauptsächlich auf die Tür-kei gerichtet ist. Zwar war die Vertretung mi-grationsspezifischer Interessenlagen ein wich-tiges Ziel türkeistämmiger Engagierter undBeteiligter, diese Interessen richteten sich je-doch auf das Aufnahmeland und das Leben inDeutschland.

Die bisherigen Befunde belegen zweierlei:Einerseits ist das türkische Vereinswesen inso-fern durchaus differenziert, als es kaum alsEtablierung einer türkischen Parallelgesellschaftin Deutschland interpretiert werden kann. Viel-mehr erfolgt die eigenethnische Organisationselektiv und hauptsächlich in denjenigen Be-reichen, in denen kompatible Angebote derAufnahmegesellschaft tatsächlich fehlen – wienicht anders zu vermuten – im Bereich Religi-on, Kultur und im Sport, da kulturelle Diffe-renz zur Aufnahmegesellschaft mitunter auchbei Letzterem eine Rolle spielen mag. Diesbedeutet einen deutlichen Unterscheid zu denEngagementschwerpunkten der deutschen Be-völkerung. Insbesondere fällt das weitgehendeFehlen postmaterialistischer Engagementberei-che ins Auge, ebenso wie die Unterrepräsenta-tion der Frauen. Migrationsspezifische Motivesind zwar nicht unwichtig, stehen aber nichtan der Spitze. Der Unterschied ergibt sich aus

der besonderen Migrationssituation, mit derspezifische Problemlagen, Engagementerwartun-gen, Restriktionen, aber auch Chancen fürEngagement verbunden sind (Halm/Sauer2007; Halm 2011: 18).

2 | Fragestellung und Datenbasis

Sowohl die Sonderauswertung des Freiwilli-gensurvey als auch die Studie des ZfTI ausdem Jahr 2004 identifizierten eine Reihe mög-licher Maßnahmen und Strategien zur Erhö-hung des Engagements von (türkeistämmigen)Migranten. Sie fanden sowohl im NationalenIntegrationsplan der Bundesregierung, aberauch auf kommunaler und regionaler EbeneNiederschlag. Um feststellen zu können, in-wieweit sich vor dem Hintergrund gewandel-ter Rahmenbedingungen das Engagement Tür-keistämmiger in den letzten Jahren veränderthat, führte das ZfTI im Rahmen seiner jährli-chen Mehrthemenbefragung in Nordrhein-Westfalen 20106 eine erneute Befragung zumfreiwilligen Engagement Türkeistämmiger7

durch, die sich sowohl in der Fragestellungund der Definitionen an der bundesweitenZfTI-Befragung von 2004 einerseits und amFreiwilligensurvey 2009 (Gensicke 2010)8

andererseits orientierte, um mögliche Verän-derungen auch im Vergleich zur Gesamtbe-völkerung bewerten zu können9.

Die Daten wurden im Herbst 2010 anhandeiner computergestützten, standardisiertenTelefonbefragung (CATI) von 1.000 türkei-stämmigen Personen ab 18 Jahre aus NRWerhoben. Die Befragung erfolgte durch tür-kischsprachige Interviewer je nach Wunschder Interviewpartner auf Deutsch oder Tür-kisch. Die Auswahl der Stichprobe erfolgteüber das onomastische Verfahren: Anhand vondurch das ZfTI zusammengetragenen Listentürkischer Vor- und Zunamen wurden aus ei-nem elektronischen Telefonbuch Haushalte inNordrhein-Westfalen selektiert, deren An-schluss mit einem türkischen Vor- oder Nach-namen eingetragen ist. Aus dieser „Grundge-samtheit“10 von rund 100.000 Haushalten

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wurde über einen computergenerierten Algo-rithmus eine Zufallsstichprobe gezogen. DieZufallsauswahl der zu befragenden Personenim Haushalt wurde dadurch sichergestellt,dass das Haushaltsmitglied befragt wurde,welches zuletzt Geburtstag hatte. Die Befrag-tengruppe repräsentiert nach Alter, Geschlechtund Erwerbstätigkeit die türkeistämmigen Mi-granten in NRW nach dem Mikrozensus2009.11

3 | Aktivität und bürgerschaftlichesEngagement

3.1 | Aktivitäten

Bürgerschaftliches Engagement ist eingebettetin soziale Aktivitäten. Es entsteht in der Re-gel aus einer kooperativen Beteiligung in Ver-einen oder Verbänden, Gruppen, Initiativen undProjekten. Daher wurde zunächst erhoben, obund in welchem Bereich die Befragten sich „au-ßerhalb von Beruf und Familie aktiv beteili-gen“12. In einer zweiten Stufe wurden danndiejenigen, die sich aktiv beteiligen, nach derÜbernahme von Ämtern, Funktion, Aufgabenoder Arbeiten gefragt.13

Die Aktivitätsquote der erwachsenen tür-keistämmigen Migranten in Nordrhein-West-falen liegt bei 54%. Der Freiwilligensurvey 2009nennt als Aktivitätsquote für die Gesamtbe-völkerung ab 14 Jahre 71% (66% im Jahre 1999,70% im Jahr 2004). 2004 ergab sich für tür-keistämmige Befragte bundesweit eine Quotevon 64%. Somit ist die Aktivitätsquote dertürkeistämmigen Zuwanderer in NRW 2010geringer als die bundesweite Quote von 2004und als die bundesweite Quote der Gesamtbe-völkerung 2009, der Unterschied zwischenTürkeistämmigen und Gesamtbevölkerung beider Aktivität in sozialen Bezügen hat sich alsovergrößert.

Der Bereich, in dem sich mit 26% die meis-ten türkeistämmigen Migranten beteiligen, istdie Religion. Fast ebenso viele (23%) beteili-gen sich im Bereich Sport. Mit Abstand fol-gen weitere Lebensbereiche, in denen es umdie Gestaltung der Freizeit (Geselligkeit 13%,

Kultur/Musik 11%) oder um das unmittelbareeigene Lebensumfeld (Schule und Kindergar-ten 11%) geht. Die Beteiligungen in den stär-ker gemeinwohlorientierten Bereichen, wie demsozialen Bereich (11%) und in der Jugend- undBildungsarbeit (10%), liegen auf einem ähnli-chen Level. Im Vergleich zur bundesweitenZfTI-Studie von 2004 hat sich an der Rangfol-ge der Bereiche nur wenig verändert. Im Frei-willigensurvey 2009 ist die Rangfolge für dieGesamtbevölkerung ähnlich – mit Ausnahmeder Religion, die bei den türkeistämmigenMigranten der Bereich mit der häufigsten Be-teiligung ist. Unter der Gesamtbevölkerungliegt die Religion in der Rangfolge der Beteili-gungsbereiche auf dem 6. Rang.

Die Aktivität findet mehrheitlich nicht ineinem ausschließlich türkisch geprägten Kon-text statt: Fast die Hälfte (46%) der Migran-ten sind – bezogen auf die mehrheitliche Nati-onalität der anderen Gruppenmitglieder – so-wohl in deutschen als auch in türkischen oderin internationalen Gruppen aktiv, 17% sind nurin deutschen Organisationen oder Kontextentätig. Doch immerhin 37% beteiligen sich aus-schließlich in Gruppen, in denen die anderenTeilnehmer überwiegend türkischer Herkunftsind. Im Vergleich zur ZfTI-Brefragung 2004ist die Beteiligung nur im türkischen Kontextum 3 Prozentpunkte geringer (Halm/Sauer2007: 52f). Somit kann in diesem Vergleichnicht von einer Zunahme der Aktivität im aus-schließlich eigenethnischen Kontext gesprochenwerden.

3.2 | Engagement

Insgesamt engagieren sich 13% aller Befrag-ten und 25% der Aktiven (N = 135). Der Frei-willigensurvey 2009 nennt als Engagementquo-te für die Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre 36%(34% im Jahre 1999, 36% im Jahr 2004). 2004ergab sich für türkeistämmige Befragte bun-desweit eine Quote von 10%. Somit ist dieEngagementquote der türkeistämmigen Zuwan-derer in NRW 2010 höher als die bundesweiteQuote von 2004 – trotz niedrigerer Aktivitäts-

Martina Sauer

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quote –, aber nach wie vor deutlich niedrigerals die bundesweite Quote der Gesamtbevöl-kerung 2009.

War das Verhältnis von Aktiven und Enga-gierten Türkeistämmigen 2004 noch 5:1, istes 2010 in NRW 3:1 (Halm/Sauer 2007: 64).In der Gesamtbevölkerung beträgt 2009 dasVerhältnis von Aktiven und Engagierten 1:1.

Bestimmte soziale Gruppen weisen einehohe Engagementquote auf, die sich mit denbesonders beteiligten Gruppen decken: Befrag-te aus der Altersgruppe zwischen 30 und 44Jahre mit langer Aufenthaltsdauer, mit hoherschulischer Qualifizierung, Selbständige undAngestellte mit mittlerem bis höherem Einkom-men. So kann man festhalten, dass Personenmit besseren bildungsmäßigen, beruflichen undfinanziellen Voraussetzungen häufiger freiwil-lige Aufgaben übernehmen als andere Grup-pen.

3.3 | Engagementbereiche

Die meisten Engagierten sind in den BereichenReligion (28%) und Sport (13%) zu finden,die zugleich auch die wichtigsten Beteiligungs-bereiche sind. Danach folgt der Bereich Ju-gend-/Bildungsarbeit, Kultur/Musik und So-ziales mit jeweils 12% der Engagierten und2% der gesamten türkeistämmigen Bevölke-rung, obwohl diese Bereiche bei der Beteili-gung auf tieferen Rangplätzen lagen. Auf die-se fünf Bereiche konzentrieren sich drei Vier-tel der Engagierten.

Im Vergleich zur bundesweiten BefragungTürkeistämmiger aus dem Jahr 2004 hat sichdie Bedeutung einiger Bereiche erheblich ver-schoben (Halm/Sauer 2007: 65ff). So hat derBereich Schule/Kindergarten wesentlich anBedeutung verloren, dagegen hat der BereichJugend- und Bildungsarbeit entsprechend ge-

Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

Abbildung 1: Nicht Aktive, Aktive und Engagierte im Vergleich (Prozentwerte)

Quellen: * Halm/Sauer 2007: 64, ** Gensicke 2010: 16. Eigene Darstellung

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wonnen. Obwohl der Bereich Sport damals wieheute auf dem 2. Platz rangiert, ist doch derAnteil der Engagierten dort um 10 Prozent-

punkte zurückgegangen. Deutlich wenigerwichtig ist heute darüber hinaus auch die Poli-tik.

Tabelle 1: Engagementbereiche im Vergleich

Türkeistämmige Türkeistämmige Gesamt-2010 NRW 2004 bevölkerung

bundesweit* 2009bundesweit**

Prozent Rang Prozent Rang RangReligion 28,1 1 23,5 1 2

Sport 12,6 2 22,1 2 1Kultur/Musik 11,9 3 13,4 4 4

Sozialer Bereich 11,9 4 10,7 5 5Jugend/Bildung 11,9 5 2,7 11 10

Schule/Kindergarten 7,4 6 20,8 3 3Freizeit 5,9 7 3,4 8 6

Berufliche Interessenvertretung 5,2 8 3,4 9 13Rettungsdienst 1,5 9 4,0 6 7Umwelt/Natur 1,5 10 0,0 13 8

Politik 0,7 12 4,0 7 9Gesundheit 0,7 11 3,4 10 11

Wohnort 0,7 13 2,0 12 12

Quellen: * Halm/Sauer 2007: 65ff, ** Gensicke 2010: 18. Eigene Darstellung

In der Gesamtbevölkerung liegt Sport anerster und Religion an zweiter Stelle.14 DerBereich Jugend/Bildung hat in der Gesamtbe-völkerung eine geringere Bedeutung als beiTürkeistämmigen, der Bereich Schule/Kinder-garten jedoch eine deutlich höhere Bedeutung.Weniger Bedeutung in der Gesamtbevölkerunghat darüber hinaus die berufliche Interessen-vertretung.

3.4 | Ethnischer Kontext desEngagements

Das Engagement der türkeistämmigen Mig-ranten konzentriert sich stärker als die Akti-vität auf den türkischen Kontext: 50% enga-gieren sich in türkischen Gruppen oder Or-ganisationen, zugleich engagieren sich auch24% in einem deutschen Kontext, 26% in

einem internationalen bzw. gemischten Rah-men. Es überwiegt im Engagement zwar leichtdas türkische Umfeld, doch ist der Anteil von50% Engagierten im nicht ausschließlich tür-kischen und von 24% in einem rein deutschenKontext bemerkenswert, zeigt er doch, dassvon einer Abschottung des Engagements ge-nerell nicht die Rede sein kann und türkei-stämmige Migranten durchaus auch Aufga-ben und Tätigkeiten in deutschen Gruppenübernehmen.

Die Verteilung des Engagements nach eth-nischem Kontext war in der bundesweitenBefragung 2004 unter Türkeistämmigen ähn-lich: 52% engagierten sich im türkischen Kon-text, 29% und damit etwas mehr Befragte imdeutschen Kontext und 19% – also etwas we-niger – im gemischten Kontext (Halm/Sauer2007: 68).

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Wie bei der Beteiligung wird deutlich,dass das Engagement im türkischen Kon-text nicht grundlegenden Prinzipien der Ab-schottung folgt, sondern aufgrund mangeln-

der Alternativen wie im Bereich Religionund Kultur oder problemorientiert wie inden Bereichen Soziales und Jugendarbeitstattfindet.

85,7 14,3

60,0 40,0

37,5 25,0 37,5

29,4 23,5 47,1

12,5 87,5

6,3 43,8 50,0

2,6 97,4

50,0 50,0

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Berufliche Interessenvertretung

Schule/Kindergarten

Jugend-/Bildung

Sport

Freizeit

Sozialer Bereich

Religion

Kultur/Musik

deutsch türkisch gemischt

Abbildung 3: Ethnischer Kontext des Engagements nach Bereichen (Zeilenprozent)

Quelle: Eigene Darstellung

Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

Abbildung 2:Engagement der türkeistämmigen Migranten nach ethnischem Kontext (Prozentwerte)

Quelle: Eigene Darstellung

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58% der Engagierten gaben an, eine Vor-stands- oder Leitungsfunktion zu haben – 2004waren dies unter Türkeistämmigen nur 42%.Diese Vorstandsfunktion wird zu 42% in ei-nem türkischen Kontext, jedoch nur zu 22%in einem deutschen Kontext ausgeübt, obwohlsich 24% in einem deutschen Kontext enga-gieren. Somit scheint für türkeistämmige Mig-ranten die Übernahme von Leitungsfunktio-nen in deutschen Organisationen etwas schwie-riger zu sein als in türkischen Organisationen,obwohl sich dies im Vergleich zur ZfTI-Befra-gung von 2004 verbessert hat (19% in deut-schen Leitungsfunktionen, 29% in deutschemKontext engagiert).

3.5 | Länderorientierung der Organisatio-nen

Der ethnische Kontext der Gruppen sagt nochnichts über die inhaltliche Orientierung derArbeit aus. So dürften ethnische Zusammen-schlüsse, die sich inhaltlich auf das Aufnahme-land konzentrieren, kaum als Ausdruck von

Segregationsbemühungen gelten, sondern be-legen durch die Hinwendung zur Mehrheits-gesellschaft die Integrationsbemühungen derMigranten.

Die Hälfte der Engagementgruppen (50%)ist in ihrer Tätigkeit und ihrem Inhalt haupt-sächlich auf das Leben, die Kultur, die Gesell-schaft oder die Politik in Deutschland gerichtet,darüber hinaus kombinieren ein Viertel der Grup-pen die Länderorientierung. Nur gut jeder zehn-te Engagierte (12%) ist in einer Gruppe, derenTätigkeit hauptsächlich auf die Türkei gerichtetist. Darüber hinaus fokussieren 13% der Grup-pen auf eine internationale Ebene. Im Vergleichzur Erhebung von 2004 weisen diese Zahlen wiedie Ergebnisse zu Beteiligung und Engagementnach ethnischem Kontext auf eine zunehmendeHinwendung in Richtung Aufnahmegesellschafthin. 2004 gaben bundesweit 70% der Engagier-ten an, ihre Organisation richte ihre Tätigkeitentweder ganz oder teilweise auf Deutschlandaus, heute sind dies 75% (Halm/Sauer 2007: 74).

Selbstverständlich variiert der Länderbezugnach Engagementbereichen: Der Türkeibezug

Tabelle 2: Länderbezug der Engagementorganisationen nach wichtigsten Bereichen und ethni-schem Kontext (Zeilenprozent)

Länderbezug

Deutschland Deutschland Türkei Internationaleund Türkei Ebene

Engagementbereiche

Religion 39,5 36,8 21,1 2,6Sport 17,6 35,3 5,9 41,2Kultur und Musik 75,0 6,3 6,3 12,5Sozialer Bereich 43,8 31,3 12,5 12,5Jugend-, Bildungsarbeit 43,8 31,3 18,8 6,3

Ethnischer Kontext

Deutsch 50,0 15,6 6,3 28,1Türkisch 44,1 33,8 17,6 4,4International 60,0 17,1 5,7 17,1

Gesamt 49,6 25,2 11,9 13,3

Quelle: Eigene Darstellung

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ist in den Bereichen Religion und in der Ju-gend- und Bildungsarbeit überdurchschnittlichhäufig, dennoch konzentrieren sich die über-wiegende Mehrheit von mehr als drei Viertelder Organisationen auch in diesen Bereichenauf Deutschland oder auf beide Länder. ImSport und im Bereich Kultur existieren kaumOrganisationen mit reinem Türkeibezug. Auchunter den eigenethnischen Gruppen und Or-ganisationen ist nur knapp ein Fünftel über-wiegend türkeibezogen. Somit macht die Grup-pe der Engagierten, die sich im türkischenKontext bewegen und sich zugleich inhaltlichauf die Türkei beziehen, nicht mehr als 9%aller Engagierten aus. Selbst im religiösen Be-reich und in der Jugendarbeit betrifft dies nurein Fünftel der Engagierten. Die Tätigkeit derüberwiegenden Mehrheit beschäftigt sichzumindest auch mit dem Leben in Deutsch-land – auch zu fast drei Vierteln dann, wenndie Mehrheit der Mitglieder aus der eigenenEthnie stammt.

3.6 | Wege in und Motive für das Engage-ment

Das bürgerschaftliche Engagement erfolgtmehrheitlich nicht aufgrund eigener Initiati-ve, sondern es wird von außen angestoßen.Nur ein Fünftel (19%) der türkeistämmigenEngagierten wurde selbst aufgrund von Er-lebnissen oder Erfahrungen aktiv, fast zweiDrittel (62%) wurden extern gefragt odergeworben. Somit benötigen die meisten En-gagierten einen äußeren Anstoß, um tatsäch-lich Aufgaben zu übernehmen. Die wichtigs-ten Anstoßgeber (29%) sind dabei – wiebereits 2004 – Freunde und Bekannte, die inden jeweiligen Gruppen aktiv sind, gefolgtvon leitenden Personen aus der Gruppe. DieMehrheit der Engagierten hat sich bereitsvor Übernahme der Aufgabe in diesem Um-feld bewegt und wurde aus der Gruppe herausvon bereits Engagierten oder Beteiligtenaufgrund persönlicher Beziehungen und so-zialer Kontakte angeregt, eine Funktion zuübernehmen.

Die Übernahme bürgerschaftlichen Enga-gements ist in der Regel an bestimmte Erwar-tungen und Motive geknüpft, die sehr vielfäl-tig sein können. Sie können altruistisch undauf die Verbesserung der Situation Anderergerichtet sein, aber auch im Eigeninteresse lie-gen, einer Nutzenkalkulation unterliegen oderhedonistische Orientierungen – Spaß und Selbst-verwirklichung – zeigen; häufig besteht eineMischung unterschiedlicher Motive.

Das wichtigste Motiv für Engagement tür-keistämmiger Migranten ist die altruistischeErwartung, anderen Menschen zu helfen. Dichtgefolgt wird es jedoch von der hedonistischenErwartung „Spaß“ und „mit Menschen zusam-menkommen, die einem sympathisch sind“.Auch die nutzenorientierten Erwartungen „Er-weiterung der eigenen Kenntnisse und Erfah-rungen“ ist ein wichtiger Grund für die türkei-stämmigen Engagierten. An fünfter Stelle wirddie migrantenspezifische, altruistische Erwar-tung der Verbesserung der Lebenssituation vonMigranten in Deutschland genannt. Auch dieÜbernahme von Verantwortung und die Ent-scheidungsmöglichkeiten sind wichtige Grün-de und liegen an 6. Stelle. Auf den unterenRangplätzen liegen die Möglichkeiten zurNutzung der Tätigkeit für den Beruf, die Ver-tretung eigener Interessen und die Aufrechter-haltung der Bindung der Migranten an dieTürkei. Die Erwartungshaltung insgesamt istgekennzeichnet von einer Mischung altruisti-scher, nutzenorientierter und hedonistischerZiele, die ihre Basis auch in der Migrationssi-tuation haben. Das Engagement der türkeistäm-migen Migranten in Deutschland ist überwie-gend nicht rückkehrorientiert, aber durchausmit migrationsspezifischen Erwartungen undZielen verbunden.

Im Vergleich zur ZfTI-Befragung 2004 nachRangplätzen sind der soziale Kontakt und dieVerbesserung der Lebensbedingungen von Mig-ranten in Deutschland heute wesentlich wichti-ger – beide Motive liegen heute 4 Rangplätzehöher als 2004. Wichtiger ist heute ebenfallsdie Anerkennung, die 3 Rangplätze höher liegt,weniger wichtig ist hingegen die Vertretung der

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eigenen Interessen, die um 9 Rangplätze zu-rückgefallen ist (Halm/Sauer 2007: 106). Ver-gleicht man die Erwartungen der türkeistäm-migen Engagierten mit denen der Gesamtbe-völkerung15, zeigen sich erstaunlich wenigeUnterschiede. Nennenswerte Differenzen sindlediglich bei der Gemeinwohlorientierung zusehen, die in der Gesamtbevölkerung 2009 aufdem 3. Rang, bei Türkeistämmigen hingegenauf dem 8. Rang liegt (Gensicke 2010: 25).

3.7 | Verbesserung der Rahmenbedingun-gen

Die Förderung des Engagements von Migran-ten betrifft sowohl die individuellen Engage-mentvoraussetzungen als auch die organisato-rische Ebene. Dort geht es einerseits um diestärkere Befähigung von Migrantenorganisati-onen, Engagement zu aktivieren, andererseitsum die interkulturelle Öffnung der Mehrheits-gesellschaft (Halm 2011: 20f).

Aus Sicht der Engagierten mangelt es be-zogen auf die Organisationen in erster Liniean Unterstützung sowohl in fachlicher als auchin menschlicher und psychischer Hinsicht.

Offenbar fühlen sich zahlreiche Engagierteüberfordert oder alleingelassen. Entsprechendwünschen sich 82% mehr Weiterbildungsmög-lichkeiten.

Der Befund, dass eine deutliche Mehr-heit von 83% der türkeistämmigen Engagier-ten den Eindruck haben, in deutschen Orga-nisationen nicht willkommen zu sein, ist alar-mierend und muss bei der Beurteilung desEngagements der Migranten in eigenethni-schen Organisationen und Gruppen unbe-dingt berücksichtigt werden.16 Denn auchdadurch wird deutlich, dass als Ziel des ei-genethnischen Zusammenschlusses nicht oderzumindest nicht nur das Bestreben der ge-zielten Abschottung und Desinteresse an derEinbindung in die gesellschaftlichen Struk-turen der Bundesrepublik Deutschland zu-grunde liegt, sondern die Befürchtung, nichternst genommen zu werden, nicht willkom-men zu sein oder sich Diskriminierung aus-zusetzen.

Im Vergleich zur ZfTI-Befragung von Tür-keistämmigen 2004 sind die wichtigsten Pro-bleme ähnlich geblieben: Das Gefühl, nichtausreichend für die übernommene Aufgabe

Martina Sauer

Abbildung 4: Verbesserungswünsche der Rahmenbedingungen bei Organisationen(Prozentwerte, Mehrfachnennungen)

Quelle: Eigene Darstellung

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gerüstet zu sein, nicht ausreichend Mittel zurVerfügung zu haben und als Zuwanderer indeutschen Organisationen nicht immer will-kommen zu sein (Halm/Sauer 2007: 113).17

Bezüglich der Rahmenbedingungen, die imVerantwortungsbereich des Staates, der Arbeit-geber und der Öffentlichkeit liegen, wird vonden türkeistämmigen Engagierten am dringends-ten die Verbesserung der Anerkennung und derUnterstützung türkischer Gruppen durch diedeutsche Gesellschaft gesehen. Dies wirft zu-sammen mit der Forderung nach mehr Offen-heit der deutschen Organisationen für Zuwan-derer ein schlechtes Licht auf die Beziehungenzwischen deutschen und türkischen Organisa-tionen und die Akzeptanz des EngagementsTürkeistämmiger in der Öffentlichkeit. Aus

Sicht der türkeistämmigen Engagierten stelltsich die Situation so dar, dass einerseits dietürkischen Organisationen wenig Anerkennungund Unterstützung finden, zugleich jedoch diedeutschen Organisationen nur selten offen fürZuwanderer sind.

Auch 2004 lag den türkeistämmigen Enga-gierten vor allem die mangelnde Anerkennungder türkischen Organisationen durch die Mehr-heitsgesellschaft am Herzen (Halm/Sauer2007: 116). Danach folgten allerdings die be-rufsbezogenen Punkte. Bessere Information undAnerkennung war damals eher am unteren Endeder Skala eingestuft. Die Gesamtbevölkerungsah hier als dringendsten Verbesserungswunschdie Verbesserung der Informationen über Tä-tigkeitsmöglichkeiten, an zweiter Stelle folgte

Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

33,3

59,4

72,6

73

78,9

80

80,3

81

83,5

84,5

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

Nichts davon

Vereinbarkeit freiwilliger Tätigkeit und dem Bezugvon Arbeitslosengeld

öffentliche Anerkennung in Form von Ehrungen

Kostenerstattung vom Staat für die Arbeitgeber

Freistellung durch den Arbeitgeber

Anerkennung freiwilliger Tätigkeiten als beruflicheWeiterbildung

öffentliche Anerkennung durch Berichte in denMedien

bessere Information über Gelegenheiten zurfreiwilligen Tätigkeit

steuerliche Absetzbarkeit von Kosten

Anerkennung und Unterstützung der türkischenOrganisationen durch die deutsche Gesellschaft

Abbildung 5: Verbesserungswünsche der Rahmenbedingungen beim Staat und derÖffentlichkeit (Prozentwerte, Mehrfachnennungen)

Quelle: Eigene Darstellung

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die Anerkennung in den Medien. Danach stan-den die steuerlichen und berufsbezogenen Pro-bleme (Geiss/Gensicke 2005: 404).18

Um die Rahmenbedingungen zu verbessern,sollte vor allem auf die Anerkennung des bür-gerschaftlichen Engagements der Migranten indeutschen wie in eigenethnischen Organisatio-nen und die weitere interkulturelle Öffnungder mehrheitsgesellschaftlichen Organisationenhingewirkt werden. Darüber hinaus solltenAnstrengungen unternommen werden, mehrQualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkei-ten für die türkeistämmigen Engagierten an-zubieten. Auch die Ressourcenausstattung so-wohl mit Sach- als auch mit Finanzmitteln istein zentraler Punkt, um das Engagement zuunterstützen.

4 | Potenziale

Freiwilliges Engagement ist dynamisch undkein statischer Zustand. Aufgaben werden eineZeit lang übernommen und wieder abgegeben,möglicherweise wird später erneut diese odereine andere Aufgabe ausgeübt. Zwar engagiertsich die überwiegende Mehrheit der Türkei-stämmigen (86%) derzeit nicht, doch von die-sen waren immerhin knapp ein Drittel (31%)früher einmal bürgerschaftlich engagiert, alsodeutlich mehr als derzeit, was die Dynamikdes freiwilligen Engagements auch unter dentürkeistämmigen Migranten belegt.

Gut die Hälfte der derzeit Nicht-Engagier-ten (53%) ist definitiv weder derzeit noch zu-künftig an freiwilligem Engagement interes-siert. Knapp ein Viertel (24%) schließt freiwil-liges Engagement nicht gänzlich aus und einknappes Fünftel (19%) bejaht die Frage nachInteresse an der Übernahme freiwilliger Auf-gaben. Somit könnten von den derzeit nichtEngagierten bis zu 43% motiviert werden, sichzu engagieren. Dieser Anteil war unter Tür-keistämmigen 2004 jedoch mit 48% noch hö-her (Halm/Sauer 2007: 119). In der Gesamt-bevölkerung liegt dieser Anteil – bei einemdeutlich höheren Anteil derzeit Engagierter –bei 37% (Gensicke 2009: 21f).

5 | Fazit

Das Problem des im Vergleich zur Gesamtbe-völkerung geringen, zu 2004 jedoch etwasgestiegenen bürgerschaftlichen Engagements inder türkischen Community liegt nicht in ers-ter Linie in der geringen kollektiven Beteili-gung – auch wenn diese geringer als in derGesamtbevölkerung ist und die Differenz zu-nimmt –, sondern vor allem beim Übergangvon der Beteiligung zum freiwilligen Engage-ment; daran, dass wenig Beteiligte zur Über-nahme von Verantwortung und Aufgaben ge-bracht werden – und zwar gleichermaßen ineigenethnischen wie in deutschen Gruppen undOrganisationen. Somit liegt der erste Ansatzzur Erhöhung des Engagements bei der Schaf-fung von Gelegenheitsstrukturen für bereitsBeteiligte, zu denen auch direkte Zugangswe-ge durch die Organisationen bestehen. EineÜberprüfung und gegebenenfalls Reform derinternen Partizipationsstrukturen der aufnah-megesellschaftlichen wie der eigenethnischenOrganisationen könnte mehr Beteiligte zumfreiwilligen Engagement motivieren.

Ein wichtiges Engagementziel bzw. -motivder Türkeistämmigen ist neben dem Helfen,Spaß haben, soziale Kontakte und Erfahrun-gen sammeln auch, die Lebenssituation vonMigranten in Deutschland zu verbessern. Die-ses Anliegen wird jedoch nur selten und kon-zentriert auf bestimmte Bereiche von mehr-heitsgesellschaftlichen Organisationen verfolgt.Dennoch zeigt sich beim Vergleich zur bun-desweiten Befragung unter Türkeistämmigen2004 sowohl bei der Beteiligung als auch beimEngagement ein leichter Rückgang derjeni-gen, die ausschließlich in eigenethnischen Kon-texten wirken, sowie eine Zunahme der Ori-entierung der Tätigkeit der Organisationenauch auf die Aufnahmegesellschaft. Die Exis-tenz eigenethnischer Organisationen ist schonallein durch die hohe Bedeutung der religiö-sen Zusammenschlüsse gegeben, da es hierzukeine aufnahmegesellschaftlichen Alternativengibt. Doch sind Selbstorganisationen auchunter integrationspolitischen Vorzeichen un-

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abdingbar, in vielen Fällen sogar Ausdruckvon Integrationsbestrebungen, insbesonderedort, wo es um die Artikulation migrations-spezifischer Interessenlagen und der Verbes-serung der Lebenssituation von Migranten inDeutschland geht – wie beispielsweise im so-zialen Bereich oder in der Jugend- und Bil-dungsarbeit. Wo Einheimische und Türkei-stämmige gleiche Interessen teilen, bestehtauch eine Tendenz zum gemeinschaftlichenEngagement, das durch politische Maßnah-men weiter unterstützt werden kann. Zu be-rücksichtigen ist jedoch bei der Bewertungdes eigenethnischen Engagements auch, dassdie weit überwiegende Mehrheit der Enga-gierten den Eindruck hat, in mehrheitsgesell-schaftlichen Organisationen nicht willkommenzu sein – und dies gilt auch für die Engagier-ten in deutschen Kontexten.

Auch die eigenethnischen Organisationenrichten sich in ihrer Tätigkeit überwiegend undim Vergleich zu 2004 zunehmend auf das Zu-wanderungsland. Auch bei Engagierten, die sichin türkeiorientierten Organisationen betätigen,ist die Verbesserung der Lebenssituation inDeutschland das wichtigste Motiv für ihr En-gagement, neben der Aufrechterhaltung dereigenen Kultur. Die Bindung an die Türkeispielt nur eine untergeordnete Rolle. Die über-wiegende Aufnahmelandorientierung gilt auchfür die religiösen Organisationen, die nebender religiösen Unterweisung inzwischen auchvielfältige soziale Aufgaben wahrnehmen. DieEinschätzung, dass sich Migrantenorganisatio-nen in erster Linie mit dem Herkunftsland undder Konservierung türkischer Kultur beschäf-tigen, ist überholt – wenngleich die Aufrech-terhaltung der eigenethnischen Kultur im Un-terschied zur Aufrechterhaltung der Bindungan die Türkei ein wichtiges Motiv des Engage-ments ist.

Für eine Verbesserung des freiwilligen En-gagements türkeistämmiger Migranten – Po-tenzial ist durchaus vorhanden – sind Anstößevon außen notwendig. Zudem müssen Infor-mationskanäle zum Engagement verbessert undan die jeweilige Zielgruppe angepasst werden.

Wichtige Erwartungen an das Engagementsind neben der Absicht, anderen zu helfen,auch Spaß, die Knüpfung sozialer Kontakteund Selbstverwirklichung. Die Aussicht aufselbstlosen Dienst an der Allgemeinheit al-lein reicht wie bei der Gesamtbevölkerungzur Aktivierung von Engagement nicht mehraus. Neben dem Altruismus müssen auch dieEigeninteressen berücksichtigt werden. EineAnpassung der internen Partizipationsstruk-turen der Organisationen an diese Bedürfnis-se könnte dazu beitragen, die Engagement-quote zu verbessern. Organisationen solltensich bemühen, den Engagierten sowohl Hand-lungs- und Entscheidungsmöglichkeiten ein-zuräumen und ihre Arbeit anzuerkennen, aberauch fachliche und menschliche Unterstützungsowie Weiterbildungsmöglichkeiten – mit staat-licher Unterstützung – zu bieten. Natürlicherleichtert eine bessere finanzielle Ausstattungund die Bereitstellung von Ressourcen dieTätigkeit der Engagierten. Auch wenn bereitsMaßnahmen formuliert wurden, die insbe-sondere auf das Empowerment der Migranten-organisationen einerseits und die interkultu-relle Öffnung der mehrheitsgesellschaftlichenOrganisationen andererseits abzielen, scheinthier nach wie vor noch erheblicher Nachhol-bedarf zu bestehen.

Ein besonderes Problem besteht beim En-gagement türkeistämmiger Migranten in deut-schen Organisationen: Unter den Migrantenherrscht unverändert der Eindruck mangeln-der Offenheit der deutschen Organisationengegenüber Zuwanderern – ob zu Recht oderUnrecht, ist eine sekundäre Frage. Daher istdie Verbesserung der Offenheit der deutschenOrganisationen für Zuwanderer eines der wich-tigsten Interventionsfelder, um mehr türkei-stämmiges Engagement in deutschen Organi-sationen zu aktivieren.

Ein Beitrag zur Erhöhung des freiwilligenEngagements türkeistämmiger Migrantenebenso wie für die gesamtgesellschaftliche In-tegration wäre die stärkere Akzeptanz, Aner-kennung, Einbeziehung und Unterstützung derMigrantenorganisationen durch die Gesell-

Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

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schaft, die aufnahmegesellschaftlichen Orga-nisationen, aber auch durch die Politik. Mig-ranten und ihre Organisationen sollten nochstärker als bisher als gleichberechtigter Teilder Gesamtgesellschaft gesehen, ihre spezifi-schen Interessen als legitim wahrgenommen,behandelt und anerkannt werden. Ein überLippenbekenntnisse hinausgehender Bewusst-seinswandel, nach dem eigenethnischen Or-ganisationen nicht mehr mit Misstrauen be-gegnet wird, sondern sie als Chance zur Er-zielung von Integration und Gemeinsamkeitwahrgenommen werden, kann durch die Poli-tik unterstützt werden. Zur Steigerung desEngagements türkeistämmiger Migranten istdie umfassende Teilhabe und soziale Anerken-nung des Migrantenengagements sowohl inherkunfts- als auch in aufnahmegesellschaftli-chen Kontexten wichtig.

Martina Sauer ist wissenschaftliche Mitar-beiterin der Stiftung Zentrum für Türkeistu-dien und Integrationsforschung an der Univer-sität Duisburg-Essen. Kontakt: [email protected]

Anmerkungen1 Der Bericht der Forschungsgruppe Deutsch-

land des INVOLVE-Projektes gibt einenÜberblick über die Bemühungen der letztenJahre, vgl. INVOLVE-Abschlussbericht 2006:33. Auch im Nationalen Integrationsplan ausdem Jahr 2007 wurde eine ganze Palette vonAktivitäten in den unterschiedlichen gesell-schaftlichen Bereichen und den verschiede-nen politischen Ebenen benannt, die dasbürgerschaftliche Engagement von Migran-ten unterstützen sollen. Vgl. Die Bundesre-gierung 2007: 173ff.

2 Der Begriff des bürgerschaftlichen Engage-ments ist nicht immer klar umrissen.So finden Begriffe wie Ehrenamt, zivilgesell-schaftliches oder freiwilliges Engagementgleichzeitig und zum Teil synonym Verwen-dung. Vgl. hierzu auch Alscher et al. 2009b:6. Zu betonen ist bei der Definition die Frei-willigkeit außerhalb eines beruflichen oder

familiären, aber innerhalb eines sozialenKontexts.

3 Zweisprachige telefonische Befragung von1.500 türkeistämmigen Migranten inDeutschland ab 16 Jahre im Sommer 2004im Auftrag des Bundesministeriums für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend. Anglei-chung der Methode und Fragestellung anden Freiwilligensurvey. Da die Befragung imFreiwilligensurvey ausschließlich auf Deutschgeführt wurde, beteiligten sich dort ver-gleichsweise viele formal höher gebildeteMigranten. Dies führte zu einer Überreprä-sentanz der engagierten Migranten. Die ZfTI-Befragung diente als Ergänzung hierzu. Sie-he auch Geiss/Gensicke 2005: 347.

4 Mit Aktivität (Beteiligung, Gemeinschafts-aktivität) in Vereinen, Gruppen und Initiati-ven meint der Freiwilligensurvey aktive Teil-nahme, aber noch kein freiwilliges Engage-ment. Allerdings ist die aktive Teilnahme(also über eine passive Mitgliedschaft hin-ausgehende Beteiligung) oft die Vorausset-zung dafür. Vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2005:49.

5 Engagement wird im Freiwilligensurvey alsÜbernahme von Aufgaben, Ämtern, Funkti-onen, die über eine „nur“ teilnehmende Ak-tivität hinausgehen, aber nicht formal seinmüssen, definiert. Vgl. Gensicke/Picot/Geiss2005: 49.

6 Die ZfTI-Mehrthemenbefragung türkeistäm-miger Migrantinnen und Migranten wird seit1999 jährlich durchgeführt. Sie umfasst ei-nen festen Fragenkatalog zu verschiedenenBereichen der Integration, sowie einen jähr-lich wechselnden Befragungsteil, durch denspezifische Themen vertieft werden. Vgl. zurZfTI-Mehrthemenbefragung Sauer 2011;www.zfti.de.

7 Mit türkeistämmig sind Personen mit famili-ären Wurzeln in der Türkei gemeint, unab-hängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit (Tür-ken, Kurden, Armenier usw.) und unabhän-gig von ihrer Staatsangehörigkeit.

8 Bisher liegt noch keine Auswertung zumEngagement von Migranten 2009 vor. Im

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Freiwilligensurvey 2009 wurden 20.000 Per-sonen der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre(!) telefonisch befragt.

9 Allerdings ist der Vergleich sowohl mit derZfTI-Befragung des Jahres 2004 als auch mitdem Freiwilligensurvey nur eingeschränktmöglich, da die ZfTI-Mehrthemenbefragungnur Personen mit türkischem Migrationshin-tergrund in Nordrhein-Westfalen (und nichtbundesweit) ab 18 Jahre (und nicht ab 14Jahre wie im Freiwilligensurvey) erfasst.

10Die so generierte Datenbank aus Telefon-bucheinträgen enthält zwar wegen nicht ein-getragener Telefonanschlüsse nicht alle Haus-halte, in denen Personen mit türkischemMigrationshintergrund leben, bietet aber den-noch die umfassendste Möglichkeit, auch Per-sonen mit Migrationshintergrund zu befra-gen, die die deutsche Staatsbürgerschaft ha-ben. Andere bundes- oder landesweiten Ver-zeichnisse von Personen mit Migrationshin-tergrund oder ihren Haushalten existierennicht.

11Siehe Details zur Methodik der ZfTI-Mehrt-hemenbefragung Sauer 2011; www.zfti.de.

12Fragetext: Es gibt vielfältige Möglichkeiten,sich in seiner Freizeit außerhalb von Berufund Familie zu beteiligen. Bitte sagen Siemir, ob Sie sich in einem oder mehreren die-ser Bereiche aktiv in einem Verein, Verband,einer Initiative oder Gruppe beteiligen. Undsagen Sie mir bitte auch, ob es sich dabeium eine vorwiegend deutsche oder vorwie-gend türkische Gruppe handelt.

13Fragetext: Uns interessiert nun, ob Sie inden Bereichen, in denen Sie freiwillig aktivsind, auch ein Amt, eine Funktion oder Auf-gaben und Arbeiten unbezahlt und außer-halb des Berufs ausüben, die über die nor-male oder passive Mitgliedschaft hinausge-hen. Üben Sie in einem oder mehreren derBereiche, in denen Sie aktiv sind, ein Amt,eine Funktion oder freiwillige Aufgaben undArbeiten aus?

14Nach dem Freiwilligensurvey 2009 liegt dieReligion im Unterschied zum Freiwilligen-survey 2004 nun auf dem 2. Rang, damals

lag dieser Bereich nur auf Rang 6. DiesenRang hat die Religion auch bei der Beteili-gung der Gesamtbevölkerung. Vgl. Gensicke2010: 18.

15Ohne die migrationsspezifischen Punkte unddie Punkte, die im Freiwilligensurvey 2009nicht mehr erfasst wurden.

16Nach Analysen Halms (2005) gibt es erstseit Kurzem und nur in einigen mehrheitsge-sellschaftlichen Organisationen Konzepte undBestrebungen, den Migrantenanteil zu erhö-hen und sich interkulturell zu öffnen. Vgl.Halm 2005.

17 In der Gesamtbevölkerung unterschied sich2004 die Reihenfolge der Problembereiche:Dort lagen auf den ersten Plätzen die man-gelnde Ressourcenausstattung, gefolgt vonWeiterbildungsmöglichkeiten. Vgl. Geiss/Gen-sicke 2005: 402. Die aktuelle Veröffentli-chung zum Freiwilligensurvey 2009 beinhal-tet keine Auswertung zu diesem Thema. SieheGensicke 2010.

18Die aktuelle Veröffentlichung zum Freiwilli-gensurvey 2009 beinhaltet keine Auswertungzu diesem Thema. Siehe Gensicke 2010.

Literatur

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Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten

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Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss,Sabine 2005: Freiwilliges Engagement inDeutschland 1999-2004. Ergebnisse der reprä-sentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Frei-willigenarbeit und bürgerschaftlichem Engage-ment. Herausgegeben vom Bundesministerium

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Martina Sauer

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THEMENSCHWERPUNKT

Die neue Klima-GeopolitikKonflikte und Chancen durch Deutungsverschiebungen

Achim Brunnengräber

Die Zeiten in der internationalen Klimapolitikhaben sich geändert, nicht unbedingt zumBesseren. Aber solche Zeiten geben auch An-lass, über vermeintliche Selbstverständlichkei-ten nachzudenken. Mindestens drei wesentli-che Veränderungen in der gesellschaftlichen Aus-einandersetzung mit dem Klimawandel lassensich beobachten: Erstens wird die globale Pro-blemsicht, die auch immer eine diskursive Kon-struktion ist und weitreichende Konsequenzenfür die politische Bearbeitung des Klimawan-dels hat, um eine deutlich differenziertere, re-gional präzisere Problemanalyse ergänzt.Zweitens sind Kräfteverschiebungen auf demKonfliktfeld Klima kaum zu übersehen. Neueglobal player, darunter vor allem die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China,fordern Mitsprache ein. Zugleich werden inder Zivilgesellschaft und den Medien die Aus-einandersetzungen über den richtigen Weg in-tensiver, aber auch deutlich konflikthafter(Unmüßig 2011). Und drittens wird den zen-tralen Problemursachen wieder mehr Aufmerk-samkeit geschenkt. Wer mehr Klimaschutz will,kann sich nicht nur mit den schädlichen Treib-hausgasen beschäftigen, sondern muss den ge-samten Kohlenstoffzyklus von der Extraktionder fossilen Ressourcen bis zu den schädlichenEmissionen verändern. Nur durch eine Trans-formation des nuklear-fossilistischen Energie-systems lässt sich die Ökonomie begrünen.Nichts weniger als ein „neuer Gesellschaftsver-trag“ wird dafür als notwendig erachtet(WBGU 2011).1

Das „Scheitern“ der internationalen Klima-verhandlungen gründet darauf, dass das Kyo-to-Protokoll 2012 ausläuft und die neuen Ver-einbarungen kaum mehr Substanz haben. Kon-

krete Maßnahmen werden frühestens 2020greifen, so die konsensuale Entscheidung 2010in Durban. Damit wird dem Tempo der dra-matischen Klimaveränderungen alles andere alsRechnung getragen. Das „Scheitern“ erzwingtalso förmlich eine „realistischere“ Perspektiveauf die Möglichkeiten und Grenzen des inter-nationalen politischen Handelns. Die Krise derKlimadiplomatie könnte gar zur Korrektur,zum Umsteuern oder zum Neuanfang führen.Vielleicht bildet sich auf subglobaler Ebene eine„Koalition der Willigen“, d.h. eine Staatengrup-pe, die sich losgelöst vom internationalen Kon-senszwang mit konkreten Maßnahmen zumKlimaschutz als Vorreitergruppe präsentiert (vonWeizsäcker 2011: 13). Oder das zivilgesellschaft-liche Engagement weitet sich aus und es wächstdas – mancherorts schon vorhandene – Bewusst-sein in der Öffentlichkeit für dezentrale Kli-maschutzmaßnahmen. Oder eine green econo-my entsteht, in der die Klimapolitik ein inte-griertes Handlungsfeld darstellt.

Was ist von solchen Vorstellungen zu hal-ten? In diesem Beitrag soll, ausgehend von ei-ner Analyse der prominenten Konfliktlinien inder internationalen Klimapolitik, die sichderzeit neu konstituierende Klima-Geopolitikabgeschritten werden. Die zunächst vorherr-schende globale Problemdefinition (Kapitel 1.)und deren thematische Engführung auf dieEmissionen (2.) hat zu spezifischen Maßnah-men (3.), einigen Blindstellen und vor allemKonflikten (4.) geführt. Auf dem Diskursfeldschlagen sich diese in einem Prozesse der Re-Nationalisierung nieder (Altvater/Brunnengrä-ber 2011), verbunden mit einer neuen Aufge-schlossenheit zahlreicher Staaten für eine Bünd-nispolitik jenseits der UN. Daraus resultieren-

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de Deutungsverschiebungen hinsichtlich desKlimawandels geben wenig Grund zum Klima-Optimismus (5.). Ableiten lassen sich aus ih-nen – so die Schlussfolgerung des Beitrags –kaum tatsächliche positive Veränderungen derkulturellen, stofflich-materiellen und politischenBasis des Klimawandels.

1 | Politische Zuschreibungen

Das Gemeinschaftsgut Atmosphäre ist einerder Ausgangspunkte dafür, dass heute vomEntstehen einer Weltgesellschaft gesprochenwird. Aus der weltumspannenden Übernutzungder Atmosphäre werden gemeinsame Interes-sen an ihrem Schutz und eine globale Umwelt-politik abgeleitet. Die Forderung nach eineminternational abgestimmten Handeln der Staa-tengemeinschaft ist die Folge. Die Atmosphä-re als globales Gemeinschaftsgut zu deuten istallerdings keine objektive Erkenntnis, sonderneine wissenschaftliche und politische Zuschrei-bung und damit eine diskursive Konstruktion(Brunnengräber et al. 2008: 60ff, Halfmann2012: 133). Die globalen Klimamodelle etwades Intergovernmental Panel on Climate Change(IPCC) liefern insofern nicht nur Beratungs-wissen, sondern sind auch eine strategischeRessource für politische Entscheidungsträger.

Die globale Problemzuschreibung führte zurKlimarahmenkonvention, dem Kyoto-Protokollund den Maßnahmen, die allesamt im top down-Verfahren implementiert werden. Dazu zählenu.a. der Emissionshandel, der Clean Develop-ment Mechanism (CDM), die Klimaschutz-fonds wie der Adaptation Fund oder das Pro-gramm Reducing Emissions from Deforestati-on and Forest Degradation (REDD) (zur Ent-stehung des Kyoto-Regelwerkes vgl. Oberthür/Ott 2000). Auf Grund ihrer Komplexität sinddie Regelwerke kaum noch überschaubar. Da-her werden mittlerweile auch die Forderungennach weniger Komplexität und mehr dezentra-len Lösungen lauter (Keohane/Victor 2011).

Problematisch wird eine globale Problem-zuschreibung, wenn sie eine gleichgerichteteDefinition der zu bekämpfenden Probleme nahe

legt und bei deren Bearbeitung auf internatio-nale Lösungsansätze fokussiert. Sie lenkt dieAufmerksamkeit von konkreten nationalenHandlungsansätzen ab und ermöglicht die Ver-lagerung der Verantwortung auf die globaleEbene (two level game). Dies führt zu zeitli-chen Verzögerungen, weil internationale Ver-handlungen im Regelfall sehr mühsam und lang-sam geführt werden. In der internationalenKlimapolitik stieß der Ansatz globalen Um-weltmanagements (Görg/Brand 2002) jedochzunächst auf großen Zuspruch. Solange dasBemühen, im Konzert der internationalen Staa-tengemeinschaft zu einer Lösung zu kommen,nicht verhallte, dieses Bemühen zumindest derTendenz nach als erfolgreich angesehen wurdeund in einer breiten Öffentlichkeit auch aufAkzeptanz stieß, schienen die globale Problem-deutung und die internationale Politik intrin-sisch zusammen zu gehören.

Dass sich mit der globalen Problemdeutungaber nur eine der möglichen Deutungen durch-gesetzt hat, zeigt sich nun in Krisenzeiten. Diegesellschaftlichen Widersprüche, die in die in-ternationale Klimapolitik eingeschrieben sindund zu denen sozio-ökonomische Ungleichhei-ten, Luxus- und Armutsemissionen oder un-gleiche Chancen zur Anpassung gehören, wur-den im hegemonialen Diskurs verdeckt (Meth-mann 2011), aber brechen jetzt auf. 20 Jahrenach der Klimarahmenkonvention verschiebtsich scheinbar die Perspektive: Das Weltwirt-schaftsforum in Davos macht in seinem Risi-ko-Bericht 2012 eine Verlagerung von globa-len Umweltrisiken zu räumlich differenzierte-ren sozio-ökonomischen Gefahren aus – einenAuftrieb von Nationalismen, Populismus undAbschottung (WEF 2012: 10).

2 | Engführung des Problems

Der Klimawandel wird in der internationalenKlimapolitik nicht als zentrales Problem einesressourcenintensiven Kapitalismus gerahmt, derdurch die Verbrennung fossiler Energien ange-trieben wird. Insbesondere die input-Seite desFossilismus bleibt jenseits des Horizonts einer

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Politik, die mitigation zum zentralen Ansatz-punkt erklärt. Damit ist nicht alleine die Ver-meidung der Emissionen gemeint, sondern auchder Umgang mit ihnen und ihren Auswirkun-gen. Mitigation zielt etwa auf die Ablagerungder schädlichen Emissionen in der Erdkruste,die Auswirkungen der Treibhausgase auf Öko-systeme oder auf Wälder als Senken von CO2-Emissionen. Der Bezug auf die output-Seitemacht das Problem polit-ökonomisch erst durch-setz- und handhabbar. Den Maßnahmen, diean dieser Seite anpackten, konnte auch vonden starken staatlichen wie privatwirtschaftli-chen Akteuren zugestimmt werden, die eineBesteuerung der fossilen Energien oder Verbo-te strikt ablehnten, wenngleich freilich auchdieser Zustimmung politische Auseinanderset-zungen vorausgingen. Die Engführung desWissens ist also ein polit-ökonomischer Deu-tungsprozess im Rahmen von Aushandlungen,der dem Stand des Klimawissens keinesfallsentsprechen muss.

Eine output-Orientierung herrschte jedochnicht immer vor. Zu Beginn der klimapoliti-schen Debatte in den 1980er Jahren wurdengrundsätzliche gesellschaftliche Probleme desKlimawandels thematisiert. Dazu gehörten Fra-gen der Klimagerechtigkeit zwischen Nord undSüd, die weltweite Verteilung der Pro-Kopf-Emissionen, der Zusammenhang von Armut,Reichtum und Umweltzerstörung oder die Fra-ge der historischen Verantwortung für denKlimawandel und den Konsequenzen daraus.Diese Auseinandersetzung fanden ihr vorläufi-ges Ende, nachdem sich die Vertragsstaaten derKlimarahmenkonvention 1997 auf das Kyoto-Protokoll geeinigt hatten, das 2005 in Krafttrat, und Reduktionsziele und -wege für dieIndustrieländer festlegte. Seit diesem Zeitpunktwurde die Engführung zum Programm: DasKyoto-Protokoll aus Emissionshandel, Techno-logieförderung und Finanzinstrumenten orien-tierte sich dabei am gesellschaftlich hegemoni-alen Projekt des Neoliberalismus (Harvey

Die neue Klima-Geopolitik

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2005). Ökonomische Prozesse der Inwertset-zung der Natur, freier Warenhandel, Wachs-tum und Lebensstil- bzw. Konsumfragen wer-den nicht als Bestandteil der Krise interpre-tiert. Schließlich müsste, würde hierin die zen-trale Ursache der Krise gesehen, der Klima-wandel als Teil einer multiplen Krise der Ge-sellschaft und der kapitalistischen Produktions-weise angesehen werden (Demirovic et al.2011). Stattdessen finden Maßnahmen, die sichin das bestehende Wirtschaftsgefüge einpassen,eine größere Akzeptanz als solche, die das be-stehende fossilistische Energiesystem in Fragenstellen.

3 | Maßnahmen und ihre Wirkung

Die in der Klimapolitik vorherrschenden Maß-nahmen sind als das Ergebnis von interessen-geleiteten Verhandlungen, einem technischenSteuerungsoptimismus und einer polit-ökono-mischen Strategie zu begreifen. Die Mechanis-men sind dabei so ausgestaltet, dass die Bilanzder CO2-Buchführung auch dann stimmt, wenntatsächlich gar keine Reduktion von Emissio-nen erfolgt ist. Wenn zukünftig keine strenge-ren Minderungsverpflichtungen festgelegt wer-den, könnte das sogar zu der absurden Situati-on führen, dass die EU nicht verbrauchte(sprich gebunkerte) Emissionsrechte aus der1. Verpflichtungsperiode bis 2012 „mitnimmt“und bis 2020 kaum neue Reduktionsanstren-gungen unternehmen müsste.

An anderer Stelle aber sind die Schlupflö-cher, die das Kyoto-Protokoll politisch gewollt(!) eröffnet, mittlerweile nicht mehr großgenug, um den Anstieg der Emissionen zu ka-schieren. Zum Ausdruck kommt dies in derEntwicklung der CO2-Emissionen (1990-2009)in Ländern wie Österreich (+8,8%), Spanien(+31,5%), Portugal (+28,5) oder Kanada (+18,1)(prozentualer Anstieg ohne Veränderungen inLand- und Forstwirtschaft; vgl. UNFCCC2012). Diese realen Entwicklungen sind einGrund dafür, dass der vermeintliche Konsensder Staatengemeinschaft zur verbindlichenReduktion der Emissionen aufbricht. Hinzu

kommen die Schwierigkeiten und Konflikte beider Implementierung von Klimaschutzmaßnah-men in den Industrie- wie den Entwicklungs-ländern. Sie reichen von einem Zuviel an aus-gegebenen Emissionsrechten, dem Steuerbetrugdurch „geschickten“ internationalen Handel derZertifikate über den Diebstahl von Zertifika-ten bis zu sozialen Konflikten mit der Bevöl-kerung (etwa bei Vorhaben zur Abspeicherungvon CO2 unter der Erde, der sog. Carbon Cap-ture and Storage-Technologie, CCS).

Im Zuge dieser Entwicklungen sinkt dieAkzeptanz gegenüber den international imp-lementierten Klimaschutzmaßnahmen, wenn-gleich das öffentliche Bewusstsein darüber,dass gegenüber dem Klimawandel politischetwas unternommen werden muss, ungebro-chen groß ist (Weber 2008). Auch grundsätz-liche Debatten, ob die Reduktion der Emissi-onen überhaupt der richtige Ansatz ist, odernicht eher kontextspezifische und konflikt-sensitive Anpassungsmaßnahmen die sinnvol-lere Variante im Umgang mit dem Klimawan-del darstellen, weichen den Klimakompromissauf. In Deutschland werden strukturelle wieökonomische Anpassungsmaßnahmeninsbesondere in einem vom Bundesministeri-um für Finanzen angeregten Gutachten ge-genüber mitigation klar präferiert (BMF2010). Aber auch ein Fokus auf die Anpas-sung lässt die input-Seite des kapitalistischenEnergiesystems außen vor.

