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E i-n i- ge verletzen, einige erfreuen, alle prägen und jeder ist anders… Ich bin froh, diese andere Kultur kennengelernt zu haben, besonders n a t ü r- lich die Kinder, mit denen ich gearbei- tet habe… Auch diese Aufgabe fiel uns zu, sodass wir Mutter, Freundin und große Schwester in einem waren… Ich habe mich in dieses unglaub- lich faszinierende und schöne Land Bolivien, aber auch in den extrem abwechslungsreichen Kontinent Südamerika verliebt! …Uns wurde von ehemaligen FSJlern erzählt, dass der Kulturschock nach der Rückkehr in Deutschland viel größer sein würde als der nach der Ankunft in Bolivi- en… Aber neben den Dingen, die vielleicht nicht optimal liefen, gab es ganz wunderbare, bunte, schöne Momente, liebe Menschen, aufregende Reisen und das ein oder andere Mal auch wirklich leckeres Essen… Es ist einfach toll zu sehen, wie es so viele verschiedene Tänze und Lieder gibt, die fast jeder tanzen bzw. mitsingen kann und die auch an diversen Feiern zum Besten gebracht werden… In Bolivien habe ich eine Lebensweise kennengelernt, die viel direkter und realitätsnäher ist, als man es hier gewohnt ist… Unser Team der Mitarbeiter im Centro Cultural Ayopayamanta war wie eine große Familie, da viele schon einige Jahre dort tätig waren und sich auch privat sehr gut verstanden… Jetzt freue ich mich erst mal auf ein tolles Seminar! …Dennoch blicke ich nun auf ein Jahr zurück, das sicherlich vollkommen anders verlaufen ist, als ich es mir vorgestellt habe, aber doch viel besser, als ich es mir erhofft hatte… Nicht zu vergessen natürlich auch die vielen Male, die wir losgezogen sind, um Kinderheime, kulturelle Zentren oder einfach alte, graue Mauern anzumalen, bei denen wir kleine Kunstwerke in der ganzen Stadt hinterlassen haben und manchmal sogar dafür auf Reisen gegangen sind… Es gibt einem das Vertrauen, dass man in einer kleinen Gruppe mit Unterstützung und Kreativität etwas Großes schaffen kann… Daher nutze ich die Gelegenheit im Rahmen dieses Rückblicks gern, um mich noch einmal gedanklich zurückzuversetzen und zu versuchen, all diese Bruchstücke für mich selbst zu einem Ge- samtbild zusammenzusetzen… Ich bin so unglaublich dankbar für all die Erfahrungen, die ich sammeln, für die Orte, die ich sehen, und vor allem für die Menschen, die ich kennenlernen konnte… Ich glaube aber nicht, dass ich mehr da- lassen konnte, als ich mitgenommen habe… Ich werde immer ein Stück Bolivien in meinem Herzen tragen und ich bin sehr froh, dieses Land und viele neue Menschen kennengelernt zu haben, und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dort war! …Viel beschäftigt hat mich daher auch die Frage, was es denn nun letztendlich gebracht hat, dieses Jahr, ob es so war, wie ich es mir vorgestellt habe und ob ich denn eigentlich zufrieden bin mit dem, was ich gemacht habe… Wenn ich an meine Zeit in Bolivien zu- rückdenke, habe ich ein Lächeln auf den Lippen… Wenn man es aus entwicklungspolitischer Sicht betrachtet, muss man alles viel kritischer bewerten… Ich habe nämlich zum einen gemerkt, dass Familienzusammenhalt trotz Schwierigkeiten was Tolles ist und ich eine supertolle Familie habe, zu der ich immer kommen kann, die mich immer auffängt und aufbaut… Aufgrund dieser ganzen neuen Eindrücke würde ich das Jahr damit resümieren, dass ich sagen würde, dass ich mit der Idee nach Bolivien gegangen bin, die Lebensbedingungen der Men- schen dort zu verbessern und das Land weiterzuentwickeln, jedoch bin ich als ein Mensch nach Deutschland zurückgekehrt, der von dem Land Bolivien, seiner Kultur und seinen Menschen weiterentwickelt wurde… Ich kann aber nur jedem, der sich für ein solches Jahr im Ausland in einem vermeintlichen „Entwicklungsland“ entscheidet, raten, sich im Vorhinein kritisch mit den Projekten der Organisation und den Strukturen des Ziellandes auseinanderzusetzen… In vielen Fällen sind diese Freiwilligen unausgebildet und unerfahren in dem Gebiet, in dem sie dann arbeiten… Ohne einen Abschluss zu finden, kann ich abschlie- ßend sagen, dass dieses Jahr entwicklungspolitisch gesehen nichts gebracht hat, aber für mich das schönste Jahr meines Lebens war… Ich habe das Gefühl, die Menschen leben dadurch generell weniger intensiv und mehr wie in Trance… Das schönste Jahr meines Lebens… In diesem streng katholischen Jungeninternat hat Señora Do- ris das Ruder fest in der Hand und bringt den Kindern durch ihre Güte echte Disziplin bei und vor allem, was es heißt, einander zu achten und zu respek- tieren… Ich habe gelernt, mich in eine andere Gesellschaft einzuleben, ihre Lebensweise und Kultur zu akzeptieren und zu versuchen, sie zu ver- stehen… Schnell setzte ich mir meine Kopfhörer auf, um mich, so paradox es klingen mag, in dieser Ruhe zu beruhigen… In meinen Augen kann man nicht kontraproduktiver arbeiten… Abschlie- ßend lässt sich fest- halten, dass ich hier ein tolles Jahr v e r- bracht ha- be. Bolivianisches Kinderhilfswerk e.V. Es kam ganz anders Erfahrungen aus Bolivien Berichte 2012/2013

Es kam ganz anders - bkhw.org · ... §end sagen, dass dieses Jahr ... Es kam ganz anders ... und über Gerechtigkeit und ob es die überhaupt gibt bzw. wer sie festlegt und wer sie

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E i-n i-ge verletzen, einige

erfreuen, alle prägen und jeder ist anders… Ich

bin froh, diese andere Kultur kennengelernt zu haben, besonders

n a t ü r- lich die Kinder, mit denen ich gearbei-tet habe… Auch diese Aufgabe fiel uns zu, sodass

wir Mutter, Freundin und große Schwester in einem waren… Ich habe mich in dieses unglaub-

lich faszinierende und schöne Land Bolivien, aber auch in den extrem abwechslungsreichen Kontinent

Südamerika verliebt! …Uns wurde von ehemaligen FSJlern erzählt, dass der Kulturschock nach der Rückkehr in

Deutschland viel größer sein würde als der nach der Ankunft in Bolivi-en… Aber neben den Dingen, die vielleicht nicht optimal liefen, gab es ganz wunderbare, bunte, schöne Momente, liebe Menschen, aufregende Reisen und das ein oder andere Mal auch wirklich leckeres Essen… Es ist einfach toll zu sehen, wie es so viele verschiedene Tänze und Lieder gibt, die fast jeder tanzen bzw. mitsingen kann und die auch an diversen Feiern zum Besten gebracht werden… In Bolivien habe ich eine Lebensweise kennengelernt, die viel direkter und realitätsnäher ist, als man es hier gewohnt ist… Unser Team der Mitarbeiter im Centro

