7
26 25. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [Zeitschr. f. Untersuchung [ der Lebensmittel. Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis yon Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten. Von Prof. Dr. J. Tillmans naeh in Gemeinschaft mit H. Holl ~) und L. Jariwala ~) ausgeftihrten Versuehen. Mitteilung aus dem Universit~ts-Institut ffir Nahrungsmittelchemie in Frankfurt a.M. Ftir den lqahrungsmittolchemiker ist immer noch Protein gleich Protein (Stick~ stoffsubstanz). Angesichts der grol~en Fortschritte, welche die Eiweil]chemie in den letzten Jahrzehnten gemaeht hat, erscheint diese Tatsache auf den ersten Blick be- fremdlich. Bei niiherer Betrachtung ergeben sich aber sehr deutlich die hierftir ~or- liegenden Grtinde. Die Aufspaltung der Proteine in Aminos~uren und deren Trennung nach Emil Fischer ist Bin Verfahren, welches der ill der Praxis stehende ~ahrungs- mittelchemiker wohl far wissenschaftliche Untersuchungen, nicht aber ftir die tiblichen Kontrollbestimmungen gebrauchen kann. Es ist eine umfangreiche organisch-chemische Arbeit, welche die Arbeitskraft eines Chemikers wochen- und monatelang in Anspruch nehmen kann. Ferner sind aber auch Materialmengen notwendig, die ftir unsere praktischen Untersuchungen so gut wie niemals zur u stehen. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu verkennen, dal~ eine schnell und mit kleinen Material- mengen ausftihrbare Unterscheidung der in den u l~ahrungsmittein vor- kommenden Proteine gro~en Nutzen ftir die praktische .Nahrungsmittelchemie bringen k0nnte. Es sei dazu nur auf die Unterscheidung yon Mehl- und Eiereiweil~, Brot- und IV[ilcheiwei~, und die yerschiedenen Fleischarten hingewiesen. Wir haben uns deshalb der Bearbeitung dieses Problems zugewendet. Wir versuchten zun~chst die schwach sauren und schwach basischen Eigenschaften der Proteine far unsere Zwecke heranzuziehen~ indem wir uns bemtihten, gewisser- mal~en eine titrimetrische Methode zur Unterscheidung der Proteine zu schaffen. Hierzu innate erst die Grundlage geschaffen werden. Das geschah in der Arbeit yon P. Hirsch 3) tiber v%Kurven, yon der ich mehrfach vor lhnen gesprochen habe. Ich will hier nur wiederholen, da~ es sich bei den v%Kurven um Auftragungen handelt, bei denen auf der X-Achse die in bestimmter Weise korrigierten Titrationswerte pro Millimol, bei den Proteinen pro Millimol Stickstoff, in ccm ~N.-Sg, ure aufgetragen sind; wg,hrend auf der Y-Achse die meist durch Indicatoren ermittelte Wasserstoffstufe (PH) aufgetragen ist. Es ist gezeigt worden, dal] ftir jede Wasserstoffstufe ein ganz be- stimmter S~ureverbrauch bei Abs~ttigung einer basischen und ein ganz bestimmter i) He rmann I-loll, Beitr~ge zur Kenntnis des Ovoalbumins, des Gliadins yon Roggen und Weizen und ein neues chemisches Verfahren zum ~Nachweis yon Roggenmehl in Weizen- und anderen Mehlen. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. Main 1926. ~) L a 11 u b h a i J a r i w a 1a, Alkalieinwirkung auf Eieralbumin und Gliadin, Auffindung und Untersuehung eines Kohlenhydrates aus Roggenmehl. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. Main 1927. ~) P a u l Hirsch, l~eue MSglichkeiten der Acidimetrie, besonders zur Anwendung auf Eiweil~kSrper und deren Spaltungsprodukte. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. M. 1923 und Biochem. Zeitschr. 1924, 147~ 433.

Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

26 25. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [Zeitschr. f. Untersuchung [ der Lebensmittel.

Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis yon Roggenmehl

in Weizenmehl und anderen Mehlarten. Von

Prof. Dr . J . Tillmans naeh in Gemeinschaft mit H. H o l l ~) und L . J a r i w a l a ~) ausgeftihrten Versuehen.

M i t t e i l u n g a u s dem U n i v e r s i t ~ t s - I n s t i t u t ff ir N a h r u n g s m i t t e l c h e m i e in Frankfurt a.M.