4 | Blindstellen und Konfliktlinien

Der zunehmende Verbrauch fossiler Energienist der Hauptgrund für das Anwachsen derschädlichen Emissionen. In Krisenzeiten, indenen das Wachstum schrumpft, kann es zwarauch Erfolgsmeldungen in Sachen Klimaschutzgeben (Ziesing 2010), diese sind aber nichtvon Dauer. Bisher ist es noch nicht gelungen,Wachstum und Emissionszunahme zu entkop-peln (Altvater 2008). Der rapide ansteigendeweltweite Energiebedarf um 1,8 Prozent jähr-lich und die Prognosen über die zukünftigeNachfrage nach fossilen Brennstoffen (eine

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Steigerung um bis zu 70 Prozent (!) bis zumJahr 2030) sind klimapolitisch mehr als alar-mierend. Bereits seit Jahrzehnten liegt der Anteilfossiler Energieträger an der Energiegewinnungweltweit bei über 80 Prozent, im Jahr 2030wird er nach den Prognosen der EuropäischenKommission sogar bei 88 Prozent liegen, wo-von der Ölanteil mit 34 Prozent nach wie voram größten sein wird. Aber auch die Nachfra-ge nach Gas und Kohle wird weiter steigen:Der Gasverbrauch vor allem für die Strom- undWärmeerzeugung wird weltweit um jährlich 2bis 3 Prozent und der Kohleverbrauch um 2bis 2,5 Prozent bis zum Jahr 2030 zunehmen.Demgegenüber prognostiziert die EU-Kommis-sion eine Erhöhung des Anteils erneuerbarerEnergieträger am Gesamtenergieverbrauch aufgerade mal 30 Prozent bis zum Jahr 2030 (Eu-ropean Commission 2011: 10). Diese Entwick-lungen werden bei den jährlichen Klimaverhand-lungen nicht thematisiert. Sie verdeutlichenaber, dass eine Trendwende in der auf fossilenEnergieträgern basierenden Energiewirtschafthin zu einer green economy erst noch – undzwar gegen machtvolle Interessen – angesto-ßen werden muss.

Die Entwicklungen und Trends deuten an,weshalb auf Grund von realen bzw. politischenund ökonomischen, also künstlichen Knapp-heiten mit erheblichen Konflikten unter Nati-onalstaaten gerechnet werden muss. Denn diebillige Versorgung mit fossilen Energien ist derSchmierstoff für die nationale Wettbewerbsfä-higkeit, die auf global umkämpften Märktenimmer wieder neu gesichert werden muss. Die-se strukturelle Blindstelle der Klimadiplomatiekann jedoch nicht erklären, warum der inter-nationale Konsens in den Klimaverhandlungenbrüchig wird. Andere hinsichtlich der Klima-politik zunächst „externe Effekte“ müssendafür berücksichtigt werden. Zu diesen zähltdas bereits erwähnte Erstarken der BRIC-Staa-ten Brasilien, Russland, Indien und China, daszu Verschiebungen der Weltordnung führt.Diese Staaten treten seit 2009 (Cancún) selbst-bewusster und fordernder auf als jemals zuvorin den internationalen Klimaverhandlungen.

Sicher ist dies auch einer der Gründe, weshalbin Durban der neue „grüne Klimafonds“ (GreenClimate Fund, GCF) als finanziell tragendeSäule des Klimaregimes beschlossen werdenkonnte. Er soll zu einem umfassenden Finanz-und Technologietransfer von den Industrie- indie Entwicklungsländer beitragen. 100 Mrd.Dollar sollen ab 2020 jährlich zur Verfügungstehen. Ob dafür etwa die Besteuerung desinternationalen Schiffs- und Flugverkehrs er-folgen soll, blieb in Durban unbeantwortet.Auch die Frage, ob das „Konto ohne Gutha-ben“ (Hermann E. Ott) überhaupt jemals auf-gefüllt wird, stellt sich mit einigem Recht.

Denn das beachtliche Wachstum in denBRIC-Staaten bringt neue Konkurrenten aufdem Weltmarkt hervor, deren gesteigerte Nach-frage nach fossilen Energieträgern ganz we-sentlich zu einem globalen Anstieg an Treib-hausgasen beiträgt. So verzeichnet im Jahr2010 Brasilien gegenüber dem Vorjahr einenEmissionsanstieg von 11,3 Prozent, Indien von9,1 Prozent und China von 10,4 Prozent (PWC2011: 6). Doch weder das Kyoto-Protokoll (dieSchwellenländer sind von Emissionsreduktio-nen freigestellt) noch die Finanztransfers vomNorden in den Süden tragen dieser zunehmen-den Mitschuld der Schwellenländer am Klima-wandel Rechnung. Die Industrieländer, allenvoran die USA, fordern deshalb die BRIC-Staa-ten auf, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leis-ten. Denn den Industrieländern drohen natio-nale Wettbewerbsnachteile und eine Infrage-stellung der ökonomischen Machtbasis, wennsie kostspielige Klimaschutzmaßnahmen ergrei-fen, ihre Konkurrenten jedoch davon ausge-nommen sind. Für die BRIC-Staaten hingegenwäre es ein erheblicher Wettbewerbsnachteil,wenn sie nicht – ebenso wie die Industrielän-der in ihrer Geschichte – in der Phase ihreswirtschaftlichen Aufstiegs auf billige, fossileEnergieträger zugreifen könnten.

Aber auch innerhalb der Gruppe der Indu-strieländer verändert sich die Klima-Geopoli-tik. Lange Jahre waren die USA mit ihrer ab-lehnenden Haltung gegenüber der internatio-nalen Klimapolitik isoliert. Der neue Elan, den

Die neue Klima-Geopolitik

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US-Präsident Obama und die Demokraten nachdem Regierungswechsel 2008/9 auch in dieKlimapolitik bringen wollten, kam dort zumErliegen, bevor er sich entfalten konnte. Neuist also nicht die Haltung der USA, die sicheher durch Kontinuität in der Blockadepolitikcharakterisieren lässt, sondern die Tatsache, dassdie USA nicht mehr alleine sind. Im Dezem-ber 2011 gab Kanada seinen Ausstieg aus demvölkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokollbekannt und auch Russland und Japan habenangekündigt, aussteigen zu wollen.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich,warum in Durban eine neue politische Strate-giedebatte unter den Verhandlungsdelegationenund Beobachtern entfacht ist und seither miteiniger Intensität über eine Klimadiplomatieder zwei Geschwindigkeiten nachgedacht wird.Dazu trägt auch bei, dass der bisherige Kon-sens unter der Staatengemeinschaft nur zu ei-nem anspruchslosen und aus klimawissenschaft-licher Sicht völlig unzureichenden Ergebnisführte. Als Reaktion auf die Zerfallserschei-nung der UN-Klimadiplomatie könnte eineausgewählte Gruppe aus EU und Schwellen-bzw. Entwicklungsländern (wie den Least-De-veloped-Countries, LDCs und den kleinen In-selstaaten, AOSIS), schon vorher Ernst machenund sich auf anspruchsvolle Klimaschutzmaß-nahmen verständigen. Substantielle Ergebnis-se wurden aber auch hierüber in Durban nichterzielt.

5 | (Kein) Grund zum Klimaoptimismus

Die Schwäche der internationalen Klimapoli-tik muss als Kristallisation der vorherrschen-den Machtkonstellationen und Kräfteverschie-bungen in der internationalen Politik angese-hen werden. In der neuen Klima-Geopolitikstehen die nationalen Interessen im Vorder-grund, ist die Bereitschaft zu Finanztransfersgering und stoßen internationale Regelwerkean ihre Grenzen. Oder aber die Regelwerkewerden zeitlich und von ihrem Maßnahmenka-talog derart ausgestaltet, dass die Normeinhal-tung polit-ökonomischen Interessen wie der

nationalen Wettbewerbsfähigkeit, dem Wachs-tumsparadigma und dem freien Welthandelnicht grundsätzlich entgegen wirkt. Die inter-nationale Klimapolitik vermochte es bishernicht, Klimaschutz als positiven Wirtschafsfak-tor darzustellen. Ihre Instrumente zielenlediglich darauf ab, die Emissionen durch einemöglichst kreative Buchführung auf dem Pa-pier zu begrenzen. Die Instrumente sind zudemkomplex, schwer zu implementieren und füh-ren teilweise zu erheblichen Konflikten. So wirdverständlich, warum es zu Deutungsverschie-bungen auf dem Konfliktfeld Klima kommt.

1) Klimawandel als globales Umweltproblemzu sehen, ist nicht mehr vorherrschend. Es wirddifferenzierter argumentiert, wobei nationaleund zunehmend subnationale Besonderheitengrößere Beachtung finden. Denn sowohl aufder Verursacher- als auch auf der Betroffenen-seite existieren diesbezüglich erhebliche Un-terschiede. Als zu grob erscheint die Zuschrei-bung, dass vor allem die Menschen in den rei-chen Industrieländern durch die Nutzung fos-siler Energieträger zum Treibhauseffekt bei-tragen und die Menschen in den Entwicklungs-ländern von Überschwemmungen, Stürmenoder Dürrekatastrophen besonders betroffensind.

2) Die Frage der Anpassung erfährt einendeutlich höheren Stellenwert. Das Themastand lange im Schatten der Auseinanderset-zung um verbindliche Ziele zur Emissionsre-duktion und die Gestaltung der dafürals erforderlich erachteten marktwirtschaftli-chen Instrumente. Heute ist Anpassung ausdiesem Schatten herausgetreten und wird alsbreites Konzept genutzt. Dazu gehören alleMaßnahmen, die dazu beitragen, negativeAuswirkungen des anthropogenen Klimawan-dels so zu reduzieren, dass die gesellschaftli-chen Lebensgrundlagen nicht gefährdet sind.Regional angepasste, baulich-infrastrukturel-le Maßnahmen wie etwa Staudämme (gegenTrockenheiten), Deiche (gegen Überflutun-gen), neue Brücken (die sturmsicher sind),Frühwarnsysteme (gegen einen Zunami) oder(bio)technologische Innovationen (etwa zur

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Entwicklung dürreresistenten Saatguts) kön-nen dann als Anpassungsmaßnahme verstan-den werden. Das macht Anpassung in derStrukturpolitik, der Entwicklungszusammen-arbeit oder der Energiepolitik so attraktiv.

3) Anpassung und Klimaschutz können pro-blemlos als zentrale Bestandteile einer umfas-senden green economy gedeutet werden. ZumSchwerpunkt wird das Konzept einer greeneconomy bei der Rio plus 20-Konferenz 2012.Der Entwurf des Abschlussdokuments nimmtkeine Globalperspektive ein wie noch im Nach-haltigkeitsdiskurs bei der UNCED-Konferenz1992. Stattdessen betont er nationale Vorteiledurch eine Transformation in Richtung erneu-erbare Energien bei gleichzeitiger Revitalisie-rung der krisengeschüttelten nationalen Öko-nomien (UNCSD 2012). Auf nationalstaatli-cher Ebene sollen neue Arbeitsplätze geschaf-fen, wirtschaftliches Wachstum generiert oderein neues dynamisches Anlagefeld für Finanz-kapital eröffnet werden, wenn nur die Wei-chen in Richtung einer nachhaltigen Ökono-mie gestellt werden. Die Idee, Klimapolitik mitdem Markt zu versöhnen, erscheint so char-mant und faszinierend, dass sie breite Reso-nanz erfährt (UNEP 2011).

Ist also Klimaoptimismus angesagt oderbefinden wir uns gar bereits in der great trans-formation? Es bleibt doch eine gewisse Skep-sis, ob die Versöhnung von Ökologie undWachstum grundsätzlich gelingen kann. DieVerbrauchstrends (fossiler Energien) und Emis-sionstrends (schädlicher Treibhausgase) spre-chen dagegen. Allerdings verlagern sich imklimapolitischen Diskurs die Schauplätze: Dieinternationale (output-orientierte) Klimapolitikverliert ihre Anziehungskraft. Die Überlegun-gen zu einer green economy hingegen ziehenstaatliche wie privatwirtschaftliche Akteuremagisch an. Sie verheißen die ökologisch-nach-haltige Harmonisierung von Wachstum, fossi-lem Energieverbrauch sowie von Produktions-und Konsumweise.

Doch die Schwäche der internationalenKlimapolitik geht nicht mit einer Schwächeder machtvollen Interessengruppen aus der

Kohle-, Gas- und Erdölindustrie einher (Rest2011). Ordnungspolitische bzw. vermeintlichwirtschaftsschädigende Maßnahmen sollenauch in der green economy verhindert, Markt-gängigkeit, Effizienz und ökologische Moder-nisierung dafür gewährleistet werden. Die staat-lichen Entscheidungen unterstützten diese Zie-le, neue Betätigungsfelder für die Wirtschaftzu eröffnen, müssen doch die Stabilisierungs-pakte und die Eurorettung und damit die staat-lichen Schuldenberge irgendwie finanziert wer-den. Besondere Zeiten also für die Klimapoli-tik. Es ist jedoch fraglich, ob sich mit denDeutungsverschiebungen zugleich auch kultu-relle, stofflich-materielle und politische Verän-derungen einstellen werden, die auf eine CO2-Reduktion hinführen. Es sieht derzeit nichtdanach aus.

Achim Brunnengräber, geboren 1963, istPrivatdozent an der Freien Universität Berlinsowie Vertretungsprofessor an der TechnischenUniversität Dresden, Lehrstuhl für Internatio-nale Politik und Zentrum für InternationaleStudien (ZIS). Seine Schwerpunkte liegen inden Bereichen Internationale Politische Öko-nomie, Global Governance sowie Umwelt-,Klima-, Energie- und Entwicklungspolitik. Kon-takt: [email protected].

Anmerkung1 Für hilfreiche Kommentare zu diesem Text

danke ich Philip Bedall.

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Die neue Klima-Geopolitik

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Achim Brunnengräber

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Strategische Deutungen des KlimawandelsFrames und ihre Sponsoren

Inga Schlichting/Andreas Schmidt

1 | Einleitung

Klimawandel und Klimapolitik sind mit weit-reichenden gesellschaftlichen Fragen verbun-den. Sie betreffen unseren Lebensstil, die öko-nomische Prosperität oder die Verantwortunggegenüber zukünftigen Generationen. Deshalbhat die Klimawandelproblematik mittlerweileeinen festen Platz auf der Agenda vieler Ge-sellschaftsakteure: Zivilgesellschaftliche Orga-nisationen wie Greenpeace treten für mehrKlimaschutz ein. Unternehmen und Wirtschafts-verbände sind bemüht, günstige Geschäftsbe-dingungen aufrechtzuerhalten. Politische Ak-teure schließlich bilden Allianzen, um bestimm-te Klimapolitiken durchzusetzen.

Begleitet werden diese Aktivitäten oft voneiner intensive Öffentlichkeitsarbeit, mit derdie Akteure versuchen, die gesellschaftlicheSichtweise auf das Thema zu beeinflussen, umso Unterstützung und Legitimität für ihr En-gagement zu gewinnen (vgl. Koopmans/Statham 1999: 375). Diese Kommunikations-arbeit kann man als strategisches Framing ver-

stehen. Dabei geht es darum, ein Thema inte-ressengeleitet und zielgerichtet auf eine bestim-me Art zu rahmen und bestimmte Problemas-pekte in den Vordergrund zu zurücken (vgl.Benford/Snow 2000: 624). Ziel des strategi-schen Framings ist „to promote a particularproblem definition, causal interpretation, mo-ral evaluation, and/or treatment recommenda-tion“ (Entman 1993: 52). Ob ein Frame beieiner Zielgruppe verfängt, hängt vor allemdavon ab, ob er an bestehende Deutungsmus-ter dieser Gruppe anschließt und kompatibelmit ihren Werthaltungen ist (vgl. Nisbet 2009a:4).

Im Folgenden möchten wir auf der Basiseiner Literaturübersicht die zentralen strategi-schen Frames der klimapolitischen Debatte mitihren jeweiligen Trägern bzw. „Sponsoren“(Gamson/Wolfsfeld 1993: 119) herausarbeiten– ohne dabei einen Anspruch auf Vollständig-keit erheben zu können. Dem Literaturstandfolgend konzentrieren wir uns auf westlicheIndustrieländer, denn für das Framing vonAkteuren aus China, Russland oder dem glo-

und internationalen Politik. Wiesbaden: VS,11-15.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat derBundesregierung Globale Umweltveränderun-gen 2011: Welt im Wandel. Gesellschaftsver-trag für eine Große Transformation. Berlin.

Weber, Melanie 2008: Alltagsbilder desKlimawandels. Zum Klimabewusstsein inDeutschland. Wiesbaden: VS.

WEF – World Economic Forum 2012: Glo-bal Risks 2012. Seventh Edition. An Initiative

of the Risk Response Network. Herausgege-ben vom World Economic Forum in Zusam-menarbeit mit Marsh & McLennan, Schwei-zer Re, Wharton Center for Risk Management,Universität Pennsylvania, Zurich Financial Ser-vices. www3.weforum.org/docs/WEF_GlobalRisks_Report_2012.pdf [31.1.2012].

Ziesing, Hans-Joachim 2010: Wirtschafts-krise beschert Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen. In: Energiewirtschaftliche Tages-fragen, Jg. 60, Heft 9, 76-87.

Themenschwerpunkt

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balen Süden liegen bisher kaum Studien vor.Im abschließenden Fazit diskutieren wir dieResonanz, die die Frames in verschiedenenLändern und Zeitperioden erhalten haben, undspekulieren über mögliche Gründe für Unter-schiede und Veränderungen.

2 | Frames über den Klimawandel

Vier zentrale Frames lassen sich seit Ende der1980er Jahre in der klimapolitischen Debatteunterscheiden (Tabelle 1).

2.1 | „Scientific Uncertainty“-Frame

Vertreter der Mineralöl- und Automobilindus-trie sowie konservative Politiker und politischengagierte Wissenschaftler forcierten Anfangund Mitte der 1990er Jahre vor allem in denUSA den Frame der „Scientific Uncertainty“(Oreskes 2007: 78; Nisbet 2009b: 53). ImZentrum dieses Frames steht der Zweifel, dassCO2-Emissionen einen Einfluss auf den Klima-wandel haben. Ein solcher Einfluss lasse sichdurch die Forschung nicht hinreichend bele-gen, weshalb jegliche politische Regulierungindustrieller CO2-Emissionen verantwortungs-los sei und die Wirtschaft ungerechtfertigtbelasten würde (z.B. McCright/Dunlap 2000;Newell 2000).

Die These, wissenschaftliche Belege füreine anthropogene Erderwärmung seienschwach oder sogar falsch, dominierte dieÖffentlichkeitsarbeit industrienaher, konser-vativer US Think Tanks in den Jahren von1990 bis 1997. „There is no scientific con-sensus that global warming is a problem orthat humans are its causes (…) Billions ofdollars of research funds have still failed toestablish that global warming is a signifi-cant problem“ (McCright/Dunlap 2000:511). Die Klimaforschung an sich wird dabeiwiederholt als „Junk-Science“, also „Pseudo-Wissenschaft“ verurteilt. So beschuldigen dieAkteure etwa das Intergovernmental Panelon Climate Change (IPCC), Forschungser-gebnisse bewusst gefälscht zu haben. Weni-ger verbreitet, aber dennoch wiederkehrend

ist die Behauptung, der Klimawandel hättepositive Folgen, falls er tatsächlich eintretensollte. So wären etwa positive Konsequen-zen für die Landwirtschaft zu erwarten, fürdie Gesundheit und die allgemeine Lebens-qualität.

Hinter dem „Uncertainty“-Framing standeine breite Allianz von Lobbying-Gruppen, al-len voran die Global Climate Coalition(GCC), einem US-Verband, der sich 1989 als„most prominent voice of industry, both inthe United States and internationally“ (Levy2005: 81) gegründet hatte, um die Interessenetwa der Mineralöl- und Automobilindustriein der Klimadebatte zu vertreten. Auch eini-ge europäische Unternehmen wie BP oder Shellschlossen sich zunächst der GCC an. Zur Ver-breitung des „Uncertainty“-Frames unterstütz-ten die GCC und ihre Verbündeten gezieltdie Publikationsarbeit von Forschern, derenStudien den anthropogenen Klimawandel inFrage stellten (vgl. Leggett 2001; Gelbspan1997: 33). Gleichzeitige förderten sie Sach-verständige, die als Experten vor Ausschüs-sen des US Parlaments vorsprachen (Mc-Cright/Dunlap 2003). Und auch die Bush-Administration zählte zu den Anhängern die-ser Problemdarstellung: „(...) no one can saywith any certainty what constitutes a dange-rous level of warming, and therefore whatlevel must be avoided“ (White House 2001,zitiert in Fletcher 2009: 804f.). ÄhnlicheMuster findet Pearse (2007: 142ff.) für dieliberale Howard-Administration in Australien(1996-2007).

In Europa waren systematische Zweifel amKlimawandel weniger verbreitet. Jedoch be-trieben auch hier vereinzelte Lobbying-Grup-pen wie das European Science and Environ-ment Forum (ESEF) Öffentlichkeitsarbeit, umZweifel am Klimawandel zu schüren. Auchsie kritisierten vor allem die führenden Kli-maforscher: „The IPCC undermines its scien-tific integrity by condoning over-simplifiedsummaries of extremely complex studies thatcan be easily misinterpreted“ (Gelbspan 1997:60).

Inga Schlichting/Andreas Schmidt

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Strategische Deutungen des Klimawandels

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Heute spielt dieser Frame eine unterge-ordnete Rolle, hat aber weiterhin Bestand(Rahmstorf/Schellnhuber 2006: 85). NeuenAuftrieb bekam der „Uncertainty“-Frame mitder sogenannten „Climategate“-Affäre“. Ak-tivisten veröffentlichten kurz vor der Klima-konferenz von Kopenhagen 2009 anonym dieEmailkorrespondenz von Klimaforschern derUniversity of East Anglia in Großbritannien,in der sich die Wissenschaftler u.a. über Me-thoden der Datenauswertung austauschten.Aussagen zu „tricks“ bei der Datenanalysewurden in der Folge von klimaskeptischenBloggern als Belege angeführt, der Klimawan-del sei ein Betrug bzw. Produkt einer Ver-schwörung (Nerlich 2010: 422; Krauss in die-sem Heft).

2.2 | „Global Economis“-Frame

Mit der Aufnahme der Kyoto-Verhandlungenverschob sich die Argumentation von Regu-lierungsgegnern auf die Betrachtung des Kli-mawandels als einem Problem, das nicht nurvon Industriestaaten, sondern unter Beteili-gung aller Akteure gelöst werden müsse. DenKlimawandel erkennen die Verfechter diesesFrames, den wir hier „Global Economics“ nen-nen, in der Regel als Problem an, jedoch be-tonen sie seinen allumfassenden Charakter:Praktisch jeder trage (gleichermaßen) Verant-wortung, weswegen eine Lösung nur durchdie Kooperation einer Vielzahl von Akteurenerreicht werden könne. Dies betreffe einerseitsdie nationale Politik, wo es auf eine freiwilli-ge Beteiligung von Industrie, aber auch vonPrivathaushalten und Kommunen ankomme(vgl. Carvalho 2005: 15). Andererseits gingedas Thema auch alle Akteure der internatio-nalen Ebene gleichermaßen an. Was zähle,seien die globalen Emissionen und nicht dieder einzelnen Länder (vgl. Hovden/Lindseth2004: 69).

Finn Kristensen, Anfang der 1990er Jahrenorwegischer Energieminister, etwa betonte:„We cannot be occupied with national book-keeping to a degree that we do not do our

utmost to achieve the best possible internati-onal effect“ (Hovden/Lindseth 2004: 69).Ähnlich argumentiert mit Blick auf das Kyo-to-Protokoll auch das australische Umweltmi-nisterium: „(Even) if Australia was to closedown completely – turning off every school,hospital, car, truck – a rapidly expandingChina would replicate those greenhouse gassavings in just 11 months“ (Stevenson 2008:11).

Aus dieser Problemsicht folgerten Regie-rungen wie die australische unter Howard oderdie britische unter Thatcher, jeder, der zu demProblem beitrage, müsse sich auch an seinerLösung beteiligen – auch Entwicklungsländer:„No one can opt out“ (Thatcher zitiert inCarvalho 2005: 6). Internationale Abkommen,die nicht alle großen Volkswirtschaften einbe-ziehen, oder unilaterale Maßnahmen lehnen dieVerfechter dieses Frames ab – sie würden nurzu einer Verlagerung von Emissionen führen.

Diese Sichtweise betonen auch Vertreter derIndustrie: Chrysler-Chef Eaton etwa gab 1997in einem Zeitungsinterview für die Washing-ton Post zu bedenken: „We’re moving towarda solution involving a massive transfer of Ame-rican wealth that won’t do a thing to keep thepolar ice caps from melting, but would severe-ly undermine this country’s international com-petitiveness“ (Levy 2005: 83).

Anstelle staatlicher Regulierung oder in-ternationaler Abkommen wie dem Kyoto-Pro-tokoll fordern die Verfechter des „Global Eco-nomics“-Frames effiziente, marktbasierte Kli-maschutzmaßnahmen. Besonders praktikabelseien freiwillige Reduktionsziele der Indus-trie sowie internationale Projekte des Tech-nologietransfers oder des Regenwaldschut-zes (vgl. Hovden/Lindseth 2004: 66; Ste-venson 2008: 11). Solche internationalenProjekte seien „practical, immediate measu-res“, mit denen Industrieländer ihrer Verant-wortung gerecht würden und sich gleichzei-tig ein „dramatic damage“ von der heimi-schen Wirtschaft abwenden ließe, so Howard(Kurz et al. 2010: 611). Zudem wird unterdem Dach des „Global Economics“-Frames

Inga Schlichting/Andreas Schmidt

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argumentiert, Projekte, die nationale Emis-sionen steigern, könnten international gese-hen dem Klima nützen. Vertreter aus Nor-wegen sind etwa überzeugt: „since Norwe-gian petroleum products are internationallyrelatively clean, Norwegian oil and gas pro-duction is good climate policy international-ly“ (Hovden/Lindseth 2004: 74).

Der „Global Economics“-Frame findet sichin erster Linie bei politischen und wirtschaftli-chen Akteuren aus Industrieländern, zum Teilschon seit Ende der 1980er Jahre. Gerade inLändern mit starker fossiler Brennstoffwirt-schaft wie Australien und Norwegen scheintder Frame von Bedeutung zu sein (vgl. Bulke-ley 2000: 740; Lindseth 2006). Auf internatio-naler Ebene wiederum hat sich in den letztenJahren bei einem zentralen Prinzip der Klima-rahmenkonvention, nämlich der „common butdifferentiated responsibility“, die Betonungverschoben und dem „Global Economics“-Fra-me angenähert: Statt der differenzierten stehtjetzt die gemeinsame Verantwortung der In-dustrie- und Entwicklungsländer im Vorder-grund. Viele Industrieländer machen entspre-chend eigene Verpflichtungen von gleichwerti-gen Zugeständnissen anderer Staaten, auchsolchen des Südens, abhängig (vgl. Gupta 2010:649). Zudem können Industriestaaten seit derVerabschiedung des Kyoto-Protokolls mit demclean development mechanism und weiterenflexible instruments ihren Verpflichtungendurch grüne Projekte in Entwicklungsländerngerecht werden (vgl. Pattberg 2010: 280).Schließlich steht die von den USA, Australien,Korea, China und Indien 2005 gegründete Asia-Pacific Partnership on Clean Development andClimate unter der Leitidee des „Global Eco-nomics“-Frames. Ziel der Initiative ist es „todevelop, demonstrate and implement cleanerand lower emission technologies that allow forthe continued economic use of fossil fuels whileaddressing air pollution and greenhouse gasemissions“ (Stevenson 2008: 12). Insofernscheint die strategische Einflussnahme mittelsdieser Problemdeutung durchaus Resonanz zuzeigen.

2.3 | „Ecological Modernization“-Frame

Abkommen zur Reduktion von Treibhausga-sen versprechen für bestimmte Wirtschaftsbran-chen auch Wachstum. Die Regulierungsdebat-te hat aus diesem Grund auch den Grundsteinfür eine neue Auffassung des Klimawandelsals Chance für eine „Ecological Modernizati-on“ der Wirtschaft gelegt. Dieser Frame fußtauf ökonomischen Analysen wie denen vonNicholas Stern (2007), die die Auswirkungendes Klimawandels für die Gesellschaft moneta-risieren und den deutlich geringeren Kostenvon Klimapolitik gegenüberstellen. Vor diesemHintergrund wird technologischer Fortschrittals Schlüssel zur Eindämmung des Klimawan-dels dargestellt – gleichzeitig schaffe dieser aberauch Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze.Der Frame ist damit ökonomisch und auchsozial anschlussfähig, weshalb er sowohl unterpolitischen als auch industriellen und zivilge-sellschaftlichen Akteuren Anhänger gefundenhat.

Die britische Premierministerin MargretThatcher war eine der ersten, die den Klima-wandel aus dieser Perspektive thematisierte.Bereits 1988 warnte sie, die Menschheit hätte„unwittingly begun a massive experiment withthe system of the planet itself“ und die Risi-ken dieses Experiments ließen sich nur durchCO2-arme Technologien abwenden (Carvalho2005: 4f). Carvalho interpretiert die Initiativeals einen Versuch Thatchers, sich gegen diepolitische Konkurrenz der Liberalen zu wapp-nen. Zudem sei sie auch mit Blick auf That-chers energiepolitischen Ziele zum Ausbau dernationalen Atomkraft opportun gewesen. Ähn-lich deuten Weingart und Kollegen (2002: 49ff)die Warnung des Arbeitskreises Energie derDeutschen Physikalischen Gesellschaft 1986vor der „drohenden Klimakatastrophe“ als Ver-such, den Ausbau der deutschen Kernenergievoranzutreiben.

Seine größte Verbreitung fand der „Ecolo-gial Modernization“ – Frame jedoch mit demKyoto-Protokoll 1997. Tony Blair etwa, der mitder Labor Partei 1997 das Amt des Britischen

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Premierministers übernahm, griff den Klima-wandel als Wirtschaftsmotor für Großbritan-nien auf und verkündete im selben Jahr in demArtikel „Facing up to a climate of change“,den er für The Times verfasste: „There is mo-ney to be made and there are jobs to be crea-ted“ (Carvalho 2005: 14f). Die Auffassung vomkapitalistischen Markt als Instrument zur Re-duktion von Treibhausgasen spielte dabei einezentrale Rolle. Und so führte Großbritannien2002 auch als erstes Land ein nationales Emis-sionshandelssystem ein (vgl. Schreurs/Tiberghi-en 2007: 35).

Die europäische Industrie eignete sichebenfalls früh den „Modernization“-Frame an.Sie versuchte sich als Anführer und aktiver

Gestalter dieses Prozesses zu positionieren(Kolk/Levy 2001; Sullivan et al. 2008). FürIndustrien, die wegen ihrer Klimaschädlich-keit unter öffentlichen Druck geraten waren,stellte der Frame zudem eine Möglichkeit dar,gesellschaftliche Legitimation zurückzugewin-nen, indem sie die Übernahme von Verant-wortung sowie das aktive Herausführen ausder Gefahrensituation in den Fokus rückten.So verkündete Browne als neuer Chef von BP1997 erstmals „we are thinking of corporateresponsibility“ (Le Menestrel/de Bettignies2002: 258). Shell Vorstand Watts betonte, dieMineralölindustrie habe „the privilege of beingpart of the solution“ (Skjaerseth/Skodvin2001: 49).

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Mitte der 2000er Jahre gewinnt der Mo-dernization-Tenor schließlich auch in den USAan Bedeutung, der heute weltweit die Indu-striekommunikation dominiert (vgl. z.B. Sulli-van et al. 2008; Ihlen 2009; Smerecnik/Rene-gar 2010). Den Prozess der ökologischen Er-neuerung porträtieren die Unternehmen dabeials Chance: „Increasingly, climate change isframed as an opportunity rather than a bur-den“ (Jones/Levy 2007: 428), wobei diesezumeist interpretiert wird als „first mover ad-vantage (...) earning profits because of a cor-porate pionieering role that (...) sets the com-pany apart from its competitors“ (Ihlen 2009:256).

Auch einige christliche, gewerkschaftlicheund Umweltorganisationen bedienen den „Eco-logical Modernization“-Frame: Greenpeaceetwa ruft zu einer Energierevolution auf, WWFmöchte einen verantwortlichen Kapitalismusentwickeln und die kanadische Energie- undPapiergewerkschaft fordert eine sozial verträg-liche Transformation von fossiler auf regene-rative Energiegewinnung (vgl. Doyle 2009: 112;Daub 2010: 124). Dabei werden in erster Li-nie politische Akteure adressiert, die die For-derungen durch politische Intervention umse-tzen sollen.

Tatsächlich fasst die politische Führung vie-ler Industrienationen den Klimawandel heuteals Chance für Erneuerung und Wachstum auf:2005 etwa stellt in den USA der demokrati-sche Abgeordnete Inslee den New ApolloEnergy Project Act zur Einführung eines Emis-sionshandelsystems und zur Förderung emissi-onsarmer Kohlekraftwerke vor „to address jobs,national security and climate change“ (Fletcher2009: 809). Barack Obama schließlich rücktdie Green Economy in den Fokus seines Präsi-dentschaftswahlkampfs 2008 (Waugh 2011:83f).

2.4 | „Climate Justice“-Frame

Eine Gruppe von Akteuren aus den Reihenvon Umwelt-, Entwicklungs-, Menschenrechts-und globalisierungskritischen Organisationen

erörtert den Klimawandel primär aus der Ge-rechtigkeitsperspektive. Den ökonomisch ori-entierten Frames setzen sie moralische Argu-mente entgegen.

Dieses „Climate Justice“-Framing fokussiertauf klimawandel- und klimapolitikbezogeneVerteilungsfragen und bewertet diese norma-tiv. Ausgangspunkt ist die Charakterisierungdes Klimasystems als ein globales, natürlichesAllmendegut, das alle Menschen als „Senke“für Treibhausgasemissionen nutzen. Die Ver-fechter dieses Frames begründen damit einenkooperativen Rahmen, der – so die (meist im-plizite) Argumentation – Gerechtigkeit alsVerteilungsmaßstab relevant macht (vgl.Dolšak 2009: 554; Shue 1992). Gerechtig-keit wird dabei oft als Gleichheit verstanden:„the atmosphere is a common resource towhich (…) no individual person has a stron-ger claim than any other“ (Kamminga 2008:675).

Eine Reihe von Aspekten des Klimawan-dels gelten vor diesem Hintergrund als un-gerecht. Im Zentrum steht das Auseinan-derfallen von Ursachenverantwortung fürund Betroffenheit vom Klimawandel zwi-schen Industrie- und Entwicklungsländerneinerseits und zwischen den Generationenandererseits (vgl. Pettit 2004: 102; Walker2009: 370ff). Zudem wenden sie den Be-griff auf weitere Zusammenhänge an, z.B.auf ethnische Diskriminierungen in Bezugauf ökologische Risiken durch Industriean-lagen oder die ungleiche Verletzbarkeit derGeschlechter (vgl. Dawson 2010: 327; Scha-latek 2011: 148ff). Aber auch die bestehen-de Klimapolitik greifen die Akteure als un-gerecht an. Rising Tide, ein NGO-Netzwerkfür Klimagerechtigkeit, etwa kritisierte imJahr 2000 das Kyoto -Protokol l a l s„promot(ing) the self-interest of corporati-ons and industr ia l i zed nat ions andmarginalis(ing) issues of global equity andthe environment“ (Roberts/Parks 2009: 394).Das Netzwerk Never Trust a COP bemän-gelte während des Klimagipfels in Kopenha-gen 2009, „that the market-based solutions

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proposed (...) rest upon the very same capi-talist logic that caused the problems in thefirst place“ (Askanius/Uldam 2012: 2). Man-che Organisationen schließlich kritisieren dieVerfahren der Klimapolitik z.B. hinsichtlichder Partizipationsmöglichkeiten von Akteu-ren aus Entwicklungsländern als unfair (vgl.Okereke 2010: 465; Schalatek 2011: 151f).

Vielfach diskutieren die Kritiker diese Un-gerechtigkeiten in einem größeren Zusam-menhang von Ungleichgewichten zwischendem globalen Norden und Süden sowie all-gemein zwischen privilegierten und benach-teiligten sozialen Gruppen (vgl. Pettit 2004:104; Okereke 2010: 466). Die Ursachen dafürlägen primär in der kapitalistischen Verwer-tungslogik und vermachteten Gesellschafts-strukturen: „Climate change is the symptom,Capitalism is the crisis“(Askanius/Uldam2012: 2). Hierfür machen sie insbesondereinternationale Institutionen wie die Weltbankverantwortlich, aber auch große Konzerneund westliche Regierungen stehen in derKritik. Die Kampagne Greenhouse Gangs-ters vs. Climate Justice der US-amerikani-schen NGO CorpWatch etwa adressierte1999 die Ölindustrie als „one of the majorculprits behind global warming“ (Dawson2010: 327).

Folglich lehnen die Akteure rein techno-logische Lösungen als ein „greenwashing“ desneoliberalen Weltwirtschaftssystems ab (As-kanius/Uldam 2012: 30f). Nötig seien viel-mehr grundlegende Veränderungen der Wirt-schaftsweise, des Lebensstils und sozialer Or-ganisationsstrukturen, inklusive demokrati-scher Kontrolle über die (Energie-) Indus-trie (vgl. Dawson 2010: 328; Schlembach2011). Konkreter sind die Forderungen hin-sichtlich spezifischer Verteilungsfragen: Fürdie zukünftige Aufteilung von Emissionsrech-ten fordern die Aktivisten Gleichheit unddie Anerkennung der ökologischen Grenzen,womit sowohl der intra- als auch der inter-generationellen Gerechtigkeit Genüge getanwürde. Der australische Zweig von Friendsof the Earth beispielsweise tritt für das Kon-

zept des environmental space ein „whichcan be defined as the amount of (…) resour-ces that each person can use without cau-sing irreversible damage to the Earth“ (Star2005: 7f). Die Kosten für klimawandelbe-dingte Schäden und notwendige Anpassungs-maßnahmen in Entwicklungs ländernwiederum sollten mit Blick auf die „ecologi-cal debt“ der Industrieländer von diesen über-nommen werden – dies fordert u.a. der Zu-sammenschluss von EntwicklungsländernG77 + China (Roberts/Parks 2009: 393).

Hinter diesem Frame steht die sogenannteKlimagerechtigkeitsbewegung, die sich auskleineren, basisnahen und gegenüber der Po-litik oppositionell bis konfrontativ auftreten-den Umwelt- und globalisierungskritischenGruppen zusammensetzt. Vor allem auf inter-nationaler Ebene hat ihre Bedeutung gegenü-ber anderen Strömungen der zivilgesellschaft-lichen Klimabewegung offenbar zugenommen(vgl. Pettit 2004: 105; Rest 2011). Nebendieser Bewegung folgen auch politische Ak-teure aus Entwicklungs- und Schwellenländerndiesem Interpretationsschema (vgl. Kasa et al.2008: 115f.). Und schließlich tragen eineReihe von think tanks und wissenschaftlichenEinrichtungen mit der Entwicklung von Kon-zepten wie dem environmental space, derecological citizenship oder der greenhousedevelopment rights zur Verbreitung des Ge-rechtigkeitsframes bei (vgl. Roberts/Parks2009: 394, 398).

Jedoch haben die Lösungsvorschläge derKlimagerechtigkeitsbewegung bisher kaumEingang in die offizielle politische Debattegefunden – wenn auch das generelle Anlie-gen nach Gerechtigkeit von einiger Bedeu-tung ist und sich z.B. in verschiedenen Ver-tragstexten der internationalen Klimapolitikniedergeschlagen hat (vgl. Ringius et al. 2002:11f; Moellendorf 2009: 248ff).

3 | Fazit

Wir haben vier zentrale Frames herausgear-beitet, die Akteure aus verschiedenen Gesell-

Inga Schlichting/Andreas Schmidt

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schaftsbereichen und Länder zur Vertretungihrer klimapolitischen Interessen nutzen. DieResonanz und Legitimität der verschiedenenFrames hat sich in dem von uns betrachtetenZeitraum ab Ende der 1980er Jahre deutlichverschoben und variiert zudem zwischen ver-schiedenen Ländern. Die Stärke der Deutungs-koalition und die kulturelle Anschlussfähig-keit scheinen dabei eine zentrale Rolle zuspielen:

Um den „Uncertainty“ Frame zu verbrei-ten, setzte die US-Industrie stark auf Verbin-dungen zu Wissenschaftlern, die Zweifel amKlimawandel mit ihren Studien untermauerten.Dieser Frame fand zunächst unter Politikernund in der allgemeinen Bevölkerung einigenAnklang – vermutlich auch, weil das Deutungs-muster der wissenschaftlichen Unsicherheitbereits für andere Themen etabliert und be-kannt war. Mit zunehmendem wissenschaftli-chem Konsens verlor der Frame jedoch an

Glaubwürdigkeit (vgl. Weingart et al. 2000:268; Levy 2005: 91).

Wirtschaftsnahe Kräfte verlagerten ihreKommunikation deshalb mit den Kyoto-Ver-handlungen auf den „Global Economics“-Frame, dem sich auch eine Reihe politi-scher Akteure der westlichen Welt ange-schlossen haben. Dieser Deutungskoaliti-on aus Privatwirtschaft und Politik ist esscheinbar am meisten gelungen, gesell-schaftliche Legitimation für ihre Positio-nen zu erreichen. Ein wichtiger Grund hier-führ ist sicherlich, dass der Frame an zen-trale Werte westlicher Gesellschaften an-knüpft – allen voran Individualismus, dergerade in den USA groß geschrieben wird(vgl. Waugh 2011: 89ff).

Der „Ecological Modernization“-Frameschließt ebenfalls an diese Werte an, findetaber seit den 2000er Jahren vor allem in Eur-opa Unterstützung – möglicherweise weil in

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diesem Zusammehang auch staatliche Regu-lierung ein Rolle spielt, die in korporatisti-schen und sozialdemokratischen Systemen stär-ker akzeptiert wird als etwa in den USA(Esping-Andersen 2003). Neben Privatwirt-schaft und Politik umfasst die breite Koaliti-on hinter dem „Ecological Modernization“-Frame auch wissenschaftliche Akteure undTeile der Umweltbewegung – die in einigenLändern Europas deutlich stärker als in denUSA und durch grüne Parteien auch direktim politischen System vertreten ist (Rucht1999).

Der „Climate Justice“-Frame schließlichwird von der schwächsten Koalition getragen;sie besteht in erster Linie aus peripheren po-litischen Kräften wie kleineren NGOs und po-litischen Akteuren aus Entwicklungsländern.Aufgrund seiner radikalen Problemdiagnoseund Lösungsvorschläge scheint er im main-stream der westlichen Welt weniger anschluss-fähig zu sein. Möglicherweise ändert sich diesjedoch im Zuge der globalen Finanz- und Wirt-schaftskrise: Kapitalismus- und globalisierungs-kritische Bewegungen gewinnen derzeit offen-bar Unterstützer und erhalten für ihre Positi-onen weit über die üblichen Kreise hinausLegitimität. So könnte auch der „ClimateJustice“-Frame zukünftig größeren Widerhallfinden.

Inga Schlichting arbeitet als Kommunikati-onswissenschaftlerin am KlimaCampus derUniversität Hamburg. Kontakt: [email protected].

Andreas Schmidt arbeitet als Soziologe amKlimaCampus der Universität Hamburg. Kon-takt: [email protected].

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„Ein Problem und eine Lösung auf die Agenda setzen“Interview mit Michael Hopf, Greenpeace

FJNSB: Wie wichtig ist Greenpeace das The-ma Klimawandel?Michael Hopf: Für Greenpeace ist es das wich-tigste Thema. Die Organisation fokussiert ihreKampagnen meistens auf die Ursachen für Kli-mawandel: Energie, Verkehr, Urwaldzerstö-rung. Nur mit Veränderungen in diesen Berei-chen kann man das Klima schützen. Gleichzei-tig verfolgt Greenpeace auch die internationa-le und nationale Klimapolitik. Zudem beschäf-tigen wir uns mit den Auswirkungen des Kli-mawandels, beispielsweise auf die Arktis.

FJNSB: Was sind Ihre Hauptbotschaften undwichtigsten Adressaten zu diesem Thema?Michael Hopf: Die Botschaften und Adressa-ten hängen immer von den aktuellen Themenund ihrer Dynamik ab. Generell sind es immerdiejenigen, die dafür verantwortlich sind, dasses bei der Verringerung des CO2-Ausstoßes, beider Energiewende oder in der Energie- undKlimapolitik nicht vorangeht. Auch andereAkteure aus den betroffenen Branchen sindAdressaten, im Grunde alle Akteure des jewei-ligen Politikfeldes. Einer NGO wie unserer,die auf Information und Aufklärung setzt, istes zudem wichtig, dass viele Menschen dasEngagement mitbekommen. Sie sollten wahr-nehmen, dass Greenpeace ein Problem und eineLösung auf die Agenda setzen will, und diese

Absicht möglichst teilen und unterstützen.Dafür sind auch die Medien als Adressatenwichtig. Wenn diese mit ihren professionellenFiltern die Relevanz eines Themas bestätigen,indem sie es aufgreifen, ist das ein wichtigesSignal. Für viele Bezugsgruppen sind allerdingsdie Mechanismen und Filter des social webinzwischen wichtiger geworden.

FJNSB: Welche Instrumente der Kommunika-tion setzen Sie dabei ein?Michael Hopf: Greenpeace setzt alle Instru-mente der Kommunikation ein, jeweils in derpassenden Kombination. Eine einzelne Kam-pagne vermittelt daher keinen vollständigenEindruck. Wir haben in den vergangenenMonaten unter anderem aufgedeckt, dass Au-tohersteller versuchen, die Einführung niedri-gerer CO2-Grenzwerte für Autos in der EU zuverhindern. VW sticht dabei als größter euro-päischer Autobauer besonders hervor, stellt sichzugleich aber als umweltfreundlich dar. Green-peace hat dies in einer Kampagne mit verschie-denen Mitteln angeprangert. In einem Reportwurden die Beweise für das wahre Gesicht vonVW mit den üblichen Mitteln der Pressearbeitveröffentlicht. Gleichzeitig startete eine Inter-net-Kampagne, die das Star Wars-Motiv eineserfolgreichen VW-Spots aufgreift und weiter-dreht: Greenpeace produzierte einen Viralspot,

Themenschwerpunkt

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der im Internet erfolgreich lief und bis jetzt460.000 Mitmacher veranlasste, sich auf unse-rer Homepage zu engagieren (www.vwdarkside.com/de). In manchen EU-Ländern plakatier-ten Aktivisten Motive aus dem Viralspot, an-dere traten öffentlich mit Star Wars-Kostümenauf, besuchten VW-Filialen und produziertendavon weitere Filme und Fotos für das Inter-net. Die Verzahnung von offline- und online-Protest ist Greenpeace sehr wichtig. Inzwischengab es Aktionen am VW-Werk in Wolfsburg.Viele ehrenamtliche Gruppen informieren anStänden über die Kampagne.Im Juli gingen Greenpeace-Aktivisten gegendie geplante Ausbeutung der Ölreserven in derArktis vor. Sie kletterten auf eine Plattformund verlangten, den Notfallplan einzusehen.Die Kommunikation zur Aktion betonte auchdie Gefahren für das Klima durch die weitereAusbeutung von Öl. Zudem wurde erklärt, dassder weiterhin hohe Verbrauch von Fahrzeug-flotten wie der von VW den Bedarf nach mehrÖl erzeugt. Mit klassischer Pressearbeit wur-den die Proteste in der Arktis bekannt gemacht.Im Internet wurde die Geschichte mit weite-ren Mitteln und Geschichten verbreitet. Eini-ge Geschichten lassen sich im Internet nochMonate später erzählen – wie die vom Hilfs-koch an Bord des Greenpeace-Schiffes, der sicherst nach der Tour als Bassist von The Clashentpuppte.Diese Kampagnen beziehen sich auf die CO2-Verminderungen in der EU und deren Positionfür die Weltklimaverhandlungen. Zudem be-teiligt sich Greenpeace in Deutschland an derDebatte zur Energiewende, liefert Expertisezu Ölunfällen oder zu Elektroautos, nimmt zurWeltklimakonferenz COP Stellung und vielesmehr.

FJNSB: (Inwiefern) Spielen die COPs als in-ternationale Events dabei eine herausgehobe-ne Rolle?Michael Hopf: COPs spielen für Greenpeacevor allem dadurch eine herausgehobene Rolle,dass bei diesen Großereignissen der internatio-nalen Politik viel auf dem Spiel steht. Wir

machen keine Kampagnen zu COPs, aber einegrößere, international besetzte Greenpeace-Gruppe beobachtet immer den Verlauf der Ver-handlungen. Sie kommentiert und informiertDelegationen anderer Länder, die zu wenigeLeute vor Ort haben, um alle Foren zu verfol-gen, und arbeitet mit anderen NGOs zusam-men. Aktivisten präsentieren Probleme und Lö-sungen in symbolischen Bildern, die für dieMedien oft interessant sind. Redaktionen wei-sen wir rechtzeitig darauf hin, wer vor Ortden Verlauf der Konferenz beurteilen kann. DieGreenpeace-Experten sind als Gesprächspart-ner vor und während der Klimagipfel sehr ge-fragt.

FJNSB: Was sehen Sie als Aufgabe der Medi-en in diesem Bereich – und werden die Medi-en dieser Aufgabe gerecht?Michael Hopf: Die sogenannten Qualitätsme-dien decken Klimawandel vor allem in Printund online oft sehr gut ab, kenntnisreich undmit guten Analysen. Viele stellen Dossiers be-reit. Da das Internet die meisten Informatio-nen vorrätig hält und diese den meisten zu-gänglich sind, gibt es für fast jeden Interes-sierten die Chance, sich gut zu informieren.Ich würde mir von den Medien darüber hinauswünschen, dass sie Einzelereignisse öfter ineinen größeren Zusammenhang stellen. Bei Be-richten über VW reichen heute nicht mehr dieQuartalszahlen, die Innovationen oder die Be-urteilung der unternehmerischen Leistung.Auch die Rolle von Unternehmen, ihre Verant-wortung und die Richtung ihrer Einflussnah-me sollten stärker ins Blickfeld gerückt wer-den. Und wenn sich Umwelt- und Wirtschafts-minister über Maßnahmen zur Energiewendestreiten, gehört es zwar auch dazu, über denZustand der Koalition zu spekulieren. Aber essollte vor allem klar werden, worum es in derSubstanz geht und welche Folgen eine Entschei-dung in die eine oder andere Richtung hätte.

FJNSB: Wo sehen Sie Stärken und Schwächender Kampagnenarbeit von Greenpeace zum Kli-mathema?

Interview mit Michael Hopf, Greenpeace

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Michael Hopf: Zu unseren Stärken zählt ge-nerell, dass viele Menschen bereit sind, sichaktiv einzusetzen. Zudem sind wir internatio-nal aufgestellt und können mehrere Strängedes Klimathemas verfolgen. Wir können mitunseren Schiffen aus schwer erreichbaren Re-gionen berichten, die sonst unbeachtet blie-ben. Wir waren in der Lage, die Chancen desWebs zu nutzen und bieten für MitmacherGelegenheiten, sich an Kampagnen zu beteili-gen. Mit unserer Expertise sind wir in der Lage,gut analysieren und urteilen zu können. Esgelingt uns häufig, Kompliziertes einfach dar-zustellen. Wir stehen nicht unter dem Zwang,erst umfassende Pläne zu erarbeiten, sondernkönnen sehr zügig und improvisiert handeln.Wichtig ist auch unsere finanzielle Unabhän-gigkeit, die uns in Deutschland 570.000 För-derer bieten, sie stärkt unsere Glaubwürdig-keit. Das alles ergibt eine Reputation, mit derwir gut arbeiten können.Zu den Schwächen zählt, dass unsere Arbeitalle Probleme spiegelt, die das Klimathema mitsich bringt. Die Abhängigkeit von der Wissen-schaft, die Unsicherheit über die Folgen desKlimawandels, die Menge und Dichte der In-formationen können schnell überfordern, wennman Zusammenhänge erklärt. Die Zerstörungindonesischer Urwälder für Palmöl-Plantagenoder andere Geschichten aus dem Auslandhaben als internationale Themen für Medienmeist keine große Relevanz. Die Forschungliefert zwar ein differenziertes Bild zu den In-teressen der Leser an Themen aus dem Aus-land, aber das ändert nichts an der generellenLinie. Zudem ist das wesentliche Thema Ener-gieversorgung eine in weiten Teilen technischeDebatte, die nur schwer auf Interesse stößt.Wir versuchen, die Relevanz dieser Themenimmer neu zu zeigen. Letztlich sind auch diebegrenzten Ressourcen eine Schwäche.

FJNSB: Wen sehen Sie als Kontrahenten beiIhrer Arbeit? Was sind deren Stärken undSchwächen?Michael Hopf: Spätestens die Klimakonferenzin Kopenhagen hat gezeigt, dass wesentliche

Teile der Industrie sich einer Lösung in denWeg stellen, besonders Autohersteller und En-ergiekonzerne. Daher sind für uns derzeit RWE,Vattenfall und VW die Kontrahenten.Diese verfügen über wesentlich mehr Ressour-cen als wir und erheblichen Einfluss. Die Wirt-schaft verfügt ohnehin über ein gewisses Er-pressungspotential, da sie Arbeitsplätze bie-tet und notwendige Waren erzeugt. Allerdingswerden Energie- und Ölkonzerne mit ihrenGeschäftsmodellen in der Öffentlichkeit wohlniemals Bestwerte in Sachen Sympathie errei-chen. Und nun kommt noch der derzeitigeTrend hinzu, dass Menschen immer wenigerVertrauen in Unternehmen haben. Dafür müs-sen sie Lösungen finden. Oft ist es ein Pro-blem, dass die Unternehmensführung einensehr verengten Blick auf die Rolle ihres Un-ternehmens hat. Sie nimmt oft nicht die Ver-antwortung für die Auswirkungen ihres Kern-geschäfts wahr. Mit der Größe des Unterneh-mens steigen auch die Unübersichtlichkeitund die Zahl der Geschäftspartner, die eini-ge Risiken für die Reputation des Unterneh-mens mit sich bringen können. Dabei unter-laufen auch Fehler. Sehr viel hängt davon ab,wie offen die Chefetage ist für Probleme, dieim eigenen Verantwortungsbereich entstehenkönnen. Und ob sie diese rechtzeitig erkenntund löst oder eben erst nachträglich und un-ter Druck.

FJNSB: Was glauben Sie: Wird Greenpeace denKampf um die Köpfe in Sachen Klima gewin-nen?Michael Hopf: Greenpeace ist nicht der einzi-ge Akteur, der überzeugen will. Es gibt auchnicht mehr viel zu gewinnen, denn in vielenKöpfen sind die Probleme des Klimawandelsschon angekommen. Das Umweltbewusstseinist in Deutschland hoch. Aber Wissen alleineführt nicht zum Handeln. Es gibt zu wenigeGelegenheiten und Anreize, daran muss sichetwas ändern. Daher bietet Greenpeace Aktio-nen zum Mitmachen an. Das Internet hat vie-le neue Möglichkeiten eröffnet. So können wirnun Filmwettbewerbe organisieren, in denen

„Greenpeace will ein Problem und eine Lösung auf die Agenda setzen“

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Filmemacher Spots zur Blockade des Klima-schutzes durch VW einreichen. Es gibt weitereBeispiele: Die Stadtwerke Lübeck haben Bür-gern angeboten, sich finanziell an der Energie-wende zu beteiligen und erhofften sich zweiMillionen Euro. Tatsächlich kamen bis Novem-ber sieben Millionen Euro zusammen, von 760

Bürgern. Das zeigt, wenn es Gelegenheiten zumHandeln gibt, werden sie ergriffen.

Michael Hopf ist der Chef vom Dienst derPressestelle von Greenpeace Deutschland. Kon-takt: [email protected]. Das Inter-view führte Mike S. Schäfer.

„Unser Ziel ist mehr Sachlichkeit“Interview mit Joachim Löchte, RWE AG

FJNSB: Wie wichtig ist RWE das Thema Kli-mawandel?Joachim Löchte: Der Klimawandel und diedaraus abgeleiteten politischen Ziele sind fürRWE von hoher Bedeutung. Sie bilden wichti-ge Eckpfeiler für unser Geschäft. Unsere Un-ternehmensstrategie spiegelt das wider: RWEwird nachhaltiger, internationaler, robuster.Unser Erzeugungsportfolio im Jahr 2025 sollzu je einem Drittel aus Gas, sauberer Kohleund erneuerbaren Energien bestehen. Sehr wich-tig sind uns auch unsere internationalen Kli-maschutzprojekte in Entwicklungsländern oderanderen Industriestaaten. Auch sie sind elemen-tarer Bestandteil unserer Klimaschutzstrategie.Denn Emissionen machen nun einmal nichtvor Ländergrenzen halt.

