55

Entscheidung auf Borrengold

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Entscheidung auf Borrengold
Page 2: Entscheidung auf Borrengold

Nr. 1773

Entscheidung aufBorrengold

Die Handelsfürsten in der Falle - einPlanet gibt sein Geheimnis preis

von Hubert Haensel

Millionen von Galaktikern kamen in die kleine Galaxis Hirdobaan, rund 118 Millio-nen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Ihr einziges Ziel: Sie wollten Imprint-Wa-ren kaufen, wollten den »Zauber der Hamamesch« spüren. Als die BASIS im Som-mer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kommando von Perry Rhodanvor der Galaxis eintrifft, wird die Besatzung ebenfalls mit dieser Situation konfrontiert.Dann geht ein Funkspruch durch ganz Hirdobaan; alle Galaktiker können ihn emp-fangen. Sein Inhalt: »Es gibt Imprint-Waren für alle – kommt zu den Containerwel-ten«. Tausende von Raumschiffen starten zu acht Containerwelten. Dort bekommenalle Süchtigen einen merkwürdigen Würfel mit zwölf Zentimetern Kantenlänge. SeineWirkung ist verheerend: Alle Betroffenen verschwinden spurlos … Einige vonRhodans Begleiter werden unfreiwillig mit den Würfeln konfrontiert. Sie werden zuPhasenspringern und finden sich in einem unbekannten Kosmos wieder: in Endred-des Bezirk.

Perry Rhodan sieht nur einen Ausweg aus der Misere: Er muß die Hamameschund ihre Herrscher mit Gewalt dazu zwingen, den dreißig Millionen Galaktikern wie-der die Freiheit zu schenken. Zusammen mit den Cryper-Rebellen starten die Galak-tiker von der BASIS zum Angriff. Es kommt zur ENTSCHEIDUNG AUF BORREN-GOLD …

Page 3: Entscheidung auf Borrengold

Die Hautpersonen des Romans:Julian Tifflor - Der Aktivatorträger leitet den Angriff der Galaktiker und Crypers.Icho Tolot - Der Haluter erweist sich als lebende Waffe.Arlo Rutan - Der Ertruser bringt seine Landetruppe zum Einsatz.Morran - Der Maschtar ist zuerst Jäger, dann Gejagter.Deliga - Eine Sydorrierin, die zur Mörderin wurde.

1.

»Schirmfeldbelastung 80 Prozent, stei-gend …«

»Landekoordinaten beibehalten!« befahlArlo Rutan. »Wegen solcher Unpäßlichkei-ten drehen wir nicht ab.«

Was der Ertruser abfällig als»Unpäßlichkeiten« bezeichnete, warenschwere Thermo- und Desintegratorgeschüt-ze, von deren Existenz niemand gewußt hat-te. Allein über den Kontinent Staama waren500 dieser mit Schirmfeldprojektoren kom-binierten Türme verteilt.

»Belastung 85 Prozent.«Rings um die Korvette tobten Sonnenglu-

ten, aber noch wurden die auftreffendenEnergien abgewehrt.

Sekundenlang erklang Julian TifflorsStimme aus einem Akustikfeld, verzerrt undvon Störgeräuschen überlagert. Niemandverstand, was Tifflor sagte.

»Landeanflug fortsetzen!« bestimmte Ru-tan. »Welche Höhe haben wir?«

»Die Sensoren zeichnen nicht mehr«, kames von den Ortungen zurück. »Aber wirdurchfliegen die Stratosphäre, 40 bis 45 Ki-lometer über Land.«

Wie lange lag die Korvette inzwischenunter konzentriertem Beschuß? Eine halbeMinute, oder mehr? Die PERSEUS und dieübrigen neun Schiffe der Landetruppen wa-ren in diesem energetischen Chaos kaumauszumachen.

»… 93 Prozent.«Die Außenhülle der BAS-KO-07 begann

bereits zu schwingen. Bis in die Zentralepflanzten sich die Erschütterungen fort.

Landen! hämmerte es unter Rutans Schä-deldecke. Wir dürfen die Handelsfürsten

nicht entkommen lassen.Ein unheilvolles Dröhnen erfüllte das

Schiff. Die kontinentalen Geschützstellun-gen feuerten im Salventakt.

»… neu formier … wiederhole …ückzugangeord … keine sich …andung möglich…«

Der Ertruser grinste breit, als er antworte-te: »Verstümmelten Funkspruch nicht ver-standen! Um unsere Aufgabe zu erfüllen,setzen wir das Landemanöver fort. BASIS-KORVETTE-7 Ende.« Das Dröhnen steiger-te sich zum Stakkato. Die Anzeige des Pa-ratronschirms lag mittlerweile bei 98 Pro-zent, und selbst modernste Schiffe ertrugenüber der Norm liegende Belastungen nur biszu einem gewissen Grad. Die Geschütze aufStaama hatten eine hohe Ausgangsleistung,zudem war die Distanz denkbar gering.

»Sinkgeschwindigkeit?« Arlo Rutan muß-te schreien, um den Lärm zu übertönen.

»Nahezu aufgezehrt«, antwortete WarrenMason, der Pilot. »Wir schaffen es nicht.«

Der Rot-Alarm blinkte hektischer, dieSchirmfeldbelastung stieg immer noch.

»Schubleistung erhöhen!« befahl Rutan.»Wir müssen runter, egal wie.«

»Wir kommen in Teufels Küche.«»Und wennschon.« Der Ertruser fixierte

die eingeblendeten, rasch wechselnden Da-tenkolonnen. Vorübergehend zeigte sich ei-ne Höhenmessung: 33 Kilometer.

»Beginnende Überlastung! 105 Prozent –kritische Phase erreicht.«

Der Paratronschirm war der einzigeSchutz. Irgendwo im Hintergrund von ArloRutans Gedanken keimte die Frage, wie einTod in Sekundenschnelle wohl sein würde –doch mit einem ärgerlichen Kopf schüttelnbefreite er sich davon. An den eigenen Todzu denken, das zersetzte die Kampfmoral.

Entscheidung auf Borrengold 3

Page 4: Entscheidung auf Borrengold

Die Landung war Routine, nichts Gefährli-ches …

Hatten die anderen Schiffe abgedreht?Der Chef der Landetruppe verstand TifflorsRückzugsbefehl nicht. Zugegeben, das Risi-ko war groß geworden, aber ein Einsatz oh-ne Risiko war wie eine Suppe ohne Salz,fad, langweilig und gewiß nicht der Konditi-on förderlich.

Höhe 25 Kilometer. Das Inferno außer-halb der BAS-KO-07 pulsierte, die Aufriß-front begann sich auszuweiten. ZwischenSchirmfeld und Schiffsrumpf sprangen dieersten heftigen Entladungen über.

»Paratronschirm wird instabil!« meldeteder Syntron. »Fluchtbeschleunigung einge-leitet!«

Mason hatte die Toleranzschwelle für dieIntervention des Bordrechners hoch ange-setzt; unter normalen Parametern wäre dasNotfallprogramm längst aktiviert worden.Die abrupt wirksam werdende volle Be-schleunigung gab den ohnehin angeschlage-nen Absorbern den Rest. Während Borren-gold unter dem Schiff zurückfiel, wurdenhohe Andruckkräfte wirksam.

200.000 Kilometer über dem Planetenstoppte das Schiff.

Der Notfallalarm blieb bestehen.Ein Hologramm zeigte zwei bewaffnete

Hamamesch-Frachter, dickbäuchige Kolossemit etwa tausend Metern Länge. Distanzrasch abnehmend. Glaubten die Mannschaf-ten beider Schiffe, mit dem angeschlagenenKugelraumer leichtes Spiel zu haben?

»Paratron stabilisiert«, teilte die Syntronikmit. »Überrangschaltung freigegeben.«

»Wo steht die BASIS?«»Von uns aus gesehen hinter Borren-

gold.« Warren Mason ließ eine deftige Ver-wünschung folgen. »Ich habe Ausfallmel-dungen auf dem Schirm. Wir sollten unsjetzt keine Eskapaden erlauben.«

Rutan lachte dumpf. »Ich glaube nicht,daß wir uns verstecken müssen. Geh aufKollisionskurs!«

Besorgnis stand im Gesicht des Piloten zulesen, doch gleich darauf verwandelte sich

diese Besorgnis in ein zufriedenes Grinsen.Die Frachterkapitäne hatten nicht mit einemAngriff des kleinen Kugelraumers gerech-net, ihre Reaktion zeigte Unsicherheit, ihreSchüsse waren schlecht gezielt und bedeute-ten keine Gefahr.

Die BAS-KO-07 raste mitten hinein in dieLücke zwischen den dicken Pötten; ihre Im-puls- und Desintegratorgeschütze hämmer-ten in die Schirmfelder der Hamamesch,richteten aber wenig sichtbare Schäden an.

Zugleich erfaßte die Ortung die PER-SEUS. Julian Tifflors Schiff stand wesent-lich näher an Borrengold und glitt soebenhinter dem Planetenrund hervor.

»Worauf warten wir?« kommentierte ArloRutan. »Ring frei zur zweiten Runde.«

*

»Um in deiner Ausdrucksweise fortzufah-ren – das war ein klassisches K.o.« Tifflorfixierte den Ertruser über Hyperkom. »Waswar los bei euch?«

»Ich verstehe nicht.« Arlo Rutan, derZweieinhalbmeterhüne mit der sichelförmi-gen Haarpracht, schlug dröhnend die Fäusteaneinander. »Widrige Umstände haben unsdaran gehindert, einen Befehl auszuführen.Wir konnten nicht ahnen …«

»Was soll das?« unterbrach Tifflor ärger-lich. »Mich interessiert nicht mehr, ob einesunserer Schiffe vielleicht hätte auf Staamalanden können. Es geht darum, daß meinRückzugsbefehl mißachtet wurde.«

»Was bei uns ankam, war unverständ-lich«, behauptete der Ertruser.

Timors Augenaufschlag ließ erkennen,wie wenig ihn diese Feststellung überzeugte,dennoch hakte er das Thema ab. Dem Chefdes Landekommandos der BASIS eineStandpauke zu halten, war jetzt nicht derrichtige Zeitpunkt. Abgesehen davon hatteArlo Rutan mit Vorhaltungen schon Erfah-rung. Nach dem Aufbruch der BASIS mitdem Flugziel Große Leere war er von Perryselbst wegen seiner »Kriegsspiele« an Bordzurechtgewiesen worden. Aber Rutan gehör-

4 Hubert Haensel

Page 5: Entscheidung auf Borrengold

te zur Kämpferelite und befehligte eineTruppe, die sogar den Teufel aus der Hölleholen würde, sollte das je erforderlich sein.

»Eine Landung wäre ohnehin nicht mehrmöglich gewesen«, sagte Julian Tifflor be-tont. »Der gesamte Kontinent wird seit kurz-em durch einen Schutzschirm abgeriegelt;fünffache Staffelung, für alle uns bekanntenWaffensysteme der Hamamesch undurch-dringlich. Mich wundert, daß dieser Vor-gang an Bord der KO-07 offenbar übersehenwurde.«

»Die Ortungsdaten liegen vor«, gestandder Pilot zähneknirschend. »Ich habe ihnennur nicht sofort die erforderliche Bedeutungbeigemessen. Mir erschien es wichtiger …«

Tifflor winkte ab.»Heldentum um jeden Preis.« Er seufzte

ergeben. »Der Versuch, die Landung zu er-zwingen, hätte ins Auge gehen können.«

Warren Mason stemmte sich aus dem Pi-lotensessel hoch. »Ich weiß das und bin be-reit, die Konsequenzen zu ziehen.«

»Nichts wirst du«, stieß Tifflor ungehal-ten hervor. »Kopf und Kragen riskieren istdas eine, darüber kann man geteilter Mei-nung sein, aber hinterher kneifen, das halteich für einen Mangel an Zivilcourage. – DieKO-07 zieht sich zur BASIS zurück.«

»Wozu?« protestierte Rutan. »UnsereAufgabe ist es …«

»Habe ich mich schon wieder unklar aus-gedrückt?«

»Natürlich nicht.«»Gut. Die MONTEGO BAY und Coram-

Tills RACHES werden ebenfalls in Kürzeauf der BASIS eintreffen. Lagebesprechungist angesagt.«

*

Das Riffta-System war zum Schauplatzeiner erbitterten Raumschlacht geworden.Tausend Regenbogenschiffe der Fermyydhatten sich den Angreifern entgegengewor-fen und banden die Rebellen in erbarmungs-losem Kampf. Notrufe von Cryper-Einheitenwaren drastischer Beweis für die Schlagkraft

der Schutztruppe Hirdobaans. Ohne den ko-ordinierten Einsatz der BASIS-Kreuzer undschnellen Korvetten hätten die Rebellenzweifellos höhere Anfangsverluste erlitten.

»Dringender Hilferuf eines Cryper-Schiffes aus der Umlaufbahn des dritten Pla-neten«, meldete der Funker der BAS-KO-07.

Arlo Rutan zögerte nur kurz. »AndereEinheiten stehen näher als wir«, wehrte erab. ßekunden später erfaßten die Ortungeneinen expandierenden Glutball. Der Notrufendete abrupt.

Querab zur Korvette, in Entfernungenzwischen 50.000 und 100.000 Kilometern,drifteten weit mehr als hundert Raumschiffeunterschiedlichster Bauart. Überwiegendhandelte es sich um Hamamesch-Frachter,aber auch Stelzmakalie-Raumer, Nischdrich-Rostschleudern und sogar, zwei schwarzePatruskee-Stäbe waren dabei.

»Wie eine Herde verängstigter Schafe«,kommentierte Kain Merlo, Angehöriger vonRutans Truppe. »Sie suchen die Anonymitätder Masse, anstatt zu beschleunigen undschnell zu verschwinden.«

»Du vergißt, daß wir es mit dem Troß derFürsten zu tun haben«, wandte Silo Fakataein, weibliches Mitglied der Landungstrup-pe. »Vermutlich schwanken die Besatzun-gen zwischen Pflichtgefühl und Selbsterhal-tungstrieb.«

Regenbogenschiffe materialisierten vorihnen. Die 300-Meter-Raumer der Fermyyderöffneten sofort das Feuer. Sie wollten nachBorrengold durchbrechen. Doch die BASISund die galaktischen Einheiten schirmtenden Planeten vorzüglich ab.

In der optischen Erfassung wuchsen De-tails der Kampfschiffe großflächig an, sogardas Flimmern ihrer Schirmfelder im Bugbe-reich war schon zu erkennen, hervorgerufendurch die zunehmende Materiekonzentrationim planetennahen Raum.

»Zielerfassung auf Punktbeschuß!«»Bislang keine Kurskorrektur der Fer-

myyd.«Wollten die Panther galaktische Einheiten

Entscheidung auf Borrengold 5

Page 6: Entscheidung auf Borrengold

in Kamikaze-Manier ausschalten? Die Kor-vette erbebte unter dem Abschuß einerBreitseite. Aber die Schirmfelder des anvi-sierten Regenbogenschiffs hielten stand.

»PERSEUS und HALUTA greifen ein.«Mason zog die KO-07 seitlich aus demKurs, ließ sie dem Planeten und der nochfernen BASIS entgegenfallen. Die syntron-gesteuerte Zielerfassung ermöglichte trotzdes Manövers den anhaltenden Punktbe-schuß des Gegners.

»Impulsgeschütze schlagen durch, Wir-kungstreffer im Bugbereich!«

Eine Explosion zerriß die Bugsektion desRegenbogenschiffs. In Gedankenschnellewuchs ein riesiges glühendes Geschwür undbrach in flammenden Eruptionen auf.

»Warum können nicht alle Intelligenzenin Frieden miteinander leben? Das Univer-sum hat Platz genug.« Mason lehnte sich imSessel zurück und bedachte die in der Zen-trale anwesenden Ertruser der Reihe nachmit einem durchdringenden Blick. »Denweiteren Anflug an die BASIS übernimmtdie Automatik«, fügte er hinzu.

Wie ein riesiger flackernder Stern hingdas Trägerschiff über der Nachthälfte Bor-rengolds. Die BASIS lag unter dem massi-ven Beschuß der planetaren Geschütze.

Arlo Rutan konnte sich eine herausfor-dernde Bemerkung nicht verkneifen. »Wirhaben nicht angefangen und Millionen Indi-viduen zu Süchtigen gemacht«, polterte erlos. »Ich frage mich, wann Handelsfürstenund Maschtaren das begreifen werden.«

2.

Eine Stunde und zwanzig Minuten später:Coram-Tills Flaggschiff befand sich im

Anflug auf die BASIS. Die RACHES wareinem Pulk bedrängter Solten-Crypers zuHilfe geeilt und in ein schweres Gefecht ver-wickelt worden, doch erst die Unterstützungmehrerer Kreuzer hatte den Rebellen die nö-tige Entlastung verschafft. Die erbitterteSchlacht über dem dritten Planeten tobtedessen ungeachtet unvermindert heftig wei-

ter.»Coram-Till hat soeben die BASIS betre-

ten«, verkündete die Kommandantin, LugiaScinagra, aufgrund einer entsprechenden In-formation. »In wenigen Minuten wird er unsRede und Antwort stehen.«

Zwölf Männer und Frauen hatten sich ver-sammelt, standen in Gruppen beieinanderund diskutierten teils heftig. In den im Halb-rund aufgestellten Sesseln saß noch nie-mand.

Ein Hologramm im Mittelpunkt desRaumes informierte über das Geschehen imRiffta-System. Bildberichte und Ortungsda-ten wurden überspielt, aber es hatte nichtden Anschein, als würde sich in absehbarerZeit Entscheidendes ändern. Die Fermyydleisteten den zahlenmäßig überlegenen An-greifern erbitterten Widerstand, gingen so-gar ihrerseits zum Angriff über.

»Kampf bis zum letzten Mann«, seufzteJulian Tifflor bitter. »Ich wünschte, wirkönnten die Zeit um einige Tage vordre-hen.«

»Warum?« fragte Arlo Rutan rauh.»Meine Leute warten darauf, endlich löszu-schlagen. Egal wie, aber wir haben den Siegschon in der Tasche.«

Tifflor setzte zu einer heftigen Erwide-rung an, schüttelte dann jedoch ergeben denKopf. Niemand würde den Ertruser ändernkönnen, für den Kampf Lebensinhalt warwie für andere Essen und Trinken, Coram-Till betrat den Versammlungsraum. Moin-Art und Tolom-Nor folgten ihm. Alle dreiverzichteten auf einen Sitzplatz.

»Bereden wir schnell, was zu klären ist«,eröffnete Coram-Till. »In jeder Tix lassentapfere Crypers ihr Leben. Ein hoher Preisfür eure Gegenleistung.«

»Noch mehr werden sterben, falls es nichtgelingt, entscheidende Vorteile zu erringen«,konterte Michael Rhodan, dessen MONTE-GO BAY nicht auf der BASIS gelandet war,sondern wieder in die Kämpfe eingegriffenhatte. Er selbst hatte sich mit zwei Beglei-tern per Transmitter auf das Trägerschiff ab-strahlen lassen.

6 Hubert Haensel

Page 7: Entscheidung auf Borrengold

»Die angeblich hochgezüchtete galakti-sche Technik scheint so überlegen dochnicht zu sein.« Tolom-Nor wirkte verärgert.»Inzwischen haben wir dreißig Schiffe ver-loren.«

»Und wir«, blieb Michael Rhodan trotzaller Hektik ruhig, »haben geglaubt, daßCoram-Till uns alles sagt, was er weiß. Lei-der sieht es so aus, als hätte er die wichtig-sten Details eben im Vertrauen auf unsereTechnik einfach ›vergessen‹.«

Der Anführer der Ambraux-Crypers be-gann erregt zu schmatzen. Seine Fäuste öff-neten und schlossen sich, als versuche er, et-was Unsichtbares zu greifen.

»Verbündete dürfen sich nicht gegenseitigin die Strömung stoßen«, blubberte er. »Waswerfen die Galaktiker mir vor? Euer Teil derVereinbarung war es, das Oktogon zu er-obern und die Handelsfürsten gefangenzu-nehmen. Ich stelle fest, daß das noch nichtgeschehen ist.«

»Richtig«, bemerkte Talyz Tyraz schrill,der bluesche Funk- und Ortungschef. »Aberdas liegt nicht an uns.«

Tolom-Nor unterzog den Tellerkopf einervorwurfsvollen Musterung. »An wemdann?« Schaumblasen traten zwischen sei-nen wulstigen Fischlippen hervor.

Lugia Scinagra nickte dem Blue auffor-dernd zu. Talyz erhob sich umständlich undveränderte die holografische Projektion. DasAbbild eines Planeten erschien. Langsamdrehte er sich vor den Betrachtern.

»Das ist Borrengold, wie er sich unseremLandungstrupp darbot«, sagte der Blue.»Und das«, die Tag-Nacht-Grenze verschobsich sprunghaft um einen Wert, der knappzwei Standardstunden entsprach, »ist die ak-tuelle Aufnahme, wie sie in diesem Momentvon den Optiken erfaßt wird.«

»Wir vergeuden Zeit.« Coram-Till zeigtesich ungeduldig. »Uns ist nicht entgangen,daß die BASIS unter schwerem Beschußliegt. Aber eure Schirmfelder halten stand.Paktiert ihr mit den Fürsten oder mit unsCrypers? Dann gebt den Hamamesch keineGelegenheit zur Flucht.«

»Fünfhundert schwere Geschütztürme ste-hen allein auf Staama«, fuhr Talyz Tyrazfort, ohne auf den Vorwurf einzugehen.»Weitere tausend sind über ganz Borrengoldverteilt.«

»Haben die Hamamesch euch schon Ver-luste zugefügt?« fragte Moin-Art hastig. DieAtmosphäre wurde gereizt.

»Nein«, sagte Tifflor.»Bei allen Tiefseedämonen, dann verste-

hen wir nicht, wieso ein solches Aufhebens…«

»Wir waren über die Abwehranlagen vonBorrengold nicht ausreichend informiert.Ein derartiger Fehler macht die perfektestePlanung zu Makulatur.«

»Eure Kugelschiffe – zumindest die grö-ßeren – sollten in der Lage sein, trotz desAbwehrfeuers zu landen«, bemerkte Tolom-Nor anzüglich. »Ich will noch nicht einse-hen, daß wir uns wirklich in eurer Stärke ge-täuscht haben.«

»Das Schirmfeld über Staama erschwertvieles«, sagte Arlo Rutan.

Und Michael Rhodan ergänzte: »Hättenwir gewußt, was uns erwartet, wäre es leich-ter möglich gewesen, darauf zu reagieren.Dann wäre die momentane Situation nie ent-standen.«

»Ich wußte es nicht«, stieß Coram-Till är-gerlich hervor. Das plötzliche Mißtrauen derGalaktiker kränkte ihn offenbar in seinemStolz. Daß sie nur Gleiches mit Gleichemvergalten, fiel ihm nicht auf. »Was mir be-kannt war, habe ich weitergegeben. Ihrkönnt das akzeptieren oder nicht – mir ist esegal.«

»Gut«, nickte Michael. »Damit kommenwir zum konstruktiven Teil. – Tyraz, du bistwieder an der Reihe.«

»Danke«, sagte der Blue. »Damit keineMißverständnisse aufkommen: Ich gebe hiernur die Ergebnisse unserer Abtastungen wie-der, die zum Teil durch intermittierendeStörfelder behindert wurden. Insgesamt zäh-len wir 1500 Geschütztürme gleicher Bauart,bis zu 300 Meter durchmessend, 400 Meterhoch. Ihre Reichweite ist bekannt, der atmo-

Entscheidung auf Borrengold 7

Page 8: Entscheidung auf Borrengold

sphärische Streuverlust überraschend gering.Zudem bergen diese Stellungen starkeSchirmfeldprojektoren. Der gesamte Konti-nent Staama wird von einem nahezu un-durchdringlichen Energiefeld abgeschirmt.Fünffache Staffelung. Die Präzision, mit derStrukturlücken für den rasch wechselndenBeschuß unserer Schiffe geschaffen werden,verblüfft. Das ist nicht nur Hamamesch-Tech-nik …«

»Wir hatten keine Ahnung, daß Borren-gold durch solche Anlagen gesichert ist«,zeigte sich Moin-Art betroffen. »Sag selbst– welchen Grund sollten wir haben, Verbün-deten ausgerechnet diese Tatsache zu ver-schweigen?«

»Keinen«, sagte Lugia Scinagra.»Jedenfalls keinen, den ich mir unter logi-schen Gesichtspunkten vorstellen könnte.«Sie ließ mit keiner Miene erkennen, was siedachte. Ihr Gesicht wirkte starr, die leichtzusammengekniffenen Augen fixierten dieCrypers.

Michael Rhodan massierte sein Kinn mitDaumen und Zeigefinger der rechten Hand.»Comme ci, comme ca«, murmelte er so lei-se, daß der Translator nicht übersetzte. »Cen'est pas bien.«

»Versagen eure Transformkanonen, wennes darum geht, den kontinentalen Schutz zudurchbrechen?« Coram-Till wirkte ungehal-ten.

Julian Tifflor erinnerte sich an Zeiten, alsdie halbe Milchstraße versucht hatte, dasGeheimnis terranischer Transformgeschützezu erbeuten. Er lächelte versonnen, als erantwortete: »Das ist kein Problem – nurfragt mich nicht, was danach von Staamanoch übrig wäre.«

»Was muß übrigbleiben?« konterteCoram-Till, und er gab auch gleich dieschockierende Antwort: »Nichts – die Ver-teidigungsanlagen müssen ein Geheimnisder Maschtaren gewesen sein, sonst hätte ichdavon erfahren.« Er machte eine Pause, wieum die Wichtigkeit seiner Überlegungenherauszustellen. »Das kann nur bedeuten,daß Borrengold für die Maschtaren eine über

den Zug der Herrscher hinausgehende Be-deutung hat. Deshalb halte ich es für ange-bracht, den Planeten nach seiner Evakuie-rung komplett zu zerstören.«

»Welche Bedeutung?« wollte Arlo Rutanwissen.

»Das finden wir heraus, sobald wir gelan-det sind«, erklang eine dröhnende Stimmevom Schott her. Icho Tolot schickte sich an,den Raum zu betreten. Er wandte sich anTifflor. »Meine Erkundungsmission ist ab-geschlossen. Sämtliche Daten liegen CyrusMorgan zur Endauswertung vor.«

Insbesondere Tolom-Nor ließ den mächti-gen Haluter nicht aus den Augen. Deshalbfühlte Julian Tifflor sich zu einer Erläute-rung genötigt.

»Icho Tolot hat sich nicht mit den anderenSchiffen aus der Atmosphäre von Borren-gold zurückgezogen, sondern versucht, mehrüber das Verteidigungssystem herauszufin-den.«

»Die Geschütze sind unbemannt und fern-gelenkt«, behauptete der Haluter. »Ich konn-te eine schwache Streustrahlung anmessen,vermutlich Befehlsimpulse. Die Funkpei-lung reagierte deutlicher, sobald die HALU-TA beschossen wurde.«

»C'est la vie«, bemerkte Michael Rhodanschulterzuckend.

Tolot begann dröhnend zu lachen, brachjedoch abrupt ab, als er die schmerzverzerr-ten Gesichter der Crypers sah und daß siesich die kiemenartigen Ohröffnungen zuhiel-ten. »Entschuldigt bitte«, sagte er.

»Mit der Strömung verweht«, wehrteCoram-Till großzügig ab. »Wo ist die Be-fehlszentrale? Im Oktogon? Dann sind Für-sten und Maschtaren noch nicht geflohen,und wir haben nach wie vor die Chance, siefestzusetzen.« Seinem Temperament fol-gend, redete er hastig, ja aufbrausend. »Beider Silbernen Gottheit der Patruskee, ichversichere euch, daß wir kein Risiko scheu-en werden. Wir bringen das UnternehmenBorrengold zu einem guten Abschluß.«

*

8 Hubert Haensel

Page 9: Entscheidung auf Borrengold

Der Chefwissenschaftler der BASIS mel-dete sich über Interkom. Er schürzte die Lip-pen, sein Blick suchte den Haluter. »DeineDaten waren hervorragend aufbereitet, Icho.Unter diesen Umständen kann ich meine Ar-beit als Kinderspiel bezeichnen.«

»Laß hören, Cyrus!« drängte Lugia.Der Wissenschaftler nickte knapp.

»Spektral-, Streufeld und sonstige Analysenergeben, daß das Schirmfeld über Staamaaußergewöhnlich widerstandsfähig ist. Ichwage die Behauptung, daß kein Waffensy-stem Hirdobaans die Staffelung durchdrin-gen kann – erst länger andauernder Punktbe-schuß dürfte die Struktur brechen.«

»Das ist nichts grundlegend Neues«,wehrte Arlo Rutan ab. »Ein ähnliches Er-gebnis hat schon der Bordsyntron unsererKorvette ausgespuckt.«

»Rede ich dir drein, wie du deine Gladia-toren motivieren sollst?« protestierte Mor-gan.

