Enterprise 2.0 - Gegenwart und Zukunft

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    Enterprise 2.0

    Gegenwart und Zukunft

    Vorschlag einer Forschungsagenda

    Alexander Richter1, Angelika C. Bullinger2

    1Forschungsgruppe Kooperationssysteme, Universitt der Bundeswehr Mnchen2

    Lehrstuhl fr Wirtschaftsinformatik I, Universitt Erlangen-Nrnberg

    1 EinleitungIm Angesicht einer stark im Wandel begriffenen Unternehmenswelt - Globalisie-rung, verkrzte Produktlebenszyklen, stark steigende Anforderungen an Mobilittund Flexibilitt der Mitarbeiter - gewinnt die IT-gesttzte Zusammenarbeit weiteran Bedeutung. In diesem Zusammenhangerscheint zwar eine Groupware Suite,

    welche die notwendige Sicherheit und Orientierung zu bieten in der Lage wre,

    oberflchlich als Lsung. Allerdings zeigt sich, dass die Entwicklung eines umfas-senden Instrumentenkastens zur Untersttzung von Koordination, Kommunikati-on und Kollaboration nicht ohne weiteres mglich ist. Stattdessen fanden in denletzten Jahren insbesondere verschiedene modulare Instrumente, die im so genann-ten Web 2.0 privat auergewhnlich stark genutzt wurden, auch in der Unter-nehmenspraxis zunehmend Anwendung.

    Das Web 2.0 bringt neue Paradigmen mit sich: So haben sich die Benutzer bei-spielsweise von reinen Konsumenten zu Produzenten entwickelt, die Inhalte nichtmehr nur empfangen, sondern diese selbst bereitstellen, editieren, bewerten undkommentieren. (z.B. Zerfa et al. 2009). Diesen Paradigmenwandel gilt es nun auf

    Firmenebene in angemessener Form ebenfalls zu vollziehen und infolgedessenstellt sich die Frage nach den Einsatzmglichkeiten des Web 2.0 in Unterneh-men (Back et al. 2009) bzw. des Enterprise 2.0 (Koch und Richter 2009). Dabeisteht der von Andrew McAfee (2006) geprgte Begriff Enterprise 2.0 in diesemBeitrag fr das groe Potential von Web 2.0-Technologien bzw. Social Software,

    wie Wikis und Weblogs, zur Untersttzung der unternehmensinternen und -bergreifenden Zusammenarbeit.

    Im Gegensatz zum privaten Internet, das eher durch informelle Strukturen ge-kennzeichnet ist (Jahnke 2009), mssen die Beteiligten in den Unternehmen aller-dings verschiedene unternehmensspezifische Herausforderungen meistern, wie z.B.

    die Einbeziehung von Organisationsstrukturen und -Prozessen. Diese und andereSpezifika sollten bei der soziotechnischen Systemgestaltung der Werkzeuge be-

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    rcksichtigt werden. In den vergangenen Jahren wurde der Einsatz von SocialSoftware in Unternehmen deswegen in zahlreichen Forschungsprojekten unter-

    sucht. und es findet sich ein groer Forschungskrper. Dieser reicht von Einzel-und Mehrfachfallstudien ber Aktionsforschung zu quantitativen Umfragen. Dabeifinden sich Erkenntnisse zur Verbreitung einzelner Anwendungsklassen, Nutzen-analysen, oder auch die Identifikation von Barrieren und Erfolgsfaktoren von En-terprise 2.0. Angesichts dieser facettenreichen Entwicklung scheint Orientierungnotwendig geworden zu sein. Neben einer Aufbereitung des aktuellen Stands derForschung schlgt der vorliegende Beitrag sechs Metathemata vor, welche Quer-

    verbindungen ber die einzelnen Forschungsanstze herzustellen in der Lage sind.Er zielt auf die Identifikation zuknftig relevanter Forschungsfelder im BereichEnterprise 2.0 und zeigt somit eine Forschungsagenda fr das Feld auf.