FJNSB: Was sind Ihre Hauptbotschaften undwichtigsten Adressaten zu diesem Thema?Joachim Löchte: Wir ergreifen alle Möglich-keiten, um CO2-Emissionen kosteneffizient undversorgungssicher zu reduzieren. Bis 2050wollen wir die Stromversorgung CO2-neutralgestalten. Dies stellt uns vor enorme Heraus-forderungen. Wir investieren Milliarden inEffizienz und erneuerbare Energien, um weni-ger CO2 je erzeugte Megawattstunde Strom

auszustoßen und die Sicherheit und Wirtschaft-lichkeit der Stromversorgung zu gewährleisten.Unser Ziel ist es, die Stromerzeugung aus fos-silen Quellen effizienter und emissionsärmerzu machen: Bis 2015 wollen wir alle unsereneuen Gas- und Kohlekraftwerke mit einerGesamtkapazität von über 12.400 Megawattin Betrieb genommen haben. Außerdem bau-en wir die erneuerbaren Energien massiv aus.Bis Ende 2014 sollen Anlagen mit einer Kapa-zität von insgesamt 4.500 Megawatt in Bauoder Betrieb sein. Bis 2015 investieren wir indem Bereich deshalb rund 5 Mrd.Grundsätzlich geht es uns um konsistenteKommunikation mit allen Stakeholdern – aberden Dialog mit unseren Stakeholdern führenwir in den Regionen unter sehr unterschiedli-chen Voraussetzungen. Es gibt unterschiedli-che Interessenlagen, unterschiedliche gesetzli-che Rahmenbedingungen und Markterforder-nisse. Doch überall, wo wir aktiv sind, gilt alszentrale Prämisse, dass wir die Bürger, die vonunseren Vorhaben betroffen sind, frühzeitig inunsere Planungen einbeziehen. Unser Stakehol-derdialog findet im Wesentlichen auf zweiEbenen statt: Auf nationaler und europäischerEbene sind Politik, Gesetzgeber, Analysten undInvestoren sowie international agierende Nicht-

Themenschwerpunkt

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regierungsorganisationen (NGOs) unsere we-sentlichen Ansprechpartner. Die Kommunen,Anwohner und Kunden zählen zu den regiona-len Stakeholdern. Wichtig sind uns auch dieMitarbeiter.

FJNSB: Welche Instrumente der Kommunika-tion setzen Sie dabei ein? Joachim Löchte: Klimawandel ist kein Themafür eine einzelne Kampagne. Es zieht sich durchunsere gesamte Kommunikation hindurch.Bestes Beispiel ist unsere Kampagne zum The-ma intelligente Energie. Im Moment läuftunser neuer Spot im Fernsehen, in dem wirversuchen, deutlich zu machen, dass intelligen-

te Energieversorgung und entsprechende Nut-zung wirksam zu einer Entlastung des Klimasbeitragen können. Ähnliche Beispiele sind einePrintkampagne zu RWE Smartline Strom, ei-nem effizienten Stromangebot, oder unsere En-ergieeffizienzberatung, über die man sich imInternet unter energiewelt.de informieren kann.

FJNSB: (Inwiefern) Spielen die Weltklimakon-ferenzen (COPs) als internationale Events dabeieine herausgehobene Rolle?Joachim Löchte: Keine – wir sind keine COP-Akteure. Wir beobachten die Konferenzen abernatürlich und bewerten die möglichen Konse-quenzen für unser Unternehmen.

„Unser Ziel ist mehr Sachlichkeit“

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FJNSB: Was sehen Sie als Aufgabe der Medi-en in diesem Bereich – und werden die Medi-en dieser Aufgabe gerecht?Joachim Löchte: Teils, teils. Seriös recherchie-rende Journalisten, die sachgerecht und ausge-wogen über Klimawandel und -forschung in-formieren, erfüllen ihre Aufgabe gut. Anderearbeiten eher holzschnittartig: Sie spiegeln fastschon so etwas wie ein Feindbild ,Energiever-sorger‘ wider. Die Vorschläge des IPCC, auchandere Verursacher des Treibhausgases CO2 undandere Sektoren wie z.B. die Landwirtschaftmit einzubeziehen, werden von einigen Medi-en komplett ignoriert.FJNSB: Wie verläuft die Koordination der Kom-munikation zwischen den unterschiedlichen na-tionalen ‚Filialen‘ von RWE?Joachim Löchte: Wir richten uns hier auchnach den unterschiedlichen Stakeholdern aus.Die Kollegen aus dem Bereich Public Affairs /Energiepolitik z.B. haben ein Büro in Brüsselund Berlin. Beide fungieren als Schnittstellefür die deutschen bzw. europäischen, politi-schen Themen.Auch die Pressestelle der RWE AG ist engvernetzt mit den Pressestellen der verschiede-nen RWE-Gesellschaften in Deutschland undim Ausland. Sie führen wöchentliche Telefon-konferenzen durch und tauschen sich auch bi-lateral häufig aus. Ähnlich ist es bei den Kolle-gen im Bereich Corporate Social Responsibili-ty für NGO’s. In den Niederlanden, UK undDeutschland haben wir eigene Unternehmens-bereiche dazu.

FJNSB: Wo sehen Sie selbst Stärken undSchwächen der Kampagnenarbeit von RWEzum Klimathema?Joachim Löchte: Wie gesagt: Klimawandel istkein Kampagnenthema. Dennoch muss ich sa-

gen, dass unsere Themen sicher komplexer sindals z.B. bei Konsumgüterherstellern. Es ist si-cher nicht einfach für Außenstehende, denBezug zwischen Energieeffizienz und Klima-schutz zu sehen. Dass mehr Energieeffizienzweniger Stromverbrauch und somit wenigerCO2 und damit mehr Klimaschutz bedeutet,ist für manchen nicht auf den ersten Blick er-kennbar.

FJNSB: Wen sehen Sie als Kontrahenten beiIhrer Kommunikation? Was sind deren Stär-ken und Schwächen?Joachim Löchte: Kommunikation ist keinKrieg, sondern ein Ringen um öffentlicheWahrnehmung. Die Stärke von NGOs ist invielen Fällen die Deutungshoheit. NGOs undJournalisten tragen aber keine wirtschaftlicheVerantwortung für Investitionen. Das machtes manchmal schwierig, mit finanziellen oderwirtschaftlichen Argumenten zu ihnen und indie Öffentlichkeit durchzudringen.

FJNSB: Was glauben Sie: Wird RWE denKampf um die Köpfe in Sachen Klima gewin-nen?Joachim Löchte: Unser Ziel ist mehr Sach-lichkeit. Wenn das, was wir machen, gewür-digt wird, haben wir schon einen wichtigenSchritt erreicht. Daran arbeiten wir unentwegt.Unter anderem mit unseren Produkten wieintelligenten Netzen, hocheffizienten Gas- undKohlekraftwerken und den erneuerbaren En-ergien. Diese Produkte werden sich langfristigdurchsetzen.

Joachim Löchte leitet den Bereich CorporateResponsibility/Umweltschutz bei der RWE AGin Essen. Kontakt: [email protected].– Das Interview führte Mike S. Schäfer.

Interview mit Joachim Löchte, Leiter Corporate Responsibility/Umweltschutz bei der RWE AG

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Kommunikation als SchutzschildZur Strategie des Weltklimarats IPCC

Silke Beck1

Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel onClimate Change – IPCC)2 wurde 1988 vonder Weltorganisation für Meteorologie (WMO)in Kooperation mit dem Umweltprogramm derVereinten Nationen (UNEP) ins Leben geru-fen. Seine Aufgabe ist es, den Stand der For-schung zum Treibhauseffekt, zu dessen beob-achteten und projizierten Auswirkungen sowiezu den politischen Reaktionsmöglichkeiten(Anpassungs- und Minderungsoptionen) umfas-send, objektiv, offen und transparent zusam-menzutragen und zu bewerten.

Die Kommunikation mit der breiteren Öf-fentlichkeit stellte für den Weltklimarat jedochlange Zeit kein Thema dar. Dies änderte sichEnde 2009 schlagartig. Im Umfeld der 15.Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkon-vention entfachte eine Kontroverse um dieVeröffentlichung von E-Mails, die vom Serverder University of East Anglia (UK) illegal ent-wendet wurden („Climategate“). Es handelt sichdabei auch um die Korrespondenz von For-schern, die – wie Phil Jones – führende IPCC-Autoren sind. Es folgten die Entdeckung vonFehlern in den jüngsten IPCC-Berichten von2007 („Gletschergate“).3 Thematisiert werdenin Folge nicht nur einzelne Fehler wie der be-rühmte Zahlendreher, sondern auch Problemeder Qualitätssicherung und die Verlässlichkeitvon Peer-Review-Verfahren. Gleichzeitig rückenauch bestimmte exklusive und autoritäre For-men der Governance des Panels und bestimm-ter Forschergruppen ins Blickfeld.

1 | „Pachauri-Gates“

Kritik und Angriffe auf den Rat stellen keineNeuheit dar, sondern haben seine Entwicklung

von Anfang an begleitet. In dem Maße, indem der IPCC politisch an Gewicht und Ein-fluss gewann, rückte er auch in den Mittel-punkt der politischen und öffentlichen Auf-merksamkeit (Beck 2009). Als er 2007 – zu-sammen mit dem ehemaligen amerikanischenVize-Präsidenten Al Gore – mit dem Friedens-nobelpreis ausgezeichnet wurde, stand er end-gültig im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Dassdie Angriffe seit Anfang der 1990er Jahre nichtzu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Klima-forschung geführt haben, ist maßgeblich aufdie Anstrengungen des Weltklimarats zurück-zuführen, neue Herausforderungen – wie demRuf nach mehr politischer Relevanz – einzuge-hen und eine entsprechende organisatorischeLösung zu finden. Im Hinblick auf die Ereig-nisse von 2010 stellt sich jedoch die Frage, obdie spontane Reaktion von Seiten des IPCC-Establishments und die vom IPCC eingeleite-ten Reformstrategien hinreichen, um die Glaub-würdigkeit des Rates aufrechtzuerhalten: AlsZweifel am Zeitpunkt der klimawandelbeding-ten Gletscherschmelze – die bereits für 2035anstatt korrekterweise für 2350 prognostiziertwurde – auftraten und in den Medien themati-siert wurden, tat der IPCC-Vorsitzende Pach-auri diese mit dem Hinweis ab, die entspre-chende indische Studie sei nicht begutachtetgewesen und es handele sich von daher um„Voodoo-Wissenschaft“.4 Mit mehr als einemMonat Verspätung und unter Druck gab derRat schließlich zu, dass in diesem Falle eineinziger und gleichzeitig zu vernachlässigen-der Fehler durch das System gerutscht, aberinzwischen korrigiert worden sei. Auch in an-deren Fällen hat Pachauri Kritik einfach beiseitegewischt. Als erste Rücktrittsforderungen laut

Themenschwerpunkt

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wurden, erklärte sich Pachauri zur „unsinkba-ren Molly Brown“ – eine Anspielung auf dieamerikanische Frauenrechtsaktivistin Margaret(„Molly“) Tobin Brown, die als Überlebendedes Untergangs der Titanic berühmt wurde.Auch er werde nicht sinken, sagte Pachauri,sondern im Gegenteil noch „viel höher“ stei-gen. Diese Reaktion zeigt die Selbstgefällig-keit und Ignoranz des IPCC-Vorsitzenden. Pach-auri gibt sich frei von Selbstzweifeln und Selbst-kritik: „[B]ased on the performance that weshow to the whole world and the leadershipthat I provide to the IPCC, these opinions bya few motivated individuals will be washedaway“ (Bagla 2010).

Schuld an der Misere sind in seinen Augenentweder die Skeptiker, die von der Industriealimentiert würden, die unausgeglichene Dar-stellung und „Verschwörung“ in den Medien

sowie die fehlende Bildung auf Seiten der Be-völkerung. Seine Verteidigungsstrategie ist es,die Überbringer unbequemer Nachrichten zudiskreditieren, anstatt sich inhaltlich mit denKritikpunkten – wie beispielsweise dem Zah-lendreher – auseinanderzusetzen. Vertreter desIPCC versuchen den Nachweis anzutreten, dasseinzelne, wissenschaftlich zweitrangige Forscherim Verbund mit den Medien Fehler des IPCCskandalisieren und die Öffentlichkeit damitungerechtfertigt alarmieren (Rahmstorf 2010).Die Versuche, ausschließlich außerhalb der ei-genen Reihen Sündenböcke zu suchen, führenzu einer Überhitzung der Diskussion. Dieseschlägt sich darin nieder, dass die Diskussio-nen als Austragungsort für den Kampfsportzwischen Klimaforschern dienen, bei der dieMedien und die Öffentlichkeit die Kampfrich-ter darstellen (Schneider 2009).

Silke Beck

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Im Juni 2010, also wenige Monate nach-dem die Fehler wie der Zahlendreher weltweitdurch die Medien gegangen waren, schrieb derVorsitzende Pachauri eine E-Mail an Autoreneiner seiner drei Arbeitsgruppen. In dieser E-Mail riet er ihnen, sich von den Medien fernzu halten.5 Diese Aussage kann sowohl als einePhobie vor den Medien als auch als ein Maul-korb verstanden werden. Die Autoren, an diedie E-Mail adressiert war, dürften nicht imNamen der Institution sprechen, sondern soll-ten Anfragen an eine dafür autorisierte Stelleweiterleiten.6 In einer zweiten Mail entschul-digte sich Pachauri für Missverständnisse, diemöglicherweise aus dieser Mail hervorgegan-gen seien. Er betonte, dass die Art und Weise,in welcher der Rat mit der Öffentlichkeit kom-muniziert, ein lebenswichtiges Thema sei undder IPCC eine transparente und offene Orga-nisation darstelle.

2 | Der Reformprozess

Die IPCC-Governance-Struktur und die Verfah-rensregeln wurden in der Folge mehreren Be-gutachtungen unterzogen. Im August 2010veröffentlichte der InterAcademy Council(IAC), die internationale Dachorganisation derWissenschaftsakademien, ein Gutachten überdie Prozesse und Verfahren des IPCC.7 Trotzeinzelner Kritikpunkte, so eine der zentralenSchlussfolgerungen, böten die Grundaussagendes vierten Sachstandberichts weiterhin einerobuste Basis für die internationale Klimapoli-tik. Allerdings identifizierte der IAC die Kom-munikation als eine der zentralen Schwächendes IPCC und empfahl die Entwicklung einerumfassenden Kommunikationsstrategie, dieTransparenz sowie schnelle und professionelleöffentliche Reaktionen gewährleisten solle. Siesolle auch festlegen, wer im Namen des IPCCsprechen dürfe (IAC 2010a: 65-69).

Ob die IAC-Vorschläge umgesetzt werden,entscheidet der Klimarat selbst. Dies hat erauf der 32. und 33. Vollversammlung im Ok-tober 2010 und Mai 2011 verhandelt. Im Mai2011 verabschiedete der IPCC die Grundzüge

seiner Kommunikationsstrategie. Er definiertedie Regierungen und politischen Entscheidungs-träger unter dem Dach der UNFCCC als seineprimäre Zielgruppe, wohingegen die VereintenNationen, IPCC-Beobachterorganisationen, diewissenschaftliche Gemeinschaft, Nichtregie-rungsorganisationen, die Wirtschaft und diebreitere Öffentlichkeit eine nachgeordnete Rollezugewiesen bekommen (IPCC 2011). Auf sei-ner 34. Vollversammlung im November 2011(IPCC-XXXIV/Doc. 20) wurde zur Enttäu-schung vieler Beteiligter zudem festgehalten, dassselbst nach über einem Jahr Reformdiskussiondie Kommunikationsstrategie noch unvollstän-dig sei und ein kritisches Defizit in der Umset-zung der IAC-Empfehlungen darstelle.8

Die bis dato vorgelegte Kommunikations-strategie beruht auf dem sogenannten Defizit-modell der Wissenschaftskommunikation undversucht, anstehende Probleme durch mehr undbessere Information und ihre effektivere Kom-munikation zu lösen (Bowman et al. 2010;Lloyd 2011; Risbey 2008). Folgende Grundzü-ge prägen diese Strategie:• Kommunikation dient der Verbreitung der

zuvor produzierten wissenschaftlichen Er-gebnisse. Auf diese Weise wird die Wissen-schaft der Politik und Öffentlichkeit vor-und übergeordnet und die Distanz zwischenbeiden bleibt gewahrt. Entsprechend sindauch nur Einflussmöglichkeiten der Wis-senschaft auf die Politik, nicht aber dieumgekehrte Einflussnahme vorgesehen.

• Die Kommunikationsstrategie dient dazu,die öffentliche Rezeption der IPCC-Befun-de zu kontrollieren, die exklusive Deutungs-hoheit des Rates über ihre Interpretationzu sichern und auf diese Weise seine privi-legierte Rolle als alleiniger Hüter der Wahr-heit aufrechtzuerhalten.

• Die Strategie sieht keine genuine wechsel-seitige oder interaktive Kommunikationzwischen der IPCC-Führung und den Adres-saten vor. Diese werden zu ungebildetenund passiven Ressourcen degradiert. Da-mit verbunden wird ihr Informationsbedarfausgeblendet.

Kommunikation als Schutzschild

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Die Grenzen dieser Strategie treten bereitszutage. Obwohl der Rat den wissenschaftlicheindeutigen Nachweis erbracht hat, dass derKlimawandel vom Menschen verursacht ist,führte dies bislang nicht zu politischem Han-deln und öffentlichem Vertrauen in Experten,was viele Wissenschaftler in zunehmendemMaße enttäuscht. Um öffentliche Aufmerksam-keit zu erhalten, riskieren sie es, den Klima-wandel immer mehr zu dramatisieren und da-mit nicht nur ihre wissenschaftliche Glaubwür-digkeit zu unterminieren, sondern auch Ermü-dungserscheinungen zu provozieren (Kerr2009).

3 | Vertrauen durch mehr oder wenigerTransparenz?

Es ist eine empirisch offene Frage, ob die ein-geschlagene Kommunikationsstrategie desIPCC ausreichen wird, öffentliches Vertrauenzu schaffen. Es ist anzunehmen, dass mehrInformation das Problem des fehlenden Ver-trauens nicht lösen wird, wenn dieses nichtdurch einen Mangel an Information verursachtwird. Nicht die wissenschaftliche Qualität derBerichte, sondern die Performanz der IPCC-Repräsentanten, hat schließlich den Verlust desVertrauens in den Rat ausgelöst. Dieser stehtdamit nicht nur vor der Herausforderung, In-formationen sachlich zu vermitteln, sondernmuss auch nachweisen, dass und warum dieseglaubwürdig sind (Jasanoff 2010).

Ähnlich argumentiert auch der IAC: Mitder öffentlichen Aufmerksamkeit, so eine sei-ner Schlussfolgerungen, wandelten sich auchdie Rahmenbedingungen und das Umfeld desIPCC. Die Diskussion werde nun nicht mehrnur in wissenschaftlichen Kreisen, sondern auchin der medial vermittelten „globalen“ Öffent-lichkeit ausgetragen und münde in einen Kampfum die öffentliche Wahrnehmung. Deshalbmüssen die Aussagen des Weltklimarats – sodas IAC-Gutachten – nicht ausschließlich derBegutachtung durch die Wissenschaft, sondernzunehmend auch durch die Öffentlichkeit stand-halten. Dieser Wandel wird durch neue Medi-

en, insbesondere durch das Entstehen einerglobalen Blogosphäre, gefördert (vgl. auch Piel-ke in diesem Heft). Dadurch, dass der IPCC –wie IAC-Vorsitzende Shapiro folgert – unterdem „öffentlichen Mikroskop“ operiert, wer-den Transparenz und Rechenschaftspflichtig-keit (Accountability) zu einer wachsenden „Ver-pflichtung“ (Shapiro 2010). Auch unabhängi-ge Wissenschaftler aus der Blogosphäre, diemittlerweile oft in die Rolle von – öffentlichhöchst glaubwürdigen – „Wachhunden“ schlüp-fen, fordern mehr Öffentlichkeit und Transpa-renz in der Klimaforschung und Politikbera-tung (Hulme und Ravetz 2009).

Der IPCC geht mit der Forderung nachmehr öffentlicher Transparenz und Zugäng-lichkeit in besonderer Weise um: Er konzent-riert sich auf Fragen der internen Qualitäts-kontrolle und versucht, entsprechende Verfah-ren gegenüber denjenigen Wissenschaftlernund Regierungen transparenter zu gestalten,die bereits in unterschiedlicher Form an sei-ner Arbeit beteiligt sind. Er zögert hingegen,Fragen der Öffnung gegenüber den Medienund der Öffentlichkeit aufzugreifen und be-handelt sie als Fragen der effizienten Kom-munikation. In der laufenden Diskussion neigtdie IPCC-Führung dazu, Transparenz undöffentliche Zugänglichkeit als Risiko für dieöffentliche Glaubwürdigkeit zu betrachtenund in die Defensive zu gehen. Wenn bestimm-te Züge wie interne Kontroversen oder Unsi-cherheiten nach außen hin thematisch wer-den, dann habe das zwangsläufig einen Auto-ritätsverlust zur Folge. Zahlreiche empirischeStudien hingegen zeigen, dass Transparenzund Zugänglichkeit nicht nur die Resonanz-und Anschlussfähigkeit, sondern auch dieGlaubwürdigkeit und Robustheit des IPCCsteigern könnten (Jasanoff 2010). Der Vor-wurf, dass eine kleine Elite von politischmotivierten wissenschaftlichen Überzeugungs-tätern permanent hinter verschlossenen Tü-ren wissenschaftliche Verfahren korrumpiere,Daten manipuliere und auf diese Weise Poli-tik und Öffentlichkeit „betrüge,“ um Alarmzu schlagen, kann nur dann ausgeräumt wer-

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den, wenn der Rat seine Türen nicht schließt,sondern öffnet. Dadurch, dass außerwissen-schaftliche Akteure Zugang zu den Entschei-dungs- und Begutachtungsverfahren erhalten,werden sie auch in die Lage versetzt, dieGlaubwürdigkeit der IPCC-Befunde selbst ein-zuschätzen (Beck 2009).

Die Zukunft des Rats wird also auch maß-geblich davon abhängen, ob und in welcherWeise es ihm gelingt, auf diese Herausforde-rungen zu reagieren, und entsprechende orga-nisatorische Lösungen zu entwickeln. Einer derGründe dafür, dass es dem IPCC immer wiedergelungen ist, seine wissenschaftliche und poli-tische Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten, istin seiner Lern- und Reformfähigkeit zu sehen.Die Kommunikationsstrategie bleibt ein neu-ralgischer Punkt in der Umsetzung der Reform.Es wird nicht ausreichen, die bereits eingeschla-gene Strategie effizienter zu machen und aufein Mehr des Immergleichen zu setzen. EinKurswechsel aus der Defensive in die Offensi-ve ist nötig. Um aus der Wagenburg auszubre-chen, wird es notwendig sein, sich aktiv mitden medial vermittelten Öffentlichkeiten aus-einanderzusetzen und mit neuen Formaten undFormen der Kommunikation zu experimentie-ren.

Silke Beck ist Senior Scientist am Depart-ment Umweltpolitik des Helmholtz-Zentrumsfür Umweltforschung – Leipzig. Kontakt:[email protected].

Anmerkungen1 Dieser Artikel ist im Rahmen des BMBF-

Projekts „Nested Networks: Neue Formender Governance der globalen Umweltfor-schung“ entstanden.

2 Vgl. Selbstdarstellung des IPCC, online:www.de-ipcc.de/de/119.php#Wer_ist_IPCC[28.06.2010].

3 In dem im 2007 veröffentlichen Bericht desWeltklimarats steht, die Gletscher des Hi-malaya würden mit großer Wahrscheinlich-keit bis zum Jahr 2035 schmelzen. Peter Lem-

ke, führender IPCC-Autor, hat eine mögli-che Erklärung für die mysteriöse Jahreszahl:„Vor vielen Jahren habe ein russischer For-scher einmal geschätzt, die Himalaya-Glet-scher könnten im Jahre 2350 verschwundensein. Womöglich passierte irgendwo ein Zah-lendreher, aus 2350 wurde 2035 – unddanach schrieb einer vom anderen ab“ (http://www.sueddeutsche.de/wissen/peinlicher-feh-ler-des-weltklimarats-schmelzendes-vertrauen-1.51668 [20.01.2012]).

4 Zur Chronologie des Zahlendrehers siehehttp://www.zeit.de/2010/05/U-IPCC-Kasten[20.01.2012].

5 Letter from Rajendra K. Pachauri to Coor-dinating Lead Authors, Lead Authors, andReview Editors for the Fifth Assessment Re-port (AR5) from 5 July 2010 (ref: 7004-10/IPCC/AR5), see also http://dotearth.blogs.nytimes.com/2010/07/10/cli-mate-panel -struggles-with-media-plan[20.01.2012].

6 http://www.cjr.org/the_obser vatory/mediaphobia_at_the_ipcc.php [20.01.2012].

7 Vg l. IAC-Homepage: http://rev iewipcc. interacademycounci l .net[28.06.2010].

8 ENB Vol. 12 No. 522 – Thirty-fourth Sessi-on of the Intergovernmental Panel on Cli-mate Change – Summary and Analysis[20.01.2012].

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Kommunikation als Schutzschild

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Zwischen „Blame Game“ und VernachlässigungDie klimapolitische Debatte in den Massenmedien

Markus Rhomberg

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Der Klimawandel ist eine der größten Her-ausforderungen, denen sich die moderne Ge-sellschaft im 21. Jahrhundert zu stellen hat.In diesem Thema manifestieren sich wechsel-seitige Abhängigkeiten, vielfältige Konstella-tionen von Akteuren und Unsicherheiten derglobalisierten Gesellschaft. Diese unterschied-lichen Varianten und Bedrohungsszenarienwerden vor allem in der massenmedialen De-batte sichtbar. Gleichzeitig zeigt sich bei derBeobachtung des Klimawandels, wie abhän-gig die Berichterstattung von äußeren Um-

welteinflüssen ist und wie kurzfristig diemediale Agenda konstruiert wird. Warzumindest aus kontinentaleuropäischer Pers-pektive der Klimawandel das dominierendeThema der Jahre 2009 und 2010, so hat ihnnun fast gänzlich die Finanz- und Wirtschafts-krise verdrängt. Deutlich wurde dies in derEtatdebatte des Deutschen Bundestags imNovember 2011. Wenige Tage vor dem Kli-magipfel in Durban verweist Kanzlerin Mer-kel lediglich ganz am Rande auf den Klima-wandel.

Themenschwerpunkt

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Neben der Intensität der Debatte hat sichauch ihr Fokus verschoben. In der Berichter-stattung ist der Klimawandel von einem wis-senschaftlichen Thema zu einem politischengeworden. Die Analyse der klimapolitischenDebatte in den Medien steht im Vordergrunddieses Beitrags. Es soll deutlich werden, wiedas Klimathema in die mediale Berichterstat-tung gekommen ist und sich als Thema entwi-ckelt hat, um daraus verständlich zu machen,wie die Art der Berichterstattung den politi-schen Umgang mit dem Thema heute maß-geblich beeinflusst.

Der Fokus des Beitrags liegt auf Deutsch-land, wobei die Ergebnisse mit den Entwick-lungen in anderen Ländern verglichen undkontrastiert werden.

1 | Klimawandel als schwieriges Medien-thema

Nach der breiten medialen Aufmerksamkeit inden Jahren 2007 und 2009, in denen die UN-Klimakonferenzen in Bali und Kopenhagenstattfanden, zeigt sich heute, dass der Klima-wandel nicht als wichtiges Zukunftsthema weitoben auf der gesellschaftlichen und der politi-schen Agenda steht. In Deutschland und inEuropa wird um die politische Zukunft derEuropäischen Union, um Lösungen für dieFinanz- und Wirtschaftskrise und um die Ener-giewende gerungen. Insbesondere Letztere hatnach der Reaktorkatastrophe in Fukushima denKlimawandel zunächst von der medialen Agen-da verdrängt und diesen in einen neuen Bedeu-tungszusammenhang gesetzt. Der Klimawan-del wird von der Finanz- und Wirtschaftskriseund der Energiewende nicht nur von der medi-alen Agenda verdrängt, in der politischen Be-richterstattung findet sich immer öfter die Fra-ge, ob nicht zunächst diese Probleme politischgelöst werden sollten, um sich dann erst demKlimathema zu widmen. Zuletzt verweist Hei-ke Göbel in der FAZ vom 26. November 2011darauf, dass sich in einer Broschüre zur Halb-zeitbilanz der schwarz-gelben Koalition dasWort Klimawandel nicht mehr finde: „Aber

statt Klimaschutz haben wir ja nun Energie-wende. Vermutlich ersetzen die zuständigenMinisterien gerade in Nachtarbeit in allen Vor-schriften, Reden und Planungen das Wort ‚Kli-maschutz‘ durch Energiewende“.

Aus der Medienlogik ist diese Verschiebungverständlich. Sowohl durch die anschaulicheIllustration der Proteste in Griechenland – mitdem impliziten Verweis, dass dies vielleicht auchim Rest Europas geschehen könnte – als auchdie eindrücklichen Bilder aus Fukushima undden Verweis auf die Katastrophe in Tscherno-byl, rückt der Klimawandel zwangsläufig inden Hintergrund. Auf einer abstrakten Ebeneerfüllen beide Ereignisse zentrale Faktoren dermedialen Selektions- und Darstellungsmecha-nismen. Sie eignen sich für eine Visualisierung,die möglichen Konsequenzen sind durch histo-rische Rückgriffe fühl- und erlebbar, die Pro-blemverursacher sind klar markierbar und diemediale Darstellung kann eindeutig polarisie-ren.

All dies erfüllt der Klimawandel nicht! Zwarbieten extreme Wetterereignisse anschaulichesBildmaterial, die seriöse Wissenschaft wehrt sichaber in aller Regel dagegen, hier eine direkteVerbindung zu sehen, weil das Problem desglobalen Klimawandels eben keine einfachenKausalketten erlaubt. Zuletzt zeigte sich dieseSprach- und Bildlosigkeit bei der Vorstellungdes Extremwetter-Berichts des UNO-Klimaratsim November 2011. Bereits die Markierungjener Ereignisse als Phänomene des Klimawan-dels fällt schwer. Ebenso mangelt es aufgrundder Seltenheit extremer Wetterphänomene anDaten, was Vorhersagen extrem kompliziertmacht. Gleichzeitig erwarten Medien aberkonkrete Aussagen, wie sich in der Pressekon-ferenz bei der Vorstellung des Berichts zeigt.Spiegel Online berichtet von der Frage einerJournalistin bei der Vorstellung des Berichts:„Was hat die Erdlawinen in Uganda in diesemJahr ausgelöst?“. Die Antwort der UNO dar-auf? Jeder Erdrutsch habe viele Ursachen, obdie Klimaerwärmung eine Rolle spiele, lassesich kaum beweisen. Dies entspricht aber ge-rade nicht den Erwartungen, die insbesondere

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die Politik, aber auch die Gesellschaft, an dieKlimaforschung haben. Sie fordern „konkreteErgebnisse“ von der Klimaforschung, wie esder damalige dänische Ministerpräsident AndersFogh Rasmussen im Vorfeld des Gipfels inKopenhagen 2009 treffend formulierte.1

Die ernsthafte Klimaforschung verweistimmer wieder darauf, dass die Konsequenzendes Klimawandels erst in Zukunft zu erken-nen sein werden. Sie arbeitet bei der Abschät-zung der möglichen Folgen des Klimawandelsmit Szenariomodellen, um Projektionen für dieZukunft abgeben zu können. Zukünftige Ent-wicklungen können nicht im Vorhinein be-stimmt werden, sondern die Wissenschaft kannnur mögliche Pfade abschätzen, die unter be-stimmten Bedingungen eintreten könnten, abernicht müssen. Funtowitz und Ravetz (1985)prägten in den 1980er Jahren für solche Phä-nomene den Begriff der „postnormalen Wis-senschaft“. Seriöse Wissenschaftler müssen inihren konkreten Aussagen zum Klimawandelunsicher bleiben, gleichzeitig ist wissenschaft-liche Expertise aber von großer Bedeutung fürpolitisches Entscheidungshandeln. Zudem zähltder Klimawandel auch zu jenen unsichtbarenUmweltrisiken, die nicht unmittelbar durch diemenschlichen Sinne wahrgenommen werdenkönnen (Beck 1992).

Der Klimawandel hat also aus einer Medi-enperspektive mit erheblichen Startschwierig-keiten zu kämpfen: Er kann nicht eindeutigvermittelt werden; er besteht aus komplexenWirkungszusammenhängen, die nur sehr schwererklärbar sind; er kann nicht auf anschaulicheBilder verweisen, weil die möglichen Folgenerst in der Zukunft liegen. Zudem kann nichteinmal genau beschrieben werden, wie dieseKonsequenzen aussehen werden. Setzt man denKlimawandel mit dem deutschen Projekt der„Energiewende“ in Bezug, wird ebenso augen-scheinlich, dass diese gegeneinander ausgespieltwerden können. Beide sind „wicked“, also tü-ckische Probleme. Das eine Problem kann nichtgelöst werden, ohne das andere im Blick zubehalten. Etwa ist der Bau neuer Kohlekraft-werke mit dem Ziel, von Atomkraft unabhän-

giger zu werden, nicht mit dem Klimaschutzkompatibel (Stehr/Rhomberg 2012, i.E.). Statteiner kombinierten Debatte wird die Klimapo-litik der Bundesregierung aber durch die Ener-giewende von der öffentlichen Agenda ver-drängt, ganz nach dem Motto: Jetzt muss sichdie Politik um die Energiewende kümmern,Maßnahmen für den Klimaschutz folgen dannspäter (Novy/Rhomberg 2011). So bleibt amEnde in den Medien weitgehend verborgen,dass die tatsächlichen Emissionen von globa-len Treibhausgasen trotz Wirtschaftskrisen dempessimistischen der Emissionsszenarien desIPCC entsprechen. Zudem sinken die Chan-cen, das so genannte Zwei-Grad-Ziel bis zumEnde des 21. Jahrhunderts zu erreichen, soferndies überhaupt noch als realistisch angesehenwerden kann. Daten des US-amerikanischen En-ergieministeriums aus dem November 20112 zei-gen, dass die globale Erwärmung langfristigauf höchstens zwei Grad Celsius über der glo-balen Mitteltemperatur vor der Industrialisie-rung beschränkt werden soll. In den Gipfeldo-kumenten findet sich zwar eine Nennung die-ses Ziels, völkerrechtlich bindend ist es abernicht: „Um das letztliche Ziel der Konventi-on, die Konzentration von Treibhausgasen inder Atmosphäre auf einem Niveau, das einegefährliche Störung des Klimasystems vermei-det, zu stabilisieren, zu erreichen, werden wir,in Anerkennung der wissenschaftlichen Sicht,wonach der Temperaturanstieg unter 2° Celsi-us bleiben sollte, auf der Grundlage von Fair-ness und im Rahmen nachhaltiger Entwicklungunser langfristiges Handeln zur Bekämpfungdes Klimawandels verstärken“ (UNFCCC 2010).

Dennoch lässt sich die gesellschaftlicheWahrnehmung von Umweltproblemen undinsbesondere des Klimawandels zu großen Tei-len auf die Berichterstattung der Medien zu-rückführen. Um Luhmanns Einstieg in die„Realität der Massenmedien“ (1996) abzuwan-deln: Das, was wir über den Klimawandel wis-sen, wissen wir aus den Massenmedien. Diesgilt umso mehr aus den oben beschriebenenSchwierigkeiten. Arlt und Kollegen (2010)weisen völlig zurecht darauf hin, dass die An-

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zeichen des Klimawandels zwar durch bestimm-te unmittelbar beobachtbare Phänomene wieheiße Sommer, schneearme Winter oder ver-heerende Stürme durch Individuen definiertwerden. Ebenso erkennen Taddicken und Ne-verla (2011), dass das soziale Umfeld ein be-deutsamer Einflussfaktor für die individuelleEinstellung zum Klimawandel ist. Aber den-noch haben die Medien eine zentrale Rolle beider Vermittlung des Phänomens.

2 | Wandel der Klimaberichterstattung

Lange Zeit waren Klimadebatten fast aus-schließlich auf das System der Wissenschaftkonzentriert und blieben der Öffentlichkeitweitgehend verborgen. Massenmediale Auf-merksamkeit erlangte das Thema Klimawan-del erst, als die Politik diesen zu einem ihrerThemen machte. Wilkins und Patterson (1991)beobachteten den Perspektivwechsel von Wis-senschaft zu Politik in den Jahren 1987 und1988. Studien analysierten dies unter anderemfür Großbritannien und Frankreich (Brossardet al. 2004; Carvalho 2005).

Die deutsche Debatte ist da eine Ausnah-me. Das Wissenschaftssystem erreichte im Jahr1986 nämlich zunächst alleine öffentliche Auf-merksamkeit für das Thema Klimawandel. MitHilfe der medialen Regeln lässt sich dies guterklären. Forscher bezeichneten ihre Szenario-berechnungen öffentlich als „drohende Klima-katastrophe“. Das Mediensystem sprang aufdiese Dramatisierung an und wendete sich demThema zu. Aufgeweckt durch die Medienbe-richterstattung, begann auch das politischeSystem, sich mit Fragestellungen des Klima-wandels zu beschäftigen. Das Wissenschafts-system seinerseits war (negativ) überrascht vondem großen medialen Echo und bemühte sich,den Begriff der „Klimakatastrophe“ durch denweniger dramatischen Begriff des „Klimawan-dels“ zu ersetzen (Weingart et al. 2002). Fürden deutschen Fall lässt sich also erkennen,dass die Wissenschaft den Begriff der Klima-katastrophe – bewusst oder unbewusst – medi-alisierte, und dass die Politik dieses politisch

entscheidungsbedürftige Thema erst nach dermedialen Publikation für sich entdeckte.

Dieser Prozess der Politisierung und anschlie-ßenden Mediatisierung (Hjarvard 2008; Krotz2007) von Themen ist kein für die Klimade-batte oder die Wissenschaft spezieller Prozess,sondern eher die Regel. Ein Thema profitiertvon den Möglichkeiten der öffentlichen Macht-demonstration von Politikern und wird medialinsbesondere dann interessant, wenn es in derpolitischen Sphäre angekommen ist und esdarum geht, im Luhmann’schen Sinne Machtzu demonstrieren und Entscheidungen zu tref-fen. Issues werden für die Medien insbesonderedann interessant, wenn Eindeutigkeit herge-stellt und Entscheidungen getroffen werden.

In der historischen Aufarbeitung der medi-alen Klimaberichterstattung zeigt sich, dassinsbesondere die Politik bzw. politische Ereig-nisse die Zyklen der Medien treiben. Davonunbenommen sind natürlich jene Ereignisse ausdem Wissenschaftssystem, die den medialenSelektionsmechanismen gut entsprechen, wieMeldungen, die sich mit Studien zu CO2-Emis-sionen beschäftigen und dramatische Szenari-en an die Wand malen, aber auch Ereignissewie „Climategate“, die sich medial skandalisie-ren lassen (Beck 2010). In der Regel sind esaber politische Ereignisse, durch die der Kli-mawandel in den vergangenen Jahren in dasBewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist.Schäfer, Ivanova und Schmidt (2011) könnenin einer ländervergleichenden Analyse von 23Staaten zeigen, dass die mediale Aufmerksam-keit für den Klimawandel oft zu ähnlichenZeitpunkten steigt, insbesondere rund um po-litische Ereignisse wie die internationalen Kon-ferenzen der Vertragsparteien der UNFCCC(Klimarahmenkonvention) und des Kyoto-Pro-tokolls (Conferences of the Parties).

Warum wird aber die Wissenschaft in derKlimaberichterstattung immer mehr von derPolitik verdrängt? Solange der Klimawandeloffen für wissenschaftliche Deutungen undInterpretationen war und sogar Zweifler desKlimawandels als vertrauenswürdige wissen-schaftliche Akteure in den Medien auftreten

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konnten, war das Thema für die Medien inte-ressant. In ihrer Berichterstattung konnten siedie Debatte innerhalb der Klimaforschung alsKonflikt darstellen. Mittlerweile ist die Frontjener gebröckelt, die einen menschengemach-ten Klimawandel nicht als Faktum anerkennen.Zwar gibt es harte Debatten innerhalb derKlimaforschung selbst, wie denn dem Problemdes Klimawandels zu begegnen ist (vgl. auch3.), diese Unterscheidungen sind aber zu kom-plex und zu uneindeutig, um in den Medienbehandelt werden zu können.

An diese Stelle tritt nun die Politik, dieden Klimawandel im Vorfeld des bisher größ-ten und prominentesten Gipfels in Kopenha-gen im Jahr 2009 ganz oben auf ihre Agendasetzte, aber gleichzeitig seit dem Scheitern die-ses Gipfels in Konflikten darüber verfangenist, wie ein globales Klimaschutzabkommen zuerreichen sei. Diese Offenheit bietet Raum fürKonfliktberichterstattung, den die Politik selbstgerne annimmt. Nun finden politische Schuld-

zuweisungen statt, wer denn verantwortlich fürdas Scheitern von Kopenhagen ist. In der Ana-lyse des Kopenhagener Gipfels lassen sich wiein einem Brennglas jene Muster der medialenBerichterstattung aufzeigen, die stilbildend fürdie politische Debatte sind. Dies zeigt expliziteine Studie von Eide und Kunelius (2010). DieAutoren greifen zunächst den Vorwurf auf, dassdie journalistischen Berichterstatter eine Mit-schuld hätten, indem sie die Existenz einesKlimawandels durch balancierte Berichterstat-tung, also dem Einräumen von Platz auch fürZweifler, zu lange offen gehalten hätten. Eideund Kunelius gehen dann einen Schritt weiterund stellen die These auf, dass die Medienauch aus diesem Grund sich vor dem Kopen-hagener Gipfel ziemlich klar auf Seiten desIPCC positioniert und somit die politischenAkteure bereits im Vorfeld unter Druck ge-setzt hätten, ein multilaterales Abkommen zuschließen. Sie nennen diesen Zusammenschluss„Advocacy for Hope“ und führen unter ande-

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rem ein gemeinsames Editorial an, das in 56Tageszeitungen weltweit vor dem Gipfel er-schienen ist, und von den Politikern ein brei-tes Abkommen forderte. Sie entdeckten in ei-ner Medieninhaltsanalyse zudem inhaltlich ähn-liche Beiträge in anderen Medien. Im Vorfelddes Gipfels und während des Gipfels selbstspielten Wissenschaftler und aktuelle For-schungsergebnisse kaum eine Rolle. Die Nach-richten waren vor allem von politischen Ak-teuren dominiert, die Wissenschaft bliebstumm.

Je höher die Erwartungen im Vorfeld desGipfels aber von den Medien aufgebaut wur-den, desto größer war auch die mediale Ent-täuschung über die politischen Ergebnisse. DieEinschätzung in den Schlagzeilen lautete„Trübsinn“ („gloom“), „collapse“, „failure“ oder„fiasco“. In einer differenzierten Kommentie-rung der Ergebnisse zeigte sich aber auch, dassgerade Medien aus jenen Ländern, die bis zumSchluss in die Verhandlungen involviert waren,die Ergebnisse weit positiver bewerteten alsdie Medien jener Länder, deren Verhandler nichtmehr in die Schlussphase involviert waren. Sokam es zu der unerwarteten Balance in derBerichterstattung zwischen der New York Ti-mes und der Xinhua Daily News aus China. Inden Medien wurde aber nicht nur das Schei-tern der politischen Akteure kritisiert, sondernauch der UN-Prozess als solcher.

Neben der Kritik durch die Medien nutz-ten die politischen Akteure dieses Forum fürgegenseitige Schuldzuweisungen („BlameGame“). In einer Konfliktstellung befinden sichinsbesondere die traditionellen Industrieländerund die BRIC-Staaten.3 Die traditionellen In-dustriestaaten werfen BRIC-Ländern wie Chi-na, Indien oder Brasilien vor, die Dringlich-keit des Klimaproblems nicht erkannt zu ha-ben. Die BRIC-Länder wiederum beschuldigendie traditionellen Industriestaaten, die BRIC-Bedürfnisse für wirtschaftliches Wachstumnicht anzuerkennen und verweisen darauf, dassder wirtschaftliche Erfolg dieser Staaten aufder historischen Ausbeutung der Klimaressour-cen aufgebaut ist.

3 | Klimapolitik in den Medien

Das Thema Klimawandel ist als solches poli-tisch wie kaum ein anderes Thema. Die Poli-tik muss Entscheidungen treffen, die substan-tielle gesellschaftliche Kollektivgüter wie In-frastruktur, Mobilität oder Energie betreffen.Politische Entscheidungen zum Klimawandelauf allen politischen Ebenen – von der loka-len, regionalen, nationalen und supranationa-len bis hin zur globalen Ebene – haben Aus-wirkungen auf heutige und zukünftige Gene-rationen. Wie aber genau dieses politischeThema verhandelt wird, ist dann von vielenFaktoren, nicht zuletzt von der Medienbericht-erstattung abhängig.

Politische Akteure des Klimawandels agie-ren in der öffentlichen Debatte auf verschie-denen geographischen Ebenen und auch po-litische Entscheidungen fallen auf unter-schiedlichen Ebenen, von der lokalen bis zurglobalen. Am interessantesten für die Medi-enberichterstattung ist aber, und das zeigenauch die oben genannten Kopenhagen-Ergeb-nisse, die globale Ebene. Bresio und Pronzi-ni (2010) zeigen in ihrer Studie zur Klima-berichterstattung Schweizer Printmedien,dass als Verantwortliche für die Lösung desKlimaproblems (hier im Sinne von Vereinba-rungen) in der Regel einzelne Staaten oderNationengruppen markiert werden, insbeson-dere Regierungsvertreter der westlichen In-dustrieländer. Betrachtet man aber die aktu-ellen Daten zu den CO2-Emissionen, lässt sicherkennen, dass vor allem in den bevölkerungs-reichen Schwellenländern wie Indien undChina die Nutzung von Kohle zur Energie-gewinnung immer breiter um sich greift, wieder bereits oben zitierte Bericht des US-ame-rikanischen Energieministeriums für das Jahr2010 zeigt. Diese Schwellenländer sind aberebenso wenig Vertragsstaaten des Kyoto-Pro-tokolls, wie auch die USA das Protokoll nichtratifiziert haben. Jene Länder, die als Ver-antwortliche für die Lösung medial markiertwerden, sind also nicht die Hauptemissions-träger. Insofern sind die politische und die

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mediale Realität nicht kongruent. Darauf kom-me ich zurück.

Diese Verortung des Problems auf eine glo-baler Ebene – obwohl ebenso lokale Strategi-en zur Lösung des Klimaproblems beitragenkönnten –, fasst Carvalho (2010: 172) zusam-men, zeigt sich aber aufgrund der Fokussie-rung der Berichterstattung auf internationaleRegierungskonferenzen. Dadurch würde deröffentliche Eindruck entstehen, die internatio-nale bzw. die globale Ebene seien der geeigne-te Ort, um Klimaentscheidungen zu treffen:„(…) people tend to rank climate change high-er as a problem for the world than as a pro-blem for their own country or region. Further-more, by constructing climate change primari-ly as a global political issue, these discoursesconstruct citizen agency as minute“. Politikerauf den nationalen Ebenen können dieses „Bla-me Game“ weiter forcieren, um den Problem-druck für Handlungen auf der nationalen undlokalen Ebene mit dem Hinweis auf die globa-len Hindernisse zu verringern. Wir sehen dieseStrategie aber nicht nur für die Klimapolitik,die Forschungen zu ähnlichen Problemen zwi-schen den Nationalstaaten und der EU-Ebeneim Kontext einer Europäischen Öffentlichkeitsind vielfältig. Auch hier schreiben immerwieder nationalstaatliche Politiker unliebsameEntscheidungen medial der Europäischen Uni-on zu, um sich vor der eigenen Bevölkerungzu profilieren (Pfetsch/Heft 2009).

In der Klimadebatte kommt aber ein weite-rer Umstand hinzu. Die Problematik des „Bla-me Game“ zwischen lokalen Akteuren undsupranationaler Ebene wird durch die gewähl-te Strategie gegen den Klimawandel verstärkt.Auch hier bildet der Kopenhagen-Gipfel eingutes Beispiel. Es war das explizite Ziel dieserKonferenz, ein Nachfolgeabkommen für dasKyoto-Protokoll zu verabschieden. Die mithoher Medienaufmerksamkeit versehene Stra-tegie des „Zwei-Grad-Ziels steht damit in di-rekter Verbindung. Die Fixierung auf diesesZiel und damit eine Reduktionsstrategie istaber keineswegs selbstverständlich. In der öf-fentlichen Debatte wird, so Stehr (2004: 50),

nur die Emissionsvermeidung als „tugendhaf-tes Verhalten“ dargestellt. Die Einschränkun-gen einer lediglich auf die Vermeidung abstel-lenden Politik sowie die Möglichkeiten einer„aktiven Klimavorsorgepolitik“ werden aber nurin geringem Maße thematisiert (auch Krauss/Storch 2005). Dies gilt nicht nur für Deutsch-land, sondern ist weltweit zu beobachten (Boy-koff/Roberts 2007). Für Deutschland kannPost (2008) zeigen, dass zumindest in der öf-fentlichen Debatte und der Berichterstattungzu großen Teilen über die Minderung vonEmissionen, nicht aber über Anpassungs- undAdaptionsstrategien diskutiert wird. Ebensofindet in der medialen Diskussion kaum Be-achtung, dass sich die möglichen Erfolge derVermeidungspolitik erst in ferner Zukunft zei-gen werden.

Welche Gründe sind nun denkbar für dieFokussierung auf die Reduktionsstrategiedurch die Medien? Zunächst kann man fest-halten, dass die weltweite Klimapolitik immernoch durch das Kyoto-Protokoll aus dem Jahr1997 geprägt wird. Prins und Rayner (2007:973) beschreiben dies als eine „symbolicallyimportant expression of governments’ concernabout climate change“. Der Kyoto-Prozessbefasst sich vor allem mit Fragen der Minde-rung von Emissionen, also der Reduktion vonTreibhausgasen, aber er schenkt Strategiender Anpassung an den Klimawandel kaumAufmerksamkeit. Durch diesen Fokus aufMilderungs- und Reduktionsstrategien hat daspolitische System andere Strategien zur Her-angehensweise an den Klimawandel aus deröffentlichen und medialen Debatte verabschie-det. Dies setzt das politische System selbstaber unter Druck: Mit dem Fokus auf Re-duktion als einzige Möglichkeit, um dem Kli-mawandel zu begegnen, beraubt sich die Poli-tik möglicher Alternativen. Die Fortschreibungdes 2012 auslaufenden Kyoto-Prozesses wirdzum alleinigen Indikator für politischen Er-folg oder Misserfolg in der öffentlichen Wahr-nehmung. Die Politik beharrt derzeit nochauf Kyoto, weil sie mit dem öffentlichen Ein-geständnis, dass auch andere Strategien maß-

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voll wären, einen Teil ihrer Definitionsmachteinbüßen würde. Zwar ist die Anpassungsthe-matik mittlerweile auch in der politischenDebatte angekommen, wie die Ergebnisse desCOP-16 Treffens in Cancun, das 2007 ECGreen Paper on Adaptation, die IPCC-Reportsoder auch das Gutachten des Wissenschaftli-chen Beirats beim Bundesministerium der Fi-nanzen (2010) zeigen. Dennoch gilt der Be-fund von Post (2008) grundsätzlich nochimmer: Deutsche Nachrichtenmedien präsen-tieren vor allem Informationen über die Re-duktion von Treibhausgasen, über Gesetzes-vorhaben und Steuervorschläge zur Redukti-on oder sie unterstützen die Wirtschaft sym-bolisch bei neuen Entwicklungen zur Reduk-tion. Kyoto wird in der Berichterstattung mitReduktion verbunden, die Kontinuität bzw.Anschlussfähigkeit einer Nachricht wird sodefiniert. Rezipienten kennen Kyoto bzw.haben zumindest eine vage Idee von diesemThema und verbinden es mit Reduktion. DieMedien können an dieses Vorwissen anschlie-ßen.

Die enge Verbindung der Klimapolitik mitdem Deutungsrahmen „Kyoto“ fokussiert diemediale Berichterstattung auf die Strategieder Minderung. Solche Verbindungen und In-terpretationsrahmen werden als Framing be-zeichnet. Framing beschreibt die Selektion,Exklusion und Betonung spezifischer Themen-eigenschaften, durch die der sachliche Gehalteines Themas kontextualisiert oder gerahmtwird. Die gewählte Perspektive der Medien-darstellung lenkt die Bewertung durch denRezipienten bewusst oder unbewusst in einebestimmte Richtung. Die Rezipienten sinddabei nicht vollkommen passiv. Die individu-ellen Erfahrungen und das soziale Wissen desEinzelnen setzen diese Interpretationenletztendlich in Gang (Entman 1993). Für dieKlimadebatte könnte man also schließen:Kyoto ist ein dominantes Schlagwort in derBerichterstattung, das Kyoto-Protokoll beschäf-tigt sich vor allem mit Fragen der Minde-rung. Deshalb dominieren Fragen der Minde-rung die Berichterstattung.

Das Kyoto-Protokoll ist ebenso ein Vertrags-werk, das die mächtigen Industrienationen die-ser Welt einschließt (Elite-Nationen). Geschlos-sen wurde es von den Regierungsverantwortli-chen dieser Länder (Elite-Personen). Durch dieElitenfokussierung der Medien bleibt Kyotoebenso präsent wie durch den hauptsächlichpolitischen Diskurs, der darum geführt wird.Deshalb sind Fragen der Minderung stärkerim politischen Diskurs verankert als Fragen derAnpassung. Die Massenmedien folgen aber –wie oben gezeigt – insbesondere dem politi-schen System.

Der Kyoto-Prozess bietet weitere Vorteilefür die mediale Präsentation. Er ist eindeutig,weil er im Grunde auf Zahlen ausgerichtet ist:Zahlen des Ausstoßes von Emissionen, Zahlender Reduktion in bestimmten Zeiträumen,Ranglisten der Emissionsreduzierer oder Rang-listen der Reduktionsverweigerer. Kyoto schaffteine auch medial vermittelbare Vergleichbar-keit unter den verschiedenen Ländern. DieMedien können zeigen, welche Länder in denvergangenen Jahren ihre Vorgaben versuchthaben zu erfüllen, im Vergleich zu welchenLändern diese besser dastehen oder auch nicht.In der Luhmann’schen Nachrichtenfaktoren-Logik ist dies der Wert von Quantitäten. „Quan-titäten sind immer informativ, weil eine be-stimmte Zahl keine andere ist als die genannte– weder eine größere noch eine kleinere. Unddas gilt unabhängig davon, ob man den Sach-kontext versteht“ (Luhmann 1996: 59f). Durchdiese Form der Berichterstattung können ein-fach und für alle nachvollziehbar „Schuldige“markiert werden. Die Etablierung eines „Bla-me Games“ wie nach dem Kopenhagen-Gipfelfunktioniert noch besser, wenn zur Unterstüt-zung der Argumentation Ranglisten vorgewie-sen werden können.

4 | Fazit

Nach dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009hatte es das Klimathema sehr schwer, auf derAgenda der Medien und der Politik zu blei-ben. Nach dem nicht erfolgreichen Ausgang

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des Gipfels, der auch medial als Niederlagedokumentiert wurde, haben andere Themenwie die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Euro-Schuldenkrise und die Energiewende inDeutschland die Agenda von Politik und Me-dien übernommen.

Das mag auch daran liegen, dass die medi-ale Debatte zum Klimawandel insbesondere vonder Politik dominiert wird, die Wissenschaftspielt auch in der historischen Evolution derKlimadebatte nur eine geringe Rolle. Insbe-sondere politische Ereignisse tragen dazu bei,den Klimawandel in den Medien prominentzu platzieren. Bei den Strategien gegen denKlimawandel geht es insbesondere um Fragender Reduktion, während Anpassungsstrategi-en in den medialen Hintergrund geraten. Diebessere Medieneignung der Reduktionsstrate-gie im Zusammenhang mit dem Kyoto-Proto-koll mag dafür eine Ursache sein.

Markus Rhomberg ist Juniorprofessor fürPolitische Kommunikation an der ZeppelinUniversität Friedrichshafen. Kontakt:[email protected].

Anmerkungen1 http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/

0,1518,798406,00.html [21.11.2011]2 http://www.time.com/time/health/article/

0%2C8599%2C2098671%2C00.html#ixzz1ckjq7Adz [17.11.2011].

3 Als BRIC-Staaten werden Brasilien, Russland,Indien und China bezeichnet.

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Als „verspätetes Ressort“ bezeichnen wir Wis-senschaftsjournalisten unser Wissenschaftsres-sort. Berichten über Forschung haben die meis-ten Medien erst eine eigene Rubrik zugebil-ligt, als andere Ressorts wie „Wirtschaft“,„Sport“, „Reise“ oder „Kultur“ lange etabliertwaren. Noch heute konkurrieren Artikel ausder Wissenschaft oft mit Unterhaltungsnach-richten um einen Platz wie etwa mit Geschich-ten aus Königshäusern. Um Neuigkeiten ausder Klimaforschung prominent zu platzieren,müssen Wissenschaftsjournalisten einige Über-zeugungsarbeit leisten.