»Das möchte ich dir auch nicht geratenhaben«, grollte der Ertruser. »Laß dir außer-dem irgendwann von Atlan den Unterschiedzwischen hochqualifizierten Raumlandetrup-pen und – wie nanntest du meine Leute? –Gladiatoren erklären.«

Eine gereizte Anspannung war nicht zuleugnen. Bislang war wenig erreicht worden,aber das lag nicht an der Planung.

»Der Kontinent Staama wird von einemKordon aus Geschütztürmen gesäumt«, fuhrCyrus Morgan fort. »Auch das ist bekannt,ich erwähne es nur der Vollständigkeit hal-ber. Interessant ist die Leistungsfähigkeit al-ler Geschütze. Für Angriffe aus dem Allkonzipiert, decken sie den gesamten Raumüber Borrengold ab. Es gibt keine Schlupflö-cher. Der Schutzschirm ist ebenso lückenlos.Nach den Berechnungen werden ausfallendeeinzelne Projektoren ohne Leistungsminde-rung überbrückt.«

»Aber?« fragte Michael Rhodan, dem dasVibrieren in der Stimme des Wissenschaft-lers keineswegs entgangen war.

»Kein Aber – jedenfalls nicht in demSinn, daß wir vor einem unlösbaren Problem

stünden. Einzig das Oktogon wird durch eineigenes Feld geschützt. Acht innenliegendeGeneratoren sichern den Versammlungsortzusätzlich ab.«

»Einige tausend Nicht-Hamamesch lebenim nahen Umfeld des Oktogons«, erinnerteMichael Rhodan.

Den Widerspruch schien Morgan geahntzu haben, denn er hatte sofort das passendeArgument parat. »Die Nebengebäude liegeninnerhalb des Schirmfeldes. Niemand wirddurch ablaufende Energien gefährdet.«

»Niemand außer den Skatar.« Rhodanseufzte schwer. »Aber auch nur vielleicht.Ihre Siedlungen sind bisher nicht lokalisiert.Ich vermute, sie beschränken sich auf dieBergregionen.«

»Wer?« echote der Chefwissenschaftler.»Die Skatar, eingeborene Intelligenzen

auf Steinzeitniveau.«Cyrus Morgan brachte den Mund nicht

mehr zu. »Das – wußte ich nicht«, gestander. »Unter diesen Umständen …«

»Gib uns die restlichen Auswertungen«,bat Tifflor.

Ein Hologramm entstand, das einen derTürme aus wechselnder Perspektive zeigte.Eine Vergrößerungssequenz sorgte dafür,daß das Bauwerk ausführlich betrachtet wer-den konnte.

»Ist das alles?«»Mehr kann ich nicht bieten, allenfalls ei-

ne Simulation der Streubereiche. Aber esgibt keine Lücke. Die Maschtaren habenBorrengold sehr gut abgeschirmt – ein toterWinkel existiert jeweils nur bis auf Ge-schützhöhe, also etwa 400 Meter Höhenmes-sung.«

»Rien ne vas plus.« Mike schnalzte aner-kennend mit der Zunge. »Das ist doch mehr,als wir dem Stand der Dinge nach erwartendurften.« Er forderte eine geänderte Simula-tion an.

Weitgehend flach abfallende Strande be-stimmten das Bild, das von den Oberflä-chentastern der BASIS stammte. Im Nordendes Kontinents prägten zerklüftete Steilkü-sten das Bild.

Entscheidung auf Borrengold 9

Page 10: Entscheidung auf Borrengold

Überwiegend standen die Geschütztürmenahe der Küste.

»Wir greifen so schnell wie möglich wie-der an«, entschied Michael Rhodan. »ZehnKreuzer sollten genügen, eine Bresche in dieVerteidigung zu schlagen.«

»Das schaffen wir mit den Korvettenebenfalls«, widersprach der Ertruser.

»Die Feuerkraft und die Stärke der Parat-ronschirme werden entscheiden. Deshalbbrauchen wir die Kreuzer.« Forschend blick-te Mike die Crypers an.

»Ein Abzug von zehn Schiffen läßt unsereFlotte nicht untergehen«, bestätigte Coram-Till. »Auch bei unserem Volk heiligt derZweck die Mittel.«

3.

7. Oktober 1220 NGZ, 4:20 Uhr Stan-dardzeit.

Mittlerweile hatte die planetare Abwehrdas Feuer auf die BASIS weitgehend einge-stellt. Nur noch vereinzelt schlugen Strahl-bahnen in den Paratronschirm des Träger-schiffs ein.

Die Kampfhandlungen mit den Fermyydhingegen tobten unvermindert heftig. Einzigdie Schiffe der Hamamesch und anderer Hir-dobaan-Völker aus dem Troß der Fürstenhielten sich zurück, nachdem Rebellen meh-rere fliehende Raumer in expandierendeTrümmerwolken verwandelt hatten.

4:22 Uhr.Talyz Tyraz' an Bord der BASIS schon

sprichwörtliche Hektik bekam neue Nah-rung, als auf mehreren Hyperfunkkanälenverschlungene Logos erschienen und inner-halb von Sekunden durch drastische Auf-nahmen eines zerfetzten, ausgeglühtenRaumschiffswracks ersetzt wurden. Auf denersten Blick war zu erkennen, daß kaum ei-ner der Besatzung überlebt haben konnte.

Nicht umsonst hatten Terraner dem Funk-und Ortungschef den Spitznamen »Dalli«verpaßt. Der Tentra-Blue hätte fünf odersechs Hände gebraucht, um alles zu Ende zuführen, was er innerhalb weniger Augen-

blicke begann. Mit einem Ohr hörte er demHamamesch zu, der die Flüche und Verwün-schungen einer ganzen Sterneninsel auf Ga-laktiker und Crypers herabregnen ließ …

»Nur den Fermyyd verdanken wir unserLeben und daß wir an dieser Stelle noch be-richten können. Es ist unbeschreiblich, mitwelcher Zerstörungswut die Rebellen nie-dermetzeln, was ihnen vor die Geschützekommt – selbst Schiffe, deren Besatzungensich ergeben wollten, wurden zerstrahlt.Noch schlimmer wüten die Galaktiker. Ih-nen liegt nicht daran, Gefangene zu machen,sie sind im Rausch, der sich nur mit einemTiefseekoller vergleichen läßt.«

… mit dem anderen Ohr vernahm er, daßLugia Scinagra auf seinen dringenden Inter-kom-Anruf reagierte; die hastig hergestellteVerbindung zu Michael Rhodan stand, undaußerdem erläuterte eine Syntronstimme diePeilergebnisse.

»Wir töten keine Wehrlosen«, zirpte Ta-lyz Tyraz aufgebracht. »Der Kerl hat bandi-nische Würmer im …«

»Wie hoch ist die Sendeleistung?« unter-brach Lugia den Redeschwall.

»Ausreichend für einen Empfang im Um-kreis von zwei, drei Dutzend Lichtjahren.Aber zweifellos geht das Pamphlet über Re-lais …«

»Schaffst du es, die Sendung zu stören?«»Bin schon dabei«, zirpte der Blue aufge-

regt; der diskusförmige Kopf pendelte aufdem langen Hals. »Wir sind keine galakti-schen Verbrecher, die Leid und Entsetzensäen. Verdammt, die Hamamesch …« SeineStimme glitt vor Erregung in den für Men-schen unhörbaren Ultraschallbereich ab.Doch schon im nächsten Moment begann ervon neuem: »Michael Rhodan, ich überspie-le dir die Koordinaten. Bring die Sende-teams zum Schweigen, putz ihnen die An-tennen weg oder mach sonstwas.«

Aufnahmen vom Aufbruch der Herrscherfolgten, Bilder gigantischer Lasershows undFeuerwerke – überlagert von der Einblen-dung explodierender Raumschiffe. Tote Ha-mamesch in zerfetzten Raumanzügen, halb

10 Hubert Haensel

Page 11: Entscheidung auf Borrengold

verkohlte, verstümmelte Leichen vor demHintergrund funkelnder Sterne.

»Das ist nicht wahr«, keuchte Tyraz. »Dassind Archivaufnahmen früherer Kämpfe ge-gen die Rebellen.«

Aber wer in Hirdobaan würde das schonerkennen? Oder erkennen wollen? DieWahrheit war nicht unumstößlich, sie hatteviele Seiten.

Endlich griffen die Störfelder. Die Groß-aufnahme eines feuernden BASIS-Kreuzers,kombiniert mit dem auseinanderbrechendenWrack eines Frachters, in das noch immerThermo- und Desintegratorstrahlen ein-schlugen, verwischte zu undefinierbarenSchlieren. Eine Fälschung.

»Hab' ich dich, du Wortverdreher«, stießTyraz zornig hervor. Was blieb, war die de-primierende Erkenntnis, daß selbst 118 Mil-lionen Lichtjahre von der heimischen Milch-straße entfernt Medien die Bevölkerung ma-nipulierten.

4:24 Uhr.Die Nahortung brachte den Blue auf ande-

re Gedanken. Zehn BASIS-Kreuzer hattensich von den Kampfhandlungen mit den Fer-myyd gelöst und nahmen Kurs auf Borren-gold. Sie erschienen knapp eine viertel Mil-lion Kilometer über dem zweiten Planeten.

Die BAS-KR-32 tauchte als erstes Schiffin die Atmosphäre ein. Ihr schlug heftigesAbwehrfeuer entgegen. Eine Feuerkugel,flammendes Fanal des Untergangs, so rasteder Kreuzer in die dichteren Luftschichten.

In unregelmäßigen Abständen fielen dieanderen Schiffe der Oberfläche entgegen.

»Zeigt es den Fürsten!« zirpte Tyraz.»Macht dem Drama ein Ende!«

Zehn glühende Bahnen in der Nacht wiedie Bruchstücke eines Kometen … Die Pilo-ten suchten die freie Weite der Ozeane.

Ein neuer Ortungsreflex. Talyz Tyrazkniff seine vorderen Augen zusammen. Überdem Nordpol, in der exakten Verlängerungder Planetenachse, näherte sich ein weiteresRaumschiff.

Keine Kennung identifizierte das anflie-gende Objekt. Das Ortungsbild wurde deut-

licher. Ein ovales, 110 Meter langes, bizar-res Gebilde; keine nennenswerte Trieb-werksfunktion, überhaupt kaum Energie-emissionen. An Bord schienen sogar die le-benswichtigsten Aggregate ausgefallen zusein.

Der Blue verfolgte den Kursvektor zu-rück. Das Schiff hatte sich aus einem Pulkvon fünf kleineren Frachtern abgesondert,der knapp 40.000 Kilometer über dem Nord-pol des Planeten stand; die Scanner wiesenes als Handelsraumer der Nischdrich aus.Wahrscheinlich eine der schrottreifen Ki-sten, mit denen sie in selbstmörderischer To-desverachtung von Stern zu Stern hangelten.

»Dreht ab!« zirpte der Blue. »Beeilt euch!Oder seid ihr auf allen Augen blind?« SeinVersuch, Funkkontakt herzustellen, bliebunbeantwortet. Vermutlich funktionierte anBord der Rostschleuder nicht einmal mehrder Empfang.

Eine unbedeutende Kurskorrektur erfolg-te. Der Nischdrich-Raumer würde in etwasflacherem Winkel in die Atmosphäre eintau-chen als vorherberechnet, aber immer nochzu steil. Ohne Prallfelder mußte er verglü-hen oder auseinanderbrechen – oder beides,was Talyz Tyraz für das wahrscheinlichstehielt.

Er rief die PERSEUS, die zusammen mitden zehn Korvetten des Landungskomman-dos im Ortungsschatten der BASIS stand.Die Schiffe würden ihre vorübergehendeWarteposition verlassen, sobald die Kreuzererfolgreich waren.

»Tyraz«, platzte der Blue heraus, als aufdem Bildschirm die Funkzentrale der PER-SEUS sichtbar wurde. »Über dem Nordpolstürzt ein Nischdrich-Raumer ab – ihr seiddie einzigen, die schnell genug eingreifenkön …« Die Mundöffnung im Halsansatzzuckte nur noch stumm.

Meterdicke Thermostrahlen trafen dasHandelsschiff. Zwei Geschütztürme auf demnördlichen Doppelkontinent feuerten, abernoch immer flog der Raumer ohne einSchirmfeld, das die tödlichen Energien ab-sorbiert hätte. Die Bugsektion begann aufzu-

Entscheidung auf Borrengold 11

Page 12: Entscheidung auf Borrengold

glühen, verformte sich zähflüssig, dann hiel-ten die Platten dem Innendruck nicht mehrstand. Innerhalb weniger Augenblicke brachdas ovale Schiff auseinander.

In ohnmächtigem Zorn ballte Talyz Tyrazdie Fäuste. Der Tod der Nischdrich war sosinnlos.

*

»Ziel ist erkannt und erfaßt«, meldete Ed-gar »Snake« Rattle, Feuerleitoffizier derBAS-KR-13. »Von mir aus kann's losgehen.Je eher wir unten sind und unsere Sache er-ledigt haben, desto eher geht es wieder nachHause.«

»Du glaubst noch an den Weihnachts-mann?« rief Henry Albertson quer durch dieZentrale. »Weißt du überhaupt, wie vieleGalaktiker in dieser seh …?« Der Pilot un-terbrach sich jäh.

»Sprich's ruhig aus! Die Wahrheit darfman sagen.« Snake trommelte mit den Fin-gern ein Stakkato auf seine Konsole.

»… in dieser schönen Galaxis verschwun-den sind?« vollendete Albertson.

»Keine Ahnung«, erklang ein abgrundtie-fes Seufzen von den Ortungen. »Aber wieich dich kenne, verrätst du uns die Zahl so-fort.«

Elena war eine Frau Mitte der Sechzig, al-so im besten Alter. Leider hielt sie wenigauf ihr Äußeres; sie neigte zur Korpulenz,hatte Schultern wie ein Mann und trug ihrHaar unterschiedlich gefärbt, links grün,rechts dunkelrot. Abgesehen von solchen Ei-genheiten war sie jedoch eine Kapazität aufihrem Gebiet. Neidlos gestand die Crew ihrzu, daß sie die Sterne husten hörte.

»Ich weiß es nicht«, sagte Albertson.»Allerdings bin ich überzeugt davon, daßuns noch einiges bevorsteht.«

»Ich will endlich heim«, protestierte Sna-ke. »Wenn ich daran denke, daß meine klei-ne Tochter inzwischen flügge geworden ist…«

»Vielleicht bist du schon Großvater undweißt es nur noch nicht«, spottete Albertson.

»Vergiß nicht, dann wartet eine Großmutterauf dich.«

»Deine Scherze waren früher besser, duwirst alt, Henry.« Snake seufzte wehmütig.Den Spitznamen hatte er seit der ersten Be-gegnung mit den Kameraden weg – vor al-lem war sein Nachname daran schuld (wiekonnte jemand Rattle heißen?), zum anderendie Tatsache, daß er die Geschützausbildungals Bester seines Jahrgangs abgeschlossenhatte. Wenn Edgar Rattle zuschlug, dann tater dies so treffsicher wie eine Schlange.

An Bord der BAS-KR-13 hatte sich ohne-hin eine besondere Besatzung zusammenge-funden. Schon der Name, den die Crew ih-rem Schiff gegeben hatte, sprach Bände:BLACK FRIDAY.

»Der Tanz geht los«, meldete Doc.Doc war Funker, ein Mann mit ovalem

Eierkopf und einigen spärlichen Haarbü-scheln. Eigentlich hieß er Tom Smith, aberalle nannten ihn nur Doc; er war der Sohneiner Terranerin und eines Aras.

Albertson ließ die BLACK FRIDAY inenger werdender Kreisbahn dem Planetenentgegenfallen.

Die Nacht über Staama war den Blitzender Thermogeschütze gewichen. Und dasfahle Irrlichtern des kontinentalen Schirm-feldes war schon mit bloßem Auge zu erken-nen.

»Runter kommen wir auf jeden Fall«, be-merkte Doc anzüglich.

Innerhalb von Sekunden war das Schiffzur energieumtosten Kugel geworden. DieDirektsicht brach zusammen; selbst die Fil-ter konnten die Lichtflut nicht vollständigdämpfen.

»Geringe Zielabweichung!« rief Elena.»Wir driften nach Norden ab.«

»Und wennschon.« Edgar Rattle schnauf-te empört. »Wir sehen uns ohnehin in derHölle wieder.«

Keiner widersprach ihm. Alles ging ra-send schnell. Die BLACK FRIDAY trat indie Atmosphäre ein, zugleich stieg die Bela-stung des Paratronschirms weiter an.

Vielleicht, dachte Rattle, haben wir uns

12 Hubert Haensel

Page 13: Entscheidung auf Borrengold

nur den ungünstigsten Zielpunkt ausgesucht.Von Südwest nach Nordost hatte der Kon-

tinent die geringste Ausdehnung, wirkteStaama wie eingeschnürt. Ungefähr 1800Kilometer ostnordöstlich des Oktogons be-gann bereits das Meer, die Geschütztürme indiesem Bereich waren unter anderem derBLACK FRIDAY zugewiesen.

Die Taster zeichneten ein deutliches Bildder Küste. Noch knapp 150 Kilometer hoch,tangierte der Kreuzer die Nordspitze desKontinents.

»Wasserung steht bevor«, meldete derSyntron. »Achtung: Eintauchen in fünf Se-kunden.«

Borrengold durchmißt 13.550 Kilometer,die Schwerkraft beträgt 1,07 g, also nichtspürbar mehr als gewohnt. Kein Mond. Sna-ke wußte selbst nicht, warum ihm ausge-rechnet jetzt diese Daten in den Sinn kamen.

Jäh verschwanden die wabernden Glutenvon den Schirmen.

»Manöver vollzogen«, ließ der Syntronwissen.

Wahrscheinlich viel zu ruppig. Wie einStein mußte die BLACK FRIDAY aufsWasser geprallt sein. Daß die Absorber denmörderischen Ruck abgefangen hatten, warselbstverständlich, doch zweifellos rastejetzt eine sich aufbauende Flutwelle den fla-cheren Küstengewässern entgegen.

Blaugrüne Düsternis rings um das Schiff,dessen Scheinwerferbatterien erst nach undnach die ewige Nacht erhellten. Sprudelnde,kochende See, Myriaden von Luftblasen, diewieder in die Höhe quirlten.

»Wir haben den vorausberechneten Ein-tauchpunkt verfehlt.« Elena war die erste,die das beinahe ehrfürchtige Schweigen inder Zentrale durchbrach. »Um exakt acht-zehn Kilometer.«

»Das interessiert doch keinen Menschen«,wehrte Doc ab. »Wir sind unten, und wennwir auftauchen, befinden wir uns im totenWinkel der Geschütze.«

»Wen interessiert das nicht?« protestiertedie Orterin. »Weniger als 500 Meter nörd-lich steigt der Meeresboden steil an. Wenn

ihr mich fragt, wir hatten verdammtesGlück.«

»Genau das brauchen wir«, sagte Alberts-on.

Der Kreuzer tauchte auf. Ein Wasserbergschwoll an, zehn, zwanzig Meter hoch, erbrach gischtend auf und gab das Ungetümfrei, das aus der Tiefe emporstieg.

Von Antigravfeldern getragen, schwebtedie BLACK FRIDAY über der See. DreißigKilometer südlich wuchs ein flirrender Vor-hang in den Nachthimmel; noch weiter ent-fernt flackerten schon die ersten Strahlenge-witter aus Schiffsgeschützen.

Die BAS-KR-13 wurde nicht mehr ange-griffen.

Eine schroffe Felsenküste wuchs vor demSchiff auf. Schnee und Eis bestimmten dasBild, in ein unstetes, unwirklich anmutendesZwielicht getaucht.

Snake war ein Virtuose auf der Klaviaturseiner Feuerorgel. Salve um Salve jagte er inden heftiger flackernden äußeren Schirm, bisder Punktbeschuß nur noch geisterhaft ver-wehende Energieschleier übrigließ – undglutflüssig gewordene Klippen. Ein kilome-terlanger Küstenabschnitt veränderte seinAussehen. In wenigen Tagen würde nur eineperistaltisch erstarrte, glasiert wirkendeLandschaft von den entfesselten Gewaltenzeugen, jetzt verbarg sie sich in dichtemDunst und aufgewirbeltem Dreck. Die vomSturm herangepeitschten Wogen verdampf-ten schlagartig, sobald sie die glühendheißeLava überspülten.

»Gute Nachricht von der HERAKLES!«rief Elena durch die Zentrale. »Das erste Ge-schütz liegt flach.«

Minuten später triumphierte Edgar Rattle.Auf eine Länge von mehreren Dutzend Kilo-metern war das gesamte Schirmfeld zusam-mengebrochen. Eine volle Impuls-Breitseitezerfetzte den anvisierten Geschützturm ober-halb des Sockels und ließ die Speicherbänkereagieren.

Ein sonnenheller Glutball blähte sich auf.Jeder an Bord der BLACK FRIDAY emp-fand es, als hätten die lodernden Gluten eine

Entscheidung auf Borrengold 13

Page 14: Entscheidung auf Borrengold

Ewigkeit lang Bestand, bevor sie über einemzur Unkenntlichkeit zerschmolzenen Stahl-gerippe in sich zusammenfielen. Eine tief-schwarze Wolke breitete sich aus.

»Die Lücke schließt sich!« warnte Elena.Die optische Umsetzung der Energieortungverriet, daß die benachbarten Projektoren ei-ne Trägerwelle aussandten, die den Ausfallkompensieren würde.

Der Pilot reagierte präzise, machte in derHinsicht sogar einer Syntronsteuerung Kon-kurrenz. Aus dem Stand heraus beschleu-nigt, beinahe mit Bodenberührung, durch-brach die BAS-KR-13 den im Aufbau be-findlichen Schirm und stieg erst fünfzig bissechzig Kilometer landeinwärts steil in dieHöhe.

Hinter der BLACK FRIDAY flackertedas Schirmfeld düster rot. Grelle Strukturris-se verzögerten den Lückenschluß in diesemSektor.

Keine Strahlen trafen den Kreuzer, alsSnake weitere Impuls-Breitseiten abfeuerte.Jede Salve zerstörte einen Geschützturm,und Rattle leistete ganze Arbeit.

Um 4:45 Uhr brach der kontinentaleSchutzschirm entlang der Nordküste aufweiten Abschnitten zusammen. Julian Tif-flors PERSEUS und die Korvetten mit denLandetruppen lösten sich aus dem Schattender BASIS. Die Schifte landeten im Nordenvon Staama, noch 500 Kilometer vom Okto-gon entfernt.

Eine zweite Angriffswelle der zehn Kreu-zer galt dem Oktogon und dessen Geschütz-türmen und Schirmfeldprojektoren. In die-sem sensiblen Bereich galt es, mit aller Vor-sicht vorzugehen. Der Versammlungsort derHandelsfürsten durfte nicht zerstört, den Ha-mamesch keine Schuppe ausgerissen wer-den. Außerdem galt es Rücksicht zu nehmenauf die Angehörigen der übrigen Hirdobaan-Völker im Umkreis des Oktogons. Die wa-ren ohnehin schon in Panik.

4.

Seit zwei Stunden hielt der schrecklichste

Alptraum an, den es für Sydorrier gab. ObDeliga auf die Instrumente des Gleitersstarrte oder hinaus in die vorbeihuschendetiefverschneite Landschaft, unauslöschbarsah sie die Szene vor sich, als sie dem Gar-desoldaten den Strahler entriß, auf Karonvon Omgenoch anlegte und Karons Gesichtinmitten greller Flammenzungen verglühte.

»Es war deine Schuld«, keuchte sie. »Ichwollte es nicht, aber du hast mich dazu ge-trieben, du hast mich gequält.«

Die eigene Stimme klang seltsam verzerrt.Trotzdem redete die Sklavin im Selbstge-spräch weiter; das war wie ein Ventil, durchdas ihr innerer Druck entweichen konnte,bevor sie daran zerbrach.

»Ich bin keine Mörderin«, keuchte sie.»Ich mußte mich wehren. Karon war ver-rückt, und Zirrin auch. Ich mußte ihnen zu-vorkommen, sonst hätten sie mich umge-bracht.«

Sie war jetzt eine Ausgestoßene, eine Ge-hetzte, die nie in die Zivilisation zurückkeh-ren durfte. Von heute an war sie allein, fürimmer auf der Flucht. Und was morgen seinwürde – nur banges Hoffen, Sehnen undFurcht.

Ein schriller Ton fraß sich durch ihrSelbstmitleid und schreckte sie aus der be-ginnenden Lethargie auf. Die Distanztasterdes Gleiters hatten angesprochen.

Deligas schlanke Finger huschten über dieungewohnten Kontrollen. Die exakte Einpei-lung zeigte ihr ein in Bodennähe fliegendesObjekt in zwölf Kilometern Distanz. DerGröße nach ebenfalls ein Borrengleiter. DieMaschine kam aus Richtung des Oktogons.

Nbltsgndpfrdbrms? Spontan dachte Deli-ga an den Stuuhr, der ihr zur Flucht verhol-fen und dabei drei Gardesoldaten der Hama-mesch erschossen hatte.

Natürlich hatte der Verfolger sie ebenfallsgeortet. Angesichts seiner Höchstgeschwin-digkeit von 400 Stundenkilometern würde erin zwei Rou aufgeschlossen haben.

Deliga schob den Beschleunigungshebelbis zum Anschlag.

Die Nacht über Staama war von einem

14 Hubert Haensel

Page 15: Entscheidung auf Borrengold

seltsam fahlen Leuchten erfüllt. Ein energe-tisches Feld lag über dem Kontinent. Außer-dem hatte die Sydorrierin gesehen, daß dasOktogon angegriffen worden war. Sie ver-mutete, daß Galaktiker nach Borrengold vor-gestoßen waren – ein Vorgang, der ebensoungeheuerlich war wie ihre eigene Tat.

Ein Anruf auf Normalfrequenz. Deliganahm das Gespräch entgegen.

Das Gesicht auf dem Monitor gehörte ei-nem Hamamesch – und doch wieder nicht.Die gelben Fleckenmale rund um die Augenbesaßen nur Maschtaren. Für einen Momentstockte der Sydorrierin der Atem. Wenn einMaschtar ihre Verfolgung aufgenommenhatte, war sie verloren; niemand konnte sichden Gesandten Gomasch Endreddes entzie-hen.

Aber vielleicht hatte es nur noch nie je-mand wirklich versucht.

»Ich bin Morran«, hallte eine markanteStimme durch den Gleiter. »Verzichte aufeine weitere Flucht, dafür werde ich dichschnell und schmerzlos bestrafen.«

Knapp eine Rou Vorsprung. Heiß pulsier-te das Blut durch ihren Körper. Deliga for-derte dem Triebwerk ihres Gleiters das Letz-te ab. Niemals würde sie sich dem Maschta-ren ergeben, lieber mit Höchstgeschwindig-keit in den Tod rasen. Sie hatte unverzeihli-che Schuld auf sich geladen, größeren Fre-vel konnte sie nicht mehr begehen. Abernoch hing sie an ihrem Leben.

Morran hatte, als er keine Antwort erhielt,die Funkverbindung wieder abgebrochen.

»Ich verfluche dich«, keuchte Deliga,»dich und Gomasch Endredde.«

Die waldreiche Ebene begann sich zu ver-ändern. Deliga folgte einem mäanderndenFlußlauf. Dicht über dem Wasser raste siedahin in der Hoffnung, Morrans Ortung zuentkommen. Eisschollen trieben in der Strö-mung, verkeilten sich, bildeten trügerischeBrücken zwischen den Ufern. Einer Herdevierbeiniger Tiere war ein solcher Übergangzum Verhängnis geworden. Aneinanderge-drängt drifteten sie auf einem winzigenStückchen Eis nach Osten – und stoben pa-

nikartig auseinander, als der Gleiter über siehinwegfegte. Im eisigen Wasser erlahmtenihre Kräfte schnell.

Einen Herzschlag lang hatte Deliga sichvon dem Drama ablenken lassen. Vor ihr be-schrieb der Flußlauf eine scharfe Biegung,hier war das Bett seichter als anderswo. DieEisschollen hatten sich übereinandergescho-ben und bildeten nun ein meterhohes,schroffes Hindernis.

Deliga schrie gellend auf, als sie die Ge-fahr erkannte. Instinktiv riß sie den Gleiterhoch, im selben Augenblick erbebte die Ma-schine unter einem dröhnenden Hammer-schlag, Eisbrocken spritzten nach allen Sei-ten davon.