    Zweifellos lsst sich sagen, dass die Unternehmenskultur v.a. aufgrund der fla-chen Hierarchien im Enterprise 2.0 eine groe Rolle spielt. Deswegen werdensowohl von der Forschung als auch in der Praxis (z.B. Bughin et al. 2008) regelm-ig erhebliche Unterschiede (u.a. in den Nutzungspraktiken) insbesondere auchzwischen verschiedenen Kulturen (wie USA und Deutschland) festgestellt. In An-betracht dieser Unterschiede, die jedoch nicht Gegenstand der weiteren Analysesind, beschrnken wir uns mit unseren Aussagen auf den deutschsprachigen Raum.

    Wir beginnen mit einer Aufarbeitung der deutschsprachigen Literatur im Gebiet(Abschnitt 2). Danach werden die Ergebnisse eines eintgigen Workshops zurZukunft von Enterprise 2.0 mit 19 Experten aus Wissenschaft und Praxis vorge-stellt (Abschnitte 3 und 4). Zusammenfassung und Diskussion schlieen den Bei-trag.

    2 Literaturberblick: Gegenwart von Enterprise 2.0Um den aktuellen Stand der Verffentlichungen umfassend zu bewerten, haben

    wir eine systematische Literaturrecherche durchgefhrt. Der Prozess der Datener-hebung fr die Literaturrecherche bestand aus drei getrennten Aktivitten: (1)Schlagwort-Suche Enterprise 2.0 (138 Treffer) und Social Software im/in Un-ternehmen (zusammen 118 Treffer) in der deutschen Version von Google Scho-lar, (2) Analyse der Literaturverzeichnisse in den identifizierten Quellen sowie (3)Hinweise von kooperierenden Forschern1. Die Anzahl der identifizierten Verf-fentlichungen (>300) wurde folgendermaen eingeschrnkt: Es wurden ausschlie-lich (a) empirische Studien, die (b) wie oben erlutert im deutschsprachigen Raum2 und (c)

    1 Aufgrund der Neuartigkeit des Themas scheint die Bercksichtigung von Arbeiten notwendig, die von kooperierenden Forschern empfohlen wurden. Diese wurden zur Mitarbeit an der folgendenWiki-Seite aufgerufen: http://wiki.informatik.unibw-muenchen.de/Main/Enterprise2Studien.2

    Eine Ausnahme stellen die Studien von Bughin et al. dar. Diese wurden aufgenommen, weil sieaufgrund der differenzierten Darstellung auch fr den deutschsprachigen Raum wesentliche Aussa-genkraft haben.

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    primrerhoben3 wurden, bercksichtigt, die sich (d) auf den inner- und zwischen-betrieblichen Einsatz von Social Software zur Zusammenarbeit beziehen4. Diese

    Auswahl wurde von drei weiteren im Bereich ttigen Forschern berprft undpunktuell erweitert.In der Literatur lassen sich sowohl quantitativeStudien identifizieren, die mit der

    Hilfe von Unternehmensbefragungen einen berblick zum Stand derNutzungvonSocial Software in Unternehmen vermitteln als auch qualitative und quantitativeStudi-en, die ausgehend von einzelnen Unternehmen Herausforderungenidentifizieren undLsungsvorschlgeerarbeiten.

    Bei den quantitativen Erhebungen zur Nutzung lassen sich drei Hauptrichtungenerkennen. Es wurde zum einen das Potential von Enterprise 2.0 fr einzelne Bra-chen (z.B. die Finanzbranche (Wittman 2008)) oder einzelne funktionale Ebenen in

    einem Unternehmen (beispielsweise After Sales Service (Bughin und Manyika2007), Forschung und Entwicklung (Herrmann 2007) oder Logistik (BITKOM2007)) untersucht. Desweiteren wurde zwischen dem Einsatz auf Team-Ebeneoder im ganzen Unternehmen unterschieden (Leibhammer 2008). Schlielich wur-de in den Erhebungen das Interesse der befragten Unternehmen an einzelnen An-

    wendungsklassen abgefragt (Bughin et al. 2008), die Meinung zu verschiedenenNutzungsbarrieren (Bughin et al. 2009) oder allgemein das Potential der Anwen-dungsklassen fr bestimmte Nutzungsszenarien (z.B. Berlecon Research 2007; T-Systems 2008).