Ftir den lqahrungsmittolchemiker ist immer noch Protein gleich Protein (Stick~ stoffsubstanz). Angesichts der grol~en Fortschritte, welche die Eiweil]chemie in den letzten Jahrzehnten gemaeht hat, erscheint diese Tatsache auf den ersten Blick be- fremdlich. Bei niiherer Betrachtung ergeben sich aber sehr deutlich die hierftir ~or- liegenden Grtinde. Die Aufspaltung der Proteine in Aminos~uren und deren Trennung nach Emil Fischer ist Bin Verfahren, welches der ill der Praxis stehende ~ahrungs- mittelchemiker wohl far wissenschaftliche Untersuchungen, nicht aber ftir die tiblichen Kontrollbestimmungen gebrauchen kann. Es ist eine umfangreiche organisch-chemische Arbeit, welche die Arbeitskraft eines Chemikers wochen- und monatelang in Anspruch nehmen kann. Ferner sind aber auch Materialmengen notwendig, die ftir unsere praktischen Untersuchungen so gut wie niemals zur u stehen. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu verkennen, dal~ eine schnell und mit kleinen Material- mengen ausftihrbare Unterscheidung der in den u l~ahrungsmittein vor- kommenden Proteine gro~en Nutzen ftir die praktische .Nahrungsmittelchemie bringen k0nnte. Es sei dazu nur auf die Unterscheidung yon Mehl- und Eiereiweil~, Brot- und IV[ilcheiwei~, und die yerschiedenen Fleischarten hingewiesen. Wir haben uns deshalb der Bearbeitung dieses Problems zugewendet.

Wir versuchten zun~chst die schwach sauren und schwach basischen Eigenschaften der Proteine far unsere Zwecke heranzuziehen~ indem wir uns bemtihten, gewisser- mal~en eine titrimetrische Methode zur Unterscheidung der Proteine zu schaffen. Hierzu innate erst die Grundlage geschaffen werden. Das geschah in der Arbeit yon P. Hirsch 3) tiber v%Kurven, yon der ich mehrfach vor lhnen gesprochen habe. Ich will hier nur wiederholen, da~ es sich bei den v%Kurven um Auftragungen handelt, bei denen auf der X-Achse die in bestimmter Weise korrigierten Titrationswerte pro Millimol, bei den Proteinen pro Millimol Stickstoff, in ccm ~N.-Sg, ure aufgetragen sind; wg, hrend auf der Y-Achse die meist durch Indicatoren ermittelte Wasserstoffstufe (PH) aufgetragen ist. Es ist gezeigt worden, dal] ftir jede Wasserstoffstufe ein ganz be- stimmter S~ureverbrauch bei Abs~ttigung einer basischen und ein ganz bestimmter

i) He rmann I-loll, Beitr~ge zur Kenntnis des Ovoalbumins, des Gliadins yon Roggen und Weizen und ein neues chemisches Verfahren zum ~Nachweis yon Roggenmehl in Weizen- und anderen Mehlen. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. Main 1926.

~) L a 11 u b h a i J a r i w a 1 a, Alkalieinwirkung auf Eieralbumin und Gliadin, Auffindung und Untersuehung eines Kohlenhydrates aus Roggenmehl. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. Main 1927.

~) P a u l H i r s c h , l~eue MSglichkeiten der Acidimetrie, besonders zur Anwendung auf Eiweil~kSrper u n d deren Spaltungsprodukte. Inaugural-Dissertation, Frankfurt a. M. 1923 und Biochem. Zeitschr. 1924, 147~ 433.

Page 2: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

5 6 . B a n d . " Juli/tugnst 1928. J. T i l lmans , ~Neues Kohlenhydrat im Roggenmehl. 27

Verbrauch an Lauge bei Abs~ttigung einer sauren Gruppe vorliegt, die nur yon der Art der S~ure oder Base bezw. ihrer Dissoziationskonstanten abh~ngig sindl).

Die Proteine enthalten nun sowohl schwaeh basisehe wie sehwaeh saure Gruppen. Da t%Kurven auch for ein Gemisch verschiedener schwacher S~uren oder schwacher Basen ermittelt werden kSnnen, so mul~ sich auch ft~r jede Pr0teinart eine ganz be- stimmte vq-Kurve for die Alkalibindung oder S~urebindung ergeben.