Der Gleiter neigte sich, drohte aus demKurs auszubrechen und sich zu überschla-gen. Mit der Wucht eines Geschosses würdeer zwischen den Baumriesen am Ufer ein-schlagen. Schon klatschte er auf die Was-seroberfläche, prallte wieder ab, schlug er-neut auf. Gischt, Schnee und ein Eishagelvermischten sich, während Deliga an derSteuerung hing und versuchte, die kippendeMaschine mit der Nase hochzuziehen. Ir-gendwie schaffte sie es sogar, und ihre Zu-versicht wuchs.

»Du kriegst mich nicht, Morran!« stießsie gepreßt hervor. Und plötzlich wußte sie,was sie tun würde: »Die Galaktiker werdenmich schützen, wenn ich ihnen als Gegenlei-stung mein Wissen anbiete.«

In weiter Ferne, nur als Silhouette erkenn-bar, die sich unscharf gegen das Firmamentabhob, ein ausgedehnter Gebirgszug.Schroffe Felszacken ragten in den Himmel.

Wenn es eine Chance gab, dem Verfolgerzu entkommen, dann in dieser unwirtlichenUmgebung.

*

Ein fernes Aufblitzen wie Wetterleuchtenzeugte vom beginnenden Angriff der BA-SIS-Kreuzer auf das Oktogon.

In ihren flugfähigen SERUNS schwärm-ten Arlo Rutan und seine 300 Umweltange-

Entscheidung auf Borrengold 15

Page 16: Entscheidung auf Borrengold

paßten aus. Weitere 500 Mann unterstandenJulian Tifflors Kommando. Von zwölf Shiftsbegleitet, rückten sie gegen den Versamm-lungsort der Handelsfürsten vor.

Tifflor hatte den Landeplatz mit Bedachtgewählt. Falls es auf dem Kontinent außerdem Oktogon eine mögliche Zuflucht für dieFürsten gab, dann hier, 500 Kilometer nörd-lich des Achteckbauwerks. Sowohl die Or-tungen, der HALUTA als auch die Oberflä-chentaster der BASIS hatten einzelne Ge-bäude im Bereich einer ausgedehnten Wald-und Seenplatte entdeckt. Bodenschätze wieauch vermutlich extremer Fischreichtumhatten Hamamesch und andere Intelligenzenzur Ansiedlung in diesem Bereich verlockt.Wahrscheinlich von hier aus wurden die di-plomatischen Abgesandten während dessechsjährigen Zyklus mit Nahrungsmittelnversorgt, für die Lieferanten zweifellos einegute Einnahmequelle.

Im Scheinwerferlicht wirkten die Wälderbizarr – fremdartige, von filigran bis klobigeinzustufende Bäume. Manchenorts hing einMeer von Luftwurzeln aus der Höhe herabwie faltenreiche dichte Vorhänge, vielleichtwaren es auch Blüten oder Fruchtstände.

Von einem kuppeiförmigen Bauwerk ausschlugen Arlo Rutan und fünf seiner LeuteDesintegratorstrahlen entgegen.

»Jemand scheint uns nicht zu mögen«,knurrte Rutan und forderte den Pikosyn auf,alle Ortungsergebnisse auf die Innenseiteder vorderen Helmwandung zu projizieren.

Keine erkennbare Wärmestrahlung. DasBaumaterial, verdichteter Kunststoff, isolier-te nahezu perfekt.

Kuppeldurchmesser 25 Meter, größte Hö-he zwölf Meter. In geringer Distanz existier-te ein schwach energetisches Zaunfeld, ver-mutlich als Sperre für wilde Tiere gedacht.

Der Servo folgte Rutans Blickrichtung inden Bereich, aus dem die Schüsse gefallenwaren, ein Blinzeln veranlaßte zur optischenVergrößerung. Aber erst ein weiteres Detail-bild ließ die Umrisse einer Wandöffnung er-kennen. Aus der Hüfte heraus feuerte Rutan,und in einem mehrere Quadratmeter großen

Bereich floß die Hauswand irrlichternd aus-einander.

»Aktive Lebensform geortet«, teilte derPikosyn mit.

»Wo?« fragte Rutan. Der akustische Ser-vo veranlaßte eine neue Einblendung. Inweiterer Vergrößerung war nur noch dasSchmelzloch in der Kuppelwandung zu se-hen. Und ein vager Schatten im Hintergrund,jedoch zu undeutlich und auf Anhieb nichtzu identifizieren.

»Konturen verstärken!« befahl Rutan.Die Aufzeichnung stoppte. Ein kleiner

Leuchtpunkt umrandete die schemenhafteGestalt.

Das nächste Bild, sprunghaft verändert,zeigte einen massigen Körper, aus der Pro-jektion herausgelöst, in perspektivischerDrehung. Einzelheiten wurden deutlich, diezuvor nicht erkennbar gewesen waren. DerErtruser sah einen Hamamesch, der mit bei-den Händen einen langläufigen Desintegra-tor umklammert hielt.

»Aktualisieren!«Nur Sekunden hatte die Identifikation in

Anspruch genommen, dennoch war derRaum jetzt leer. Restlichtaufheller und Ver-größerung zeigten Einrichtungsgegenstände,die darauf schließen ließen, daß es sich le-diglich um eine Wohnung handelte.

Arlo Rutan durchbrach das Zaunfeld. Flir-rende Entladungen sprangen auf ihn über,wurden vom SERUN aber problemlos abge-wehrt. Die Auswertung zeigte in der Tat nurein niederfrequentes Feld, gerade stark ge-nug, um eindringende Tiere zu lahmen.

Scheinwerferkegel geisterten durch dieNacht. Die Restlichtaufhellung der SE-RUNS genügte, ihren Trägern eine sonnen-überflutete Landschaft vorzugaukeln.

In fünfzig Metern Höhe glitten zweiShifts über die Lichtung hinweg.

Ein Desintegratorschuß zuckte zu denFlugpanzern hinauf. Jemand lachte dröh-nend: »Der Kerl muß verrückt sein. Schießtmit einem Spielzeug auf uns.«

Rutan aktivierte das Feldtriebwerk seinesGravo-Paks und glitt schneller über die

16 Hubert Haensel

Page 17: Entscheidung auf Borrengold

Lichtung. Vor ihm floh der Hamameschdurch den hüfthohen Schnee. Den ohnehinnutzlosen Desintegrator hatte er endlichweggeworfen, um schneller voranzukom-men. Dennoch erreichte er den vermeintlichschützenden Waldrand nicht vor den Frem-den.

»Feigling«, sagte Arlo Rutan verächtlich,als er dem Fliehenden den Weg versperrte.Mehrere Ertruser stießen zu ihnen. »Warumhast du auf uns geschossen?«

Der Hamamesch fror erbärmlich, das warnicht zu übersehen. Verbissen starrte er dieGalaktiker an.

»Falls es dir die Sprache verschlagen hat…«

»Ihr Ungläubigen!« keuchte der Fischab-kömmling. »Borrengold ist heiliger Boden.«

Vielleicht meinte er wirklich »heilig«,vielleicht fand der Translator nur kein Syn-onym, das der usprünglichen Bedeutung nä-her gekommen wäre.

»Heiliger Boden?« Die Aussage war ver-blüffend und lächerlich zugleich. »Nur weildie Handelsfürsten sich auf dieser Welt tref-fen? Oder die Maschtaren? Dann ist Borren-gold aber kaum heiliger als einige derRaumschiffe in der Umlaufbahn.«

Rutans Gegenüber reagierte nicht. Nichteinmal, als der Ertruser ihn mit einer Handam Kragen packte und in die Höhe stemmte.

»Du kennst das Oktogon?« Keine Ant-wort. »Natürlich kennst du es. Ich bin über-zeugt davon, als Hamamesch hast du irgend-wann einer Delegation angehört. WelcherOktant?«

Immer noch Schweigen.»Wir haben wirksame Methoden, dich

zum Reden zu bringen.«Ein anderer zerrte den Hamamesch zu

sich herum, als Rutan ihn wieder auf die Fü-ße stellte. »Unsere Geduld reicht nichtewig.«

»Gibt es Raumschiffe auf dem Kontinent?Oder eine andere Fluchtmöglichkeit für dieFürsten?«

»Wie heißt du?«Arlo Rutan, der den Fischabkömmling

aufmerksam beobachtete, bemerkte, daß derKerl seine seitlich am Hals sitzenden Ohr-öffnungen verschloß. Immer noch fiel esihm schwer, das beherrschende Volk vonHirdobaan einzuschätzen. Vermutete er rich-tig, daß sein Gegenüber die besten Jahreschon hinter sich hatte, oder durfte er ausden bleichen Pigmentflecken der Schuppen-haut solche Rückschlüsse nicht ziehen?

Der vorgewölbte Mund mit den Wulstlip-pen öffnete und schloß sich ruckartig, wiebei einem Fisch auf dem Trockenen. Er hattepanische Angst.

»Rede endlich!« stieß Rutan ungeduldighervor. »Wir haben unsere Zeit nicht gestoh-len.«

Sein Gegenüber ließ mit keiner Regungerkennen, ob er die Worte überhaupt ver-stand. Er war weit über einen Kopf kleinerals der Ertruser und blickte starr geradeaus.Unsinn – der Blick der seitlichen, vorge-wölbten Augen umfaßte einen wesentlichgrößeren Bereich als bei Lemurerabkömm-lingen. Der Hamamesch brauchte den Kopfnicht zu drehen, um Rutan und die umste-henden Ertruser anzustarren.

»Was ist mit Transmittern? ExistierenTransmitter auf Staama?« Ebensogut hätteer die Frage einem Eisblock stellen könnenund wahrscheinlich sogar eher eine Antworterhalten.

Arlo Rutan wurde mit jedem Wort lauter.Er hatte den Helm seines SERUNS zurück-geklappt, und vor seinem Gesicht stand derAtem als dichte Wolke. Es war empfindlichkalt, aber nicht einmal die beißende Kältekonnte die Verstocktheit des Hamamesch lö-sen.

»Wie viele leben hier in der Siedlung?«Das Karpfenmaul verharrte halb geöffnet.

Und zum erstenmal hatte Arlo Rutan denEindruck, daß die Fischaugen ruckartig her-umschwenkten. Eines der Augen schien sichweiter nach hinten zu richten, das andereblickte ihn an – sie waren groß und rund,bleiche Kugeln mit dunklen, fast schwarzenPupillen.

»Nur Hamamesch, oder auch Angehörige

Entscheidung auf Borrengold 17

Page 18: Entscheidung auf Borrengold

anderer Völker?«Rutans Stimme klang jetzt ruhig. Er war

über den eigenen Schatten gesprungen undhatte sich bemüht, die sture Haltung des Ge-fangenen zu ignorieren. Niemand sollte ihmnachsagen können, daß er versäumt hatte,guten Willen zu zeigen. Aber allzu großeNachgiebigkeit wurde oft ausgenutzt.

Das Fischgesicht blubberte verächtlich.Rutans Rechte zuckte vor. Nicht beson-

ders heftig, und er hielt vor dem Gesicht desHamamesch an, dennoch taumelte der Kerlzurück und stürzte rückwärts in den Schnee.Ein klägliches Ächzen ausstoßend, versuch-te er, wieder hochzukommen. Bevor er über-haupt begriff, wie ihm geschah, stand derErtruser über ihm und zerrte ihn hoch.

»Red endlich!« herrschte Rutan ihn an.»Ich bin es leid, meine Zeit mit stummen Fi-schen zu vergeuden.«

Das Blubbern wurde hektischer. DerTranslator brachte jedoch keine Übersetzungzuwege.

»Gibt es Raumschiffe auf Staama – viel-leicht in verborgenen Hangars?« Arlo Rutanschüttelte den Hamamesch wie einen nassenSack. Man mußte mit der Physiognomie derHirdobaan-Völker nicht vertraut sein, um zuerkennen, daß der Fischabkömmling endgül-tig in Panik geriet. »Und was ist mit Trans-mittern? Rede, Bursche, ehe ich mich ver-gesse!«

Der Ertruser hatte zuletzt gebrüllt, dannließ er den Hamamesch los.

Der Hamamesch taumelte, fiel in eineSchneewehe. Er zitterte vor Angst.

»Also von vorne«, begann der Ertruserdröhnend. »Gibt es Transmitter im Okto-gon?«

Die Glubschaugen des Hamamesch tratenein Stückchen weiter hervor.

»Ich – ich weiß nicht«, kam es stockendüber seine Lippen.

»Und du weißt natürlich auch nichts vonRaumschiffen?«

»Nur die Residenzschiffe der Handelsfür-sten durften landen – aber sie sind nach demEinzug der Abordnungen ins Oktogon wie-

der gestartet.«»Und die Maschtaren? Wie haben sie

Borrengold erreicht?«Der Hamamesch stammelte wirres Zeug.

Irgend etwas von allmächtig und daß nie-mand je danach gefragt hätte.

»Ich glaube, er weiß wirklich nichts«, be-merkte Silo Fakata geringschätzig.

Rutan verzog die Mundwinkel zu einerabfälligen Grimasse. »Verschwinde!«herrschte er den Hamamesch an. »Kommuns nicht mehr in die Quere.«

Drohend schwebten die Shifts über derSzene. Ein Teil der Landetruppen war schonweitergezogen, während andere die Gebäudedurchsuchten. Routine für die Männer, de-nen sich kaum Widerstand entgegenstellte.Elektronische Sperren wurden aufgebro-chen, Desintegratoren und Thermostrahlerersetzten Handabdrücke oder Kodekartenebenso effektiv.

Einige hundert Hamamesch und Angehö-rige anderer Völker lebten in dieser Regiondes Kontinents.

Eine Gruppe Stelzmakalies wertete dieAnkunft der Galaktiker auf Staama offen-sichtlich schon als Beginn einer neuen Zeit,sie trieben den anrückenden Galaktikern ge-fangene Hamamesch entgegen. Stelzmaka-lies boten mit ihrer variierenden Erschei-nung stets den Anblick unfertiger, bizarr zu-sammengesetzter Körper, die auf wundersa-me Weise das Laufen gelernt hatten. Einigevon ihnen stakten auf spindeldürren Stelzen-beinen, andere hatten wohl versucht, ihre inder Grundform amorphe Gestalt den Hama-mesch nachzubilden, wirkten aber eher wiedunkelblaue, aufrecht gehende Krabbendenn wie Fischabkömmlinge.

Ihre Waffen waren weit weniger bizarr –Handelswaren der Hamamesch, die sich er-staunlich schnell gegen die richteten, dienoch Monate zuvor mit eben diesen Waffenguten Profit gemacht hatten. Es war in derTat jedesmal von neuem erstaunlich, wieschnell scheinbar gewachsene Staatsgebildeins Wanken gerieten und die Stimmung um-schlug. Heute waren es erst ein Dutzend

18 Hubert Haensel

Page 19: Entscheidung auf Borrengold

Stelzmakalies, die sich gegen die Vorherr-schaft der Händler auflehnten, aber der Fun-ke der Revolte würde sich irgendwann zumFlächenbrand ausweiten …

… und verbrannte Erde zurücklassen,überlegte Arlo Rutan. Für Sekundenbruch-teile hatte er die Vision einer im Chaos ver-sinkenden kleinen Galaxis, in der Hunderteverschiedenster Gruppierungen ihr eigenesSüppchen kochten. Jeder gegen jeden undalle gegen einen – die Geschichte kannte ge-nügend Beispiele.

Auch die Stelzmakalies konnten keineneuen Erkenntnisse beisteuern. Für sie wardas Oktogon ohnehin ein Buch mit siebenSiegeln, das keiner von ihnen je betretenhatte, obwohl einige schon seit Jahrzehntenauf Staama lebten.

»Gewalt ist der falsche Weg«, predigteein Patruskee. »Geht in euch und erkennt,daß die Freundschaft zu Crypers eine tödli-che Freundschaft sein kann. Erkennt dieBotschaft des Silbernen Gottes, nur sie istder Weg in ein besseres Leben. Im Zentrumdes Universums wohnen Glück und Frieden…«

»Glaubst du wirklich daran?« fragte Ru-tan den Patruskee. »Warum bist du dannnoch hier und nicht längst unterwegs zu dei-nem Silbernen Gott?«

Der scheibenförmige Körper des Patrus-kee begann sich jäh zu drehen. Wie eineMünze, die man auf die Kante gestellt undin langsame Rotation versetzt hatte. Diehandtellergroßen gelben Augen beider Ge-sichter blickten den Ertruser durchdringendan. Immer schneller begann der Predigersich auf seinen Gliedmaßen zu drehen.

»Frevler!« hallte sein Schimpfen durchdie Nacht. »Wie sehr werdet ihr euch nochwundern. Schwört eurem Unglauben ab,sonst wird der Silberne Gott euch vernich-ten.«

Arlo Rutan achtete nicht mehr auf denPatruskee, dessen beide Münder gleichzeitigzu reden schienen und Phantastereien vonsich gaben. Patruskee lebten in einer Weltder Wünsche und Träume fernab der Reali-

tät, sie galten als liebenswürdige Spinner –aber für Spinner hatte der Ertruser sich nieinteressiert.

5.

Diese Nacht über Staama hatte keine Ster-ne. Ein stetes Flackern wie von fernem Wet-terleuchten hing in der Luft, ein fahles Glim-men, das sich in Gedankenschnelle über dashalbe Firmament ausbreitete, auffaserte undebenso abrupt wieder verlosch, das kaumSchatten warf und den Schnee rot färbte.

Manchmal jedoch schien der Himmel auf-zureißen. Dann wurde für kurze Zeit in engbegrenzten Regionen das Schwarz desWeltalls wieder sichtbar.

Der Zusammenbruch des gesamten konti-nentalen Schirmfeldes stand bevor.

Die Landetruppen waren weiter ausge-schwärmt und näherten sich dem Oktogon.

Das Achteckbauwerk schien zu brennen,zumindest ergab sich dieser optische Ein-druck aus mehr als zwanzig Kilometern Di-stanz. Trotz Syntronunterstützung hatten dieKreuzerkommandanten keine leichte Aufga-be. Im Augenblick hingen Wohl und Weheder Operation Borrengold von ihnen ab.

Blindwütig mit den Geschützen draufzu-halten war ein Kinderspiel, doch der Einsatzder zehn BASIS-Kreuzer glich eher einerkomplizierten medizinischen Operation. Esgalt, den Widerstand auszuschalten, ohnedas gigantische Gebäude zum Einsturz zubringen oder gar in den entfesselten Energi-en eines durchgehenden Reaktors zu ver-nichten.

Punktgenau koordinierter Beschuß warnötig, um die starken Schirmfelder zuknacken; noch exaktere Zielvorgaben be-durfte es, die Geschützstellungen außer Ge-fecht zu setzen. Eine winzige Kurskorrektur,eine fehlerhafte Berechnung der Abdrift in-folge des anhaltenden gegnerischen Be-schüsses, und schon würden Impulsstrahlendas Dach des Oktogons zerfetzen und Hun-derte von Hamamesch töten.

Angehörige aller Völker aus dem Troß

Entscheidung auf Borrengold 19

Page 20: Entscheidung auf Borrengold

der Fürsten, deren Quartiere in den bunker-artigen Gebäuden rings um das Oktogon ge-legen hatten, suchten ihr Heil in der eisigenWinterlandschaft. Übereinstimmend berich-teten sie, daß sie den Zusammenbruch desersten Schirmfeldes während des Erschei-nens der Maschtaren genutzt, sich dann abereine Zeitlang in nur wenigen KilometernEntfernung aufgehalten hatten. Erst der neueAngriff der Kreuzer hatte sie in blinder Pa-nik fortgetrieben.

Sie behaupteten, daß die Handelsfürstenund ihr Gefolge das Oktogon nicht verlassenhatten, daß sie auch nicht daran dachten, an-derswo Zuflucht zu suchen. Die Maschtarenhatten alle Hamamesch aufgefordert, Ruhezu bewahren, und ihnen versichert, daß siefür aller Sicherheit sorgten. Momentan sahes allerdings nicht danach aus, als würdendie technischen Anlagen der Maschtarendem Beschuß noch lange widerstehen. Fünfder Geschütze hatten zu feuern aufgehört.

»Wenigstens sind die Vögel noch nichtausgeflogen«, lachte Arlo Rutan.

»Vögel?« fragte Silo Fakata verblüfft. DerBlick, den sie ihm zuwarf, war sehenswert.

»Ich rede von den Handelsfürsten«, er-klärte der Ertruser. »Und von den Maschta-ren.«

»Natürlich.« Die Frau nickte zögernd.»Aber Vögel? Wieso ausgerechnet?«

»Weil …« Rutan wußte selbst nicht, wieer den Begriff erklären sollte. Irgendwannhatte er die Redewendung aufgeschnappt,vermutlich von einem der Aktivatorträger.

Die Suche nach einer zufriedenstellendenAntwort blieb ihm erspart. Juliän Tifflormeldete sich aus einem der vorausfliegendenShifts.

»Das Schirmfeld um das Oktogon stehtvor dem endgültigen Zusammenbruch. Un-sere Kreuzer legen die letzten Geschützelahm, danach beteiligen sie sich wieder ander Raumschlacht. Was nun noch kommt, istunser Part.«

*

Von der scheinbaren Normalität zumChaos war es mitunter nur ein kleinerSchritt. Rani von Buragar, die Handelsfür-stin des Buragar-Oktanten, hatte oft erlebt,daß Furcht und scheinbare Ausweglosigkeitaus einer verfahren wirkenden Situation eineexplosive Mischung ergaben. Dann genügteschon ein falsches Wort, um sogar friedferti-ge Hamamesch in einen Rausch zu verset-zen, der sie jede Kontrolle über sich selbstverlieren ließ. Vor allem verweichlichteHöflinge und Diener, die ihr Leben lang nureinstecken mußten, neigten zu Extremreak-tionen. Sie waren dann wie Schlachtvieh,das, auf engem Raum zusammengepfercht,zitternd wartete, das aber irgendwann inblinder Panik die Ketten sprengte.

Der Vergleich erschreckte Rani, er warmakaber und schuppend zugleich. Aber die-ses unaufhörliche dumpfe Grollen von au-ßerhalb des Oktogons, das während der letz-ten Tix erschreckend intensiv geworden war,hatte ihr Weltbild ins Wanken gebracht.

1000 Regenbogenschiffe der Fermyydschirmten das Riffta-System während desZuges der Herrscher ab. Trotz ihrer in Hir-dobaan gerühmten Schlagkraft hatten sie esnicht geschafft, die Schiffe der Galaktikerund der Queeneroch-Rebellen am Durch-bruch nach Borrengold zu hindern.

Ein dumpfer Schlag, eine Explosion in al-lernächster Nähe; ohrenbetäubendes Pras-seln aus der Höhe, und der Boden bäumtesich auf – Rani hatte Mühe, ihren sicherenStand zu bewahren. Breitbeinig stand sie da,gar nicht so erhaben wie sonst, während vorihr Diener stürzten und andere mitrissen.Und immer noch drang dieses schrecklichePrasseln aus der Höhe herab, ein Geräusch,als verbrenne Papier unter heftiger Sauer-stoffzufuhr.

Die Fürstin starrte entsetzt in die Höhe,dorthin, wo sich jeden Moment die Deckerotglühend aus den Verankerungen lösenund auf die Delegationen herabstürzenkonnte. Was war nur aus den Hoffnungenund begehrlichen Wünschen der Handelsfür-sten geworden? Gemeinsam Mittel und We-

20 Hubert Haensel

Page 21: Entscheidung auf Borrengold

ge zu finden, der Bedrohung durch dieFremden Einhalt zu gebieten, deshalb hattensie sich früher als üblich zusammengefun-den – und nun sah es ganz so aus, als wür-den die Galaktiker eben diesen Umstand fürsich nutzen.

»Es besteht kein Anlaß zur Besorgnis«,dröhnte eine Lautsprecherstimme durch dieParkanlage – laut genug, um selbst das lär-mende Chaos zu übertönen. Rani von Bura-gar konnte die Stimme nicht identifizieren.Vielleicht Maschtar Uwwen, aber was spiel-te das für eine Rolle?

»Wir haben die Situation im Griff. Wederdie Rebellen noch die Galaktiker können indas Oktogon eindringen. Also bewahrt Ru-he, bis der Angriff vorüber ist, bis die Fer-myyd die letzten Raumschiffe der Fremdenvertrieben oder vernichtet haben …«

Welch ein Hohn diese Worte doch waren.Phrasen wurden nicht durch häufige Wieder-holungen wahr. Und diese Sätze hatte Raniseit dem Beginn des Angriffs zu oft gehört.

Ihr Glaube an die Macht und die Unfehl-barkeit der Maschtaren war ins Wanken ge-raten. Warum hatten sie sich ins Oktodromzurückgezogen? Wirklich nur, um die Ver-teidigung Borrengolds zu organisieren? AlsGesandte und Sprachrohr des göttlichen Go-masch Endredde wäre es ihre Aufgabe ge-wesen, dem Volk beizustehen. Statt dessenmeldeten sie sich in unregelmäßigen Ab-ständen über Lautsprecher mit Parolen, dieleicht als solche zu durchschauen waren. Zu-mindest für Ranis scharfen Verstand. Ande-re mochten sich davon einlullen lassen, so-gar einige der Fürsten waren dumm genug.

Die Erschütterungen ebbten nicht ab,selbst die Luft schien zu vibrieren. Rani rangnach Atem, sog die merklich wärmer gewor-dene Luft gierig in sich hinein. Die eigeneHilflosigkeit machte ihr zu schaffen, siefühlte sich eingesperrt, betrogen um dieChance, das Leben in die eigene Hand zunehmen. Kein Wunder, daß eine solche Si-tuation ketzerische Gedanken gebar.

Ein Stakkato von Explosionen fegte überdie Parklandschaft hinweg, in einem der ge-

genüberliegenden Bereiche herrschte plötz-lich Finsternis. Dort glühte tatsächlich dieDecke. Flüssiges Metall zerstob in einemfunkelnden Regen. Vergeblich rannten Höf-linge und Diener auseinander, sie behinder-ten sich gegenseitig. Nur wenige Augen-blicke vergingen, in denen Rani von Buragarder Atem stockte, dann wälzten sich einigeHamamesch schreiend am Boden.

Der Glutregen hatte aufgehört, dochflackerte durch einen Riß in der Decke dasGeschützfeuer der Angreifer. Rings umeinen der acht mächtigen Türme, die wievon Geisterhand geführt aus dem Boden ge-wachsen waren, war die Deckenkonstruktionzerschmolzen. Und der Turm selbst schienin der Höhe nachzuglühen.

»Wir haben alles unter Kontrolle«, be-haupteten die Lautsprecher.

Lüge! Rani von Buragar verbiß sich einenAufschrei. Entschlossen, die Wahrheit her-auszufinden, und wenn es das letzte war, dassie in ihrem Leben tat, hastete sie los. Ihresydorrischen Berater hatten sie selten so er-regt gesehen.

Rani dachte an Razano Omre, ihren Ge-mahl. Er war ein tüchtiger Kaufmann, aberwürde er wirklich die Chance nutzen kön-nen, Buragar die benachbarten Oktanten ein-zuverleiben, falls deren Fürsten im Feuer derGalaktiker ums Leben kamen? Oder Itta undSeriffi, ihre Töchter, die mit keinem sehr at-traktiven Duft ausgestattet waren und nur ih-rer Erbansprüche wegen von den Männernumworben wurden? Immerhin war Buragarder wohlhabendste aller Oktanten.

Rani zerbiß eine Verwünschung zwischenden Lippen. Wäre sie jetzt Fürst Jeschdeanvon Jondoron begegnet, sie hätte genau dasmit ihm gemacht, was Karon von Omgenochwiderfahren war, so ungeheuerlich das auchsein mochte. Jeschdean hatte die Galaktikernach Hirdobaan geholt – er war schuld dar-an, daß alte Werte und gewachsene Struktu-ren nicht mehr galten.

»Wohin willst du?«Die Fürstin schreckte aus ihren Überle-

gungen auf. Maschtar Grirro stand vor ihr.

Entscheidung auf Borrengold 21

Page 22: Entscheidung auf Borrengold

Ahnte er ihre Gedanken? Seine Miene wirk-te jedenfalls wie versteinert.

Für einen flüchtigen Moment spürte RaniUnsicherheit. Erschrocken preßte sie dieLippen aufeinander. Aber was war falsch anihrem Wunsch nach Information?

»Ich will wissen, was wirklich ge-schieht!« sprudelte sie hervor. »Und ichglaube nicht, daß das zuviel verlangt ist.«

Grirros Finger lagen auf der Gürtelschnal-le des Maschthoms. Die flüchtige Berührungeines der Sensorfelder genügte, die Fürstinin Gedankenschnelle sterben zu lassen. Diedrei Roboter des Maschtaren versperrten ihrden Rückweg; Rani erkannte es, ohne denKopf wenden zu müssen.