Cultural Ayopayamanta war wie eine große Familie, da viele schon einige Jahre dort tätig waren und sich auch privat sehr gut verstanden… Jetzt freue ich mich erst mal auf ein tolles Seminar! …Dennoch blicke ich

nun auf ein Jahr zurück, das sicherlich vollkommen anders verlaufen ist, als ich es mir vorgestellt habe, aber doch viel besser, als ich es mir erhofft hatte… Nicht zu vergessen natürlich auch die vielen Male, die wir

losgezogen sind, um Kinderheime, kulturelle Zentren oder einfach alte, graue Mauern anzumalen, bei denen wir kleine Kunstwerke in der ganzen Stadt hinterlassen haben und manchmal sogar dafür auf Reisen gegangen

sind… Es gibt einem das Vertrauen, dass man in einer kleinen Gruppe mit Unterstützung und Kreativität etwas Großes schaffen kann… Daher nutze ich die Gelegenheit im Rahmen dieses Rückblicks gern, um mich noch

einmal gedanklich zurückzuversetzen und zu versuchen, all diese Bruchstücke für mich selbst zu einem Ge-samtbild zusammenzusetzen… Ich bin so unglaublich dankbar für all die Erfahrungen, die ich sammeln, für

die Orte, die ich sehen, und vor allem für die Menschen, die ich kennenlernen konnte… Ich glaube aber nicht, dass ich mehr da-lassen konnte, als ich mitgenommen habe… Ich werde immer ein Stück Bolivien in meinem Herzen tragen und ich bin sehr froh,

dieses Land und viele neue Menschen kennengelernt zu haben, und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dort war! …Viel beschäftigt hat mich daher auch die Frage, was es denn nun letztendlich gebracht hat, dieses Jahr, ob es so war, wie ich es

mir vorgestellt habe und ob ich denn eigentlich zufrieden bin mit dem, was ich gemacht habe… Wenn ich an meine Zeit in Bolivien zu-rückdenke, habe ich ein Lächeln auf den Lippen… Wenn man es aus entwicklungspolitischer Sicht betrachtet, muss man alles viel kritischer

bewerten… Ich habe nämlich zum einen gemerkt, dass Familienzusammenhalt trotz Schwierigkeiten was Tolles ist und ich eine supertolle Familie habe, zu der ich immer kommen kann, die mich immer auffängt und aufbaut… Aufgrund dieser ganzen neuen Eindrücke würde ich das Jahr damit resümieren, dass ich sagen würde, dass ich mit der Idee nach Bolivien gegangen bin, die Lebensbedingungen der Men-schen dort zu verbessern und das Land weiterzuentwickeln, jedoch bin ich als ein Mensch nach Deutschland zurückgekehrt, der von dem Land Bolivien, seiner Kultur und seinen Menschen weiterentwickelt wurde… Ich kann aber nur jedem, der sich für ein solches Jahr im Ausland in einem vermeintlichen „Entwicklungsland“ entscheidet, raten, sich im Vorhinein kritisch mit den Projekten der Organisation

und den Strukturen des Ziellandes auseinanderzusetzen… In vielen Fällen sind diese Freiwilligen unausgebildet und unerfahren in dem Gebiet, in dem sie dann arbeiten… Ohne einen Abschluss zu finden, kann ich abschlie- ßend sagen, dass dieses Jahr entwicklungspolitisch gesehen nichts gebracht hat, aber für mich d a s schönste Jahr meines Lebens war… Ich habe das Gefühl, die Menschen leben dadurch generell weniger intensiv und mehr wie in Trance… Das schönste Jahr

meines Lebens… In diesem streng katholischen Jungeninternat hat Señora Do-ris das Ruder fest in der Hand und bringt den Kindern durch ihre Güte echte

Disziplin bei und vor allem, was es heißt, einander zu achten und zu respek-tieren… Ich habe gelernt, mich in eine andere Gesellschaft einzuleben, ihre

Lebensweise und Kultur zu akzeptieren und zu versuchen, sie zu ver-stehen… Schnell setzte ich mir meine Kopfhörer auf, um mich, so paradox es klingen mag, in dieser Ruhe zu beruhigen… In meinen Augen kann man nicht kontraproduktiver arbeiten… Abschlie-

ßend lässt sich fest- halten, dass ich hier ein tolles Jahr v e r-bracht ha- be.

Bolivianisches Kinderhilfswerk e.V.

Es kam ganz andersErfahrungen aus Bolivien

Berichte 2012/2013

Inhaltsverzeichnis

Andrea Konradina BirkFundación Niño Feliz, Santa Cruz 4

Anna-Lena ReuterAsociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro, Santa Cruz 5

Barbara HillenbrandCalor de Hogar, Sucre 7

Christina Daniela FluhrCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 9

Clara LanfermannRealidades/Instituto Psicopedagógico Ciudad Joven „San Juan de Dios“, Sucre 12

Clara Marie Emma HenrichsFundación Igualdad LGBT, Santa Cruz 14

Franziska Carmen SchopfHogar Guadalupe, Sucre 15

Georg BechlerCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 17

Hannes Marius GaiserCentro Cultural Ayopayamanta, Independencia 18

Jacqueline KrellComunidad de Libertad y Esperanza de la Mujer/Fundacion Niño Feliz, Montero/Santa Cruz 20

Janina Elisabeth WollmannColectivo Rebeldía/Hogar de la Esperanza, Santa Cruz 21

Janna TrinemeierSistema de Coros y Orquestas/ARTErias Urbanas/Walter Henry, Santa Cruz 23

Johanna Sofia KauschARTErias Urbanas, Santa Cruz 25

Jonas KistnerWiñay, Sucre 26

Julia Christin TreichelHogar Misk'i Wasy, Sucre 29

Kilian Friedrich SchweizerAsociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro, Santa Cruz 31

Kristina EhrhornSistema de Coros y Orquestas, Santa Cruz 33

Larissa CremaWiñay, Sucre 34

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Laura KöppenInstituto Psicopedagógico Ciudad Joven „San Juan de Dios“, Sucre 36

Leif BoettcherCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 37

Lisa BonnetHogar Mallorca, Sucre 38

Moritz BraunProductividad Biósfera y Medio Ambiente/Asociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro, Santa Cruz 40

Nazreat ElyasHogar Santa Clotilde, Sucre 42

Nora NothnagelHogar Granja, Sucre 44

Paulina Martinez MorenoCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 46

Ricarda Valerie RivoirCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 48

Sascha-Philippe HeidrichCentro Solidaridad/Hogar Jesús de Nazareth, Sucre 52

Sebastian Marco PscheidlCentro de Formación Integral Rural Vera, El Cortijo 53

Sven Christian LiebscherCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 54

Till HerzogCentro de Formación Integral Rural Vera, El Cortijo 56

Tobias Erwin KneuerCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 58

Vincent Jonas ScheuCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía, Sucre 60

3

Andrea Konradina BirkFundación Niño FelizInzwischen bin ich schon wieder über einen Monat zurück in Deutschland. Wenn ich zurückdenke, kannich kaum glauben, dass ich ein ganzes Jahr in Bolivien verbracht habe. Und da komme ich zurück und esscheint, als habe sich die Welt gar nicht so sehr weitergedreht, wie ich es befürchtet hatte. Natürlich verändertsich die Umgebung ein bisschen und einige Umstände sind nicht mehr dieselben, doch im Grunde bleibendie Menschen (wie man selbst auch) so, wie sie immer waren. Für mich scheint es, als habe man die Zeitangehalten und jetzt gehe es da weiter, wo es aufgehört hat. Es ist schön zu sehen, dass ich dort, wo ichherkomme, noch immer hingehöre. Natürlich war Bolivien für mich in dieser Zeit mein Zuhause, doch zumeiner Heimat konnte es nicht werden. Aber das muss es ja auch nicht. Denn gerade dadurch konnte ich demLand viel kritischer gegenüberstehen. Es gab Höhen und Tiefen, und gerade die schlechten Zeiten, in welchenman merkt, dass man glücklicherweise nur eine bestimmte Zeit in Bolivien verbringt, lehren einen mehr, alswenn man das ganze Jahr ausschließlich ein Hochgefühl erlebt hätte. Durch den Vergleich zu Deutschlandfiel mir auf, auf welchem Niveau wir hier leben, was für die gesunde Entwicklung eines Landes essenziell ist,aber auch, dass man gut ohne bestimmte Dinge zurechtkommt. Und Letztere sind gerade die kleinen Dinge,sei es ein Korkenzieher, eine Waschmaschine, eine warme Dusche. Dafür wurde mir umso bewusster, was fürriesige Auswirkungen eine gute Bildung hat. Schon in alltäglichen Gesprächen erstaunte und betrübte michauch so manche Unwissenheit, und noch schlimmer, so mancher Glaube an offensichtlich abstruse Dinge.Ich bedaure deren Verhalten, doch wenn man mit solch einem Staat in dieses Gewirr hineinwächst, kann iches auch verstehen. Zu sehen, dass es an vielen Ecken fehlt, ist auf der einen Seite zermürbend und löst leiderauch eine große Resignation aus. Doch gerade meine Arbeit in der Fundación Niño Feliz hat mir gezeigt, dassman mit vielen kleinen Dingen etwas Großes schaffen kann. Und gerade als Freiwilliger hat man die Funktion,ein kleiner Teil zu sein, als solcher zu bestehen, wichtig zu sein und das Große zu vervollständigen. Und dazugehört nicht nur die Arbeit an sich, sondern mindestens genauso die kleinen Gespräche, in welchen man vonDeutschland erzählt, von seinen Erfahrungen und Ansichten, Kritik übt und manchmal auch Anstöße zuneuem Denken gibt. Ich bin sehr nachdenklich geworden, über die Menschen, warum verhalten sie sich so,über Systeme, werden sie weiterbestehen können, und über Gerechtigkeit und ob es die überhaupt gibt bzw.wer sie festlegt und wer sie bewusst oder unbewusst zerstört.