FOr die verschiedenen Proteinarten haben wir versucht, diese v%Kurven fest- zustellen, und zwar sowohl die Kurven des unver~nderten Proteins, als auch desjenigen Proteins, welches l~ngere oder k0rzere Zeit mit dt~nnem oder starkem Alkali in be- stimmter Weise behandelt worden war. Auf die Einzelheiten dieser Arbeiten will ich bier nicht eingehen. Es sei nur gesagt, da~ die gewonnenen Kurven oft typisehe Unterschiede bei den verschiedenen Proteintypen aufwiesen, da~ aber das Endziel der Schaffung einer einfachen und allgemein ausf0hrbaren ~[ethode zur schnellen Unter- scheidung der Proteinarten durch Titration bisher noch nieht erreicht wurde. Die Hauptschwierigkeit war, da~ das als allgemeines LSsungsmittel ft~r Proteine ver- wendete Alkali das Protein schnell in bezug auf sein S~urebindungsvermSgen ver- ~ndert, und dal~ im Zusammenhange damit die in Parallelbestimmungen erhaltenen Ergebnisse nicht so t~bereinstimmten, wie man das sonst bei analytischen Arbeiten gew6hnt ist.

Dahingegen ergaben sich interessante Resultate, die einen Beitrag zur Frage der Konstitution der Proteine lieferten, insbesondere zu der lebhaft diskutierten Frage, ob das Proteinmolekt~l aus Polypeptidketten oder vornehmlieh ringf~rmigen Gebilden besteht. Unsere Ergebnisse sprechen entschieden for die Anwesenheit yon ringfSrmigen Gebilden im Proteinmolekt~l. Diese Resultate sind vor kurzem yon mir und meinem Mitarbeiter P. H i r s c h ver~ffentlieht worden2). Bei der Untersuchung des Roggen- und Weizengliadins fahrten sie aber ferner zu der Auffindung eines bisher unbekannten Kohlenhydrats im Roggenmehl und zu einer darauf aufgebauten praktischen Methode zur chemischen Unterscheidung yon Weizen- und Roggenmehl.

Die mit 70%-igem Alkohol hergestellten Weizenmehl- und Roggenmehlauszt~ge ergaben, nachdem das so ausgezogene Protein l~ngere oder kt~rzere Zeit mit Alkali in Ber0hrung war, immer typisch verschiedene vq-Kurven, und zwar in dem Sinne, dal~ das Roggenprotein stets einen erheblich gr~eren Laugeverbrauch zwisehen den Stufen 7 bis 12, also im alkalischen Gebiet, besa~. Bei einer bestimmten Versuchs- anordnung titrierten wir z. B. zwischen den Stufen 11,8 und 7 for Weizenauszug 0,12 ecru N.-S~nre, for Roggenauszng 0,7 ecru N.-S~ure far ein Millimol Stickstoff. Bei Anwendung yon 5 Millimolen verf~tnffacht sich die Titrationszahl. Far einen 5 Millimole Stiekstoff enthaltenden Weizenauszug wt~rde also yon Stufe 11,8 bis Stufe 7 6,0 ccm 0,1 ~.-S~ure, for 5 Millimole Stickstoff enthaltenden Roggenauszug 35 ccm 0,1 N.-S~ure in entsprechender Weise titriert werden. Das sind so betr~chtliehe Untersehiede, dal~ nicht nur ein qualitativer Nachweis~ sondern aueh eine quantitative Bestimmung in Mischung beider Mehlarten mSglich sein minute.

Nun ist die Titration auf so hohe alkalische Stufen, wie Stufe 12, mit Hilfe yon Indicatoren recht schwierig und mit maneherlei praktischen INachteilen behaftet. In dem Bestreben , die Methode technisch so einfach wie mSglich zu halten und Appa-

~) Vergl. auch K. Taufel , Diese Zeitschrift 1927, 54, 43. s) Biochem. Zeitschr. 1928, 193; 216.