Wir Wissenschaftsjournalisten treffen unsalljährlich in Bremen für drei Tage auf derTagung „WissensWerte“, dort schwören wir unsauf unseren Beruf ein. Den Themen der meis-ten Seminare zufolge decken wir falsche For-schungsresultate auf, lassen uns nicht von Wis-senschafts-PR ins Bockshorn jagen und enthül-len Abhängigkeiten im Forschungsbetrieb. Wirhalten Distanz zu Wissenschaftlern.

Gestärkt mit den imponierenden Berichtender Kollegen fahren wir zurück in unser Büro,wo die Einladung zur Pressekonferenz einesrenommierten Klimainstitutes auf dem Schreib-tisch liegt. Bei der Pressekonferenz werden zurEinstimmung aufs Thema beklemmende Fil-me von Wetterkatastrophen gezeigt. Dann spre-chen sechs Professoren jeweils fünf Minutenüber die beklemmenden Resultate ihrer Klima-modellierungen.

Der Meeresspiegel drohe um „sieben Me-ter“ anzusteigen, warnt ein Professor mit fins-terem Blick. „Sieben Meter“, notiert der Wis-senschaftsjournalist. In Artikeln, Film- und Ra-diobeiträgen kommen die Professoren ausführ-lich zu Wort. Journalisten wollen „Wissenschaft

Sorry, wir wollen nicht stören.Wissenschaftsjournalisten ergründen die Klimaforschung? Eine Relativierung

Axel Bojanowski

für Laien verständlich machen“, auch das warein Thema auf der „WissensWerten“. SiebenMeter höherer Meeresspiegel lässt sich gutveranschaulichen: „Ganze Hafenstädte versin-ken in den Fluten.“ Am nächsten Tag erreichtden Journalisten eine E-Mail eines Professors:Der Artikel sei ja „ganz schön geworden, herz-lichen Glückwunsch!“, schreibt er.

Wissenschaftsjournalismus müsse „journalis-tischer“ werden, also vor allem kritischer, lau-tet eine alljährliche Forderung auf der „Wis-sensWerten“. Von Journalismus spricht manbekanntlich, wenn sich mit aufeinandertreffen-den Interessen, Erwartungen, Behauptungen,Ergebnissen oder Traditionen distanziert aus-einander gesetzt wird.

Wer sich als kritischer Wissenschaftsjourna-list zu erkennen geben möchte, wählt einfach-erweise zwischen zwei Möglichkeiten: Zumeinen bietet sich ein lakonischer Artikel an überdie „Propheten der Klimakatastrophe“, derzeigt, dass der UN-Klimarat Forschungsergeb-nisse systematisch verschweigt. Solche Artikelverschaffen Beachtung als Querdenker. Bessernoch zur kritischen Profilierung aber eignensich herablassende Verrisse über die „Klima-leugner“. Klimaforscher stellen uns ihre Wi-derlegungen der skeptischen Kritik am „Kon-sens der Klimaforscher“ in komprimierter Formgerne zur Verfügung, das erleichtert die Ar-beit.

Leider gibt es neben „Leugnern“ noch dieZweifler, was die Sache noch kompliziertermacht: Umfragen unter Klimaforschern, etwajene unter deutschen Forschern von der Kom-munikationswissenschaftlerin Senja Post, zei-gen, dass es einen Konsens in der Klimafor-schung zu den meisten Fragen nicht gibt –

Themenschwerpunkt

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viele Klimatologen machen sogar erheblicheZweifel geltend. Und auch der UN-Klimabe-richt liest sich gemessen an den Erwartungeneines „Konsenses“ über weite Strecken wie einklimaskeptisches Machwerk – ganz anders alsdie knappe Zusammenfassung für die Politi-ker, die stets vorangestellt wird. Über dieseForschungsdebatten zu berichten, kann Wis-senschaftsjournalisten allerdings in die Ecke der„Klimaleugner“ manövrieren und damit in Er-klärungsnot bringen.

Außerdem gibt es ein weiteres Dilemma:Es geht um die Bewahrung der Umwelt. Tau-sende Forschungsresultate geben Anlass zurSorge, das sollten selbst die ärgsten Zynikernicht bezweifeln. Andererseits ist das Unwis-sen groß. „Natürlich sei vieles Spekulation“,räumt der Professor mit der Sieben-Meter-Mee-resspiegel-Prognose nach der Pressekonferenzunter vier Augen ein. „Aber würden Sie in einFlugzeug steigen, das mit einer Wahrschein-lichkeit von zehn Prozent abstürzt?“ Tja.

Seit Wissenschaftler im 18. Jahrhundert inLaboren verschwanden, erfährt die Öffentlich-keit nur noch indirekt, was in der Forschunggeschieht. Zunächst wendeten sich Wissen-schaftler in Büchern und Vorträgen noch di-rekt ans Bürgertum. Aber spätestens mit demAufkommen der Massendemokratien in den1920er-Jahren mussten Wissenschaftler verste-hen, dass der Diskurs mit dem Publikum unbe-friedigend ist, denn Massenmedien orientierensich an den Bedürfnissen aller und eben nichtexklusiv an denen der Wissenschaftler. Dieintellektuellen Stars der Gesellschaft erkann-ten, dass sie Journalisten brauchten, um dasLicht der Aufklärung an die normalen Men-schen weitergeben zu können. „Sie müssen unshelfen, den Trägern des Staates klar zu ma-chen, dass der Wissenschaftsfinanzierung einPrioritätsanspruch zusteht“, forderte der Stif-terverband „Wissenschaft Nord“ 1963.

Wissenschaftsjournalisten kamen ihm gerneentgegen. Sie begriffen sich „als Übersetzer“,warben damit, „Fachsprache ins verständlicheDeutsch zu übertragen“. Auch heute wollenWissenschaftsjournalisten Forschung auf Hoch-

glanz bringen. In der Klimaforschung müssensie aber nicht nur die Ergebnisse übermitteln.Beim Thema Umwelt sind auch die gesell-schaftlichen Folgerungen wichtig.

Was liegt näher, als für die Deutungen ih-rer Ergebnisse die Klimaforscher selbst zu fra-gen? Und zwar am liebsten diejenigen, die sichselber für fähig halten, ihre Meinung einergroßen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stel-len. Mitunter scheint die Regel zu gelten: Jeaggressiver ein Wissenschaftler, desto glaub-würdiger wirkt er. Wenn sich Klimaforscherüber Artikel beschweren, geben manche Medi-en ihnen gerne Gelegenheit, die Berichte miteigenen Artikeln ausführlich zu korrigieren.Denn wahrscheinlich hat der Journalist einenFehler gemacht. Warum hätte sich der Wissen-schaftler sonst so echauffiert? Im Zweifel, soschreibt der Wissenschaftsjournalist Ralf Gro-etker, im Zweifel müsse man dem Wissenschaft-ler mehr Glauben schenken als dem Journalis-ten. Die wichtigste Frage für Journalisten lau-tet demzufolge: „Was bedeutet das, Herr Pro-fessor?“ Fragt sich aber dann noch, der Mei-nung welches Wissenschaftlers mehr Gewichteingeräumt werden soll?

Hat ein Journalist in der täglichen Hektiktatsächlich einen Fehler gemacht, wird dafürgerne absichtliche Desinformation unterstellt.Hat er einen Fehler gemacht und korrigiertsich, wird die Korrektur zum Nachweis seinerUnfähigkeit angepriesen. Manche Forscherschreiben ihre Vorwürfe direkt an die Chefre-daktion. Oder sie organisieren E-Mail-Kampa-gnen gegen einzelne Journalisten, vorzugsweisegegen freie Journalisten: Dafür empfehlen siedann anderen Wissenschaftlern, Beschwerde-E-Mails an Redaktionen zu schreiben. Alles imDienst an der Wahrheit, versteht sich. Den Rufder Wissenschaftler in den Redaktionen hatdas nicht verbessert.

Dabei tun Journalisten offenbar viel dafür,dass Klimaforscher zufrieden sind. Das zeigenStudien der Soziologen Hans Peter Peters undHarald Heinrichs über die Berichterstattungvon Klimaforschung in Deutschland. Es gebekaum Konflikte zwischen Wissenschaftsjourna-

Sorry, wir wollen nicht stören.

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listen und Klimaforschern. Zwar beschwertensich Wissenschaftler „gelegentlich über diebegrenzte Fachkompetenz der Journalisten“,schreiben Peters und Heinrichs. Aber diesenMakel glichen Wissenschaftsjournalisten ausdurch eine „starke Co-Orientierung und einegeteilte Kultur“ mit den Klimaforschern. „DieInteressen von Klimaexperten und Journalis-ten stimmen offenkundig überein“, resümie-ren Peters und Heinrichs (Peters/Heinrichs2005).

Pressekonferenzen zur Klimaforschung sindharmonische Treffen, man ist mitunter garentzückt über das Wiedersehen. Auf der UN-Klimakonferenz in Bali etwa hielten der dama-lige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel undder Direktor des Potsdam-Instituts für Klima-folgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber,eine Podiumsdiskussion, als sich plötzlich derzu spät gekommene britische Regierungsbera-ter Nicholas Stern hektisch den Weg durchdie Zuschauer aufs Podium bahnte. Er entschul-digte sich fürs Zuspätkommen. Eine britischeJournalistin juchzte hingerissen: „Er ist groß-artig!“ Portraits über Klimaforscher lesen sichwie Hymnen.

Zugegeben, manchmal übermannen auchuns Journalisten geradezu unanständige Phan-tasien. Wenn zum Beispiel die Rede daraufkommt, dass es erhebliche Ungereimtheiten inder Klimarekonstruktion der vergangenen Jahr-hunderte zu geben scheint, oder dass Kohlen-stoff- und Wasserkreislauf schlecht verstandensind, oder dass sich die Wärmebilanz der Erdenicht schließen lässt – dann inspiriert dies kri-tische Fragen. Aber tonangebende Wissen-schaftler sagen uns, dass solche Unsicherhei-ten ausreichend berücksichtigt worden seien.Na also.

Soziologen haben den Konflikt zwischenKlimaforschung und Journalismus längst be-schrieben. Auf der „WissensWerten“ sprachensie von der „vereinnahmenden Erwartungshal-tung der Wissenschaft gegenüber den Medi-en“. Journalisten sollten mit journalistischenRelevanzkriterien, die sich an Bedürfnissen derÖffentlichkeit orientierten, nach der Wahrheitsuchen. Mit den Relevanzkriterien der Wissen-schaft gebe es oft keine Überschneidung.

Führende Klimaforscher jedoch pochen aufdie Relevanzkriterien der Wissenschaft. Deu-tungen von Forschungsresultaten nach denKriterien der breiteren Öffentlichkeit könntenVerwirrung stiften, sagen sie. Verwirrung aberschade letztlich dem entschlossenen Kampfgegen den Klimawandel. Und wollen wir Wis-senschaftsjournalisten an den Folgen Schuldsein? Zwar zitieren auch wir gerne die alteLeitmaxime von Qualitätsmedien, Journalistensollten sich mit keiner Sache gemein machen,auch nicht mit einer Guten. Aber machen wiruns denn gemein?

Axel Bojanowski ist Diplom-Geologe und

Wissenschaftsredakteur bei SPIEGEL ONLI-NE. Kontakt: [email protected].

Mehr Infos hier: http://www.spiegel.de/extra/0,1518,670762,00.html

Literatur

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Axel Bojanowski

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Journalismus und Klimaforschung:Ausschnitte einer spannungsreichen Beziehung

Markus Lehmkuhl

Mit Blick auf seine potentiellen gesellschaftli-chen Wirkungen lassen sich grob zwei Modiunterscheiden, in denen der Journalismus Be-funde aus den Klimawissenschaften aufgreift:Erstens verhilft er wissenschaftlich ermitteltenWahrheitsbehauptungen zu außerwissenschaft-licher Geltung. Zweitens stellen Journalistenauch den Geltungsanspruch wissenschaftlicherWahrheitsbehauptungen in Frage – oft geradesolcher, die dank der Medienberichterstattungerst außerwissenschaftlich Geltung erlangthaben (Gamson 1999; Carvalho 2007; Horn-schuh 2007). Dies hat in der Vergangenheitmehrfach Anstoß unter Klimaforschern erregt.Ich möchte im Folgenden für jeden der ge-nannten Modi ein Beispiel anführen und davonausgehend die zu Grunde liegenden Konfliktebeleuchten:

(1) Am 8. Januar 2004 erschien im Wissen-schaftsjournal „Nature“ eine Studie, in der eineForschungsgruppe um den englischen Ökolo-gen Chris D. Thomas die Ergebnisse einer Si-mulationsstudie präsentierte. Untersucht wur-den die Auswirkungen von Klimaveränderun-gen auf gut 1.000 Tierarten aus unterschiedli-chen Regionen der Welt. Hauptbotschaft: „Wepredict, on the basis of mid-range climate-war-ming scenarios for 2050, that 15-37 % of spe-cies in our sample of regions and taxa will becommitted to extinction (...). These estimatesshow the importance of rapid implementationof technologies to decrease greenhouse gasemissions and strategies for carbon sequestra-tion“ (Thomas et al. 2004: 145).

Dieser Befund fand für kurze Zeit einevergleichsweise große Resonanz im Journalis-mus. Die Frankfurter Rundschau wartete amErscheinungstag des Wissenschaftsjournals mit

einer dramatisch klingenden Nachricht auf:„Der Klimawandel bedroht Millionen Arten.Britische Studie sagt immenses Tier- und Pflan-zensterben voraus – Bis zu 35 Prozent derGattungen betroffen“ (Knauer 2004). In derBerliner Zeitung wusste man es etwas genau-er: Der „Klimawandel gefährdet eine MillionSpezies“ (Brotmerkel 2004). Die SüddeutscheZeitung traute dem Reiz der großen Zahlennicht und machte es konkret: „Sumpfhuhn inGefahr“ (Klein 2004). Am Rhein war man et-was beruhigter: „Bis 2050“, titelte der BonnerGeneralanzeiger, „könnten hunderte Tier- undPflanzenarten aussterben“1.

Diese Art der Berichterstattung alarmierteeine Reihe von Klimaforschern. Eine Gruppeaus Oxford äußerte die Besorgnis, die Medien-berichterstattung sei überaus gefährlich, weilsie eine bloße Schätzung als Gewissheit erschei-nen lasse. Dies berge Risiken für die Glaub-würdigkeit der Klimaforschung, sollte dieSchätzung der binnenwissenschaftlichen Vali-ditätsprüfung nicht standhalten. Die Gruppemachte Vorschläge, wie man einen – in ihrerWahrnehmung – sensationalisierenden, inakku-raten Medienrummel unterbinden könne. Diegroßen Zeitschriften sollten durch gesondertePressemitteilungen nunmehr auf solche Klima-studien hinweisen, in denen „clear and unequi-vocal findings“ abgedruckt seien. Im Übrigenforderten sie Wissenschaftler dazu auf, durchBriefe an betreffende Redaktionen Korrektu-ren fehlerhafter Berichterstattung einzufordern(Ladle et al. 2004).

(2) Am 8. Februar 2010 erschien in derFrankfurter Rundschau und dem Kölner Stadt-anzeiger ein Artikel, der den Geltungsanspruchzweier Aussagen im jüngsten Sachstandsbericht

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des Weltklimarates IPCC (2007: 50) über Afri-ka in Frage stellte. Weder für die Behauptung,dass 75 bis 250 Millionen Afrikaner infolgedes Klimawandels erhöhter Wasserknappheitausgesetzt seien, noch für die Behauptung, dasseinige Länder Afrikas infolge von Dürren mitbis zu 50 prozentigen Ernteausfällen zu rech-nen hätten, gebe es eine tragfähige wissenschaft-liche Basis (Meichsner 2010). Dies bewertetedie Journalistin als skandalös, auch weil dieBotschaften des IPCC von erheblichem Ein-fluss auf die politische Beurteilung der Lagein Afrika unter anderem durch die UN seien.

Dieser Artikel bzw. die darin enthaltenenVorwürfe an das IPCC, die auch von der Sun-day Times verbreitet wurden, kritisiertedaraufhin der Potsdamer Klimaforscher StefanRahmstorf in mehreren Beiträgen seines Blogs„KlimaLounge“ recht scharf.2 Im Großen undGanzen, so Rahmstorf, seien die Vorwürfe freierfunden. Die gesamte mediale Berichterstat-tung Ende 2009 und Anfang 2010 über tat-sächliche oder vermeintliche Fehler im IPCC-Bericht stellte er als Medienskandal dar, „indem einige Journalisten die Öffentlichkeit mitvöllig übertriebenen oder ganz erfundenen Pseu-do-Skandalen irregeführt haben. Viel zu vielesind ihnen dabei naiv und willig gefolgt, ohnedie Farce zu durchschauen“ (20.2.2010). Die-se Berichte hätten „die öffentliche Meinung(nach diversen Umfrageergebnissen) erheblichbeeinflusst und Zweifel an der Wissenschaftgesät. Und dabei geht es (...) um ein Thema,das für die Zukunft der Menschheit von zen-traler Bedeutung ist“ (26.4.2010). Der Artikelin der FR repräsentierte für Rahmstorf einBeispiel dafür, dass eine Journalistin dem kri-tiklos folge, was einzelne „Klimaskeptiker“ indie Welt setzten.

In einem Brief an die Frankfurter Rund-schau drängte er darauf, die aus seiner Sichtfehlerhafte Berichterstattung zu korrigieren.Tatsächlich distanzierte sich das Blatt – andersals der Kölner Stadtanzeiger – öffentlich vonseinem eigenen Bericht, obwohl die VorwürfeRahmstorfs im Wesentlichen substanzlos wa-ren. Der Fall erregte Aufsehen, weil Rahms-

torf seine Kritik an dem Artikel mit unwahrenBehauptungen über die Autorin des Artikels„würzte“, die geeignet waren, ihren Ruf zubeschädigen. Dafür wurde er vom LandgerichtKöln Anfang 2011 verurteilt.

Diese Einzelfälle machen einige wesentli-che Charakteristika der öffentlichen Klimade-batte deutlich (ausführlich Lehmkuhl 2006;Lehmkuhl 2011). Anstoß erregten im erstenFall der von einigen Wissenschaftlern als dra-matisierend empfundene Ton, die Ausblendungmethodisch bedingter Unsicherheiten und dieals unzulässig empfundene Vereinfachung derForschungsergebnisse. Dies ist typisch für dieDebatte: Oftmals werden mit großen Irrtums-vorbehalten getroffene wissenschaftliche Aus-sagen durch die Medien in einem Maß poin-tiert, das den Wissenschaftlern unangemessenerschien.

Auch der zweite Fall ist typisch: Hier wur-de durch eine Journalistin der gesellschaftli-che Geltungsanspruch zweier wissenschaftlicherAussagen bestritten. Und es wurden Zweifelan der Validitätsprüfung durch das IPCC geäu-ßert – einer Instanz, die ja im Gegenteil gera-de dafür sorgen soll, wissenschaftlich als gesi-chert geltende Wahrheitsbehauptungen zumThema Klima zusammenzutragen. Die Kritikder Journalisten gilt Wissenschaftlern – in die-sem Fall Stefan Rahmstorf –als riskant, weilsie die Glaubwürdigkeit des IPCC beschädi-gen und Zweifel am anthropogenen Klimawan-del befördern könnten.

In beiden Fällen zieht der Journalismus nurdeshalb die Kritik von Klimaforschern auf sich,weil er als hoch bedeutsam eingestuft wird. InAnlehnung an das Diktum Niklas Luhmanns(2009: 151), wonach wir nahezu alles, was wirüber die Welt wissen, aus den Massenmedienwissen, lässt sich bezogen auf das hier interes-sierende Thema präzisierend feststellen: DieVorstellungen der meisten Menschen über denKlimawandel, seine Existenz, Ursachen undFolgen dürften letztlich Ergebnis journalisti-scher Vermittlungsanstrengungen sein. Diesesummieren sich – vielfach gebrochen und ver-stärkt durch den direkten Austausch der Men-

Markus Lehmkuhl

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schen untereinander – zu einer nicht genaufassbaren, flüchtigen Einheit, die politisch imGewand einer „öffentlichen Meinung“ vonhoher Relevanz sein kann (Luhmann 1992).

Charakteristisch für solche Konflikte zwi-schen Klimaforschung und Journalismus istebenfalls, dass sie sich im Regelfall nicht aufdie Gesamtheit der journalistischen Klimabe-richterstattung beziehen, sondern auf eine un-systematisch erhobene, nicht näher bestimmtekleinere Anzahl von Berichten. Anhand weni-ger, selektiv ausgewählter Artikel wird die ge-samte Vermittlungsleistung des Journalismusbewertet und der einzelne Artikel so in seinerBedeutung systematisch überschätzt. Die Be-richterstattung wird ausgehend von Einzelfäl-len mit Merkmalen belegt, bei denen unklarist, ob es sich tatsächlich nicht lediglich umReproduktionen dessen handelt, was Klimafor-scher für medien-typisch halten.

Zugleich bleibt durch die Fokussierung derMedienkritik auf einzelne journalistische Pro-dukte der Blick auf die gesellschaftlichen Leis-tungen des Journalismus systematisch verstellt.Die lassen sich nur ungenügend beschreiben

durch den Bezug auf einzelne journalistischeProdukte. Stattdessen entfaltet Journalismusgesellschaftliche Thematisierungsleistungen vorallem dann, wenn er konsonant, d.h. zu einembestimmten Zeitpunkt ein Thema in einer Viel-zahl von Beiträgen aufgreift. Auch eine diffe-renzierte, unterschiedliche Perspektiven integrie-rende, diskursive Behandlung eines Sinnzusam-menhangs wird man höchst selten auf der Ebe-ne des einzelnen Artikels beobachten können.

Im Ergebnis lässt sich konstatieren, dassdie in konkreten Konfliktfällen durch die Fo-kussierung auf den Einzelfall zwangsläufigunsichtbar bleibende Leistung des Journalismustendenziell zu seiner Geringschätzung führt.Ein Ergebnis mag das Bestreben von Wissen-schaftlern sein, Journalismus kontrollieren, re-glementieren oder gar umgehen zu wollen.

Dies offenbart eine Ignoranz gegenüberEinsichten, die den Sozialwissenschaften ent-stammen. Darin sehe ich eine der wesentlichenUrsachen dafür, dass sich die Beziehungenzwischen Journalismus und Klimaforschungzuweilen in polarisierten Konflikten Bahn bre-chen.

Journalismus und Klimaforschung

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Erstens betrifft das die ausgeprägte Unfä-higkeit einzelner Klimaforscher, im Journalis-mus etwas anderes zu sehen als einen passivenVermittler von wissenschaftlichem Wissen aneine Laienöffentlichkeit. Entsprechend wirdJournalismus oft darauf verpflichtet, wissen-schaftliches Wissen und Forschungsbefunde indie Öffentlichkeit zu spiegeln respektive zuübersetzen. Dabei zeigen die Sozialwissenschaf-ten sowohl theoretisch als auch empirisch, dassdiese Sicht irreführend ist. Journalismus hateine Schlüsselrolle bei der gesellschaftlichenKonstruktion von Bedeutung. Er ist aktiverKonstrukteur, dessen Identität sich seiner Bin-dung an das Publikum verdankt (Kohring2005). Würde der Journalismus wissenschaftli-che Ergebnisse nur mit einer Vielzahl in derMethode begründeter Vorbehalte kommunizie-ren, wie im ersten Beispiel gefordert, setzte ersich der Gefahr aus, dass seine Botschaften ineiner Laienöffentlichkeit gar nicht mehr an-schlussfähig wären (Carvalho 2007).

Darüber hinaus zeugen die Beispielezweitens von einer Ignoranz gegenüber denMechanismen, die wissenschaftliche Botschaf-ten überhaupt zu massenmedialer Aufmerksam-keit verhelfen. Und dazu zählen ganz wesent-lich die Popularisierungsbemühungen der wis-senschaftlichen Zeitschriften, insbesondere der„high impact journals“ wie Nature und Sci-ence. Diese haben durchaus nicht nur Interes-se an „clear and unequivocal findings“, son-dern auch an möglichst spektakulären Resulta-ten, die ein bevorzugter Bezugspunkt für wis-senschaftliche Kritik sind, eben weil sie so spek-takulär sind (Franzen 2011a; Franzen 2011b).

Drittens ist die vorgeschlagene wissenschaft-liche Vorselektion von Resultaten, die risikolosöffentlich werden könnten, weil sie aus wissen-schaftlicher Sicht eindeutig sind, fragwürdig.Es setzte voraus, dass sich diese Eindeutigkeitmit Hilfe wissenschaftlicher Validitätsprüfungherstellen ließe. Und es setzt die Möglichkeitvoraus, dass Journalismus die so hergestelltewissenschaftliche Übereinkunft in seine Reprä-sentationen übernimmt, was ihn zu einem PR-Organ der Wissenschaft degenerieren ließe.

Viertens ignorieren die Vorschläge die grund-legende Problematik einer Medienkritik, diesich auf die „Fehler“ in der Berichterstattungkonzentriert. Die bestehen im Wesentlichendarin, dass die konsensuale Identifizierung vonFehlern im Regelfall unmöglich ist, sofern nichtlediglich einfache Faktenfehler in den Blickgenommen werden. Was als Fehler bezeichnetwird, hängt stark von der Perspektive ab, dieeingenommen wird. Unter anderem deshalbwurde in den Sozialwissenschaften Mitte der90er Jahre eine Abkehr von Ansätzen propa-giert, die unter dem Label der „Accuracy-Stu-dien“ zuvor dutzendfach durchgeführt wordenwaren (Evans/Priest 1995).

Als Quintessenz bleibt festzuhalten, dass sichin den geschilderten Konflikten zwischen Jour-nalismus und Klimaforschung eine Ignoranz dernaturwissenschaftlichen Klimaforschung gegen-über sozialwissenschaftlichen Einsichten offen-bart, die auch bezogen auf andere Zusammen-hänge beklagt worden ist, etwa die Politikbera-tung (von Storch/Stehr 2011) oder die natur-wissenschaftlich dominierte Definition des Kli-maproblems an sich, die Einflüsse sozialer Prak-tiken ausblendet (Hulme 2011).

Allerdings lassen sich Vorwürfe nicht nuran die Adresse der Klimaforschung richten. DerJournalismus bemüht sich aus meiner Sicht zuwenig darum, relevante Expertise aus den So-zial- und Geisteswissenschaften in die Klima-berichterstattung zu integrieren. Und nichtzuletzt sind die Sozialwissenschaften selbstnicht ausreichend bestrebt, ihren Einsichtengesellschaftliche Geltung zu verschaffen.

Markus Lehmkuhl ist Sozialwissenschaft-ler und Journalist und arbeitet am Forschungs-zentrum Jülich und der Freien Universität Ber-lin. Kontakt: [email protected]

Anmerkungen1 Bonner Generalanzeiger vom 8. Januar 2004: 32.2 http://www.scilogs.de/wblogs/blog/klima-

lounge/medien-check/2010-02-20/fehler-im-ipcc-bericht (16.11.2011).

Markus Lehmkuhl

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Gamson, W. 1999: Beyond the Science-Versus-Advocacy Distinction. In: ComtemporarySociology, Jg. 28, Heft 1, 23-26.

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Journalismus und Klimaforschung

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„Hacktivism“? Online-Medien und Social Media als Instrumenteder Klimakommunikation zivilgesellschaftlicher AkteureMike S. Schäfer

1 | Klimapolitik als kommunikativeHerausforderung

Anthropogener Treibhausgasausstoß, steigen-de globale Durchschnittstemperaturen, das 2-Grad-Ziel, der CO2-Zertifikatehandel, das Ky-oto-Protokoll – der menschengemachte Klima-wandel und die Kosten und Effekte der gesell-schaftlichen Bearbeitung seiner Folgen liegenfür viele Deutsche weitab ihrer konkreten Le-benswelt. Klimawandel und Klimapolitik sindoftmals nicht unmittelbar wahrnehmbar underreichen die Menschen daher vornehmlich alskommunikative Konstruktionen. 1

Bei der Entstehung dieser Konstruktionenspielt interpersonale Kommunikation allerdingseine bemerkenswert geringe Rolle. Zwar ha-ben Menschen durchaus eigen(willig)e Vorstel-lungen zum Klimathema (Weber 2008), abersie bilden sich diese Vorstellungen offensicht-lich vor allem auf der Basis medial erhaltenerInformationen. So ergab eine repräsentativeBefragung von 3.000 Deutschen, die 2010 amHamburger KlimaCampus durchgeführt wur-de,2 dass Medien und gerade Fernsehen, Ra-dio, Zeitungen sowie Nachrichtenmagazinehäufiger als klimabezogene Informationsquel-le dienen als Kontakte zu Familie und Freun-den, und dass sich die Befragten bei diesemThema auch eher auf Medienquellen verlassenals auf interpersonale Kontakte (s. Abbildung1 und 2, ähnliche Ergebnisse finden sich inStamm et al. 2000, Synovate 2010).

Medien sind also wichtig für die Klima-kommunikation, und innerhalb des Medienspek-trums stellen bisher vor allem Massenmedienwie Fernsehen, Radio und Printmedien die zen-tralen Quellen dar. Allerdings haben „neue“

bzw. Online-Medien in den vergangenen Jah-ren in mehrerlei Hinsicht aufgeschlossen. All-gemein und über das Klimathema hinaus wer-den sie bereits heute von großen Bevölkerungs-teilen intensiv und zunehmend genutzt. 2003nutzte in Deutschland erstmals mehr als dieHälfte der Bevölkerung das Internet, seitherist dieser Anteil jährlich gewachsen und lag2011 bereits bei 73,3%. Die Nutzungsdauerwuchs ebenfalls kontinuierlich auf aktuell 137Minuten pro Tag. Längst sind Online-Medieneine relevante Quelle für politische Informati-onen: 61% nutzten 2011 das Internet, um sichüber aktuelles Geschehen im In- und Auslandzu informieren (alle Zahlen aus der ARD-ZDF-Onlinestudie.de 2011).

Online-Medien und insbesondere so genann-te Social Media (auch als „Web 2.0“ bekannt)haben zudem ein Wirkungspotenzial, das inmancherlei Hinsicht über jenes „alter“ Mas-senmedien hinaus geht. Das zeigt sich deut-lich beim Klimathema: Die althergebrachtenMassenmedien erreichen zwar ein relativ gro-ßes Publikum zu diesem Thema, zugleich blei-ben ihre Wirkungen aber beschränkt. Studienzeigen, dass Massenmedien in der Lage sind,Umwelt- oder Klimathemen auf die Agendades Publikums oder der Politik zu setzen (z.B.Arlt et al. 2011, Sampei/Aoyagi-Usui 2009)und themenspezifische Informationen zu ver-mitteln (z.B. Taddicken/Neverla 2011, Stammet al. 2000). Aber von Massenmedien angesto-ßene Meinungs- oder Verhaltensveränderungenlassen sich kaum zeigen. Hans Peter Peters undHarald Heinrichs begründen dies damit, dassmassenmediale Inhalte vom Publikum mit des-sen persönlichen Erfahrungen, Einstellungen,politischen Orientierungen und sozialen Kon-

Themenschwerpunkt

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texten abgeglichen und bei mangelnden Über-einstimmungen eher verworfen als übernom-men werden. Das „persuasive Potenzial“ vonMassenmedien sei beim Klimathema, so dieAutoren, eher gering (Peters/Heinrichs 2005:bes. 153ff.).

Online-Medien haben gegenüber Massen-medien den Vorteil, dass sie nahezu unbegrenz-ten Raum sowie multimediale und interaktiveGestaltungsmöglichkeiten bieten. Und in So-cial Media – also bei Weblogs, Wikis, sozialenNetzwerken wie Facebook, Video- und Foto-

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Abbildung 1:Wie oft erfahren Sie aus den folgenden Informationsquellen etwas über den Klimawandel?

Abbildung 2:Auf welche dieser Informationsquellen würden Sie sich im Zweifelsfall am stärksten verlassen?

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sharing-Communities wie YouTube oder Flickrusw., bei denen User zu Produzenten („Produ-ser“) werden und Inhalte austauschen – kommtein weiterer Vorteil hinzu: Informationen undMeinungen werden im Rahmen von Gemein-schaften vermittelt, zu denen Menschen selbstbeitragen und sich zugehörig fühlen können,in denen nicht nur fachliche, sondern auchsoziale Informationen ausgetauscht werden undin denen vielfältige Formen des wechselseiti-gen Austauschs möglich sind. Social-Media-Kommunikation ist face-to-face- Kommunika-tion damit ähnlicher als massenmediale Kom-munikation. Und dies birgt ein starkes Wir-kungspotenzial, denn eine Reihe von Studienzeigen, dass derartige Kommunikation besserdazu geeignet ist, um Informationen mit Rele-vanz zu versehen (z.B. Kiesler et al. 1984,Straus 1997) und möglicherweise auch Verhal-tensänderungen zu induzieren.

2 | Online-Medien und Klimabewegung

Angesichts dieser Vorteile stehen Online-Medi-en im Mittelpunkt der Klimakommunikationvieler gesellschaftlicher Akteure. Das gilt fürUnternehmen und Politik, wenn sie etwa wieVattenfall Online- und Offline-Petitionen ein-setzen, um gegenüber politischen Entschei-dungsträgern ihren Rückhalt in der Bevölke-rung zu demonstrieren. Dies gilt aber auch -und insbesondere – für soziale Bewegungen.Denn bei ihnen handelt es sich um „schwa-che“ (Neidhardt 1994: 34) Akteure in demSinne, dass sie üblicherweise über wenigerRessourcen, Kontakte und Einfluss verfügenals andere gesellschaftliche Organisationen.Daher sind sie stärker auf die Mobilisierungöffentlicher Meinung angewiesen, um ihreZiele realisieren zu können. Und für viele vonihnen stellen die niedrigen Kosten sowie diePotenziale einer schnellen und weiten Verbrei-tung von Informationen via Internet starkeAnreize für eine online-orientierte Kommuni-kation dar.

Entsprechend ist Online-Kommunikationein Teil des kommunikativen Portfolios fast

aller sozialen Bewegungen. Es gibt zwar nurwenige Organisationen, die wie das 2007 ge-gründete Kampagnen-Netzwerk „Avaaz“(www.avaaz.org) ausschließlich auf Online-Kom-munikation setzen. Aber für so gut wie alleBewegungen – im Klimabereich und darüberhinaus – spielt die Kommunikation über dasInternet oder Social Media heute eine Rolle.Das zeigen breit angelegte Befragungen undKommunikationsanalysen in den USA undKanada (Greenberg et al. 2011), den Nieder-landen (Brunsting/Postmes 2002), Australien(Hall/Taplin 2008) oder bei transnationalenNGOs (Seo et al. 2009).

Allerdings nutzen unterschiedliche Bewe-gungen Online-Medien für sehr unterschiedli-che Zwecke. Diese lassen sich in den drei Di-mensionen Informieren, Aktivieren und Vernet-zen bündeln.

Informieren:Zunächst einmal nutzen viele Umwelt- undKlima-NGOs ihre Internet-Auftritte, um Infor-mationen zur Verfügung zu stellen – über sichselbst, die eigenen Themen und Ziele sowieüber vergangene, laufende und künftige Eventsund Aktionen. Verbunden mit der Möglich-keit, online eine (wenigstens von der techni-schen Warte her) nahezu unbegrenzte Mengean Informationen verfügbar machen und mul-timedial darbieten zu können, liegt auch einVorteil darin, dass die bereit gestellten Infor-mationen inhaltlich auf spezifische Zielgrup-pen zugeschnitten werden können.

Die Zielgruppe, die die meisten Umwelt-und Klima-NGOs dabei offensichtlich als amrelevantesten empfinden, ist aber interessanter-weise eine ganz andere, als es hochfliegendeHoffnungen auf eine Demokratisierung deröffentlichen Debatte durch das Internet erwar-ten lassen: Journalisten resp. Massenmedien.Viele Kommunikationsbemühungen von Klima-Gruppen nutzen das Internet nur als zusätzli-chen Kommunikationskanal neben Pressemit-teilungen, Pressekonferenzen usw., um traditi-onelle Massenmedien wie Zeitungen, Radiooder Fernsehen anzusprechen. So zeigt Jungmi

Mike S. Schäfer

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Jun (2011) in seiner Untersuchung von 60 zi-vilgesellschaftlichen „climate change organiza-tions“, dass die große Mehrheit (61,7%) ihreInternet-Auftritte vor allem dafür nutzt, um invirtuellen „news rooms“ oder „press rooms“Informationen für Medien anzubieten. In ähn-licher Weise demonstrieren Libby Lester undBrett Hutchins (2009), dass große australischeUmweltorganisationen wie Greenpeace Austra-lia oder die Wilderness Society ihre Kommuni-kationsbemühungen sowohl online als auchoffline vor allem darauf ausgerichtet haben,massenmediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.Zudem demonstrieren die Autoren, dass diegenannten Organisationen auch den Erfolg ihrerOnline-Kommunikation daran messen, wie vielmassenmediale Präsenz sie auf diese Weise ge-nerieren konnten. Ähnliche Ergebnisse findensich in vielen anderen Studien (z.B. Cottle2008, Kavada 2010).

Die im Internet ebenfalls verfügbaren undüber tradierte Pressearbeit hinaus gehendenPotenziale von Social Media werden dagegendeutlich seltener genutzt. Aber es gibt sie –etwa in Form der vielen existierenden Klima-Blogs (vgl. die Beiträge von Roger Pielke jr.und Werner Krauss in diesem Heft). Zudemwurde auch deutlich gemacht, wie Organisati-onen zum Beispiel den Microblogging-DienstTwitter bei Umwelt- und Klimathemen nut-zen: Während sie damit zunächst nur kurzeMitteilungen an viele verstreute Empfängersenden, können diese Empfänger im nächstenSchritt die gleiche Nachricht weiter schickenund damit einen Schneeballeffekt erzielen(Mooney et al. 2009).

Aktivieren:Mit derartigen Informationsbemühungen isthäufig ein Handlungsanstoß verbunden: Bewe-gungen setzen Online-Medien ein, um Men-schen von etwas zu überzeugen und zu An-schlusshandlungen zu motivieren.

Eine erste – und recht diffuse – Zielgruppeist dabei die breitere Öffentlichkeit. VieleUmwelt- und Klima-Bewegungen versuchen,diese zu einer Reduktion umwelt- oder klima-

schädlichen Verhaltens zu animieren, Menschenalso beispielsweise davon zu überzeugen, weni-ger oft mit dem Auto zu fahren oder in denUrlaub zu fliegen, privat und beruflich Ener-gie zu sparen, lokale Produkte zu kaufen, ih-ren Stromanbieter zu wechseln usw. DiesesAnliegen kommunizieren sie üblicherweise überInternetseiten, auf denen sie teils aber nichtnur Informationen vermitteln, sondern gleichdirekte Handlungsangebote machen – wie etwaGreenpeace, die online über eine Schwesteror-ganisation den Abschluss eines Energieversor-gungsvertrages anbietet (unter www.greenpeace-energy.de). Mitunter kommen aber auchinnovative(re) Formen der Kommunikation zumEinsatz, die zur Aktivierung einer breiterenÖffentlichkeit das spezifische Potenzial vonSocial Media zu nutzen versuchen. Ein Bei-spiel ist die US-amerikanische Facebook-App(lication) „Global Warming’s Six Ameri-cas“, die Nutzer des sozialen Netzwerkszunächst Fragen über ihre Einstellungen zumKlimawandel beantworten lässt und sie aufdieser Basis einem der sechs Einstellungstypenzum Thema Klimawandel zugeordnet, die einTeam um Anthony Leiserowitz (2010) beschrie-ben hat („alarmed“, „concerned“, „cautious“,„disengaged“, „doubtful“, „dismissive“). An-schließend erhalten die Nutzer über FacebookVorschläge für Verhaltensänderungen, die anihr persönliches Profil angepasst sind. Ähnlicharbeitet die „Student switch off“-Initiative, diemit passgenauen Hinweisen auf Facebook-Sei-ten dafür sorgen will, dass in britischen Stu-dentenwohnheimen häufiger Licht und Hei-zungen ausgeschaltet werden (O’Neill/Boykoff2011: 244f.).

Neben einer Änderung des umwelt- bzw.klimabezogenen Verhaltens versuchen vieleOrganisationen, Unterstützung für die eigeneSache einzuwerben – durch den Abschluss ei-ner Mitgliedschaft, zu der häufig direkt onli-ne Gelegenheit gegeben wird, bzw. durch fi-nanzielle Unterstützung, die mittels Online-Appellen (Ward et al. 2003: 654), speziellenWebsite-Bereichen für Spenden (Jun 2011) oderMerchandising-Verkäufen (Costanza-Chock

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2003: 175) ebenfalls direkt im Internet bewor-ben wird.

Zudem versuchen sie, Sympathisanten undUnterstützer zur Teilnahme an konkreten, eherkurzfristigen Aktionen zu bewegen. Häufigzielt die Online-Kommunikation dabei nurmittelbar auf die breite Öffentlichkeit. Sie ver-sucht stattdessen, durch den Einsatz von Pro-testaktionen, eMail-Petitionen, Sammelbriefenund Ähnlichem Druck auf Entscheidungsträ-ger vornehmlich aus Politik und Wirtschaftauszuüben. Gloria Fanenbruck (2010) zeigtetwa, wie unterschiedliche zivilgesellschaftlicheOrganisationen neue Medien nutzten, um denKlima-Protestmarsch „The Wave“ im Dezem-ber 2009 in London zu organisieren. Dabeikamen, besonders bei ressourcenstarken NGOswie Oxfam oder Action Aid, aufwändige So-cial Media-Strategien zum Einsatz, mit derenHilfe mehrere zehntausend Menschen für dieProteste aktiviert wurden. Andere Beispiele sindviral verbreitete YouTube-Videos, wie sie dieradikal kapitalismuskritische „Never Trust aCOP“-Initiative zur Mobilisierung zu konfron-tativen Widerstandsaktionen einsetzt (Askani-us/Uldam 2011), oder die Facebook-Nutzer-gruppe „We want facebook to use 100% re-

newable energy“, die die Betreiber des sozia-len Netzwerks zu einer Umstellung ihrer Ener-gienutzung bewegen will. Eine gängige Akti-onsform sind Online-Unterschriftensammlun-gen wie die „Seal the Deal Petition“ zum Welt-klimagipfel 2009 in Kopenhagen (www.sealthedeal2009.org), zu der es auf nationalerbzw. regionaler Ebene zahllose Äquivalentegibt. Mittlerweile sind diese Aktionen auchoft miteinander verlinkt, und es sind Internet-Plattformen entstanden, welche die Beteiligungan persuasiven Aktionen professionell organi-sieren. Ein einschlägiges deutsches Beispiel ausdem (erweiterten) Klimabereich ist Greenac-tion (www.greenaction.de), eine von Green-peace organisierte „Kampagnen-Community“,die den Nutzern unkompliziert die Möglich-keit bieten will, sich an mehreren verschiede-nen Aktionen zu beteiligen.

Daneben gibt es schließlich Gruppen, diedas Internet nicht nur als Mittel verstehen,um offline Wirkungen zu erzielen – also dasVerhalten von Menschen zu ändern, Unterstüt-zer zu gewinnen oder Entscheidungsträger zubeeinflussen –, sondern deren Ziele selbst imInternet zu verorten sind. Dieser „Hacktivism“(z.B. Gunkel 2005) setzt oftmals auf „confron-

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tational action“ (Brunsting/Postmes 2002:526). Ein Beispiel aus dem Feld des Klimaakti-vismus ist die gezielte Störung der Online-Prä-senz der CO2-Zertifikate-Handelsbörse „Euro-pean Climate Exchange“. Hacker ersetztenderen Internetseite am 23. Juli 2010 für fast24 Stunden mit einer gefälschten Präsenz, diemit dem ironischen Werbespruch „Super Pro-mo – Climate on Sale: Guaranteed Profit!“ aufdie Problematik des Emissions-Zertifikate-Han-dels hinweisen sollte (s. Abb. 3). Auch derunter dem Schlagwort „Climategate“ bekanntgewordene Diebstahl der eMail-Korrespondenzeiniger Klimawissenschaftler der britischenUniversity of East Anglia im November 2009,dessen Urheber bis heute nicht bekannt sind,wird von einigen Kommentatoren einer klima-skeptischen Gruppe zugerechnet, die daraufgezielt habe, die kurz darauf stattfindendeWeltklimakonferenz COP 15 in Kopenhagenzu torpedieren.

Vernetzen:Zudem lässt sich das Internet – naheliegenderWeise – auch als ideales Instrument zur Vernet-zung von Gruppen und Organisationen nut-zen. Eine erste Variante dessen ist die Vernet-zung von einzelnen Organisationen, die sichonline unter gemeinsamen Dachmarken zusam-menfinden. Auf globaler Ebene gibt es mehre-re (untereinander teils ebenfalls miteinandervernetzte) Online-Plattformen, die einzelnenUmwelt- und Klima-Gruppen die Möglichkeitregionen- oder länderübergreifender Koordina-tion und Kooperation bieten. Eine der sicht-barsten Plattformen dieser Art ist sicherlichdie über 300 NGOs aus unterschiedlichen Län-dern umfassende Internetpräsenz tcktcktck(www.tcktcktck.org), hinter der die GlobalCampaign for Climate Action steht. Eine ähn-liche Plattform auf nationaler Ebene ist diebritische Stop Climate Chaos Coalition(www.stopclimatechaos.org), in der sich mehrals 100 Gruppen von Klima-Aktivisten zusam-mengefunden haben.

Eine zweite Variante sind Plattformen, dienicht primär zivilgesellschaftliche Organisatio-

nen, sondern Individuen miteinander in Kon-takt bringen wollen und dazu Social Media-Instrumente einsetzen, die es ihren Mitgliedernoder Interessenten ermöglichen, sich mit Gleich-gesinnten auch für Aktionen außerhalb desInternet zusammen zu finden. Dies ermögli-chen nahezu alle Plattformen zumindest amRande – auch tcktcktck oder die Stop ClimateChaos Coalition haben beispielsweise eigeneSeiten auf Facebook, die individuelle Kontakt-aufnahme möglich machen. Aber diese Funkti-on steht bei einigen Organisationen deutlichstärker im Mittelpunkt als bei anderen. Einentsprechendes Beispiel ist das global agieren-de Netzwerk OneClimate.net (www.oneclimate.net), das sich explizit als Entwick-ler medialer Community-Werkzeuge präsentiertund Klimaaktivisten eine entsprechend elabo-rierte Online-Community bietet. Mitgliederkönnen sich mit Ortsangaben und Postleitzah-len anmelden und werden vom System auto-matisch auf Gleichgesinnte sowie klimabezo-gene Veranstaltungen und Aktionen in derUmgebung hingewiesen. Zudem ermöglichtOneClimate den Austausch der Community-Mitglieder untereinander (s. Abb. 4). Ein deut-sches Beispiel ist die WWF Jugend (www.wwf-jugend.de/community), auf deren Seite sichJugendliche mithilfe individueller Profile dar-stellen, nacheinander suchen und ebenfallsonline vernetzen können.

Schließlich gibt es eine dritte Form vonAktivitäten, die wiederum Überlappungen zuden eben genannten Formen aufweist, derenSchwerpunktsetzung aber noch einmal eineandere ist: Plattformen, die weniger die Ver-netzung im Internet fördern wollen, sondernvor allem auf eine Vernetzung und Wirksam-keit außerhalb des Internet zielen und dafürElemente sozialer Netzwerke nutzen. Auch diesist bei Seiten wie tcktcktck oder OneClimatedurchaus möglich und erwünscht, steht aberanderswo viel stärker im Vordergrund. BestesBeispiel dafür sind die stark durch Social Me-dia unterstützten Kampagnen, die Al Gore imAnschluss an seinen Film „An InconvenientTruth“ ab 2006 in den USA und seitdem auch

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in einer Reihe anderer Länder initiierte (vgl.Nisbet/Kotcher 2009: 341ff.): „The ClimateCampaign“ (ab 2006), die „We Campaign“ (ab2008) und das heute noch aktive „ClimateReality Project“ (http://climaterealityproject.org). Diese Kampagnen starteten mit dem Ziel,Meinungsführer, d.h. in ihren Communitiesmöglichst einflussreiche Personen dafür auszu-bilden, eine Version der im „InconvenientTruth“-Film und in den Vorträgen Al Goresverwendeten Klimawandel-Präsentation in lo-kalen Settings zu halten. Mehrere tausend Per-sonen erhielten seit 2006 ein entsprechendesVortragstraining, an dem in der Regel auch AlGore persönlich teilnahm, und bekamen an-schließend Zugang zu einer – für andere ver-schlossenen – Internet-Community. Dort konn-ten sie Vortragserfahrungen und Probleme so-wie veränderte Präsentationsvarianten austau-schen, erhielten wöchentliche eMails mit wei-teren Informationen und motivierenden Wor-ten nebst Ratschlägen von erfahrenen Rednernzur Verbesserung ihrer Präsentationen. DieOnline-Plattform der Kampagnen wurde imVerlauf der Zeit immer wichtiger und zuneh-mend ausgebaut – mit Möglichkeiten, an Peti-tionen teilzunehmen, Videosharing-Optionen

und einer immer elaborierteren Social-Networ-king-Komponente inklusive eines Belohnungs-systems, bei dem Nutzer, die eine bestimmteZahl Freunde ins Netzwerk einbrachten, denStatus von „We Leaders“ oder „Climate Cham-pions“ verliehen bekamen.

3 | Der Weg nach Vorn

Die Klima-Debatte wird schon jetzt in hohemMaße medial und – wie die vielfältigen Bei-spiele zeigen – in signifikantem Umfang inOnline-Medien ausgetragen. Und es wäre mög-lich, dass der Umfang und die Polarisierungdieser Debatte in den nächsten Jahren nochsteigen, wenn im Zentrum des Streits nichtmehr vorrangig die wissenschaftliche Basis fürdie Diagnose eines menschengemachten Kli-mawandels steht, sondern es um die (Um)Ver-teilung der Kosten für internationale Treib-hausgas-Reduktionsbemühungen, für Klima-schutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern,für den Umgang mit Klimaflüchtlingen oderdie Folgen durch klimatische Entwicklungenverschärfter gewaltsamer Konflikte geht.Spätestens dann werden die Interessen undRessourcen vieler gesellschaftlicher Akteure

Mike S. Schäfer

Abbildung 4

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tangiert, die sich daraufhin öffentlich und on-line engagieren werden.

Entsprechend wichtig sollten zivilgesell-schaftliche Organisationen den Einsatz vonOnline-Medien und Social Media nehmen. Zwargehören Internetauftritte und -aktionen bereitszum Handlungsrepertoire vieler zivilgesellschaft-licher Akteure. Die Zusammenstellung der ein-schlägigen Aktivitäten im Klimabereich hataber gezeigt, dass das Gros der Organisatio-nen und Aktionen nach wie vor im Wesentli-chen auf traditionelle Formen der Pressearbeitsetzt, die sie lediglich in das Internet verpflanztoder durch das Internet unterstützt. Für vieleGruppen stellen Massenmedien nach wie vordie zentralen Zielgruppen dar, die über Inter-netseiten anzusprechen versucht werden. Da-mit wird die einfachste und kostengünstigste,aber auch die wohl am wenigsten durchschlags-kräftige Form der Online-Kommunikation – diePräsentation von Informationen via Internet-seiten – am häufigsten genutzt.

Umgekehrt werden die vermutlich am stärks-ten persuasiv und mobilisierend wirkenden Wegeder Online-Kommunikation, die stärker auf Ele-mente von Social Media setzen, vernachlässigt.Das hat sicherlich handfeste Gründe – immerhinsind Internetseiten deutlich schneller vorberei-tet als aufwändigere Online-Aktivitäten, die ebenauch ein gehöriges Maß an Ressourcen undKnow-How erfordern. Aber die Organisationender Klima-Bewegung – und auch darüber hin-aus – sollten sich das Potenzial diese Kommuni-kationsformen vergegenwärtigen. Wenn es ge-lingen sollte, die weitreichenden Hoffnungenin das demokratisierende und mobilisierendePotenzial des Internet zumindest teilweise ein-zulösen, dann bieten Social Media momentanden wohl besten Ort dafür. Auch deswegen istdavon auszugehen, dass diese Instrumente künf-tig wichtiger und weiter ausgebaut werden, weilsie sich für deutlich mehr Zwecke einsetzen las-sen als ‚herkömmliche‘ Internetseiten. Dies wer-den aber auch andere Interessensgruppen fürsich entdecken – etwa politische Institutionen,Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungenusw. bis hin zu so genannten „Klimaskeptikern“

(O’Neill/Boykoff 2011: 246f.). Schon diesewachsende Konkurrenz sollte viele Bewegungenzum Nachdenken über mögliche Erweiterungeneigener Online-Strategien ermuntern.

Flankiert werden sollten diese Bemühungenim Bereich der – vor allem Social Media-ge-stützten – Online-Kommunikation durch eineIntensivierung der sozialwissenschaftlichen Er-forschung dieses Bereichs. Gerade über die län-gerfristigen Wirkungen von Online- und So-cial Media weiß man noch zu wenig, weil dieentsprechende Forschung bis jetzt zuwenig Zeithatte, um klare Ergebnisse zu produzieren. Esgibt also noch Forschungsbedarf, und geradeim Verbund mit sozialen Bewegungen wäre essinnvoll, diesen einzulösen.

Dr. Mike S. Schäfer ist Juniorprofessor amInstitut für Journalistik und Kommunikations-wissenschaft der Universität Hamburg und lei-tet die Forschungsgruppe „Media Constructionsof Climate Change“ am Bundesexzellenzclus-ter „CliSAP“. Kontakt: [email protected].

Anmerkungen1 Ich danke Sarah Pleger, Jochen Roose, An-

dreas Schmidt und Inga Schlichting für hilf-reiche Kommentare zu diesem Artikel.

2 Die Studie wurde im Rahmen des von derDeutschen Forschungs-Gemeinschaft geför-derten Bundes-Exzellenzclusters „IntegratedClimate System Analysis and Prediction (Cli-SAP)“ (Fördernummer EXC 177) an derUniversität Hamburg gefördert. An ihr ha-ben neben dem Autor auch Anita Engels,Herrmann Held, Otto Hüther, Irene Never-la, Beate Ratter and Monika Taddicken mit-gearbeitet.

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„Hacktivism“? Online-Medien und Social Media als Instrumente ...

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Mike S. Schäfer

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Experten in Blogs. Positive und negative AspekteRoger Pielke Jr.

2004 verlangte ich von den Studierendeneines Seminars zu science and technology po-licy ein kreatives Abschlussprojekt. Ein Stu-dent schlug vor, einen Blog zum Seminarthe-ma anzulegen, der auch von unserem For-schungszentrum genutzt werden könnte. In-ternetblogs waren mir damals kaum ein Be-griff – und mein Eindruck war, dass der Stu-dent sich mit dem Projektvorschlag eher vorernsthafter Arbeit drücken wollte.

Acht Jahre später betreibe ich selbst zweiBlogs, einen zum Themenfeld Wissenschaft,Politik und Innovation, den anderen zu Sport-politik. Beide sind heute ein unentbehrlicherTeil meines täglichen Forschens und Lehrens.In den vergangenen Jahren beschäftigte sichmein Wissenschaftspolitik-Blog schwerpunktmä-ßig mit Klimaforschung und Klimapolitik. Er

wurde für mich zu einer wichtigen Quelle indiesem Themenbereich und war unerlässlichfür die Arbeit an meinem letzten Buch TheClimate Fix: What Scientists and PoliticiansWon’t Tell You About Global Warming.

Trotzdem das Bloggen ein außerordentlichdankbarer und produktiver Teil meines For-schens und Schreibens geworden ist, gibt esauch Kehrseiten. Wenn sich Experten in Blogsäußern, hat dies meines Erachtens nach immereine Reihe Vor- und Nachteile. Im Folgendenwerde ich einige davon, am Beispiel des vielbe-achteten und kontrovers diskutierten Klima-themas, diskutieren.

Ein Blog ist zunächst einmal nicht mehr alsein öffentliches Notizbuch. Anfang 2012 liste-te Technorati, eine Blog-Suchmaschine,insgesamt 1.290.260 Blogs auf (mein Wissen-

Themenschwerpunkt

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schaftsblog rangierte damals unter den besten0,1% der dort gelisteten Blogs). Viele Men-schen nutzen Blogs, um ihre persönlichen Er-fahrungen, ihr Familienleben und ihre Meinungzu teilen. Zunehmend werden Blogs jedochauch von Wissenschaftlern sowie anderen Ex-perten genutzt, um ihre Arbeit und ihre Pers-pektiven zu kommunizieren. Vor der Entwick-lung des Internets zum sozialen Medium wur-den Expertenansichten überwiegend durch dieLeserbriefseiten der führenden Zeitungen ver-breitet. Heutzutage kann gewissermaßen jedereine Leserbriefseite erstellen und sie in dergesamten Welt verbreiten.