»Hast du die Informationen nicht ge-hört?«

»Zwischen hören und glauben besteht einUnterschied«, versetzte sie wenig ehrfürch-tig. »Ich will erfahren, was verschwiegenwurde. Mögen die anderen in ihrer Dumm-heit die Ungereimtheiten übersehen; ich fra-ge mich, warum die Galaktiker uns unge-straft angreifen können. Was ist mit unserenSchiffen? Ich verlange, daß eine Funkver-bindung zu meiner AGGOSH geschaltetwird.«

Rani von Buragar zuckte zusammen, alsGrirro die Finger bewegte. Doch er berührtekeines der Sensorfelder.

»Deine AGGOSH«, stieß er verächtlichhervor, »wird ebensowenig über Staama er-scheinen wie eines der anderen Schiffe. Esgibt keine Unterstützung für uns, Rani vonBuragar, wir müssen uns selbst helfen.«

»Meine Besatzung läßt mich nicht imStich«, begehrte sie auf.

Der Maschtar vollführte eine ärgerlicheGeste.

»Wir haben versucht, Kampfschiffe überStaama zu beordern. Es ist unmöglich. Euergesamter Troß, von einigen Frachtern undkleineren Schiffen abgesehen, ist in Kämpfegegen die Rebellen verwickelt. Auch dieFermyyd können nicht nach Borrengolddurchbrechen. Ron-Er-Kan wollte uns Re-genbogenschiffe zu Hilfe schicken – sie

wurden vernichtet. Das riesige Trägerschiffder Galaktiker, das seit einigen Zehnern beiSCHERMOTT stand, schirmt Borrengoldab.«

»Das heißt, wir sind verloren?«»Gibst du dich so schnell geschlagen, Ra-

ni von Buragar?« antwortete Grirro mit einerspöttischen Gegenfrage. »Die Fermyyd wer-den bis zum letzten Mann kämpfen, und ichhoffe, die Gardesoldaten der Fürsten eben-falls.«

»Unsere Soldaten?« Rani von Buragarschmatzte verwirrt. »Sind wir im Oktogonnicht mehr sicher? Hatte ich also recht mitmeinen Befürchtungen?«

»Vielleicht werden wir uns verteidigenmüssen«, sagte Grirro betont. »Es ist wohlnur eine Frage weniger Rou, bis die Galakti-ker versuchen werden, das Oktogon zu stür-men. Das Schinnfeld ist soeben im letztenSektor zusammengebrochen, von den Ge-schützen feuert nur noch eines.«

*

Im Kontrollstand seines Shifts nickte Juli-an Tifflor zufrieden, als die letzten Energie-schleier über dem Oktogon verwehten. ImOsten zeichnete sich der beginnende neueMorgen als fahler Silberstreif am Horizontab.

Die ersten der an der Aktion beteiligtenBASIS-Kreuzer entfernten sich mit steigen-der Geschwindigkeit. Sie würden wieder indie Kämpfe gegen die Fermyyd eingreifenund einigen bedrängten Crypers zu Hilfe ei-len.

»Ein Gespräch auf Interkom – für dich,Julian.«

Tiff zog überrascht die Brauen hoch.»Die BAS-KR-13«, erhielt er als zusätzli-

che Information.Henry Albertsons Bartgesicht grinste ihm

vielsagend entgegen. Tifflor nickte auffor-dernd.

»Die Nuß ist geknackt«, eröffnete der Pi-lot. »War ein schweres Stück Arbeit.«

Tifflor schwieg dazu. Was hätte er auch

22 Hubert Haensel

Page 23: Entscheidung auf Borrengold

erwidern sollen?Albertson sah ihm die Irritation wohl an.

Er grinste schräg und drückte ihm demon-strativ beide Daumen.

»Das wollte ich nur sagen: Die Crew derBLACK FRIDAY wünscht dem LandetruppHals- und Beinbruch. Schnappt euch dieHandelsfürsten und holt aus ihnen heraus,wie wir die verschwundenen Imprint-Out-laws zurückholen können. Danach geht eshoffentlich nach Hause; die Milchstraßewartet auf uns.«

Ehe Tifflor etwas antworten konnte, wur-de die Verbindung von der anderen Seite un-terbrochen. Wahrscheinlich fürchtete Al-bertson eine heftige Antwort; der versteckteVorwurf in seinen Worten war nicht zuüberhören gewesen.

»Die BAS-KR-13 beschleunigt, verläßtdie Atmosphäre. – Julian, so unrecht hat derMann nicht; viele von uns wollen endlichheim. Auf Terra und den anderen Welten istdie Zeit nicht stehengeblieben.«

Daheim … Tiff massierte sich mit denFingerspitzen die Stirn. Das Bild der Milch-straße zeichnete sich vor seinem geistigenAuge ab und wuchs rasend schnell an, ertauchte ein in die vertraute Sternenfülle.

Es kam vor, daß potentiell Unsterblicheden richtigen Bezug zur Zeit verloren. WenJahrhunderte nicht altern ließen, der vergaßallzu leicht, daß siebeneinhalb Jahre für an-dere mehr waren als nur ein Augenblick derEwigkeit, daß diese Zeit einen Teil des Le-bens bedeutete, unwiederbringlich und end-gültig. Verlorene Zeit, Nährboden für Ent-fremdung von Verwandten und Freunden.Und bis zur Heimkehr würden weitere end-los lange Monate vergehen.

Wenn Männer wie Albertson unter-schwellig dagegen protestierten, stimmte ihndas nachdenklich. Kinder, die Vater oderMutter nur noch aus Holo-Aufzeichnungenkannten; Lebenspartner, die wegen der lan-gen Zeit des Wartens einseitig den geschlos-senen Vertrag aufgelöst hatten – wie vieleSorgen und Leid würden die Heimkehrer al-len Auswahlverfahren zum Trotz erfahren?

Die BASIS war kein Generationenschiff wieeinst die SOL, und die Genugtuung, 200Millionen Lichtjahre überwunden zu haben,ersetzte keineswegs menschliche Verluste.Unter solchen Bedingungen mußten Raum-fahrer auch im 13. Jahrhundert NGZ aus be-sonderem Holz sein. Aber leider traf daslängst nicht auf alle Besatzungsmitgliederder BASIS und der Begleitschiffe zu.

Der Shift überflog die Grenze, bis zu derdas Schirmfeld das Oktogon eingehüllt hat-te. Das Land ringsum wirkte in der begin-nenden Morgendämmerung schmutzigbraun; der Schnee war im weiten Umkreisgeschmolzen. Während auf Staama frostigeTemperaturen herrschten, zeigten die Mes-sungen hier 35 Grad und mehr.

In Panik flohen die letzten Nicht-Hamamesch aus den vorgelagerten bunker-artigen Gebäuden. Große Prallfeldgleiterstoben in wilder Fahrt davon.

»Laßt sie passieren!« ordnete Tifflor an.Ihn interessierten nur die Handelsfürstenund die Maschtaren.

1800 Meter durchmaß das Oktogon. DieFlugpanzer landeten in geringer Distanz.

»Niemand kommt rein und raus ohne un-sere Zustimmung. Widerstand wird vorran-gig mit Lähmwaffen niedergekämpft.«

6.

Der Verfolger war hartnäckig. Deliga zogVergleiche zu den Wracksaugern von Riau,die oft tagelang einem auserwählten Opferfolgten und zuschlugen, sobald niemandmehr damit rechnete. Selbst im vermeintlichsicheren Schutz der Häfen waren diese Be-stien inzwischen aufgetaucht.

Das Gebirge schien endlich zum Greifennahe. Es war eine schroffe, endlos anmuten-de Schnee- und Eiswüste, faszinierend undtödlich zugleich. Schlanke Felsnadeln ragten5000 Meter und höher auf, zwischen ihnenerstreckten sich tiefe Einschnitte, Täler, de-ren Ausdehnung nur als Folge gewaltigertektonischer Beben erklärt werden konnte.

Die gletscherbedeckten Berghänge lagen

Entscheidung auf Borrengold 23

Page 24: Entscheidung auf Borrengold

im flackernden Widerstreit von Licht undSchatten. Höchstens dreißig Kilometer vor-aus war eine Geschützstation in den Ausläu-fern des Massivs verborgen.

Deliga wußte nicht, ob Hamamesch dasGeschütz bedienten oder die Anlage robot-gesteuert war, sie hatte auch nicht vor, dortZuflucht zu suchen, aber die heftigen ener-getischen Emissionen konnten ihr helfen,endlich den Ortungen des Verfolgers zu ent-kommen.

Die Sydorrierin kannte sich selbst nichtmehr. Gefühle wie Wut und Haß waren ihrfrüher fremd gewesen; erst in Karon vonOmgenochs Diensten, hatte sie sich verän-dert. Während andere Fürsten ihre Sydor-Sklaven ehrfürchtig behandelten und alsscharfsinnige Ratgeber verehrten, hatte Ka-ron von Anfang an kein Hehl aus seiner un-terschwelligen Ablehnung gemacht.

»Laß mich in Frieden sterben«, keuchteDeliga.

Ein heftiges Zittern durchlief ihren grazi-len Leib, der Kopf mit der weit vorspringen-den stabförmigen Mundpartie sackte vorn-über, doch der Warnton des Autopilotenschreckte sie auf. Mit Höchstgeschwindig-keit raste der Gleiter einer senkrecht aufra-genden Felswand entgegen.

Flüchtig spielte Deliga mit dem Gedan-ken, die Augen zu schließen und auf das En-de zu warten.

Was spielte es für eine Rolle, daß ein sol-cher Tod einer Sydorrierin unwürdig war?Und daß Fürst Karon und Kanzlerin Zirrinletztlich doch über sie triumphiert hatten?

Sollte das jetzt wirklich alles gewesensein? Selbstzweifel als Erfolg ihres Lebens?

Jäh griff Deliga nach der Steuerung. DieFelswand glitt seitlich weg, vor ihr öffnetesich ein weitläufiges Tal. Wasser sprudeltein schäumenden Kaskaden über eisbedeckteGrate und Vorsprünge. JahrhundertealterSchnee hatte zu schmelzen begonnen.

Ein Blick auf die Temperaturanzeige ver-riet der Sydorrierin, daß außerhalb des Glei-ters ungewöhnliche zehn Grad plus herrsch-ten. Vermutlich würde die Wärme unter dem

Schirmfeld noch weiter ansteigen.Ohne die Geschwindigkeit wesentlich zu

verringern, raste Deliga tiefer in die Berg-welt hinein, durch eine Traumwelt tief grü-ner Gletscher. Filigrane Vorhänge aus Eis,in denen sich das Flackern des Schutz-schirms über Staama in unzähligen Facettenspiegelte, wechselten ab mit kahlen Felsenund Nestern riesiger Kristalle.

Die Entfernungen schrumpften, Deligawar gezwungen, die Geschwindigkeit weiterzu verringern. Aber auch ihr Verfolger muß-te sich anpassen. Aus der Ortung hatte sieden Maschtar inzwischen verloren.

Sie flog jetzt in südwestlicher Richtung.Der mächtige Geschützturm lag inzwischenhinter ihr, er spie nicht mehr Tod und Ver-derben.

Eine im Zenit aufflammende zweite Son-ne überschüttete das Gebirge mit grellwei-ßem Licht. Zwei Rou hatte die ErscheinungBestand, bevor sie in sich zusammenfiel undflackernd erlosch. Deliga war klar, daß au-ßerhalb der Atmosphäre ein Raumschiff ver-glüht war.

Hatten die Galaktiker den Kampf um Bor-rengold und das Oktodrom für sich entschie-den? Vergeblich fragte die Sydorrierin sich,was die Fremden wirklich nach Hirdobaangeführt hatte. Ihre Suche nach Imprint-Wa-ren konnte nur ein Vorwand gewesen sein.

Ein anschwellendes Donnern ließ sie auf-merken. Im ersten Moment glaubte sie anein Raumschiff dicht über dem Gebirge,aber dann prasselten Schnee und Eis auf denGletscher herab.

Die angestiegenen Temperaturen löstenSchneebretter und Geröllawinen aus. Deligareagierte in stummem Entsetzen, als eine Ti-tanenfaust den Gleiter zur Seite fegte.

Ein Aufprall, das Kreischen von Metallüber Fels, danach das Gefühl, abrupt in dieHöhe geschleudert zu werden.

Ein zweiter, heftigerer Ruck; die Sydor-rierin prallte schwer gegen die Instrumente.Und immer noch war dieses Prasseln undDröhnen zu vernehmen, das den Rumpf auf-zuschmirgeln schien. Jeden Moment konn-

24 Hubert Haensel

Page 25: Entscheidung auf Borrengold

ten Tonnen von Schnee hereinbrechen undsie ersticken. Vielleicht das Schicksal, dassie verdient hatte.

Der Borrengleiter kam zum Stillstand.Trotzdem erklang das beängstigende Kni-stern und Knacken überbeanspruchten Mate-rials.

Mühsam stemmte die Sydorrierin sichhoch. Es gab wohl keine Stelle an ihremKörper, die nicht schmerzte. Blut aus einerSchürfwunde rann über ihr Gesicht, dochDeliga achtete kaum darauf. Vorsichtig ta-stete sie über die Kontrollen. Der Gleiterruckte an – ein paar Schritte weit. Schneerutschte über die Sichtscheibe und gab einenschmalen Spalt frei, durch den der Himmelsichtbar wurde.

Nach endlos lang anmutenden Rou gabDeliga auf. Allein war sie hilflos.

Hatte der Maschtar ihre Spur verloren?Durch das verbeulte Schott zwängte sie

sich ins Freie. Sie hattexäie Berge beinahewieder hinter sich gelassen; in der Ferne, imDunst des neuen Tages mehr zu ahnen alswirklich zu erkennen, begann die zentraleEbene Staamas. Dort draußen, Hunderte vonKilometern entfernt, waren vielleicht dieFremden gelandet.

Deligas Neugierde erwachte. Es hieß, daßdie Galaktiker aus einem Sternennebel ka-men, der über 100 Millionen Lichtjahre ent-fernt lag. Eigentlich unvorstellbar …

Die Sydorrierin wußte plötzlich, daß dasSchicksal ihr eine Aufgabe zugedacht hatte,die wichtiger war, als die ungeliebte Sklavineines lasterhaften Hamamesch zu sein. Viel-leicht hatte sie Karon töten müssen, damitsie ihre wirkliche Bestimmung erfuhr, dieAufgabe, die Wahrheit über die Galaktikerherauszufinden.

Durch knietiefen nassen Schnee stapftesie in Richtung Ebene. Der Marsch kosteteunwahrscheinlich Kraft. Und die kühle Näs-se, die sie anfangs noch als angenehm emp-funden hatte, wurde bald unerträglich.

Sooft sie zurückblickte, erschien es ihr,als wäre der Gleiter nur unmerklich kleinergeworden.

Irgendwann brach Deliga erschöpft in dieKnie. Noch einmal schaffte sie es, sich auf-zurichten und den Weg fortzusetzen. Aberdann hörte sie das Rauschen der Meeres-brandung vor dem Palast von Riau, und deraufkommende Sturm verwirbelte ihre letztenGedanken.

Daß sie in den Schnee sank, spürte sienicht mehr. Auch nicht, daß heftigesSchneetreiben einsetzte. Große feuchteFlocken deckten die Sydorrierin zu.

*

»Endlich«, stieß Arlo Rutan hervor, alsdie Thermitladung das tonnenschwereSchott aus seiner Verankerung löste. MitImpulsstrahlern und Desintegratoren wardem offensichtlich molekular gehärtetenMaterial nicht beizukommen gewesen.

Acht mal acht Meter maß der Zugang. Einhalbrunder, mit gerippten Stahlplatten aus-gekleideter leerer Gang lag vor den Ertru-sern. Er mündete nach wenig mehr als zwan-zig Metern in eine geräumige Halle. Kein le-bendes Wesen war zu sehen, nicht einmalRoboter.

Daß selbst SERUNS nicht vor allen Even-tualitäten schützten, wußte Silo Fakata eben-so gut wie alle anderen. Vier, fünf Meterweit drang sie in den stählernen Tunnel ein,dann preßte sie sich an die Wand und sicher-te die nachfolgende Gruppe. Der schwereKombistrahler in ihrer Armbeuge war nochnicht auf Lähmung umgestellt. Roboter lie-ßen sich nicht paralysieren.

Alle akustischen und optischen Eindrückewährend des Einsatzes wurden zur späterenAuswertung vom SERUN-Logbuch aufge-zeichnet. Auf der Sichtscheibe des Helmesließ Silo Rasterfeldprojektionen einblenden.Auf diese Weise sah sie ihre Umgebung de-taillierter vor sich als mit bloßem Auge.Noch 16 Meter Korridor, dahinter die Halle,vierzig Meter tief, ovaler Grundriß. Ener-gieflüsse wurden dargestellt: gepolte Anti-gravfelder im Hintergrund.

Silos Blick wanderte zurück in den Korri-

Entscheidung auf Borrengold 25

Page 26: Entscheidung auf Borrengold

dor. Der Servo setzte die Bewegung ihrerPupillen in eine veränderte Abbildung um,zeigte ihr die linke Seitenwand in halb opti-scher Vergrößerung, hinterlegt mit der Wie-dergabe der Massetaster, einem filigran wir-kenden, engmaschigen Gittermuster.

»Deutlicher!« befahl die Ertruserin.Ohne ihren Standort zu wechseln, hatte

sie den Eindruck, auf die Wand zuzugleiten.Menschen, die derartige Projektionen nichtgewöhnt waren oder über einen empfindli-chen Gleichgewichtssinn verfügten, reagier-ten auf solche Veränderungen zumeist mitunkontrollierten Bewegungen. Wer aus einerabrupt gestoppten Zentrifuge ausstieg,kämpfte für gewöhnlich mit ähnlichen Pro-blemen.

Verzerrungen des Gittermusters ließen er-kennen, daß die Sensoren die oberstenSchichten der Molekularstruktur analysier-ten.

Schrifteinblendungen folgten: Unbekann-tes Material, atomar verdichtet. Mehr-schichtlegierung, stabil auch bei größeremEnergiedurchfluß.

Die Ertruserin stutzte.»Detaildarstellung!« verlangte sie.Eine farbige Abhebung erfolgte. An drei

Stellen durchzogen energetische Adern dieWand, ohne daß jedoch erkenntlich wurde,welchem Zweck sie dienten.

Höchstens fünfzehn Sekunden waren ver-gangen, seit Silo Fakata in den Gang ge-stürmt war. Jetzt hasteten die nächsten desTrupps an ihr vorbei.

Der dargestellte Energiefluß begann jähzu pulsieren.

Silos warnender Ausruf kam zu spät.Quer durch den Gang spannte sich einHochenergiefeld. Daß die Männer nicht zuAsche verglühten, verdankten sie nur denParatronschirmen. Trotzdem zappelten siezwischen den Feldlinien wie Fliegen in ei-nem klebrigen Spinnennetz.

Silo feuerte auf die gegenüberliegendeWand. Scharf gebündelt fraß sich der Ther-mostrahl in die verborgenen Projektoren.

Dann schossen auch die anderen. Eine

überaus heftige Explosion war die Folge.Trotz ihres SERUNS fühlte Silo Fakata sichhochgehoben und davongewirbelt, und ihrbewußtes Denken setzte erst Sekunden spä-ter wieder ein, als Arlo Rutan sich über siebeugte.

»Nichts ist geschehen«, kam sie seinerFrage zuvor. »Wir wissen jetzt, daß es Sper-ren gibt, die uns gefährden können.«

Rutan zuckte mit den Achseln. »TifflorsTrupp hat eben eine ähnliche Erfahrung ge-macht. Nur hat er einen Verletzten zu bekla-gen. Teilausfall des Pikosyns.«

Selbst modernste Technik schützte nichtvor Versagern, auch wenn sie statistischhöchst selten auftraten.

Haftladungen schalteten die anderenHochenergiefelder aus und hinterließen zer-fetzte Wände.

Die Ertruser drangen weiter vor. Schondie Peripherie des Oktogons erwies sich alsIrrgarten von Korridoren und Hallen, Anti-gravschächten, Treppen und Unterkünften,deren Ausstattung auf eine Benutzung nurdurch Hamamesch schließen ließ.

Frühzeitig stellte sich den Stoßtrupps er-bitterter Widerstand entgegen. UniformierteHamamesch hatten sich an neuralgischenPunkten verschanzt. Teilweise setzten siesogar Sprengladungen ein. Das Fauchen derStrahlwaffen und das Dröhnen starker Ex-plosionen waren bald überall zu vernehmen.

Arlo Rutan stieß auf die Gegner, als er einprunkvolles Schlafgemach stürmte. Nahezudie Hälfte des Raumes wurde von einemzweieinhalb Meter hohen Wasserbecken mitPflanzen und Fischen eingenommen.

Roboter flankierten das Becken. Sie rea-gierten mit der Maschinen eigenen Ge-schwindigkeit. Ihre seltsam anmutendenHarpunenwaffen hatte Rutan in Hirdobaannoch nicht gesehen.

Das erste, knapp armlange Geschoß bohr-te sich hinter ihm in die Wand, das zweitekrachte auf den Boden. Den sonnenhellenLichtblitz des jäh zwischen den Pfeilen ent-stehenden Lichtbogens abzuschirmen,schaffte selbst der Pikosyn nicht schnell ge-

26 Hubert Haensel

Page 27: Entscheidung auf Borrengold

nug. Halb geblendet taumelte Arlo Rutanzur Seite.

Nur Sekundenbruchteile blieben ihm, ge-rade ausreichend, den Strahler auf Thermoumzuschalten und in Anschlag zu bringen.Dann traf der nächste Harpunenpfeil.

Nur noch grelles Lodern war ringsum.Und ein gewaltiger Sog, der Rutan in wahn-sinnig schnelle, wirbelnde Bewegung ver-setzte.

Am Ende dieses Soges lauerte das Nichts.Der Ertruser spürte, daß dort nichts existier-te, nichts existieren konnte.

Vergingen nur Nanosekunden oder eineEwigkeit? Eine undefinierbare Beklemmunggriff nach ihm, ein hypnotischer Einfluß,wie er ihn nie zuvor wahrgenommen hatte.Vergeblich wehrte Arlo sich gegen das un-heimliche, synthetisch wirkende Fremde inseinem Gehirn. Seine Gedanken verwirrtensich, die eigene Stimme schien ihm nichtmehr zu gehören.

»Servo«, hörte er sich sagen, während erzugleich verzweifelt versuchte, nichts zu sa-gen, »desaktiviere das Schirmfeld.«

Der Pikosyn antwortete mit einem unmiß-verständlichen Warnhinweis.

»Desaktivieren!« beharrte Rutan.Das war sein Tod, er wußte es, doch er

konnte nicht anders. Das nächste Geschoßwürde ihn durchbohren, würde eine Spreng-ladung zünden und …

Verwirrt starrte er das Gesicht an, das sichüber ihn beugte. Den jähen Wechsel zu ver-kraften, fiel schwer.

»Er lebt«, stellte Kain Merlo sachlich fest.Rutan verzichtete auf eine Antwort. Der

eben noch prunkvolle Raum glich einemSchlachtfeld, das Wasserbecken war zerbor-sten, eine Mischung aus Schlamm und mat-schigen Pflanzen hatte sich auf den Korridorhinaus gewälzt. Von den Robotern warennur ausgeglühte Torsi übrig.

Allmählich registrierte Rutan, daß nahezusämtliche Funktionen seines SERUNS abge-schaltet waren. Nur undeutlich entsann ersich der Stimme, die den Anzug lahmgelegthatte: seiner Stimme.

»Servo, alle Funktionen wiederherstellen!Künftige Desaktivierungsbefehle währenddieses Einsatzes ignorieren!«

»Wir konnten den hypnotischen Einflußebenfalls spüren, waren aber nicht unmittel-bar betroffen«, sagte Merlo.

Auch wenn Rutan es niemals zugegebenhätte, die Worte waren Balsam für seine ver-wundete Kämpferseele. Ein Arlo Rutan ver-sagte nicht, wie es eben geschehen war. Nur,was halfen Reaktionsschnelligkeit und Kraftgegen eine heimtückische geistige Beein-flussung?

Mit spielerischer Leichtigkeit wuchtete erden Kombistrahler hoch, den ein normal ge-bauter Terraner ohne Unterstützung durcheinen Mikrogravitator nie vom Boden hoch-gebracht hätte. Mit wuchtigen Schrittenstapfte er durch die aufspritzende Kies- undSchlammschicht.

Herk Solmar hielt ihm ein verbogenesMetallrohr hin.

»Was ist das?« herrschte er den Mann an,ohne innezuhalten.

»Eine der Waffen der Roboter.«Vor ihm lag ein Antigravlift. Hamame-

sch-Soldaten ergossen sich in endloser Flutnach allen Seiten.

»Und? Die Harpune ist funktionsunfähig.Was soll ich damit?« Arlo jagte eine Ther-mosalve in den Schacht; glutflüssiges Metallspritzte nach allen Seiten. Der Pikosyn ver-riet ihm, daß das Antigravfeld zusammen-brach.

»Die Waffe stammt keinesfalls aus Hama-mesch-Produktion.«

»Dann ist sie Siegelware.« Arlo Rutanstieß ein unheilvolles Grollen aus. Das Or-tungsbild zeigte achtzehn Hamamesch, diehinter einer mehr oder weniger sinnvollenDeckung lagen. Der Korridor verbreitertesich zusehends, der ausgefallene Antigrav-schacht bildete den Mittelpunkt einer weit-läufigen Galerie, von der außerdem eineVielzahl von Rampen und Treppen wegführ-te. Rutan schaltete den Kombistrahler aufParalyse um.

»Das ist fremdartige Technik, die mit Si-

Entscheidung auf Borrengold 27

Page 28: Entscheidung auf Borrengold

cherheit nicht aus Hirdobaan stammt«, be-hauptete Solmar im Brustton der Überzeu-gung. »Ich nehme an, es existierten nur die-se beiden Exemplare.«

Der Chef der Landetruppe nahm die har-punenartige Waffe an sich. »Von unserenStrahlern wird das in späteren Jahrhundertenhoffentlich niemand behaupten können.«Mit weit ausholender Bewegung schleuderteer die Harpune von sich. Sie beschrieb einewirbelnde, aufsteigende Flugbahn, krachtegegen die Verkleidung der Antigravröhreund torkelte dem Rand der Galerie entgegen.Bevor sie den Boden berühren konnte, ver-glühte sie im Zentrum von mindestens ei-nem Dutzend Thermostrahlen.

Einen Kampfruf ausstoßend, stürmte ArloRutan vorwärts. Ebenso schnell vereinte sichder gegnerische Beschuß auf ihn und denhinter ihm folgenden Ertrusern. In diesenAugenblicken glichen sie vorwärtsstürmen-den feurigen Schemen.

Den ersten Hamamesch schlug Arlo mitdem Kolben seiner Waffe nieder, den näch-sten fällte eine Paralysatorladung aus einerDistanz von nur wenigen Metern.

Arlo Rutan stand jetzt mitten auf der Ga-lerie, ein Hüne im Vergleich zu den Hama-mesch, eine furchterregende, muskelbepack-te Gestalt. Aufreizend langsam drehte ersich im Kreis; jeder seiner Schüsse fegteeinen Soldaten von den Beinen.

Mit allen Anzeichen panischen Entsetzensflohen die letzten Gegner, als sie endlich er-kannten, daß sie ihm nichts anhaben konn-ten. Mit weit ausgreifenden Sprüngen folgteihnen der an höhere Schwerkraftverhältnissegewöhnte Ertruser. Er holte auf und rammtezwei Soldaten im Vorüberhasten die Faust indie Seite. Die Hamamesch überschlugensich in vollem Lauf und blieben bewußtloszurück.

Der letzte ahnte wohl das Unheil. Jeden-falls wirbelte er herum und feuerte seinenThermostrahler aus einer Distanz von weni-ger als zehn Metern ab.

Arlo Rutan stoppte ebenso plötzlich.Dröhnend begann er zu lachen und streckte

auffordernd eine Hand aus, als er auf denHamamesch zuging.

Das Fischgesicht verzerrte sich zur Gri-masse. Schritt für Schritt wich der Kerl zu-rück, blubberte unverständliche Laute. Erfeuerte immer noch und schien nicht zu be-greifen, daß er dem grobschlächtigen Riesennichts anhaben konnte.

»Laß die Spielerei!« Der Außenlautspre-cher des SERUNS sagte die Worte in Ham-sch. »Ich will nur mit dir reden.«

»Spielerei?« Der Hamamesch riß dieWaffe hoch und feuerte auf Rutans Kopf.Aber wieder verpuffte die tödliche Thermo-energie einfach.

»Was seid ihr Galaktiker? Tiefseekreatu-ren?« Endlich registrierte er, daß er nichtmehr zurückweichen konnte. Eine Balustra-de versperrte ihm den Weg.

Arlo Rutan hatte genug von dem Spiel.Mit einer Hand entriß er dem Soldaten dieWaffe und schleuderte sie achtlos hintersich.