Für unzählige Zustände und Themen wurde ich sensibilisiert und war oft ziemlich aufgewühlt. Ich glaube,ich war noch nie so wütend auf die Welt, aber gleichzeitig so dankbar, da zu sein, wie in diesem Jahr. Mir hates in dem Sinne etwas gebracht, mir mehr Gedanken darüber zu machen, wie die Welt funktioniert, vor allemwie unterschiedlich dies an verschiedenen Orten geschieht. Auch wenn man es nie im Ganzen verstehenkann, hilft es trotzdem, wenigstens anzufangen, die kleinen Dinge verstehen zu wollen.

Die Entscheidung, ein Jahr ins Ausland zu gehen, bereue ich nicht im Geringsten. Nie hätte ich sonstso viel Neues kennengelernt und mein Horizont für so vieles geöffnet. Zu den wichtigsten Erfahrungengehört selbstverständlich auch die Freiheit, unkontrollierbar von den Eltern zu sein, sein eigenes Ding zumachen, selbst auf eigenen Beinen zu stehen und sich ein komplett neues Leben aufzubauen, vor allemanfangs ohne wirklich vertraute Menschen. Ein Leben von null zu beginnen ist nichts, was man häufig macht.Eine Gesellschaft verstehen zu lernen und seinen Platz darin zu suchen, war für mich eine der schwerstenAufgaben insgesamt. Es war interessant, Ausländer zu sein und zu sehen, wie die Menschen darauf reagieren.Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht ein schlechtes Wort über Ausländer gehört und konnte mich dadurchschnell vertraut fühlen. Mir bereitete es jedoch Unbehagen, zu wissen, dass Ausländer in Deutschland nichtimmer auf die gleiche Weise aufgenommen werden. Rassismus in unserer Gesellschaft ist inakzeptabel.

Am Ende heißt es bei mir: Es war schön, in Bolivien zu sein, und genauso schön ist es, wieder in Deutsch-land zu sein.

Nun ja, das Wichtigste ist doch – davor wie danach –: Menschen sind Menschen, egal woher sie kommen.Einige verletzen, einige erfreuen, alle prägen und jeder ist anders.

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Anna-Lena ReuterAsociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro

Ab August 2012 absolvierte ich zwölf Monate lang (bzw. „kurz“) einen Freiwilligendienst in Bolivien, SantaCruz de la Sierra. Nun ist es jetzt an der Zeit, mit einem Abschlussbericht ein Endfazit zu ziehen.

Meine Aufgabe während des Jahres war die Mitarbeit in dem kulturellen Zentrum „Centro Cultural SanIsidro“.

Es gibt ein altes Sprichwort, welches besagt, dass aller Anfang schwer sei. Wenn ich an den Anfangmeines Aufenthalts zurückdenke, dann kann ich dies auch nicht ganz abstreiten. Beispielsweise machte mirdie anstrengende Hitze, die mich immer sehr schnell ermüdete und die Arbeit erschwerte, schon mal sehrzu schaffen. Dies wurde aber im Laufe des Jahres auch nicht wirklich besser, denn da Santa Cruz de laSierra eben im tropischen Tiefland liegt, war die Hitze eben nun mal immer sehr schwül und drückend. DieEingewöhnungszeit wurde auch durch die fehlenden Strukturen für die Freiwilligen im Centro Cultural SanIsidro verlängert. Anfangs war es sehr schwierig, seinen eigenen Platz innerhalb der Organisation zu finden.Aber nach der Eingewöhnungszeit hat es super geklappt und ich konnte unproblematisch und mit viel Spaßarbeiten.

Galpón Cultural

Nun einen kleinen Überblick überdie zahlreichen Tätigkeiten, denen ichmich während meines Auslandsaufent-halts widmen durfte. Ich habe, wie schonerwähnt, in dem Centro Cultural SanIsidro gearbeitet, welches in einem eherärmeren Teil von Santa Cruz, nämlichdem Plan 3000, liegt. Dort habe ich zu-sammen mit meinem Mitfreiwilligen Ki-lian Schweizer gearbeitet. In der Nä-he des eigentlichen Kulturzentrums, wel-ches fast ausschließlich für Büroarbei-ten, Vorbereitungen und Versammlun-gen genutzt wird, lag unser Arbeitsbe-reich, nämlich der Galpón Cultural, wel-cher ein großer Schuppen ist. Dort be-schäftigten wir morgens und nachmittagsdie Kinder mit verschiedenen Aktionenund Aktivitäten. Mit großer Abwechs-lung und vielen verschiedenen Angeboten wie einem Bastel-, Theater-, Englisch- oder Judokurs konntendie Kinder spielerisch etwas lernen. Gleichzeitig bedeutete das für uns einen gut gefüllten Wochenplan undimmer genug Arbeit und Abwechslung. Zum einen mussten wir alles planen und vorbereiten und zum ande-ren dann auch ausführen. Durch die Einrichtung eines Computerraums im Centro Cultural San Isidro gegenEnde des Jahres ergab sich für uns die Möglichkeit, den Kindern darüber hinaus Computerkurse anzubieten.

Ansonsten übernahm ich Aufgaben, die gerade anfielen. Zum Beispiel gab es von dem Centro Culturalaus öfter mal größere Aktivitäten, an denen wir, die Freiwilligen, dann auch mithalfen, wo wir konnten. Einesdieser Events war „Fútbol Social“, ein großes Fußballturnier, von uns organisiert, indem es nicht wie sonstum die Tore ging, sondern um soziale Werte wie Teamgeist, Motivation, Fairness etc. Ein anderes Beispiel ist„La Caravana Cultural“ bei der wir mit einer farbigen und verkleideten Karawane durch die Straßen liefen, ummit Botschaften auf Plakaten den Leuten die Wichtigkeit der Kultur und Kunst heutzutage näherzubringen.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass mir meine Arbeit wirklich superviel Spaß gemacht. Am Anfangkonnte ich zunächst klein anfangen, mit der Zeit ständig dazulernen und es kamen immer neue und größereHerausforderungen. Doch auch das selbstständige Arbeiten stand im Vordergrund, denn ich konnte meineeigenen Ideen super umsetzen. Es bereitete mir auch große Freude, ständig in Kontakt zu den Kindern zustehen. Sie strahlen einfach so unglaublich viel Lebensfreude aus und geben einem so viel. Aber bei unse-ren angebotenen Aktivitäten verlief auch nicht immer alles so ganz einfach. Denn ein großer Punkt, an demdie Bolivianer noch arbeiten müssen, ist die Verlässlichkeit bzw. Pünktlichkeit. Als wir mit den Kindern bei-

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spielsweise den Schwedenstuhl bastelten, verteilten wir dies circa über zwei Wochen. Am Anfang waren vieleKinder bei dem Projekt mit dabei, aber dann sind sie auch nicht mehr jeden Tag gekommen, um an ihremSchwedenstuhl weiterzuarbeiten. Aber alles in allem konnte ich wirklich so viel lernen, was mir in meinerZukunft bestimmt oft weiterhelfen wird.

