Embed Size (px)
Citation preview
Reinhard Renneberg
Ein Löffelchen voll Biotechnologie
CartoonsMing Fai Chow
AutorProf. Dr. Reinhard RennebergThe Hong Kong University of Science and TechnologyE-Mail: [email protected]
IllustrationenMing Fai Chow
Wichtiger Hinweis für den BenutzerDer Verlag, der Herausgeber und die Autoren haben alle Sorgfalt walten lassen, um voll-ständige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag übernimmtweder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für die Nutzungdieser Informationen, für deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion für einen be-stimmten Zweck. Der Verlag übernimmt keine Gewähr dafür, dass die beschriebenen Ver-fahren, Programme usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe vonGebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigtauch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinneder Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und dahervon jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag hat sich bemüht, sämtliche Rechtein-haber von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber dennoch der Nachweisder Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar gezahlt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de ab-rufbar.
Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de
© Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2010Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer
10 11 12 13 5 4 3 2 1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla-ges unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Planung und Lektorat: Merlet Behncke-Braunbeck, Katrin FrohbergLayout/Gestaltung: Darja SüßbierUmschlaggestaltung: wsp design Werbeagentur GmbH, Heidelberg, basierend auf einemCartoon von Ming Fai Chow
ISBN 978-3-8274-2563-8
Avoid boring people! ist der Titel eines Memoirenbuchs desDNA-Entschlüsslers Jim Watson.
Er ist einer meiner wissenschaftlichen Vorbilder (siehe S. 69in diesem Büchlein). Der doppelte Sinn des Buchtitels
„Meide langweilige Menschen!“ und „Vermeide, die Leute zu langweilen!“
ist einfach genial und entspricht genau meinem Credo im Lebenund in der Wissenschaft.
Ich versuche alle zwei Wochen in einer „Biolumne“, dieLeser einer deutschen Tageszeitung n i c h t zu langweilen. DieZuschriften haben mir Mut gemacht, nach Katzenklon, Katzen-klon nun die zweite Sammlung von Biolumnen herauszugeben.Das Buch erscheint gerade auf Englisch in Singapur und ist auchins Russische übersetzt. Die South-China Morning Post, diegrößte englischsprachige Zeitung Hongkongs, will einzelne Bei-träge nachdrucken.
Ich bedanke mich, wir schon beim ersten Buch bei Dr. SteffenSchmidt, Wissenschaftsredakteur des Neuen Deutschland, beiWolfgang Meyer, der unermüdlich Korrekturen und Verbesse-rungen angebracht hat, bei Darja Süßbier für das nicht-langwei-lige Layout und natürlich bei unserer Muse MerletBehncke-Braunbeck, die unter der Devise MMM (Merletmacht´s möglich) kleine Wunder vollbringt....
Nicht-langweilige Meinungen zum Buch und Ideen bitte wieimmer an [email protected]
Reinhard Renneberg Hongkong, Juni 2010
Vorwort
Ein moderner Pasteur ..............................................................10
Als Japan nur Zweiter war... ....................................................13
Wer ist der Mörder? .................................................................17
Die im Dunkeln sieht man nicht ............................................. 20
Der Wettlauf mit den Mikroben ...............................................23
...des Pudels Zell-Kern ............................................................26
Maus und Elefant ....................................................................29
Curry fürs Gedächtnis .............................................................32
Künstliche Riechzellen? ..........................................................35
Cora Crippen lebt? ...................................................................38
Wurm mit fünf Nobelpreisen ...................................................41
DNA unterm Mistelzweig? .......................................................44
DNA-Strichcode für Arche Noah ..............................................47
Manche mögen’s kalt ..............................................................50
Jahr der Ratte und das P450 ....................................................53
Der Bill Gates der Evolution ....................................................56
Mammut und Mammon ...........................................................59
Der Berg als Prophet ...............................................................62
Wie ich zum Biotechnologen wurde ........................................65
Nenn mich Jim Watson! ...........................................................69
Inhalt
Ist unser Prof. schwanger? ......................................................73
Die Tricks der Milchfälscher ....................................................76
Karl Marx und die Ameisen .....................................................79
Wie Biotech Leben verändert .................................................82
Fit oder sauer? .........................................................................85
Leucht-Kater Mr. Green Genes ................................................88
Der Diesel-Pilz .........................................................................91
Nobelpreis für die Biolumne? ..................................................94
Lange Finger für die Börse? ....................................................98
Dim Sum und die Enzymkinetik .............................................101
Auch Pferde? .........................................................................104
Der Hut macht den Mann! ......................................................107
Bienenstock Hongkong? ........................................................110