    Es liegt in der Natur dieser quantitativen (unpersnlichen) Studien, dass dieErfahrung der Nutzer sowie die tatschliche Nutzung von Social Software nichtberprfbar sind. Ferner ist die Bercksichtigung des Einsatzkontextes schwermglich und es existieren oftmals vllig unterschiedliche Begriffsverstndnisse, sodass die Studien nur schwer vergleichbar sind.

    Bei den qualitativen (insbesondere Fallstudien) und quantitativen Studien, die sichauf bestimmte Unternehmen beziehen werden dagegen konkrete Herausforderungen undLsungsvorschlgeim Einsatz- bzw. Unternehmenskontext betrachtet. Dabei erleich-tert die Betrachtung greifbarer Anwendungsflle ein besseres Verstndnis fr ein-zelne Faktoren aus der Vielzahl betrachteter Themata.

    Die nachfolgende Tabelle soll einen berblick ber die Spannweite der For-schungsarbeiten geben. Aufgrund der hohen Anzahl der Studien wird von jedemForscher beispielhaft nur eine Arbeit genannt. Ein * stellt einen Hinweis auf dieExistenz weiterer, vergleichbarer Arbeiten dar. Die letzte Spalte (Meta) wird in

    Abschnitt 5 erlutert.

    3 Es fanden also keine Meta-Studien ber quantitative (Fuchs-Kittowski et al. 2009) oder qualitative

    Studien (Granitzer und Tochtermann 2009) Bercksichtigung.4 Nicht betrachtet wurden folglich Studien, die sich beispielsweise auf den Einsatz von Social Soft-ware zur Kundenbindung beziehen (wie z.B. Dbler 2007).

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    Tabelle 1: Literaturberblick zu Enterprise 2.0

    Quelle Betrachtete

    Themata

    Empirische

    Basis

    Anwendungs-

    klasse

    Me-

    ta

    Back et al.(2009)

    Funktionen, Pro-duktivitt, U.-kulturund- kontext, Nut-zerbeteiligung, u.v.a.

    8 Einzelfallstudi-en, Unternehmen(U.) aller Gren

    Wiki, Weblog,Social Tagging,SNS

    1, 2,3, 4,5, 6

    Benlian etal. (2009)

    Selbstorganisation,U.-kultur, u.a.

    2 Einzelfallstudi-en in Konzernen

    Wiki, SocialNetworkingService (SNS)

    3, 5

    Blaschke

    (2008) *

    Mae zur Analyse

    von Wikis

    Einzelfallstudie

    in KMU

    Wiki 2, 6

    Bhringeret al. (2009)*

    Bercksichtigung d.U.-kontext

    Einzelfallstudiein KMU

    Microblogging 2, 3

    Buhse undStammer(2009)

    Freiwilligkeit undKontrolle, Nutzer-beteiligung, u.a.

    Ca. 5 Einzelfall-studien, U. allerGren

    Wiki, Weblog1, 2,4, 5

    Ebersbachund Glaser(2009) *

    Nutzerrollen und-gruppen, Wiki alsSuchportal, u.a.

    Einzelfallstudie:IBM

    Wiki 3, 5

    Happel undTreitz(2008)

    Wiki-Wucherung /Qualittssicherung

    Mehrfachfallstu-die in 6 U.

    Wiki 6

    Koch undRichter(2009) *

    Ziele, Anwendungs-flle und -muster,freudvolle Nutzung,Motivation, u.v.a.

    21 Einzelfallstu-dien in Unter-nehmen allerGren

    Wiki, Weblog,Social Tagging,SNS

    1, 2,3, 4,5, 6

    Lindermann et al.(2009)

    Anforderungen aneine E2.0-Plattform

    Mehrfachfallstu-die in 6 KMU

    SNS3, 4,5, 6

    Mller undDibbern(2006) *

    Einfhrungsprozess,Erforderliche In-stanzen, u.a.

    Einzelfallstudiein KMU

    Wiki 3, 5

    Rth et al.(2009)

    U.-kultur, Akzep-tanz, u.a.

    Mehrfachfallstu-die in KMU

    Weblog 2, 5

    Richter undKoch(2009) *

    Datenschutz, Tool-integration, Medi-enwahl, u.v.a.