Mit der Zeit habe ich auch die größte Stadt Boliviens, Santa Cruz de la Sierra, lieben gelernt. Anfangs warich sehr überrumpelt von der 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt und ich hatte Angst, dass ich mich als Dorfkindin diesem Jahr hier gar nicht zurechtfinden könnte. Aber ich hab mich dann doch mit der Zeit sehr gut andie Stadt gewöhnt. Santa Cruz de la Sierra ist wirklich eine interessante Stadt, die auf der einen Seite für einebolivianische Stadt sehr westlich ist, aber auf der anderen Seite gibt es auch noch viel traditionelle Kultur zusehen. Man findet beispielsweise neben den westlichen Supermärkten und teuren Restaurants, in denen eswirklich alles gibt, immer noch die schönen Märkte, auf denen man auch gut reichliches bolivianisches Essenbekommt und sehr billiges Obst und Gemüse kaufen kann!

Sehr positiv fand ich an diesem Jahr auch die vielen Reisen, die wir unternehmen konnten. So war esmir möglich, noch mehr von diesem wunderbaren Land mit der einzigartigen Landschaft zu sehen und auchkennenzulernen. Zu den Höhepunkten meiner Reisen gehören auf jeden Fall Salar de Uyuni (ein großerSalzsee) und Machu Picchu in Peru.

Ich bin froh, diese andere Kultur kennengelernt zu haben, besonders natürlich die Kinder, mit denen ichgearbeitet habe.

Ich habe es bisher keinen einzigen Tag bereut, als Freiwillige nach Bolivien gegangen zu sein. Ich konnteso viele neue und interessante Menschen und Lebensweisen kennenlernen, die Landschaft Boliviens genießenund sicherlich eine Menge fürs Leben lernen.

Ich würde jedem einen Freiwilligendienst in Bolivien von Herzen empfehlen. Es ist, wie man so schönsagt, eine Horizonterweiterung. Diese wertvollen Erfahrungen nimmt einem so schnell keiner und sie prägenuns Freiwillige definitiv für das weitere Leben.

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Barbara HillenbrandCalor de Hogar

Nachdem ich wieder gut zu Hause an-gekommen bin und mich wieder ziem-lich schnell in Deutschland eingelebt ha-be, kommt noch einmal ein abschließen-der Bericht über mein Jahr als Freiwilli-ge im Calor de Hogar in Sucre. Anfangsbrauchte ich einige Zeit, bis ich michwirklich wohlgefühlt habe im Hogar. Al-lerdings hatten Franzi und ich ziemlichviel Glück mit dem Personal, das dortin der Zeit arbeitete. Einen Nachmittagsagten sie zu Rike und mir, dass wir vielGeduld mit den Mädchen hätten unddass sie das sehr freue. Dadurch ermu-tigt machte mir die Arbeit gleich nochmehr Spaß. Dias erste Team des Hogarsbemühte sich sehr darum, eine familiäreAtmosphäre für die Mädchen zu schaf-fen, die ausnahmslos aus schwierigen Familiensituationen kamen. Ich wusste bis zum Ende nur sehr sehrwenig von den Mädchen oder darüber, warum sie zu uns gekommen waren. Oft war „abandono“ der offizi-elle Grund. Aber darunter kann alles verstanden werden. Oft habe ich gedacht, dass es einfacher wäre, auf dieMädchen zuzugehen, wenn ich mehr von ihren Geschichten wüsste. Aber egal, was sie erlebt und gesehenhatten, sie waren Kinder, die vermutlich nicht verstanden, warum sie aus ihren Familien gerissen wurden,und sich trotzdem relativ schnell im Hogar einlebten. Allerdings merkten wir, dass die Mädchen in ihrer ei-genen Welt lebten und einfach verdrängten, was sie erlebt hatten, und dass sie auf ziemlich unbestimmte Zeitim Hogar leben mussten. So kam es häufiger vor, dass sie uns erzählten, dass sie am nächsten Tag oder inder nächsten Woche wieder zu ihren Familien zurückkehrten. Nach einiger Zeit wussten wir, dass die Mäd-chen sich das nur ausdachten. In Zweifelsfällen haben wir bei dem Personal immer noch einmal nachgefragt,da es auch oft vorkam, dass die Mädchen von ihren Familien abgeholt wurden, ohne dass einem von unsFreiwilligen Bescheid gesagt wurde.

Alles in allem habe ichbis zum Personalwechsel zuNeujahr meine Rolle im Ho-gar gesucht. Als Freiwilligegehörten wir nicht ganz zumPersonal, aber erst recht nichtzu den Mädchen. Wir stan-den immer zwischen den bei-den Gruppen. Als der Wech-sel zwischen den Educadorasdann abgeschlossen war unddie zweite sich kaum um dieMädchen kümmerte, fiel unsFreiwilligen quasi ihre Arbeitzu. Wir kümmerten uns danndarum, dass der Tag wie ge-plant ablief, dass die Mäd-chen ihre Verpflichtungen er-füllten etc. Da es vom SE-DEGES vorgeschrieben war

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– zumindest ging das Gerücht um, dass es offiziell so sei – gab es sehr wenig Körperkontakt zwischen denMädchen und dem Personal. Auch diese Aufgabe fiel uns zu, sodass wir Mutter, Freundin und große Schwes-ter in einem waren.

Die offiziellen Aufgaben waren, bei den Hausaufgaben zu helfen und sämtliche Projekte, die wir planten,zu bezahlen und zu organisieren. Leider kam es zu nur sehr wenigen Projekten. In den Sommerferien organi-sierten wir einen kleinen Adventskalender mit kleinen Aktivitäten für den Tag, die wir auch meist umsetzten.In den Winterferien, die dieses Jahr nur sehr kurz waren, konnten wir leider nur ganz wenige Ideen umsetzen.Jedoch machten wir einen Ausflug mit einigen Mädchen ins Cortijo. Geplant war eigentlich, mit allen zu fah-ren, aber drei hatten in der Schule Arbeiten, die sie verrichten mussten, und fünf wurden mal wieder bestraft,sodass wir letztlich nur mit sieben Mädchen gehen konnten. Da der Ausflug eigentlich für alle geplant war,waren wir dementsprechend auch sehr enttäuscht von der Leitung, die uns mal wieder einen Strich durch dieRechnung gemacht hatte. Letztlich war es trotzdem ein sehr schöner Tag, bei dem wir feststellen konnten,dass die Mädchen Angst vor Kühen und Schweinen hatten. Es war also auch ziemlich lehrreich für sie.

Gerade in den letzten Monaten war ich noch einmal etwas öfter unterwegs, sodass ich Peru und Bolivi-en noch ein wenig besser kennenlernen konnte und neue Landschaften sah. Abschließend kann ich sagen,dass dieses Jahr ein sehr wertvolles und ereignisreiches Jahr mit vielen neuen Eindrücken war, das ich nichtvergessen werde, und dass ich unbedingt noch einmal nach Bolivien und Peru möchte!

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Christina Daniela FluhrCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía

Ein Jahr Fremder sein auf fremdem Gebiet – Ein Jahr AbenteuerEin Jahr FSJ – Ein Jahr Bolivia!

Am 7. August 2012 begannmeine spannende Reise genBolivien. Ich wohnte 12 Mo-nate in der Hauptstadt Bo-liviens. Sucre ist eine sehrschöne, idyllische Kleinstadtmit 300.000 Einwohnern. Ichwohnte in einem armen Stadt-viertel am Stadtrand Sucresmit anderen deutschen Frei-willigen in einer WG. DasStadtviertel nennt sich Vil-la Armonía. Meine Arbeits-plätze waren eine Kinder-krippe und eine Hausaufga-benhilfe. Beide Stellen gehö-ren zu dem Projekt CEM-VA (Centro Educativo Mul-tifuncional Villa Armonía –Multifunktionales Bildungs-zentrum Villa Armonía), welches vom Bolivianischen Kinderhilfswerk (BKHW – meiner Entsendeorganisa-tion) unterstützt wird. CEMVA besteht aus drei Kinderkrippen, einem Kindergarten, einer Schule, drei Haus-aufgabenhilfen und zwei Werkstätten. Durch CEMVA hat sich Villa Armonía entfalten können, da durch dasProjekt Kinder- und Jugendbetreuung in verschiedensten Formen angeboten werden und so die Eltern derKinder vor- und nachmittags arbeiten können. Daher ist Villa Armonía in den letzten 10 Jahren stetig ge-wachsen und damit auch die Anfrage für Kinder- und Jugendbetreuung. Unsere Aufgabe als Freiwillige inCEMVA war es, die Betreuerinnen, Erzieherinnen und Ausbilder zu unterstützen.