Linker Start fürs Leben ...........................................................113
Heidelbergers Immuno-Kurve ................................................116
Geprellte Erfinder ...................................................................119
Plaste und Elaste vom Maisfeld ............................................122
Leuchtende Krallenaffen .......................................................125
Langer Abgang des Spargels .................................................128
Anziehende Magnetosomen ..................................................131
Mein DNA-Stammbaum .........................................................134
Rotwein und rotes Fleisch .....................................................137
Pille für ein längeres Leben? .................................................140
Wappentier mit Retrogenen? .................................................143
DNA-Cousins gefunden .........................................................146
Meine DNA-Fahndung ...........................................................149
Lila Tomaten gegen Krebs .....................................................152
Wie Grüntee die Karriere fördert ...........................................155
Farbenblinde gen-kuriert .......................................................158
Von Mäusen und Menschen ...................................................161
DNA-Archiv als Arche Noah ...................................................164
Omas X-Liebling? ...................................................................167
DNA-Sudoku ..........................................................................170
»Erst bitter, dann süß!« .........................................................173
Ente gut, alles gut! ................................................................176
Medikament oder Droge? ......................................................179
Das Geheimnis der Badekappen ...........................................182
Antikörper gegen Krebs .........................................................185
Fettsenker aus Schimmelpilzen .............................................188
Die zweite Menschwerdung ...................................................191
Als gelernter Rinderzüch-ter mit Abitur verfolge ichden Ausbruch der Maul-und Klauenseuche (MKS)in England mit Span-nung. Meine erste „Aufklärung“ in dieser Sache fiel in der da-maligen DDR eher satirisch aus: »MKS? Haben wir überall! Istaber ungefährlich: Früh maulen unsere Bauern – und abendsklauen sie Futter, für die eigene Kuh ... haha!«. So 1966 der Ge-nosse Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenos-senschaft (LPG) „Friedrich Engels“ in Schafstädt zum LehrlingRenneberg. Angesichts obligatorischer MKS-Schutzimpfung hat-ten wir leicht lachen.
Dass es sich bei MKS um eine Virus-Krankheit handelt,wurde 1897 zuerst durch Friedrich Löffler (1852–1915) nach-gewiesen. Der Erreger ist ein hoch infektiöses, hüllenloses RNA-Virus. Theoretisch könnte ein einziges Virion eine Infektionauslösen. Das sehr robuste Virus kann durch Schmierinfektionzwischen Tieren oder über Transportfahrzeuge, aber auch durchLuft und Wasser (auch Hochwasser!), Kleidung oder Futter dieTiere erreichen. Menschen werden kaum infiziert. MKS ist alsovornehmlich eine Bedrohung für die Landwirtschaft.
Bis Ende 1991 waren in der EU MKS-Impfungen Pflicht. Dasich geimpfte Tiere von erkrankten nur noch bei Verwendungbesonders markierter Impfstoffe unterscheiden lassen, hätte mandiese Tiere nicht mehr exportieren können. Bei ungenügendwirksamen Impfstoffen besteht auch die Gefahr der Erregeraus-breitung. Deshalb wurden diese Impfungen eingestellt.
Peinlich: Nach bisherigen Erkenntnissen ist der MKS-Erregerin Surrey »mit großer Wahrscheinlichkeit aus einem nahe gele-genen Labor entwichen«. Sogar eine absichtliche Verbreitungdes Virus wurde nicht völlig ausgeschlossen. Drei Meilen ent-fernt von der betroffenen Farm stehen das staatliche Animal
17
Wer ist der Mörder?
18.0
8.0
7
Health Institute, das den gefundenen Erreger zu Forschungs-zwecken hält, und die Pharmafirma Merial Animal Health, dieihn für Impfstoffe braucht.
Parallelen zur Vogelgrippe-Hysterie drängen sich auf. A propos Friedrich Löffler: Vielleicht erinnert sich jemand an diealten Biolumnen. 2006 zeigte der Berliner Ornithologe
18
Klemens Steiof Widersprüche in den Verlautbarungen des deut-schen Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) auf, als auf Rügen an Vogelgrippe erkrankte Vögel gefunden worden waren.
Steiof wundert, dass bis heute keine unabhängige Experten-gruppe (im besten Interesse des FLI!) die Verdachtsmomenteausgeräumt hat. Inzwischen sind die Wildvögel als Buhmannweitgehend außer Verdacht, was mich als Vogelfreund freut. ImInternet (www.steiof.blogspot.com) fragt sich nun Steiof, wer ei-gentlich von der These profitiert hat, dass Wildvögel das Virusverbreiten: »Es war sehr auffällig, wie die durch nichts belegteRolle der Wildvögel immer wieder in den Vordergrund gerücktwurde.« Die Geflügelindustrie lenkte so von eventueller eigenerVerantwortung ab und bekämpfte gleichzeitig die ungeliebteFreilandhaltung.
Die Pharmaindustrie profitierte von der gestiegenen Nach-frage nach Impfstoffen und Medikamenten. »Mit dem Hinweisauf unbekannte Gefahren sind auch in Deutschland For-schungsmittel verteilt worden.« Und abschließend: »Um die Mo-tive allerdings vollständiger zu verstehen, müsste man sichintensiv mit weltweitem Lobbyismus vor allem von Pharma- undGeflügelindustrie beschäftigen ... Es geht um viel Geld, umMacht und Einfluss, und in einigen Fällen ... auch um Gesichts-wahrung. Damit haben wir die fachlich- naturwissenschaftlicheEbene längst verlassen.«
Ein Leserbrief fragte in der US-Zeitschrift The Scientist sehrvorsichtig an, wer in England daran Interesse hätte, den in gro-ßen Mengen vorrätig gehaltenen MKS-Impfstoff »unter die Rin-der zu bringen«.