    Einzel- undMehrfachfallstu-die in 3 U.

    SNS 3, 4,5, 6

    Schachnerund Toch-

    Dominanz vonDaten, Nutzerbe-

    5 Einzelfallstudi-en in U. aller

    Wiki, Weblog 1, 2,5

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    Quelle BetrachteteThemata

    EmpirischeBasis

    Anwendungs-klasse

    Me-ta

    termann(2008)

    teiligung, U.- kon-text, u.a.

    gren

    Stein undBlaschke(2009)

    Mglichkeiten derDatenvisualisierung

    Komp. Daten-analyse in 4 U.

    Wiki 2, 6

    Stocker(2010) *

    Akzeptanz, U.-kultur, Interaktions-typen, u.v.a.

    Mehrfachfallstu-die mit 10 U.aller Gren

    Wiki, Weblog 2, 4,5, 6

    Warta(2009) *

    Einflu der Wiki-Engine, Informati-onsqualitt, u.a.

    KomparativeDatenanalyse mit13 Konzernen

    Wiki 2, 3,5, 6

    3 DatenerhebungDie Datenbasis des Beitrags bildet ein eintgiger Workshops zum Thema Enterpri-se 2.0, an welchem 19 Experten aus Wissenschaft und Praxis, die in diesem Be-

    reich arbeiten und forschen, teilnahmen. Der Workshop wurde ber die gesamteDauer von den beiden Koautoren und einem unabhngigen Experten begleitet.Einer der beiden Koautoren nahm als Moderator an dem Workshop teil, der ande-re sowie der unabhngige Experte waren als teilnehmender Beobachter anwesend.

    Der Workshop war wie folgt gegliedert: Impulsreferate und jeweils kurze Dis-kussion zu aktuellen Forschungsprojekten und schwerpunkten der Experten (90Minuten), moderierte Plenumsdiskussion zur Identifikation besonders relevanter

    Themenbereiche im Forschungs- und Praxiseinsatzfeld Enterprise 2.0 (90 Minu-ten), vertiefte thematische Diskussion in Kleingruppen (jeweils 3 bis 4 Personen)zur Detaillierung eines Themenbereichs (90 Minuten), Prsentation der Ergebnisse

    der Kleingruppendiskussion und moderierte Plenumsdiskussion zu den erarbeite-ten Themenfeldern (90 Minuten). Mithilfe von Notizen, Photoprotokollen und denerstellten Postern wurde der Workshop von den Koautoren dokumentiert.

    Das Ergebnis des Workshop und der anschlieenden Analyse durch die Auto-ren ist eine Forschungsagenda mit sechs Metathemata, welche in der nachfolgen-den Abbildung berblicksartig dargestellt sind: Zielsetzung & Definition, Enterpri-se 2.0 in der Organisation, Funktionalitten, Motivation, Nutzung und Daten5.

    5

    Die sechs Bereiche sind logisch gereiht; eine Priorisierung wird durch diese Reihenfolge nicht expli-zit vorgenommen. Ebenso wenig ist es das Ziel der Abbildung Verknpfungen oder berschneidun-gen der einzelnen Themenfelder darzustellen. Diese knnen zwischen allen Bereichen auftreten.

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    Abbildung 1: Metathemata im Bereich Enterprise 2.0

    4 Ergebnisse: Zukunft von Enterprise 2.0Nachfolgend werden die erarbeiteten sechs Metathemata vorgestellt, in welchenzuknftige Forschungen zum Themengebiet Enterprise 2.0 als besonders vordring-lich erscheinen.

    4.1 Metathema 1: Zielsetzung & DefinitionDas Metathema 1 umreit erstens den Bedarf einer Festlegung, was unter dem Be-griff Enterprise 2.0 generisch zu verstehen ist, um von dieser gemeinsamenGrundlage aus Deutungen fr den Einzelfall vornehmen zu knnen. Hierbei er-scheint wesentlich, dass eine ausdifferenzierte, allgemeingltige Definition wedernotwendig noch tatschlich hilfreich ist, sondern vielmehr ein kleinster gemeinsa-mer Nenner gefunden werden soll, auf welchem aufbauend Definitionen fr spezi-elle Anwendungen oder Forschungsfragen erarbeitet werden knnen.