In zahlreichen Forschungsbereichen sindBlogs zu einem wichtigen und auch politischrelevanten Forum der wissenschaftlichen De-batte geworden. Der US Chronicle of HigherEducation beispielsweise berichtete, dass in derBloggerszene viele wichtige ökonomische The-men in Echtzeit diskutiert würden: „Now de-bates that once took place in conferences orclassrooms are carried out publicly and can bepreserved and indexed. And, because of theconventions of blogging, economists’ thoughtsare expressed in far more accessible prose thanis typically found in scholarly journals.“1 DerEconomist argumentiert, dass das Bloggen zuökonomischen Themen eine Plattform für Ideenaußerhalb des Mainstreams geboten habe, waszu einer Wiederbelebung der Debatte führteund neue Denkansätze stimulierte.2

Aber nicht alle sind glücklich mit dieserEgalisierung des intellektuellen Spielfeldes.Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger undAutor einer vielgelesenen Kolumne in der NewYork Times (für die er auch einen ebenso gutfrequentierten Blog schreibt) beispielsweisebefürchtet eher, dass Blogs eine aggressive, vonVorurteilen geprägte Haltung in die Debatteeinbringen, wenn er erklärt: „[T]here is no suchthing in modern America as a pundit respectedby both sides. [And] there are people writingabout economic issues who are a lot less con-frontational than I am; how often do you hearabout them?“3 Starke Persönlichkeiten, gele-gentlich unzivilisierte und oft hochtheoretische

Diskurse sowie teilweise obskure Themen ver-leihen der von Experten dominierten Blogger-szene ein gewisses Wild-West-Flair, bei demman nur dann einen Saloon betreten sollte,wenn man sich bereit fühlt für das, was dortpassieren kann.

Meiner Erfahrung nach gibt es kein The-ma, das in der Blogosphäre mit mehr Leiden-schaft diskutiert wird und mehr Einfluss aufdie Debatte außerhalb dieser Sphäre hatte alsder Klimawandel, insbesondere seit 2005. Leiderist es im Nachgang der Kopenhagener Klima-konferenz von 2009, die in Bitterkeit undUnsicherheit endete, ruhiger um das Themageworden. Zwar mag das Thema innerhalb derBloggerszene nach wie vor intensiv diskutiertwerden, seine Verankerung in der allgemeinenöffentlichen Debatte ist seitdem jedoch deut-lich weniger stark. Meine Erfahrung als ehermoderater Klimablogger, der teils in vielbe-achtete Debatten involviert war, bot mir den-noch ein Training unter verschärften Bedin-gungen und hielt interessante Lektionen be-züglich des Bloggens von Experten für michbereit.

1 | Drei positive Aspekte des Bloggen inder Klimadebatte

Blogs helfen, einen öffentlichen Dialog mitExperten in die Praxis umzusetzen.Blogs bieten einen direkten und unmittelba-ren Mechanismus, um Wissenschaftler undandere Experten mit einer größeren Gemein-schaft in Kontakt zu bringen. Für diejenigen,die eine intensivere Verbindung von Expertenund Öffentlichkeit wünschenswert finden,waren und sind Blogs insofern eine wichtigeNeuerung. Ein frühes und prominentes Bei-spiel eines solchen Blogs ist RealClimate.org,der von einer international zusammengesetz-ten Gruppe von Atmosphärenforschern ausWissenschafts- und Regierungskreisen betreutwird. Das Feld ist gewachsen und inzwischennehmen viele Experten aus Wirtschaft, Politiksowie den Natur- und Sozialwissenschaften die

Roger Pielke Jr.

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Gelegenheit wahr, ihre Forschung in der Blog-gerszene zu kommentieren und sich an politi-schen Diskussionen zu beteiligen. Heutzutagegibt es Dutzende von klimabezogenen Blogs,die von Experten betrieben werden. Der Ein-bezug solcher Stimmen hat nicht nur die Ver-netzung zwischen Experten erleichtert, er hatauch die Bandbreite der verfügbaren Informa-tionen zum Klimathema erweitert, differenziertund kontroverser gestaltet.

In ihrer Gesamtheit sind Blogs eine unschlag-bare Informationsquelle für diejenigen Exper-ten, die in der Lage sind, komplexe und wi-dersprüchliche Informationen sinnvoll zunutzen.Experten wie politische Entscheidungsträger,Journalisten und Wissenschaftler (egal ob an-erkannt oder nicht) produzieren nicht nur Blog-inhalte, sie konsumieren sie auch. Meine Er-fahrung ist, dass Blogs eine bessere Quelle fürgute Forschungsideen bieten als wissenschaft-liche Zeitschriften, Konferenzen oder E-Mail-listen. Blogs ersetzen diese anderen Kommuni-kationsmittel nicht, stellen jedoch eine sinn-volle Ergänzung dar. Im Rahmen meiner For-schung konsultiere ich täglich viele Blogs. Siewaren unschätzbar wertvoll bei der Arbeit anmeinem Klimabuch und leisten derzeit einenwertvollen Beitrag bei meinen Forschungen zumThema Innovation. Auch im Unterricht nutzeich Blogs als effektive Ergänzung der For-schungsliteratur, weil sie oft besser zugäng-lich und unterhaltsamer sind als die üblichenLehrbücher und wissenschaftlichen Artikel.

Blogs bieten einen umfassenden Überblicküber die Argumente einer Diskussion – sub-stantielle, logische, politische etc.Es gibt eine Menge Rauschen und viele unzu-verlässige Informationen im Internet – auch invielen Blogs. Einem Experten, mit der Fähig-keit, Argumente, Behauptungen, Daten undMethoden unabhängig zu bewerten, könnenBlogs jedoch als reichhaltige Ressource dienen,die sich durch ein hohes Maß und eine großeBandbreite an Beteiligung sowie einzigartige

Schnelligkeit auszeichnet. Schließlich umfasstein einfaches peer-review-Verfahren, mit demZeitschriften die Güte eines wissenschaftlichenArtikels bewerten, in der Regel zwei bis fünfGutachter, die innerhalb eines Monats Kom-mentare zur Qualität des Textes abgeben. ImVergleich dazu bin ich oft in Blogdiskussionenund -debatten mit Dutzenden von Beteiligteninvolviert, von denen viele professionelle Gut-achter sind, und bei denen Hunderte oder sogarTausende von Kommentaren über Stunden,Tage und Wochen ausgetauscht wurden. Die-se Form der Aufmerksamkeit ist der Inbegriffdessen, was der Wissenschaftsphilosoph JerryRavetz als „extended peer review“ bezeichnethat. Sinnvoll genutzt, kann es die Qualität ei-nes Forschungsprodukts in einer Weise verbes-sern, die im Rahmen eines einfachen peer-re-view-Verfahrens nie möglich wäre. Der offeneund erweiterte review kann zudem dazu bei-tragen, (auch) bei Nicht-Experten Vertrauenin Forschungsergebnisse und deren Entstehungzu erzeugen.

2 | Drei negative Aspekte des Bloggens inder Klimadebatte

Blogs offenbaren politische Unterschiede zwi-schen Experten – ein positiver Aspekt. Aberdamit werden schnell alle Argumente durcheine politische Brille betrachtet, was das Pu-blikum dazu zwingt, sich auf eine Seite zustellen.Wenn Experten Argumente präsentieren, dietheoretisch, komplex oder nuanciert (oder al-les zusammen) sind, kann es für die allgemei-ne Öffentlichkeit schwierig werden, diese Ar-gumente zu bewerten. Es passiert dann leicht,dass die Bewertung eines Arguments nicht nurdurch dessen Güte, sondern durch andere Fak-toren zustande kommt. Solche anderen Fakto-ren können z.B. die generelle Glaubwürdig-keit des Urhebers sein, oder dessen bzw. derenArt der Präsentation. Sehr oft wird auch einklarer politischer Filter als Ersatzfaktor benutzt:Wichtig ist dann, auf welcher Seite einer Dis-kussion ein Experte (vermeintlich) zu verorten

Experten in Blogs. Positive und Negative Aspekte

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ist oder welche Vorteile sich daraus ergebenkönnten, dass der Experte recht hat oder auchnicht. Die Experten selbst tragen zu dieserDynamik bei, wenn sie die Argumente ihrerGegner – zum Teil sogar in dem Wissen, dassdie öffentliche Debatte empfänglich für sol-che Behauptungen ist – auf Grundlage diesersekundären Merkmale kritisieren, statt auf dieArgumente selbst einzugehen. Im Endeffektkann dies in jedem Fall dazu führen, dass einetheoretische Debatte in eine rein politischeDiskussion zwischen rivalisierenden „Lagern“abgleitet. In der Klimadebatte ist dies oft vor-gekommen. Es ist extrem schwierig, in Blog-Diskussionen den Fokus auf jene Fragen auf-recht zu erhalten, die durch Logik oder Datengelöst werden können, da diese oft von wert-orientierten Debatten überlagert werden.

Blogs verwischen Autorität und machen Ver-trauen, Glaubwürdigkeit und Transparenz in-nerhalb von Sachverständigenorganisationendadurch umso wichtiger.Jeder kann einen Blog ins Leben rufen. Undjeder kann einen Experten oder eine Sachver-ständigenorganisation kritisieren. Dabei kannes vorkommen, dass einzelne Blogger Organi-sationen, die nicht konsequent auf die Wah-rung des in sie gesetzten Vertrauens und damitdie eigene Legitimation achten, in eine Krisestürzen können. Die Probleme des Intergovern-mental Panel on Climate Change in den ver-gangenen Jahren belegen anschaulich, wie eineOrganisation, die einst unhinterfragtes Vertrau-en genoss, dieses innerhalb sehr kurzer Zeitverlieren kann. Das IPCC selbst hat dazu durchdie fehlende Transparenz seiner Abläufe bei-getragen – zum Beispiel fehlte dem IPCC eineklare Regel, wie es mit Interessenskonfliktenumgehen soll. Dies wurde problematisch, alsein Blogger aufdeckte, dass einer der zentra-len Befunde in einem Bericht zu erneuerbarenEnergien von einem Interessensvertreter aus demBereich erneuerbarer Energien dort platziertworden war. Welchen Wert auch immer dieserBefund de facto gehabt haben mag – auf Grundder fehlenden Transparenz und der ungeschick-

ten Reaktion des IPCC auf die Kritik aus denBlogs hatte das Panel seine Legitimation nachdiesem Vorfall verloren. In einem Zeitalter deseinfachen Zugangs zu Informationen müssenSachverständigenorganisationen lernen, offenerund transparenter zu werden, auch wenn dasnicht immer komfortabel ist.

Blogs können Unsicherheiten bei der allge-meinen Öffentlichkeit über Entscheidungsop-tionen erhöhen und dadurch die Rolle desehrlichen Vermittlers umso wichtiger werdenlassen.Wo es eine einzige oder einige wenige autori-tative Stimmen gibt, scheint der Grad an Un-sicherheit bezüglich der gegebenen Informa-tionen weniger ausgeprägt zu sein als da, woviele Stimmen verschiedene Perspektiven undMeinungen zum Ausdruck bringen. Dies kann,abhängig vom Kontext, gut oder schlecht sein.Diese Dynamik bedeutet, dass es in einigenFällen eigentlich weniger Unsicherheit darübergibt, was eine gute Entscheidung ausmacht,als von der Öffentlichkeit angenommen – alsBeispiel könnte man die wahrgenommene Ver-bindung von Impfung und Autismus anfüh-ren, trotz der die Mehrheit der Experten Imp-fungen als gute Sache ansieht. Ein andererKontext, bei dem es gut für die Öffentlich-keit wäre, zu verstehen, dass es ein höheresMaß an Unsicherheit bei der Entscheidungs-findung gibt als von den Experten im Allge-meinen geäußert, ist der Klimawandel. Überviele Jahre hinweg präsentierten Experten ei-nen globalen verbindlichen Vertrag als dieeinzige Option, um der Zunahme von Treib-hausgasen zu begegnen. Diese Ansicht ist imZuge der desaströsen Kopenhagener Konfe-renz von 2009 kollabiert. Bei Sachverhaltenwie Impfungen und Klimastrategien würdenEntscheidungsfindungsprozesse verbessert,wenn Institutionen sensibler für moderne Kom-munikationstechniken wären. Denn diese kön-nen Menschen helfen, nicht nur wissenschaft-liche Themen zu verstehen, sondern auch Ent-scheidungsalternativen und deren Konsequen-zen.

Roger Pielke Jr.

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Bloggen hat Konsequenzen für Individuenund Kollektive. Die Aufmerksamkeit auf dieseKonsequenzen zu richten, kann helfen zu ent-scheiden, ob man für oder gegen diese Formder Kommunikation ist. Und, falls man sichdafür entscheidet, wie man unter Beachtungaller zweifellos vorhandenen kritischen Aspek-te das Beste daraus macht. Bloggen ist heutzu-tage Teil einer Vielzahl von social media Tech-nologien, die sich weiterentwickeln und offensind für neue Möglichkeiten des Dialogs vonExperten untereinander und mit der breiterenÖffentlichkeit. Die sinnvolle Nutzung solcherHilfsmittel wird jedoch unsere permanenteAufmerksamkeit erfordern.

Dr. Dr. h.c. Roger Pielke jr. ist Professorfür „Environmental Studies“ am Center for

Science and Technology Policy Research derUniversity of Colorado in Boulder und bloggtzu „Science, Innovation, Politics“ unter http://rogerpielkejr.blogspot.de. Kontakt:[email protected]

Übersetzung von Yamina Ehrt.

Anmerkungen1 http://chronicle.com/article/Dim-Sum-for-

the-Mind-/130263/ [zuletzt geprüft:01.02.2012].

2 http://www.economist.com/node/21542174[zuletzt geprüft: 01.02.2012].

3 http://krugman.blogs.nytimes.com/2012/01/04/the-nonsense-problem [zuletzt geprüft:01.02.2012].

1 | Einleitung

In der Literatur zu sozialen Medien wer-den wissenschaftliche Blogs als eine Chan-ce für Wissenschaftler beschrieben, ihreArbeiten der Öffentlichkeit zugänglich zumachen und sich selbst oder die eigeneInstitution darzustellen (Ashlin/Ladle2006). Blogs werden auch als eine Mög-lichkeit für junge Forscher angesehen,„manche hierarchische Strukturen in derdeutschen Forschungslandschaft zu umge-hen“ und „frischen Wind ins Gefüge“ zubringen (Lugger 2009). Andere hingegenwarnen davor, dass die typische Blog-Mi-schung aus Wissenschaft und persönlicherMeinung nicht immer in der „scientificcommunity“ auf Akzeptanz stößt (Bonet-ta 2007). Die Zuwachsraten der Blogs sind

Ausweitung der Kampfzone: Die KlimablogosphäreWerner Krauss

dennoch enorm; so stellt sich zum Beispieldie „Geoblogosphere“ als eine schnell wach-sende Gemeinschaft von vor allem jungen,männlichen Geowissenschaftlern dar, diein ihren Blogs eigene Ideen, Reviews vonwissenschaftlichen Artikeln und Erlebnis-se aus der eigenen Forschung präsentieren(Geißler 2011). Dieses weitgehend harmo-nische Bild steht allerdings in einem deut-lichen Kontrast zur Klimablogosphäre, diesich als eine Ausweitung der politisiertenKlimadebatte ins Internet erweist. Auchwenn Klimablogs die oben genannten Ele-mente aufweisen, so sind Grenzüberschrei-tungen zwischen der wissenschaftlichen undpolitischen Sphäre ihr eigentliches Kenn-zeichen. Klima ist ein heißer Gegenstand,der wissenschaftlich, politisch und medialaufgeladen ist.

Themenschwerpunkt

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1.1 | Die deutschsprachige Blogosphäre

Während in der deutschen Klimadebatte sogenannte Klimaskeptiker eine im Vergleich zuNordamerika eher untergeordnete Rolle spie-len (von Storch/Krauss 2005), so gilt dies nichtfür das Internet. Ein Großteil derjenigen Blogs,die thematisch auf den Klimawandel ausgerich-tet sind, lässt sich einem von zwei Lagern zu-ordnen: die einen, die sogenannten Warner oderAlarmisten, betrachten den anthropogenen Kli-mawandel und die Bedrohung, die von ihmausgeht, als eine wissenschaftliche Tatsache;die anderen, die sogenannten Klimaskeptiker,schätzen den Einfluss des Menschen oder dieRelevanz des Klimawandels geringer ein. Bei-de Seiten wollen die Öffentlichkeit über diewissenschaftliche Wahrheit zum Klimawandelaufklären und gleichzeitig die Wissenschaft vorideologischer Verunreinigung oder politischerInstrumentalisierung retten. Vor allem aber be-ziehen sich beide Seiten in ihren Posts immer

wieder aufeinander, als ob ein faustischer Paktsie aneinander gekettet hätte. Die gesellschaft-liche Brisanz dieser Debatte drückt sich in derenorm großen Zahl an anonymen Kommenta-ren aus, die (in beiden Lagern) weit in derMehrheit gegenüber solchen mit Namensnen-nung sind.

1.2 | Die Blogosphäre als nervösesSystem

Im Sinne des Ethnologen Michael Taussig(1992) verstehe ich die Blogosphäre als einnervöses System, in dem die diskursive Hege-monie über den Klimawandel und damit ver-bunden über gesellschaftspolitische Vorstellun-gen, ausgefochten wird. Der Begriff „nervösesSystem“ weckt die Assoziation an gesellschaft-liche Nervenbahnen, welche die Sorge des Blog-gers um seine Reputation mit der Furcht vordem drohenden Weltuntergang und/oder demgesellschaftlichen Verfall, die beide der Rede

Werner Krauss

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über die Klimakatastrophe immanent sind, ver-bindet. Kurz, in Klimablogs geht es immerwieder um „das Große und Ganze“ der eige-nen Existenz und des Weltgeschehens – undsie bieten zumindest in dieser Hinsicht ein re-alistisches Abbild einer Gesellschaft in Zeitendes Klimawandels.

Im Folgenden werde ich einen kurzenÜberblick über den harten Kern der Klima-Blogosphäre geben und darstellen, wie sicheinzelne Blogs in dieser Debatte positionie-ren. Es lässt sich dabei eine relativ klare Auf-teilung feststellen: auf Seite der Warner sindvor allem Blogs von oft prominenten Vertre-tern der Klimawissenschaften zu finden, aufder Seite der Skeptiker hingegen bloggenzumeist so genannte Laien, die allerdingsebenfalls oft über einen akademischen Hin-tergrund oder fachnahe Berufserfahrung z. B.als Ingenieure oder Techniker verfügen. DieAlgorithmen von Suchmaschinen sorgen dafür,dass oft ganz ungleichgewichtige Spieler inden Suchergebnissen nebeneinander stehen –die digitale Realität stimmt mit der analogennicht unbedingt überein. Durch die Blogos-phäre entstehen vielmehr, wie ich zum Schlusszeigen werde, ganz neue Öffentlichkeiten, diein keine vorgefertigten Kategorien passen unddennoch eine Vorschau auf zukünftige Ent-wicklungen geben.

2 | Klimablogs

Meine Sicht auf die Blogosphäre und meineInterpretation beruhen auf meiner mehr alszweijährigen „teilnehmenden Beobachtung“ alsEthnologe und aktiver Blogger auf dem BlogDie Klimazwiebel (s.u.). Die Auswahl der Kli-mablogs, die ich im weiteren Verlauf vorstelle,resultiert aus diesen Erfahrungen und bean-sprucht keinesfalls Vollständigkeit. Es handeltsich um exemplarische Blogs aus beiden La-gern, und mein Augenmerk richtet sich aufihre institutionelle Verfassung, ihre Positionie-rung in der Klimadebatte und ihre wissenschafts-politische Ausrichtung.1

2.1 | ETH Klimablog

http://blogs.ethz.ch/klimablog/ [zuletzt ge-prüft: 09.02.12]Die eidgenössische technische HochschuleZürich (ETH) betreibt einen eigenen professi-onellen Klimablog, der im November 2009zuerst versuchsweise ins Leben gerufen wurde,um neue Formen der universitären Öffentlich-keitsarbeit zu testen, und sich dann fest etab-liert hat. Professionell heißt hier, dass das Blogvon zwei Redakteurinnen betreut wird. Auto-ren sind Professoren, Forscher und Studieren-de der ETH sowie Gastautoren aus Wissen-schaft und öffentlichem Leben. Das ETH Kli-mablog grenzt sich unmissverständlich von denAktivitäten der Skeptiker in der Blogosphäreab, die von diesen unverhältnismäßig dominiertwerde. Vielmehr soll „Wissenschaft aus ersterHand“ vermittelt werden, um die breite Bevöl-kerung, Wirtschaft, Politik und anderes Fach-publikum zu informieren. Der akademisch-wis-senschaftliche Charakter wird durch die Nen-nung des akademischen Grades der Autoren –meist Professoren – verstärkt, und anonymeKommentare sind generell nicht zugelassen.

2.2 | KlimaLounge

http://www.scilogs.de/wblogs/blog/klima-lounge [zuletzt geprüft: 09.02.12]Die KlimaLounge ist das wahrscheinlich be-kannteste deutschsprachige Klimablog, das vondrei Klimaforschern gegründet wurde, vondenen Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Insti-tut für Klimafolgenforschung der bekanntesteist. Rahmstorf ist Berater der Bundesregierungund Mitbegründer des populären amerikani-schen Klimablogs realclimate.org. Die Klima-Lounge verteidigt aggressiv die These vom an-thropogenen Klimawandel, und insbesondereRahmstorf wirft dabei seine wissenschaftlicheReputation immer wieder in die Waagschaleund erwidert minutiös die Argumente der Skep-tiker. Das Blog erregte Aufsehen und erreich-te seine höchste Kommentardichte durch eineKlimawette über die Temperaturentwicklung

Ausweitung der Kampfzone: Die Klimablogosphäre

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im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends,und missliebige Journalisten oder Medienmel-dungen werden offen zur Rechenschaft gezo-gen – was, wie erst kürzlich, auch in Gerichts-verhandlungen enden kann.

2.3 | Die Klimazwiebel

http://klimazwiebel.blogspot.com [zuletzt ge-prüft: 09.02.12]Die Klimazwiebel gibt es seit Dezember 2009.Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie ne-ben naturwissenschaftlichen Klimaforschernauch Soziologen und einen Ethnologen als He-rausgeber und Stammautoren hat. Wie auchdas ETH-Klimablog nimmt die Klimazwiebeldas Etikett des „honest broker“ für sich inAnspruch, positioniert sich aber deutlich andersin der Klima-Blogosphäre. Als Reaktion aufDebatten um den Hockeystick und später Cli-mategate suchte die Klimazwiebel von Anfangan den Dialog mit den Skeptikern, ohne je-doch von der grundlegenden Annahme des men-schengemachten Klimawandels als einer Tatsa-che abzurücken. Das Blog ist zweisprachig, umsich auch in der anglo-amerikanischen Klima-debatte Gehör zu verschaffen. Auch wenn vierHerausgeber und Autoren des Blogs vom Helm-holtz Zentrum Geesthacht sind, legen die Au-toren Wert auf die Unabhängigkeit des Blogs.Das prominenteste Mitglied der Klimazwiebelist der renommierte (und streitbare) Klimafor-scher Hans von Storch, und ihre Autoren ex-perimentieren mit postnormalen sowie Natur-,Sozial- und Kulturwissenschaften übergreifen-den Ansätzen.

2.4 | Primaklima

http://www.scienceblogs.de/primaklima/[zuletzt geprüft: 09.02.12]Primaklima ist ein Beispiel für ein Blog, dasvon einem einzelnen Klimawissenschaftler,Georg Hoffmann, betrieben wird. Nach eige-ner Aussage ist seine Richtlinie der wissen-schaftliche Standard des Weltklimaberichts desIntergovernmental Panel of Climate Change

(IPCC). In seinen Posts diskutiert er regelmä-ßig wissenschaftliche Veröffentlichungen oderEreignisse aus der internationalen Klimaszeneaus einer oftmals persönlich gefärbten Sicht,woraus sich meist längere und intensiv geführ-te und betreute Diskussionen ergeben.Andererseits wählt Hoffmann auch regelmä-ßig Persönlichkeiten aus, die sich öffentlichzum Klimawandel geäußert haben, um sie mitder Verleihung des Preises „Klimaschmock desMonats“ an den digitalen Pranger zu stellen –ein Beispiel für den schmalen Grat zwischendem Werben um Leserschaft, aufklärerischerAbsicht und Rufmord, auf dem viele Blogsbalancieren.

2.5 | EIKE

http://www.eike-klima-energie.eu/ [zuletztgeprüft: 09.02.12]EIKE steht für „Europäisches Institut für Kli-ma und Energie“ mit dem Wahlspruch „Nichtdas Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit.Umweltschutz: Ja! Klimaschutz: Nein!“ DasInstitut unterhält einen Fachbeirat mit inter-nationalen Wissenschaftlern zumeist mit Pro-fessorentiteln, die aber in der Klimawissenschaftüber keine Reputation verfügen. Es ist vielleichtam ehesten mit US-Lobbygruppen von Klima-skeptikern zu vergleichen, mit denen sie auchin engem Kontakt stehen. Wie diese veranstal-tet EIKE in seiner Mission gegen Klimaschutzund Energiewende auch Symposien und Tagun-gen, und einzelne Mitglieder versuchen gezielt(und manchmal auch erfolgreich), in die Medi-en zu kommen. Auf ihrem Blog finden sich vorallem Posts zur Klimaforschung sowie zur Ener-gie- und Umweltpolitik, die oft in scharfem po-lemischem Ton angegriffen und als grüne Welt-verschwörung angeprangert werden.

2.6 | ScienceSkeptical Blog

http://www.science-skeptical.de/ [zuletzt ge-prüft: 09.02.12]Das Motto dieses im Oktober 2009 von inter-essierten Laien (mit teilweise akademischen

Werner Krauss

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Hintergrund) ins Leben gerufenen Blogs lau-tet „Wissenschaft kritisch hinterfragt“ und er-weitert den Begriff des Skeptikers: Die Auto-ren wenden sich nicht nur gegen die Theseeines bedrohlichen menschengemachten Klima-wandels, sondern auch gegen einen naiven Ex-pertenglauben und die Wechselwirkung zwi-schen einer politisierten Wissenschaft und derUmwelt-, Energie- und Gesellschaftspolitik. Diestrikte Trennung von Wissenschaft und Poli-tik und das Plädoyer für eine freie Wirtschaftals Regulator und Motor technologischer In-novationen sind immer wiederkehrende Topoi.Erstaunlicherweise veröffentlicht der Großteilder ca. 15 Stammautoren unter Pseudonym,was auf die Brisanz des Klimathemas auch fürandere gesellschaftliche Bereiche außerhalb derUniversität schließen lässt. Ihre Hauptautorenschalten sich oft in Diskussionen auf anderenBlogs ein oder verlinken Debatten von ande-ren Blogs auf ihrer eigenen Seite. Diese Offen-heit ist nicht in allen Lagern anzutreffen, istaber ein Indiz für den oft engen Kommunika-tionszusammenhang innerhalb der Klimablogo-sphäre.

2.7 | NoTricksZone

http://notrickszone.com/ [zuletzt geprüft:09.02.12]NoTricksZone ist ein Beispiel für ein von ei-nem interessierten Laien mit naturwissenschaft-licher Ausbildung verfasstes Skeptiker-Blog. P.Gosselin, ein in Deutschland lebender Ameri-kaner mit naturwissenschaftlicher Ausbildung,diskutiert ebenfalls neuere Klimaforschungenaus einer kritischen Skeptikerperspektive. Fürihn ist der anthropogene Klimawandel nur einefaule Entschuldigung für Politiker für ihreVersäumnisse auf wichtigeren Gebieten wieArmut, Unternährung oder Erziehung. Einegroße Lust an Debatten und Diskussionen ver-mischt sich hier oft mit einer Neigung zu star-ker Polemik. So beschäftigt er sich in einemjüngeren Beitrag damit, dass der gegenwärtigwarme Winter meteorologischen Berechnungennach voraussichtlich noch sehr kalt werden wird

und sich daher die „kooks“ (die Spinner), dieimmer noch behaupten, dass es zu warm wird,noch warm werden anziehen müssen.

3 | Neue Öffentlichkeiten

Die Klimablogosphäre vermittelt, wie dieseexemplarisch ausgewählten Blogs zeigen, einganz eigenes Bild, das sich von der in Deutsch-land gewohnten Mehrheitsmeinung deutlichunterscheidet. Doch man sollte sich nicht davontäuschen lassen, dass Skeptiker in der deut-schen Klimadebatte nur eine untergeordneteRolle spielen. Das Internet unterläuft die inden traditionellen Medien vorherrschendeMeinung und eröffnet einen neuen Blick aufdie gesellschaftliche Dynamik in Zeiten desKlimawandels. Wer einen Einblick in die nati-onalen Befindlichkeiten der globalen Klimade-batte gewinnen möchte, tut gut daran, sich inden deutschsprachigen Klimablogs umzusehen.Doch darüber hinaus hat die Klimablogosphä-re weitreichende Wirkungen auf die wissen-schaftliche und politische Klimadebatte. Sieerweist sich tatsächlich als ein nervöses Sys-tem, das die Gegenwart abtastet, neue Öffent-lichkeiten schafft und die Zukunft auszulotenversucht.

Die Zahl der Klicks der meisten Blogs isterstaunlich hoch (im Schnitt mehrere hundertpro Tag), was aber wenig darüber aussagt, wel-chen Einfluss sie auf die gesellschaftliche Mei-nungsbildung haben. In der Blogosphäre fin-det durch Vernetzung mit vor allem anglo-ame-rikanischen Blogs ein Anschluss an die interna-tionale Diskussion statt, und sie dient als einInnovationspool und Experimentierfeld fürneue Ideen. Gleichzeitig findet ein oft fließen-der Übergang von der Blogosphäre in die Be-richterstattung der Printmedien und ihrerimmer zahlreicher werdenden online-Ausgabenstatt. Die Qualität der Klimaberichterstattunghat sich dadurch geändert, und der anfängli-che Klima„katastrophismus“ in der deutschenPresse weicht immer öfter einem auch die Wis-senschaften kritisch beobachtenden Journalis-

Ausweitung der Kampfzone: Die Klimablogosphäre

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mus. Nicht nur werden in den Blogs Artikelaus den Medien diskutiert, sondern Journalis-ten lesen Blogs, um wiederum über neuesteEntwicklungen auf dem Laufenden zu sein. 2

3.1 | Die Ausweitung der Kampfzone

Eine ähnliche Rückwirkung hat die Blogo-sphäre auch auf die Klimawissenschaftenselbst, indem sie offizielle wissenschaftlicheVerlautbarungen mit ihrem oft pädagogisch-didaktisch ausgerichteten Diskurs auf denPrüfstand stellt und zum Gegenstand eineröffentlichen Diskussion macht. Die Beteili-gung prominenter Klimaforscher verschiede-ner Lager trägt dazu bei, die gesellschaftli-che Relevanz der Blogs zu erhöhen. Die Wis-senschaft öffnet und verändert sich durch dieseMedialisierung in vielerlei Hinsicht: der Pro-zess der Politikberatung, die Verwissenschaft-lichung der Politik und die gleichzeitige Poli-tisierung der Wissenschaft werden kritischhinterfragt; das geschlossene System der Peer-Review und die Zugänglichkeit von Artikeln,die hinter den Paywalls der wissenschaftlichenJournale versteckt sind, gerät unter Druck undwird aufgeweicht. Oft genug erweisen sichBlogs bereits als eine, wenn schon nicht alter-native Form der Peer-Review, so zumindestals eine kritische Schnittmenge aus interes-sierten und engagierten Bürgern und Exper-ten, der sich die Wissenschaften immer öfterstellen müssen.

Die Klimawissenschaften werden zunehmendaus der Komfortzone des Elfenbeinturms ver-trieben und müssen sich den Anmaßungen derBlogosphäre stellen. Diese steht für eine er-weiterte Öffentlichkeit, die immer mehr er-kennt, dass sie, in den Worten von Buckmins-ter Fuller (in Slotderdijk 2011), nicht mehrnur Passagier, sondern selbst Crew im Raum-schiff Erde mit seiner defekten Klimaanlageist. Die Zukunft der Atmosphäre ist eben sooffen wie die der Blogosphäre, die allerdingsauf der Reise dorthin ein immer gewichtigeresWort mitzureden haben wird.

Werner Krauss ist Ethnologe am HelmholtzZentrum Geesthaacht, Institut für Küstenfor-schung und forscht derzeit zur Ethnologie desKlimawandels. Kontakt: [email protected]

Anmerkungen1 Die Darstellung der einzelnen Blogs resul-

tiert aus meinen eigenen Beobachtungen,Selbstbeschreibungen auf den jeweiligen Web-sites sowie der Auswertung eines schriftli-chen Fragebogens. Für die Beantwortungdesselben möchte ich mich herzlich bei denBloggern der klimazwiebel, des ETH Blogs,von science-skeptical und primaklima bedan-ken. Es versteht sich, dass ich allein für diejeweilige Darstellung und eventuelle Zerr-bilder verantwortlich bin.

2 Wobei die Berichterstattung von spiegel-on-line sicherlich besonders häufig zitiert wirdund gleichzeitig am meisten auf die schnel-len Ausschläge der Klimablogosphäre reagiert.

Literatur

Ashlin, Alison/Ladle, Richard J. 2006: En-vironmental Science Adrift in the Blogosphe-re. In: Science, Jg. 312, Heft 5771, 201.

Bonetta, Laura 2007: Scientists Enter theBlogosphere. In: Cell, Jg. 129, Heft 3, 443-445.

Geißler, Lutz 2011: The State of the Geo-blogosphere – Geoscience Commuication inthe Social Web. www.geonetzwerk.org/2011/10/04/the-state-of-the-geoblogosphere-geosci-ence-communication-in-the-social-web/ [zuletztgeprüft: 26.1.2012].

Lugger, Beatrice 2009: Die puren Stimmender Wissenschaft. Blogs bringen eine neueDynamik in Wissenschaft und Medien. Gegen-worte, Jg. 19, Heft 21, 27-29.

Sloterdijk, Peter 2011: Wie groß ist „groß“?In: Crutzen, P. J./Davis, M./Mastrandrea, M.D./Schneider, S. H./Sloterdijk, P.: Das Raum-schiff Erde hat keinen Notausgang. Frankfurtam Main: Suhrkamp, 93-112.

Werner Krauss

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Taussig, Michael 1992: The Nervous Sys-tem. London, New York: Routledge.

von Storch, Hans/Krauss, Werner 2006:Culture Contributes to the Perception of Cli-

mate Change. In: Niemann Reports, Jg. 59,Heft 4, 30-35. www.nieman.harvard.edu/reportsitem.aspx?id=100600 [zuletzt geprüft:26.1.2012].

Mittlerweile stehen schon die Plakatwände. DieBundesregierung verkündet die Energiewendeund wirbt dafür, dass die damit verbundenenBelastungen als Preis für die Energiewende ak-zeptiert werden. Die Hoffnung auf solche Be-reitschaft scheint nicht völlig unberechtigt. Fürden Bau nun benötigter neuer Stromtrassen, demzentralen zu erwartenden Konflikt, habenzumindest die großen Umweltverbände Zurück-haltung signalisiert. Es könnte also gelingen.

Eine solche für Politikentwicklungen rechtradikale Wende war erwartbar angesichts derDramatik des Klimaproblems und des 2-Grad-Ziels, nach dem die globale Erwärmung imDurchschnitt nicht höher liegen soll als zweiGrad Celsius im Vergleich zum Niveau vor derIndustrialisierung.1 Deutschland baut kurzfris-tig und mit großem Aufwand seine Energiever-sorgung um – ein eindrucksvoller Schritt mitweitreichenden Folgen für ein Industrieland.

Doch: Halt! In Wirklichkeit hat die kurz-fristige Dynamik der Energiewende mit demKlimawandel nur wenig zu tun. Die Energie-wende in Deutschland wird öffentlich vor al-lem mit der Abkehr von der Atomenergie ver-bunden. Wenige Tage nach dem nuklearenUnfall im japanischen Fukushima hat die Bun-desregierung beschlossen, bis 2022 aus derAtomenergie vollständig auszusteigen. Bis 2050soll die Energieversorgung in Deutschland zugroßen Teilen auf erneuerbare Energien umge-

Wollen die Deutschen das Klima retten?Mobilisierung, Einstellungen und Handlungen zum Klimaschutz

Jochen Roose

stellt werden, doch kurzfristig bedeutet derAusstieg aus der Atomenergie wahrscheinlicheine Zunahme von klimaschädlichen Emissio-nen durch konventionelle Energieerzeugung.2

Der Atomausstieg ist also gerade keine Klima-schutzpolitik. Der deutsche Schritt wird imglobalen Vergleich noch interessanter. Russland,China und Indien setzen in ihrer Energiepoli-tik verstärkt auf die Atomenergie und habenin den letzten Jahren eine ganze Reihe vonAtomkraftwerken in Betrieb genommen.3 Auchdie USA setzten bis zum Unfall in Fukushimawieder verstärkt auf die Atomenergie (Davis2011). Der deutsche Weg ist eher ein Sonder-weg, gerade weil damit die Schwierigkeitenzunehmen, die selbst gesteckten Ziele zurEmissionsreduktion zu erfüllen.

Die politische Dynamik des Atomthemasin Deutschland ist eindrucksvoll. Doch wie stehtes mit einer politischen Dynamik der Klima-problematik? Dass ein momentaner Atomun-fall mehr Mediendynamik und politische Auf-merksamkeit generieren kann als die sich schlei-chend vollziehende Klimaproblematik, ist guterklärbar (vgl. Rhomberg in diesem Heft). DieFrage ist aber, ob die Klimathematik nebendem Widerstand gegen die Atomenergie in derdeutschen Umweltbewegung Fuß fassen konn-te, und wie die Frage eines Klimawandels undder daraus möglicherweise folgenden Verände-rungsnotwendigkeiten in der öffentlichen

Themenschwerpunkt

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Meinung gesehen wird. Im Folgenden geheich zunächst auf die Aktivitäten der Umwelt-bewegung in Bezug auf die Klimathematik ein,insbesondere im Vergleich zu Protest gegenAtomenergie (1). In einem zweiten Schritt fra-ge ich dann, was die deutsche Bevölkerungüber die Klimaveränderung denkt, ob also dieFrage des Klimawandels als wichtiges Problemwahrgenommen wird und von welchen Akteu-ren eine Lösung erwartet wird (2), um dannklimaverträglicheres Handeln zu betrachten (3).Diese verschiedenen Ansätze dienen der Suchenach einer gesellschaftlichen Transformations-dynamik hin zu einer klimaverträglicheren Po-litik und Lebensweise. Für die Atomfrage hatsich eine solche Dynamik ergeben, können wirin Hinblick auf den Klimawandel mit einerähnlichen Dynamik rechnen?

1 | Klima und Atom in der Umweltbewe-gung

Das Klima-Thema in der Umweltbewegungaufzuspüren, ist nicht ganz einfach.4 Eine gan-ze Reihe von Themen mit Relevanz für dasKlima wurde in der Umweltbewegung aufge-nommen, bevor diese Relevanz einer breitenÖffentlichkeit oder auch nur den Expertenbekannt war. Dies gilt beispielsweise für denEinsatz gegen Luftverschmutzung, für denSchutz der Wälder oder die Nutzung erneuer-barer Energien.

Eine explizite Thematisierung von Klima-schutz in Umweltprotesten beginnt ab 1990mit einzelnen Protesten. Die systematischeAnalyse von Protestereignissen durch das PRO-DAT-Projekt hat auf der Basis von zwei Tages-zeitungen (Süddeutsche Zeitung und Frank-furter Rundschau) ausgehend von einer Stich-probe alle berichteten Proteste in Deutschlandvon 1950 bis 2002 erfasst.5 Ab Beginn der1970er Jahre weisen einzelne Proteste auf Pro-bleme der Luftverschmutzung hin, zunächsteher bezogen auf lokale Probleme, später wirdLuftverschmutzung genereller thematisiert. AbMitte der 1980er Jahre ist Waldsterben dasdominante Thema in der ökologischen Debat-

te. Die These, wonach die dramatische Luft-verschmutzung zu einem Absterben der Na-delwälder in Deutschland innerhalb der nächs-ten 20 Jahre führen wird, bestimmt für einigeZeit die öffentliche Debatte und wird auchzum Protestgegenstand (Schäfer/Metzger2009). Diese Proteste fallen allerdings in einebreitere Mobilisierungswelle ökologischer Pro-teste. Mit Beginn der 1990er Jahre wird Kli-maschutz zum expliziten Thema der deutschenUmweltbewegung. Dabei spielt auch FCKWeine Rolle, das allerdings zunächst nicht sosehr in Hinblick auf Klimaschäden in der At-mosphäre als vielmehr mit Blick auf konkreteGesundheitsgefährdung thematisiert wird.6

Nach dem Verbot von FCKW 1991 wird dasKlimathema allgemeiner in den Blick genom-men. Bei einem insgesamt niedrigen Niveauan ökologischen Protesten nimmt die Klima-problematik einen erheblichen Anteil ein.

Die PRODAT-Studie endet mit dem Jahr2002 und damit bevor die Klimadebatte anDynamik gewinnt. Auf Basis der Daten desHamburger Projektes „Global Media Map ofClimate Change“ (vgl. Schäfer u.a. 2011) habeich daher zusätzlich analog zur PRODAT-Ko-dierung für die Süddeutsche Zeitung alle Kli-maproteste zwischen 2003 und Juni 2010 er-hoben.7 Bei der Interpretation der Daten istalso zu beachten, dass nur eine der beidenZeitungen berücksichtigt wurde, die PRODATzugrunde liegt. Allerdings berichtet die Süd-deutsche Zeitung nach einer vergleichendenUntersuchung der Protestberichterstattungdeutlich weniger Proteste als die FrankfurterRundschau (Eilders, 2001: 289).8 Auch fehltfür diesen Zeitraum der Vergleich mit ökologi-schen Protesten insgesamt.

Die Fortschreibung der Daten zu Klima-protesten zeigt einen erheblichen Bedeutungs-gewinn dieses Themas. Vor allem 2007, imKontext des G 8-Gipfels in Heiligendamm,wurde die internationale Klimaproblematikhäufiger Protestthema in Deutschland. Dochauch jenseits dieses Großereignisses ist Klima-protest in der zweiten Hälfte der 2000er Jahretrotz der schmalen Datenbasis messbar.

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Der Vergleich mit dem Atomkonflikt isteindrucksvoll. Die Klimaproblematik entwickeltkeine auch nur annähernd ähnliche Dynamikund Prominenz wie der Konflikt um die Atom-energie. Der Protest gegen Atomkraftwerkeund vor allem die Frage der Lagerung vonAtommüll sind die wichtigsten Protestthemender Umweltbewegung. Ab Mitte der 1970erJahre wird die Atomenergie zum beherrschen-den Thema der deutschen Umweltbewegungund behält diesen Status praktisch bis heute.Dies dokumentiert nicht zuletzt die enge Ver-wobenheit von Umweltbewegung und Wider-stand gegen die Atomenergie. Blühdorn nenntdie Ablehnung der Atomenergie „the commondenominator of all movement organizations andinitiatives“ (1995: 172).

In den 1990er Jahren gehen die Protesteder Umweltbewegung insgesamt deutlich zu-rück. Die deutsche Vereinigung, aber auch der

verbreitet aufkommende Rechtsradikalismuswerden dominante Themen, auch für Protestund soziale Bewegungen. Zudem wurde 1988der Bau der Wiederaufbereitungsanlage inWackersdorf aufgegeben, das letzte große,nukleare Bauprojekt. In den Folgejahren ist esaber neben anderen, oft lokalen Umweltpro-blemen die Lagerung des Atommülls, die fürDynamik in der Umweltbewegung sorgt. Die-se Frage ist eng mit dem Betrieb der Atom-kraftwerke verbunden, denn die Bewegungverfolgt explizit eine „Verstopfungsstrategie“,mit der die ungelöste Lagerungsfrage zu ei-nem Abschalten der Atomkraftwerke führensoll. Die Proteste gegen Atommülltransportebleiben die größten Umweltproteste inDeutschland, auch nach dem Beschluss überden Ausstieg aus der Atomenergie.

Proteste sind nur eine Form der Willensäu-ßerung von sozialen Bewegungen, wenn auch

Abbildung 1:Proteste zu Anti-Atom, ökologischen Themen insgesamt und Luft- und Klimaschutz

Wollen die Deutschen das Klima retten?

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eine wichtige. Insbesondere große Umweltor-ganisationen agieren auch mit Lobbying oderder Veröffentlichung von wissenschaftlichenErgebnissen und politischen Stellungnahmen(Roose 2006). Die Umweltverbände mischensich auch in dieser Weise bei der Klimapolitikintensiv ein (vgl. Schlichting und Schmidt indiesem Heft). Über die relative Bedeutung desKlimathemas im Vergleich zu anderen Themengeben die Jahresberichte der Umweltorganisa-tionen Auskunft. Eine Durchsicht der Jahres-berichte der vier größten und im Netzwerkder Bewegung zentralen Umweltorganisationen(Rucht/Roose 2001) dokumentiert eine erheb-liche Bedeutung des Themas Klimaschutz.9 ImBericht für 2009, dem Jahr der Klimakonfe-renz in Kopenhagen, war bei allen Organisati-onen der Klimaschutz das oder ein zentralesBerichtsthema. Auch 2007 benennen Green-peace und der WWF Klimaschutz als ihr Haupt-thema (vgl. auch das Interview mit MichaelHopf in diesem Heft). Ab 2005 taucht Klima-schutz als wichtiges Thema in den Jahresbe-richten regelmäßig auf, oftmals prominenterals das Atomenergiethema. 2010 allerdings wirddie Ablehnung der Atomenergie wieder zu ei-nem zentralen Thema der Umweltorganisatio-nen.

Die Themenkonkurrenz zwischen Wider-stand gegen die Atomenergie und Klimaschutzin der Umweltbewegung ist nicht ganz ein-deutig entschieden. Bei den Protestaktivitätensteht die Ablehnung der Atomenergie undaktuell vor allem der Atommülltransporte klarim Vordergrund. Bei diesem Thema sind ne-ben den großen Umweltorganisationen lokaleBürgerinitiativen an den Orten von Nuklear-anlagen und möglichen Endlagern sehr aktiv.Die Klimathematik hat aber ab Mitte der2000er Jahre auch an Bedeutung gewonnen.Zudem arbeiten die großen Umweltorganisati-onen intensiv an dem Thema. Zeitweilig konntedas Thema Klimaschutz die Atomenergie wei-ter nach hinten drängen. Sobald aber im Be-reich der Atomenergie neue Diskussionen auf-kommen, wie die Verlängerung der Laufzeiten2010, wird die gesamte Bewegung sofort wieder

aktiv. Diese unmittelbare Reaktion auf aktuel-le politische Entwicklungen ist eine Besonder-heit des Atomenergie-Themas, das seine Son-derstellung in der Umweltbewegung deutlichmacht. Die Klimathematik hat ab Mitte der1990er und vor allem zehn Jahre später ab2005 an Bedeutung gewonnen, ohne in einemauch nur annähernd ähnlichen Maße prägendfür die Umweltbewegung zu werden.

2 | Klimawandel in der Bevölkerungsmei-nung

Die Umweltbewegung wird von einem rechtkleinen, besonders interessierten und engagier-ten Teil der Bevölkerung getragen, die nichtzuletzt die Mehrheitsmeinung beeinflussenwollen (Rucht 1994b). Gleichwohl ist die Be-völkerungsmeinung nicht allein eine Reaktionauf Aktivitäten der Umweltbewegung, sondernwird durch vielfältige Argumente, Werte undEinstellungen beeinflusst. Eine einfache Kau-salthese von Bewegungsaktivität hin zu öffent-licher Meinung wäre zu simpel gedacht.

Klimawandel wird in Deutschland als einwichtiges Thema angesehen, allerdings nebenanderen Themen, die vielfach als noch wichti-ger angesehen werden. Dabei sind die Ergeb-nisse aus Umfragen problematisch. Die Ergeb-nisse verändern sich in kurzer Frist recht deut-lich. Aktuell diskutierte Probleme haben einenrelativ starken Effekt auf den wahrgenomme-nen Problemhaushalt. Zudem ist aber der Kon-text der Befragung wichtig. Wird eine Befra-gung konkret zu Umweltfragen ausgeführt,zeigen sich in der Regel mehr Menschen überdie Umwelt besorgt als in anderen, thematischunspezifischen Umfragen. Im Politbarometer,einer monatlichen allgemeinen politischenUmfrage in Deutschland, rangiert das Umwelt-thema, bei dem die Klimafrage eingeschlossenist, zwischen 2000 und 2011 durchweg beiweniger als zehn Prozent der Befragten unterden beiden wichtigsten politischen Themen.10

Kurzzeitig intensiv diskutiert wird 2011 dage-gen das Thema Atomenergie. Im Nachgangder Katastrophe von Fukushima nennt über

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die Hälfte der Bevölkerung Atomenergie alseines der wichtigsten politischen Themen.Gegen Ende des Jahres 2011 wird Atomener-gie aber nur noch selten genannt.

Die Studie „Umweltbewusstsein inDeutschland“ fragt nach den beiden wich-tigsten politischen Aufgaben und kommtdurchweg zu höheren Werten.11 Zwischen2002 und 2006 ist der Anteil von Menschen,die Umweltschutz (und darin enthalten auchKlimaschutz) als eine der beiden wichtigs-ten politischen Aufgaben ansehen, von 14Prozent auf 26 Prozent gestiegen, geht dannaber bis 2010 auf 20 Prozent zurück. DasEurobarometer hat im September 2009 nachden wichtigsten globalen Problemen gefragtund dabei eine Liste von möglichen Proble-men vorgegeben.12 39 Prozent der Deutschensehen die Klimaproblematik als eines derbeiden wichtigsten globalen Probleme an, 20Prozent sogar als das wichtigste globale Pro-blem überhaupt. Im internationalen Vergleich

liegt Deutschland damit im oberen Mittel-feld (vgl. EB 72.1 und Brechin 2010).

Was denken die Deutschen aber im De-tail über die Klimaproblematik? Die StudieUmweltbewusstsein in Deutschland 2010 hateine Reihe von konkreteren Fragen erhobenzu Ansichten über Auswege und angemesse-ne Maßnahmen gegen den Klimawandel so-wie dem Einsatz verschiedener Akteure (na-tionale und lokale Politik, Industrie, Umwelt-verbände) und eigenen Einwirkungsmöglich-keiten auf Politik und den Klimawandelselbst. Ausgehend von diesen Ansichten überden Klimawandel, die sich gewissermaßen alsErgebnis des Kampfes um die Köpfe verste-hen lassen, konnten drei unterschiedlicheSichtweisen identifiziert werden: das aktiveTransformationsstreben, die Status Quo-Ori-entierung und die machtlose Politikorientie-rung.13

Das aktive Transformationsstreben wird vonder deutlich größten Gruppe vertreten, die mit

Wollen die Deutschen das Klima retten?

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43 % fast die Hälfte der Bevölkerung aus-macht. Kennzeichen dieser Gruppe ist, dassnach ihrer Einschätzung die BürgerInnenmaßgeblich zum Klimaschutz beitragen kön-nen in ihrem Alltagshandeln (Zustimmung99 %), durch Druck auf die Politik (Zustim-mung 95 %) und durch Mitarbeit in Umwelt-verbänden (Zustimmung 97 %). Die Unzu-friedenheit mit dem Beitrag zum Klimaschutzdurch die Bundesregierung, Städte und Ge-meinden, die BürgerInnen und die Industrieist groß in dieser Gruppe. Jeweils mehr alszwei Drittel sind der Ansicht, von diesenAkteuren werde nicht genug oder eher nichtgenug getan für den Klimaschutz. Allein dieUmweltverbände werden in dieser Frage posi-tiver beurteilt, aber immerhin 64 Prozent derMenschen in dieser Gruppe ist der Ansicht,auch die Umweltverbände würden nicht genugoder eher nicht genug für den Klimaschutztun. Konkrete Maßnahmen, deren Wichtig-keit in der Umfrage einzuschätzen war, wer-den durchweg für sehr wichtig oder eher wich-tig gehalten. Den Umstieg auf erneuerbareEnergien und politischen Druck auf die Wirt-schaft unterstützt die Gruppe des aktivenTransformationsstrebens am stärksten. EinenWiderspruch zu Wirtschaftswachstum kann dieGruppe dabei nicht erkennen. Der Aussage,Wirtschaftswachstum sei zur Finanzierung derUmstellungen erforderlich, stimmen 84 Pro-zent zu. Die Überzeugung, Deutschland kön-ne die Probleme des Klimawandels bewälti-gen, ist leicht überdurchschnittlich.

Unter den Menschen, die durch ein aktivesTransformationsstreben gekennzeichnet sind,finden sich leicht überdurchschnittlich Wähler-Innen von SPD und Grünen und auch religiö-se Menschen sind etwas mehr vertreten. Diehöheren Bildungsgruppen sind etwas überre-präsentiert und es gibt etwas mehr Menschenmit Kindern. Diese Unterschiede sind allerdingsgering. Die Sichtweise des aktiven Transfor-mierens in Bezug auf den Klimawandel durch-dringt letztlich alle Gesellschaftsschichten, wasauch durch die Größe dieser Gruppe deutlichwird.

Die Status Quo-Orientierung ist kennzeich-nend für 31 Prozent der Menschen in Deutsch-land. Auch in dieser Gruppe trauen sich dieMenschen tendenziell einen Einfluss auf dieKlimaproblematik durch eigenes Handeln undDruck auf die Politik zu, wenn auch die Zu-stimmung etwas verhaltener ist. Entscheiden-der ist der Unterschied bei der Ansicht übernotwendige Veränderungen. Die in der Um-frage genannten Klimaschutzmaßnahmen, wiegesetzliche Vorschriften zur Energieeffizienz,Wärmedämmung von Häusern oder Besteue-rung klimaschädlicher Produkte, werden indieser Gruppe nicht als sehr wichtig angese-hen. Eine knappe Mehrheit findet die Maß-nahmen eher wichtig, aber ein beachtlicherAnteil ist auch der Meinung, die Maßnah-men seien weniger oder überhaupt nicht wich-tig. In der übrigen Bevölkerung gibt es sol-che Einschätzungen praktisch nicht. Die Zu-stimmung zur Energiewende ist in dieserGruppe ebenfalls deutlich verhaltener als imRest der Bevölkerung und auch politischerDruck auf die Wirtschaft zugunsten klima-freundlicherer Produktionsweisen wird in die-ser Gruppe allenfalls moderat befürwortet.Die Klimaschutzaktivitäten durch Bundesre-gierung, Lokalpolitik und von den Bürger-innen werden von einer Mehrheit in dieserGruppe als ausreichend angesehen. Auch derIndustrie wird ein vergleichsweise gutes Zeug-nis ausgestellt, wenn auch die Klimaschutz-aktivitäten kritischer gesehen werden als imFall der Politik und BürgerInnen. Zu wenigAktivität attestiert diese Gruppe aber vor al-lem den Umweltverbänden.

In der Gruppe der Menschen mit Status Quo-Orientierung sind WählerInnen von CDU/CSUund FDP leicht überrepräsentiert, die Kinderlo-sen sind etwas häufiger, genauso wie die Unre-ligiösen. Auch in diesem Fall sind die Unter-schiede zu den anderen Gruppen nicht sehr prä-gnant. Eine klare Identifikation der Gruppe nachdiesen Kriterien ist nicht möglich.

Die machtlose Politikorientierung ist diePerspektive auf die Klimaproblematik der drit-ten Gruppen, die 26 Prozent der Bevölkerung

Jochen Roose

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umfasst. Für diese Gruppe ist kennzeichnend,dass sie den BürgerInnen keinen Einfluss beider Klimaproblematik zutraut. Alltagshandelnwird noch in Maßen als einflussreich angese-hen, doch an einen Einfluss der Bürger auf diePolitiker glaubt diese Gruppe kaum. Die inder Umfrage genannten konkreten Maßnah-men werden durchweg stark unterstützt. Auchdie Umstellung auf erneuerbare Energien be-fürwor tet diese Gruppe. Die Politik ,insbesondere die Bundesregierung, wird als derentscheidende Akteur gesehen, um Klimaschutzzu erreichen. Allerdings findet die Arbeit vonPolitik und Wirtschaft unterdurchschnittlicheZustimmung. Die Unzufriedenheit mit derBundesregierung und mehr noch mit der In-dustrie in Bezug auf Klimaschutz ist hier amgrößten. Da kann es kaum überraschen, dassdie Aussage, Deutschland werde die aus demKlimawandel resultierenden Probleme erfolg-reich bewältigen, im Vergleich die geringsteUnterstützung findet.

Menschen, die dem Klimawandel mit einermachtlosen Politikorientierung begegnen, wäh-len etwas überproportional die Linkspartei oderwollen nicht wählen. Die unteren Einkommens-gruppen sind etwas überrepräsentiert. AuchFrauen sind in dieser Gruppe etwas häufiger,wobei die Unterschiede zu den anderen Grup-pen wiederum gering sind. Die Einschätzun-gen zum Klimaschutz sind zum einen nichtsehr stark unterschiedlich in der Bevölkerung,die Gruppen unterscheiden sich eher graduell,aber nicht fundamental. Vor allem aber lassensich die Haltungen zum Klimawandel nichtklar soziodemographisch oder nach politischerOrientierung unterscheiden.