»Du wirst uns führen, Freundchen, nurkeine Dummheiten!«

Endlich beruhigte sich der Hamamesch.Er bemerkte wohl, daß er nicht geschupptwerden sollte.

»Was … habt ihr vor?« brachte er abge-hackt über die Lippen.

»Nichts Besonderes«, sagte Arlo Rutan,»nur ein nettes Pläuschchen mit den Han-delsfürsten und den Maschtaren in angeneh-mer Atmosphäre. Du führst uns auf demkürzesten Weg zu ihnen – aber keineDummheiten.«

Minuten später kam über Funk die Mittei-lung, daß Icho Tolots HALUTA kurz vorder Landung auf Staama stand. Der Haluterhatte mit knappen Worten gemeldet, daß ervon mehreren Regenbogenschiffen angegrif-fen worden war, nachdem diese den Ab-wehrgürtel der Rebellen durchbrochen hat-ten.

»Die Fermyyd verzichten auf eine Lan-dung auf Borrengold«, waren die letztenWorte gewesen.

»Das hat Tolot gesagt?« fragte Arlo Rutan

28 Hubert Haensel

Page 29: Entscheidung auf Borrengold

nach.»Exakt so«, bestätigte der Funker im

Shift.Damit war klar, daß die Regenbogenschif-

fe, die es gewagt hatten, sich der HALUTAin den Weg zu stellen, nur noch als Wracksdurch den Weltraum trieben.

7.

Die HALUTA landete nur wenige Kilo-meter östlich des Oktogons; Icho Tolot kamohne Umschweife zur Sache.

Einige Nicht-Hamamesch, die aus ver-meintlich sicherer Distanz das anthrazitfar-bene Raumschiff beobachteten, würden dasgebotene Schauspiel ihr Leben lang nichtmehr vergessen. Das schwarzhäutige Wesenblickte kurz zum Oktogon hinüber, ein wah-rer Koloß, nahezu doppelt so groß wie einHamamesch und in den Schultern so breitwie ein Fermyyd lang. Das ließ schon seineGefährlichkeit ahnen. Der halbkugelförmigeKopf war gänzlich anders als bei den Galak-tikern, auch verfügten diese nur über einArmpaar, während das monströse Geschöpfein zweites, in Brusthöhe angesetztes Arm-paar aufwies.

Manchem Beobachter stockte der Atem,als das Wesen sich auf das kürzere Armpaarniederließ und mit atemberaubender Ge-schwindigkeit losraste. Aus der Entfernungzwischen dem anthrazitfarbenen Schiff unddem Oktogon sowie der Zeitspanne von nurwenigen Inx, die der Koloß für die Distanzbenötigte, berechneten besonders Schlaueeine Geschwindigkeit von ungefähr 120Stundenkilometern.

Noch mehr fröstelten sie, als dieses We-sen ungebremst die Stahlwandung durch-brach. Nie in ihrem Leben hatten sie vonHalutern gehört, sie hatten keine Ahnung,daß diese Geschöpfe aus Fleisch und Blutihr Zellsystem bewußt umwandeln konnten,daß der atomare Aufbau in seiner Härte undWiderstandskraft dann einem massiven Ter-konitstahlblock entsprach – aber sie begrif-fen, daß ein solches Wesen wohl unangreif-

bar sein mußte.Bewiesen die Galaktiker allein schon ho-

he waffentechnische Überlegenheit, so hat-ten die Fürsten einem Angreifer wie demschwarzhäutigen Koloß überhaupt nichtsmehr entgegenzusetzen. Und warum hattendie Maschtaren eine solche Entwicklungüberhaupt zugelassen? Ketzerische Gedan-ken wurden in diesen Rou geboren, aberauch ebenso schnell wieder verbannt. DerMief von Jahrhunderten unterdrückte immernoch ernsthafte Zweifel.

Von solchen Überlegungen frustrierterStelzmakalies, Snucmors und sogar einigerPatruskee ahnte Icho Tolot nichts. Er hattesich noch nie von Stahlwänden aufhaltenlassen, und während das Ordinärhirn sofortnach dem Durchbruch die Beweglichkeitseines Körpers wiederherstellte, befaßte sichdas Planhirn mit seinem weiteren Vordrin-gen.

Eine Strecke der Verwüstung lag hinterihm, verbogene Stahlträger, aus den Veran-kerungen gerissene, zerborstene Wandplat-ten und bis zur Unkenntlichkeit deformierteTürelemente. Mit einer unwilligen Rundum-bewegung befreite Tolot sich von dem lästi-gen Schrott.

Im äußeren Bereich des Oktogons lagendie Unterkünfte. Coram-Tills Angaben be-wahrheiteten sich zumindest in der Hinsicht.

Energetische Sperren konnten den Haluternicht aufhalten. Mit blanken Fäusten fetzteer die Projektoren aus den Wänden heraus,während zuckende Flammen über seinenSchutzanzug leckten.

Eigentlich hätten die Energien ihn ver-brennen müssen. Der Meinung waren jeden-falls die Hamamesch, die – scheinbar zuSalzsäulen erstarrt – in geringer Entfernungstanden. Panik und Entsetzen mischten sichin ihren Gesichtern, aber Tolot achtete nichtauf solche Nuancen. Sein dröhnendes Ge-lächter schreckte die Soldaten aus ihrer Star-re auf. Sie feuerten auf ihn – aber sie begrif-fen erst, daß auch ihre Strahler ihm nichtsanhaben konnten, als Tolot sich zu vollerGröße aufrichtete. Sein Schädel mit den rot-

Entscheidung auf Borrengold 29

Page 30: Entscheidung auf Borrengold

glühenden Augen streifte fast die Decke.Mit einer beiläufig anmutenden Bewe-

gung drückte der Haluter die Gangwand zuseiner Linken ein. Immer noch ignorierte erdie Hamamesch, die offen Front gegen ihnmachten. Ein Explosivkörper detonierte vorseinen Füßen und verwandelte den Boden ineine glutflüssige Lache.

Tolot stapfte achtlos hindurch, ein Regenzähen Metalls verspritzte nach allen Seiten.

Fünfzehn Meter trennten die Soldatennoch von dem vierarmigen Ungetüm, als sieauf die Decke zu feuern begannen. Bersten-de Leuchtplatten überschütteten den Korri-dor mit einem Splitterregen, dann krachtendie ersten Verkleidungen herab. Die Luftwurde unerträglich heiß. Angesichts des un-aufhaltsam näherkommenden Kolossesmußten die Hamamesch dem Wahnsinn na-he sein. Tolot sah ihre Fischmäuler weit auf-gerissen, aber das Fauchen der Waffen über-tönte jeden noch so lauten Schrei.

Auf mehrere Meter Länge brach dieDecke herab, glühendheiße Platten, die sichwährend des Aufpralls verformten und in-einander verkeilt ein schier unüberwindbaresHindernis bildeten. Zumindest solange sietödliche Hitze ausstrahlten.

Die ersten Thermostrahlen erloschen. Mitzitternden Fingern setzten die Soldaten neueMagazine ein. Sie zogen sich zurück, weildie Hitze ihre Schutzanzüge angriff, starrtenaber immer noch fassungslos auf den unbe-greiflichen Gegner, der rotglühenden Stahlmit Händen aufbog. Selbst Roboter hättendieses Chaos nicht unbeschadet überstanden.

Tolot räumte die Trümmer beiseite. Einenschenkeldicken Träger, der sich in Kopfhöheverkeilt hatte, riß er nach mehreren Versu-chen auseinander.

Der Anblick war selbst dem hartgesotten-sten Hamamesch zuviel. Während die einenzitternd zu schießen begannen, wandten dieanderen sich in heilloser Panik zur Flucht.Sie kamen nicht weit. Zum einen, weil siesich gegenseitig behinderten, zum anderen,weil Tolot ebenfalls zu laufen begann.

Höchstens drei Minuten waren seit dem

Eindringen des Haluters in diesen Sektorvergangen, als der letzte Soldat stürzte.

Icho Tolot stürmte weiter. Ernsthafter Wi-derstand stellte sich ihm nicht mehr entge-gen, viele Soldaten warfen bei seinem An-blick die Waffen weg und flohen. Sein dröh-nendes Gelächter brachte manchen fast umden Verstand.

Verweichlichte, mit farbenfrohen Gewän-dern gekleidete Höflinge begannen angst-schlotternd zu kreischen, als er in eine klei-nere Halle einbrach. Wie Papier zerfetztenseine Fäuste den dünnen, mit schweremBrokat beklebten Stahl.

Ein Gestalt gewordener Alptraum, so ver-harrte Tolot kurz und nahm begierig alleneuen Eindrücke in sich auf. Die schwerenTeppiche; Möbel, die wie poliertes Perlmuttglänzten und offenbar wirklich aus mächti-gen Muschelschalen gefertigt worden waren;ein Prunkbett, in dem eine halbe KompaniePlatz gefunden hätte – all das verriet einefürstliche Unterkunft.

Tumultartige Szenen spielten sich ab. Ei-ne einzige Tür im Hintergrund des Raumesstand den Höflingen als Fluchtweg zur Ver-fügung, aber sie war nicht breit genug, Dut-zende Hamamesch gleichzeitig hindurchzu-lassen. Sie behinderten sich nicht nur gegen-seitig, sie schlugen mit Fäusten und Ellenbo-gen aufeinander ein, jeder darauf bedacht,nur die eigene Haut zu retten.

»Soldaten, hierher!« kreischte eine sichüberschlagende Stimme.

Tolot räusperte sich dezent, aber immernoch ohrenbetäubend laut. Es wurde still,beinahe totenstill. Nur eine dünne Stimme inder entferntesten Ecke war noch zu verneh-men.

»Soldaten!« wimmerte sie. »Befreit michvon dieser Bestie!«

Tolots Geste war unmißverständlich.Wortlos scheuchte er die angstschlotterndeMeute zur Seite.

»Solda …« Die Stimme brach krächzendab. Der Hamamesch, der halb in der Eckekauerte, sich mit einer Hand abstützend unddie andere hinter dem Rücken verborgen,

30 Hubert Haensel

Page 31: Entscheidung auf Borrengold

hatte endlich bemerkt, daß der Eindringlingauf ihn aufmerksam geworden war.

Er war nicht groß, kaum 1,60 Meter, aberer trug die kostbarste Robe von allen, einenweit fallenden, perlenbestickten Umhang,dazu eine blaugrüne Pluderhose.

»Du bist von Feiglingen umgeben, Fürst«,wisperte der Haluter. »Auch deine Soldatenwerden dir nicht beistehen.«

Das Gerangel vor der Tür begann sichendlich aufzulösen. Tolot entging es keines-wegs, daß die Zahl der Männer und Frauenrasch abnahm. Auch der Fürst bemerkte es.

»Wer mich im Stich läßt, der ist für alleZeit gestorben«, keuchte er.

»Niemand hört noch auf dich, Hamame-sch«, betonte Icho Tolot. »Deine Zeit istvorbei.«

»Fürst!« Die Stimme bebte, obwohl ersich inzwischen klargeworden sein mußte,daß der vierarmige Riese nicht die Absichthatte, ihn zu töten. »Fürst Martosch vonGrencheck.«

»Das warst du die längste Zeit – jetzt bistdu nur noch Gefangener der Galaktiker.«

Die Hand, die Martosch hinter demRücken verborgen hatte, ruckte nach vorne.Er hielt eine kleine Waffe umklammert, unddiese Waffe spie mit hellem Klacken einDutzend fingerlanger Nadeln. Keine davonkonnte die Haut des Haluters auch nur rit-zen, sie zersplitterten wie Glas und ver-spritzten dabei eine klare Flüssigkeit.

Eine Hamamesch-Frau, die von einemBruchstück im Gesicht geritzt wurde, tau-melte. Innerhalb von Sekunden brach sie zu-sammen. Sie war tot, ehe sie den Boden be-rührte.

Martosch von Grencheck sackte entsetztin sich zusammen. Daß der Vierarmige demtödlichen Gift widerstand, war unmöglich;die Tiefsee von Kyschnoch barg dastückischste Gift von ganz Hirdobaan.

Zitternd ließ Martosch es zu, daß der Ko-loß ihm die Waffe abnahm und sie zwischenzwei Fingern zerquetschte. In dem Momentbegann er sich damit abzufinden, daß erwirklich zum Gefangenen der Galaktiker ge-

worden war.

*

Die Handelsreiche von Perm und Buragargrenzten aneinander, und nicht zuletzt dasdürfte der Grund gewesen sein, weshalb dermumienhaft wirkende Adebis von Perm Für-stin Rani den Vorschlag unterbreitet hatte,gemeinsam den Widerstand gegen die Ga-laktiker zu organisieren. Dabei hatte erzweifellos sein eigenes Wohl im Auge ge-habt. Rani von Buragars Streitmacht warentsprechend der wirtschaftlichen Bedeu-tung ihres Oktanten wohl am schlagkräftig-sten.

Die eindringenden Galaktiker erst inner-halb der Parkzone abzufangen, wäre Wahn-sinn gewesen. Selbst Adebis, trotz seiner 43Jahre alt und ausgemergelt wirkend, plädier-te dafür, die Angreifer schon in der Periphe-rie abzufangen. Die unüberschaubarenRäumlichkeiten boten den Verteidigern vieleVorteile.

Die Soldaten schlugen sich wacker. Seitean Seite gegen einen gemeinsamen Feind zukämpfen, war ein eigenartiges Gefühl. Aufgewisse Weise verwirklichte sich so ein Zieldieses Zuges der Herrscher. Rani von Bura-gar fragte sich indes, ob es nicht zu spät warfür eine Allianz aller Oktanten. Schon beimersten Auftreten der Fremden hätten die Für-sten zusammenstehen müssen, aber zu demZeitpunkt hatte jeder noch seine eigenenVorteile im Blick gehabt, eine Denkweise,die so alt war wie das Handelssystem in Hir-dobaan.

Wenn die Informationen aus allen Berei-chen des Oktogons stimmten, griffen dieGalaktiker mit nicht mehr als 800 Mann an.Eine kleine Truppe, gemessen an der Zahlder versammelten Hamamesch. Selbst wennsie die Diplomaten und kampfunerfahrenenVertreter der Handelshäuser unberücksich-tigt ließ, überwogen die Gardesoldaten dieAngreifer immer noch um ein Mehrfaches.

Die Galaktiker hatten die anderen Berei-che des Oktogons eher angegriffen als bei

Entscheidung auf Borrengold 31

Page 32: Entscheidung auf Borrengold

den Unterkünften von Perm und Buragar.Die Zeit bis zu ihrem Eindringen hatte aus-gereicht, eine erste Verteidigungslinie vorden Antigravschächten aufzubauen. FünfzigMeter weiter nach innen, für den Fall, daßwider Erwarten Galaktiker durchbrechenwürden, wartete eine zweite Front.

Wider Erwarten? Rani von Buragar fragtesich, was sie wirklich noch erwartete, nach-dem Angreifer das geheime Schirmfeld derMaschtaren über dem Kontinent und die Ab-wehrgeschütze lahmgelegt hatten. Kämpftendie Handelsfürsten nicht längst auf verlore-nem Posten?

Die Galaktiker waren eine Plage ungeahn-ten Ausmaßes, weit gefährlicher als die Seu-che, die vor rund 200 Jahren von einer Han-delskarawane des Perm-Oktanten aus einerfremden Galaxis eingeschleppt worden war.

Eigentlich galt es nur noch Zeit zu gewin-nen – bis zum Eingreifen der Maschtaren.

Wie lange hatte sie eigentlich keinenMaschtar mehr gesehen?

Sie sind ins Oktodrom zurückgekehrt, umGomasch Endredde zu befragen, schoß esder Fürstin durch den Sinn. Gomasch End-redde wird die Galaktiker vernichten odersie zu sich holen, bevor es zum Schlimmstenkommt.

Ihre Hoffnung schwand, je näher derKampflärm kam. Obwohl viele Gardesolda-ten tapfer aushielten, drangen die Galaktikerunaufhaltsam voran. Eine Zeitlang versiegteder Nachrichtenfluß, dann tröpfelte er wie-der spärlich.

Was Rani zu hören bekam, war er-schreckend und deprimierend zugleich. DieAngreifer waren unverwundbar. Sogar kon-zentriertes Feuer aus Thermostrahlern über-standen sie scheinbar unversehrt. Nur dieleider in zu geringer Zahl vorhandenen ener-getischen Sperren konnten sie vorüberge-hend aufhalten.

»Was sollen wir tun? Was können wirnoch tun?« wandte Rani sich an ihre sydorri-schen Begleiter.

Clossan senkte die Augenlider, deutlichesEingeständnis seiner Hilflosigkeit. Die Für-

stin konnte es ihm nicht einmal verübeln.»Wir haben nicht genügend Waffen«, be-

merkte Mylass.»Fragt die Angreifer nach den Gründen

für ihr Handeln«, wandte Fenerod ein.»Gomasch Endredde wird uns beistehen«,

versicherte Clossan. »In der größten Notwird er ein Zeichen setzen.«

All ihre Zweifel, ihre Furcht und die Un-sicherheit, die sie zum ersten Mal in ihremLeben verspürte, drängten sich wieder inden Vordergrund. Rani von Buragar raffteihren Schmuck zusammen und reichte denBeratern die Schatullen.

»Wir räumen die Gemächer, bevor es zuspät ist«, sagte sie.

»Du sprichst, als hätten wir den Kampfschon verloren«, bemerkte Clossan, »aberzugleich sorgst du dich um deinen Reich-tum. Glaubst du, dich freikaufen zu kön-nen?«

Seine Worte klangen scharf, schärfer, alsje ein Sydorrier in ihrem Beisein geredethatte. Rani schrieb den ungewohnten Tonder ebenso ungewohnten Situation zu. Aufgewisse Weise beruhigte es sie sogar, daßselbst die besonnenen Sydorrier Gefühlsre-gungen zeigten. Beinahe hätte sie DeligasMorde an Karon von Omgenoch und Zirrinvergessen. Kein Hamamesch hätte sich einesolche Handlungsweise einer Sydorrierin jevorstellen können.

Schroffer als beabsichtigt antwortete sie:»Wir werden im Oktodrom Zuflucht finden.Halt uns nicht auf.«

Sie wurde nicht schlau aus den Galakti-kern. Einerseits hatte sie, unter unangeneh-men Umständen, Männer wie Harror undNyman kennengelernt, die wohl ihr Lebengegeben hätten, um an Imprint-Waren zu ge-langen, andererseits hatten Galaktiker zu-gunsten von Hamamesch eingegriffen undihre eigenen Leute bekämpft.

Adebis von Perm wartete mit einigenHöflingen am Rand der Parkzone auf sie. Erwirkte nicht mehr ganz so eingefallen wieeine knappe Tix vorher, aber Rani wußte,daß sein Zustand sich aus unerklärlichen

32 Hubert Haensel

Page 33: Entscheidung auf Borrengold

Gründen oft veränderte. Es gab Zeiten, indenen Adebis völlig gesund zu sein schien.

»Schade um das schöne Fest«, murmelteer betroffen. »Ich hatte große Hoffnungen.«

»Wir werden das Versäumte nachholen«,versprach die Fürstin.

Adebis blickte sie ungläubig an. Die Mus-keln in seinem Gesicht zuckten heftig. Dannwandte er den Kopf, blickte suchend in dieRunde.

Auch Rani hatte den schwachen Luft-hauch gespürt, ihn aber ignoriert. Erst Ade-bis' Reaktion ließ sie aufmerken.

Fünf Schritte entfernt bogen sich die Ästeeines blühenden Strauches – und schnelltenin die Ausgangslage zurück. Im selben Au-genblick, wie aus dem Nichts erschienen,standen zwei Galaktiker vor ihnen.

»Esker Harror?« stieß die Fürstin irritierthervor, biß sich aber sofort auf die Zunge.Das waren nicht die beiden Galaktiker, de-ren Geisel sie gewesen war, sie trugen nurähnliche Anzüge.

»Oh«, sagte einer von ihnen. Rani inter-pretierte den Laut als Ausdruck von Überra-schung, war sich aber nicht klar, ob des Na-mens wegen oder weil einer von Adebis' Be-gleitern die Waffe hochriß.

Der Galaktiker schoß schneller. Lautlosbrach Adebis' Mann zusammen.

»Er ist nicht tot, nur für eine Zeitlang ge-lähmt. Ich bin Julian Tifflor, und wenn ichmich nicht irre, habe ich das Vergnügen mitmindestens einem Handelsfürsten.«

Sie verstanden es, sich unsichtbar zu ma-chen. Und sie besaßen eine provozierendeHöflichkeit.

»Mein Name ist Rani von Buragar«, sagtedie Fürstin. Was hätte sie sonst tun sollen?Sie wußte, wann Widerstand zwecklos war.

»Auch an einem Adebis von Perm gehtniemand achtlos vorbei«, murrte ihr Nach-bar.

Der Galaktiker sagte etwas; es klang wie»zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«.Aber keiner verstand, was er damit meinte.

*

Seit dem Aufbruch von der ResidenzweltClorech vermißte der elfjährige Clarven vonAmmach sein Shourachar, in dem er dieWirklichkeit nach seinem Wunsch formenkonnte. Das Treffen mit den anderen Fürstenhatte ihm Magengrimmen verursacht. Weilihm von Anfang an nicht klargewesen war,worüber er mit ihnen hätte reden sollen. Sieverstanden nichts von Shourachar.

Die Galaktiker griffen das Oktogon an.Clarven verspürte deshalb keine Furcht.Vielmehr amüsierte ihn die Hektik der ande-ren Fürsten und ihrer Berater, und daß dieGardesoldaten in den Außenbezirken Stel-lung bezogen hatten, war eine Abwechslung.

»Du begreifst den Ernst der Lage nicht.«Je mehr Halena Diza auf ihn einredete, destomehr sperrte er sich. Diza mochte schimp-fen, soviel sie wollte, er war überzeugt da-von, daß die Galaktiker ihm nichts tun wür-den.

Seit langem träumte er fast jede Nachtvon Perry Rhodan und Mike. Mit ihnen hatteer reden können, sie hatten mit ihm gemein-sam die Hauben aufgesetzt und Schingo inShourachar besucht. Und vor allem: Sie wa-ren davon beeindruckt gewesen. Deshalbhatte er Shourachar inzwischen modifiziert.

Clarven drückte die Puppe aus Pflanzen-fasern an sich, das einzige Andenken an sei-ne Mutter. Halenas vorwurfsvollen Blickignorierte er. Tief in seinem Innern haßte erdie Kanzlerin, die ihm seit der Begegnungmit Perry Rhodan noch fremder gewordenwar.

Rhodan hatte ihm neue Ideen für Shou-rachar versprochen – daran dachte Clarven,als der Kampflärm lauter wurde. Sie warennicht schlecht, die Fremden, sie waren nur –anders.

»Hörst du nicht, du kleines Scheusal?«keuchte die Kanzlerin, und ihre Finger krall-ten sich in seine Schulter. »Deinetwegenwerde ich nicht vor den Angreifern kapitu-lieren.«

»Dann geh doch!« stieß er hervor. »Laßmich allein.« Sie tat ihm weh. Beinahe hätteer vor Schmerz geschrien, doch er biß sich

Entscheidung auf Borrengold 33

Page 34: Entscheidung auf Borrengold

auf die Unterlippe und kämpfte gegen dieTränen an.

»Das Spiel hat dich verwirrt. Kommjetzt!«

Halena zerrte ihn mit sich, fort aus demBereich der Unterkünfte. Gekämpft wurdeinzwischen auf allen Ebenen und schon sehrnahe. Es gehörte keine große Phantasie zuder Vorstellung, daß die Gardesoldaten denGalaktikern unterliegen würden.

Shourachar muß modifiziert werden,schoß es Clarven durch den Sinn.

Halena nahm keine Rücksicht darauf, daßer noch ein Kind war. Ein Hustenanfall ließihn taumeln, er stolperte über die eigenenBeine und wäre beinahe gestürzt.

Die Kanzlerin zerrte ihn hoch. Alles ande-re als sanft, sie hätte ihm fast den Arm aus-gekugelt.

»Reiß dich zusammen!« herrschte sie ihnan.

Sie hat Angst, stellte Clarven nicht ohneSchadenfreude fest. Und genau das hatte erihr voraus. Er fürchtete die Galaktiker nicht.

Eine Wand glühte auf, zerplatzte in Ge-dankenschnelle und spie die ersten Angrei-fer aus. Sie waren größer als jeder Hamame-sch, größer sogar als Crypers, und unwahr-scheinlich massig gebaut.

Strahlschüsse zuckten durch die Parkland-schaft, über die Köpfe der Hamamesch hin-weg. Ringsum herrschte nur noch Chaos, derfliehende Hofstaat stieß und trampelte sichgegenseitig nieder. Die Realität endete stetsim Chaos, nur in der virtuellen Wirklichkeitdes Spiels gab es bessere Lösungen …

Clarven von Ammach fühlte sich brutal indie Höhe gerissen. Halena zerrte ihn an sich,und ihre Stimme dröhnte neben ihm.

»Das ist Fürst Clarven!« schleuderte sieden Galaktikern entgegen. »Bleibt zurück,oder ich töte ihn. Ich verlange freien Ab-zug.«

Clarven rang nach Atem. Die Kanzlerinzerrte ihm den Kopf in den Nacken unddrückte ihm die Luft ab. Er strampelte ledig-lich schwach mit den Beinen, war viel zuüberrascht, um Halenas Handlungsweise zu

begreifen.Aus hervorquellenden Augen bemerkte er

die Galaktiker. Einige von ihnen senkten dieWaffen.

Halena würde nicht zögern, ihn umzubrin-gen, das spürte er. Sie hatte ihn immer nurausgenutzt, hatte ihm die virtuelle Wirklich-keit des Computerspiels geschenkt, in der erwie ein Fürst handeln und fühlen konnte,aber in der Realität hatte sie alle Macht ansich gerissen.

Nur ein Spiel, durchzuckte es ihn. Das istnur ein Spiel; du mußt den Helm abnehmen,um alles zu beenden.

Er konnte es nicht.Und dann ging alles sehr schnell.Gardesoldaten schossen auf die Galakti-

ker. Die Thermostrahlen zeichneten die Um-risse körpernaher Schutzschirme nach. Ha-lenas Griff lockerte sich für einen Moment,und Clarven nutzte die Gelegenheit undstieß ihr mit aller Kraft die spitzen Ellenbo-gen in den Leib. Die Kanzlerin wollte nach-fassen, aber er wand sich halb zur Seite, sei-ne Linke zuckte hoch, und die vier Fingerkrallten sich in Halenas Kehle.

Clarven war schwach, aber er wußte, wieman kämpfte. In Shourachar hatte er viel ge-lernt.

Halena warf den Kopf zur Seite, und Clar-ven riß sich endgültig los. Er stürzte, rafftesich auf, wollte blindlings davonhetzen –doch das Fauchen eines Thermoschussesund ein gurgelnder Aufschrei ließ ihn her-umfahren.

Halena Diza hielt einen der kleinen Strah-ler in der Hand, die unauffällig unter derKleidung zu verbergen waren. Ihr linkerArm hing steif herunter, die Schulter warvon einem Streifschuß verkohlt. Mehr dennje verzerrte sich ihr Gesicht zur haßerfülltenGrimasse.

Stirb! las der junge Fürst von ihren Lip-pen ab. Die Fremden sollen dich nicht le-bend …

Ihr Daumen berührte den Auslöser. Dochden Bruchteil einer Inx eher feuerten dieAngreifer.

34 Hubert Haensel

Page 35: Entscheidung auf Borrengold

Er sank zitternd in die Knie, und er rea-gierte beinahe hysterisch, als er jäh die Handeines Galaktikers auf seiner Schulter spürte.

»Du brauchst keine Angst zu haben, jun-ger Mann«, sagte der Fremde. »Niemandwird dir ein Leid antun.«

*

Unaufhaltsam drangen die Invasoren vor.Jetzt noch anzunehmen, daß es Mittel undWege gab, sie aufzuhalten, wäre ein tödli-cher Irrtum gewesen.

Der Widerstand der Gardesoldaten war inAuflösung begriffen, ihre Koordination ließohnehin zu wünschen übrig. Gegen einenbeinahe unangreifbaren Feind konnte nie-mand bestehen.

Vereinzelte Nachrichten aus den Berei-chen der anderen Oktanten waren deprimie-rend gewesen. Im Bereich Grencheck schie-nen übernatürliche Kreaturen ihren Zornausgetobt zu haben. Sich ein Wesen vorzu-stellen, das glühenden Stahl zerfetzte, fielJeschdean von Jondoron jedenfalls ver-dammt schwer. Da klang es schon glaub-würdiger, daß ein schwarzhäutiger Riese an-geblich stählerne Wände durchbrochen hat-te.

»Diese Galaktiker sind die schlimmsteHeimsuchung seit den Olkheol-Kriegen«,fluchte einer von Jeschdeans Begleitern.