Page 3: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

~8 25. Hauptvers~mmlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [Zeitschr. f. Untersuchung ! der Leben,~mi%el.

raturen, wie sie zur potentiometrischen Kettenmessung n~tig sind, m~gliehst zu ver- meiden, kam ich deshalb auf den Gedanken, die Titration in alkoholischer L6sung auszufahren. Verschiedene Forscher haben n~mlich gezeigt, dal~ man mit den meisten Indicatoren, z. B. mit den bequem far diesen Zweek zu handhabenden Indicatoren Phenolphthalein and Thymolphthalein, in alkoholiseher LSsung den Umschlag erst in weit alkalischerem Gebiet erhMt, als in w~sseriger LSsung. Whhrend Phenolphthalein in w~sseriger L0sung bei pH = 8,4 umschl~gt, schl~gt es in 70 %-alkoholischer LSsung nach K o l t h o f f 1) erst bei etwa p g ~ 1 0 , 5 urn. Wahrend das Thymolphthalein in w~sseriger LSsung yon Farblos nach Blau bei PTz = 9,3 nmschl~gt, ist in alkoholischer LSsung die betreffende Farb~ndernng erst bei etwa p g = 11~2 erreicht. Die Titration mit Thymolphthalein in 70 %-alkoholischer L6sung matte also wahrscheinlich einen erheblichen Tell des oben erl~tuterten Titrationsunterschiedes erfassen lassen. Als wit nun diese Titration in alkoholischer LSsnng mit Thymolphthalein ausfahren wollten, da wurde die fiberraschende Tatsache beobachtet, da~ beim Roggenauszug ein Nieder- schlag ansfiel, whhrend der Weizenauszug klar blieb bezw. nur eine ganz schwache Tr~ibung lieferte. Wir glaubten, dies zunhchst so deuten zu mt~ssen~ dal~ das Roggen- gliadin arts zwei verschiedenen Proteinen best~nde, yon denen alas eine ein alkohol- unlSsliches Natriumsalz bilde~ w~hrend das Weizengliadin nur aus einem Protein be- sthnde, dessen Natriumsalz, ebenso wie das zweite Roggengliadin, in 70%-igem Alkohol l~)slich sei. Die-nhhere Untersuehung zeigte uns aber, daft der ~iederschlag nicht aus Protein bestand, sondern offenbar das -Natriumsalz eines Kohlenhydrats war. Der oben genannte Untersehied in der Titration beruhte daher auch nicht auf einem Unterschiede der beiden Proteine aus Roggen und Weizen, sondern auf der Bei- mengung eines Kohlenhydrates, welches eine schwache Shure, etwa yon der Sthrke der Carboxylgruppen der a-Aminos~uren des Proteins, ist. In erheblich alk~liseher L~sung binder dieses Kohlenhydrat also Alkali~ und das gebildete ~atriumsalz ist in 70%-igem Alkohol unli)slich. Diese Auffassung best~tigte sich auch darin, dal~ das Roggengliadin dieselben v%Kurven zeigte wie das Weizengliadin, nachdem die alko- holische L~sung mehrfach umgefhllt worden war.

Die Ansf~llung, die sich mit Alkali aus dem alkoholischen Roggenauszug ergibt, ist kein gut filtrierender iNiederschlag, sondern 'eine stark kolloidale Fhllung. In Vorversuchen wurde festgestellt, da~ tier im u getrocknete Niederschlag praktisch keinen Stickstoff enthielt. Er drehte die Ebene des polarisierten Lichtes nach links, durch kurzes Erhitzen mit Salzs~ure wurde die Linksdrehung erheblich verst~rkt. u der Hydrolyse reduziert er die F eh l ing ' sche L~sung nichL dagegen stark nach dem Erhitzen mit Shuren.

In anges~uertem Wasser oder anges~uertem 70%-igem Alkohol ist der ~ieder- schlag 15slich, unlSslich dagegen~ wie schon erw~hnt, in alkalischem 70%-igem Alkohol. Mit starker werdendem Alkoholgehalt wird die LOslichkeit anch in saurer L~)sung immer geringer; in angeshuertem Alkohol ~ber 95% ist tier KSrper vSllig unl~slich. Wegen dieser Lbslichkeitsverhaltnisse sowie wegen des Yerhaltens gegen das polari- sierte Licht ist es ohne weiteres ausgeschlossen, da~ der unbekannte K~)rper Sthrke oder Dextrin ist. In folgender Weise stellten wir ihn rein dar:

125 g Roggenmehl wurden mit 2~/e Liter 70%-igem Alkohol im Schattelapparat 15 Minuten geschattelt. Die Flassigkeit wurde dann abet Nacht zum Absitzen stehen

~) J. M. K o 1 t h o ft', Der Gebrauch yon Farbenindicatoren. Verl~g yon J u 1 i u s S p r i n g e r, Berlin 1923, S. 152.