Was müsste dieser Unbekannte eigentlich dafür tun? Krimi-Freunde, aufgepasst! Wer könnte der „Rinder-Mörder“ sein?
Mir persönlich ist geklautes Futter für die private Kuh immernoch sympathischer als geklaute Viren ...
19
Flutlicht im Labor – unddas nach Mitternacht!Alles erleuchtet wie einBallsaal, und natürlichkein Student weit und
breit ... Sinnlose Energieverschwendung! Glücklicherweisewohne ich nur zehn Minuten entfernt auf dem Uni-Campus,und wenn ich mal nicht schlafen kann, laufe ich einfach eineRunde. Manchmal schrecke ich dann Studenten im Labor auf.Doch ist auch wichtig, dass der Chef gesehen hat, wie hart siearbeiten!
Morgen werde ich pädagogischerweise vor allen den Reu-mütigen fragen: »Sagen Sie mal, Fai-fai, seit wann brauchendenn unsere Bakterienkulturen Licht? Sind ja wohl keine Pflan-zen ...«
Ich knipse also das Laborlicht aus, gehe wieder schlafen undlese vorher noch die neueste Science mit einem Bericht zur„Verkalbeseuche bei Rindern“, der Brucellose. Das interessiertmich – treue Biolumne-Leser wissen inzwischen, dass ich zurGysi-Diestel-Fraktion der Rinderzüchter mit Abitur gehöre.
»Das Licht brannte absichtlich, Professor! Es steht gerade inder Science.« antwortet mir der gescholtene Fai am nächstenMorgen.
Das träume ich jetzt bereits, denn ein wohlerzogener chine-sischer Student würde niemals seinem Meister widersprechen.Er würde vielmehr berichten, dass das Bakterium Brucella Zoo-nosen hervorruft – von Tier zu Mensch übertragbare Krankhei-ten. Menschen erkranken nach einer Brucelleninfektion anhohem Fieber, bei Rindern führt sie zu Fehlgeburten.
Brucella gilt als eines der besterforschten Bakterien über-haupt. Besterforscht? Trevor Swartz und Roberto Bogomolni(Universität von Kalifornien) entdeckten bei ihnen einen Licht-sensor, der bei Anregung die Bakterienteilung dramatisch
20
Die im Dunkeln sieht man nicht
01.0
9.07
beschleunigt und sie so hochgefährlich macht. Vor etwa 10 Jah-ren fand man, dass einige Fotorezeptoren von Pflanzen Eiweißebeherbergen, die LOV-Domänen genannt werden – LOV kommtvon Licht, Sauerstoff und Spannung (light, oxygen, voltage). Seit-dem wurden LOVs auch in 100 Bakterienspezies gefunden.
21
Bakterien betreiben aber keine Photosynthese, wozu also dieLOV-Domäne.
Das entscheidende Experiment: Normale (Wildtyp)-Brucel-len und ein Mutantenstamm, bei dem das Enzym LOV-Histidin-Kinase „ausgeschaltet“ ist, wurden im Licht und Dunkelninkubiert. Die Überraschung: Der Wildstamm war in Licht 10-mal aggressiver als sein Pendant im Dunkeln oder auch dermutierte Stamm ohne LOVs bei Licht. Der Zusammenhang zwi-schen Kinase und lichtgesteuerter Vermehrung war augen-scheinlich.
Wie war das damals in meiner Rinderzüchter-Lehre, wenneine Kuh auf der Weide kalbte? Das Kälbchen plumpste dannaus dem dunklen(!) Bauch seiner Mama ins grelle Sonnenlicht.Dieses hielt man für keimtötend – von wegen ... Bei Fehlgebur-ten wurde Brucella also sonnenaktiviert und hochinfektiös!Wofür ist das „gut“? Wahrscheinlich hilft die schnelle Teilungden Mikroben zu überleben, wenn sie durch eine Fehlgeburt imFreien auf ihr neues Opfer warten müssen.
Für die Mikrobiologen eine ziemliche Überraschung, dennBakterien werden fast immer in geschlossenen, also dunklen Bioreaktoren gezüchtet. Ist die Lichtaktivierung ein generellesPrinzip für Bakterien?
Im Traum spaziere ich wieder zum Labor. Alles stockfinster!Doch halt: Im Bioreaktor brennt noch Licht ... Genosse Bakte-rium schläft noch nicht. Nach Erich Weinerts Kreml-Gedicht(www.dd r- g e s ch i ch t e . de/PERSONEN/Q-Z/S t a l i n -Lieder/stalin-lieder.html) fällt mir noch im tiefen SchlummerBrechts Dreigroschenoper ein:
»Denn die einen sind im Dunkeln Und die andern sind imLicht und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht mannicht.«
22