»Ich will das nicht hören!« widersprachder Fürst heftig. »Wenn du nichts anderes zusagen hast, schweig!«

Er vermißte Kamheles Nähe. Stets hatteer Kraft aus der freundschaftlichen Bezie-hung zu seiner Sklavin geschöpft, aber indem herrschenden Durcheinander nocheinen klaren Gedanken zu fassen, wurde im-mer unmöglicher.

Fürst Jeschdean war schweißgebadet, dasprachtvolle Gewand klebte ihm unangenehmauf der Haut. Keuchend stolperte er demOktodrom entgegen. Hinter ihm herrschteein unbeschreibliches Durcheinander. Ir-gendwer brüllte Befehle. Vergeblich, wie esschien.

Trotz aller Verbitterung mußte Jeschdeaneines vorbehaltlos anerkennen: Die Galakti-ker hätten Ort und Zeitpunkt ihres Überfallsnicht besser wählen können.

Die Handelsfürsten tot oder in Gefangen-schaft – ein entsetzlicher Gedanke.

Seit einigen Rou fragte Jeschdean sich,warum die Maschtaren nicht eingriffen – seiter den Entschluß gefaßt hatte, sich über ihreVerbote hinwegzusetzen. Das Oktodromwar tabu, solange die Maschtaren nicht zumBetreten aufforderten.

Aber tot zu sein war so ziemlich das Un-gesündeste, was Jeschdean sich vorstellenkonnte. Und in Gefangenschaft abzumagern,war mindestens ebenso grauenvoll.

Nur für den Zug der Herrscher wurde dasOktodrom geöffnet. Die Halle des GomaschEndredde stand dann Verhandlungsgesprä-chen und Kontakten mit den Maschtaren zurVerfügung.

Eine weitere Gruppe näherte sich demzentralen Bauwerk: Adrom Cereas von Me-reosch mit mindestens zwei Dutzend seinerSoldaten und etlichen Gefolgsleuten.

Jeschdean beschleunigte unwillkürlichseine Schritte. Doch gleichzeitig wurde ihmklar, daß sie gemeinsam bessere Chancenhatten.

»Der Widerstand bricht zusammen«,keuchte der Fürst von Mereosch. »Unsbleibt nicht mehr viel Zeit.«

Adrbm Cereas hatte recht. Schon einflüchtiger Blick zurück zeigte, daß inzwi-schen überall gekämpft wurde. Es gab keinedeutlich erkennbare Front mehr, von allenSeiten rückten die Angreifer heran oder stie-ßen wie riesige Insekten aus der Luft herab.Jeden Moment konnten sie vor dem Okto-drom erscheinen.

Es war ein eigenartiges Gefühl, ungebetenin das Reich der Maschtaren einzudringen.Jeschdean schob alle Bedenken von sich; be-sondere Umstände erforderten eben außerge-wöhnliches Verhalten.

»Der Zugang muß bewacht werden«, stießAdrom Cereas hinter ihm hervor.

Ohne den Einwand wäre er blindlings

Entscheidung auf Borrengold 35

Page 36: Entscheidung auf Borrengold

weitergestürmt. Aber das brauchte Adromnicht zu wissen. Jeschdean bestimmte zehnBewaffnete als Torwachen, sicherer fühlte ersich danach allerdings nicht. Auch nicht, alsAdrom Cereas ebenfalls einige Männer sei-nes Trupps postierte.

Dreihundert Meter durchmaß das acht-eckige Zentrum des Oktogons, das Okto-drom. Was half es, einen Zugang zu bewa-chen, wenn die Angreifer durch alle andereneindringen konnten? Ohnehin würden siesich von einigen Handvoll mutlos geworde-ner Verteidiger nicht abschrecken lassen.

Schnurgerade führte der Korridor zur Hal-le des Gomasch Endredde. Ein gleichmäßi-ges Licht, das keine Schatten warf, ent-strömte den Wänden. Bei früheren Gelegen-heiten hatte Fürst Jeschdean dieses Licht alsangenehm empfunden, diesmal achtete erkaum darauf. Seine überflüssigen Pfunde,einmal in rasche Bewegung versetzt, zogenihn unaufhaltsam vorwärts.

Die kreisrunde Halle durchmaß hundertMeter und war im Zenit ebenso hoch. DieKuppelwände dienten als Laserprojektions-flächen, schimmerten im Moment jedoch instumpfem Grau.

Zwanzig Meter vom Mittelpunkt entfernt,im Kreis angeordnet, erhoben sich acht stei-nerne Sitz- und Schreibpulte. Über integrier-te Terminals dienten sie den Fürsten dazu,Daten abzurufen und sowohl untereinanderals auch mit den Maschtaren zu kommuni-zieren.

Im Mittelpunkt erhob sich ein rundum ge-schlossenes, ebenfalls steinernes Rednerpultfür die Maschtaren. Mit einem Durchmesservon fünf Metern bot es mehreren Maschta-ren ausreichend Platz.

Jeschdean von Jondoron hatte die Masch-taren noch nie anders dieses Rednerpult be-treten sehen als durch den von unten herauf-führenden Antigravschacht.

Zwei Maschtaren, Lokkor und Grirro,hantierten an den Terminals. Überraschtblickten sie auf, als die Hamamesch in dieHalle stürmten. Ihre Gesichter drückten Ver-ärgerung, ja sogar Zorn aus.

Aber auch Jeschdean war wütend. Dar-über, daß niemand den Fürsten zu Hilfe ge-eilt war. Die Maschtaren hatten sich in dieHalle des Gomasch Endredde zurückgezo-gen und die Delegationen ihrem Schicksalüberlassen.

»Der Kampf ist für uns verloren«, platzteer heraus. »Wir hatten nie eine Chance, unddie Maschtaren …«

»Wir wissen das«, sagte Lokkor scharf.»Wir bitten um eure Hilfe«, stieß Adrom

Cereas hervor.Grirro musterte den Fürsten von Me-

reosch durchdringend. Seine Züge verhärte-ten sich, als er hinter dem Terminal auf-stand.

»Keiner hat euch aufgefordert, das Okto-drom zu betreten.«

»Aber …«»Niemand wird euch helfen!«Die Fürsten verfärbten sich. Jeschdean

schwankte sogar, er hatte plötzlich Mühe,die aufrechte Haltung zu bewahren. Das Ge-fühl, in einen sich jäh öffnenden Abgrund zustürzen, wurde übermächtig.

»Aber die anderen Maschtaren sind auf-gebrochen, für uns zu kämpfen«, verlieh erseiner letzten Hoffnung Ausdruck.

»Sie befinden sich längst in Sicherheit«,widersprach Lokkor eisig. »Grirro und ichfolgen ihnen jetzt. Wir haben erkannt, daßder Kampf verloren ist.«

»Dann bringt ihr uns ebenfalls in Sicher-heit?« Mit bebender Stimme verlieh AdromCereas seiner Hoffnung Ausdruck.

Grirro drehte den Kopf zur Seite, ließ sei-nen Blick über die aus dem Korridor nach-drängenden Höflinge und Soldaten schwei-fen.

»Der Pöbel muß für sich selbst sorgen«,stellte er fest. »Das gilt auch für euch.«

»Wir sind die Fürsten!« begehrte Jeschde-an auf. »Als Herrscher unserer Oktanten ha-ben wir stets nach eurem Wunsch regiert.«

»Du bist ein Nichts, Jeschdean von Jon-doron. Genauso klein und unbedeutend wieAdrom Cereas von Mereosch und alle ande-ren. Glaubt ihr in eurer Verblendung wirk-

36 Hubert Haensel

Page 37: Entscheidung auf Borrengold

lich, daß ihr ohne uns wichtiger wäret alsdas Gesindel an eurer Seite? Wir erwartenvon euch, daß ihr eher in den Tod geht, alsdie Sicherheit auch nur eines Maschtars zugefährden.«

Das war deutlich. Jedes Wort grub sich inJeschdeans Seele ein wie die Giftstachelndes Todesigels in das Fleisch eines unvor-sichtigen Riffschwimmers. Waren die Han-delsfürsten denn wirklich nie mehr gewesenals Marionetten der Maschtaren?

Wir erwarten von euch … hallte es in sei-nem Schädel nach. Wir erwarten …

Die Erkenntnis, daß sein eigenes Lebenplötzlich nichts mehr wert war, traf Jeschde-an wie ein Blitz aus heiterem Himmel. EineWelt brach für ihn zusammen. Wie durcheinen dichten Schleier hindurch nahm erwahr, daß er sich umwandte und einem derhinter ihm erstarrten Soldaten die Waffe ent-riß.

Ein böser Traum …Nie hätte er zu denken gewagt, daß er ein-

mal auf einen Maschtar zielen würde. – Erschaffte es nicht, den Auslöser zu drücken.

Schieß! hämmerte es in ihm. Sie habenHirdobaan an die Fremden verraten.

Er zögerte zu lange.Und dann waren Grirro und Lokkor in

dem Antigravschacht verschwunden, dessenEndpunkt niemand kannte.

Eine heftige Explosion erschütterte dieHalle des Gomasch Endredde. Das Redner-pult zerbarst in einer grellen Stichflamme.Wie durch ein Wunder blieben die Handels-fürsten unversehrt, aber andere Männer undFrauen aus ihrem Gefolge wälzten sich ver-wundet am Boden.

Das war kein Traum mehr. Auch nicht dieGalaktiker, die wenig später die Halle desGomasch Endredde stürmten.

Sie fanden einen Haufen verstörter Hama-mesch vor, denen offensichtlich alles egalwar. Und einen fettleibigen Fürsten, der dieWaffe gegen sich selbst richtete, aber nichteinmal mehr die Kraft besaß, abzudrücken.

8.

7. Oktober, 17:35 Uhr Standardzeit.Während Julian Tifflor an dem syntheti-

schen Whisky nur nippte, stürzte Arlo Rutangleich den ganzen Drink hinunter. Mit demHandrücken wischte er sich über die Lippenund gab Michael Rhodan durch ein Kopf-schütteln zu verstehen, daß er nicht nachge-schenkt haben wollte.

»Im großen und ganzen können wir mitdem Ablauf des Landungsunternehmens zu-frieden sein«, stellte er fest. »Ganz zufriedenwäre übertrieben.«

»Zumindest haben wir keine Verluste zubeklagen. Nach Lage der Dinge heute mor-gen war das nicht anzunehmen.«

»Fünf Verletzte wurden in die Medostati-on der PERSEUS gebracht«, sagte Tifflor.

Mike nickte knapp. Leicht vorgebeugt saßer in seinem Sessel.

»Es hat auf Seiten der Hamamesch meh-rere Tote gegeben. Sie werden uns vorwer-fen, als Eroberer gekommen zu sein.«

»Andersherum wird ein Schuh daraus«,grollte der Ertruser. »Hätten die Hamameschmit ihren verfluchten Waren nicht MillionenGalaktiker zu Süchtigen gemacht und nachHirdobaan gelockt, wir wären glatt an dieserKleingalaxis vorbeigeflogen.«

»So einfach dürfen wir es uns nicht ma-chen.« Arlo Rutan schloß seine Finger umdas Whiskyglas und drückte zu. Ein dump-fes Knacken war zu vernehmen, dann riesel-ten Kunststoff Splitter auf den Tisch.»Skrupel, Mike, sind naturwissenschaftlichgesehen ein Schutzmechanismus der Evolu-tion, und aus ethischer Sicht sind sie unab-dingbar. Ich weiß, daß du es nicht hörenwillst, aber ich erinnere dich trotzdem an einWort aus der altterranischen Geschichte …«

»Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Micha-el Rhodan seufzte ergeben. »Barbaren han-deln so, nicht zivilisierte Intelligenzen.«

»Frag Atlan, was wir in seinen Augensind.« Rutan grinste breit.

»Barbaren«, vollendete Tifflor. »Mitunterhege ich den Verdacht, Atlan könnte gewis-se Ertruser damit gemeint haben.«

Das Grinsen um Rutans Mundwinkel ge-

Entscheidung auf Borrengold 37

Page 38: Entscheidung auf Borrengold

fror. »Ich halte nur nicht gerne auch die an-dere Wange hin, wenn ich geschlagen wur-de«, entschuldigte er sich.

Sie saßen in einer der Nebenzentralen derMONTEGO BAY, die in unmittelbarer Nä-he des Oktogons gelandet war. Zugleich wa-ren allerdings acht der zehn Korvetten desLandungskommandos wieder gestartet, umeinen Entlastungsangriff für die Rebellen imBereich des dritten Planeten zu fliegen.Während auf Borrengold Ruhe eingekehrtwar, tobte die Raumschlacht heftig.

»Mir tut weh, was im Weltraum ge-schieht«, bemerkte Michael Rhodan. »DieVerluste sind auf beiden Seiten hoch. Abervielleicht lassen die Fermyyd sich zu einemWaffenstillstand zwingen. Acht Handelsfür-sten sind ein gutes Faustpfand.«

»Sieben«, berichtigte Julian Tifflor.Mike blickte ihn überrascht an.»Du weißt es bisher nicht, aber Karon von

Omgenoch ist tot. Wir haben seinen Leich-nam und den seiner Kanzlerin vorerst kon-serviert.«

»Unsere Leute?« fragte Rhodan schnell.»Beide waren schon vorher tot. Mögli-

cherweise aufgrund von Rivalitäten, der Für-sten untereinander. Mehr wissen wir nochnicht.«

Mike ließ eine Hyperkomverbindung zuden Fermyyd aufbauen. Geraume Zeit ver-ging, bis sich endlich das Abbild des Kom-mandeurs stabilisierte, aber er kam ohneUmschweife zur Sache.

»Zieht eure Schiffe zurück, Galaktiker,dann nehme ich die Kapitulation an.«

»Du unterliegst einem folgenschwerenIrrtum, Ron-Er-Kan. Nicht wir kapitulieren,sondern du wirst uns einen Waffenstillstandanbieten.«

Die funkelnden Raubtieraugen verengtensich jäh. Der Fermyyd duckte sich sprungbe-reit, und das Spiel der Muskeln unter dembläulich schimmernden Fell verriet ungeahn-te Kraft und Geschmeidigkeit. Zu sehen waraußerdem, daß sein kräftiger Schwanz heftighin und her peitschte.

»Falls es deiner Aufmerksamkeit entgan-

gen sein sollte, Ron-Er-Kan: Unsere Trup-pen haben das Oktogon erobert. Dir dürftedaran gelegen sein, daß den Handelsfürstennichts geschieht. Noch leben sie.«

»Du willst mir drohen, Galaktiker?«»Ich schlage einen Handel vor, Ron-

Er-Kan. Aber falls du nicht darauf eingehenwillst, die Hamamesch an Bord der Resi-denzschiffe dürften in der Hinsicht ganz an-derer Meinung sein.«

Vorübergehend verwischte die Bildüber-tragung. Es war offensichtlich, daß derFerm-Kommandant sich erst rückversicher-te. Zweifellos setzte er alle Hebel in Bewe-gung, um herauszufinden, was auf Borren-gold geschehen war.

Nach endlos langen Minuten stabilisiertesich die Übertragung wieder.

»Ich stelle Gegenforderungen, Galakti-ker.«

»Laß hören!« Nicht ein Muskel zuckte inMikes Gesicht. Er ahnte, daß der Fermyydjede seiner Regungen analysieren ließ; erhätte nicht anders reagiert.

»Ich spreche für meine Flotte und für alleHamamesch«, begann Ron-Er-Kan. »Wir er-klären uns zu einem vorübergehenden Waf-fenstillstand und zu Verhandlungen bereit.Voraussetzung ist die sofortige Freilassungder Handelsfürsten und die Bestrafung derCrypers. Es wird Zeit, daß ihren Überfällenein Ende gemacht wird.«

»Du verkennst deine Situation, Ron-Er-Kan. Wenn ich es richtig sehe, befindestdu dich in der Position eines Bittstellers. Ichglaube nicht, daß man dir in Hirdobaan denTod der Fürsten jemals verzeihen würde.«

»Das wagst du nicht.« In einer überausheftigen Reaktion stieß der Ferm-Kommandant auf die Optik zu. Sekunden-lang waren nur sein mächtiges Gebiß unddie nach oben ragenden Hauer zu sehen.

»Ich mache dir einen Gegenvorschlag«,sagte Michael Rhodan. »Das Leben derHandelsfürsten gegen die Freilassung allerGalaktiker aus dem Zentrum von Hirdobaan.Das ist keineswegs zuviel verlangt.«

»Das ist unmöglich.«

38 Hubert Haensel

Page 39: Entscheidung auf Borrengold

»Deine Sache, Fermyyd. Wir vermissennur ungefähr dreißig Millionen ehemaligeImprint-Süchtige. Wenn unsere Bordrechnernicht lügen, dürfte von deiner stolzen Flottegerade noch die Hälfte aller Schiffe manö-vrierfähig sein. Spätestens morgen wird eskeine Verteidiger im Riffta-System mehr ge-ben.«

Ron-Er-Kans Lefzen bebten. Schaumstand vor seinen Mundwinkeln, die Schnurr-haare spreizten sich borstig ab. Verglichenmit ihm war ein schwarzer Panther wahr-scheinlich ein Schmusekätzchen.

»Die Waffen werden schweigen«, fauchteer endlich. »Aber über deine Forderungkann nur Gomasch Endredde entscheiden.«

*

7. Oktober, 18:07 Standardzeit.Seit acht Minuten war im Riffta-System

kein Schuß mehr gefallen. Die Flottenver-bände der Crypers und der Fermyyd löstensich langsam voneinander, die ersten Schiffegingen auf Distanz. Das galt auch für dieKreuzer und Korvetten der BASIS.

Es war für Michael Rhodan nicht leichtgewesen, Coram-Till von der Notwendigkeiteiner Vereinbarung mit den Fermyyd zuüberzeugen. Gerade jetzt, da die Crypers,wie er behauptete, die Oberhand gewannen.

»Wie soll ich unsere bisherigen Verlusterechtfertigen?« hatte der Ambraux Mike an-gefahren.

»Es wird zumindest keine Verluste mehrgeben«, hatte Michael Rhodan geantwortet.

»Du hast die Bezahlung unserer Dienstenicht vergessen?« Das hatte lauernd geklun-gen, beinahe ungeduldig.

Darüber dachte Mike immer noch nach,als er in Begleitung Tifflors und einiger Be-ausoleils aus dessen Landegruppe den ver-schütteten Antigravschacht im Oktodromaufsuchte. Er wurde aus Coram-Till nichtschlau. Hatte der Rebellenführer den Angriffauf Borrengold nur vorgeschlagen, um mitHilfe der Galaktiker seine ureigensten Zielerasch zu verwirklichen? Trotz aller Vertraut-

heit, die sich zwischen ihnen entwickelt hat-te, war nicht völlig auszuschließen, daß ersein privates Süppchen kochte. Andererseitswar man aufeinander angewiesen, das wuß-ten auch die Crypers sehr genau.

»Durch diesen hohlen Schacht sind sie ge-kommen«, sagte Tiff.

»Wer?« Mit einer irritierten Bewegungwischte Michael alle Gedanken an Coram-Till beiseite.

»Die Maschtaren«, erläuterte Tifflor. »Ichvermute, daß dort unten ein Transmitterstand.«

Der Schacht war nicht nur verschüttet,sondern der Schutt weitgehend geschmolzenund fest zu einer homogenen Masse ver-backen.

»Die Maschtaren haben sich abgesetzt,wahrscheinlich auf eine Welt im galakti-schen Zentrum«, vermutete Michael Rho-dan. »Darum werden wir uns später küm-mern. Vorerst ist mir wichtig, die Freilas-sung aller Imprint-Outlaws zu erreichen.«

»Dafür wären die Maschtaren die besteAdresse gewesen.«

»Da sie fort sind, halten wir uns an dieFürsten.«

Die Spuren der Zerstörung waren unüber-sehbar. Mit Desintegratoren hatten die Lan-detruppen nachgeholfen und innerhalb derehemaligen Parkzone weitgehend freies Ge-lände geschaffen. Von energetischen Sper-ren umgeben, harrten Hamamesch, Sydorrierund einige Angehörige anderer Völker mitt-lerweile der Dinge, die noch kommen wür-den. Sie wurden von Angehörigen der Lan-detruppe mit Getränken und Nahrung ver-sorgt; sogar für die Verrichtung ihrer körper-lichen Notdurft waren Desintegratortoiletteninnerhalb kleiner Zellen aufgestellt worden.

Die Handelsfürsten waren separat unter-gebracht. In einem geräumigen Feld, dasvon außen zwar ermöglichte, die Gefange-nen zu beobachten, von innen aber gänzlichundurchsichtig war.

Mike ließ eine Strukturlücke schalten. Dereine oder andere haßerfüllte Blick streifteihn, ansonsten schienen die Fürsten in Ago-

Entscheidung auf Borrengold 39

Page 40: Entscheidung auf Borrengold

nie zu schweben.»Bastard«, zischte einer verächtlich.Mike kannte Adrom Cereas von Me-

reosch, der schon im Juli nach SCHER-MOTT gekommen war, um mit Perry Rho-dan zu sprechen. In Wahrheit war es ihm nurdarum gegangen, galaktische High-Tech zuergaunern.

»Du solltest mit solchen Begriffen vor-sichtig sein, Adrom Cereas«, konterte Mike.Der Fürst verstand die Anspielung auf seineauf 70 geschätzte und nicht immer legitimeNachkommenschaft und schwieg.

Der Reihe nach blickte er sie durchdrin-gend an. Er sah verschlossene, widerwilligeGesichter. Am liebsten hätten sie sich wohlauf ihn gestürzt, doch dazu fehlte ihnen derMut.

»Ich bin hier, um euch einen Handel vor-zuschlagen«, sagte Mike. »Jedem von euchund allen gemeinsam. Es geht um ein Gut,das ihr vielleicht nicht zu schätzen wißt,wenn es anderen gehört, aber wenn ihr selbstbetroffen seid, versteht ihr sicher besser. Ichbiete euch die Freiheit an!«

Rani von Buragar antwortete als erste.»Welchen Preis verlangst du dafür?« wolltesie wissen.

»Eure Freiheit gegen die Freilassung vonrund dreißig Millionen Galaktikern, die insZentrum von Hirdobaan versetzt wurden.«

»Das ist etwas, was wir dir nicht gebenkönnen.« Langsam und bedächtig drehte dieFürstin den Kopf.

»Gomasch Endredde hat sie zu sich ge-holt«, sagte Martosch von Grencheck.»Glaubst du wirklich, wir könnten dem gött-lichen Gomasch Endredde vorschreiben,was er tun und lassen soll? Lieber beendeich mein Leben in Gefangenschaft, als einensolchen Gedanken auch nur in Erwägung zuziehen.«

Mikes Minikom sprach an. »Hier ist je-mand, mit dem du reden solltest«, erklang esaus dem Akustikfeld.

»Wer?«»Nibbl … – was weiß ich. Der Name ist

zungenbrecherisch. Auf jeden Fall hat er

nach Tekener gefragt.«»Ich komme«, versprach Michael Rho-

dan. Und an die Fürsten gewandt, fügte erhinzu: »Ihr wißt jetzt, was wir von euch er-warten. Denkt darüber nach, aber wartetnicht zu lange.«

*

Eine leicht verfettete Stubenfliege mit rie-sengroßem Kopf, das Geschöpf drei Metergroß, schwarzhäutig und mit untauglichenStummelflügeln versehen – der Stuuhr, ob-wohl von zwei Bewachern flankiert, machteeinige hastige Schritte auf Michael Rhodanzu. Er scherte sich einen Dreck um die Waf-fen der Galaktiker.

»Du bist nicht Tekener«, stieß er in kor-rekt moduliertem, aber abgehacktem Ham-sch verärgert hervor. »Wenn ihr mich nurhinhaltet, sage ich nichts mehr.«

»Ich bin Michael Rhodan.«Der Stuuhr stutzte für einen Moment.

»Der Herrscher der Milchstraße?« entsanner sich.

»Sein Sohn«, korrigierte Mike, ohne aufeinige unbedeutende politische Details ein-zugehen.

»Ich rede nur mit Tekener, mit niemandsonst.«

»So geht das schon eine ganze Weile«,seufzte einer der Bewacher.

Julian Tifflor kam im Laufschritt heran.»Vielleicht kann ich helfen.« Er bedachteden Schwarzhäutigen mit einem forschendenBlick. »Auf Mommen hat Tek einen Stuuhraus dem High-Tech-Fundus eines Outlaw-Schiffes entschädigt. – Wie heißt du?«

»Nbltsgndpfrdbrms.«»Ich meine, Ronald Tekener gab dir einen

anderen, weniger zungenbrecherischen Na-men.«

»Bräämsää.«Ein amüsiertes Grinsen huschte über Tif-

flors Gesicht.»Kein Zweifel«, stellte er fest. »Tek hat

von einem Stuuhr namens Bremse erzählt.Er hat ihm syntrongesteuerte Haushaltsgerä-

40 Hubert Haensel

Page 41: Entscheidung auf Borrengold

te überlassen und ein Uralt-Aggregat, eineArt Hyperkom-Vermittler.«

Das war der letzte Beweis. Michael ver-biß sich ein Grinsen. Der Smiler hatte dochtatsächlich mehr oder weniger wertlose Wa-ren verhökert. Hyperkom-Kleingeräte wareneine Zeitlang als Versuchstypen in Umlaufgewesen; mit ihrer Hilfe konnte man von je-dem Punkt eines Raumschiffs auf die zentra-le Hyperfunkanlage zugreifen, quasi als Re-laisstation. Bewährt hatten die Dinger sichnie, sie besaßen heute quasi Schrottwert.

»Du wirst mit uns vorliebnehmen müssen,Bremse«, meinte Michael Rhodan. »RonaldTekener ist zwar unser Freund, aber wirkönnen nicht zu ihm.«

Nbltsgndpfrdbrms legte den Kopf schräg,sein Saugrüssel zuckte heftig. Eine fragendeGeste? Warum sollte er nicht erfahren, wasgeschehen war?

»Tekener befindet sich im Zentrum vonHirdobaan«, fügte Mike hinzu.

»Dann hat Gomasch Endredde ihn zu sichgeholt«, platzte der Stuuhr heraus.

»Ja und nein. Aber das müssen wir hiernicht erörtern«, sagte Tifflor. »Was wolltestdu von Tek, und wie bist du überhaupt nachBorrengold gelangt? So viel ich weiß, warstdu auf die Hamamesch nicht besonders gutzu sprechen.«

»Darüber müssen wir hier ebenfalls nichtreden«, konterte der Stuuhr. »Ich will wegvon Borrengold, sofort. Mein Raumschiffsteht im Orbit und …«

»Die Crypers kennen ein passendesSprichwort«, unterbrach Michael.

»Mitgeschnappt – mitgeschuppt.« Bremsevollführte eine heftige Geste mit zwei Ar-men. »Mir gefällt es nicht unter so vielenstinkenden Hamamesch. Der Weltraum istmeine Heimat. – Bringt mich zu meinemSchiff.«

»Das kann nicht dein Ernst sein«, seufzteTifflor. »Du läßt dich von Tekener für einekleine Hilfe auszahlen, und wir sollen dichohne jede Gegenleistung freilassen, einfachso?«

»Was ist euch ein Maschtar als Gefange-

ner wert?«Die Frage schlug mit der Brisanz einer

Thermitladung ein. Beinahe hätte MichaelRhodan dem Stuuhr jedes Zugeständnis ge-macht, erst im letzten Moment biß er sichauf die Zunge. Eine ungehinderte Passageaus dem Riffta-System war ein angemesse-ner Preis.

Bremse erzählte von der Sydorrierin Deli-ga, von ihrem Totschlag an Karon von Om-genoch und Kanzlerin Zirrin und davon, daßer ihr zur Flucht verholfen hatte. Weil Nicht-Hamamesch zusammenhalten mußten.

»… Maschtar Morran hat die VerfolgungDeligas in einem Borrengleiter aufgenom-men. Er kam nicht wieder zurück. – Undjetzt nehmt endlich die Waffen weg, oderich vergesse mich!«

Ein flüchtiger Wink Tifflors schickte dieWachen fort.

Die Überraschung war gelungen. Bremsehatte nicht mehr und nicht weniger ausge-sagt, als daß sich keineswegs alle Maschta-ren ins galaktische Zentrum in Sicherheit ge-bracht hatten. Morran weilte irgendwo aufStaama, ohne nennenswerten Schutz und oh-ne die Möglichkeit, sich auf Dauer zu ver-stecken.

Es durfte nicht allzuviel Mühe kosten, sei-ner habhaft zu werden.

*

Die Waffen schwiegen, und Ron-Er-Kanleckte seine Wunden. Zum erstenmal, seit erauf der AXXOK das Kommando hatte, warseine Flotte auf eine Niederlage zugesteuert.