    Zweitens verbalisiert es die Notwendigkeit, generisch wie individuell die Zielset-

    zungen zu przisieren, welche mithilfe des Einsatzes von Social Software im Unter-nehmen erreicht werden sollen. Ein modularer Aufbau scheint hier vorteilhaft, dadie Zielsetzungen naturgem zwischen den implementierenden Organisationendivergieren.

    (L)6: Wenn ich an einen Mittelstndler denke, wird dieser doch zwangslufig ganz an-dere Vorstellungen und Erwartungen haben als ein Grounternehmen. Fr den ist einBlog doch schon Enterprise 2.0.

    6 Es handelt sich jeweils um (anonymisierte) Aussagen der Teilnehmer des Workshops.

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    Eine wissenschaftliche Ausarbeitung verschiedener Zielsetzungen inklusive priori-tren Handlungsanleitungen, welche aus den Zielsetzungen resultieren, erscheint

    aus wissenschaftlicher wie praktischer Hinsicht dringend notwendig. Wesentlicherschien den Experten zudem, dass im Zusammenhang mit Zielsetzungen nichtnur zentrale Erfolgskriterienmonetrer und prozessualer Art definiert, sondern auchsoziale Protokolle in den Zielkatalog aufgenommen werden. Hierzu sagte einer der

    Teilnehmer:

    (M): Es geht ja bei Enterprise 2.0 gerade um das Verhalten der Nutzer welche so-zialen Protokolle werden angelegt, wie und warum wird sanktioniert oder belohnt.

    4.2 Metathema 2: Enterprise 2.0 in der OrganisationBeim Metathema 2 erachteten die Experten insbesondere die Auswirkungen beste-hender Systeme auf neu einzufhrende (Verhltnis von Enterprise 1.0 zu Enterprise2.0) fr wichtig, welche ber die funktionale und technische Seite hinaus ernstzu-nehmende Wechselwirkungen mit den organisationalen Aspekten einer Unterneh-mung haben. Dazu kommt, dass der Einsatz von Social Software zunehmend we-niger prototypisch abluft, und den Weg in die Arbeitsprozesse findet (Enterprise2.0 gets serious). Daraus ergeben sich Fragestellungen nach dem Zusammenspiel

    verschiedener Einflufaktoren wie z.B. der Unternehmensgre oderkultur.Zudem ist ein Wandel in der Wahrnehmung der Dienste zu bemerken:

    (N): Man muss sich das mal vorstellen: Da sind die ganzen Daten in einem Blog ge-speichert und sonst nirgendwo. Keiner hat ein Backup und wenn es abstrzt, ist allesweg.

    4.3 Metathema 3: Funktionalitten Aufgrund der stetig anwachsenden Anzahl von Anwendungssystemen, welcheunter den Begriff Enterprise 2.0 fallen, zeigt sich im Rahmen des Metathema 3 v.a.aus Praxissicht die Notwendigkeit einer Typologisierung der Funktionen. Diesesollte mglichst flexibel angelegt werden, damit Vernderungen rasch dargestellt

    werden knnen:

    (E): Eine Typologisierung ist zwanghaft veraltet, wenn sie nicht ausreichend flexibelangelegt ist, um zum Beispiel die Integration von Instrumenten wenn das Wikisystempltzlich soziale Vernetzung erlaubt, indem auch die Autoren des Beitrags angezeigtwerdenadquat darzustellen!

    Eine Typologisierung knnte ebenso die Nutzer bei ihrer Medienwahl untersttzenund die Verwirrung angesichts der Vielfalt mindern:

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    (): Der Punkt ist doch, dass ich vor lauter Tools schon gar nicht mehr wei, was ichjetzt twittern, bloggen oder aufs Wiki stelle. Das ist ja eine wahre Tooleritis.