Page 4: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

56. B a n d . ] 29 Juli/August 1928.J J. T i l l m a n s , Neues Kohlenhydrat im ttoggenmehl.

gelassen. Am anderen Morgen wurde die Fltissigkeit yore Niedersehlag durch Heber abgezogen und der Rttekstand zentrifugiert. Die dabei abgesehleuderte Fliissigkeits- menge wurde mit der durch Dekantieren abgezogenen vereinigt. Nit diesem Auszug wurden dann weitere 125 g Mehl in derselbenWeise ausgezogen, nun wieder dekan- tiert und geschleudert, und dieses u noch ein drittes und viertes Mal wieder- holt, sodag naeheinander mit den 2']2 Litern 70%-igen hlkohols viermal 125 g

5~0 g Mehl ausgezogen waren. Man filtrierte dann tiber eine dicke hsbestschicht und erhielt so ein vbllig Mares Filtrat. Man ktihlte diesen klaren Auszug 5 Minuten lang a u f - - 3 ~ und gab dann so viel Natronlauge, gelOst in 70%-igem Alkohol, hinzu, dag das Flassigkeitsgemisch nach tier Zugabe der Natronlauge eine 0,05 N.-Natron- lauge in 70%-igem Alkohol war. Auf 1 1 Fltissigkeit waren also 50 ccm N.-Natron- lauge, auf 1 ccm also 0,05 cem N.-Natronlauge in 70%-igen Alkohol zuzugeben. Die Zuftigung der Natronlauge geschah tropfenweise nnd unter st~ndigem Umr/ihren. Dann blieb die Mischung 2 - - 3 Stunden bei Zimmertemperatur Stehen und schlieillich 1 - - 2 Tage im Eisschrank. Dadurch setzte sich der Niederschlag zu Boden und lieg sich durch einfaehes Abdekantieren yon der Flttssigkeit trennen. Der Nieder- schlag wurde dann in m6glichst wenig Wasser gel6st, und die L0sung mit einer 20%-igen b~berehlorsi~urelbsung his zum Methylorangeumschlag versetzt. Hierdurch mugte das freie Polysaccharid in Freiheit gesetzt werden. Es entsteht Natriumper- ehlorat neben dem freien Polysaccharid. Etwa aus der Natronlauge gebildetes Natriumcarbonat oder -bicarbonat mul3te ebenfalls unter Entbindung yon freier Kohlens~ure nnd Bildung yon Natriumperchlorat zerlegt werden. Nun wurde so viel Natronlauge zugeftigt, bis tier Lackmusumschlag erreicht war und dann mit absolutem Alkohol auf einen Alkoholgehalt yon 98% gebracht. Wie schon oben erwhhnt wurde, ist das freie Polysaecharid in starkem Alkohol unlgslich, wi~hrend Natriumperchlorat bekanntlich in Alkohol lbslich ist. Das war auch tier Grund, weshalb gerade diese Shure zum Neutralisieren benutzt wurde. Die erste Alkoholmenge wurde tropfenweise und unter sti~ndigem Umrtihren zur L6sung hinzugegeben. Dadurch fiel tier Nieder- schlag in feiner Form aus and setzte sich leicht zu Boden. Durch Absitzenlassen war er yon der Fltissigkeit zu trennen. Man wusch den Niederschlag mit 96~o-igem Alkohol nach, um noeh anhaftendes Natriumperchlorat zu beseitigen. Das so gewonnene Produkt wurde, wie folgt, getrocknet: Die Substanz wurde in einen Schwefelsiiure- Exsiccator gebracht und die l~euchtigkeit mit IIilfe der Wasserstrahlpumpe abgesaugt. Yon Zeit zn Zeit wurde der Exsiecator ge6ffnet, die Substanz durcheinander gemengt ~nd gr6gere Teile zerdrttckt. Schlieglich liegen wir die Substanz 1 - -2 Tage im Schwefelsi~ure-Exsiccator unter Yakuum stehen. Hierdurch erhielt man den Kbrper in vollkommen troekenem Znstande. Die erhaltene Menge Substanz betrug 4t--5 g. Das Absaugen der Feuchtigkeit allein nahm bei dieser Substanzmenge schon 2 - -3 Tage in Anspruch. Dal~ eine Zersetzung des K6rpers bei der Herstellung nicht stattgefunden hatte, zeigte sich daran, dal~ die Substanz immer noch vor der Inversion F e h l in g'sche LOsung nicht reduzierte.