Klimaschutz als politisches Thema, aberauch als Handlungsaufgabe an die BürgerIn-nen ist in der deutschen Gesellschaft angekom-men. Die Sicht auf Klimaschutz, die in Deutsch-land am häufigsten vertreten ist, schreibt denBürgerInnen als politische Akteure und fürEntscheidungen in ihrem Alltagsleben eineSchlüsselrolle zu. Zudem wird klar ein Hand-lungsbedarf in Politik, Wirtschaft und Alltags-leben anerkannt. Es sind jeweils Minderheiten,

die diesen Handlungsbedarf entweder wenigersehen, wie bei der Status Quo-Orientierung,oder die eigenen Einflusschancen als geringeinschätzen, wie bei der machtlosen Politikori-entierung. Bemerkenswert bleibt dabei, dassdie Unterschiede zwischen den Gruppen nichtsehr groß sind. Auch bei der Status Quo-Ori-entierung und deutlicher noch bei der macht-losen Politikorientierung wird die Klimapro-blematik anerkannt, nur in geringerem Aus-maß. Eine klare Ablehnung des Problems alssolchem oder eines Handlungsbedarfs ist nursehr selten zu finden. Dieser Konsenshaltungentspricht auch die sehr geringe politischeLagerbildung bei diesem Thema. Die Grup-pen unterscheiden sich in ihren Wahlabsichtennur sehr wenig.

Klimaschutz ist ein Konsensthema. Alle er-kennen es an, die Klimafragen polarisierennicht. Damit entsteht aber auch keine rechteKonfliktdynamik, weil es zumindest vordergrün-dig am Konflikt fehlt. Alle sind sich scheinbareinig. Doch wenn es diese konsensuelle Pro-blemwahrnehmung gibt, wie sieht es dann mitder Problemlösung, dem aktiven Klimaschutzaus?

3 | Aktiver Klimaschutz

Einstellungen allein tragen zum Klimaschutznur mäßig bei, am Ende wird die Eindämmungdes Klimawandels von klimaverträglichemHandeln abhängen. Daher geht der abschlie-ßende Blick auf das Verhalten der Menschen.

Eine Vielzahl von Handlungen in unseremAlltagsleben, aber auch politisches Handeln oderHandeln im Beruf, hat Implikationen für dasKlima. Standardisierte Umfragen können immernur punktuelle Ausschnitte von möglichen kli-marelevanten Verhaltensweisen abfragen, auchqualitativen Studien fällt es schwer, die ganzeKomplexität zu erfassen und eine repräsentati-ve Abbildung ist ohnehin nicht möglich. Inso-fern kann die Analyse hier nur ausschnitthaf-ten Charakter haben. Dennoch werden auf dieseWeise einige grundlegende Tendenzen deut-lich.14

Wollen die Deutschen das Klima retten?

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Konkrete eigene Aktivitäten sind abgese-hen von Mülltrennung vor allem beim Ener-giesparen verbreitet. 83 Prozent der Deut-schen geben an, nicht benötigte elektrischeGeräte abzuschalten und 65 Prozent habenenergieeffiziente Geräte gekauft (Borgstedtet al. 2010: 37). Andere Aktivitäten sind da-gegen seltener. Jeweils rund ein Drittel derDeutschen geben an, ein verbrauchsarmes Autogekauft zu haben, die Benutzung des Privat-wagens zu reduzieren oder umweltfreundli-che Verkehrsmittel zu benutzen (EB 72.1, ei-gene Auswertung). 18 Prozent der Deutschenvermeiden nach Möglichkeit kurze Flüge(EB72.1). Acht Prozent der Deutschen bezie-hen Ökostrom und drei Prozent gaben an,schon einmal verursachte Klimagase finanzi-ell kompensiert zu haben. Vier Prozent derBefragten haben sich für Geldanlagen imBereich der erneuerbaren Energien entschie-den (Borgstedt et al. 2010: 37). Bei Kaufent-scheidungen generell achten nach eigenenAngaben 47 % darauf, dass die Produkte lang-lebig sind. 24 Prozent vermeiden bei Textili-en Schadstoffe und 19 Prozent kaufen gezieltProdukte, welche die Umwelt nur gering be-lasten. Insbesondere jene Aktivitäten, die kei-nen sehr großen Aufwand bedeuten oderzumindest die Lebensweise nicht grundlegendverändern, werden von einem Teil der Men-schen im Alltagsleben umgesetzt. Hier schlägtsich das Umwelt- und Klimabewusstsein inkonkreten Handlungen nieder (Diekmann/Preisendörfer 1998, Pirani/Secondi 2011). Beivielen möglichen Aktivitäten zum Klimaschutzbleibt aber eine Mehrheit jeweils inaktiv.

Die oben in Bezug auf ihre Wahrnehmungder Klimaproblematik identifizierten Gruppenunterscheiden sich nur zum Teil in Hinblickauf ihre Aktivitäten. Eine Auswahl von Pro-dukten nach Langlebigkeit oder Schonung derUmwelt findet sich eher bei den Aktiv-Trans-formationsorientierten und wenig bei denMachtlos-Politikorientierten. Auch bei direktfinanziell relevanten Handlungen, wie Aus-gleichszahlungen und Geldanlagen gibt es ge-ringe Unterschiede, die vor allem auf die un-

terschiedlichen Einkommen in den Gruppenzurückgehen.

Deutlichere Unterschiede im Verhalten gibtes dagegen zwischen diesen beiden Gruppenund den Status Quo-Orientierten. Die StatusQuo-Orientierten achten dem selbst berichte-ten Verhalten nach etwas weniger auf Klima-verträglichkeit. Interessanterweise sind dieUnterschiede aber nicht sehr groß. Ökostromnutzen in dieser Gruppe immerhin fünf Pro-zent, unter allen übrigen sind es neun Prozent.Mülltrennung nehmen unter den Status Quo-Orientierten 84 Prozent vor, bei den übrigensind es 92 Prozent. Dies sind zwar nennens-werte Unterschiede, insgesamt scheint aber dieeinfache Zugänglichkeit zu klimafreundliche-ren Handlungsalternativen entscheidend zu sein.Die Klimaproblematik als solche wird ebenkaum in Abrede gestellt. Die Differenzen be-wegen sich auf der Ebene von Einschätzungender Dringlichkeit, des Problemausmaßes oderrichtiger Lösungsmaßnahmen.

4 | Fazit

Die Klimaproblematik, so lässt sich die Lagein Deutschland zusammenfassen, ist inDeutschland angekommen. Die Umweltbewe-gung hat das Klimathema intensiv aufgenom-men, Klimaschutz ist Gegenstand von politi-schen Forderungen und Protest. Viele Men-schen in Deutschland teilen die Ansicht, Kli-maschutz sei wichtig, insbesondere als globa-les Problem. Auch wenn die Klimaproblema-tik nicht die punktuelle Stoßkraft entwickelt,wie es beispielsweise die Frage der Atomener-gie vermochte, so hat das Thema doch einenfesten Platz auf der politischen TagesordnungDeutschlands erreicht.

Diese Verankerung der Klimaproblematikzeigt sich nicht nur auf der pauschalen Ebene,sondern auch bei den Einschätzungen der Deut-schen zu konkreteren Fragen. Die Deutschensehen die Politik, aber auch sich selbst in derPflicht und befürworten zu großen Teilen kon-krete Maßnahmen zum Klimaschutz. Es lohnt,sich die Abstraktheit des Klimaproblems vor

Jochen Roose

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Augen zu halten, um die Besonderheit einersolchen kulturellen Entwicklung einschätzenzu können. Während Wetter beobachtet wer-den kann, ist Klima abstrakt (Beck 2007).Zudem basieren alle Diagnosen und Progno-sen in der Klimafrage auf komplexen wissen-schaftlichen Untersuchungen und Schlussfol-gerungen. Dennoch ist die Klimaproblematikdurch die gesamte Gesellschaft hindurch klaranerkannt.

Ein genauerer Blick hat gleichwohl Unter-schiede aufgezeigt. Drei unterschiedliche Deu-tungszusammenhänge des Klimawandels las-sen sich finden. Die größte Gruppe begegnetdem Thema mit einer aktiven Transformati-onsorientierung. Das bedeutet, Politik, Wirt-schaft, aber auch die BürgerInnen sind aufge-fordert, das Problem in gemeinsamer Anstren-gung zu lösen. Die Sichtweise der machtlo-sen Politikorientierung erkennt ebenfalls dieDringlichkeit des Problems an, bleibt aber beiden eigenen Einflusschancen skeptisch. Undschließlich wird bei der Status Quo-Orientie-rung das Problem zwar anerkannt, hierherrscht aber die Meinung vor, die getroffe-nen Maßnahmen seien bereits weitgehendausreichend oder würden sich ohne massiveEinflussnahme entwickeln. Erstaunlich, abereben auch ein Zeichen der gesellschaftswei-ten Anerkennung der Problematik ist dann,dass konkrete Handlungen zum Schutz desKlimas in allen drei Gruppen ähnlich weitverbreitet sind. In Bezug auf das Alltagshan-deln zeigt sich zudem, dass Einstellungennicht direkt zum Klimaschutz führen. Hierkommt eine Vielzahl anderer Faktoren hinzu.Am Ende gibt es dann doch eine Reihe vonAktivitäten zum Klimaschutz, insbesondere dieaufwändigeren, die nur von einer Minderheitin die Tat umgesetzt wird.

Dieser Konsens über die Wichtigkeit undDramatik des Klimawandels, die Einigkeit undEinhelligkeit der Meinungen scheint sich eherals Schwierigkeit zu erweisen. Der Vergleichmit dem Atom-Thema macht dies deutlich. DieKlimaproblematik gilt als wichtig, aber es ent-steht keine Dynamik, weil es an Konflikt fehlt.

Klimaschutz kann nicht polarisieren, wecktkeine Emotionen. Solange es nicht sehr auf-wändig ist, werden die Klimaschutzaktivitätenumgesetzt, doch der fundamentale gesellschaft-liche Wandel hin zu einer klimaverträglichenLebensweise ist noch in sehr weiter Ferne. Undes gibt auch keinen Konflikt um den Wegdorthin, sondern alle sind sich einig, dass et-was passieren müsste.

Die Veränderung von Alltagspraktiken er-weist sich als das große, zu lösende Problemunserer Zeit. Dies mag an eingelebten Gewohn-heiten und Praktiken liegen, an zu hoch emp-fundenen Umstellungskosten oder mangelndemWissen vor allem über konkrete Alternativen.Als Lösung böte sich einerseits die Politik an.Es ist eine politische Aufgabe, klimaverträgli-chere Alternativen zu fördern und verfügbarzu machen. Andererseits erfordert ein Wandelvon Lebensweisen mehr als ein paar politischeStellschrauben in einer Demokratie realistischerreichen können. Der Wissenschaftliche Bei-rat der Bundesregierung für Globale Umwelt-veränderungen spricht in seinem 2011er Haupt-gutachten von der Notwendigkeit einer – nachder Industrialisierung der zweiten – „GroßenTransformation“ (WBGU 2011). Eine gesell-schaftliche Auseinandersetzung, ein Konfliktmit seiner Polarisierung und Dynamik könntehelfen, diesen grundlegenden sozialen Wandelin Gang zu bringen. Der allgemeine Konsensscheint dies bisher zu ersticken. Der Kampfum die Köpfe scheint weitgehend gewonnen,der Kampf um die Hände, um das Tun hatnoch nicht einmal richtig begonnen.

PD Dr. Jochen Roose ist Juniorprofessorfür Soziologie europäischer Gesellschaften undarbeitet zu sozialen Bewegungen, politischerSoziologie, Kultursoziologie und Methoden derempirischen Sozialforschung. Kontakt:[email protected]

Anmerkungen1 Eine Geschichte des 2-Grad-Ziels findet sich

bei Jaeger und Jaeger (2011).

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2 Derzeit sind in Deutschland nach Angabendes BUND 15 Kohlekraftkraftwerke geplantoder im Bau. bund.net/themen_u n d _ p r o j e k t e / k l i m a _ e n e r g i e /k o h l e k r a f t w e r k e _ s t o p p e n /geplante_standorte/ [20.1.2012].

3 Vgl. die Angaben der Internationalen Atom-energiebehörde: www.iaea.org/programmes/a2/ [16.12.2011].

4 Zur Umweltbewegung allgemein vgl. Rucht(1994a: 240ff.), Brand (1999, 2008) undRoose (2012).

5 Zu Details der Studie vgl. Rucht (2001).6 Proteste allein gegen FCKW und Ozon wer-

den hier nicht als Klimaproteste verstanden.Nur wenn die Klimathematik explizit genanntist, fallen solche Proteste in die hier berich-tete Kategorie.

7 Ausgangsmaterial war dabei eine Zusammen-stellung aller Berichterstattung der Zeitungzur Klimathematik, die mir Mike S. Schä-fer, Ana Ivanova und Andreas Schmidt dan-kenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat.Franziska Scholl hat die Kodierung übernom-men, auch dafür mein Dank.

8 Eilders (2001) konnte in ihrem Vergleich fürdas Jahr 1993 ohne thematische Einschrän-kung in der PRODAT-Stichprobe der Süd-deutschen Zeitung 291 Proteste identifizie-ren, in der Frankfurter Rundschau 425. 158Proteste davon kamen in beiden Zeitungenvor. In Eilders Studie erhöhte sich also dieProtestanzahl durch die Hinzunahme derFrankfurter Rundschau um den Faktor 1,92.Ob dieses Ergebnis auch auf die hier betrach-teten Klimaproteste in den 2000er Jahrenübertragbar ist, muss aber Spekulation blei-ben.

9 Betrachtet wurden hier die Jahresberichtezwischen 2002 und 2010 von GreenpeaceDeutschland, Naturschutzbund Deutschland(NABU) und dem Worldwide Fund for Na-ture Deutschland (WWF) sowie dem Bundfür Umwelt und Naturschutz Deutschland(BUND) von 2005-2010. Zu den Organisa-tionen vgl. auch Markham (2008) und Take(2002).

10www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Polit-b a rome t e r /Lang z e i t en tw i c k l ung_ -_Themen_im_Ueberblick/Politik_II/#Pro-bl1 [17.1.2012].

11Die Studie „Umweltbewusstsein in Deutsch-land“ wird alle zwei Jahre mit leicht wech-selndem Frageprogramm vom Umweltbun-desamt finanziert, aber von unterschiedlichenWissenschaftlerInnen ausgeführt. Vgl.www.umweltbewusstsein.de, www.klimabewusstsein.de sowie die jeweiligenErgebnisberichte (Kuckartz 2000, Kuckartz2002, Kuckartz/Rheingans-Heintze 2004,Kuckartz et al. 2006, Wippermann et al.2008, Borgstedt et al. 2010).

12Weiterhin zur Auswahl standen: internatio-naler Terrorismus; Armut, Mangel an Lebens-mitteln und Trinkwasser; Verbreitung vonAnsteckungskrankheiten; globaler wirtschaft-licher Abschwung; Proliferation von Nukle-arwaffen; bewaffnete Konflikte; Zunahmeder Weltbevölkerung; anderes. EB 72.1.

13Die Identifikation dieser Gruppen ist Ergeb-nis einer Clusteranalyse mit vorgeschalteterHauptkomponentenanalyse. AufgenommeneVariablen sind: Wir brauchen einen konse-quenten Umstieg auf erneuerbare Energien;Um mit dem Klimawandel und anderen Um-weltproblemen klar zu kommen, brauchenwir vor allem ein hohes Wirtschaftswachs-tum. Denn die dafür notwendigen Maßnah-men kosten viel Geld; Die Politik müssteviel stärkeren Druck auf die Wirtschaft aus-üben, um eine klimaverträgliche Produkti-onsweise zu erreichen, auch wenn dadurchdie Wirtschaft in einzelnen Bereichen belas-tet wird; Mit der Nutzung von erneuerba-ren Energien, wie Sonne, Wind und Biomas-se, wäre Deutschland unabhängiger von an-deren Ländern, weil weniger Energie impor-tiert werden muss; Wird von den folgendenAkteuren in Deutschland genug für den Kli-maschutz getan? Bundesregierung; Städte/Gemeinden; Bürgerinnen und Bürger; Um-weltverbände; Industrie; Nun möchten wirSie bitten, die folgenden Maßnahmen fürden Klimaschutz zu bewerten. Gesetzliche

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Vorschriften zur Energieeffizienz von elek-trischen Geräten, Zusätzliche Besteuerungvon besonders klimaschädlichen Produkten,Deutlich bessere Wärmedämmung von Häu-sern, Staatliche Förderung von Investitionen,die zu Energieeinsparung in Wohnhäusernführen, Staatliche Förderung der Landwirt-schaft beim Schutz naturnaher Biotope (z.B.Moore) und fruchtbarer Böden; Wie sehrsind Sie davon überzeugt, dass wir inDeutschland die Probleme, die aus dem Kli-mawandel resultieren, bewältigen können? ;Die Bürgerinnen und Bürger können durchein umweltbewusstes Alltagsverhalten wesent-lich zum Klimaschutz beitragen. Der Druckvon Bürgerinnen und Bürgern auf die Poli-tik kann wirksame Maßnahmen zum Klima-schutz herbeiführen, Bürgerinnen und Bür-ger können durch ihr Engagement in Um-welt- und Naturschutzverbänden wesentlichzum Klimaschutz beitragen. Bei allen Fra-gen gab es jeweils vier Antwortkategorien.Die Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation führte nach Kaiser-Kriterium undScree Plot zu einer fünf Faktorenlösung, die58 % der Gesamtvarianz aufklärt. Die an-schließende Two Step Clusteranalyse beiSPSS (Bacher et al. 2004) erbrachte eine mä-ßig trennscharfe Lösung für drei Cluster.N=2008 (gewichtet). Die Studie ist bei dergesis unter der Nummer ZA 5072 zugäng-lich (siehe auch Borgstedt et al. 2010). Diefolgende Auswertung bezieht sich auf Diffe-renzen bei den Originalvariablen, nicht denFaktoren der Hauptkomponentenanalyse.

14Neben der schon oben (2.) herangezogenenStudie Umweltbewusstsein in Deutschland(Borgstedt et al. 2010) greife ich hier auchauf eine aktuelle Eurobarometerumfrage EB72.1 zurück (siehe ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb_special_en.htm[20.1.2012]).

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PULSSCHLAG

Chancen des Internets für demokratische Ge-sellschaften im Allgemeinen hat auch eine Dis-kussion über die Potenziale des Webs für ZGAeingesetzt. Neben Vorteilen für die innere Or-ganisation und Koordination, der Außen- undBinnenkommunikation und der Erweiterungder Handlungsrepertoires (vgl. Baringhorst2009: 612ff) wird dabei ein erhöhtes Mobili-sierungspotenzial von Bürgern im Netz fürkurzfristig angelegte Partizipation in themen-bezogenen Kampagnen gesehen. So konstatie-ren Ward und Gibson (2009: 37): „[M]obilizingonce-off protests or creating rapid ephemeralnetworks is where the internet makes the big-gest impact.“

Zwar gilt Online-Partizipation generell nochals Randerscheinung in unserer Gesellschaft(vgl. Emmer/Wolling 2010), zwei Entwicklun-gen bekräftigen aber das Potenzial der Online-Mobilisierung durch ZGA: Erstens wenden sichdie Menschen durch zunehmende Individuali-sierung und Fragmentierung der Gesellschaftvon traditionellen Mitgliederorganisationen(z.B. Gewerkschaften, Parteien) ab und betei-ligen sich stattdessen punktuell und themen-bezogen an temporären Initiativen (vgl. Rucht2010). Zweitens sind in den letzten Jahren aufOnline-Kommunikation und Partizipation be-ruhende ZGA wie Avaaz und Campact ent-standen, die in der Lage sind, für thematischeingegrenzte politische Forderungen massen-haft Bürger zu unaufwendigen Partizipations-handlungen im Netz zu bewegen. Dass dieBeteiligungszahlen durchaus mit vergleichba-ren traditionellen Formen kollektiver Bürger-teilhabe mithalten können, wird im folgendenAbschnitt gezeigt.

1.2 Online-Beteiligungskampagnen vonZGA

Die für diesen Beitrag relevanten politischenKampagnen sind durch drei zentrale Merkma-le charakterisiert: Initiator der Kampagne istein ZGA, Adressaten sind politische Entschei-dungsträger und die Teilhabe und Mobilisie-rung möglichst vieler Bürger ist die Kampag-nenstrategie. Im Kern geht es um die „Mobili-

ANALYSE

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Klickaktivismus?Über die Wirkung von politischen Online-Kampagnen

Online-Kampagnen sind zu einem wichtigenInstrument der politischen Kommunikationgeworden. In der Zivilgesellschaft sind in denletzten Jahren Akteure entstanden, deren Or-ganisation, politisches Handeln und Einbindenvon Bürgern vollständig auf Online-Kommuni-kation beruhen. Avaaz und Campact(www.avaaz.org; www.campact.org) sindhierfür prominente Beispiele. Ihr Online-Akti-vismus manifestiert sich in themenbezogenenKampagnen (z.B. Online-Petitionen und E-Mail-Kampagnen), deren Hauptmerkmal die Betei-ligung möglichst vieler Bürger ist. Währendsolche „Online-Beteiligungskampagnen“ vieleBürger mobilisieren können, hat sich die For-schung bisher nur deskriptiv mit dem Phäno-men auseinandergesetzt (vgl. Kavada 2009; Earl2006), Erkenntnisse zur Wirkung des Online-Aktivismus auf die Politik aber noch nichtgeliefert. Hier setzt der vorliegende Beitragan. Die übergeordnete Fragestellung lautet:Welche Wirkung haben zivilgesellschaftlicheOnline-Kampagnen auf etablierte politischeAkteure?

Ob Online-Kampagnen eine neue Teilha-bealternative darstellen, soll explorativ durchzehn Leitfadeninterviews mit Abgeordnetendes Deutschen Bundestags und Online-Exper-ten der dort vertretenen Parteien untersuchtwerden.

1 Theoretische Grundlagen1.1 Online-Partizipation durch zivilge-

sellschaftliche AkteureZivilgesellschaftliche Akteure (ZGA) wie Bür-gerinitiativen, Verbände und Interessengruppenüben in demokratischen Gesellschaften dieFunktionen Interessenaggregation, Interessen-artikulation und Partizipation aus (vgl. Straß-ner 2006: 11). Analog zum Diskurs über die

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sierung möglichst vieler Unterstützer als Ba-sis, die dann gemeinsam eine bestimmte Ideeoder Position ‚nach oben‘ (bottom-up) – alsozu den Entscheidungsträgern – transportieren“(Meier 2009: 127). Typische Formen vonOnline-Beteiligungskampagnen sind Online-Petitionen, entweder formell über das Petiti-onstool der Bundesregierung oder informellüber die Webseite des ZGA organisiert, sowieE-Mail-Kampagnen. Letztere beinhalten meistein Online-Formular, über das eine E-Mail aneinen Politiker oder eine Partei geschickt wer-den kann (vgl. Earl 2006: 362). InformelleOnline-Petitionen und E-Mail-Kampagnen wer-den z.B. von Avaaz eingesetzt. Avaaz-Petitio-nen in den Jahren 2010 und 2011 gegen dieLaufzeitverlängerung von Atomkraftwerken(181.609 Unterzeichner) und für eine energie-politische Wende (113.916 Unterzeichner) so-wie eine E-Mail-Kampagne zur Bundespräsiden-tenwahl 2009 mit 29.642 beteiligten Bürgernerwecken den Eindruck, dass hier eine sub-stanzielle Art unkonventioneller Bürgerbeteili-gung durch das Netz ermöglicht wird. DieMobilisierungskraft der informellen Online-Petitionen scheint höher zu sein als jene vonformalen Online-Petitionen: Laut Jungherr undJürgens (2010: 144) kamen seit 2008 nur 14von 886 formalen E-Petitionen auf über 10.000Unterstützer.

Insgesamt könnte durch neuartige Online-NGOs webbasierte Teilhabe einen Schritt ausdem Nischendasein machen. Diese Form poli-tischer Online-Partizipation lässt sich durch vierzentrale Merkmale kennzeichnen:•Das Engagement und die Partizipationskos-

ten eines Einzelnen sind relativ gering. Teil-habe wird in zeitlich unaufwendigen Aktivi-täten angeboten und erst durch die Bünde-lung einer hohen Anzahl Beteiligter werdendie Kampagnen bedeutend.

•Formale Mitgliedschaft wie z.B. in Parteienoder Gewerkschaften gibt es bei solchenOrganisationen nicht. Mitglied ist, wer sichüber ein Online-Formular mit einer E-Mail-Adresse und einigen wenigen persönlichenDaten registriert.

•Innerhalb der ZGA ist die Partizipation der„Mitglieder“ eher gering. Diese können zwarpartiell bei der Themensetzung mitbestim-men, die hauptsächliche Entscheidungskom-petenz liegt aber meist in den professionali-sierten Organisationsspitzen bei gut vernetz-ten Experten.

•Die Mitglieder der Online-NGOs fungierennicht nur als Unterstützer politischer Forde-rungen, sondern auch als Multiplikatoren derOnline-Kampagnen, indem sie über sozialeNetzwerke oder E-Mail selbst andere Bürgermobilisieren (vgl. Kavada 2009).

1.3 Leitfadeninterviews mit etabliertenpolitischen Akteuren

Politische Wirkung wird bei dieser Studie nichtnur als Erfolg bzw. Misserfolg im Sinne derManifestierung politischer Forderungen impolitischen Output (z.B. Gesetze) verstanden.Vielmehr soll auch die Ebene der individuellenpolitischen Akteure als aktive Rezipienten derKampagnen und somit deren Bewertung vonKampagnenmerkmalen in die Operationalisie-rung des Wirkungsbegriffs einbezogen werden.Die Forschungsfrage wird daher in drei Unter-fragestellungen untergliedert:•Wie bewerten politische Akteure zentrale

Eigenschaften von Online-Kampagnen (Invol-vement, Repräsentativität, Stärken, Schwä-chen)?

•Welchen Einfluss haben Online-Kampagnenauf den Meinungsbildungsprozess von Bun-destagsabgeordneten?

•Welche Wirkung haben Online-Kampagnenim Vergleich zu klassischen Offline-Beteili-gungsformen?

Zur Beantwortung der Fragestellungen wur-den zehn Leitfadeninterviews mit fünf Bun-destagsabgeordneten, pro Partei ein Abgeord-neter und den fünf „Online-Experten“, also denZuständigen für die onlinebasierte Öffentlich-keitsarbeit der Bundesverbände der Parteien,durchgeführt.1 Sowohl die individuellen Abge-ordneten als auch die Parteizentralen sindAdressaten von Online-Kampagnen und somit

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geeignete Interviewpartner für die vorliegen-den Studie.

2 Ergebnisse2.1 Bewertung zentraler Eigenschaften

von Online-KampagnenEher positiv gestimmte Abgeordnete sehen alszentrale Stärke von Online-Kampagnen die er-weiterte Beteiligungsmöglichkeit, die sich imGegensatz zum Wahlakt nur auf einzelne, fürden Bürger als relevant angesehene Themenkonzentriert. Das Plus an Bürgerbeteiligung,das durch Online-Kampagnen entsteht, bezie-hen die Abgeordneten insbesondere auf jungeMenschen. Die Online-Experten führen zusätz-lich die schwache Organisationsbindung alsTriebfeder für mehr Beteiligung an („man musskeine Organisation heiraten“, MS).

Als Schwäche empfinden die Politiker, dasssie bei Online-Kampagnen vermehrt mit unbe-kannten Akteuren konfrontiert werden, dereninhaltliche Kompetenz und Seriosität sie zeit-lich bedingt meist nicht überprüfen könnenund somit eher von ihnen Abstand nehmen.Die Online-Experten argumentieren bei denSchwächen vorrangig mit technischen Mani-pulationsmöglichkeiten der Kampagnen, z.B.eine fehlende E-Mail-Verifizierung beim Unter-zeichnen von Petitionen („Double Opt-In“).Mitunter kritisieren die Online-Experten zudemdas nicht zielgerichtete Adressieren von Politi-kern sowie eine mangelnde Dialogorientierungbei E-Mail-Kampagnen:

„[E]ine absolute Schwäche ist, dass manwirklich einfach nur durch das einfache Rauf-klicken auf eine Taste sämtliche MdBs undvielleicht noch die Bundesgeschäftsstellen an-schreibt. [D]ann schreibt ein Mitarbeiter ir-gendwo eine Standardantwort und alle sindnur abgenervt davon und die Leute erreichendamit nichts, weil sie nerven nur. Sie schaffendamit keinen Dialog.“ (TD)

Skeptisch steht die Mehrheit der Befrag-ten auch dem Maß an Einbezogenheit undMitgestaltungsmöglichkeit der Bürger (Invol-vement) bei typischen Kampagnenformen wie

E-Mail-Kampagnen oder Online-Petitionen ge-genüber:

„[Die Beteiligung] ist nicht echt, nicht ehr-lich. Sondern sie wird vorgegaukelt. [...] [D]ieKampagne ist ja schon sozusagen fertig formu-liert. Da ist ja ein nachträgliches, demokrati-sches Abstimmen über verschiedene Wege oderverschiedene Formulierungen [...] nicht mehrmöglich. Außer mein Kreuz drunter machen,kann ich mich nicht beteiligen.“ (MdB4)

Die Online-Experten bewerten das Involve-ment ähnlich gering wie die Abgeordneten,differenzieren aber zwischen verschiedenenKampagnenformen. Höheres Involvement derBürger können demnach Kampagnen erreichen,an deren Konzeption die Bürger online mitar-beiten, oder solche Online-Kampagnen, die mitAktivitäten in der realen Welt kombiniert wer-den. Diese Aktivitäten werden folglich auchhöher bewertet. Repräsentativ für die Bevölke-rungsmeinung können die Kampagnen Exper-ten und Angeordneten zufolge nicht sein.

2.2 Einfluss auf die Meinungsbildungvon Bundestagsabgeordneten

Die befragten Abgeordneten nehmen Online-Kampagnen grundsätzlich in ihren Meinungs-bildungsprozess auf. Allerdings sind die Kam-pagnen nur „ein Teil eines Informationspake-tes“ (MdB4) und haben letztlich wenig Ein-fluss auf die abschließende Positionierung. DieOnline-Experten schätzen die Wirkung derKampagnen auf die Meinungsbildung vonEntscheidungsträgern ähnlich gering ein. Ausden Interviews lassen sich aber sowohl Fakto-ren herausfiltern, die das Ausbleiben einesKampagneneinflusses auf die Meinungsbildungbefördern, als auch Faktoren, die einem gewis-sen Kampagneneinfluss auf die Positionierungvon Politikern förderlich sind.

Gegen einen Kampagneneinfluss spricht ausSicht der Abgeordneten, dass die Kampagnen,auch wenn hunderttausendfach unterstützt,meist nur ein Argument in einer Debatte ver-treten („ein Argument wird ja dadurch, dasses tausendfach wiederholt wird, nicht besser“,

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Online-Experten betonen außerdem, dass diemitunter alternative Themenagenda der Inter-netgemeinde auf klassische Medien und diegesamte Öffentlichkeit ausstrahlen kann undOnline-Kampagnen somit auch als „Frühwarn-systeme“ für die etablierte Politik fungieren.Der Einfluss auf Abgeordnete kann zudemhöher sein, wenn die adressierten Politiker einegewisse Online-Affinität besitzen.

2.3 Wirkung von Online-Kampagnen imVergleich zu Offline-Kampagnen

In den Interviews wurde die Wirkung der typi-schen Online-Kampagnenformen (Online-Peti-tion, E-Mail-Kampagne) mit der Wirkung ih-rer Offline-Pendants (Offline-Petition, Briefkam-pagne) verglichen. Den Abgeordneten zufolgeist die Wirkung tendenziell gleich. Im Fall vonformalen Petitionen werden Online- und Off-linevariante auch deshalb gleich behandelt, weiles ein geregeltes Verfahren gibt, das beim Ein-reichen beider Petitionsformen beim Bundes-tag eingehalten werden muss. Dennoch scheintein gewisses Maß an Skepsis gegenüber derOnline-Variante aufgrund der niedrigen Hemm-schwelle der digitalen Unterschrift vorzuherr-schen. Zudem ist für manche Abgeordnete derdirekte Austausch auf der Straße mit anderenBürgern ein wichtiges Element einer standhaf-ten Meinungsbildung.

Auch einige Online-Experten sehen dieNiedrigschwelligkeit und unnachhaltige Mei-nungsbildung im Internet als Schwächung inder Wirkung von Online-Kampagnen an. An-dere Experten sehen keinen Unterschied, statt-dessen aber ähnliche zwischenmenschliche Dis-kursstrukturen über Politik im Internet wie inder realen Welt. Prinzipiell macht es aber kei-nen Unterschied für Politiker und Experten,ob eine Petition online oder offline zustandekommt, sofern es sich um formale Petitionenhandelt. Die Online-Experten bewerten dasMitzeichnungsverfahren des Online-Petitions-systems des Bundestags sogar als komplizier-ter als ein Offline-Verfahren. In der Gegenü-berstellung von E-Mails und Briefen messendie Politiker einem Postbrief zwar noch eine

MdB2). Zudem herrscht der Eindruck vor, dassim Internet eine sehr einseitige Interessenver-tretung stattfindet, da bestimmte Gesellschafts-gruppen im Internet aktiver und stärker reprä-sentiert sind als andere. Darüber hinaus trägtdie Altersstruktur und teils die traditionelleArbeitsweise des gesamten Bundestags („DasFaxgerät ist hier schon noch Kommunikations-mittel Nummer eins“, MdB4) zu einem gerin-gen Einfluss der Kampagnen bei. Die Online-Experten sehen die geringe Einflusskraftinsbesondere in den tendenziell eher destrukti-ven Kampagneninstrumenten begründet. Mas-senhaftes Versenden von E-Mails hält demnachnur den Bürobetrieb auf und führt dazu, dassdie Politiker mit Gegenmaßnahmen wie Spam-Filtern reagieren.

Doch die Interviews zeigen, dass die Kam-pagnen nicht vollkommen wirkungslos bleiben:Online-Kampagnen können die Willensbildungvon Politikern offenbar insofern beeinflussen,dass sie zur Gewichtung von Themen und Ein-schätzung von Durchsetzbarkeit politischerVorhaben beitragen. Online-Kampagnen schei-nen hierbei für die Politik nicht repräsentativeVolksmeinungen zu liefern, sehr wohl aber eineIndikatorfunktion für die Wichtigkeit bestimm-ter Themen zu erfüllen, wie folgende Zitateillustrieren:

„Natürlich geht die Frage, wer unterstütztirgendwas, welche politischen Meinungsbil-dungsprozesse zeichnen sich ab, in welchenOrganisationen bildet sich welche Mehrheit?Natürlich fließt das in die politische Lagebe-wertung mit ein.“ (MdB2)

„[W]enn ich jetzt sagen kann, eine Petitionbei Avaaz zum Atomausstieg hat 180.000 ge-kriegt und eine Petition, keine Ahnung, zurFreilassung der gefangenen Journalisten inWeißrussland hat 10.000 gekriegt, dann kannich Themen gewichten.“ (SR)

Der Kampagne förderlich ist es zudem,wenn der initiierende ZGA dem Abgeordne-ten bereits bekannt ist. E-Mail-Kampagnenwerden eher beachtet, wenn die Botschaftenvon den Bürgern individualisiert werden. Die

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höhere Wertigkeit zu, bezüglich der Bearbei-tungszeit und im Austausch mit anderen Parla-mentariern ist der elektronische Weg aber of-fenbar im Vorteil:

„Wenn ich sagen kann: ‚Wir alle kriegen dochmomentan Tausende von Mails‘ [...], dann ist dasein psychologisch nutzbares Argument in derinternen Auseinandersetzung. Also, man kann dasnatürlich einsetzen, um die Meinungsbildung inder eigenen Fraktion, in dem eigenen Ausschuss,im Parlament zu befördern.“ (MdB2)

Die Befragten wurden bei diesem Themen-komplex zudem gefragt, wie sie die quantitati-ve und qualitative Dimension politischer Onli-ne- und Offline-Beteiligung, also der Mobili-sierungsintensität (Anzahl der Partizipierenden)und Partizipationsintensität (Partizipationskos-ten und Hemmschwelle eines Einzelnen) ein-schätzen. Bei der Gewichtung dieser Dimensi-onen sind sich die Politiker darin einig, dassintensive Partizipation vor intensiver Mobili-sierung rangiert. 10.000 Demonstranten aufder Straße haben für die Mehrheit der Abge-ordneten einen höheren Stellenwert als 180.000Online-Unterschriften. „[U]mso niedrigschwel-liger eine Beteiligungsform ist, desto wenigersozusagen Gewicht hat sie auch“ (MdB4), solautet der Umkehrschluss. Die Online-Exper-ten argumentieren insgesamt uneinheitlich,teilen aber mehrheitlich die Auffassung, dassOffline-Aktionen stärker wirken:

„Wenn ich in mein Büro will und kommeda nicht rein, weil da 20 Leute davor stehen,dann ist das schon physisch eine viel stärkere[...] Präsenz als dass mein Mitarbeiter mir sagt:‚Wir haben übrigens 80 neue E-Mails heutewieder von Avaaz‘.“ (SH)

Ist die Partizipation mit Hürden und Res-sourceneinsatz verbunden, wird daraus von denPolitikern gefolgert, dass sich die Menschenstärker mit dem Thema auseinandergesetzthaben und ihnen das Anliegen wichtiger ist.Dennoch kann auch die niedrigschwelligeOnline-Mobilisierung ab einem bestimmtenquantitativen Level eine Wirkung haben, so-

fern ein sich am Politikprozess orientierendesMittel (z.B. formale Petition) gewählt wird oderes um ein netzpolitisches Thema geht.

3 FazitDen Interviews mit fünf Bundestagsabgeord-neten und den Online-Experten der Parteienzufolge, haben die Online-Beteiligungskampa-gnen nur eine sehr geringe direkte Wirkungauf politische Entscheidungsprozesse. Die Er-gebnisse zeigen aber einen bemerkenswertenindirekten Effekt: Online-Beteiligungskampa-gnen dienen den etablierten politischen Ak-teuren als Indikator für Stimmungen undMeinungen innerhalb der Bevölkerung. Hierbeiwurde ein gewisser Agenda Impact festgestellt,die die Politik den Kampagnen beimisst. Beinetzpolitischen Themen scheint die Themen-setzung der Online-Aktivisten die politischeAgenda derzeit am meisten beeinflussen zukönnen. Noch vorhandene Skepsis gegenüberder schnelllebigen Online-Partizipation könnteweiter abgebaut werden, je mehr jüngere, onli-ne-affine Politiker in den Bundestag einziehen.

Johannes Hillje, M.A., absolviert ein MSc-Programm in Politics and Communication ander London School of Economics and Politi-cal Science (LSE). Kontakt: [email protected]

Dr. Oliver Quiring ist Professor für Kom-munikationswissenschaft am Institut für Publi-zistik der Johannes-Gutenberg-UniversitätMainz. Kontakt: [email protected]

Anmerkung1 Als Online-Experten wurden interviewt: CDU:

Stefan Hennewig [SH], SPD: Sebastian Rei-chel [SR], FDP: Thomas Diener [TD], Die Lin-ke: Mark Seibert [MS], Grüne: Robert Hein-rich [RH]. Die Namen der Bundestagsabge-ordneten wurden anonymisiert (MdB1-MdB4).

Literatur

Baringhorst, Sigrid 2009: Politischer Pro-test im Netz – Möglichkeiten und Grenzen

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der Mobilisierung transnationaler Öffentlich-keit im Zeichen digitaler Kommunikation. In:Pfetsch, Barbara/Marcinkowski, Frank (Hg.):Politische Vierteljahresschrift. Sonderheft 42,609-635.

Earl, Jennifer 2006: Pursuing SocialChange Online. The Use of Four Protest Tacticson the Internet. In: Social Science ComputerReview, Jg. 24, Heft 3, 362-377.

Emmer, Martin/Wolling, Jens 2010: On-line-Kommunikation und politische Öffentlich-keit. In: Schweiger, Wolfgang/Beck, Klaus(Hg.): Handbuch Online-Kommunikation.Wiesbaden: VS, 36-58 .

Jungherr, Andreas/Jürgens, Pascal 2010:The Political Click. Political Participation th-rough E-Petitions in Germany. In: Policy &Internet, Jg. 2, Heft 4, 131-165.

Kavada, Anastasia 2009: Collective Ac-tion and the Social Web: Comparing the Ar-chitecture of Avaaz.org and Openesf.net. http://homepages.vub.ac.be/~ncarpent/suso/reco_book5.pdf#page=130 [17.01.2011].

Meier, Dominik 2009: Menschen mobili-sieren. Effektiveres „Grassroots-Campaigning“durch den Einsatz Neuer Medien. In: Novy,Leonard (Hg.): Lernen von Obama? Das In-ternet als Ressource und Risiko von Politik.Gütersloh: Bertelsmann, 125-154.

Rucht, Dieter 2010: Engagement im Wan-del. Politische Partizipation im Wandel. http://www.wzb.eu/sites/default/files/publikatio-nen/wzbrief/wzbriefzivilengagement012010_rucht.pdf [05.05.2011].

Straßner, Alexander 2006: Funktionen vonVerbänden in modernen Gesellschaften. In: AusPolitik und Zeitgeschichte, Heft 15/16, 10-17.

Ward, Steven/Gibson, Rachel 2009: Eu-ropean Political Organizations and the Inter-net. In: Chadwick, Andrew/Howard, Philip N.(Hg.): Handbook of Internet Politics. London:Routledge, 101-137.

ANALYSE

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Social Entrepreneurship –Einordnung einer Aktivitätsform

Pulsschlag

Unter dem Schlagwort „Social Entrepreneur-ship“1 wird in letzter Zeit verstärkt die trans-formative Rolle individueller Akteure disku-tiert. Beispiele sind Muhammad Yunus mit sei-ner Idee der Mikrokredite und John Bird mitder Straßenzeitung The Big Issue. Sie begeg-nen gesellschaftlichen Problemen mit innovati-ven Lösungen und unternehmerischen Mitteln.Internationale Nichtregierungsorganisationen(NGOs) und Stiftungen wie insbesondere As-hoka, die Skoll- und die Schwab-Stiftung ha-ben inzwischen Tausende engagierter Menschenin sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen als„Social Entrepreneurs“ gefördert. Bei der Skoll-Stiftung erhalten sie teilweise mehrere Millio-nen US-Dollar zur Umsetzung ihrer Ideen;Klaus Schwab lädt sie zum von ihm gegründe-ten Weltwirtschaftsforum nach Davos ein.

Die Dichotomie zwischen Wirtschaft aufder einen und Zivilgesellschaft auf der ande-ren Seite trifft immer weniger zu. NGOs se-hen sich zusehends als Partner, nicht mehr alsGegenspieler transnationaler Unternehmen inder internationalen Politik. Social Entrepreneur-ship scheint diesem Trend zu folgen, insofernes auf der Vereinbarkeit von sozialem und un-ternehmerischem Engagement beruht. DerArtikel versucht, eine kritische Diskussion umdie Einordnung dieser Aktivitätsform im Kon-text sozialer Bewegungen anzustoßen – anhandder drei zentralen Narrative: 1) dass es sichbei den Social Entrepreneurs um Einzelkämp-fer handelt, 2) dass sie ein neues Wirtschafts-modell etablieren und 3) dass sie mit sozialenInnovationen zur Verbesserung gesellschaftli-cher Umstände beitragen.

1) Vermeintliche EinzelkämpferInternationale Förderorganisationen wie Asho-ka, Skoll und Schwab zeichnen Einzelperso-nen als Social Entrepreneurs aus – und nicht

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die Organisationen oder das Unternehmen, indenen sie in der Regel tätig sind. Es wird sug-geriert, dass eine klar identifizierbare Verket-tung von Subjekt, Handlung und Wirkungbesteht (Grenier 2009: 185). Dadurch schaf-fen sie das Narrativ, dass es sich bei den SocialEntrepreneurs um Einzelkämpfer handelt. Ihrezentrale Annahme und Botschaft ist, dass Indi-viduen die Welt verändern können: „Everyonea changemaker“ (Ashoka-Slogan, siehe auchDrayton 2006). In der Bewegungsforschungwird Individuen zwar mitunter auch entschei-dende Erklärungskraft für einen normativenund politischen Wandel zugeschrieben, abernicht unabhängig von organisationellen Platt-formen, Netzwerken und Koalitionen (Finne-more/Sikkink 1998: 899; Kolb 2002: 10).

Durch die Fokussierung auf die jeweiligeEinzelperson können dem/der Social Entrepre-neur nicht nur normative Vorstellungen her-kömmlichen Unternehmertums zugeschriebenwerden, z.B. „unternehmerischer Arbeitseifer“und „Mut zu Neuem“2. Die Personalisierungerlaubt auch eine Vermarktung über anspre-chende und gefühlsgeladene Geschichten undMythen, die die Authentizität und Glaubwür-digkeit der Projekte erhöhen. Die Social En-trepreneurs werden als Menschen mit beson-deren kognitiven Fähigkeiten und in ihrenHandlungen als vornehmlich altruistisch be-schrieben (Drayton 2006: 81). Im Fall Yunuswird berichtet, wie er 1974 mit einem PhDaus den USA nach Bangladesch zurückkehrteund dort dann aufgrund seiner persönlichenErfahrungen mit der armen Bevölkerung dieGrameen („Dorf“) Bank gründete. Sie vergibtsogenannte Mikrokredite, Darlehen in sehrgeringer Höhe, an Gruppen von fünf Perso-nen – in der Regel nur Frauen – ohne finanzi-elle Sicherheit, die allerdings gegenseitigfüreinander haften (Spiegel 2006; Yunus/Jolis2006).

Alternative Deutungen für das Engagementder Einzelnen und „ihren“ Erfolg werden inder Forschung zu Social Entrepreneurship bisherausgeblendet (kritisch hierzu Mair et al. 2006:2; Dacin et al. 2011: 1205). Dabei werden Social

Entrepreneurs im Unterschied zu zivilgesell-schaftlichen Akteuren gerade dadurch definiert,dass sie nicht nur altruistisch, sondern durchausauch „unternehmerisch“ und profitorientierthandeln (siehe zweites Narrativ). Yunus giltals unumstrittenes Vorbild in der entsprechen-den Forschungsgemeinschaft (Bornstein 2004:14), während seine Uneigennützigkeit und diewohlfahrtfördernden Effekte der Mikrokredi-te in anderen Kontexten durchaus hinterfragtwerden (Klas 2010; Muhammad 2009).

2) Ein neues WirtschaftsmodellGerade in der Verbindung und vermeintlichenVereinbarkeit von gemeinnützigem Anliegenund egoistischer Gewinnorientierung liegt einbesonderer Reiz von Social Entrepreneurship– „doing good while doing business“. Gesell-schaftliches Engagement scheint bei finanziel-ler Eigenständigkeit möglich. Yunus (2008: 41-42) selbst spricht von einer neuen Variante desKapitalismus, die Soziales und Unternehmer-tum miteinander vereinbart: „It is time to moveaway from a narrow interpretation of capita-lism and broaden the concept of the marketby giving full recognition to social businessentrepreneurs. Once this is done, social busi-ness entrepreneurs can flood the market andmake it work for social goals as efficiently asit does for personal goals.“

Social Entrepreneurs werden diesem Narra-tiv entsprechend nicht notwendig als Einzel-personen, sondern auch als gemeinnützigeNGOs im weiteren Sinne verstanden (z.B. Eas-terly 2006, Kapitel 11; Mair et al. 2006). Diezentrale Aussage ist, dass sich öffentliche An-gelegenheiten über „earned income“ refinan-zieren lassen, wie im Fall der Grameen Bank,die zur Armutsbekämpfung und Fraueneman-zipation beiträgt, sich aber nicht über öffentli-che Mittel, sondern Zinsen und damit denMarkt (re-)finanziert, oder im Fall von Stra-ßenzeitungen, die Obdachlosenhilfe über denVerkauf finanzieren. Idealtypisch wird angenom-men, dass Social Entrepreneurs gesellschaftli-che Verhältnisse in erster Linie über den Marktbzw. die „Bürgergesellschaft“ verändern (Dray-

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ton 2006; Hackenberg/Empter 2011). DurchMarkttätigkeiten und die erzielten Gewinnesollen sie politische Prozesse, auf die herkömm-liche zivilgesellschaftliche Akteure angewiesensind, umgehen und ihre gesellschaftlichen Zie-le dadurch sogar schneller erreichen können(Cho 2006: 53).

Insbesondere für die Entwicklungszusam-menarbeit wird die Einführung einer stärkerenMarktmentalität von verschiedenen Autorenunter dem Social Entrepreneurship-Begriff dis-kutiert. Sie postulieren, dass über den Marktinsbesondere die Verantwortlichkeit gegenüberden Betroffenen („market accountability“) ge-stärkt, die Messbarkeit von Wirkungen („im-pact measurement“) verbessert und damit dieWirkung gesellschaftlicher Eingriffe selbst er-höht werden können: „In any human endeavor,the people paying the bills are the ones tokeep happy“ (Easterly 2006: 15).

Die Anwendung von Marktstrategien fürgesellschaftliche Anliegen bedeutet letztlicheine Kommodifizierung und in weiten Teileneine Entpolitisierung öffentlicher Aufgaben(Armutsbekämpfung, Obdachlosenhilfe u.a.).Nicht nur von Yunus wurden normative Grund-prinzipien wie Selbstinitiative, Selbstverantwor-tung, Privateigentum und Effizienz als Ersatzfür staatliche Abhängigkeit der Armen propa-giert (Grenier 2009: 177, 180; Yunus/Jolis2006: 261, 264). Seit Mitte der 1990er Jahrefand ein grundsätzlicher, u.a. für Yunus’ Mik-rokredit-Idee förderlicher Paradigmenwechselstatt: „Es ist den neoklassischen, angebotsori-entierten Ökonomen gelungen, die staatlichenFinanztransfers als das Problem der Armutsbe-kämpfung und nicht als Lösung glaubhaft dar-zustellen“ (Young 2008: 202).

Kritische Untersuchungen zu Yunus zeigen,dass die Rückzahlquoten für seine Mikrokre-dite weit geringer sind als die angegebenen 99Prozent (Yunus 2008: 44) und für die Kom-modifizierung der Lebensverhältnisse zumindestin einigen Regionen Bangladeschs eine negati-ve gesellschaftliche Bilanz gezogen werdenmuss (Klas 2010; Muhammad 2009). Das heißt,Social Entrepreneurs können den Staat nicht

nur nicht ergänzen, sondern in seinen Bemü-hungen der Armutsbekämpfung auch konter-karieren. Fernab der ideologischen Verortunggelingt es in der Praxis zudem nur einer klei-nen Anzahl von Social Entrepreneurs, sich überkommerzielle Tätigkeiten zu refinanzieren. DieMehrzahl der Initiativen finanziert sich überSpenden, Stiftungsgelder und öffentliche Mit-tel (eigene Erhebung). Selbst Yunus hat zurVerbreitung der Mikrokredit-Idee den GrameenTrust gegründet, der sich nicht selbst refinan-ziert. Insofern einige NGOs ihre Tätigkeitenschon immer auch über kommerzielle Tätig-keiten finanziert haben, z.B. Oxfam über „Se-cond Hand“-Läden, gehören Social Entrepre-neurs mit ihren öffentlich-gemeinschaftlichenZielen eher in die Kategorie „Zivilgesellschaft“als die Kategorie „Wirtschaft“. Sie sind eherwirtschaftfreundliche Gutmenschen als sozialeUnternehmer. Es gilt deshalb jeden Einzelfallgenau zu prüfen, inwieweit sich wirtschaftli-cher und gesellschaftlicher Gewinn tatsächlichmiteinander vereinbaren lassen.

3) Soziale InnovationenFür die Förderorganisationen ist zunächst nichtdas zugrundeliegende Geschäftsmodell zurRefinanzierung des gesellschaftlichen Engage-ments das entscheidende Charakteristikum fürSocial Entrepreneurship. Für sie ist am ent-scheidendsten, dass Social Entrepreneurs eine„neue Idee“ bzw. „soziale Innovation“ zur Ver-besserung öffentlicher Anliegen umsetzen(Dees 1998: 1; Drayton 2006: 83, 89), z.B.Mikrokredite zur Armutsbekämpfung, derenErfolg sich durch vermeintlich hohe Rückzahl-quoten belegen lässt (Klas 2010; Yunus 2008:44). Konzeptionell wird Bezug auf JosephSchumpeters Verständnis von Unternehmertumgenommen. Schumpeter stellt Unternehmertumals Treiber wirtschaftlicher Entwicklung herausund sieht Innovation als seinen Kern (Born-stein 2004: 2; Swedberg 2009).

Auf der Homepage von Ashoka Deutsch-land heißt es: „Viele Menschen arbeiten fürpositiven gesellschaftlichen Wandel. Aber nichtjeder Engagierte ist ein Social Entrepreneur.

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Social Entrepreneurs treten mit dem Ziel an,innovative unternehmerische Lösungen fürdrängende soziale Probleme zu finden undumzusetzen (…). Ihre Ansätze sind geeignet,einen langfristigen gesellschaftlichen Wandelzu bewirken.“3 Während soziale Bewegungenzwar auch einen solchen „grundlegenden sozi-alen, politischen, wirtschaftlichen oder kultu-rellen Wandel herbeizuführen“ versuchen, istihr Anliegen doch auch oft, „sich ihm zu wi-dersetzen oder ihn rückgängig zu machen“ –mitunter ohne dass eine konkrete Alternativebenannt werden kann (Kolb 2002: 9-10).Zudem sind herkömmliche zivilgesellschaftli-che Akteure im Unterschied zu den von denFörderorganisationen ausgezeichneten SocialEntrepreneurs nicht immer erfolgreich.

Während die Social Entrepreneurs ihre neu-en Ideen anfangs vorwiegend im lokalen Kon-text realisieren, unterstützen die Förderorga-nisationen ein „Scaling“ hin zu einem systemi-schen Wandel, insbesondere durch die Akqui-rierung finanzieller Mittel (Drayton 2006:86ff.). Ashoka organisiert beispielsweise mitder Siemens-Stiftung in München Treffen ver-schiedener in einem bestimmten Bereich, z.B.dem Wassersektor, ausgezeichneter Social En-trepreneurs und Unternehmen. Ziel ist diegewinnbringende Vermarktung und flächen-deckende Verbreitung ihrer Innovationen. Yunusund Grameen kooperieren in diesem Sinne mitzahlreichen, auch transnationalen Unternehmenund verbreiten die Mikrokredit-Innovation so-wohl sektoral über den Finanzsektor als auchterritorial über Bangladesch hinaus. Grameen-Phone beispielsweise mit Telenore aus Norwe-gen ist der größte Mobilfunkanbieter Bangla-deschs. Die Kunden erhalten von der GrameenBank Darlehen, um sich ihr Mobiltelefon zufinanzieren. Grameen Veolia trägt nach demgleichen Prinzip zum privaten Ausbau der Was-serinfrastruktur bei (Yunus/Jolis 2006: 266).

Strukturelle Gründe gesellschaftlicher De-fizite (Armut, Infrastrukturmangel etc.) tretenangesichts des Narrativ der sozialen Innovati-on zu ihrer Lösung in den Hintergrund. DerBegriff der „Innovation“ ist positiv besetzt und

lässt Alternativen von vorneherein als negativ(„nicht innovativ“) beiseite. Politische Konfliktebei der Festlegung und Umsetzung gesellschaft-licher Ziele werden von den Förderorganisati-onen meist nicht thematisiert. Dabei bestehensie durchaus. Ein Wasseranschluss für armeBevölkerungsgruppen lässt sich beispielsweisenicht nur über Mikrokredite, sondern wie inDeutschland auch über öffentliche Mittel undsteuerliche Umverteilung regeln. Der Erfolgsozialer Innovationen müsste sich entsprechendnicht nur nach ihrem Markterfolg (Verbreitungvon Mikrokrediten, Rückzahlquoten), sondernauch gegenüber alternativen Entwicklungspfa-den (Ausbaugrad der Wasserversorgung beiprivater oder öffentlicher Finanzierung) evalu-ieren lassen.

Mit dem Scaling von Ideen findet ein ent-scheidender Sprung statt. Dacin et al. (2011:1210) illustrieren die hiermit verbundene „dunk-le Seite von Social Entrepreneurship“ am Bei-spiel des Social Entrepreneur John Bird. Nach-dem Birds Innovation einer Obdachlosenzei-tung in Großbritannien Verbreitung gefundenhatte, beschloss er Ende der 1990er in die USAzu expandieren. Eine der ersten Städte warLos Angeles, wo er auf heftigen Widerstandeiner anderen Social Entrepreneur, JennaferWaggoner, mit ihrer Straßenzeitung MakingChange stieß. Waggoner, die in Los Angeleslokal eingebettet und ehemals selbst obdach-los gewesen war, gelang eine erfolgreiche Kam-pagne gegen The Big Issue, in der sie Bird der„McDonaldisierung“ der Straßenzeitungsbewe-gung beschuldigte. Während Waggoners Stra-ßenzeitung im vorangegangen Jahr über einBudget von 3.000 US-Dollar verfügt hatte,erhielt Bird 1998 eine Startfinanzierung fürseinen US-Einstieg von 100.000 US-Dollar vonThe Body Shop, einer Kette für Kosmetikpro-dukte (die zu Unilever gehört). In ähnlicherWeise wie The Big Issue mit anderen Straßen-zeitungen steht auch Grameen weltweit inKonkurrenz zu anderen Banken und NGOs,die Mikrokredite vergeben (Spiegel 2006: 135-136), und wie in jedem Wettbewerb gibt esnicht nur Gewinner.