Nicht nur, um das Leben der Handelsfür-sten zu schonen, hatte er sich auf den Waf-fenstillstand eingelassen. Vor allem ging esihm darum, Verluste wettzumachen. Von ur-sprünglich tausend Regenbogenschiffen wa-ren nur noch rund 500 voll manövrierfähig.Eine erschreckend geringe Zahl.

Vordringlich galt es, wrackgeschosseneSchiffe zusammenzuflicken, damit sie denüberlebenden Mannschaften wieder Schutzvor der Leere boten. Verwundete waren zu

Entscheidung auf Borrengold 41

Page 42: Entscheidung auf Borrengold

versorgen, die Toten mußten dem Weltraumübergeben werden.

Einzelne Raumer absolvierten weiterhinPatrouillenflüge innerhalb des Systems;auch die AXXOK. Ron-Er-Kan wagte sichmehrmals nahe an Borrengold heran undpassierte das gigantische Trägerschiff derGalaktiker in einer Distanz von weniger alszehntausend Kilometern, ohne daß dieFremden das Feuer eröffneten. Der Waffen-stillstand hatte wirklich Bestand.

Die Ortungen erbrachten neue Daten überStärke und Verhalten der Gegner. Irgend-wann zeigten die Taster ein kleines schei-benförmiges Schiff, das von Staama starteteund einen Pulk von Handelsraumern im Or-bit anflog. Die Scheibe dockte an einem Pro-spektorenschiff an, das kurze Zeit später ausder Umlaufbahn ausscherte und mit tangen-tialem Kurs zur Sonne beschleunigte.

Ron-Er-Kan argwöhnte eine Provokation.Die Crypers, die ebenfalls hohe Verluste er-litten hatten, wenn auch nicht in dem Aus-maß wie die Fermyyd, fieberten wohl demAugenblick entgegen, in dem sie erneut an-greifen konnten.

Jenseits der Umlaufbahn des ersten Plane-ten verschwand das Prospektorenschiff imHyperraum. Ermutigt durch das Beispiel flo-hen während der nächsten Stunden weitereSchiffe aus dem Troß der Handelsfürsten.

Unvermittelt wurde die Box in der Zentra-le der AXXOK aktiv. Der Schiffscomputerunterbrach eine wichtige Auswertungsphaseund gab den eingetroffenen Befehl modifi-ziert bekannt.

»Ron-Er-Kan, fliege mit deinem Flagg-schiff und weiteren drei Einheiten Borren-gold an und errichte auf dem KontinentStaama zwei Brückenköpfe. Diese sind mitallen Mitteln gegen die Galaktiker zu vertei-digen, auch unter Einsatz deines Lebens. DieProbleme innerhalb des Riffta-Systems sindbekannt. Du erhältst ausreichend Verstär-kung, damit Galaktiker und Crypers-Rebel-len vernichtet werden können.«

Der Befehl hatte oberste Priorität. Obwohler eine Verletzung des Waffenstillstands be-

deutete. Ron-Er-Kan handelte prompt. Ergab die Order an drei zufällig ausgewählteKommandanten weiter.

Die Schiffe flogen Borrengold nicht aufgeradlinigem Kurs an. Sie erweckten denEindruck einer neuerlichen Patrouille underreichten unbehelligt die Nähe des zweitenPlaneten.

Die mit dem Befehl übermittelten Koordi-naten bezeichneten zwei zerstörte Geschütz-türme auf Staama, annähernd entgegenge-setzt zum Oktogon gelegen. Ron-Er-Kanstellte keine Fragen; er gehorchte, wie er esgewohnt war.

Kurz vor dem Einflug in die Atmosphärewurden die Schiffe angefunkt. »Hier sprichtLugia Scinagra, Kommandantin der BASIS.Ich fordere die Fermyyd auf, umgehend denBereich Borrengold zu verlassen. Jeder Ver-such einer Landung wird als Bruch des Waf-fenstillstands betrachtet und entsprechendbeantwortet.«

In einem Gewaltmanöver rasten die Re-genbogenschiffe dem Kontinent entgegen,bevor die Galaktiker sie abfangen konnten.Zwei Raumer landeten im Osten von Staa-ma, die AXXOK und das letzte Schiff naheder Westküste. Noch war kein einzigerSchuß gefallen.

Weiterhin ignorierte Ron-Er-Kan alle Be-mühungen, ihn über Funk anzusprechen.Auch als Kugelraumer auf die Landeplätzezuhielten, reagierte er nicht.

Übergangslos griffen die Galaktiker an.Dem Ferm-Kommandanten war klar, daßseine Schiffe am Boden kaum Chancen hat-ten, den Galaktikern effektiven Widerstandzu leisten.

Die Schirmfelder brachen nach wenigenRou zusammen. Desintegratoren und Im-pulssalven rissen die Schiffsleiber auf. Da-nach drehten die Kugelraumer ab.

Zurück blieben vier flugunfähige Regen-bogenschiffe.

9.

Ein schmaler Grat zwischen Leben und

42 Hubert Haensel

Page 43: Entscheidung auf Borrengold

Tod, das Gefühl eines schrecklichen Alp-traums – ihr Dasein beschränkte sich auf einKaleidoskop undeutlicher Wahrnehmungen.Die Kälte fraß sich in ihre Glieder, aberschon im nächsten Moment fürchtete sie,verbrennen zu müssen. Sie krümmte sichvor Schmerzen, aber sie wachte nicht auf.

Da waren Stimmen, fremd und unver-ständlich, ein gutturales Schnattern. Und dawaren Hände, die sanft und einfühlend ihrenKörper berührten. Hände, die ihr Linderungbrachten.

Endlich schlief sie ruhiger. Tief undtraumlos.

Als Deliga erwachte, war sie allein.Ein zäher Pflanzenbrei bedeckte ihre

nackte Haut. Und ein Wust aus grob geweb-ten Decken und Fellen lag über ihr ausge-breitet.

Ruckartig setzte sie sich auf. Sanfte pa-stellfarbene Helligkeit fiel durch einen Vor-hang aus Eis, ein wundervolles Spiel vonLicht und Schatten. Dem Winkel der einfal-lenden Sonnenstrahlen nach zu schließen,war es früher Morgen. Deliga erschrak. Hat-te sie einen ganzen Tag verschlafen? Siedachte an ihren Verfolger, aber dann entsannsie sich ihrer vagen Träume. Schnatternde,sanfte Wesen hatten sie in der Wildnis ge-funden und vor dem Erfrieren gerettet.

Skatar, durchzuckte es sie – die Eingebo-renen, deren Entwicklung nicht über dasSteinzeitalter hinausgekommen war. Sie leb-ten in Höhlen, im Winter auch in Wohnbur-gen aus Eis, und ihre Zahl beschränkte sichauf höchstens 100.000 auf ganz Staama.

Skatar galten als possierliche, aber auchleicht reizbare Wesen.

Die Eishöhle war gerade so hoch, daß siedarin stehen konnte, und ziemlich eng. Deli-ga fand ihre kostbaren Kleider zwischenstinkenden Fellen. Während sie sich anzog,erklang hinter ihr ein empörter Ausruf.

Der Skatar war unvermittelt zwischen denEiszapfen aufgetaucht, hinter ihm drängtenweitere seines Volkes nach vorne. Mit ei-nem scharfen Befehl hielt er die anderen aufDistanz.

Er ist der Häuptling! schoß es Deligadurch den Sinn.

Sein Fell war braun, mit gelber Bauchsei-te, darüber trug er einen Umhang aus Raub-tierfell. Den Schädel des Monstrums mit denfingerlangen Reißzähnen hatte er sich – ver-mutlich als Zeichen seiner Würde – auf denKopf gesetzt. Unaufhörlich klapperte er mitdem kleinen spitzen Schnabel.

»Ihr habt mich gerettet und gepflegt?«fragte Deliga eigentlich völlig unnötig.

Der Skatar deutete mit beiden Händen aufsich und stieß Laute aus, die wie»Ae'genim« klangen. Das war sein Name.

Deliga reckte ihm dankbar ihren Röhren-mund entgegen.

Sie brauchte lange, um mit dem Häuptlingund einigen anderen Skatar eine halbwegssinnvolle Unterhaltung zu führen. Diese We-sen verstanden Hamsch zwar leidlich, dochausdrücken konnten sie sich nur in ihrer ei-genen primitiven Sprache.

Deliga war für den Häuptling schlicht undeinfach»Die-aus-dem-Himmel-fiel-als-Gott-glühende-Tränen-weinte«. Von Maschtar Morranwußte er nichts, und Deliga versuchte garnicht, weiter in ihn zu dringen.

Obwohl sie allen Grund hatte, den Skatardankbar zu sein, durfte Deliga nicht bleiben.Das Risiko, daß Morran sie in der Siedlungaufspürte, war einfach zu groß. Mit Händenund Füßen redend, überzeugte sie Ae'genimendlich davon, daß er sie zu ihrem Gleiterführen sollte. Der Häuptling wirkte zwar ab-weisend, beugte sich aber ihrem Wunsch.

Zweieinhalb Kilometer weit stapften siedurch hohen Schnee, die Skatar lärmend undsingend, Deliga gerade deshalb zunehmendbedrückter.

Sie begann Übles zu ahnen, als sie einenzerschlissenen Passagiersitz fand. EinigeMeter weiter lagen Teile der Kabinenver-kleidung.

Und dann stand sie vor dem Gleiter undwar nahe daran, sich auf die liebenswertenSkatar zu stürzen. Ein Großteil der Innenein-richtung war demontiert; alles, was irgend-

Entscheidung auf Borrengold 43

Page 44: Entscheidung auf Borrengold

wie geglänzt hatte oder wertvoll erschienenwar. Die Maschine würde nie wieder in dieLuft zu bekommen sein.

»Ae'genim reich«, krächzte der Häuptling.

*

Noch in den späten Nachtstunden des 7.Oktober hatten die Fernortungen in 500 Me-ter Tiefe unter dem Oktogon einen gewalti-gen Hohlraum mit einer Ausdehnung vonungefähr 25 Quadratkilometern entdeckt. Dawar allerdings noch nicht sicher, ob es sichmöglicherweise nur um natürliche Verwer-fungen handelte.

Erst hochsensible Geräte und Messungenaus dem Umkreis der oberirdischen Anlagenwiesen schwache, schwankende Energiefel-der nach. Hyperdimensionale Strukturen er-gaben sich jedoch in keinem Fall.

Für Michael Rhodan, Tifflor und Tolotwar klar, daß sie das Versteck der Maschta-ren entdeckt hatten, die vermutlich sogar dieLufterneuerung in 500 Metern Tiefe auf einMinimum gedrosselt hatten, um nicht ent-deckt zu werden.

Am frühen Morgen wurde geeignetesBohrgerät von Bord der MONTEGO BAYin das Oktodrom transportiert. Roboter über-nahmen die Arbeiten, die sich schon zu Be-ginn als zeitraubend darstellten. Das wieder-erstarrte Material innerhalb des Antigrav-schachts löste sich unter dem Einfluß derDesintegratorbohrer nur zögernd auf, auchThermostrahlen bewirkten nur eine allmähli-che Verflüssigung.

»Ich habe von Anfang an nicht an eineFlucht ins galaktische Zentrum geglaubt«,betonte Icho Tolot. »Die Maschtaren haltendie Geschehnisse auf Borrengold unter Kon-trolle, sie warten nur darauf, daß wir uns ei-ne Blöße geben.«

Mit beiden Händen massierte Tiff seinenNacken und streckte sich. Seit Stunden fühl-te er bleierne Müdigkeit. Auch Aktivatorträ-ger kamen nicht ohne Schlaf aus, und er hat-te seit längerem kein Auge zugetan.

Er blickte zu Tolot auf. »Gibt es Grund

für deine Vermutung? Eine Streustrahlungvielleicht, die du von der HALUTA aus an-gemessen hast?«

»Nein«, grollte der Haluter. »Keine Hin-weise.«

Tifflor zuckte mit den Achseln.»Vermutlich schmoren die Maschtaren imeigenen Saft. Das ist aber immer noch keinVergleich zu dem, was den Völkern derMilchstraße angetan wurde. Auf jeden Fallgeht es Morran bald an den Kragen. AufDauer kann er sich nicht vor unseren Such-trupps verbergen.«

Im Laufe des Vormittags begann es wie-der zu schneien. Dicke, schwere Flocken fie-len und verwischten alle Spuren außerhalbdes Oktogons.

Die Bohrarbeiten am verschütteten Anti-gravschacht blieben schwierig. Indes gab esauch gute Nachrichten. Mehrmals waren dieArbeiten unterbrochen worden und Hohl-raumtaster in die Tiefe hinabgelassen wor-den. Die letzte Messung bewies, daß der An-tigravschacht nur auf ungefähr 200 Metervöllig unpassierbar war, unterhalb dieses Ni-veaus schien sich die Explosion kaum nochausgewirkt zu haben.

Nachdem sie zwei Stunden Schlaf nach-geholt hatten, übewachte Julian Tifflor wie-der den Fortgang der Arbeiten, während Mi-chael Rhodan den Handelsfürsten einenwunderschönen Tag wünschte. Die Ironie inseinen Worten blieb den Hamamesch abervermutlich verborgen. Keiner reagierte aufsein erneutes Ansinnen, den Austausch von30 Millionen Galaktikern aus dem Zentrumgegen ihre Freiheit in die Wege zu leiten.

Lediglich Clarven von Ammach ließ sichzu einem Kommentar verleiten. »Bring michzurück nach Clorech und ins Shourachar«,sagte er. »Dann werde ich sehen, was ich fürdich tun kann.«

Die Meldung, daß vier Regenbogenschif-fe das Stillhalteabkommen gebrochen hattenund auf Staama gelandet waren, kam kurzeZeit später.

»Die Fermyyd haben den Auftrag, Bastio-nen zu errichten, in denen Maschtar Morran

44 Hubert Haensel

Page 45: Entscheidung auf Borrengold

Zuflucht finden kann«, vermutete MichaelRhodan. »Es war zu erwarten, daß die ande-ren Maschtaren ihn nicht im Stich lassen.«

»Das heißt, wir schicken zwei Einsatz-trupps zu den Brückenköpfen der Fermyyd«,folgerte Tifflor. »Zunächst, um die Pantherzu beobachten und die Umgebung zu son-dieren – und um den Maschtar abzufangen,sobald er in der Nähe eines der Schiffe er-scheint.«

*

8. Oktober, 10:11 Uhr Standardzeit.Die Miniatursonde drang in unbekannte

Tiefen vor. Unmittelbar nach dem Über-schreiten der 200-Meter-Marke wichen dieglatten Wände des Bohrkanals dem Abbilddes ursprünglichen Antigravschachts. Nur inseinem oberen Breich waren noch Schmelz-schäden zu sehen, danach führte er unbe-rührt in die Tiefe.

504 Meter, der Endpunkt des Schachtes.Ein lichtloser, leerer Korridor schloß sichan. Von einem winzigen Prallfeld algustrani-scher Baureihe getragen, schwebte die Son-de weiter. Infrarot und Restlichtaufhellungsorgten nach wie vor für eine den Umstän-den entsprechende optimale Bildübertra-gung.

Der Eindruck einer verlassenen Stationdrängte sich auf. Endlos anmutende, verwin-kelte Gänge und Hunderte von Türen, vielegeschlossen, aber nicht alle. Dahinter kubi-sche Räume, spartanisch eingerichtet, keinKomfort – zumindest in dem Sinne, daß Ter-raner den Luxus auch als solchen erkannthätten.

»Vielleicht ein Gefängnis.« Die Vermu-tung lag nahe.

»Für unbotmäßige Hamamesch?« Einesder üblichen Sitzgestelle geriet in den Erfas-sungsbereich. Deshalb die Bemerkung.

»Auf 25 Quadratkilometern nur Zellen?«fragte Icho Tolot. »Und das Ganze über eineHöhe von 200 Metern? Das ergibt rund 30Etagen.«

Sie übermittelten der Sonde einen neuen

gerafften Steuerimpuls, der von dem Piko-syn augenblicklich umgesetzt wurde.

In der Übermittlung erschien ein Treppen-schacht. Danach wieder Korridore und ver-lassene Räume, in den nächstfolgendenStockwerken zwar größer, aber immer nochspärlich eingerichtet.

Nach zwanzig Minuten Monotonie ließMichael Rhodan die Sonde weiter absteigen.

Auf der siebten oder achten Etage wurdenVersorgungsleitungen entdeckt. Eine Anlagezur Lufterneuerung und – Umwälzung, dar-an angrenzend ein ausgedehntes Wasserre-servoir. Mächtige Rohrleitungen ließen ver-muten, daß unterirdische Wasserläufe ange-zapft worden waren. Entsprechendes galtwohl auch für die Abfallentsorgung.

»Diese Anlage ist für etliche tausend Ha-mamesch ausgelegt«, stellte Michael Rho-dan fest. »Wo sind.sie?«

Er erwartete keine Antwort. Noch nicht.Technik trat in den Vordergrund. Kom-

mandoräume, ausgestattet mit Bildschirmga-lerien, Terminals und Dutzenden von Sitzge-stellen, deren Anordnung entfernt an Lehrsä-le erinnerte.

»Irgendwo werden wir auf den Transmit-ter stoßen, durch den die Maschtaren ent-kommen sind«, behauptete Tifflor.

Die Überraschung folgte nur Minutenspäter. Fahler Lichtschein drang durch einestillgelegte Antigravröhre nach oben. DieSonde schwebte tiefer.

»Maschtaren!« stieß Tiff hervor.Den Irrtum erkannte er allerdings sofort.

Einige hundert Hamamesch hatten sich hierversammelt. Sie trugen schmucklose graueKombinationen und waren durchweg soschlank wie Maschtaren, aber keiner trugdas Emblem oder den Maschthom.

Andere Hamamesch hatten einige Dut-zend Schalträume besetzt und standen oderlagen im Halbdunkel rings um eine großeHalle. Groß genug, um die gesuchte Trans-mitterstation zu sein.

Und überall desaktivierte Opera-Roboter.Alle drei Typen waren vorhanden.

»Notbeleuchtung. Nur die Lufterneuerung

Entscheidung auf Borrengold 45

Page 46: Entscheidung auf Borrengold

arbeitet.« Michael Rhodan nickte schwer.»Die Hamamesch warten. Vermutlich dar-auf, daß wir uns von Borrengold zurückzie-hen.«

»Das Nest heben wir aus«, sagte Icho To-lot dumpf. »Die Hamamesch haben keinerleiTechnik im Einsatz und können sich demzu-folge nur optisch und akustisch orientieren.«

Michael Rhodan stimmte zu. »Wenn wirmit entsprechender Vorsicht einen größerenSchacht vorantreiben und überraschend zu-schlagen, erwischen wir die Hamameschhier, bevor sie sich ebenfalls per Transmitterabsetzen können.«

*

Die Winter auf Staama waren kurz, aberheftig. Während des Rückwegs zu den Eis-höhlen hatte es erneut zu schneien begon-nen. Deliga war froh darüber; schließlichwürde der Schnee das Wrack des ausge-schlachteten Borrengleiters zudecken. Allesweitere mußte sich finden.

Häuptling Ae'genim hatte ihre Verärge-rung gespürt und erst heftig gestikulierendauf sie eingeredet und ihr anschließend diekalte Schulter gezeigt. Deliga hatte plötzlichMühe, mit den Skatar Schritt zu halten.

Mit jeder Rou wurde es kälter. Ein eisigerWind blies von den Bergen herab. Die Sy-dorrierin zog ihre dünne Robe enger. Vor ih-rem Röhrenmund stand der Atem als dichteweiße Wolke.

Den Kopf gesenkt, stapfte sie hinter denEingeborenen her. Erst deren lauter werden-des Schnattern veranlaßte sie, innezuhalten.

»Kukka!« riefen sie und stießen aufgeregtihre primitiven Steinwaffen in die Luft.»Kukka!«

»Macht, was ihr wollt.« Deliga fror er-bärmlich. »Ich gehe weiter.«

»Kukka!« Ae'genim streckte ihr seinenkrummen Speer mit der roh behauenenSteinspitze hin.

»Was soll ich damit? Ich brauche keineWaffe? – Ich danke dir, Häuptling, aber …«

Ae'genim deutete auf eine Spur im

Schnee, den Abdruck einer krallenbewehr-ten Tatze. Danach zeigte er auf seinen Fel-lumhang, den mächtigen Raubtierschädel,den er als Kopfschmuck trug, und tänzelteeinmal im Kreis herum. Erneut streckte erder Sydorrierin den Speer entgegen.

»Ich verstehe«, murmelte Deliga. »Kukkaist noch in der Nähe, er hat Hunger und istgefährlich.«

Ae'genim schnatterte aufgeregt und zu-stimmend. Diesmal nahm Deliga den Speeraus seiner Hand. Dafür tätschelte der Häupt-ling ihren verlängerten Rücken, offensicht-lich eine Geste der Zufriedenheit.

Sie erreichten die Eishöhlen ohne weite-ren Zwischenfall. Die Sicht reichte inzwi-schen nur noch wenige Meter weit. Zitterndvor Kälte kuschelte Deliga sich in dieDecken und Felle, aber mit der Wärme, dieihren Körper tangsam wieder belebte, kamenauch die Gedanken an Riau und Karon. IhrLeben war verpfuscht, sie war unwürdig, ei-ne Sydorrierin zu sein, und selbst ein Ruhe-tanz würde ihr die Qual der Erinnerung nichtnehmen. Unvorstellbar, wenn ihr einstigerLehrmeister von ihrer Tat erfuhr …

Im Laufe des Nachmittags verkroch Deli-ga sich völlig im Schneckenhaus ihrer ver-wirrten Gefühle. Die Einsamkeit fraß sieauf. Trotzdem sehnte sie sich nicht nach Ge-sellschaft. Mußte sie mit ihrer Schuld leben,um zu sühnen?

Die Nacht wurde grauenvoll, erfüllt vonden Gespenstern der eigenen Vergangenheit.

Deliga erwachte in fahler Dämmerung.Tief in ihr nagte ein quälendes Unbehagen.

Es war still geworden. Zu ruhig. Nichteinmal die Laute der Skatar klangen zu ihrherüber.

Unwillkürlich griff sie nach dem Speer.Es schneite noch immer, die Sicht reichtekaum weiter als am Vortag. Deliga nahm allihren Mut zusammen und stapfte durch hüft-hohen Neuschnee hinüber zu den Behausun-gen, in denen die Eingeborenen in unter-schiedlich großen Gruppen lebten.

Die Höhlen waren leer, nur Felle, Waffenund Utensilien aus dem Gleiter lagen ver-

46 Hubert Haensel

Page 47: Entscheidung auf Borrengold

streut herum. Es sah ganz so aus, als hättendie Skatar alles liegen- und stehenlassen undwären von einem Moment zum anderen ge-flohen.

Deliga schluckte krampfhaft. Eine eisigeHand schien ihr die Kehle zuzudrücken. Et-was Unheimliches lastete auf den Höhlen.Oder bildete sie sich die nahe Gefahr nurein?

Sie warf sich herum und hetzte ins Freiehinaus. Im Schnee vor der Höhle fand siehalb verwischte Spuren, die sie vorher nichtbemerkt hatte. Die Skatar waren demnacherst vor kurzem ins Tal hinabgestiegen.

Deliga folgte der Fährte, die im Schnee-treiben rasch unkenntlich wurde. Doch siefühlte sich nicht wohler als in der Höhle.Tausend Augen schienen sie aus der Düster-nis heraus anzustarren. Ein ungutes, beäng-stigendes Gefühl.

Deliga umklammerte den Speer fester.Und dann sah sie den Schemen. Zapfenarti-ge Umrisse verdichteten sich in der Düster-nis – ein silberner Opera-Roboter.

Entsetzt fuhr die Sydorrierin herum. Siekam nur wenige Schritte weit, prallte vor ei-nem Blauoperator zurück. Und linker Hand,scheinbar schon zum Greifen nahe, nähertesich ein rostbrauner Roboter.

Deliga stockte der Atem. Von Panik er-füllt, riß sie den Speer hoch.

»Willst du wirklich kämpfen?« Die Stim-me des Maschtars ging ihr durch und durch.»Das ist doch einer Sydorrierin nicht wür-dig.«

Morrans schlanke Gestalt löste sich auseiner Felsnische. Er war nahe genug, daßDeliga die gelben Fleckenmale rund um sei-ne Augen erkennen konnte.

»Du hast dir angemaßt, was nur Maschta-ren zusteht: über Leben und Tod eines Han-delsfürsten zu entscheiden.«

»Ich …« Die Furcht schnürte ihre Kehlezu. Wie sehr hatte sie diesen Moment ge-fürchtet, ihn aber vielleicht auch unbewußtherbeigesehnt. Manchmal konnte der Todgnädiger sein als das Leben.

Morrans Hände näherten sich dem

Maschthom, berührten einen Kontakt. Einroter Laserpunkt erschien auf Deligas Brust,dann spürte sie einen dumpfen, brennendheißen Schlag. Schwärze löschte alle Emp-findungen aus.

*

Sie hatten die Wahl gehabt, seitlich odergar außerhalb des Oktogons einen neuenSchacht in die Tiefe vorzutreiben, sich letzt-lich aber dafür entschieden, den verschütte-ten Antigravlift freizulegen. Hier war zu-mindest bekannt, daß es keine Sperren odergar Alarmvorrichtungen gab, die in der un-terirdischen Station frühzeitig Alarm ausge-löst hätten.

Kurz vor Mitternacht des 8. Oktober stießIcho Tolot mit einem Trupp Ertruser in un-terirdische Bereiche vor. In ihren flugfähi-gen SERUNS benötigten sie nur Minuten biszum Ende des Schachtes und drangen imSchutz aktivierter Deflektorfelder weitervor.

Nichts hatte sich verändert. Leere, lichtlo-se Korridore; einfache Unterkünfte; Ge-meinschaftsräume. Die Pikosyns der SE-RUNS verfügten über alle von der Miniatur-sonde gelieferten Erkenntnisse, die eine Ori-entierung innerhalb des unterirdischen Laby-rinths erleichterten. Mit jedem Stockwerk,das die Männer hinter sich brachten, wuchsjedoch die Gefahr einer zufälligen Ent-deckung. Trotz aller Perfektion waren auchSERUNS keine hundertprozentigen Wun-deranzüge. Energetische Streufelder konntennicht vollständig abgeschirmt werden undstellten für entsprechende Ortungsgeräte einwahres Leuchtfeuer dar.

Die Ertruser verteilten sich weiträumig.Ihre Kommunikation beschränkte sich aufden Austausch unverzichtbarer Informatio-nen in Form von Rafferimpulsen, die vonden Pikosyns entzerrt und entweder alsSchrifteinblendung oder akustische Wieder-gabe dem Träger mitgeteilt wurden.

Die unterirdische Anlage war eine Ausbil-dungsstätte großen Stils. Viele Details, an-

Entscheidung auf Borrengold 47

Page 48: Entscheidung auf Borrengold

gefangen von der Größe der Räume, überdie technische Ausstattung bis hin zu ihrerAnordnung, legten diesen Schluß nahe.

Das deckte sich mit den von der Sondeübermittelten Aufnahmen. Die schlankenHamamesch in den schmucklosen Kombina-tionen hatten augenscheinlich einen Ringum jene »Mitschüler« gebildet, die es bereitsgeschafft hatten, in einen höheren Rang auf-zusteigen. Icho Tolots Planhirn versah dieseFeststellung mit einem hohen Grad anWahrscheinlichkeit.

Auf der zehnten Etage stieß der Haluterüberraschend auf einen reglosen Blauopera-tor. Der Roboter war im Zugang zu einergrößeren Maschinenhalle erstarrt. Warum,blieb dahingestellt.

Umzukehren war für Tolot in diesem Au-genblick zu spät, in dem er den Opera ent-deckte. Falls der Blaue über aktivierte Sinneverfügte, hatte er inzwischen Alarm ausge-löst.

Icho Tolot schnellte sich vorwärts. DerAufprall war heftig genug, einen Teil derFelswand einzudrücken, während seineHandlungsarme den Blauoperator förmlichzerfetzten. Der Gewalt eines Haluters warein solcher Roboter nicht gewachsen. Abge-sehen von gerade einmal handflächengroßenTrümmerstücken blieb ein Torso zurück, derüberwiegend an ausgewalztes Stahlblech er-innerte.

Sekundenlang aktivierte Tolot die Ortun-gen seines Anzugs: Der Zwischenfall waroffensichtlich unbemerkt geblieben.

Kurze Zeit später registrierte er einenflüchtigen Impuls – ein gebündeltes Or-tungsfeld, das von zentraler Stelle aus überdie unteren Etagen wanderte.

Nur Sekunden vergingen, bis die Stationzu jähem Leben erwachte. Die Energieor-tung zeigte ein Feuerwerk anlaufender Ma-schinen; Verteidigungsanlagen wurden akti-viert, ebenso Schirmfelder, die einzelne Eta-gen gegeneinander abriegelten.