Um 9 Uhr begann mein Tag in derKinderkrippe (Guardería „Casa del Ni-no“). Jeden Monat arbeitete ich mit ei-ner anderen Gruppe (Sala). Die Guarde-ría besteht aus sieben Salas, einer Kücheund einem sehr schönen Innenhof miteinem kleinen Spielplatz. Die Salas sindnach Altersgruppen der Kinder geglie-dert. Die meisten Kinder kommen imAlter von wenigen Monaten zu uns undbleiben, bis sie in den Kindergarten ge-hen. Zurzeit arbeite ich mit den Zweijäh-rigen zusammen mit meinen Kollegin-nen Angelica und Benedicta. Beide sindCholitas. Das ist die Bezeichnung für in-digene Frauen, die sich in traditionellerbolivianischer Tracht kleiden. Mir mach-

te die Arbeit an meinem Arbeitsplatz sehr viel Spaß! Meine Kolleginnen brachten jeden Tag ein bisschen Es-sen mit, damit wir, wenn die Kinder nach dem Frühstück alle auf dem Töpfchen saßen (alle in einer Reihe –was unglaublich lustig aussieht) zusammen frühstücken konnten. (Dazu muss ich sagen, dass ich schon zumFrühstück die bolivianische Kultur hautnah erleben durfte, denn das bolivianische Frühstück hat nichts mit

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dem deutschen zu tun. Es gibt IMMER zu allen Mahlzeiten (also auch zum Frühstück!) Kartoffeln, dazu Reisoder Nudeln mit Gemüse und manchmal Fleisch – und immer sehr lecker! Meistens übten wir mit den Kin-dern nach dem Frühstück die Farben, Zahlen oder Körperteile, oder wir machten Feinmotorik-Übungen, wiezum Beispiel Nudeln auf Schnüre auffädeln. Ansonsten sind wir sehr häufig im Innenhof auf dem Spielplatzgewesen oder machten kleine Ausflüge in die Umgebung. Um zehn Uhr gab es dann einen „Refrigerio“, eine„Erfrischung“. Diese besteht aus einer Frucht oder einem Joghurt.

Nach dem Mittagessen hatte ich an-derthalb bis zwei Stunden Mittagspau-se und um drei Uhr begann meineNachmittagsarbeit in dem Hausaufga-benhilfezentrum, Comedor/Centro Ju-venil Villa Armonía A. Dort arbeitete ichzusammen mit 2 deutschen, 2 bolivia-nischen und einer österreichischen Frei-willigen, sowie der Leiterin des Haus-aufgabenzentrums, mit Kindern im Al-ter zwischen 6 und 16 Jahren an ihrenHausaufgaben. Wir unterstützten natür-lich bei Fragen, halfen ihnen beim Ma-len oder versuchten für Ruhe und Ord-nung im Raum zu Sorgen. Hin und wie-der war ich doch fassungslos, wenn ichsah, wie veraltet das bolivianische Schul-system ist. Die Hausaufgaben der Kinder bestehen sehr häufig aus sinnlosem Abschreiben von Seiten, Buch-staben oder Zahlen, wobei sie meistens nicht einmal verstehen, was sie schreiben. Daher haben wir angefan-gen uns an einen Wochenplan zu halten, mit dem wir versuchten Kinder mit Schwierigkeiten in bestimmtenBereichen zu unterstützen und fördern. Wenn alle mit ihren Hausaufgaben fertig waren, fegten wir Montagsmit den Kindern die Straße, um sie auf die Verschmutzung des Viertels aufmerksam zu machen; Dienstagsmachten wir „Reforzamiento de Lenguaje“ (wir diktierten den Kindern kleine Texte, oder machten Fehler-korrektur); Mittwochs war „Reforzamiento de Matematicas“ angesagt (den Kindern wurden Mathe Aufgabengegeben); am Donnerstag versuchten wir auf das nahegelegene Fußballfeld zu gehen und Freitags tanzten wirmit den Kindern. Bevor die Kinder nach Hause gingen, bekamen sie auch einen „Refrigerio“ (Brot, Joghurtoder Früchte).

In Bolivien gibt es für alle möglichen Anlässe Feste (Tag des Studenten, Tag des Meeres, Tag der Mutter,Tag des Kindes etc.). Zu diesen Anlässen werden dann Torten gebacken und Tänze einstudiert. Das fängtschon bei den Kleinsten an: zum Beispiel studierten wir mit den Kindern aus der Kinderkrippe verschiedensteTänze ein, als der Jahrestag der Guardería anstand. Am Muttertag wurde ein großes Fest für alle Mütter desProjekts veranstaltet. Wir Freiwillige haben auch an mehreren Tänzen teilgenommen, was hieß, dass wir unsebenfalls als Cholitas, bolivianische Krieger oder Clowns verkleideten! Das war ein riesiger Spaß!

Der Freiwilligendienst beinhaltet 24 Urlaubstage. Daher hatte ich das Glück, Bolivien, Chile, Peru undBrasilien ein bisschen zu erkunden. Ich muss sagen: Ich habe mich verliebt! Ich habe mich in dieses un-glaublich faszinierende und schöne Land Bolivien, aber auch in den extrem abwechslungsreichen KontinentSüdamerika verliebt! Ich habe den Dschungel, die Städte, die teilweise auf über 4000 Metern Höhe liegen,den Titicacasee, Machu Picchu, Lima, Iquique, Rio de Janeiro, das Hochland, das Tiefland und noch vielesmehr gesehen – aber noch lange nicht alles!

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¡Siempre llevaré Bolivia en mi corazón y seguramente volveré un día!

Ich möchte mich bei allen austiefstem Herzen bedanken, die mirdurch ihre Spenden und ihre mo-ralische Unterstützung mein Aben-teuer auf diesem Kontinent ermög-licht haben! Ebenfalls gilt meinDank dem BKHW, welches mir dieMöglichkeit gab viele tolle Men-schen und einen wunderschönenKontinent mit einigen seiner vie-len Kulturen kennenzulernen. NachBolivien zu kommen und hier einFreiwilliges Soziales Jahr zu machenwar wahrscheinlich die beste Ent-scheidung, die ich bis jetzt in mei-nem jungen Leben getroffen habe.Dass ich dazu noch so viel posi-tiven Zuspruch und Hilfe erhaltenhabe war der letzte Ruck, den ichgebraucht hatte, um loszulegen.

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Clara LanfermannRealidades/Instituto Psicopedagógico Ciudad Joven „San Juan de Dios“

Es fällt mir schwer, diesen Bericht anzufangen. Einerseits spielt dabei mein ausgeprägter Hang zur Prokras-tination sicher eine Rolle, andererseits bedeutet dieser Bericht auch einen weiteren Schritt des Abschließensmit Bolivien. Seit knapp einem Monat bin ich nun schon wieder in Deutschland und ich vermisse Boliviensehr. Auf dem Vorbereitungsseminar wurden wir vorgewarnt, dass es eine sogenannte Heimwehkurve gibt,die in Bolivien nicht eingetreten war, dafür aber nach meiner Rückkehr nach Bremen. Mit meinen Gedankenwar ich gerade die erste Zeit noch so sehr in Sucre, dass es schwerfiel, sich wieder auf Deutschland einzulas-sen. Uns wurde von ehemaligen FSJlern erzählt, dass der Kulturschock nach der Rückkehr in Deutschlandviel größer sein würde als der nach der Ankunft in Bolivien. Der ganz krasse Fall blieb zwar auch bei derRückkehr nach Bremen aus, aber ein Supermarkt überforderte mich dann doch.