    Zudem ist ein Trend zu immer schlankeren Anwendungen auszumachen, der auchdazu fhrt, dass die Systeme zunehmend zusammenwachsen (Vermash(up)ung).Hierbei stellt sich auf technischer Seite die Frage nach sinnvollen Integrationskon-zepten. Bei deren Entwicklung sollten jedoch weniger die technisch mglichenFunktionalitten, sondern vielmehr die gewnschten und bentigten Eigenschaften(Simplicity) der Anwendungen im Vordergrund stehen, um die Nutzungsbarrierenzu senken:

    (M): Wir mssen aufhren, immer nur an die Machbarkeit zu denken. Wesentlich ist

    doch, was die Nutzer brauchen, wozu die Anwendung eingesetzt werden soll und wa-rum. Das muss die Entwicklung treiben.

    4.4 Metathema 4: MotivationAuch beim Einsatz von Social Software in Unternehmen spielt wenn auch diffe-renziert zum freiwilligen Web 2.0 der Faktor Motivation eine wichtige Rolle.Hierbei sind Fragen zu beantworten, wie man initial eine kritische Masse von Be-nutzern erreicht und wie die Beteiligung hoch gehalten werden kann. So stelltezum Beispiel ein Teilnehmer den Nutzen von Lead Usern in Frage:

    (H): Wenn ich nun die Nutzer der ersten Stunde in einem Newsletter explizit erwh-ne, freuen die sich vielleichtdie anderen sehen das aber mglicherweise als abschre-ckend an oder halten die Aufgabe fr gelst.

    In diesem Zusammenhang stellen sich daher Fragen nach dem Einsatz geeigneterAnreizsysteme, aber auch danach wie weit die fr Social Software typische Freiwil-ligkeit und Selbstorganisation gehen kann. Bereits mehrfach untersucht, doch nochimmer ungelst, ist diesbezglich die ungleiche Beitragsverteilung zwischen Nut-zern.

    (G): Es stellt sich die Frage, ob das Attribut Freiwilligkeit noch gltig ist, wenn ichmeine Mitarbeiter mehrfach explizit auffordere, sich an dem Wiki zu beteiligen oderdies sogar in ihre Zielvereinbarung aufnehme.

    4.5 Metathema 5: NutzungDie in Metathema 4 identifizierte Herausforderung ungleicher Beitragsverteilungkann zur Identifikation verschiedener Nutzergruppen oder auch Interaktionsty-pen genutzt werden. So beschreibt eine Gruppe von Teilnehmern:

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    (Gruppe Meta 4): Man muss da zwischen der Person und der Rolle, welche sie in ei-nem Kooperationssystem spielt, unterscheiden. Das Nutzungsverhalten ist keineswegs

    nur freiwillig und persnlich getrieben.

    Die Klassifikation der Nutzergruppen kann desweiteren den Verantwortlichen frdie Nutzung Hilfestellung bieten, um die Medienkompetenz der Nutzer weiter zuerhhen und zu verhindern, dass es zu einer sogenannten digitalen Spaltungkommt. Dies wurde wie folgt zusammengefasst:

    (M): Es ist wesentlich, dass erkannt wird, wer welche Kompetenzen im Umgang mitden Anwendungen hat und braucht.

    4.6 Metathema 6: DatenSchlielich findet in Metathema 6 ein besonderer Aspekt von Social Software Be-achtung: Aufgrund der hohen Beteiligung der Nutzer liegen in der Regel eher zu

    viele als zu wenige Daten vor. Damit verbunden ist zunchst einmal die Frage, obes sich bei Enterprise 2.0 nicht oftmals um ein Informationsrauschen handelt, dasdie Aufmerksamkeit an die falschen Stellen lenkt und auch, ob es sinnvoll oder garnotwendig geworden ist eine Art Informations- bzw. Relevanzfilterung vorzu-nehmen. Ein Teilnehmer formulierte die Herausforderung so:

    (E): Mein Tag hat einfach nur 24 Stunden. Will ich da wirklich die 17 Updates einesKollegen aus einer anderen Fachabteilung lesen? Sind fr mich die letzten 5 nderun-gen auf dem Wiki relevant? Wie kann ich das filtern?