Das so gewonnene Produkt war weig und krystallinisch. Es enthielt noch 1,2% Asche. Diese Asche bestand aus einer Mischung yon Perchlorat und Natrium- earbonat. Es wurde nun die spezifische Drehung vor und nach der Inversion mit Salzsiiure, sowie das Molekulargewicht nach der Gefrierpunktsmethode bestimmt. Dabei wurde, um den Einfiug des Aschengehaltes auf die Bestimmung zu beseitigen, eine bestimmte kleine Korrektur far den Aschengehalt angebracht, nnd somit die

Page 5: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

30 25. Hauptversamralung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [Zeitsclu'. LUntersuchung [_ d e r Lebensmi~teL

Gefrierpunktserniedrigung der aschenfreien Substanz ermittelt. Nach der Aufspaltung mit Salzs~ure wurde ferner der Gesamt-Zueker als Invertzucker mit F e h l i n g ' s c h e r LSsung bestimmt. Endlich f~hrten wir mit der trockenen Substanz mehrere Elementar- analysen durch, deren gut abereinstimmende Werte gemittelt wurden. Die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen finden sich in der nachstehenden Tabelle:

Spezifische ~ v 0 r der Inversion (20 ~ . . . . . . . . . . . . --43,93 o Drehung | n ach der Inversion (20 ~ --92,700

Gesamt-Zucker naeh der Inversion (Invertzueker) . . . . . . . . 100,2 % Kohlenstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43,38 ,, Wasserstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6,43 ,, Stickstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0 Gefrierpunktserniedrigung yon 2,1435 g der aschenfreien Substanz in

23,4805 g Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . --0,348 o Molekulargewieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487,9

Nach diesen Befunden ist es zun~tehst klar, dag hier ein Polysaceharid, welches aus Frnctosemolekalen besteht, vorliegt. Nach der Inversion ist die spezifische Drehung der Fructose vorhanden, welche bekanntlich zwischen - - 9 1 bis - -930 schwankt. Auch alle qualitativen Reaktionen auf Fructose bezw. Ketosenzucker fielen nach der Inversion stark positiv aus. Nach der Inversion war ferner der Zucker nach A u e r h a c h und B o dl ~ n d e r nicht jodometrisch titrierbar. Es kann sich also nicht um einen Aldosen- zucker handeln, es liegt vielmehr wahrscheinlich ein Xetosenzucker vor.

Die weiteren Befunde zeigen feruer, dafi im Molek~il dieses Kbrpers drei Fructose- reste zur Bildung des Zuckers zusammengetreten sein massen. Zweifelhaft bleibt zun~ehst nur noch, wie viel Mole Wasser aus den drei Fructosemolekalen ausgetreten sind. Auf diese Frage erteilt aber die nachstehende Zusammenstellung eine aus- reiehende Antwort.

Molekular- Kohlenstoff Wasserstoff Bezeichnung Formel

Gewicht % %

Unbekanntes - - 487,9 43,38 6,53 Polysaccharid

Triose C~sH~0 s 504,3 42,83 6,40

3C6HI~Os--2H.~O

CtsH~o0~.5 486,2 44,40 6,22 Trioseanhydrid 3C~HI~Os--3H~O

Arts den obigen Zahlen erkennt man, dal~ der gefundene Kohlenstoffgehalt zwischen dem tier reinen Triose und dem des Anhydrids liegt. Der Wasserstoffgehalt ist h~her als derjenige der reinen Triose und des Anhydrids. Diese Zahlen geben also noch keine eindentige Antwort, ob das Anhydrid.oder die Triose vorliegt. Aber schwer- wiegende Gr~inde sprechen far das Anhydrid.~ Das Molekulargewicht kommt demjenigen des Anhydrids fast gleich. In den gut ~bereinstimmenden Elementaranalysen finden wir den Kohlenstoffgehalt h0her, als er sich aus der Formel der reinen Triose errechnet. Der Wasserstoffgehalt ist dagegen hSher als derjenige beider KSrper, sowohl der Triose als des Trioseanhydrids. Da l~ tier Wasserstoffgehalt h~her, der Kohlenstoffgehalt niedriger gefunden wird, kann sich leicht aus einem geringen Wassergehalt erkl~ren.