Mein Fazit zu meiner Arbeit ist etwas durchwachsen. Nach Startschwierigkeiten in meinem mir zuerst zu-gedachten Projekt fing ich im September zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Laura in der Guardería „CasaCuna“ im Hospital Poconas an. Hier hatte ich das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden, da drei Angestelltefür über zwanzig Neugeborene bzw. Kleinkinder verantwortlich sind. Neben einer Krankenschwester habenauch immer zwei Mädchen Dienst, die ebenfalls noch sehr jung (die älteste ist 20 Jahre, genau wie ich) undungelernt sind. Ihr Umgang mit den Kindern schien mir anfangs sehr lieblos und oft kalt. Dies hat mich sehrschockiert, jedoch darf man nicht vergessen, dass die Mädchen jeden Tag arbeiten und nachts zusätzlich dieSchule besuchen – das alles für einen sehr niedrigen Lohn. Ich habe nicht das Gefühl, dass es ein pädagogi-sches Konzept gibt, sondern dass an veralteten Strukturen festgehalten wird, die nicht zugunsten der Kinderhinterfragt werden. Es gibt einen großen Raum voller Spielsachen und Lernutensilien nach Montessori, deraus mir nicht nachvollziehbaren Gründen kaum benutzt wird. Es gibt zwar eine Sozialarbeiterin und einePsychologin, jedoch konnte ich auch bei ihnen kein großes Engagement erkennen. Es ist eine Zwickmühle:Auf der einen Seite steht der Wunsch, etwas zu verändern. Auf der anderen Seite dagegen die Sorge, beiKritik aus dem Projekt ausgeschlossen zu werden. Ich kann mir vorstellen, dass es auch den Angestellten sogeht, die dabei viel mehr auf ihre Arbeitsstelle angewiesen sind, als ich es war. Trotz allem hatte ich fast nurnette Kolleginnen, von denen auch einige zu Freundinnen geworden sind. Die Kinder sind mir eh allesamtans Herz gewachsen. Abschließend kann ich sagen, dass ich gerne nachhaltiger geholfen hätte (abgesehenvon der Neugestaltung der Guardería), ich aber trotzdem gebraucht wurde und jeden Morgen mit Freudenzur Arbeit gegangen bin.

Nachmittags sah es dagegen anders aus. Es gab keine Notwendigkeit für meine Anwesenheit und Unter-stützung. Der Profe war mit seiner Nebentätigkeit als Schuster wohl genug beschäftigt, sodass er die Jungenimmer die gleichen Sachen machen lies. Viele der Jungen hatte im Gegenzug auch kein großes Interesse ananderen Aktivitäten. Fiel ich mal einen Tag aus, so wurde mein Projekt nicht weitergeführt, sondern ein neuesbegonnen. Ich hätte sicherlich auch mit mehr Elan an die Sache rangehen können, aber das Desinteresse unddie Demotivation des Lehrers und der Kinder färbte ehrlich gesagt nach einiger Zeit auch auf mich ab. Mei-nen anderen Mitfreiwilligen ging es genauso, und ich würde mir wünschen, dass, wenn überhaupt, nur FSJlermit entsprechender Ausbildung ins Psicopedagógico geschickt würden. Ich hätte die Zeit lieber in einem an-deren Projekt gearbeitet, konnte jedoch der Arbeit im Psicopedagógico auch etwas Positives abgewinnen: Alsmir eröffnet wurde, dass ich mit geistig und körperlich benachteiligten Kindern arbeiten sollte, war ich erstetwas unsicher, ob ich dieser Aufgabe gewachsen sein würde. Meine Sorge war jedoch unbegründet, dennschon schnell konnte ich meine anfänglichen Berührungsängste überwinden und die Kinder ebenso in meinHerz schließen. Meiner Meinung nach sollte sich das BKHW mehr um Projektqualität denn um Quantitätbemühen, da das für alle Beteiligten, ob Freiwilliger oder Projekt, von Vorteil wäre!

Meinen Entschluss, nach Bolivien zu gehen, traf ich eher spontan, da ich damals nichts über dieses Landwusste. Im Nachhinein bin ich sicher, dass ich keine bessere Wahl hätte treffen können. Ich muss gestehen,dass ich erst überrascht war, wie sehr sich doch das Stadtleben in Sucre zu dem in Deutschland gleicht: Auchhier gibt es Cafés, Museen, fast alle haben ein Handy, sind bei Facebook etc. In anderen Bereichen gibt esdagegen sehr große Unterschiede: Das Leben auf dem Land ist mit einem deutschen Landleben niemals zuvergleichen, da oft immer noch mit Ochsen und Pflug das Land bestellt wird, es kaum Zugang zu fließendWasser und Strom gibt, von Sanitäranlagen ganz zu schweigen. Viele Dörfer liegen ganze Tagesmärsche vonder nächsten großen Stadt entfernt. Ich möchte dies nicht bewerten, lediglich erwähnen, dass auch noch

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Menschen außerhalb von technischem Fortschritt und westlichen Standards leben.Was ich zusätzlich von meinen bolivianischen Freunden mitbekommen habe, ist die Schwierigkeit, einen

Job zu finden, der überhaupt bezahlt wird und der nicht von einem auf den anderen Tag kündbar ist. Oftist es so, dass man nach abgeschlossenem Studium erst einmal bis zu zwei Jahre unentgeltlich arbeiten muss,um Referenzen zu sammeln. Ein Freund arbeitete eine Zeit lang in einem Heim der örtlichen Sozialbehörde.Sein Vertrag lief immer nur einen Monat, am Monatsende wurde er gekündigt, um am nächsten Tag wiedereingestellt zu werden. Auch ist es nicht sicher, dass einem der vereinbarte Betrag am Ende auch ausgezahltwird. Es gibt kaum Stabilität und Zuverlässigkeit, von einem sozialen Netz, das einen auffängt, ganz zuschweigen. Ich kenne gut ausgebildete Uni-Absolventinnen, die keine Stelle finden und dann, anstatt ihrenBeruf auszuüben, zum Beispiel bei Nivea als Promoterin arbeiten. Das Fehlen von Zuverlässigkeit war auchin vielen Projekten ein sehr großes Problem. Auch ist Bolivien oft von einem machistischen Geist geprägt.Ich kenne viele Jungs, die mit mehreren Mädchen ausgehen und es dabei klar ist, dass es nicht nur beimHändchenhalten bleibt. Bei einem Mädchen ist dies in der Gesellschaft aber eher verpönt. Eine „gute“ Fraukann kochen, waschen, stricken etc. Aber was ich in diesem Jahr gelernt habe: Man sollte nicht generalisieren.Mein persönliches Umfeld wurde von außerordentlich starken Frauen dominiert, die in der Familie sowie inder Arbeitswelt wichtige Positionen bekleiden.

Es ist ein Balanceakt, über Bolivien zu erzählen. Denn einerseits hat man diese eher negative Seite mit-bekommen, von der man auch berichten will. Aber andererseits ist diese, wie so oft, nur eine von vielen –und in Wahrheit könnte ich hier eine wahre Lobeshymne niederschreiben. Über die Gastfreundschaft, die ichso vorher noch nie erfahren habe, die Spontaneität, die vielen Widersprüche, die Lebensfreude, die Feiertagezu jedmöglichem Anlass, die jahrhundertealten Traditionen und Bräuche, die unbeschreibliche Vielfalt derLandschaft und die Abenteuer, die einem dort alle naselang begegnen. Wie zum Beispiel das Schwimmen ineinem Vulkankrater oder das Zelten an einem Strand mitten in den Anden. Oder die verrückten Taxi- undCamioneta-Fahrten, die vergeblichen Versuche, auf den Märkten zu verhandeln.

Aber allem voran vermisse ich die Menschen, ob Bolivianer oder Deutsche, die ich in diesem Jahr ken-nengelernt habe und die es zu etwas ganz Besonderem gemacht haben! ¡Gracias a todos!