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FazitDie zentrale Botschaft um Social Entrepreneur-ship ist, dass das Handeln Einzelner Prozesseder wirtschaftlichen Globalisierung beeinflus-sen kann, die in der Regel als strukturell undnicht akteursbezogen wahrgenommen werden.Den Social-Entrepreneurship-Förderorganisati-onen geht es nicht um die Ursachen von Staats-versagen, sondern darum, anstehende gesell-schaftliche Probleme „auf innovative, nachhal-tige und effektive Weise“4 zu lösen. Wie zivil-gesellschaftliche Akteure werden Social Entre-preneurs als Akteure beschrieben, die gesell-schaftlichen Verhältnisse nicht oder zumindestnicht vorrangig über politische Institutionen,sondern direkter über die Gesellschaft verän-dern – allerdings bei Social Entrepreneurs mitdem Anspruch, sich auch selbst zu finanzie-ren, eine Hürde, an der in der Praxis wiederumdoch viele scheitern.

Ein weiterer Unterschied besteht in demin- bzw. exklusiven Anspruch der beiden Akti-vitätsformen. Social Entrepreneurship ist imZusammenhang mit den Förderorganisationeneine exklusive Aktivitätsform. Nicht jeder Bür-ger bzw. jede Bürgerin erhält eine Förderung.Schwab lädt jedes Jahr nur eine Handvoll So-cial Entrepreneurs nach Davos ein. Beim in-klusiven Weltsozialforum in Porto Alegre da-gegen geht es um zivilgesellschaftliche Selbst-verantwortung und Emanzipation. EinzelneSocial Entrepreneurs sind sicher auf beidenForen anzutreffen. Entscheidend ist, dass siein Davos im Namen der Betroffenen (vonArmut, Hunger etc.), in Porto Alegre im mög-lichen Fall sogar gemeinsam mit den Betroffe-nen handeln. Durch das Scaling geht die sozi-ale Einbettung der Social Entrepreneurs verlo-ren („McDonaldisierung“). Zugleich entfaltensie erst in Kooperation mit den Förderorgani-sationen und großen Wirtschaftsunternehmenihre eigentliche Macht.

Social Entrepreneurship wurde bisher vorallem aus einem wirtschaftlichen Kontext herausdiskutiert. Die Verbreitung von Social Entre-preneurship läuft jedoch weniger auf eine Re-form der Wirtschaft als auf ein neues Verständ-

nis gesellschaftlichen Engagements hinaus, wiees bisher in sozialen Bewegungen ausgeübt wird.Einzelpersonen mit ihren sozialen Innovationentreten an die Stelle von Bewegungen mit ihrendoch auch strittigen Anliegen, Unternehmertuman die Stelle der Politik. Social Entrepreneur-ship sollte deshalb als Aktivitätsform auch imKontext der Bewegungsforschung untersuchtund wesentlich kritischer diskutiert werden, alsdas bisher der Fall ist.

Dr. Lena Partzsch ist stellvertretende Lei-terin der sozial-ökologischen Forschungsgrup-pe GETIDOS an der Universität Greifswald,Website: www.getidos.net, Kontakt: [email protected].

Anmerkungen1 Auch im Deutschen wird der englische Be-

griff „Social Entrepreneurship“ bzw. „SocialEntrepreneur“ mit seinen spezifischen Kon-notationen verwendet (durch AshokaDeutschland, auch durch die „Juniorprofes-sur für Social Entrepreneurship“ an der Leu-phana-Universität Lüneburg etc.). Daherübernehme auch ich die englischen Bezeich-nungen.

2 www.schwabfound.org/sf/SocialEntrepre-neurs/Whatisasocialentrepreneur/index.htm[10.09.2011, Übersetzung d.V.].

3 http://germany.ashoka.org/unsere-vision[10.09.2011].

4 www.schwabfound.org/sf/SocialEntrepre-neurs/Whatisasocialentrepreneur/index.htm[10.09.2011].

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ANALYSE

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Finanzinvestoren als Vermieter:Hürden und Strategien fürBewohnerinitiativen inbenachteiligten Stadtteilen

Bewohnerengagement in benachteiligtenStadtteilenVielerorts engagieren sich Menschen für ihrenStadtteil. Auch in „benachteiligten Stadtteilen“setzen sich BewohnerInnen für eine Verbesse-rung des Zusammenlebens und des Wohnum-feldes ein. Das Spektrum reicht von informel-

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len Bürgergruppen und -initiativen über Stadt-teilforen bis hin zu eingetragenen Bewohner-vereinen und Nachbarschaftsläden, die ein viel-fältiges Freizeit-, Bildungs- und Unterstützungs-angebot organisieren. Viele Initiativen sind imRahmen des Programms „Soziale Stadt“ ent-standen bzw. wurden von hauptamtlichen Ge-meinwesenarbeiterInnen oder Quartiersmana-gerInnen initiiert.

Um herauszufinden, vor welchen Heraus-forderungen engagierte BewohnerInnen in sol-chen Stadtteilen stehen, hat die Landesarbeits-gemeinschaft Soziale Brennpunkte Niedersach-sen e.V. in Kooperation mit dem sozialwissen-schaftlichen Institut Zoom e.V. (Göttingen)das Projekt „AKZENT“ durchgeführt. Nebendieser Bestandsaufnahme sollte eine Auseinan-dersetzung mit der eigenen Arbeit angeregtwerden, um darauf aufbauend Konzepte zurUnterstützung von Engagierten (weiter) zuentwickeln. Die Projekterfahrungen tragen dazubei, die Relevanz sowie die Möglichkeiten undGrenzen von Bewohnerengagement im Rah-men sozialer Stadtentwicklung realistisch ein-schätzen zu können.

Im Folgenden werden wir einen Aspektbeleuchten, der für engagierte BewohnerInnenin benachteiligten Stadtteilen von herausragen-der Bedeutung ist: Wir werden aufzeigen, mitwelchen Problemen Bewohnerinitiativen auf-grund der veränderten Wohnungsbesitzverhält-nisse in vielen Stadtteilen konfrontiert sind undwelche Möglichkeiten und Grenzen zur Durch-setzung von MieterInnenrechten bestehen.Bevor wir uns dieser Problematik zuwenden,stellen wir zunächst kurz die methodischeHerangehensweise und die zentralen Ergebnis-se des Projekts dar. Die Ausführungen basie-ren auf dem Abschlussbericht des ProjektsAKZENT (vgl. Kotlenga et al. 2011).

Insgesamt haben elf Bewohnergruppen ausganz Niedersachsen direkt an dem Projektteilgenommen, v.a. in Stadtteilen, die aktu-ell als Gebiete im Bund-Länder-Programm„Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbe-darf – Soziale Stadt“ gefördert werden. Überlandesweite Projektangebote wurden

insgesamt noch deutlich mehr Gruppen ein-bezogen.

In der ersten Projektphase wurden mit je-der Bewohnerinitiative zwei Gruppendiskussi-onen durchgeführt: eine zur Bestandsaufnah-me mit Blick auf Ziele, Aktivitäten, Rolle imStadtteil und Ressourcenlage und eine zurRückspiegelung der Ergebnisse und zur Ent-wicklung von Ansätzen für die Weiterarbeit.Die Mitglieder gaben in Fragebögen zudemindividuell Auskunft zu ihrer Motivation undihrer Sicht auf die Gruppe. Darüber hinauswurden externe Stadtteil-Akteure (z.B. andereVereine, Verwaltung, Kirchen) zu ihrer „Außen-sicht“ auf die jeweilige Initiative befragt.

In der zweiten Projektphase wurden Unter-stützungsansätze für Bewohnerinitiativen erar-beitet. In der Abschlussveranstaltung verab-schiedeten die beteiligten Gruppen schließlicheinen Appell an Politik, Verwaltung und Woh-nungswirtschaft und forderten geeignete Rah-menbedingungen für ihr Engagement.

Zentrale ErgebnisseEhe wir uns unserem Themenschwerpunktzuwenden, fassen wir zunächst kurz weiterezentrale Ergebnisse des Projekts zusammen.

Mangel an MitstreiterInnen und hoheAnsprücheAlle Initiativen beklagen einen Mangel an ver-bindlichen Aktiven, um Angebote weiter zuentwickeln bzw. das erreichte Aktivitätsniveauzu halten. In einzelnen Gruppen sahen sichGruppenmitglieder angesichts der Fülle anAufgaben und der notwendigen zeitlichenRessourcen überfordert. Fast alle Gruppenwünschten sich eine vielfältigere Zusammen-setzung, welche die Bevölkerungsstruktur re-präsentiert – z.B. mehr jüngere MitstreiterIn-nen oder mehr mit einem bestimmten Migrati-onshintergrund. Gleichzeitig haben die Grup-pen hohe Ansprüche an ihre eigene Arbeit.Die formulierten Erwartungen auch an Neuesind teilweise anspruchsvoll und erschweren esoftmals, MitstreiterInnen aus der Bewohner-schaft zu gewinnen.

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Freiwilliges Engagement braucht professi-onelle UnterstützungDer Anspruch, wie er z.B. im Rahmen des Pro-gramms Soziale Stadt formuliert wird, pro-gramminitiierte Beteiligungsstrukturen im Sin-ne eines selbstorganisierten und kontinuierlichenEngagements zu verstetigen, ist angesichts derRessourcenlage vieler BewohnerInnen und Stadt-teile meist unrealistisch. Die Gruppen sind dau-erhaft auf Unterstützung von außen angewie-sen und fordern diese auch ein, weil sie nichtbereit und/oder in der Lage sind, die Aufgabenvon hauptamtlichen SozialarbeiterInnen zu über-nehmen. Diese Erkenntnis entspricht auch derin den letzten Jahren aufgebauten praxis- undforschungsbasierten Expertise zum Thema bür-gerschaftliches Engagement im Allgemeinen undzur Sozialen Stadt im Besonderen (vgl. z.B.Sauter 2006). Das geringe Maß an „Selbstorga-nisation“ und die dauerhafte Abhängigkeit desinnerhalb top-down initiierter Projekte entstan-denen Freiwilligenengagements von einer pro-fessionellen Organisation stellen den Ansatz‚programmatischer Bewohnerbeteiligung‘ jedochnicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr ist deut-lich geworden, dass viele der in diesen Gruppentätigen Menschen auf anderem Wege wahrschein-lich keinen Zugang zu herkömmlichen Beteili-gungsstrukturen hätten.

Stadtplanerisch motivierte Aktivierunghat ihre GrenzenIm Verlaufe des Projekts hat sich gezeigt, dassviele engagierte BewohnerInnen ihre Gruppe nichtprimär aus einer funktionalen Perspektive vonStadtentwicklungsprozessen wahrnehmen, sondernv.a. als unmittelbar sozialen und helfenden Zu-sammenhang. Professionelle Herangehensweisenund Interessenlagen aus der übergeordneten Per-spektive der sozialen Stadtentwicklung stimmenalso nicht immer mit der Motivation freiwilligengagierter BewohnerInnen überein.

Schlechte Wohnverhältnisse – Möglich-keiten von StadtteilengagementAls zentrales Thema vieler Initiativen hat sichdie Änderung der Wohnungsbesitzverhältnisse

erwiesen. In vielen Stadtteilen sind in den letz-ten zehn Jahren ehemals kommunale und un-ternehmensgebundene Wohnungsbestände oderWohnungsunternehmen privatisiert bzw. anKapitalanlagegesellschaften verkauft worden.Bekannte Beispiele solcher Gesellschaften sindGAGFAH, PRELIOS, Deutsche Anningtonund Lonestar. Die Entwicklung des Stadtteilsund die Instandhaltung und Modernisierungder Wohnungsbestände spielen für solche in-ternational operierenden Anlagegesellschaftenkeine Rolle. Zudem führt die mit der Um-strukturierung verbundene Zentralisierungdazu, dass die Wohnungsunternehmen wederals Akteure im Stadtteilentwicklungsprozessnoch als Verantwortliche für notwendige In-standhaltungsmaßnahmen greifbar sind.

Die Problematik der kapitalmarktorientier-ten Wohnungseigentümer ist im ganzen Bun-desgebiet relevant. Nach Angaben von Sebas-tian Müller (Büro für PlanungspolitikforschungDortmund) sind ca. 700.000 bis 1,4 Mio.Mietwohnungen bzw. 7 Prozent des Mietwohn-bestandes bundesweit an Kapitalanlagegesell-schaften verkauft worden.1 Zur Hälfte sind diesWohnungen aus öffentlichen Wohnungsgesell-schaften, zur anderen Hälfte aus dem Privat-sektor, v.a. von großen Unternehmen (Werks-wohnungen). Zentrales Ziel von Kapitalanla-gegesellschaften ist die Generierung von Mehr-wert – sei es durch Absenkung der Investiti-onskosten, Einsparungen bei der Wohnungs-bewirtschaftung und/oder die Anhebung desMietniveaus (vgl. hierzu Müller 2011). DieDurchsetzung dieser unterschiedlichen Verwer-tungsstrategien durch die gleichen Gesellschaf-ten hat zur Folge, dass die Verwahrlosung vonWohnungsbeständen teilweise mit Mieterhö-hungen einhergeht, in manchen Städten auchmit der Aufwertung einzelner Teilbestände undder Verdrängung von MieterInnen unterer Ein-kommensschichten.

Dadurch hat sich insbesondere für einkom-mensarme Menschen die Wohnsituation mas-siv verschlechtert. BewohnerInnen aus den be-teiligten Stadtteilen berichten von Schimmel,kaputten Fenstern, Heizungsausfällen, defek-

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ten Toilettenspülungen und Fahrstühlen, brö-ckelnden Häuserfassaden usw.. Teilweise ver-wahrlosen ganze Wohnungsblöcke und Stadt-teile. Dieser Verschlechterung der Wohnungs-situation zum Trotz sind die BewohnerInnenhäufig zusätzlich mit Mieterhöhungen undfalschen Nebenkostenabrechnungen konfron-tiert. Eine Folge dieser Wohnverhältnisse sindin vielen Stadtteilen eine starke Fluktuationund hoher Leerstand. Viele BewohnerInnenziehen weg, sobald sie finanziell dazu in derLage sind.

Es gibt also eine Fülle an Aktivitätsfeldernfür engagierte BewohnerInnen, die Rahmen-bedingungen für ihr Engagement sind jedochäußerst widrig. So fungieren engagierte Bewoh-nerInnen oft als Ansprechpersonen für andereMieterInnen. Meist haben sie jedoch ihrerseitskeine verantwortlichen Ansprechpartner vorOrt, sondern sind auf vermeintlich zuständigeHotlines verwiesen, deren Kontaktierung inder Regel folgenlos bleibt. Wenn es in denStadtteilen überhaupt erreichbare Verwalteroder Hausmeister gibt, verweisen diese ihrer-seits auf fehlende Ressourcen zur Mängelbe-hebung. Mieterbelange können so kaum gel-tend gemacht werden. Die Bewohnerinitiati-ven beschreiben und erleben die kapitalmarkt-orientierten Wohnungsgesellschaften als fernesund mächtiges Gegenüber, dem sie trotz allenEngagements nichts entgegensetzen können.All dies verletzt nicht nur das Recht auf men-schenwürdiges Wohnen. Es läuft auch den viel-fältigen (programminitiierten) Bemühungenengagierter BewohnerInnen entgegen, durchnachbarschaftliche Aktivitäten das sozialeMiteinander zu fördern und das gemeinsameWohnumfeld mit zu gestalten und so zur Auf-wertung des Stadtteils und zur stärkeren Iden-tifikation der BewohnerInnen mit diesem bei-zutragen. Die menschenunwürdigen Wohnver-hältnisse stellen diese im Prinzip sinnvollenAnsätze der Bewohnerbeteiligung in Frage.

Während also mit der Verschlechterung derWohnsituation die Nöte der BewohnerInnenwachsen, haben sich die Möglichkeiten, Mie-ter- und Stadtteilinteressen gegenüber Woh-

nungsunternehmen durchzusetzen, verschlech-tert. Gleichzeitig leben in den betroffenen Stadt-teilen häufig Menschen, die in mehrfacherHinsicht benachteiligt sind und besondereSchwierigkeiten haben, sich zu ermächtigen,ihre Rechte zu artikulieren oder durchzuset-zen. Es scheinen nach einer ersten Rechercheeher Einzelfälle zu sein, in denen selbstorgani-sierte Aktivitäten von MieterInnen stattfinden.

Aufgrund der starken Verbreitung des Pro-blems müssen sich unseres Erachtens gemein-wesenbezogene Ansätze zur Förderung freiwil-ligen Engagements in benachteiligten Stadt-teilen verstärkt dieses Themas annehmen undHandlungsoptionen ausloten. Dabei ist auchdie Rolle von vor Ort tätigen Hauptamtlichenin den Blick zu nehmen. Sie befinden sich oftin einer Ziel- und Aufgabenambivalenz zwischenImageförderung und Mängelbenennung undsehen sich widersprüchlichen Anforderungenverschiedener Akteursgruppen gegenüber (Be-wohnerInnen, Verwaltung, Politik, Wohnungs-wirtschaft). Viele nehmen sich dieser Proble-matik daher nur zögerlich an.

Eine erste bundesweite Recherche zeigte,dass in benachteiligten Stadtteilen auch vonprofessioneller Seite bislang eher vereinzeltStrategien entwickelt wurden, um MieterIn-nen in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu un-terstützen. Um Handlungsmöglichkeiten pro-fessioneller StadtteilakteurInnen, aktiver Be-wohnerInnen und der Kommunen auszuloten,wurde im Rahmen des Projekts ein ExpertIn-nenworkshop mit AkteurInnen aus Gemeinwe-senarbeit, Stadtteilgruppen und Mieternetzwer-ken durchgeführt. Im Folgenden werden eini-ge der diskutierten Handlungsmöglichkeitenangesprochen.

Mietrecht nutzen, ...Auf zivilrechtlicher Ebene können MieterIn-nen fehlerhaften Nebenkostenabrechnungenwidersprechen oder durch Mietminderungenoder Selbstvornahme auf eine Mängelbehebunghinwirken. Vorzeigbare Erfolge gibt es v.a. beifehlerhaft erhöhten Nebenkosten-Abrechnun-gen, die zurückgezahlten Beträge belaufen sich

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in Einzelfällen auf 1000 Euro. Den befragtenExpertInnen und BewohnerInnen zufolge rea-gieren Vermieter hingegen auf Mietminderun-gen oft nicht oder aber es werden Kündigungs-drohungen verschickt. Ein weiteres Instrumentist die Selbstvornahme: Hier wird die Mieteteilweise einbehalten, um – nach Ankündigungund Forderung nach Schadensbeseitigung – z.B.einen Handwerker selbst zu beauftragen. NachAuskunft von Mieterinitiativen hat sich diesals ein wirksames Mittel erwiesen, um Mängelselbst zu beseitigen, solange sich der Finanz-aufwand im Rahmen hält und es sich um Män-gel in der eigenen Wohnung handelt. Manchmalwerden Hausverwaltungen nach Ankündigungeiner solchen Selbstvornahme auch selber ak-tiv.

Eine bislang nur im Einzelfall genutzteMöglichkeit ist die kollektive Einrichtung von(treuhänderischen) Konten zur Einzahlung vonMietminderungsbeträgen oder sogar einbehal-tenen Komplettmieten. In Neunkirchen-Vlyunhatte ein Mieterverein – in Absprache mit derSozialbehörde, die für viele BewohnerInnen fürdie Kosten der Unterkunft aufkommt – einMietenkonto eingerichtet, nachdem aufgrundder Zahlungssäumigkeit der NAU Real Estatedie Energie- und Wasserversorgung eingestelltzu werden drohte.2 Dort gingen nach der Ein-verständniserklärung der MieterInnen alle Mie-ten ein, um die Wohnungen bzw. ganze Häu-serblocks zu bewirtschaften. Dieses Modell istallerdings mit erheblichem personellem Auf-wand für den Mieterverein verbunden und nichtohne Weiteres verallgemeinerbar.

Die bestehenden Möglichkeiten des Miet-rechts greifen in vielen benachteiligten Stadt-teilen jedoch nicht, da die BewohnerInnenkeinen Zugang zu den entsprechenden Res-sourcen haben (z.B. Rechtskenntnisse, sprach-liche „Verhandlungssicherheit“, Mitgliedschaftin Mietervereinen). Hinzu kommt, dass nachder Erfahrung der einbezogenen ExpertInnenv.a. Menschen im Transferleistungsbezug Angsthaben, Risiken einzugehen. Sie ließen sich vonKündigungsdrohungen, z.B. als Antwort aufMietminderungsschreiben, oft einschüchtern.

Eine weitere Schwierigkeit wird darin gesehen,dass MieterInnen kein Interesse z.B. an Miet-minderungen hätten, da sie einbehaltene Be-träge mit der ARGE verrechnen müssen. VieleBeispiele zeigen jedoch, dass MieterInnen vorallem Interesse an einem wirksamen Hebel zurDurchsetzung menschenwürdiger Wohnverhält-nisse haben. Um BewohnerInnen aus benach-teiligten Stadtteilen zur Nutzung mietrechtli-cher Instrumente zu motivieren, erweisen sichniedrigschwellige Unterstützungsangebote inden Stadtteilen als unerlässlich. Aus Erfahrungs-berichten geht zudem hervor, dass Erfolge, z.B.im Bereich der Nebenkostenabrechnungen,weitere Menschen ermutigen, den Vermietungs-gesellschaften etwas entgegenzusetzen undUnterstützung zu nutzen.

Der Gemeinwesenarbeit und auch den Kom-munen kommt hier eine wichtige Aufgabe zu.Sie können auf eine Reihe von erprobten An-sätzen zurückgreifen, um mietrechtliche Inter-ventionen zu verbreitern, z.B.:•Durchführung von Mieterversammlungen in

Verbindung mit dem Angebot kostenfreierMieterberatung

•Ausgabe von Vordrucken für Nebenkosten-Widersprüche und Mietminderungsschreiben

•Unterstützung mietrechtlicher Schritte vonSozialleistungsbezieherInnen durch

•die Ausgabe von Mieterberatungsscheinen(ohne Kopplung an sanktionsbewehrte Mit-wirkungspflichten) durch die Kommunen

•die Gewinnung von Bürgen für evtl. zu tra-gende Prozesskosten, wie z.B. in Freiburg,wo Kirchen diese Rolle übernahmen

•Eine Kooperation mit den Mietervereinenist sinnvoll, aber nicht überall gegeben, hiermuss nach Alternativen gesucht werden. InKöln-Chorweiler etwa wurde eine Mieterbe-ratung über Stiftungsmittel aufgebaut.

... Öffentlichkeit und Kommune einbe-ziehenErfolge auf der mietrechtlichen Ebene sind –mit Ausnahme des Treuhandkontenmodells –immer individuell, an der Gesamtsituation än-dert sich dadurch oft nichts. Mietrechtliche

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Ansätze sollten daher in eine gemeinsame Stra-tegie des Agendasettings eingebettet sein. Er-forderlich ist dazu ein regelmäßiger Informati-onsaustausch über Vorgehensweisen sowie einegebündelte Mängeldokumentation, um sowohlDefizite als auch positive Effekte mietrechtli-cher Auseinandersetzungen zu belegen undandere zu ermutigen. Gute Erfahrungen lie-gen aus verschiedenen Stadtteilen mit aktivie-renden Befragungen von BewohnerInnen zuWohnungsmängeln vor, deren Ergebnisse zu-sammen mit BewohnerInnen öffentlichkeits-wirksam und unter Einbezug von Politik undVerwaltung vorgestellt werden können.

ExpertInnen aus dem Bereich der Gemein-wesenarbeit weisen darauf hin, dass diese imSinne ihres sozialanwaltschaftlichen AuftragsKonflikte nicht scheuen sollte (vgl. Hollen-stein/Kollmann 2010). Auch im Rahmen desProjekts wurde deutlich, dass Beschäftigte ausGemeinwesenarbeit oder Quartiersmanagementin städtischer Trägerschaft oder auch vonWohnungsunternehmen mit Rollenkonflikten

bewusst umgehen sollten. Es hat sich an man-chen Orten als sinnvoll erwiesen, vorhandeneprofessionelle Ressourcen im Sinne der Vernet-zung und Organisierung von MieterInnen zunutzen, in Bezug auf Öffentlichkeitsarbeit aberarbeitsteilig vorzugehen. Hauptamtliche soll-ten den BewohnerInnen Rollenkonflikte trans-parent machen und diese darin unterstützen,eigene Ausdrucksformen und Vorgehensweisenzu entwickeln bzw. Kooperationspartner miteinzubeziehen (z.B. Kirchen), die andere „Frei-heiten“ haben.

Eine zentrale Rolle in der Auseinanderset-zung um Finanzinvestoren als Vermieter kommtden Kommunen zu: neben der Ausgabe vonMieterberatungsscheinen zur Unterstützungvon MieterInnen können sie auf öffentlich-rechtliche Interventions- und Gestaltungsmög-lichkeiten zurückgreifen. Welche Instrumenteaus dem Bereich Bauplanungs- und Bauord-nungsrecht, Wohnungsaufsicht (in vier Bundes-ländern) oder auch Ordnungsrecht in Verwahr-losungsfällen Anwendung finden können, wurde

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in einem Leitfaden für Kommunen zum Um-gang mit „Schrottimmobilien“ zusammenge-stellt und anhand von Fallbeispielen erläutert(vgl. BBSR/BMVBS 2009).

FazitMit Blick auf die Forschungsdebatte um Bür-gergesellschaft verweist die hier behandelteProblematik auf die Grenzen eines Ansatzes,durch Engagementförderung und die Beteili-gung „aller Akteure“ vor Ort kooperative Lö-sungen für lokal sichtbar werdende Problemezu entwickeln (vgl. FJNSB 2005: Schwerpunkt-heft „Local Power“). Erforderlich sind vielmehrauch strukturelle Veränderungen, z.B. rechtli-cher Art (Wohnungsaufsicht), aber auch eineFinanzausstattung der Kommunen, die ihnenwohnungs(bau)politische Gestaltungsmöglich-keiten lässt (sozialer Wohnungsbau). Daraufkann lokal begrenztes ehrenamtliches Engage-ment von Bewohnerinitiativen kaum Einflussnehmen.

Die Erfahrung zeigt zudem, dass oft erstpolitischer Druck und Öffentlichkeitsarbeiterforderlich sind, damit Kommunen überhauptaktiv werden und die (noch) vorhandenenMöglichkeiten nutzen. Hier haben Professio-nelle und BewohnerInnen aus den Stadtteilendurchaus Einflussmöglichkeiten. Die offensiveAuseinandersetzung mit der Thematik und dieUnterstützung von MieterInnen vor Ort ha-ben sich als zentral erwiesen, um Anlaufpunk-te zur Initiierung und Bündelung von Gegen-wehr durch die Betroffenen zu schaffen. Siesind zugleich Kristallisationspunkte für eineöffentlichkeitswirksame Skandalisierung derWohn- und Besitzverhältnisse im politischenRaum und damit Grundlage für ineinandergreifende Aktivitäten von Kommunen, Gemein-wesenarbeit und Zivilgesellschaft.

Sandra Kotlenga und Dr. Doreen Müllersind Diplom-Sozialwissenschaftlerinnen undarbeiten bei Zoom e.V. – Gesellschaft für pro-

spektive Entwicklungen in Göttingen. Kontakt:[email protected];[email protected]

Anmerkungen1 Input im Rahmen eines Projektworkshops,

Protokoll unter www.akzent-setzen.de.2 Der Westen vom 18.5.2009: Immobilienhai

kriegt nichts mehr. www.derwesten.de.

Literatur

BBSR/BMVBS 2009: Leitfaden zum Ein-satz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mitverwahrlosten Immobilien. www.bbr.bund.de/nn_335560/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/WP/2009/H65.html [27.02.2012].

Forschungsjournal Neue Soziale Bewe-gungen 2005: Schwerpunktheft „Local Power– Mehr Bürgerengagement durch Governance?“,Jg. 18, Heft 3.

Hollenstein, Erich/Kollmann, Thomas2010: Stadtteilarbeit und Wohnraumspekulati-on. Wie lässt sich Widerstand organisieren? In:Soziale Arbeit, Jg. 59, Heft 8, 302-312.

Kotlenga, Sandra/Müller, Doreen/Scholz,Carmen/Simon, Heribert/Wölfle, Daniel2011: AKZENT: Bewohnerengagement erkun-den und unterstützen. Projektbericht, Göttin-gen/Hannover, 2011. Bericht und weitereMaterialien: www.akzent-setzen.de.

Müller, Sebastian 2011: Von Investorenund Wohnungsmärkten. Mieter kämpfen ge-gen Mieterhöhungen und Herunterwirtschaf-ten von Wohnungen. In: Analyse & Kritik,Heft 562 vom 17.06.2011, 21.

Sauter, Matthias 2006: Mobilisierung vonBewohnerengagement im Rahmen des Pro-gramms „Soziale Stadt“. In: Selle, Klaus (Hg.):Praxis der Stadt- und Regionalentwicklung –Analysen, Erfahrungen, Folgerungen (Planungneu denken, Bd. 2). Dortmund: Rohn, 318-330.

Pulsschlag

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Internetportal zur KlimafinanzierungEinen umfassenden Überblick über den deut-schen Beitrag zur internationalen Finanzierungvon klimaverbessernden Maßnahmen bietet seitneuem das Portal deutscheklimafinanzierung.de.Gestartet hat den Internetauftritt die Hein-rich-Böll-Stiftung gemeinsam mit Brot für dieWelt, Germanwatch und Oxfam. Das Portalbietet Analysen zu den finanziellen HilfenDeutschlands für den Klimaschutz und dieAnpassung an den Klimawandel in Entwick-lungsländern, Informationen zu Entwicklungenbei den UN-Klimaverhandlungen sowie aktuel-le Artikel zum Thema Klimafinanzierung.Zugesagte und tatsächliche Leistungen werdenbenannt, die verwendeten Instrumente undKanäle dargestellt und so die Klimafinanzie-rung der deutschen Bundesregierung transpa-rent gemacht.

Lausitzer Klima- und Energiecamp 2012Für eine Zukunft ohne Kohle und Atom set-zen sich die OrganisatorInnen des zweitenLausitzer Klima- und Energiecamps ein, dasvom 11. bis 19. August 2012 wie bereits imvergangenen Jahr in Jänschwalde/Janšojce statt-finden wird. Das erste Camp war unter Betei-ligung unterschiedlicher lokaler Bürgerinitiati-ven und politischer Gruppierungen sehr gutvon der ansässigen Bevölkerung angenommenworden – über 300 Personen nahmen laut Or-ganisatorInnen an dem Camp teil. Ziel desCamps ist es, den Neubau eines Braunkohle-kraftwerks und den daran gekoppelten Tage-bau, an dem die Brandenburgische Landesre-gierung weiterhin festhält, zu verhindern. FürVorbereitung und Durchführung des Campswerden noch MitstreiterInnen gesucht; dasnächste Vorbereitungstreffen findet am 9. und10. Juli in Berlin statt – weiterführende Infosunter lausitzcamp.info.

Atomausstieg internationalDie Katastrophe von Fukushima – nicht zuletztmaßgebliches Ereignis für den deutschen Atom-ausstieg – jährt sich zum ersten Mal, und dieBundesregierung plant die Förderung einer

Milliardenbürgschaft für den Bau eines Atom-kraftwerks in Brasilien. Weitere Anträge fürBürgschaften für den Bau von Atomkraftwer-ken liegen vor, so aus China, Finnland, Indienund Großbritannien. Die UmweltorganisationUrgewald lässt dies nicht als AtomausstiegDeutschlands gelten und ruft dazu auf, Pro-testkarten an Bundeskanzlerin Merkel zu schi-cken. Weitere Informationen zur Aktion „Ichbin doch kein Atom-Bürger“ unter http://urgewald.org/protestaktion/onlineprotest-mir-nicht-frau-merkel.

Stopp ActaNach dem ersten erfolgreichen ACTA-Protest-tag am 11. Februar 2012 – allein in Deutsch-land gingen über 100.000 Menschen auf dieStraße – wird der Protest gegen das Anti-Coun-terfeiting Trade Agreement (ACTA, Anti-Pro-duktpiraterie-Handelsabkommen) fortgesetzt.Das Abkommen, das Schutzrechte für geisti-ges Eigentum festschreiben und so als gefähr-lich erachtete Produktimitate verhindern soll,wird von den Gegnern insbesondere als bedroh-lich für die freie Meinungsäußerung im Inter-net angesehen. Weitere Kritikpunkte äußertbeispielsweise Amnesty International (ai): DieMenschenrechtsorganisation erwartet mit demAbkommen negative Auswirkungen auf meh-rere Menschenrechte, unter anderem auf dasRecht auf Achtung des Privatlebens, Informa-tionsfreiheit und auf das Recht auf Zugang zulebenswichtigen Medikamenten. Eine ausführ-liche Kritik sowie Information zu anstehendenProtesten unter stopacta.de und unter http://wiki.stoppacta-protest.info.

Volksbegehrenbericht 2011Zum zehnten Mal veröffentlichte der VereinMehr Demokratie e.V. zu Beginn des Jahresden aktuellen Volksbegehrenbericht. Als klareTendenz geht aus dem Bericht hervor, dass imZuge von Stuttgart 21 Volksentscheide im Ver-lauf des letzten Jahres deutlich mehr Aufmerk-samkeit erfahren haben. Insgesamt liefen imJahr 2011 auf Landesebene 33 direktdemokra-tische Verfahren, von denen 18 im vergange-

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nen Jahr gestartet wurden. Thematisch laghierbei mit 39 Prozent aller Verfahren einSchwerpunkt auf dem Bereich Bildung undKultur, zudem waren mit je 17 Prozent erkenn-bar die Themen Demokratie und Innenpolitiksowie Verkehr relevant. Dreimal kam es imVerlauf des letzten Jahres zu einem Volksent-scheid: Der Volksentscheid über die BerlinerWasserversorgung war von BürgerInnen initi-iert worden, die Abstimmung über die Auf-nahme einer Schuldenbremse in die VerfassungHessens hingegen war vorgeschrieben und derEntscheid um einen Stopp des BauprojektsStuttgart 21 von der Regierung eingeleitet. Dervom Verein Mehr Demokratie e.V. verfassteVolksbegehrenbericht 2011 beschreibt auf 52Seiten die Lage in den Ländern und umreißtdie Situation auf Bundesebene. Der Bericht istkostenfrei als pdf-Datei zugänglich sowie alsgedrucktes Heft für 2,50 Euro bestellbar un-ter nrw.mehr-demokratie.de/nrw-volksbegehrensbericht2011.html.

Revolutionspatenschaft für SyrienAngesichts der anhaltenden brutalen Verfolgungdes friedlichen Aufstands gegen das Regimein Syrien haben deutsche und syrische Aktivis-tInnen das Projekt adopt a revolution ins Le-ben gerufen. Die Aktion verfolgt das Ziel, dielokalen Komitees im Zentrum des syrischenProtests finanziell zu unterstützen – vielenKomitees fehlt das Geld für Flugblätter, An-wältInnen, Miete oder Internetanschlüsse. DasPatInnenmodell soll zudem eine stärkere Nähezwischen SpenderInnen und AktivistInnen her-stellen und einen Erfahrungsaustausch zwi-schen deutschen und syrischen Gruppen för-dern. Träger des im Herbst 2011 gegründetenProjekts ist der Verein about:change e.V. mitSitz in Leipzig. Wer RevolutionspatIn werdenoder sich weiterführend informieren möchte,wird auf den Seiten des Projekts(adoptrevolution.org) fündig. Hier finden sichzudem Berichte einzelner syrischer Komitees.

Keine Zeit für Jugendarbeit?Wie viel Zeit bleibt Jugendlichen zwischenGanztagsschulen, durch G8 verdichteten Schul-zeiten, straffen Bachelor-Strukturen und demLeben im Web 2.0 noch für ehrenamtlichesEngagement in der Jugendarbeit? Dieser Fra-ge geht eine Online-Befragung nach, die imFrühjahr 2012 mit Unterstützung der Landes-jugendringe durch das Deutsche Jugendinsti-tut und die TU Dortmund durchgeführt wird.Die Studie möchte untersuchen, welche Aus-wirkung die zeitliche Verknappung auf dasEngagement von Jugendlichen hat und wieVereine und Verbände mit der veränderten Si-tuation umgehen, um so Strategien und Mo-delle für die Praxis zu erarbeiten, mit denenjugendliche Teilhabe trotz Zeitnot gelingenkann. Die Onlinebefragung endete im April,im Juli kann mit den Ergebnissen gerechnetwerden. Mehr Informationen unterfor schungsve rbund . tu -dor tmund.de/index.php?id=289.

Publikation: Baustelle DemokratiePolitisch-gesellschaftliche Teilhabe ist das ge-wichtigste Element einer demokratischen Bür-gergesellschaft und ein, wenn nicht der rele-vante Faktor, wenn es um den gesellschaftli-chen Zusammenhalt geht. So sieht es der Poli-tikwissenschaftler Serge Embacher, konstatiertjedoch eine mangelnde Bereitschaft, Partizipa-tion als notwendigen Baustein einer modernenGesellschaft zu begreifen. Dies gelte nicht nurfür den Staat, sondern für das Gemeinwesenals Ganzes. Entsprechend fordert Embacher alleBeteiligten zu einem demokratischen Wandelauf: Die Wirtschaft muss sich demokratisie-ren, die Politik Kontrollmacht abgeben unddie Bürgergesellschaft sich öffnen – nur durchein Zusammenwirken dieser drei Bereiche kannder Wandel gelingen.Embacher, Serge 2012: Baustelle Demokratie.Die Bürgergesellschaft revolutioniert unserLand. 224 Seiten, 16,00 Euro.

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Schokopistolen & ziviler UngehorsamEs stellt keine Straftat dar, mit einer Schoko-ladenpistole eine Bank zu betreten – zu die-sem Ergebnis kam im Januar 2012 ein Lindau-er Richter, nachdem der Berliner Bankenkriti-ker Peter Grottian wegen Aufruf zu einer öf-fentlichen Straftat angeklagt worden war. Grot-tian hatte während einer Attac-Veranstaltungim Sommer 2010 die Idee entwickelt, mankönne am Bankenprotesttag, zu dem Attac fürden 29. September 2010 aufgerufen hatte, mitSchokopistolen bewaffnet eine Filiale der Deut-schen Bank in Friedrichshafen besuchen unddort bleiben, bis das Sicherheitspersonal ein-schreitet. Tatsächlich fand die Aktion – wennauch in Ravensburg – am Bankenprotesttagstatt. Da Grottian jedoch nicht zur Aktionaufgefordert hat, sondern diese eher fiktiv be-schrieb, sprach das Gericht ihm vom Vorwurfder Anstiftung frei. Sein Schlusswort vor Ge-richt nutzte der emeritierte Politikprofessor alsPlädoyer für zivilen Ungehorsam. Ein kurzesVideo über den Prozess findet sich unterwww.regio-tv.de/video/176851.html.

Soziale Ungleichheit und ProtestNicht zuletzt durch die Proteste rund um Stutt-gart 21 und die Occupy-Bewegung wird in letz-ter Zeit immer intensiver über Mängel derparlamentarischen Demokratie nachgedacht –gleichermaßen rückt die Betrachtung direkt-demokratischer Verfahren, wenn nicht als All-heilmittel, so doch als Möglichkeit gesellschaft-licher Teilhabe und Integration wieder stärkerin den Mittelpunkt. Ein gewichtiger Aspekt,der hierbei immer wieder außer Acht gelassenwird, ist die soziale Bedingtheit politischenProtests: Trotz der seit Jahrzehnten sich inDeutschland wie Westeuropa verschärfendensozialen Ungleichheit findet der Aspekt, dasspolitische Partizipation ganz eindeutig vonEinkommen, Herkunft und Bildungsgrad ab-hängt, kaum Erwähnung. Tatsächlich verstärktdie demokratische Praxis somit soziale Ungleich-heiten. Die im März 2012 durch die Otto-Bren-ner-Stiftung (OBS) veröffentlichte Studie „So-ziale Ungleichheit und Protest“ setzt sich mit

dem empirischen Zusammenhang von sozialerUngleichheit und politischer Partizipationauseinander und möchte einen Überblick überFolgen dieses Zusammenhangs geben. AufGrundlage umfassender Umfragedaten und derUntersuchung verschiedener Partizipationsfor-men belegt Sebastian Bödeker, der Autor derStudie, die soziale Bedingtheit politischen En-gagements. Die von der OBS in Auftrag gege-bene 52-seitige Studie ist als pdf-Datei auf denInternetseiten der Stiftung kostenfrei lesbar(otto-brenner-shop.de > OBS-Arbeitspapiere).Bödeker, Sebastian 2012: Soziale Ungleichheitund politische Partizipation in Deutschland.Grenzen politischer Gleichheit in der Bürger-gesellschaft. OBS-Arbeitspapier Nr. 1. 52 Sei-ten, kostenlos.

Antifeministische Männerrechts-bewegungIn den letzten Jahren treten antifeministischeGruppierungen immer stärker in den Vorder-grund. Im Zeitalter von Gleichstellungspolitikund Frauenquote, so das Credo der Antifemi-nistInnen, seien es die Männer, die mehr undmehr ins Hintertreffen geraten. Die Positio-nen und Ideologien der Aktivisten unterschei-den sich jedoch stark und wurden nun in einerim Januar 2012 durch die Heinrich-Böll-Stif-tung herausgegebenen Studie zur antifeminis-tischen Männerrechtsbewegung herausgearbei-tet. Eine Strömung vertritt laut Studie etwaeine Mischung aus Frauenfeindlichkeit, Homo-phobie, Nationalismus und (Rechts-)Populis-mus, und propagiert ein kriegerisches Männer-bild sowie den Kreuzzug gegen den Feminis-mus. Eine weitere Strömung lehnt jeglicheEinmischung des Staates in die Geschlechter-verhältnisse und die im Grundgesetz veranker-te Gleichberechtigung ab, radikalere Flügeldieser Richtung plädieren gar für die Abschaf-fung des Frauenwahlrechts. Gemeinsam ist denunterschiedlichen Gruppierungen dieser Strö-mung die häufig auf Einzelpersonen abzielen-de Hasspropaganda; der Kampfbegriff „lilaPudel“ diffamiert den an Gleichstellungspoli-tik interessierten Mann, stereotyp wird von

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Männerhass, Frauenherrschaft und dem Nie-dergang des Volkes gesprochen. Die Bewegungzeigt sich damit letztlich frauen- wie männer-feindlich. Gleichzeitig wird der Mann zumOpfer stilisiert, was – so der Autor der StudieHinrich Rosenbrock – einen Bruch mit demfrüheren Antifeminismus darstellt, der lediglichvon einer naturgegebenen Vorherrschaft desMannes ausging.Erfolgreich ist die Bewegung bislang nicht, auchwenn es ihr immer wieder gelingt, sich in Ge-schlechterdiskussionen etwa in Online-Foreneinzuschalten und konstruktive Debatten zuverhindern. Die antifeministische Männerrechts-bewegung kann demnach als kleine, wenn auchlautstarke Minderheit betrachtet werden –ungefährlich ist sie jedoch nicht: Die Mehr-heit der Männer, so Rosenbrock, sei hinsicht-lich der Geschlechterrolle verunsichert; insbe-sondere in ökonomischen und sozialen Krisen-zeiten bestehe die Gefahr eines Rückfalls auftraditionelle Geschlechterordnungen.Rosenbrock, Hinrich 2012: Die antifeministi-sche Männerrechtsbewegung. Denkweisen,Netzwerke und Online-Mobilisierung. Berlin:Heinrich-Böll-Stiftung. 176 Seiten, kostenlos(PDF und gedrucktes Exemplar über boell.de).

Tagungsbericht: Feministische Kritik &WiderstandVom 12. bis 14. Januar 2012 tagte der Arbeits-kreis Politik und Geschlecht (Deutschen Verei-nigung für Politikwissenschaft)im Schloss Rau-ischholzhausen bei Marburg, um zum Thema„Feministische Kritik und Widerstand“ einenDialog zwischen Theorie und Praxis anzustre-ben. Ob dies gelungen ist, kann im Tagungs-bericht nachgelesen werden, der auf den Sei-ten von reflect-online.org > Publikationen >Tagungsberichte veröffentlicht wurde.

Jagd auf Kony 2012Gerade fünf Tage stand das dreißigminütigeVideo „Kony 2012“ auf Youtube, als es bereits50 Millionen Mal angeklickt worden war. DasVideo ist Teil der gleichnamigen Kampagne,die die Organisation Invisible Child (IC) ge-

startet hat, um Joseph Kony, Chef der Rebel-lengruppe Lord’s Resistance Army (LRA), dasHandwerk zu legen. Seit 1987 terrorisiert dieLRA Uganda und greift vermehrt auf Kinderund Jugendliche zurück, um die Truppen zubestücken – bis zu 60.000 Kinder sollen durchdie LRA bereits entführt worden sein, um sieals Kindersoldaten oder Sexsklaven einzuset-zen. Aufwühlend berichtet der Film die Ge-schichte eines ugandischen Jungen, dessen Bru-der von der LRA getötet wurde, und schildertdie Verbrechen von Kony und seiner Miliz. 2005gründeten die US-amerikanischen FilmemacherJason Russel und Laren Poole, die zwei Jahrezuvor während der Produktion einer Reporta-ge in Darfur auf die Verbrechen Konys auf-merksam geworden waren, die OrganisationInvisible Child. Im Jahr 2005 hatte der Inter-nationale Gerichtshof einen Haftbefehl gegenKony erlassen, gefasst wurde er jedoch nochnicht. Trotz der geäußerten Kritik an IC – sonutzte die Organisation einen Großteil ihrerSpendengelder die Öffentlichkeitsarbeit – undder berechtigten Zweifel, ob es reicht, alleinKony und nicht der gesamten Armee das Hand-werk zu legen, ist die Weltöffentlichkeit er-kennbar auf die Taten der LRA aufmerksamgeworden. Das Video kann bei Youtube ange-sehen werden: www.youtube.com/watch?v=Y4MnpzG5Sqc.

Dokumentation: Engagement jungerFlüchtlingeAm 25. und 26. November 2011 fand in Kölndie Fachtagung „Gesellschaftliche Teilhabe undSelbstorganisation von jungen Flüchtlingendurch freiwilliges Engagement fördern“ statt.Die von der Stiftung Mitarbeit zusammen mitdem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Enga-gement (BBE) und der Bundesarbeitsgemein-schaft Evangelische Jugendsozialarbeit (EJSA)organisierte Tagung hatte sich zum Ziel ge-setzt, Handlungsansätze zu vermitteln, die frei-williges Engagement für junge Flüchtlinge undvon jungen Flüchtlingen fördern und den Aus-tausch zwischen den unterschiedlichen Akteu-ren der Zivilgesellschaft und mit engagierten

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jungen Flüchtlingen selbst ermöglichen. Die64-seitige Dokumentation der Tagung ist nunauf den Internetseiten der Stiftung kostenfreials pdf-Datei unter mitarbeit.de > Veranstal-tungen – Rückblick abrufbar. Neben dem ein-führenden Vortrag von Karin Weiss, Integrati-onsbeauftragte des Landes Brandenburg, derdie Lebenssituation junger Flüchtlinge inDeutschland schildert, stellt die Dokumentati-on u.a. die Diskussionsergebnisse der diversenForen, so etwa zur Selbstorganisation und Par-tizipation junger Flüchtlinge, dar.

Denken fördernEiner im Januar 2012 durch den Bundesver-band Deutscher Stiftungen und die VodafoneStiftung Deutschland veröffentlichen Kurzstu-die zur Folge sollten deutsche Stiftungen Think-tanks stärker unterstützen. Bislang investiertnur ein sehr geringer Teil von Stiftungen indie Entwicklung neuer Ideen und Konzeptedurch unabhängige Institute: „In der deutschenThinktank-Landschaft fehlen privat finanzier-te Ideenschmieden, die in Ergänzung zum Staatund zur Wirtschaft zur Vielfalt von Lösungs-ansätzen beitragen“, so Generalsekretär desBundesverbandes Deutscher Stiftungen HansFleischer. Zudem wird aus der Studie ersicht-lich, dass projektgebundene Förderung weni-ger nachhaltig ist als langfristige Förderungund Unterstützung beim Aufbau einer Orga-nisation. Die Studie ist unter stiftungen.org/thinktank frei zugänglich.

DGS-Kongress 2012 zu Protest undPartizipationUnter dem Motto „Vielfalt und Zusammen-halt“ findet vom 1. bis 5. Oktober 2012 anRU Bochum und TU Dortmund der 36. Kon-gress der Deutschen Gesellschaft für Soziolo-gie (DGS) statt. In einer gemeinsamen Veran-staltung werfen die Sektion „Politische Sozio-logie“ und das Nachwuchsnetzwerk „NeuePerspektiven auf soziale Bewegungen und Pro-test“ einen Blick auf „Protest und Partizipati-on in heterogenen Gesellschaften – Neue Per-spektiven auf soziale Bewegungen“. Die Ver-

anstaltung möchte die Frage aufwerfen, inwie-weit die etablierten Ansätze zur Erklärung so-zialer Bewegungen – v.a. auf die Mesoebenevon Gesellschaft, Bewegung und Bewegungs-organisationen abzielende Ansätze wie Ressour-cenmobilisierung und die Analyse politischerGelegenheitsstrukturen – noch tragen. Demgegenüber stehen in jüngerer Zeit (reaktivier-te) Ansätze, die kulturelle Praktiken betonenoder aber soziale Bewegungen in Verbindungmit grundlegenden gesellschaftlichen Dynami-ken sehen bzw. sozialstrukturell im Kontextvon sozialen Milieus, Schichten oder Lebens-stilen erklären. Gesellschaftliche Heterogeni-sierung bedeutet in diesem Kontext das Er-starken von neuen Konfliktlinien, an denen sichneue Proteste entzünden können; gleichzeitigsteigt mit der Tendenz zur Individualisierungund dem dadurch einhergehenden Verlust en-gerer Parteibindung die Attraktivität neuerProtestformen und -bewegungen. Dies wirft alteFragen neu auf: Wann führt Vielfalt zu Pro-test? Ist entgegen bisheriger Annahmen derGegensatz von subjektiven und objektiven In-teressen entscheidend? Werden soziale Bewe-gungen mit steigender Individualisierung einerGesellschaft wahrscheinlicher oder werden siegerade dadurch scheitern müssen? Diese undweitere Fragen sollen in der Sektionsveranstal-tung beantwortet werden. Weitere Informatio-nen im Netz unter www.dgs2012.de/pro-gramm/sektionen-ags.

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Analysen über diePolitikwissenschaften hinaus –Neue und neuere Werke rund umdie Klimapolitik

Welzer, Harald/Soeffner, Hans-Georg/Giese-cke, Dana 2009: KlimaKulturen. Soziale Wirk-lichkeiten im Klimawandel. Frankfurt/NewYork: Campus.Neverla, Irene/Schäfer, Mike S. 2012: DasMedien-Klima. Fragen und Befunde der kom-munikationswissenschaftlichen Klimaforschung.Wiesbaden: Springer VS.Eide, Elisabeth/Kunelius, Risto/Kumpu, Vil-le 2010: Global Climate – Local Journalisms.A transnational study of how media make sen-se of climate summits. Bochum/Freiburg: Pro-jektverlag.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an dasInternational Panel on Climate Change (IPCC)und der Trubel um die internationale Klimakon-ferenz in Kopenhagen haben auch das Themen-feld „Klimapolitik“ aus dem Nischendasein derBetrachtungen von Naturwissenschaften befreit.Im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaf-ten waren es vor allem aber die Politikwissen-schaften, welche sich in ihren Analysen auch derkomplexen Zusammenhänge im Bereich der in-ternationalen Umweltpolitik und hierbei auch derKlimapolitik angenommen haben. In den letztendrei Jahren sind weitere Beiträge über die Poli-tikwissenschaften hinaus entstanden, hierinsbesondere auch im Bereich der Soziologie, derKultur- und der Medienwissenschaften, die dieklimapolitische Analyse bislang eher vernachläs-sigt hatten. Drei dieser neueren und neuen Wer-ke sollen im Folgenden vorgestellt werden. Sieliefern auch gute Impulse für Untersuchungenzu sozialen Bewegungen.

Was ist Klimakultur?Bereits im Jahr 2009 ist der Band „KlimaKul-turen“ erschienen. Ziel der Autoren des 300-

seitigen Werkes ist es, einen Beitrag zur geis-tes- und kulturwissenschaftlichen Klimafor-schung zu leisten und die Debatte rund umdie „KlimaKultur“ zu befördern. Hierbei kriti-sieren die Autoren dann gleich zu Beginn, dasssich die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaf-ten bislang „allenfalls privat, kaum aber pro-fessionell für die globale Erwärmung interes-siert haben“ (9), sie wollen mit ihrem Banddiese Lücke schließen. Auch wenn diese Aus-sage nicht ganz stimmt und das Werk von stär-keren Bezügen zur bereits umfangreichen poli-tikwissenschaftlichen Forschung zum Klimawan-del sicherlich profitiert hätte, gelingt den Au-toren der 16 Beiträge eine interessante Ausein-andersetzung mit soziologischen und kultur-wissenschaftlichen Fragen rund um die Klima-politik. Ohne sich in langen Abhandlungen übernaturwissenschaftliche Grundlagen zu verlie-ren, adressiert jeder Beitrag auf profunde Wei-se unterschiedliche Problemstellungen und ver-schiedene Ebenen, auch wenn dem Band dieein oder andere gender-orientierte Sichtweiseoder auch der ein oder andere Beitrag einerAutorin gut getan hätte. Die Beiträge profitie-ren darüber hinaus davon, dass sie über deneher beratenden Stil einiger politikwissenschaft-licher Arbeiten hinaus kommen und sind so-mit auch für Neulinge ein guter Einstieg inverschiedene Diskussionen rund um die Klima-politik.

Insgesamt kann der Band in vier themati-sche Blöcke gegliedert werden. Einerseits fin-den sich soziologische und philosophische Bei-träge, darunter auch von namhaften Autorenwie Ulrich Beck oder Dieter Birnbacher. Beckskizziert in seinem Beitrag die globalen Her-ausforderungen an Politik und Gesellschaft inden nächsten Jahren und stellt dabei acht pro-vokante Thesen auf. Birnbachers Beitrag be-schäftigt sich auf philosophischer Ebene mitGerechtigkeitsdimensionen und adressiert so-mit auch theoretisch die auf internationalerEbene zerfahrene Diskussion rund um die Las-tenteilung zwischen den Verursacherstaaten unddenen, die unter den Folgen des Klimawandelszu leiden haben. Andere Artikel im Sammel-

RENZENSIONEN

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LITERATUR

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band beschäftigen sich mit der schwierigenFrage des individuellen Umweltverhaltens oderauch Nicht-Verhaltens (Beitrag von AndreasErnst) und verschiedenen kulturellen Besonder-heiten. Unterhaltsam ist dabei der Essay überdie Klimakultur des französischen Südwestens.Andere Beiträge sind konkreten Politikfeldernzugeordnet, wie beispielsweise zwei Beiträgezur Stadtsoziologie, die die Herausforderun-gen an die „Urban Governance“ und die archi-tektonischen Herausforderungen durch denKlimawandel thematisieren. Eine gute Ergän-zung liefern dann aber auch die historischenAnalysen des Buchs, welche sowohl soziologi-sche Veränderungsprozesse als auch Prozessekulturellen Wandels analysieren und gelungenin die aktuelle Debatte einordnen.

Für Fortgeschrittene ist Vieles, was in demBand angesprochen wird, nicht neu. Auch wäreeine fundierte Definition des Begriffs Klima-Kultur wünschenswert gewesen, obwohl dieVielseitigkeit der Themenbeiträge nahe legt,dass das hier verwendete Verständnis von Kul-tur eine Reihe von Disziplinen umfasst. Aberauch wenn das Werk bereits vor drei Jahrenerschienen ist, ist es empfehlenswert für alle,die sich mit dem Phänomen des Klimawandelsauf sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlicherSicht beschäftigen wollen. Es liefert sicherlichauch für die Naturwissenschaften gute Impul-se, eignet sich aber auch einfach für interes-sierte Leserinnen und Leser. Gerade der inmanchen Beiträgen eher feuilletonistische alswissenschaftliche Schreibstil adressiert ein brei-tes Publikum, liefert aber auch neue Impulsefür weitere sozialwissenschaftliche Problemeund Analysen. Die Vielseitigkeit des Sammel-bandes macht ihn zu einer empfehlenswertenLektüre.