    In diesem Zusammenhang wurde auch die Auswertungder zahlreichen nutzerge-nerierten Daten sehr kontrovers diskutiert. Diese stt zum einen oftmals auf

    Widerstnde in den Mitarbeitervertretungen, da noch Lsungen zum Schutz per-snlicher und/oder sensibler Daten gefunden werden mssen. Andererseits stehtdie Auswertung der Daten blicherweise nur dem Management zur Verfgung,

    was technisch keinesfalls notwendig ist. Allerdings wrde eine ffnung der Aus-

    wertungsfunktion kulturell und organisatorisch zu wesentlichen Vernderungenfhren, deren Folgen noch nicht abschtzbar sind. Eine Gruppe von Teilnehmernschlug dennoch vor:

    (Gruppe Meta 6): Warum werden die Daten nicht fr alle geffnet, die sich dafr in-teressieren? Alle Auswertungen werden allen Anwendern ermglicht. Das wre dochein faire Herangehensweise.

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    5 Zusammenfassung und AusblickDer vorliegende Beitrag zeigt, basierend auf der Literaturanalyse und der Fokus-gruppe mit Experten, die Vielseitigkeit der Themenfelder im Bereich Enterprise2.0 auf und systematisiert den aktuellen Stand der Erkenntnis. Wir zeigen sechsMetathemen auf, in welchen Forschungsbedarf fr Wissenschaft und Praxis imFeld Enterprise 2.0 besteht. Jedes dieser Metathemata Zielsetzung und Definition,Enterprise 2.0 in der Organisation, Funktionalitten, Motivation, Nutzung und Daten

    verdient fr sich genommen die Aufmerksamkeit von Forschung und Praxis. Al-lerdings erachten wir auch die Verbindung verschiedener Metathemata fr rele-

    vant, da diese, wie in Abbildung 1 dargestellt, miteinander in Beziehung stehen undsich gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise sind der Zusammenhang zwischen

    Enterprise 2.0 in der Organisation und der Umgang mit Daten eng verbunden. DieMetathemata wurden in Tabelle 1 (in Spalte Meta) den in berblick bercksich-tigten Studien zu Enterprise 2.0 zugeordnet. Wie ersichtlich ist die einzelne Be-trachtung eines Metathemas eher die Ausnahme, sondern es werden stets mehrereMetathemata beobachtet. Daraus schlieen wir, dass sich ein groer Teil derdeutschsprachigen Studien eher darauf konzentriert, ein ganzheitliches Bild zu

    vermitteln, anstatt sich auf einzelne Themenbereiche zu fokussieren.Die vorgeschlagene Forschungsagenda der sechs Metathemata muss im Licht

    der Limitationen des vorliegenden Beitrags betrachtet werden. So stellt die Be-schrnkung sowohl des Literaturberblicks als auch der Fokusgruppe auf deutsch-

    sprachige Beitrge und Experten sicherlich ein Hindernis zur Verallgemeinerungder Ergebnisse dar. Zuknftige Arbeiten im Feld sollten daher die vorgeschlagenenMetathemata auf ihre Gltigkeit berprfen, indem ein systematischer Literatur-berblick auch im englischsprachigen Bereich durchgefhrt und ein noch greresFeld aus Experten verschiedener Nationen befragt wird. Eine vergleichende Analy-se der Ergebnisse lsst sowohl fr das Forschungsfeld wie auch fr die Praxis we-sentliche Erkenntnisse erwarten.

    Danksagung

    Wir mchten uns hiermit herzlich bei allen Teilnehmern des Workshops bedanken:Martin Bhringer, Karsten Ehms, Peter Geiler, Markus Glaser, Markus Heckner,Hendrik Kalb, Susanne Mrl, Christian Neubert, Christian Reuter, Michael Ste-cher, Martin Wnnenberg. Nadine Lindermann, Melanie Steinhser und MichaelKoch haben uns darber hinaus wertvolle Hinweise gegeben, fr die wir zustzlichdanken mchten. Die Realisierung des Projekts wurde ermglicht durch die Frde-rung des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung und des EuropischenSozialfonds (BALANCE von Flexibilitt und Stabilitt in der Forschungswelt,FKZ 01FH09153 und GENIE: Gemeinschaftsgesttzte Innovationsentwicklung

    fr Softwareunternehmen, FKZ 01FM07029).

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