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Clara Marie Emma HenrichsFundación Igualdad LGBTWas mir noch im letzten Jahr als eine unglaublich lange Zeitspanne vorkam, ist wie im Flug vergangen, undnach zwölf Monaten Freiwilligendienst in Bolivien bin ich nun wieder zurück in Deutschland.

Es fällt mir schwer, abschließende Worte zu finden, die angemessen und nachvollziehbar mein Jahr inSanta Cruz beschreiben, weil so wahnsinnig viel passiert ist – Gutes und Schlechtes – dass es kaum möglichist, alles noch einmal wiederzugeben.

Was ich definitiv sagen kann, ist, dass es für mich die richtige Entscheidung war, einen weltwärts-Dienstgemacht zu haben, und dass ich sehr dankbar bin, diese Möglichkeit gehabt und einen Haufen neuer Erfah-rungen gesammelt zu haben.

Das Jahr war nicht immer leicht, besonders, da es in meinem Projekt phasenweise nahezu keine Be-schäftigung gab, was durchaus auch belastend war, und natürlich auch Situationen aufkamen, mit denen ichüberhaupt nicht gerechnet hatte und auf die ich nicht vorbereitet war. Aber neben den Dingen, die vielleichtnicht optimal liefen, gab es ganz wunderbare, bunte, schöne Momente, liebe Menschen, aufregende Reisenund das ein oder andere Mal auch wirklich leckeres Essen.

Im Nachhinein betrachtet hätte ich es wünschenswert gefunden, seitens des BKHW besser vorbereitetund vor allem betreut worden zu sein, da es in der Form, in der ich es in Santa Cruz erlebt habe, kaumUnterstützung durch unsere Koordinatorin gab und viele organisatorische Fragen bis zum Schluss nur un-zureichend geklärt wurden.

Auch der Umstand, dass es in unserer Stadt neu übernommene Projekte gab, die nicht wirklich sorgfältigüberprüft wurden, bevor man entschied, Freiwillige dorthin zu entsenden, ist meiner Meinung nach kritischzu sehen, da es zu großer Frustration führt, keine oder viel zu wenig Arbeit zu haben, wenn man docheigentlich dieser Arbeit wegen nach Bolivien kommt.

Insgesamt bin ich jedoch froh, den Schritt gewagt und Deutschland für ein Jahr den Rücken gekehrt zuhaben, um etwas anderes kennenzulernen, und das habe ich.

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Franziska Carmen SchopfHogar Guadalupe

1 Jahr in – Sucre, Bolivien

„Wer einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.“Dieses Sprichwort kann ich nur unterschreiben. Wenn die Reise, so wie in meinem Fall, ein Jahr lang

andauerte, gibt es besonders viel zu erzählen. In diesem letzten Bericht werde ich einen kleinen Ausschnittdavon geben.

Meine Arbeit im Calor de Hogar und im Centro Guadalupe:

Rückblickend muss ich leider sagen, dass es viele enttäuschende und schwierige Momente gab, was fastausschließlich an dem dort arbeitenden Personal lag. Vielleicht war meine Vorstellung, dort als Freiwilligewillkommen und gewollt zu sein, zu naiv, aber ich hätte mir von den Mitarbeiten mehr Entgegenkommengewünscht. Sehr schade fand ich, dass es immer nur den Freiwilligen und den „Equipo Técnico“ (also dasgesamte dort angestellte Team) gab, es gab kein gemeinsames Team und somit auch keine wirkliche Zusam-menarbeit. Sehr frustrierend war auch, das Gefühl zu haben, nur angesprochen zu werden, wenn sie etwasvon mir brauchten.

Wie ich schon in früheren Berichten erwähnt habe, gab es häufigen Personalwechsel, weswegen sich dasVerhältnis zu den eben Genannten auch öfters verändert hat. In den letzten Monaten hat sich die Situationim Guadalupe zum Beispiel verbessert, während sie im Calor de Hogar immer schlechter wurde.

Durch das schwierige Verhältnis zum Personal war es auch sehr schwierig, Aktivitäten durchzuführen.Anstatt Unterstützung zu bekommen, wurde dies eher erschwert (beispielsweise, da die Hälfte der Mädchenbestraft wurde und man deswegen nicht mit der ganzen Gruppe etwas unternehmen konnte).

Zum Centro Guadalupe muss ich sagen, dass ich anfangs mit vielen Sorgen und Zweifeln dorthin ging,da die Mädchen teilweise nur ein oder zwei Jahre jünger als ich waren und ich nicht genau wusste, wie ichmit ihnen umgehen sollte. Außerdem ist das Zentrum eine Art Vorstufe für das Gefängnis (die Mädchenkommen dorthin bei kleineren Delikten, oder wenn sie noch zu jung für das Gefängnis sind), ich wusste alsonicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten würden.

Nachdem ich aber die Mädchen näher kennengelernt hatte und die Scheu immer mehr geschwunden war,habe ich mich echt gut mit ihnen verstanden und sie auch sehr ins Herz geschlossen. Sehr froh war ich auch,als ich eine Beschäftigung gefunden habe, die den Mädels großen Spaß macht – Perlentiere und -schmuckbasteln!

Im Calor de Hogar blieb das Verhältnis zu den Mädchen das ganze Jahr über mehr oder weniger gleich.Ich denke, es ist einfacher, das Vertrauen von kleineren Mädchen zu erlangen.

Bei beiden „Hogares“ kann ich sagen, dass es meistens vom derzeitigen Personal abhing, wie es mir dortgerade ging, es herrschte einfach eine ganz andere Atmosphäre, wenn ich merkte, respektiert zu werden.Insgesamt lag diese etwas schwierige Situation wahrscheinlich aber auch an der gesamten Institution, dem„SEDEGES“ (das Sozialbüro des Staates), in welchem leider sehr viel falsch läuft. Meiner Erfahrung nachsind dort nicht die Kinder und Jugendlichen im Vordergrund, sondern nur das Ansehen von außerhalb,was sehr traurig ist und was auch zu einer unangemessenen Betreuung der Kinder führt. Wie immer gibt esauch hier Ausnahmen. Andere Freiwillige, die auch in den Hogares von SEDEGES gearbeitet haben, habenÄhnliches erlebt und kritisiert, weswegen wir versucht haben, ein Projekt zu starten, dessen Weiterführungwir nun leider an die neuen Freiwilligen abgeben mussten.

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Mein Leben im schönen Bolivien:

Zuallererst muss ich sagen, dass ich sehr dankbar für dieses Jahr und für die Dinge bin, die ich erleben durfte!Ich habe mich nach kurzen Anfangsschwierigkeiten relativ schnell eingelebt und wohlgefühlt. Ich wurde

einmal von einer Freundin besucht, die öfters meinte, dass Sucre ja sehr anders als Deutschland sei und dasssie dort nicht leben könnte. Zu diesem Zeitpunkt ist mir erst aufgefallen, wie normal und selbstverständlichalles für mich geworden ist. Für mich stellte sich eher die Frage, wie ich wieder in Deutschland würde lebenkönnen.

Oft wurde ich gefragt, was mir an Bolivien am besten gefällt. Neben der tollen Landschaft war es immerdie Kultur, die mich begeistert hat und diesbezüglich hat Bolivien auch sehr viel zu bieten. Es ist einfach tollzu sehen, wie es so viele verschiedene Tänze und Lieder gibt, die fast jeder tanzen bzw. mitsingen kann unddie auch an diversen Feiern zum Besten gebracht werden. In Deutschland vermisse ich so etwas.

Kurz nach meiner Ankunft in Bolivien fand schon die „Entrada de la Virgen de Guadalupe“ statt, eingroßer Umzug der verschiedenen traditionellen Tänze. Andere Freiwillige (Clara und Julia), die schon einenMonat früher angekommen waren, konnten dort mittanzen. Ich wollte auch tanzen und war schon ganzenttäuscht, dass es nicht klappen würde. Wie ich aber auch schon in einem früheren Bericht geschriebenhabe, gab es dann aber doch noch eine etwas kleinere Entrada, bei der ich Tinkuy mittanzen konnte, waseines der tollsten Erlebnisse war!