Kommunikation und KlimawandelEinen wichtigen und längst überfälligen wis-senschaftlichen Beitrag liefern Mike S. Schä-fer und Irene Neverla mit dem Sammelband„Das Medien-Klima“. In dem Werk setzen sichdie Autorinnen und Autoren mit der medialen

Analyse des Klimawandels auseinander. Gutgelungen ist die Verknüpfung aktueller politi-scher Diskussionen mit der kommunikations-wissenschaftlichen Analyse. Daher ist das Werknicht nur für den Wissenschaftsbetrieb geeig-net, sondern sicherlich auch für Praktikerinnenund Praktiker von Interesse.

Im ersten Teil des Sammelbandes werdendie Medienkommunikationsstrategien verschie-dener Akteure analysiert. Zwei Beiträge sinddabei besonders hervorzuheben. Inga Schlich-ting zeigt in ihrem Artikel zum „StrategischenFraming von Klimawandel durch Industrieak-teure“, wie sich die Strategien der Industrieim Laufe der Zeit gewandelt haben. Die Ein-teilung der Industriestrategien zwischen denJahren 1990 und 2010 in drei Phasen, weg vonder Destruktion des Klimawandels als sozialesProblem bis hin zur Selbstlegitimierung derIndustrieakteure als Problemlöser, erscheintsinnvoll und fasst das zusammen, was in vielensozialwissenschaftlichen Analysen, die sich mitökonomischen und ökologischen Konflikten imPolitikfeld Klima beschäftigen, häufig nur im-plizit mitschwingt. Gelungen ist auch der Li-teraturüberblick zur Klimakommunikation zi-vilgesellschaftlicher Akteure, der die heteroge-nen Wahrnehmungen von Klima und die un-terschiedlichen Kommunikationen durchNGOs und soziale Bewegungen aufzeigt undbenennt. Wie der Autor Andreas Schmidt rich-tig bemerkt, sind es gerade die unterschiedli-chen (Kommunikations-) Strategien zivilgesell-schaftlicher Organisationen, welche bislang nurmarginal untersucht worden sind und weitererAnalysen bedürfen.

Im zweiten Teil des Sammelbands werdenmediale Konstruktionen des Klimawandels ei-ner kritischen Analyse unterzogen. Hierunterfallen Beiträge, die sich mit Konstruktionendes Klimawandels in populären Kino- und TV-Filmen beschäftigen, aber auch visuelle Kon-struktionen von Klimawandel und soziale Kon-struktionen in den Blick nehmen. Schäfer, Iva-nova und Schmidt betrachten in einer kompa-rativen Fallstudie die veränderte Medienbericht-erstattung zum Thema Klimawandel in dem

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Zeitrahmen von 1996 bis 2010 in 26 Ländernweltweit. Für den Vergleich wurden sowohlLänder ausgewählt, denen ein unterschiedlicherGrad an Verantwortung für den Klimawandelzugeschrieben wird, als auch solche, die vonden Klimafolgen betroffen sind. Somit adres-siert der Artikel die sogenannten Industrie-,Schwellen- und Entwicklungsländer gleicher-maßen. Die Autoren kommen letztendlich zudem Fazit, dass sich Medienberichterstattungin allen Ländern ähnlich entwickelt und vorallem während internationaler Klimakonferen-zen stark ansteigt. Sie stellen aber auch dieunterschiedlichen Tendenzen in den Ländernheraus und versuchen am Fallbeispiel Deutsch-land unterschiedliche Faktoren für eine breiteMedienberichterstattung zu erklären.

Im dritten Teil des Sammelbands analysiertdie Forschergruppe die „Rezeption und Wir-kungen medialer Konstruktionen des Klima-wandels“. Hier ist besonders der Beitrag zurmedialen und politischen Konstruktion des Be-griffs Klimaflüchtlinge zu empfehlen, da er dieaktuelle politische Diskussion rund um dasThema sehr gut mit der wissenschaftlichenAnalyse verknüpft und hier auch die wichtigeFrage aufwirft, inwiefern die Darstellung ei-nes Themas als existentielle Bedrohung dasVerhältnis von Medien und Politik prägt undwie Klimaflüchtlinge als Sicherheitsproblem inden Medien beschrieben werden.

Insgesamt ist „Das Medien-Klima“ ein sehrgelungenes Werk, das zwar leider viele der span-nenden Fragestellungen eher skizzieren als tief-greifend beantwortet kann. Gut gelungen istdaher, dass die Buchkapitel mit Empfehlun-gen für weitere Forschungsfragen enden unddas komplexe Themenfeld somit auch struktu-rieren helfen. In jedem Fall weckt das Buchdas Interesse an weiteren medien- und kommu-nikationswissenschaftlichen Analysen rund umdie Klimapolitik.

Mediale Analyse der Klimagipfel inKopenhagen und BaliErgänzend zur Analyse von Schäfer und Ne-verla empfiehlt sich der Band von Elisabeth

Eide, Risto Kunelius und Ville Kumpu. DieAutorinnen und Autoren nehmen in ihremSammelwerk „Global Climate – Local Journa-lisms. A transnational study of how media makesense of climate summits“ die mediale Bericht-erstattung während der Klimakonferenzen inBali 2007 und in Kopenhagen im Jahr 2009 ininsgesamt 19 Ländern weltweit in den Blick.Für die Fallstudien wurden jeweils zwei Zei-tungen aus dem politischen Mainstream,allerdings mit unterschiedlichem Fokus undunterschiedlicher Zielgruppe ausgewählt, umso ein möglichst breites Analysespektrum ab-zubilden. Die Berichte aus den Zeitungenwurden dann sowohl mit qualitativen als auchquantitativen Methoden ausgewertet.

Der Band beginnt mit einer Zusammenfüh-rung der einzelnen Ergebnisse und zeigt hierbeiauch das, was auch Schäfer u.a. im oben ange-sprochenen Artikel schon zeigen konnten: DieKlimaberichterstattung ist in allen analysiertenLändern während der Klimagipfel stark ange-stiegen. Dies sehen die Autorinnen und Auto-ren als einen Beleg für die Einordnung desGipfels in die Forschung zu Global PublicSpheres. Auch wenn diese Aussage plausibelerscheint, ist es schade, dass das Buch außerzwei knappen Seiten keine umfassende theore-tische Diskussion zu dem Begriff beinhaltetund das Ergebnis daher auch nur unzureichendeingeordnet werden kann von denen, die mitder wissenschaftlichen Diskussion um das Kon-zept nicht stark vertraut sind. Spannender istdaher die politische Analyse des Gipfels. DieUntersuchung zeigt, dass zum Ausgang desGipfels global in einer ähnlichen Art und Wei-se bewertet wurde, wer als Gewinner und Ver-lierer der Konferenzen eingestuft wurde. Indem Beitrag wird zudem aufgezeigt, welcheHoffnungen mit dem Gipfel, aber auch mitder Zeit nach dem Gipfel verknüpft wurdenoder welche Akteure in den jeweiligen Län-dern am häufigsten zu Wort gekommen sind.

Ein großer Gewinn des Buches ist der Blicksowohl auf Länder des globalen Nordens unddes globalen Südens. Somit werden nicht nurohnehin gut erforschte Länder wie Deutsch-

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land, die skandinavischen Staaten oder die USAin den Blick genommen, sondern auch fun-dierte Analysen über die klimapolitische Be-richterstattung in nicht-westlichen Staaten, wiezum Beispiel Russland, China, aber auch Pa-kistan und Ägypten geliefert. Jedes Kapitel lie-fert einen kurzen Überblick über das politi-sche System in den jeweiligen Ländern undordnet die – in einigen Ländern problemati-sche – Situation für die Medien kurz und prä-gnant ein, um dann die medienpolitische Dis-kussion im Politikfeld darzustellen. Den fun-dierten Länderanalysen merkt man an, dass siemeist von heimischen Autorinnen und Auto-ren verfasst wurden. Da die Kapitel auch ohneProbleme getrennt voneinander gelesen wer-den können, hätte man sich an der ein oderanderen Stelle eine noch tiefere Beschreibungder Rolle der Länder und der medienpoliti-schen Analyse gewünscht, die aber aufgrunddes Formats der Untersuchung nicht möglichwar. Trotz allem liefert das Buch einen gutenÜberblick über die medienpolitische Diskussi-on in den jeweiligen Ländern, zumindest wasden Mainstream der Berichterstattung angeht.Letztendlich ist der Sammelband aber eherdurch die interessanten Länderanalysen als mitBlick auf den Beitrag zur Global Public Sphe-res Forschung ein Gewinn.

Melanie Müller, Berlin

Wider die Evergreenskonservativer Rhetorik

Roth, Roland (2011): Bürgermacht. Eine Streit-schrift für mehr Partizipation. Hamburg: edi-tion Körber-Stiftung.

Das Buch „Bürgermacht“ von Roland Rothversteht sich aus seinem Untertitel als „EineStreitschrift für mehr Partizipation“. Es han-delt sich um ein Plädoyer für eine stärkerebürgerschaftliche Betätigung und nicht umeine wertfreie Abhandlung zur Beurteilung

der Demokratie. Es ist entsprechend daranzu messen, wie stark die Argumente beein-drucken.

Roland Roth macht klar, dass er sich ge-gen die „Evergreens konservativer Rhetorik“(S. 36) wendet: Einerseits die Befürchtungen,dass Partizipation der politischen Gleichheitschade, weil sich ohnehin nur mobilisierungs-starke Gruppen beteiligten, und andererseitsdie Annahme, dass mehr und bessere Einfluss-chancen für Bürgerinnen und Bürger zu Ent-scheidungsblockaden führten. Ähnlich wie auchder Aufsatz von Heribert Prantl (2011): „Wirsind Viele“, sieht das Buch in den aktuellenBewegungen, von Stuttgart 21 über OccupyWall Street bis hin zum arabischen Frühling,Chancen zur Belebung der Demokratie undrichtet sich gegen die Angst, eine Veränderungder demokratischen Entscheidungsmodi kön-ne demokratische Errungenschaften gefährden.

Argumente gegen die FurchtIn seinen drei Hauptteilen führt das Buch

wichtige Debatten über die Entwicklung derDemokratie zusammen, um die in diesen De-batten enthaltenen Befürchtungen zu entkräf-ten. Der erste Teil „Bürgerschaftliches Unbe-hagen“ legt dar, dass die Abkehr der Bürger-innen und Bürger von konventionellen Institu-tionen in der Regel ein durchaus demokratischgesinntes Unbehagen gegenüber den Enttäu-schungen der institutionell inszenierten Poli-tik darstellt, nicht eine passiv duldende Poli-tikverdrossenheit. Dabei verknüpft er diesemTeil gekonnt verschiedene Debattenstränge wiezum Beispiel die normative Debatte über dasFür und Wieder zu direktdemokratischen Ver-fahren, das empirisch immer wieder bestätigtereflektierte Ohnmachtsgefühl weiter Teile derBevölkerung, Debatten über die neue Formender politischen Exklusion durch Migration unddie Herausbildung prekärer Lebenssituationen,eine als „Postdemokratie“ (Crouch 2008) be-schriebene Aushöhlung und Inszeniertheit vonPolitik, abnehmende Gestaltungsfähigkeit derKommunen aufgrund struktureller Unterfinan-zierung bis hin zu den tiefgreifenden Refor-men der letzten Jahrzehnte, die jede Reform

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in der Öffentlichkeit als Drohung erscheinenlasse.

Dennoch stehen diese Befunde nicht einerresignierten Öffentlichkeit, sondern Menschengegenüber, die sich einbringen wollen undkönnen, wie er im zweiten Teil darlegt. DieHandlungspraktiken der sozialen Bewegungen,Beteiligungsverfahren und ihre Gestaltungskraftwerden im zweiten Teil in einer tour d’horizondiesem Krisenbefund entgegengestellt. Bürger-macht ist, das stellt Roland Roth klar, die deut-sche Entsprechung von „Empowerment“ undmeint die Befähigung von einzelnen Menschenoder von Gruppen, sich wirkungsvoll einzu-bringen. Der Begriff der Macht im „Empo-werment“ wird dabei explizit als gemeinsamegesellschaftliche Gestaltungsmacht gesehen(Hannah Arendt), nicht – jedenfalls nicht inerster Linie – als staatszentrierte Durchsetzungvon Entscheidungen (Max Weber). Bürgermachtbedeutet vor diesem Hintergrund Inklusiondurch Bildung und eigenes Handeln. Demo-kratie werde durch das Zusammenwirken derVielzahl von partizipativen Handlungsprakti-ken und das Zusammenwirken mit verschiede-nen Verfahren wie Bürgerhaushalt, Planungs-zellen, Bürgerentscheiden und Bürgerforen inder Tendenz gestärkt, auch wenn Roth expli-zit konzediert, dass auch rechtsextreme Hand-lungspraktiken als Bewegungen zu verstehensind.

Bewegt sich also die Bürgermacht in jedemFall in die Richtung eines „Mehr“ an Demo-kratie? In der Chancenabwägung im drittenTeil des Buches „Demokratie lernen“ sieht Rothdie Entwicklung als Lernprozess, wobei er diePerspektive der Demokratie nicht auf staatli-ches Entscheiden verengt wissen möchte. DenRahmen demokratiefördernder Entwicklungder Bürgermacht steckt er anhand von acht„Grundüberzeugungen“, innerhalb dessen er füreine stärkere Offenheit gegenüber möglichenVeränderungen plädiert.

Vage in der Frage der UmsetzungAm Schluss der Lektüre stellt sich die Frage:Wie weit reichen die Argumente gegen die

„Evergreens konservativer Rhetorik“? RolandRoth sieht, dass Vorbehalte gegen mehr Bür-germacht in den Gefahren sozialer Exklusionliegen und sieht hier eine besondere Heraus-forderung für die Zivilgesellschaft. Eine ande-re bestehe in der drohenden Kommerzialisie-rung von Beteiligung und Protest, wie dies etwavon der Kampagnenindustrie im Rahmen deramerikanischen Direktdemokratie bekannt ist.

Nach Roth stehen „die verschiedenen De-mokratieformen meist in einem Spannungsver-hältnis, [...] sie lassen sich nicht gleichzeitigund zum selben Thema optimieren“. Dies führtzur Feststellung, dass wer über den Entschei-dungsmodus entscheidet, das Ergebnis präju-diziert – bei der Frage, wie der aktuelle Im-puls der Bürgermacht nachhaltig in neue For-men der Verbindlichkeit umgesetzt werdenkann, bleibt die Streitschrift etwas vage. Mitder Frage, wie verhindert werden kann, dassdie „Leiter der Partizipation“ (Arnstein) nichtzu einer „Leiter ins Nichts“ (Roth) wird, lässtdas Buch den Leser allein zurück.

Bürgermacht bedeutet also die gemeinsa-me Anstrengung, möglichst alle Menschen indie Lage zu versetzen, sozial, kulturell undpolitisch zu partizipieren, und den Willen, Ver-änderungen zuzulassen. Dennoch wünschteman sich am Ende, Roth würde die gemeinsa-men Potenziale direktdemokratischer Verfah-ren, zivilgesellschaftlicher Partizipationsverfah-ren oder etwa „aleatorischer Verfahren“ (Buchst-ein) genauer ausführen, denn sonst verschiebtsich die Frage nach der Verbindlichkeitswirkungeiner stärkeren Einbeziehung von Bürgern aufdie Metaebene der Frage, wer das Entschei-dungsverfahren bestimmt. Der Streit, so lässtsich nach der Streitschrift folgern, beginnt ersthier: Wie können die Impulse aus den aktuel-len Demokratiebewegungen verstetigt werdenoder zumindest offen sein für zukünftiges?

Roland Roth liefert mit dieser sehr flüssiggeschriebenen Streitschrift eine lesenswerteErklärung für aktuelle Probleme legitimenEntscheidens, einen kenntnisreichen Überblicküber demokratische Innovationen und dieMöglichkeiten und Chancen, die in einer früh-

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zeitigen und umfassenden Beteiligung liegen.Das Buch gibt einen Anstoß für die Debatteüber das Wie der Demokratie in Zeiten nach-lassender Integrationskraft der „konventionel-len“ Institutionen. Es legt dar, dass die aktuel-len Entwicklungen keine Angst vor Verände-rungen machen müssen, und das „Mehr De-mokratie“ kein Wagnis ist, sondern eine wich-tiger Baustein, um die real existierende Demo-kratie zu qualifizieren.

Volker Mittendorf, Wuppertal

Verwendete LiteraturArnstein, Sherry R 1969: A Ladder of Ci-

tizen Participation. In: Journal of the Ameri-can Institute of Planners (JAIP), Jg. 35, Nr. 4,216-224.

Buchstein, Hubertus 2009: Demokratieund Lotterie. Das Los als politisches Entschei-dungsinstrument seit der Antike. Frankfurt:Campus.

Crouch, Colin 2008: Postdemokratie.Frankfurt: edition suhrkamp.

Prantl, Heribert 2011: Wir sind Viele. EineAnklage gegen den Finanzkapitalismus. Mün-chen: Süddeutsche Zeitung Edition.

Kompendium derEngagementpolitik: BreiterBlickwinkel aufdeutschlandbezogeneThemenstellungen

Olk, Thomas/Hartnuß, Birger (Hg.) 2011:Handbuch Bürgerschaftliches Engagement.Weinheim: Juventa.

Die Herausgeber Olk und Hartnuß legen mitdem Handbuch Bürgerschaftliches Engagementeine knapp 850 Seiten starke Veröffentlichungvor, die sich vornimmt, wesentliche Bereichedes bürgerschaftlichen Engagements einembreiten Publikum in Deutschland nahe zu brin-gen. Sie leisten insgesamt eine umfassende und

gelungene Zusammenfassung wichtiger The-men, speziell zu Engagementpolitik.

Das Handbuch fragt nach Gemeinsamkei-ten und Unterschieden von Konzepten sowienach Organisationen und Ausdrucksformen vonbürgerschaftlichem Engagement.

Mit dem Titel „Bürgerschaftliches Enga-gement“ positionieren sich die Autorenvornehmlich im deutschen Diskurs. Nach ei-nem einführenden Beitrag von Christoph Sach-ße zu den Traditionslinien bürgerschaftlichenEngagements in Deutschland, der mit einemVerweis auf bürgerliche Selbstverwaltungsrech-te und -pflichten im Rahmen der PreußischenStädteordnung von 1808 beginnt, fächert Ans-gar Klein die Begriffe Zivilgesellschaft undBürgergesellschaft auf. Klein beginnt seinenhistorisch, politisch und wissenschaftlichkenntnisreichen und gut formulierten Beitragmit einem Verweis auf das bereichslogischeVerständnis der Begriffe. Er wählt damit ei-nen Einstieg, der sich von einem normativaufgeladenen oder staatszentrierten Diskurs,der lange die Debatten in der deutschen poli-tischen Praxis bestimmte, abhebt und einenAnschluss an verschiedene Diskurse in Wis-senschaft und Praxis, auch auf internationa-ler Ebene, sucht und findet. Der Beitrag Kleinsschafft damit einen Bezugsrahmen, der denintellektuellen Anspruch und die überwiegendauf den Standort Deutschland bezogene Reich-weite des Handbuchs erkennbar erweitert. Diesich dem Beitrag von Klein anschließendenBeiträge und Kapitel 2-4, die mit einer Län-ge zwischen zehn und zwanzig Seiten sehrleserfreundlich und klar strukturiert präsen-tiert werden, befassen sich dann mit denThemen Gender und Partizipation und denrechtlichen Rahmenbedingungen, Formenund Feldern des bürgerschaftlichen Engage-ments sowie Organisationen und Strukturenin Deutschland.

Breite Darstellung der Themenfelder undStrukturenIn Kapitel 3 wird deutlich, dass die Herausge-ber den Anspruch verfolgen, das Thema bür-

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gerschaftliches Engagement in großer Breitevorzustellen.

Die Herausgeber beleuchten zunächst inKapitel 3.1 den Bedeutungsaufschwung desKonzepts „Bürgerschaftliches Engagement“. Siebetrachten dabei die Debatten um die Reformdes Sozialstaats, die Diskussion um die Folgenvon Individualisierungs- und Pluralisierungspro-zessen, die Demokratisierung der Demokratieund die Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Dabeikonstatieren sie, dass das gestiegene Interesseam bürgerschaftlichem Engagement höchstunterschiedliche und ambivalente Erwartungenund Hoffnungen beinhaltet. Ihnen gelingtinsgesamt eine gelungene Verortung des Be-griffs. Ihr Anliegen ist es, das Potenzial dersozial integrativen Wirkung des Begriffs her-auszustellen und ihn abschließend gegenüberalternativen Begrifflichkeiten zu verteidigen.Ob der Begriff des zivilen Engagements oderZivilengagements, den die Autoren mit Ver-weis auf Priller andiskutieren, nicht doch pas-sender gewesen wäre, weil er sich noch deutli-cher von politischer Partizipation abgrenzt, solldahingestellt bleiben. In Deutschland wirdzunächst noch der Begriff bürgerschaftlichesEngagement führend bleiben, mit dem auchdie entsprechende Enquete-Kommission desDeutschen Bundestags (1999 bis 2002) arbei-tete.

Die Begriffe Ehrenamt (Michael Stricker),Selbsthilfe (Dieter Grunow), Freiwilligendienste(Gisela Jakob), Bürgerbeteiligung (Hans-Liud-ger Dienel) und Gesellschaftliches Engagementvon Unternehmen (Holger Backhaus-Maul undPeter Friedrich) werden ebenso gut dargestellt.Der Band bietet dabei auch einige Tabellenund Übersichten, z.B. eine Übersicht überQuoren für Volksbegehren und Volksentschei-de in den Bundesländern (205).

In Kapitel 3.2 werden dann zahlreiche Fel-der und Bereiche des bürgerschaftlichen Enga-gements vorgestellt, darunter Sport, Kunst undKultur, Kirche, Natur- und Umweltschutz,Hilfs- und Rettungsdienste, kommunalpoliti-sches Engagement, Politik und Interessenver-tretung, Soziale Arbeit, Jugendarbeit, Arbeit

mit behinderten Menschen, Schule, Gesund-heitswesen, Altenhilfe und Altenpflege, Justiz,Stadt- und Dorfentwicklung sowie Migrationund Integration. Kapitel 4 behandelt Organi-sationsformen (Vereine, Verbände, Stiftungswe-sen, Soziale Bewegungen, Genossenschaften,Netzwerke) sowie Infrastruktureinrichtungender Engagementförderung. Hier wird das Buchdann dem Anspruch eines Handbuchs gerecht.

Die Kapitel 5 bis 7 präsentieren Methodenund Strategien der Engagementförderung, wid-men sich der Forschung zum bürgerschaftli-chen Engagement und der Engagementpolitik.Die Beiträge in Kapitel 5 befassen sich dabeimit Freiwilligenmanagement, Netzwerkmanage-ment, Qualifizierung, Anerkennungskultur,Organisationsentwicklung, Internet und Öffent-lichkeitsarbeit. In Kapitel 6 widmet sich dasWerk den Themen Freiwilligensurvey, qualita-tive Forschung organisationsbezogener Daten,Engagement im internationalen Vergleich undEngagement und soziale Gerechtigkeit.

Das Buch sollte damit auf Interesse beiEntscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft undWissenschaft stoßen, was den Herausgebernsehr zu wünschen wäre. Die Qualität der Bei-träge reicht nämlich in ihrer Prägnanz, ihrerAusführlichkeit und in ihren Bezugspunktenzu wichtigen gesellschaftlichen und politischenDebatten und Entwicklungen in Deutschlandüber andere Veröffentlichungen oder entspre-chende Einzelbeiträge bei Wikipedia weit hin-aus.

Die Autoren möchten verschiedene Zielgrup-pen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, ausPolitik und Wissenschaft ansprechen. DerName Handbuch vermittelt eine gewisse Prio-ritätensetzung bei Praktikern, die möglicher-weise in der Darstellung und Schwerpunktset-zung nicht allen Erwartungen an ein Lern- undArbeitsbuch gerecht werden, denn die Auto-ren möchten auf wissenschaftliche Standardsnicht verzichten. Praktisch ausgerichtete Ana-lysen finden sich jedoch durchaus an einigenStellen, speziell in Kapitel 4.2 und auch ineinigen anderen Beiträgen, z.B. in dem Bei-trag von Jörg Deppe zum Internet. Deppe führt

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z.B. aus, dass zwar kaum eine große Organisa-tion mehr darauf verzichtet, im Netz überbürgerschaftliches Engagement zu informieren,die Auswahl der Darstellung der Informatio-nen jedoch eher dem Interesse der Anbieterals dem der Nutzer folgt (661).

Wenig internationale BezügeAus der Perspektive des Rezensenten fällt dergeringe Bezug zu internationalen Diskursen,Themen und Akteuren auf. Begriffe wie socialenterprises oder social entrepreneur, venturephilanthropy oder transnationale soziale Ar-beit, die auch in Deutschland zunehmend Kon-junktur haben, werden nicht speziell behan-delt. Auch findet sich in den Beiträgen imKapitel über die Forschung zum bürgerschaft-lichen Engagement kein Hinweis auf CIVICUS– World Alliance for Citizen Participation undspeziell das Civil-Society-Index-Projekt (CSI).Das CSI war bzw. ist noch aus Sicht des Au-tors das quasi weltweit in Wissenschaft undPraxis verbreiteteste Vorhaben, das sich mitStrukturen, Rahmenbedingungen, Werten undWirkungen von zivilgesellschaftlichem Enga-gement in vielen Ländern und Regionen be-fasst, einschließlich z.B. der VolksrepublikChina, allerdings ohne Teilnahme einer Orga-nisation aus den Vereinigten Staaten von Ame-rika.

Insgesamt nehmen rechtliche Rahmenbedin-gungen, transnationale Wertedebatten und die

politischen und sozialen Wirkungen von zivil-gesellschaftlichem Engagement auf transnatio-naler Ebene keinen großen Raum in diesemKapitel und im gesamten Handbuch ein. DieHerausgeber setzen andere Schwerpunkte. Dasletzte Kapitel 7 wird von den Herausgebernmit einem einführenden Beitrag zu Engage-mentpolitik eröffnet. Sie beschreiben, dass esin zwei Dekaden Engagementpolitik gelungenist, ein umfassendes und reformorientiertesAgenda-Setting für das Politikfeld Engagement-politik zu etablieren (774). Sie resümieren aberauch, dass es noch nicht gelungen sei, das Pro-jekt der Förderung bürgerschaftlichen Enga-gements in den Kern politischer Maßnahmenund Programme zu integrieren (775).

Es folgen Beiträge zu Engagementpolitikauf kommunaler Ebene, auf der Ebene derBundesländer und schließlich auf Bundesebe-ne. Abschließend darf Markus Held mit Enga-gementpolitik in Europa doch noch einmal einenAkzent über Deutschland hinaus setzen. DieHerausgeber hätten dem gelungenen Handbuchnoch einen abrundenden Beitrag hinzufügenkönnen, der die historisch und theoretisch in-teressanten Bezugspunkte der Autoren im ers-ten Kapitel noch einmal hätte aufnehmen undeinen Bogen zu transnationalen Perspektivenund der internationalen Zusammenarbeit hät-te schaffen können.

Berthold Kuhn, Xiamen, V.R. China

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ABSTRACTS

Martina Sauer: Bürgerschaftliches Engagement türkeistämmiger Migranten (FJ SB 2/2012, S. 6-20). In ihrer Aktuellen Analyse vergleicht Martina Sauer die Ergebnisse einer 2010 durchgeführ-ten Studie zum bürgerschaftlichen Engagement türkeistämmiger MigrantInnen mit denen frühe-rer Studien. Die Aktivität der MigrantInnen findet mehrheitlich nicht in einem ausschließlichtürkisch geprägten Kontext statt. Und auch die Aktivitäten derjenigen, die sich in Gruppenbeteiligen, die überwiegend aus türkeistämmigen Personen bestehen, sind zum größten Teil aufdie Aufnahmegesellschaft gerichtet – dies ist also kein Zeichen von Segregationsbemühungen,sondern belegt im Gegenteil die Integrationsbemühungen der MigrantInnen. Für eine weitereVerbesserung des freiwilligen Engagements türkeistämmiger MigrantInnen – Potenzial ist lautSauer durchaus vorhanden – seien Anstöße von außen notwendig. Hierbei sei insbesondere aufdas Empowerment von Migrantenorganisationen einerseits und die interkulturelle Öffnung vonmehrheitsgesellschaftlichen Organisationen andererseits abzuzielen.

Martina Sauer: Civil society activities of migrants of Turkish heritage (FJ SB 2/2012, pp. 6-20)In her current analysis, Martina Sauer compares the results of a 2010 study on the civil societyactivities of migrants of Turkish heritage with those of earlier studies. Migrants’ activitiesmainly take place in contexts that are not exclusively Turkish. The activities of those taking partin groups mainly belonging to people of Turkish backgrounds are overwhelmingly focused onthe accepting society. This means that they do not indicate segregation efforts, but on thecontrary, prove migrants’ integration efforts. Sauer believes there is potential to further impro-ve the civil society engagement of migrants with Turkish backgrounds, but outside impetus isneeded. Towards this, special focus should be placed on empowering migrant organisations, andmajority society organisations should open up towards inter-cultural influences.

Achim Brunnengräber: Die neue Klima-Geopolitik. Konflikte und Chancen im Klimaschutzdurch Deutungsverschiebungen (FJ SB 2/2012, S. 21-29)Die Klimaschutzpolitik hat sich lange auf internationale Abkommen zur Emissionsreduktionkonzentriert. In diesem Zusammenhang spielen auch Schuldzuschreibungen für die Verhandlun-gen eine wichtige Rolle. Der Beitrag von Brunnengräber zeigt, wie es zu dieser Fokussierungkam und macht deutlich, dass es sich dabei um eine Engführung der Thematik handelt. Sowurden Kompensationsstrategien weitgehend ausgeklammert. Auch grundlegendere Kritik ander kapitalistischen Lebensweise war an den Rand gedrängt. Da die internationalen Verhandlun-gen in eine Sackgasse geraten sind, ergibt sich nun die Möglichkeit, grundsätzlicher politischeStrategien und Verständnisse der Klimaproblematik zu hinterfragen. Der Beitrag zeigt möglicheRichtungen auf.

Achim Brunnengräber: The new climate geopolitics. Conflicts and opportunities in climatechange through shifts in meaning (FJ SB 2/2012, pp. 21-29)Climate change policy has long focused on international agreements on emission reductions. Inthis context, the assignation of debt for negotiations also plays an important role. Brunnengräber’scontribution demonstrates how this focus came about and elucidates that it constitutes toonarrow a view on the topic. For example, compensation strategies are largely disregarded. Morefundamental critiques of the capitalist way of life were also marginalised. Now that internationalnegotiations are in deadlock, there is a possibility of questioning political strategies and under-standings of the climate issue in more fundamental ways. The contribution highlights possibledirections.

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Inga Schlichting/Andreas Schmidt: Strategische Deutungen des Klimawandels. Frames undihre Sponsoren (FJ SB 2/2012, S. 29-39)Auf Basis eines strukturierten Literaturüberblicks zeigen wir, mit welchen strategischen FramesAkteure aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen versuchen, die gesellschaftliche Wahrnehmungdes Klimawandels zu beeinflussen. Vier zentrale Frames lassen sich dabei unterscheiden, die dieklimapolitische Debatte seit Ende der 1980er Jahre prägen: Der „Scientific Uncertainty“-Framestellt die wissenschaftliche Gesichertheit des Klimawandels in Frage. Der „Global Economics“-Frame erkennt den Klimawandel als gesellschaftliches Problem an, lehnt aber klimapolitischeRegulierungen, die (nur) Industrien in den entwickelten Ländern beschränken, als ineffektiv undwettbewerbsverzerrend ab. Der „Ecological Modernization“-Frame stellt demgegenüber die Chan-cen grüner Technologien für die Wirtschaft in den Vordergrund. Mit dem „Climate Justice“-Frame schließlich werden vielfältige Ungerechtigkeiten moralisch kritisiert und radikale Verände-rungen der Lebensweise gefordert.

Inga Schlichting/Andreas Schmidt: Strategic interpretations of climate change. Frames andtheir sponsors (FJ SB 2/2012, pp. 29-39)Based on a structured overview of the literature, the authors show the strategic frames employedby actors from various societal backgrounds in their attempts to influence the social perceptionof climate change. The climate policy debate since the end of the 1980s can be broken downinto four central frames: the „scientific uncertainty“ frame questions the scientific basis ofclimate change. The „global economics“ frame only recognises climate change as a societal pro-blem, but opposes climate policy regulations which limit themselves to constraining industries inthe developed countries as inefficient and contorting competition. The „ecological modernisati-on“ frame highlights the opportunities of green technologies for industry. Finally, the „climatejustice“ frame morally criticises multiple injustices and calls for radical changes to lifestyles.

„Greenpeace will ein Problem und eine Lösung auf die Agenda setzen“. Interview mit MichaelHopf, Greenpeace (FJ SB 2/2012, S. 41-44)Für Greenpeace sind Klimawandel und Klimapolitik gegenwärtig das zentrale Thema – so derChef vom Dienst der deutschen Greenpeace-Pressestelle, Michael Hopf, im Interview mit MikeS. Schäfer. Dabei fokussiere man vornehmlich auf die Ursachen des Klimawandels in den Berei-chen Energie, Verkehr und Urwaldzerstörung, bringe sich aber auch in die internationale undnationale Klimapolitik ein. Man wolle informieren und aufklären, aber auch energie- und klima-politische Entscheidungsträger beeinflussen. Medien seien dabei ein wichtiger Kanal – und ne-ben Massenmedien sei gerade auch das Social Web zu einem wichtigen Faktor geworden. Gera-de dort könne man das erreichen, was mittlerweile die Hauptaufgabe sei: Nachdem bei denmeisten Menschen angekommen sei, dass es den Klimawandel gebe, müsse man nun zum Han-deln animieren.

„Greenpeace wants to put a problem and a solution on the agenda.“ Interview with MichaelHopf, Greenpeace (FJ SB 2/2012, pp. 41-44)Climate change and climate policy are currently the main issue for Greenpeace, states MichaelHopf, head of the press office of Greenpeace Germany, in an interview with Mike S. Schäfer.The focus is chiefly on the causes of climate change in the areas of energy, transport anddestruction of primeval forests, but Greenpeace is also actively raising its voice in internationaland national climate policy. The aim is to inform and explain, but also to influence energy andclimate policy decision makers. Media is an important channel, and the social web – in additionto mass media – has become an important factor, as it allows the achievement of what has

Abstracts

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become the main task: as most people have by now realised that climate change is a reality, thecall is to action.

„Unser Ziel ist mehr Sachlichkeit“. Interview mit Joachim Löchte, Leiter Corporate Responsibi-lity / Umweltschutz bei der RWE AG (FJ SB 2/2012, S. 44-46)Im Interview mit Mike S. Schäfer betont der Leiter des Bereichs Corporate Responsibility /Umweltschutz bei RW, Joachim Löchte, dass Klimawandel und –politik von hoher Bedeutungfür den Konzern sind. Entsprechend versuche RWE, die eigene Energieerzeugung nachhaltigerzu gestalten und beteilige sich an Klimaschutzprojekten. In der öffentlichen Debatte schlagesich dies allerdings höchstens partiell nieder. Zwar gebe es „seriös recherchierende Journalisten,die sachgerecht und ausgewogen über Klimawandel und -forschung informieren“, aber auchsolche, die ein „Feindbild ‚Energieversorger’“ hätten. Dort Überzeugungsarbeit zu leisten, seischwierig, auch weil das Thema Klima so komplex sei. Dennoch ist Löchte überzeugt: In einersachlichen Debatte werde man sich auch durchsetzen können.

„Our goal is more objectivity.“ Interview with Joachim Löchte, Head Corporate Responsibility/ Environmental Protection, RWE AG (FJ SB 2/2012, pp. 44-46)In an interview with Mike S. Schäfer, Joachim Löchte, head of the department CorporateResponsibility / Environmental Protection at RW, emphasises that climate change and policy areof great concern to the company. RWE consequently tries to move towards greater sustainabilityin its energy production and takes part in climate protection projects. However, this is onlypartially being recognised in the public debate. While there are „journalists who research tho-roughly, who report in an objective and balanced manner about climate change and research“,there were also those who regard „energy suppliers as the enemy“. It is difficult to convincethese journalists otherwise, all the more so because climate change as a topic is so complex. ButLöchte is convinced that RWE will be able to prevail in an objective debate.

Silke Beck: Kommunikation als Schutzschild. Zur Strategie des Weltklimarats IPCC (FJ SB 2/2012, S. 47-52)Das Thema Kommunikation gewinnt für den Weltklimarat Ende 2009 schlagartig mit derVeröffentlichung von gestohlenen Emails renommierter Klimaforscher („Climategate“) und derEntdeckung von Fehlern in den jüngsten IPCC-Berichten von 2007 („Gletschergate“) an Bedeu-tung. Dieser Beitrag zeigt, dass und warum nicht nur die Veröffentlichung von Fehlern in IPCC-Berichten, sondern vor allem die zögerliche und ungeschickte Reaktion des IPCC-VorsitzendenRajendra Pachauri dazu beigetragen hat, die öffentliche Glaubwürdigkeit der Institution aufsSpiel zu setzen. Dieser Beitrag rekonstruiert, wie das Thema Kommunikation in dem 2010eingeleiteten IPCC-Reformprozess aufgegriffen wird, und diskutiert, ob die vom IPCC im No-vember 2011 beschlossene Kommunikationsstrategie funktional ist, um öffentliches Vertrauen inden Rat aufrecht zu halten. Der Beitrag argumentiert, dass ein Kurswechsel aus der Defensive indie Offensive nötig ist, da Transparenz und Öffentlichkeit das öffentliche Vertrauen in For-schung nicht notwendigerweise unterlaufen müssen, sondern dieses auch maßgeblich fördernkönnen.

Silke Beck: Communication as a shield. On the strategy of the International Panel on ClimateChange (FJ SB 2/2012, pp. 47-52)The issue of communication suddenly rose to the top of the IPCC’s agenda at the end of 2009,when stolen emails of reknowned climate scientists („climategate“) were published and mistakes

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in the most recent IPCC reports of 2007 were discovered („glacier gate“). The contributionshows how and why not only the publication of mistakes in IPCC reports, but most of all thehesitant and clumsy reaction of IPCC chairman Rajendra Pachauri have contributed to jeopardi-sing the public credibility of the institution. This contribution traces how the topic of commu-nication is being integrated into the IPCC reform process which started in 2010 and discusseswhether the communication strategy agreed upon by the IPCC in November 2010 serves tomaintain public trust in the Council. The contribution argues that it is necessary to changetactics from defence to offence, as transparency and publicity do not necessarily underminepublic trust in research, but can also promote it significantly.

Markus Rhomberg: Zwischen „Blame Game“ und Vernachlässigung. Die klimapolitische Debattein den Massenmedien (FJ SB 2/2012, S. 52-61)Rhomberg setzt sich in seinem Beitrag mit der politischen Debatte um den Klimawandelauseinander. Nach dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 hatte es das Thema schwer, auf derpolitischen und medialen Agenda zu verbleiben. Ursache dafür mag die Dominanz der Politik inder medialen Darstellung sein. Die Wissenschaft spielt auch in der historischen Evolution derKlimadebatte nur eine geringe Rolle. Insbesondere politische Ereignisse tragen dazu bei, denKlimawandel in den Medien prominent zu platzieren. Der politische Umgang mit dem Klima-wandel konzentriert sich auf die Fragen der Reduktion, während Anpassungsstrategien im Hin-tergrund bleiben. Ursache dafür ist nicht zuletzt die mediale Konzentration auf das Kyoto-Protokoll und die damit verbundenen, medial leicht vermittelbaren Reduktionsziele. Anderemögliche Reaktionen wären in der medialen Darstellung komplexer, erhalten dadurch wenigerMedienaufmerksamkeit und bleiben deshalb von der Politik wenig beachtet.

Markus Rhomberg: Between „Blame Game“ and neglect. The climate policy debate in themass media (FJ SB 2/2012, pp. 52-61)In his contribution, Rhomberg addresses the political debate surrounding climate change. Afterthe climate summit in Copenhagen in 2009, it was difficult to keep the topic on the politicaland media agenda. The dominance of politics in the media representation may have caused this.Science only plays a small role in the climate debate, including its historical evolution. Politicalevents specifically contribute to climate change being placed prominently in the media. Policymakers focus on reduction issues in their dealings with climate change, while adaptation strate-gies remain in the background. One cause of this is the media focus on the Kyoto protocol andits associated reduction goals, which are easy for media to portray. Other possible reactionswould be more complex to explain; hence they gain less media attention and are therefore nota focus of politics.

Axel Bojanowski: Sorry, wir wollen nicht stören. Wissenschaftsjournalisten ergründen dieKlimaforschung? Eine Relativierung (FJ SB 2/2012, S. 62-64)Wissenschaftsjournalisten sind zentrale, wichtige Schaltstellen zwischen wissenschaftlichen Ex-perten und der breiteren Öffentlichkeit. Der Beitrag beschreibt ihre Rolle in der aktuellenKlimadebatte anhand der persönlichen Erfahrungen des Autors: Einerseits wird von den Journa-listen oft gefordert, dass sie kritisch und vorsichtig mit den Ergebnissen der Wissenschaftumgehen und diese mit dem Interesse der Öffentlichkeit im Blick aufbereiten. Andererseitserwarten einige Wissenschaftler, dass ihre Resultate von den Journalisten willfährig und möglichstunverändert an das Publikum vermittelt werden. Zu diesem ohnehin schon schwierigen Spagat

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kommt im Falle der Klimaforschung noch hinzu, dass innerhalb der „scientific community“selbst teilweise erhebliche Uneinigkeit über den aktuellen Stand des Wissens besteht. Vor diesemHintergrund ist die Kritik an Journalisten, wie sie in der Klimadebatte verbreitet ist, zu relativie-ren – sie agieren in einer unübersichtlichen und schwierigen Lage in einer Weise, die selbst vonvielen Klimawissenschaftlern gutgeheißen wird.

Axel Bojanowski: Sorry, we do not want to disturb. Science journalists work out climatechange? A relativisation (FJ SB 2/2012, pp. 62-64)Science journalists are important interfaces between scientific experts and the broader public.The contribution describes their role in the current climate debate using the author’s personalexperience: on the one hand, journalists are often advised to exercise criticism and caution inrelation to scientific findings and report them with a view to the public interest. On the otherhand, some scientists expect journalists to communicate their results uncritically and nearlyunchanged. In the area of climate research, this already difficult exercise is further complicatedby the fact that there is large disagreement among the scientific community about the currentstate of knowledge. Against this background, the criticism of journalists, as it is common in theclimate change, needs to be tempered – in an unclear and difficult situation, they act in amanner that even many climate scientists approve of.

Markus Lehmkuhl: Journalismus und Klimaforschung: Ausschnitte einer spannungsreichenBeziehung (FJ SB 2/2012, S. 65-69)Zwischen dem Journalismus und der Klimaforschung kommt es punktuell immer wieder zuKonflikten. Es wird die These vertreten, dass diese letztlich durch die mangelhafte Integrationvon sozialwissenschaftlichen Einsichten verursacht werden. Dies prägt sich unter anderem in derUnfähigkeit einzelner Klimaforscher aus, im Journalismus etwas anderes zu sehen als einenpassiven Übersetzer wissenschaftlicher Botschaften, der er nicht ist und nicht sein kann, ohneseine Identität zu verlieren.

Markus Lehmkuhl: Journalism and climate research: Sketches of a tumultuous relationship(FJ SB 2/2012, pp. 65-69)Conflict continues to rise sporadically between journalism and climate research. The authorcontends that this is ultimately caused by failures in integrating social science perspectives,among others, reflected by some climate researchers’ inability to regard journalism as anythingother than a passive translator of scientific messages – which it isn’t and cannot be withoutlosing its identity.

Mike S. Schäfer: „Hacktivism“? Online-Medien und Social Media als Instrumente der Klima-kommunikation zivilgesellschaftlicher Akteure (FJ SB 2/2012, S. 70-79)Klimawandel und Klimapolitik sind für viele Menschen nicht unmittelbar wahrnehmbar underreichen sie entsprechend medial vermittelt. Dabei spielen Online-Medien resp. Social Mediaeine zunehmend größere Rolle. Gerade für – oftmals ressourcenschwache – NGOs stellen sieangesichts ihrer geringen Kosten und vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten zentrale In-strumente zur Mobilisierung öffentlicher Meinung dar. Der Artikel liefert einen Überblick überdie Internet-Strategien klimabezogener NGOs. Er unterscheidet drei kommunikative Grundmus-ter: Informationsstrategien, mit denen Umwelt- und Klima-NGOs sich selbst, ihre Ziele und ihrHandeln vorstellen; Aktivierungsstrategien, mit denen Sympathisanten zur Unterstützung undEntscheidungsträger zu Handlungsänderungen veranlasst werden sollen; sowie Vernetzungsstra-

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tegien, mit denen sich NGOs untereinander oder mit Aktivisten an der Basis verlinken. Deutlichwird dabei, dass sich bei Klima-NGOs eine breite Palette unterschiedlicher Strategien findet –aber auch, dass sich viele auf bloße Informationsstrategien beschränken und damit stärker persu-asiv und mobilisierend wirkende Wege der Online-Kommunikation, etwa in Social Media, ver-nachlässigen.

Mike S. Schäfer: „Hacktivism“? Online media and social media as instruments of climatecommunication by civil society actors (FJ SB 2/2012, pp. 70-79)Climate change and climate policy are not immediately perceptible by many people; they learnabout these topics through the media. Online media and social media take an increasinglyimportant part in this. Especially for NGOs, who often lack in resources, the cost-effectivenessand variety of communication possibilities offered by online and social media makes themcentral instruments for mobilising public opinion. The article provides an overview of theinternet strategies of climate-focused NGOs. It distinguishes between three patterns of com-munication: information strategies through which environmental and climate NGOs presentthemselves, their goals and activities; activation strategies geared towards moving sympathisersto support and decision-makers to change their stance; and networking strategies by whichNGOs link to one another or with activists at grassroots level. It becomes clear that climateNGOs employ a vast palette of different strategies, but many restrain themselves to mereinformation strategies, thereby neglecting more persuasive and mobilising methods of onlinecommunication, for example in social media.

Roger Pielke jr.: Experten in Blogs. Positive und negative Aspekte (FJ SB 2/2012, S. 79-83)Experten spielen in der Klimadebatte eine zentrale Rolle, und ihre Debatte hat sich in jüngsterZeit auch und insbesondere ins Internet, vor allem in Weblogs verlagert. Aus der Sicht einesTeilnehmers dieser Debatte, der seit Jahren eines der häufiger genutzten Klima-Blogs betreibt,beschreibe ich Vor- und Nachteile des Bloggens aus Expertensicht. Zu dessen zentralen Stärkenzählt meines Erachtens, dass Blogs dazu beitragen, einen öffentlichen Dialog mit Experten zurealisieren, was nicht nur die Vernetzung zwischen Experten erleichtert, sondern auch das Spek-trum der verfügbaren Informationen zum Thema verbreitert. Blogs können zudem eine un-schlagbare Informationsquelle für Experten sein, wenn diese komplexe und widersprüchlicheInformationen umzusetzen in der Lage sind. Und sie bieten einen Überblick über die Argumen-te einer Diskussion. Umgekehrt machen Blogs Meinungsunterschiede zwischen Experten nurallzu deutlich. Dies kann dazu führen, dass das Publikum dies nur noch als politisierten Mei-nungsstreit sieht. In diesem wiederum ist – auch das ist problematisch – die Glaubwürdigkeiteinzelner Teilnehmer teils nur schwer einzuschätzen. Diese Schwierigkeiten gilt es sich bewusstzu machen. Dann lassen sich Blogs mit Gewinn nutzen – für alle Beteiligten.

Roger Pielke, Jr.: Experts in blogs. Positive and negative aspects (FJ SB 2/2012, pp. 79-83)Experts play a central role in climate debates, and debate has recently moved towards theinternet, especially in weblogs. The author, who has actively participated in the debate for yearsas the owner of a popular climate blog, describes the advantages and disadvantages of bloggingfrom an expert’s perspective. Among the strengths of blogging is that it contributes to creatinga public dialogue with experts, which makes networking among experts easier, but also broa-dens the spectrum of available information on the topic. Blogs can also be an excellent sourceof information for experts, provided they are able to condense complex and contradictoryinformation. And they provide an overview of the arguments of a discussion. By the same token,blogs highlight differences of opinion between experts, which can lead to them only being

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regarded as politicised spat by public opinion. In this, it is difficult to assess the credibility ofindividual participants, which in itself is also problematic. It is important to be conscious ofthese difficulties. If this is the case, blogs can provide important added value – for all thoseinvolved.

Werner Krauss: Ausweitung der Kampfzone: Die Klimablogosphäre (FJ SB 2/2012, S. 83-89)Blogs zum Thema Klima sind vielfältig und in der öffentlichen Debatte ausgesprochen einfluss-reich. Dabei ist die Spannweite der in Blogs vertretenen Einschätzungen und Meinungen breiterals in den klassischen Massenmedien. Allerdings fließen die Einschätzungen und Meinungen ausBlogs gerade bei der Klimaberichterstattung auch in die sonstige massenmediale Berichterstat-tung ein. Krauss, selbst ein aktiver Bloger, stellt die verschiedenen Blogs mit ihren Orientierun-gen in Klimafragen vor. In seinem Resümee diskutiert der Autor die Effekte der erheblichenBedeutung von Blogs für die öffentliche Wahrnehmung des Klimathemas und die Klimawissen-schaft mit den Vorzügen und Nachteilen.

Werner Krauss: Extension of the war zone: the climate blogosphere (FJ SB 2/2012, pp. 83-89)Blogs on the topic of climate are manifold and exceedingly influential in public debate. Thespan of assessments and opinions represented in blogs is broader than in classical mass media.But assessments and opinions drawn from blogs also seep into other mass media reporting.Krauss, an active blogger himself, introduces several blogs and their orientation on climateissues. In his conclusion, the author discusses the effects of the great significance of blogs forthe way public opinion perceives the topic of climate change and climate science in theiradvantages and disadvantages.

Jochen Roose: Wollen die Deutschen das Klima retten? Mobilisierung, Einstellungen undHandlungen zum Klimaschutz (FJ SB 2/2012, S. 89-100)Ist das Thema Klimawandel in der deutschen Gesellschaft angekommen? Diese Frage wird indrei Schritten beleuchtet. Bewegungsmobilisierung zur Klimaproblematik kommt aus der Um-weltbewegung. Klimawandel ist seit Mitte der 1990er und vor allem seit 2005 ein wichtigesThema, das aber vom Atomkonflikt weit in den Schatten gestellt wird. Für die Bevölkerungs-meinung zeigt eine Clusteranalyse drei unterschiedliche Haltungen zum Klimawandel, wobeidas Problem vielfach anerkannt wird, die Einstellungen zum Umgang mit dem Problem aberunterschiedlich sind. Die häufigste Einstellung ist das aktive Transformationsstreben, das vieleMaßnahmen gegen den Klimawandel durch Politik und Lebensführung ergreifen will. Die Sta-tus Quo-Orientierung hält die bisher ergriffenen Maßnahmen für ausreichend. Die machtlosePolitikorientierung erwartet Abhilfe allenfalls von der Politik, ist dabei aber skeptisch. Hand-lungen zum Klimaschutz sind vor allem dann verbreitet wenn sie wenig aufwändig sind. DieGruppen unterscheiden sich nicht sehr stark bei ihren Handlungen. Die Klimaproblematik wirdin Deutschland konsensuell als wichtig und drängend angesehen. Es gibt kaum Konflikt darüberund auch keine Konfliktdynamik. Es ist ein Thema, das keine starken Emotionen weckt und derEinsatz für Änderungen der Lebensweise ist nicht stark ausgeprägt. An eine dem Atomkonfliktähnliche Dynamik ist beim Klimathema nicht zu denken.

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Jochen Roose: Do the Germans want to save the climate? Mobilisation, view and actions onclimate change (FJ SB 2/2012, pp. 89-100)Is the topic of climate change here to stay in German society? This question is elucidated inthree steps. Movement mobilisation on climate issues comes from the environment movement.Climate change has been an important topic since the mid-1990s, and particularly since 2005,but it is increasingly pushed into the background by the nuclear conflict. On public opinion, acluster analysis shows three different views on climate change: the problem is largely recognised,but views on addressing it differ. The most commonly held view is actively seeking transforma-tion, which aims to take many measures against climate change through politics and lifestyle.The status quo orientation believes that measures taken so far are sufficient. The powerlesspolicy orientation expects politics to take measures, but is skeptical. Activities in climateprotection are popular especially when they are effortless. The groups do not differ greatly ontheir activities. There is consensus in Germany that the climate issue is important and urgent.There is hardly any conflict or conflict dynamics. The topic does not evoke strong emotions andefforts towards changes in lifestyle are not widespread. Climate change will not trigger adynamic similar to the nuclear conflict.

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Forschungsjournal Soziale Bewegungenbis 2010: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen

Gegründet 1988, Jg. 25, Heft 2, Juni 2012

Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft m.b.H. • Gerokstraße 51 • 70184 StuttgartFax 0711/242088 • e-mail: [email protected] • www.luciusverlag.com

Für die Forschungsgruppe SB herausgegeben von PD Dr. Ansgar Klein; Jupp Legrand; Prof. Dr. Thomas Leif; JanRohwerder

Redaktion: Vera Faust, Aachen; Alexander Flohé, Düsseldorf; PD Dr. Ansgar Klein, Berlin; Dr. Ludger Klein,Frankfurt M.; Peter Kuleßa, Berlin; Jupp Legrand, Wiesbaden; Prof. Dr. Thomas Leif, Wiesbaden; Dr. AlbrechtLüter, Berlin; Tobias Quednau, Berlin; Dr. Markus Rohde, Bonn; Jan Rohwerder, Aachen; Prof. Dr. Jochen Roose,Berlin; Gabriele Schmidt, Berlin; Stephanie Schmoliner, Hamburg; PD Dr. Rudolf Speth, Berlin; Dr. Karin Urich,Mannheim

Redaktionelle Mitarbeit: Hans-Georg Feldbauer, Berlin; Nadine Kreitmeyr, Tübingen; Miriam Küller, Berlin; MariaLangethal, Berlin; Markus Mertens, Mannheim; Regina Vierkant, Berlin

Gastherausgeber für den Themenschwerpunkt: Jun.-Prof. Dr. Mike S. Schäfer, Hamburg

Verantwortlich für den Themenschwerpunkt: Jun.-Prof. Dr. Jochen Roose, Berlin (V.i.S.d.P.); verantwortlich für Puls-schlag: Alexander Flohé, Bagelstr. 129, 40479 Düsseldorf, e-mail: [email protected]; für Aktuelle Analyse: AnsgarKlein, Morusstraße 16, 12053 Berlin, e-mail: [email protected]; für Treibgut: Vera Faust, Hubertusplatz 8,52064 Aachen, e-mail: [email protected]; für Literatur: Tobias Quednau, Katzbachstr. 26,10965 Berlin, e-mail:[email protected]

Beratung und wissenschaftlicher Beirat: Dr. Karin Benz-Overhage, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Andreas Buro,Grävenwiesbach; Volkmar Deile, Berlin; Dr. Warnfried Dettling, Berlin; Prof. Dr. Ute Gerhard-Teuscher, Frankfurt/M.;Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Robert Jungk (†); Ulrike Poppe, Berlin; Prof. Dr. JoachimRaschke, Hamburg; Prof. Dr. Roland Roth, Berlin; Prof. Dr. Dieter Rucht, Berlin; Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Berlin;Dr. Antje Vollmer, Berlin; Heidemarie Wieczorek-Zeul, Berlin

Redaktionsanschrift: Forschungsgruppe SB, c/o Jan Rohwerder, Hubertusplatz 8, 52064 Aachen, e-mail:[email protected]

Homepage: www.forschungsjournal.de

Förderverein: Soziale Bewegungen e.V., c/o PD Dr. Ansgar Klein, Morusstraße 16, 12053 Berlin, e-mail:[email protected]; Spendenkonto: Sparkasse KölnBonn, BLZ: 370 501 98, Konto-Nr: 751 460 7

Bezugsbedingungen: Jährlich erscheinen 4 Hefte.Jahresabonnement 2012: Bibliotheken ‡ 62,–, persönliches Abonnement ‡ 42,–, Studierende (gegenStudienbescheinigung) ‡ 30,–, jeweils zuzügl. Versandkosten (Inland ‡ 4,–/Ausland ‡ 8,–). Der Bezugspreisschließt den Zugang zum digitalen Volltext der Zeitschrift ein. Persönliche und Studentenabonnements zumreduzierten Preis erhalten den Zugang zur Datenbank gegen einen Zuschlag von ‡ 12,-/Jahr. Mit dem Ende desAbonnements endet auch das Zugriffsrecht auf die Digitalversion. Einzelheft ‡ 16,– (zzgl. Versandkosten).Alle Bezugspreise verstehen sich inkl. MwSt. und sind unverbindliche Preisempfehlungen.Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich beim Verlag erfolgen.

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Karikaturen: Gerhard Mester, WiesbadenUmschlag: Nina Faber de.sign, WiesbadenSatz: com.plot Klemm & Leiby, MainzDruck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

Printed in GermanyISSN 2192-4848

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