Jede Zurückhaltung war überflüssig ge-worden. Icho Tolot stürmte los. Er zog eineSpur der Verwüstung, nicht einmal energeti-

sche Sperren konnten ihn aufhalten; er um-ging sie, indem er mit ungestümer GewaltWände und Decken durchbrach.

Gleichzeitig griffen die Roboter an. Dut-zende Blauoperatoren stellten sich Tolot ent-gegen, aber ihre Thermostrahler und Desin-tegratoren vergrößerten nur das Chaos. JederFausthieb des Haluters zermalmte einen derzapfenförmigen Roboter.

Einige Wracks begannen aus sich selbstheraus zu glühen, andere versuchten sichschwankend wiederaufzurichten und wurdenvon Explosionen in ihrem Inneren gänzlichzerfetzt.

Die nächste Etage. Noch mehr Blauopera-toren. Nur die vordersten von ihnen feuer-ten, als Icho Tolot sich auf die Laufarmeniederließ. Dann eine gewaltige Explosion.Eine Vielzahl Roboter hatte sich selbst indie Luft gesprengt. Kein schlechter Versuch,aber wirkungslos. Weder die enorme Druck-welle noch die freiwerdende Energie scha-deten dem Haluter.

Tonnenschwere Platten lösten sich aus derDecke und zermalmten die Überreste derOperas. Icho Tolot konnten sie nichts anha-ben, doch sie verkeilten sich ineinander,türmten sich in Sekundenschnelle auf. Fei-ner Schutt begann die Hohlräume auszufül-len, und noch immer stürzte Geröll aus derHöhe herab und füllte den Korridor.

Tolot hatte bereits Mühe, sich aus der ge-bückten Haltung aufzurichten. Wie ein Fes-selfeld umgab ihn das Geröll und ließ ihmkaum eine Chance, seine überlegene Kraftauszuspielen.

Gucky durfte nie erfahren, daß er auf der-art primitive Weise mattgesetzt worden war.Minuten vergingen, bis er wenigstens mitden Laufarmen versuchen konnte, denSchutt zur Seite zu drücken. Der Widerstandwar unglaublich, aber er schaffte es undkämpfte sich zentimeterweise vorwärts.

Inzwischen wüteten die Ertruser in denReihen der Opera-Roboter. Über Funk be-kam Tolot teilweise mit, was sich abspielte.Sein Groll auf die eigene mißliche Lagewuchs.

48 Hubert Haensel

Page 49: Entscheidung auf Borrengold

Hinter den Operas bildeten Hunderteschlanker Hamamesch eine zweite Verteidi-gungslinie. Maschtaren-Zöglinge. Tolot warinzwischen überzeugt davon, daß innerhalbder Station die Assistenten der Maschtarenausgebildet wurden.

Die Verteidiger mußten zurückweichen.Obwohl sie es immer wieder schafften, dieErtruser für kurze Zeit aufzuhalten, konntensie letztlich nicht verhindern, daß diese vonmehreren Seiten zur Transmitterhalle vor-stießen.

Das war der Zeitpunkt, zu dem der Halu-ter sich endlich aus den Trümmern befreithatte. Nur wenige Operas stellten sich ihmentgegen. Sie blieben als Schrott zurück.

Tolot erreichte die zentrale Halle gemein-sam mit den ersten Ertrusern. Vier roteTransmitterfelder flackerten in der Düster-nis. Die Hamamesch brachten sich in Si-cherheit.

Im nächsten Moment ein grelles Leuch-ten; das Rot begann sich von innen herausaufzulösen. Die letzten Hamamesch inner-halb des Feldes wurden zu halbstofflichen,grotesk verzerrten Schemen, alptraumhafteKreaturen im Grenzbereich zwischen denDimensionen. Grauenvolle Schreie ver-mischten sich mit gurgelnden Lauten unddem Zischen schmelzenden Metalls. DieTransmitterbögen begannen zu zerfließen.

Ein letztes rotes Flackern noch, ein Hauchverwehender Leiber, dann hatten die Trans-mitter sich selbst zerstört. Zweifellos eineSicherungsschaltung, die verhindern sollte,daß Angreifer ebenfalls an den Zufluchtsortder Maschtaren versetzt wurden.

Die Hamamesch, die zuletzt hindurchge-gangen waren, gehörten zu den bedauerns-werten Opfern. Vielleicht hatten sie ihr Zielverstümmelt erreicht, vielleicht waren sie fürimmer im Hyperraum verschwunden. Es warnicht anzunehmen, daß sie soviel Glück hat-ten wie einst Alaska Saedelaere, der überlange Zeit hinweg ein Cappin-Fragment imGesicht getragen hatte.

Knapp drei Dutzend Hamamesch hattenes nicht mehr geschafft, sich abzusetzen.

Der Schock über das Unbegreifliche standihnen in die Gesichter geschrieben, als sieihre Waffen fallen ließen und sich den Ertru-sern ergaben.

Tolot achtete nicht darauf. Eine einzigeschwache Emission war nach dem Zusam-menbruch der Transmitterfelder geblieben,eine Amplitude, die sich langsam aufschau-kelte.

Irgend etwas war mit der Zerstörung derTransmitter in Gang gesetzt worden.

Pulsierende Energie! Der Ausgangspunktwar plötzlich deutlich anzumessen, unmittel-bar neben dem Hauptschott. Zwei Ertruserrissen ihre Strahler hoch … »Nicht schie-ßen!« brüllte Tolot.

Eine zweite Selbstvernichtungsanlage,vermutlich ausreichend, die gesamte Stationin Schutt und Asche zu legen. Tolots Fingerdurchstießen die Wandverkleidung.

Ein energetischer Zünder lag frei, Leiter-bahnen führten sternförmig davon weg. DieVorrichtung war altmodisch, aber wirkungs-voll, und vor allem nicht störanfällig. Eineinziger Strahlschuß hätte die sofortige Aus-lösung bewirkt.

Tolot riß das eigentliche Kernstück her-aus.

»Das war das zweite Kuckucksei«, dröhn-te der Haluter. »Weitere Überraschungenhalte ich für unwahrscheinlich.«

*

Die gefangenen Hamamesch schwiegenbeharrlich. Weder Drohungen noch Verspre-chen entlockten ihnen Aussagen über denVerbleib der Maschtaren und ihrer Assisten-ten.

Diesmal hatten die Ortungen der MON-TEGO BAY die Transmitterimpulse ange-messen. Sie waren jedoch derart schwach,daß sie bereits bei größerer Distanz mit derHintergrundstrahlung verschmolzen wären.

»Also ein Transport über relativ kurze Di-stanz«, folgerte Michael Rhodan. »Das be-deutet, daß die Empfänger irgendwo aufBorrengold stehen.«

Entscheidung auf Borrengold 49

Page 50: Entscheidung auf Borrengold

»Wahrscheinlich sogar auf Staama«,wandte Icho Tolot ein.

»Dann sollten wir eins und eins zusam-menzählen«, sagte Tifflor. »Die Fermyydhaben vor wenigen Stunden zwei Brücken-köpfe errichtet, es könnte durchaus sein, daßsich in diesen Gebieten weitere subplanetareAnlagen befinden, in die sich die Maschta-ren zurückgezogen haben.«

»Das heißt«, folgerte Mike, »daß Mascht-ar Morran eigentlich gar kein Risiko einge-gangen ist, als er der Sydorrierin folgte. Ob-wohl er zu dem Zeitpunkt schon wissenmußte, daß er nicht ins Oktogon zurückkeh-ren konnte. Ihm blieben immerhin zweiAusweichstationen.«

»Also haben die Maschtaren die Fermyydnach Staama gerufen. Sie sollen Morran bei-de Fluchtwege offenhalten.«

Michael Rhodan nickte knapp.»Wir verstärken unsere Präsenz vor den

Regenbogenschiffen. Falls Morran sein Zielnoch nicht erreicht hat, muß er uns über kurzoder lang in die Arme laufen.«

10.

Maschtar Morran flog nach Osten. Nachder Vollstreckung des Urteils an der Sydor-rierin hatte er über den Maschthom Verbin-dung zu den anderen Maschtaren aufgenom-men und von ihnen erfahren, daß der Stütz-punkt unter dem Oktogon an die Galaktikerverloren worden war. Aus irgendeinem un-erfindlichen Grund war die Selbstzerstörungnicht aktiviert worden.

Die Maschtaren, die sich schon währenddes Kampfes um das Oktogon in den Ost-Flügel ihres dreigeteilten subplanetarenStützpunktes zurückgezogen hatten, ließenden dortigen Zugang von Fermyyd verteidi-gen.

Morran fürchtete keine Probleme. Erwußte, daß er sich jederzeit ungehindert indie Sicherheit der unterirdischen Anlagenzurückziehen konnte. Nichts und niemandwar in der Lage, einen Maschtar zu besie-gen, der den göttlichen Gomasch Endredde

in sich trug.Endlich erfaßten die Ortungen des Bor-

rengleiters den zerstörten Geschützturm, un-ter dem der Zugang zu den subplanetarenAnlagen lag. Aber erst aus großer Nähestellte Morran fest, daß Fermyyd und Bo-dentruppen der Galaktiker sich einen erbit-terten Kampf um diese Stellung lieferten.

Maschtar Grirro meldete sich.»Wir konnten nicht ahnen, daß die Galak-

tiker derart massiv angreifen würden. Siemüssen Informationen über die Station er-halten haben. Wir gehen in den West-Flügelund erwarten dich dort, Morran.«

»Wenn die Fremden Informationen besit-zen, sind wir nirgendwo auf Staama mehr si-cher.«

In Grirros Erwiderung schwang deutlicherSpott mit. »Der West-Flügel ist absolut si-cher und kann von ihnen nicht aufgespürtwerden. Wir haben die Fermyyd an einemfalschen Geschützturm postiert, den sie un-ter Einsatz ihres Lebens verteidigen werden.Der eigentliche Zugang bleibt unbewacht. Erwird für dich frei passierbar sein.«

Unmittelbar nach dieser Aussage brachder Kontakt ab. Morran wußte, daß dieMaschtaren den Weg über den Transmittergegangen waren.

Er würde bald zu ihnen stoßen. Geduldigwendete er den Gleiter und nahm Kurs nachWesten.

*

9. Oktober, 9.43 Uhr Standardzeit.Manches lief anders als vorhergesehen.

Auf die Verstärkung der Bodentruppen vorihren Schiffen reagierten die Fermyyd über-nervös und griffen augenblicklich an. Erbit-terte Kämpfe waren die Folge.

Da die Shifts wegen der geringeren Ent-fernung vom Oktogon den Brückenkopf imOsten des Kontinents zuerst erreicht hatten,konnte zumindest an der Westküste eineKonfrontation vermieden werden. MichaelRhodan gab Befehl an die dortigen Truppen,sich auf mehrere Kilometer Distanz zurück-

50 Hubert Haensel

Page 51: Entscheidung auf Borrengold

zuziehen.10:05 Uhr.Von einem der Suchtrupps traf die Mel-

dung ein, daß ein ausgeschlachteter Bor-rengleiter in den Ausläufern des Zentralge-birges gefunden worden war. Knapp drei Ki-lometer entfernt, am Rande einer verlasse-nen Eissiedlung der Skatar, hatten die Män-ner wenig später die halb zerstrahlte Leicheeiner Sydorrierin entdeckt. Oder eines Sy-dorriers. Der Unterschied war für Außenste-hende nicht nachvollziehbar.

Trotzdem schien festzustehen, daß es sichum den Leichnam Deligas handelte.

11:18 Uhr.Die Stellung der Fermyyd war aufgerie-

ben. Es gab Verwundete auf Seiten der Ga-laktiker, keine Toten. Die Panther hattensich sogar für Ertruser als ernstzunehmendeGegner erwiesen. Ohne SERUNS und Parat-ronschirme wäre ein Desaster vorprogram-miert gewesen.

»Die Maschtaren haben ihre Hilfstruppengut rekrutiert«, bemerkte Julian Tifflor anBord der MONTEGO BAY bitter.

»Ich werde mich wohl immer wieder fra-gen, warum friedliche Lösungen rar sind«,murrte Michael Rhodan. »Was haben wirfalsch gemacht?«

»Nichts«, sagte Tiff. Was immer er hattehinzufügen wollen, die in dem Moment ein-treffende Meldung, daß innerhalb des zer-störten Geschützturmes ein diesmal noch in-takter Antigravschacht in die Tiefe gefundenworden war, gehörte zu den guten Nachrich-ten.

11:58 Uhr.Die unterirdische Station, nahezu eine

Kopie der Anlage unter dem Oktogon, be-fand sich nahezu in galaktischer Hand. Zwargab es immer noch vereinzelte Geplänkelmit Opera-Robotern, doch war diesmal dieGefangennahme einiger hundert Gefolgsleu-te der Maschtaren zu verzeichnen.

Offensichtlich hatte jemand die Transmit-ter abgeschaltet, ohne die Selbstzerstörungs-anlage zu aktivieren. Wollten die Maschta-ren sich einen Rückweg offenhalten, oder

lag es nur in ihrer Absicht, die Galaktiker infalscher Sicherheit zu wiegen?

»Den Stützpunkt räumen!« befahl Mike.»Sofort!«

Erst jetzt erfuhr er, was beinahe schonzwei Stunden zurücklag. Zwei Ertruser be-haupteten, während der Kämpfe um denBrückenkopf einen näher kommenden Glei-ter bemerkt zu haben, der jedoch abrupt ab-drehte und innerhalb von Sekunden wiederim Schneetreiben verschwand.

»Maschtar Morran?« sagte Tifflor.»Natürlich war es der Maschtar.« Tolot

verschränkte beide Armpaare. »Morran hatZuflucht in der Station gesucht und sich indem Moment zurückgezogen, in dem er er-kannte, daß er zu spät kam.«

»Das bedeutet, Morran fliegt inzwischennach Westen.«

»Diesmal erwischen wir ihn«, versicherteTifflor.

*

12:24 Uhr.Drei weitere Fermyydschiffe hatten gegen

den Waffenstillstand verstoßen und waren ineinem Gewaltmanöver nach Borrengolddurchgebrochen. Ihre Landung ließ nureinen Schluß zu: Die Maschtaren fühltensich in die Enge getrieben. In ihrem drittenund zweifellos letzten subplanetaren Stütz-punkt saßen sie in der Falle.

»Darauf wetten möchte ich allerdingsnicht«, sagte Tifflor. »Die Maschtaren habenbewiesen, daß sie immer für eine Überra-schung gut sind.«

Maschtar Morran würde kommen. Weilihm keine andere Wahl blieb.

Michael Rhodan hatte einen Großteil sei-ner Kräfte in respektvollem Abstand um diefünf Regenbogenschiffe zusammengezogen.Lediglich eine Handvoll Ertruser weiltenoch im Oktogon, unterstützt von der Mann-schaft der MONTEGO BAY.

Auch die Fermyyd warteten. Von beidenSeiten geführte Scheinangriffe dienten nurdazu, die Stärke des Gegners zu sondieren.

Entscheidung auf Borrengold 51

Page 52: Entscheidung auf Borrengold

Eine Stunde verstrich, ohne daß die Or-tung der Shifts nur den Hauch eines Gleiterserfaßt hätte. Die nach wie vor aktiven Such-kommandos meldeten ebenfalls keine Sich-tung.

Erschwerend machte sich ein aufziehen-der Blizzard bemerkbar. Starke elektrischeEntladungen in der unteren Atmosphäre be-einträchtigten die Ortungen.

Den letzten Stützpunkt mit Gewalt zustürmen, wollte Mike vorerst noch vermei-den. Jedenfalls so lange, wie die Aussichtbestand, Morran ohne Blutvergießen in dieHände zu bekommen.

Der Blizzard brach mit unbeschreiblicherGewalt über die Küstenregion herein. Mitmehr als 200 Stundenkilometern peitschte erHagel heran, und das folgende Gewitter hat-te etwas von einem Weltuntergang. Eiswol-ken machten den Tag zur Nacht. In nicht en-den wollender Folge zerrissen Blitze dieSchwärze, und der Donner klang wie Ge-schützfeuer.

Mitten hinein in dieses Toben der Natur-gewalten platzte die Nachricht, daß die Fer-myyd verrückt spielten. Sie waren wie vonSinnen, liefen orientierungslos durcheinan-der, schossen wild um sich. Als hätten sievöllig die Kontrolle über sich verloren.

Der Blizzard versetzte sie offenbar in Ra-serei und verwirrte ihre Sinne. Immerhinwaren Fermyyd in der Lage, mittels der fin-gerlangen fühlerähnlichen Organe, die wieHörner über ihren Augen aufragten, die vonorganischen Körpern ausgehende schwacheSpannung anzupeilen. Die starken elektri-schen Entladungen in der Atmosphäre hattenoffenbar verheerende Auswirkungen.

Eine bessere Chance, die Stellungen ein-zunehmen, würde sich kaum bieten. Entge-gen seiner bisherigen Absicht befahl Micha-el den Angriff.

Die meisten Fermyyd begriffen nicht, wieihnen geschah. Und die wenigen, die denGalaktikern trotzdem Widerstand entgegen-setzten, standen auf verlorenem Posten undwurden schlichtweg überrannt. Reihenweisefielen sie unter den Paralysestrahlen der An-

greifer.Trotz allem jedoch ein Pyrrhussieg.Kurz danach stand nämlich fest, daß unter

dem Brückenkopf der Fermyyd keine Hohl-räume existierten; auch nach einem in ver-meintliche Tiefen führenden Antigrav-schacht suchte man vergebens.

Icho Tolot begann schallend zu lachen,als er die verblüfften Gesichter sah.

»Die Maschtaren haben uns überlistet«,gestand Michael Rhodan zähneknirschendein. »Sie haben die Fermyyd an einer völligfalschen Position eingesetzt.«

»Die Frage ist, wo liegt der dritte Stütz-punkt der Maschtaren wirklich?« Tifflorblickte nicht minder sauer drein. Sie hattensich übertölpeln lassen wie Anfänger.

*

»Wir jagen Morran, und diesmal lassenwir nicht ein Mauseloch aus, in dem er sichverkriechen könnte.«

Michael Rhodan holte endlich das nach,was er schon längst hätte tun sollen: Er beor-derte die 14 Landungsboote der MONTEGOBAY ebenso wie die Kleinst-Space-Jets, dieShifts und Gleiter in den Einsatz. Auch die16 Space-Jets verließen nacheinander ihreHangars. Jetzt kam es nicht mehr darauf an,unnötige Provokationen zu vermeiden.

Dennoch war es eines der bisherigenSuchkommandos, das endlich die Sichtungeines Borrengleiters meldete. Der Versuch,den Gleiter zur Landung zu zwingen, endetemit einem Angriff dreier Operas. In ihremFeuerschutz erreichte der Borrengleitereinen unversehrten, jedoch desaktiviertenGeschützturm im Nordwesten des Kontin-ents. Die Entfernung zu dem erobertenfalschen Brückenkopf der Fermyyd betrugnicht mehr als lächerliche 450 Kilometer.

Es war klar, daß jener Turm nordwestlichder Zugang zur dritten und letzten Bastionder Maschtaren sein mußte und daß Morrannun alles auf eine Karte setzte, um zu denanderen Maschtaren aufzuschließen.

Eine Space-Jet holte Michael, Tifflor und

52 Hubert Haensel

Page 53: Entscheidung auf Borrengold

Tolot sowie eine Handvoll Ertruser unterRutans Kommando ab. Das Gros des Ein-satzkommandos würde nachfolgen. Dochzuerst galt es, keine Zeit mehr zu verlieren.

*

Morran opferte seine Roboter in der Ge-wißheit, sie nicht länger zu benötigen. DieOperatoren schafften es, den verfolgendenGleiter wenigstens so lange aufzuhalten, biser das nahe Ziel endlich erreicht hatte.

Morran war jedoch klar – ebenso den an-deren Maschtaren, mit denen er nun in per-manenter Verbindung stand –, daß die Ga-laktiker spätestens jetzt das Täuschungsma-növer durchschauen und das wahre Versteckerkennen mußten.

Die Maschtaren drängten zur Eile. Da sieendlich ihre Zurückhaltung aufgeben konn-ten, fiel es ihnen leicht, die aus unterschied-lichen Richtungen anfliegenden Space-Jetszu orten.

»Es liegt uns fern, dich im Stich zu las-sen«, verkündete ausgerechnet Kaiddan III,der erst vor kurzem das Maschtar-Stigma er-halten hatte, »aber wenn du es nicht recht-zeitig schaffst, müssen wir ohne dich nachTampir gehen.«

Zu dem Zeitpunkt schwebte Morranschon im Antigravschacht, in die Tiefe. Vielzu langsam, wie ihm schien.

*

Sie hatten nichts mehr zu verlieren, konn-ten nur noch gewinnen.

Ohne auf irgend etwas Rücksicht zu neh-men, bahnte Icho Tolot sich einen Weg querdurch den Geschützturm bis in dessen Zen-trum. Minuten, wahrscheinlich sogar Sekun-den, würden über den Ausgang des Unter-nehmens Borrengold entscheiden.

Die Stützpunkte der Maschtaren glicheneinander im Detail. Tolots Ziel war dieTransmitterhalle. Korridore, Rampen und

Schächte auf dem Weg dorthin waren nurHindernisse, die unnötig Zeit kosteten.

In vollem Lauf, diesmal auch die Hand-lungsarme zur Unterstützung einsetzend,brach der Haluter schräg durch alle Etagen,eine lebende Kampfmaschine, die Hinder-nisse einfach niederwalzte. Hamamesch undRoboter registrierte er kaum.

Dann die Transmitterhalle … Tolotdurchbrach die Wand, kam aber doch zuspät. Vor ihm verschwand der letzte Mascht-ar im rot flirrenden Entstofflichungsfeld, dassich augenblicklich aufzulösen begann. Undwieder schmolzen die Transmitterbögen.

Auch eine Selbstzerstörungsanlage exi-stierte. Tolot brauchte nur wenig Zeit, umdie Wandverkleidung abzureißen und dieSchaltung zu unterbrechen.

Aber dann wurde er überrascht.Maschtar Morran taumelte in die Halle,

am Ende seiner Kräfte. Ein heiseres Ächzendrang über seine Lippen, als er erkannte, daßer zu spät gekommen war.

»Kein schöner Tag«, sagte Tolot.Der Maschtar torkelte zur Seite. Aus sei-

nem Brustgürtel zuckten Thermo- und Des-integratorstrahlen. Morran schnappte nachLuft, als er sah, daß die Waffen wirkungslosblieben.

Er wich zurück – bis eine Wand ihm Wi-derstand bot.

Als Michael Rhodan und Julian Tifflorbeinahe zehn Minuten später die Transmit-terhalle betraten, war Morran hilflos in einFesselfeld gepackt.

»Die anderen sind weg«, sagte Tolot.»Wahrscheinlich ist diesmal die Vermutungrichtig, daß sie sich ins Zentrum abgesetzthaben.«

»Wir haben einen von ihnen.« Nachdenk-lich musterte Michael den Maschtar. »Erwird uns die Informationen geben, die wirdringend benötigen.«

E N D E

Entscheidung auf Borrengold 53

Page 54: Entscheidung auf Borrengold

Borrengold konnte erobert werden; die Handelsfürsten und ein Maschtar sind Gefangeneder Galaktiker. Damit, so glaubt Perry Rhodan, hat er ein Faustpfand in der Hand, um weite-re Verhandlungen führen zu können. Letztlich geht es um die Existenz von rund 30 MillionenMilchstraßen-Bewohnern, die in Endreddes Bezirk festgehalten werden …

Der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche liefert erneut eine Innenansicht vonEndreddes Bezirk. Dort ist Ronald Tekener unterwegs, als unsterblicher Phasenspringer. SeinSchicksal beleuchtet Peter Griese in seinem Roman, der folgenden Titel trägt:

DER WEG DES SMILERS

54 Hubert Haensel

Page 55: Entscheidung auf Borrengold

Kommentar: Sterngesellschaften

Wenden wir uns diesmal einem astronomischenBackground-Thema zu, den Sterngesellschaften. Be-reits die Philosophen des Altertums bemerkten, daßeinige Sterne in Gruppen auftreten und andere regel-rechte Haufen bilden. Ein klassisches Beispiel sinddie Plejaden (M 45). Man unterscheidet verschiedeneGruppierungen. Neben den allein im Raum stehendenSternen, den sogenannten Feldsternen, den Doppel-und Mehrfachsternen, kennt man die Sternhaufen unddie Assoziationen. Bei den Sternhaufen unterscheidetman zwischen Offenen Sternhaufen (auch Galakti-sche Haufen genannt) und den Kugelsternhaufen.

Offene Sternhaufen sind lose und unregelmäßigeAnsammlungen von Sternen, die ein paar hundert bisein paar tausend Einzelsterne enthalten. Diese kannman leicht unterscheiden. Die helleren Vertreter sindbei den Plejaden oder den Hyaden für das bloße Au-ge sichtbar. Etwa zwei Dutzend solcher Offenen Hau-fen sind ohne Hilfsmittel zu erkennen. Mit der Hilfevon Fernrohren steigt die Zahl auf über eintausend.Die meisten davon befinden sich nahe der galakti-schen Ebene oder der Milchstraße. Sie sind von un-serer Sonne nicht mehr als 10.000 Lichtjahre entfernt.Jenseits dieser relativ geringen Entfernung gibt eszweifellos auch Sternhaufen, aber sie sind schwerauszumachen, da sie mit den Hintergrundsternen ver-schmelzen.

Kugelsternhaufen sind dichtgepackte Anhäufungenvon Hunderttausenden oder gar Millionen von Ster-nen. Klassischer Vertreter ist M 13. Kugelsternhaufenverteilen sich ziemlich gleichmäßig in einer gedachtenKugel, die die ganze Milchstraße einschließt. DieseKugel ist der Halo. Viele sind also relativ weit entfernt(über 100.000 Lichtjahre). Etwas mehr als hundertvon ihnen sind in der Galaxis bekannt. Nach astrono-mischen Maßstäben sind ihre Durchmesser klein. Sieliegen zwischen 20 und 360 Lichtjahren. Sie müssensehr alt sein, wie man aus dem Vorhandensein be-stimmter Sterntypen, wie z.B. der Weißen Zwerge,schließen kann. Die hellsten Kugelsternhaufen, diewir auf der nördlichen Halbkugel beobachten können,sind M 5 und M 13. Auf der südlichen Halbkugel sinddie auffälligsten Vertreter Omega Centauri und 47 Tu-canae.

Assoziationen sind etwas losere Sternfamilien. Siebesitzen keine auffällige Struktur. Sie bestehen haupt-sächlich aus sogenannten 0- und B-Sternen und be-sitzen eine gemeinsame Bewegung durch die Gala-xis. Ferner befinden sie sich in Expansion. All dieseAnzeichen deuten darauf hin, daß Assoziationen ver-hältnismäßig jungen Ursprungs sind.

Sternhaufen sind für die Astrophysik von großer Be-deutung, denn jeder Haufen ist eine Musteransamm-lung von Objekten, die sich annähernd zur gleichenZeit und mit ähnlicher Zusammensetzung verdichte-ten. Man kann durch Vergleiche daraus lernen, wiedie Masse eines Sterns seinen Lebenslauf beeinflußt.

Zusätzlich zu diesen Sterngesellschaften sollte mannoch die Sternpopulationen betrachten, in die dieSterne eingeteilt werden. Bei der Untersuchung des

Andromedanebels (M 31), bekanntlich der uns näch-sten Galaxie, stellten die Astronomen fest, daß dieSterne im Zentralgebiet denen in den Spiralarmensehr unähnlich sind. Aus dieser Beobachtung leiteteman den Grundgedanken der Sternpopulationen ab.Die Eigenschaften der beobachteten Sterne in einerGalaxie sind von Ort zu Ort verschieden. Das jungeMaterial in einer Galaxie findet sich vorzugsweise inden Spiralarmen und umfaßt heiße junge Sterne,Gasnebel und Staub. Man nennt es Population I.Kennzeichnend ist der relativ hohe Anteil an schwe-ren Elementen. Älteres Material findet man in Kugel-sternhaufen, galaktischen Kernen und elliptischen Ga-laxien. Es besteht aus alten, entwickelten Sternen, z.B. Roten Riesen oder Weißen Zwergen. Man bezeich-net es als Population II. Chemisch gesehen enthältdiese Materie nur eine kleine Menge schwerer Ele-mente. Die Objekte der Population I bestehen aus in-terstellarem Gas, das durch die Bruchstücke explodie-render Sterne angereichert wurde, während die derPopulation II vor langer Zeit aus verhältnismäßig un-verarbeitetem Ausgangsstoff entstanden. Der Begriffder Sternpopulation ist von großer Bedeutung für denAufbau der Galaxis.

Entscheidung auf Borrengold 55