Page 6: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

56. Band. ] Juli]August 1928.] J. T i l l m a n s , Neues Kohlenhydrat im Roggenmehl. 31

Derartige Produkte geben beim Trocknen erstens sehr schwer die letzten Wasserreste ab und zweitens ziehen sie begierig Wasser wieder an. Nimmt man einen Wasser- gehalt yon 2% an, so w~lrde bei Annahme der Formel des Anhydrids ClsH~o015 sich ein Kohlenstoffgehalt "con 43,50% gegen den gefundenen Gehalt yon ~3,38% und 6,32% Wasserstoff gegen den gefundenen Gehalt 6,53% ergeben. Diese Zahlen kommen den theoretisch far das Anhydrid errechneten sehr nahe. Ferner gibt K a r r e r 1) an, da6 die Anhydride yon Zuckerarten vielfach alkoholunliSsliche Natriumsalze bilden, was ebenfalls ft~r die Anhydridform spricht.

Arts allen diesen Grt~nden halten wir es far am wahrscheinlichsten, dag dem K6rper die Formel ClsH~o01~ zukommt. Wir bezeichnen ihn als T r i f r u c t o s a n oder T r i f r u c t o s e a n h y d r i d .

Weitere Untersuchungen an den Mehlen haben nun ergeben, da6 dieses Tri- fructosan nur im Roggenmehl vorkommt. Im Weizenmehl ist es entweder nicht oder nur in winzigen Spuren vorhanden. Ferner ergab sieh, daft alle anderen Mehlarten, wie Maismehl, Reismehl, Hafermehl, Gerstenmehl usw. den K~rper nicht enthalten. Der K6rper ist sowohl in frisehem wie in zersetztem Roggenmehl unver~ndert vor- handen. Auch ganz stark muffige und alte Roggenmehle enthielten ihn unver~ndert.

D e r N a c . h w e i s yon R o g g e n m e h l i n W e i z e n m e h l und a n d e r e n M e h ! e n ist daher auf Grund des Yorhandenseins dieses K6rpers nur im Roggenmehl in folgender Weise einfaeh ausft~hrbar:

5 g des zu untersuchenden Mehles werden mit 20 ccm 70%-igem Alkohol 15 Minuten lang in einem Schleuderr6hrchen gescht~ttelt. Dann wird 10 Minuten lang in einer Eis-Salz-Misehnng bei - - 3 o gektihlt. Die breiige Masse wird whhrend des Kt~hlens mit einem Glasstabe 6fter gut durchgerahrt, um das ausgesehiedene Ei- weig mit den Mehlteilen zu vermischen. Danach wird 5 Minuten lang abgeschlendert. Die erhaltenen Auszage sind vollkommen Mar, und die Flt~ssigkeit kann einfach abgegossen werden. Etwa auftretende Trt~bungen, die durch Aufwirbeln beim Abgiel]en entstehen, kOnnen leicht abfiltriert werden. Yon der klaren Flttssigkeit werden 10 ccm abgemessen und mit 0,5 ccm N.-Natronlauge, gelOst in 70%-Jgem Alkohol, versetzt. Reiner Weizenmehlauszug, der keinen Roggen enth~It, liefert dabei eine ganz leichte Trfibung; in selteneren Fhllen bleibt der Auszug auch fast Mar. Je nach dem Vorhandensein yon mehr oder weniger Roggen tritt eine erhebliche Trabung bis ein erheblicher Niederschlag auf, der aus dem alkoholunlOslichen Natriumsalz des Trifructoseanhydrids besteht. Etwa 10% Roggenmehl kOnnen auf diesem Wege im Weizenmehl noch gut nachgewiesen werden. Beim Vorhandensein yon 20% Roggen- mehl ist die Trabung schon sehr erheblich.

Roggenmehlmengen unter 10% werden am besten naeh der mittlerweile aus- gearbeiteten quantitativen Methode, die demnhchst ,zerOffentlieht werden wird, nach- gewiesen.

Wir haben uns nun damit beseh~ftigt, die Methode zu einer quantitativen aus- zuarbeiten, und sie ferner insofern weiter durehzuarbeiten, dab sie aueh ftir den Naehweis und die quantitative Bestimmung yon Roggenbrot in Weizenbrot brauehbar ist. Das erste ist Herrn M a t t h h i sehon gelungen, mit der zweiten Aufgabe sind wir beseh~ftigt.

~) K a r r e r , Polymere Kohlenhydrate. Akademisehe Verlags-Gesellsehaft m. b. H., Leipzig 1925.

Page 7: Ein neues Kohlenhydrat in Roggenmehl und ein darauf aufgebautes Verfahren zum Nachweis von Roggenmehl in Weizenmehl und anderen Mehlarten

32 25. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [-Zeitschrr f. Untersuchung | der J.ebensmittel.

Es schien uns nun auffallig und unversti~ndlich, daf dieser immerhin in recht erheblicher Menge im Roggenmehl stets vorhandene K(~rper bisher so v011ig tibersehen sein sollte. Wir durchsuchten deshalb die Literatur, um festzustellen, ob wir nicht irgendwo auf die Spuren dieses K(irpers stolen wtirden. In der Literatur der letzten 34: Jahre fanden wir nichts, kns den Jahren 1891 und 1894 f~nden wir aber zwei Arbeiten, eine franzSsische 1) und eine deutsche2), bei denen es sich offenbar um die Untersuchung desselben K0rpers gehandelt hat. E. S c h u l z e und S. F r a n k f u r t 2) stellten einen KSrper aus Roggenstengeln dar, den sie S e c a I o s e nannten. Die Zahlen far spezifische Drehung sind andere, dagegen fanden sie auch Fructose~ und die Elementaranalyse stimmt fast mit unserer t~berein. T a n r e t ~) fand einen Zucker in Roggenmehl, der nach den angegebenen Zahlen und Befunden offenbar nicht rein~ sondern eine Mischung unseres Kbrpers mit Glykose oder anderen rechtsdrehenden Zuckern war. Molgewichtsbestimmungen konnten nattirlich bei beiden Arbeiten nicht ausgefiihrt werden, well es damals noch kein far diesen Fall geeignetes Yerfahren zur Molgewichtsbestimmung gab.

~) Bull. Soc. ehim. 1891, 3, 5724. 2) Ber. Deutsch. Chem. Ges. 1894, 27, 626 und 3525.

V o r s i t z e n d e r : Herr Kollege T i l l m a n s , der allgemeine Beifall zeigt Ihnen~ mit welchem Interesse die Versammlung Ihre neuen Untersuchungen aufgenommen hat. Wir sind erstaunt~ dal~ man bei einem Produkt, das uns fast t~glich zur Untersuchung vorliegt, nicht schon frtiher auf den K0rper gestofen ist; das zeigt, daf man hoffen darf, dutch intensive Forschung nach neuen Methoden in Zukunft noch analytische Probleme zu 10sen, die wir zur Zeit noch als undurchftihrbar halten.

Prof. Dr. B e y t h i e n - D r e s d e n : Ich mSchte mir eine Frage erlauben: Wie schmeckt der Zucker? Ist er stir?

Prof. Dr. T i l l m a n s - F r a n k f n r t a. M.: Er sehmeckt ganz schwach stiff. V o r s i t z e n d e r : Wir k(~nnen nun zum folgenden Punkt tibergehen. Herr

Dr. S u n d b e rg ist leider verhindert, an der Versammlung teilzunehmen; Herr Kollege T il 1 m a n s hat sich freundlicherweise bereit erkl~rt, uns den Inhalt der Untersuchung kurz vorzutragen~ die in dem Berichte tiber unsere Yersammlung vollsti~ndig zum Abdruck gelangen wird.

Uber elektrometrische Chlorbestimmung in der Milch. Von

Thure Sundberg. M i t t e i l u n g aus dem L ~ b o r ~ t o r i u m des G e s u n d h e i t s a m t e s

der St~dt S tockho lm.

Als wir im vorigen Jahre in Ntirnberg die physikalisch-chemischen u der Herren Professor Dr. T i l l m a n s und Dr. Ti~ufel gehbrt hatten, sagte ich einem Bekannten unter den teilnehmenden Herren, der in der Milchchemie vielfach ti~tig ist~ dab man versuchen sollte, die Chlorbestimmung in der Milch elektrometrisch aus- zufiihren. Der Herr Kollege antwortete: ,,Machen Sie es selbst." Ich babe es nun insofern gemacht~ als ich diesbeztigliche Yersuche mit Hilfe eines geeigneten Mitarbeiters~ des H e r r n G u n n a r M e y e r s o n , im Laboratorium des Gesundheitsamtes der Stadt