Wie schon erwähnt war die Landschaft auch sehr beeindruckend. Am besten gefiel es mir auf dem „Cam-po“ also dem Land, außerhalb der Stadt. Dort ist die Landschaft so unberührt und ursprünglich, wie man esin Deutschland fast nirgendwo vorfindet.

Es war echt schwer, wieder heimzugehen und Bolivien hinter sich zu lassen. Ich musste ein Leben dortaufgeben mit bestimmten Gewohnheiten, wie zum Beispiel das Microfahren (Busfahren) ohne festen Fahr-plan, das Treffen auf der Hauptplaza oder das Einkaufen auf den Mercados (Märkten). Ich musste michvon den Mädels aus meiner Arbeit verabschieden, die ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde, und meinebolivianischen Freunden musste ich auch verlassen.

Obwohl nicht alles perfekt war, bin ich trotzdem froh, die Möglichkeit gehabt zu haben solche Erfah-rungen zu machen und Bolivien kennengelernt zu haben, mit allen Vor- und Nachteilen, die es hat.

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Georg BechlerCentro Educativo Multifuncional Villa ArmoníaNun ist mein Freiwilligenjahr schon wieder zu Ende und ich bin zurück in der Heimat, auch wenn es sich bisjetzt nicht so recht nach Heimat anfühlt. Denn in Bolivien habe ich fast alle meine Gewohnheiten geändertund ein komplett anderes Leben geführt, auf vieles vom gewohnten Luxus verzichtet. Zwei Wochen bin ichnun erst weg aus Sucre und kann immer noch nicht einordnen, was ich von Deutschland halten soll.

Von Anfang an fühlte ich mich sehr wohl in unserem neuen Zuhause in Sucre, auch wenn ich die erstenWochen noch fast ohne Spanischkenntnisse auskommen musste. Jeden Tag gab es tausend Dinge in dieserneuen Welt zu entdecken und so verging die erste Zeit für mich sehr schnell. Auch das Leben im weltwärts-Haus war sehr locker und half mir, mich anfangs schneller in der Fremde zurechtzufinden. Meine Arbeit inder Biblioteca gefiel mir auch sehr gut, da ich liebevoll empfangen wurde und die Kinder sich schnell an michgewöhnten. In dem Centro Juvenil, in dem ich gearbeitet habe – vergleichbar mit einem Hort hierzulande –lag der Schwerpunkt meiner Beschäftigung auf der Hausaufgabenhilfe, und schnell merkte ich, dass die staat-lichen Schulen vor Ort pädagogisch meist kaum nachvollziehbare Aufgaben an die Kinder verteilten. Lernenheißt hier oftmals Abschreiben, zuweilen auch fünfmal hintereinander, und den Kindern wird systematisch dieFähigkeit abtrainiert, sich Themen selbst zu erarbeiten und eine eigene Meinung zu entwickeln. Auf Einzelnewird in den überfüllten Klassen selten achtgegeben und die Lehrer ziehen ihren Frontalunterricht unentwegtdurch, sodass es vorkommt, dass manche Kinder schon seit Wochen dem Stoff nicht hinterherkommen. Dashat die Folge, dass man mit den Kleinen vor riesigen Aufgabenbergen sitzt, mit Doppelbrüchen voller Wur-zeln und Potenzen, und die Kinder nicht mal ansatzweise eine Vorstellung davon haben, worum es sich beieinem Bruch überhaupt handelt. Dies außerschulisch in kurzer Zeit zu bewältigen, vor allem ohne pädagogi-sche Ausbildung, erscheint mir illusorisch. Wenn sich das Schulsystem und das vorherrschende Verständnisvon Bildung nicht grundlegend ändern und nicht gute Lehrer eingesetzt werden, die ihr Fach verstehen, bleibtdie Bildungsarmut in Bolivien bestehen. Trotzdem konnte ich während der Arbeit auch viele schöne Erfah-rungen machen, zum Beispiel habe ich den Garten des Projektes nutzbar gemacht, mit den Kindern Gemüseangebaut und viele kostbare Stunden hier verbracht. Des Weiteren habe ich einen Englischkurs gehalten, dendie Kinder mit viel Freude annahmen und an dem sie großes Interesse zeigten. Der Englischunterricht derstaatlichen Schulen entlässt die Kinder nämlich nach vielen Jahren ohne die geringsten Kenntnisse. Dadurchhabe ich letztlich eine Möglichkeit gefunden, mich einzubringen und die Einrichtung zu bereichern, um nichtnur im Diktat der Hausaufgaben gefangen zu sein.

Auch außerhalb der Arbeit habe ich viele kostbare Erfahrungen gesammelt, wunderbare Menschen ken-nengelernt und tiefe Freundschaften geschlossen. Außerdem bot sich uns die Möglichkeit, durch Reisen großeTeile des so unglaublich abwechslungsreichen Boliviens kennenzulernen. Dadurch, dass dieses Land die drei-fache Fläche Deutschlands besitzt und alle Klima- und Vegetationszonen beherbergt, lag eine schier endloseEntdeckungsreise durch die unterschiedlichen Teile des Landes vor uns. Land und Leute kennenzulernenund sich von früheren Hemmungen und deutschen Eigenheiten Stück für Stück freizumachen, empfinde ichjetzt mehr denn je als große Bereicherung, wenn ich sehe, wie befremdlich doch das Weltbild einiger Leutehierzulande ist, die nie ihr gewohntes Denkmuster verlassen konnten und Konsum über alles andere stellen.In Bolivien habe ich eine Lebensweise kennengelernt, die viel direkter und realitätsnäher ist, als man es hiergewohnt ist.

Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar dafür, die Möglichkeit gehabt zu haben Erfahrungen zu sammeln, aufdie ich stets zurückgreifen werde. Außerdem bin ich sehr froh darüber, nun viele Dinge mehr wertschätzenzu können, wie die ständige Verfügbarkeit von warmem Wasser und Strom und eine Schulbildung, die mirdie Möglichkeit gegeben hat, Dinge kritisch zu hinterfragen und mir eine eigene Meinung zu bilden. Dieseund viele andere unserer Privilegien zu kennen ist ein wichtiger Schritt zu einem globalen Denken, welchesheute mehr denn je von Relevanz ist.

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Hannes Marius GaiserCentro Cultural Ayopayamanta

Mein freiwilliges soziales Jahr mit dem BKHW

Hallo, mein Name ist Hannes Gaiserund ich war letztes Jahr mit dem BKHWin Bolivien, genauer gesagt in Indepen-dencia, einem kleinen Dorf in der Pro-vinz Ayopaya im Departamento Co-chabamba. Cochabamba heißt auch dienächstgrößere Stadt, in welche täglichBusse in teils fragwürdigem Zustand miteiner Fahrzeit von sieben bis acht Stun-den fahren. Da es in Independencia kei-nen Geldautomaten gibt, war ich ge-zwungen, alle drei bis vier Wochen nachCochabamba zu reisen, um dort Geld zuholen. Dies war zwar jedes Mal sehr er-schöpfend, weil Nachtfahrt und extremunbequeme Busse eine schlechte Kon-stellation sind, aber ich genoss doch im-mer die Cochabamba-Wochenenden, da so eine Großstadt schon ganz andere Möglichkeiten bietet. Nichts-destotrotz bin ich eigentlich jedes Mal wieder gerne in „mein“ Dorf zurückgekehrt.

Da ich der einzige Freiwillige des BKHW war, der nach Independencia entsandt wurde, war ich vormeinem Jahr noch etwas ungewiss, ob ich auch der einzige Ausländer dort sein würde. Dem war aber nicht so,da neben mir anfangs noch fünf (!) weitere deutsche Freiwillige in dem 2000-Seelen-Dörfchen untergebrachtwaren, davon drei mit mir im Haus, teils mit einer anderen Organisation oder gänzlich ohne und auf eigeneFaust. Zwar alles Mädels, aber hat auch seine Vorteile, der Hahn im Korb zu sein.

Meine Vor-Ort-Organisation war dasCentro Cultural Ayopayamanta und istein Kulturzentrum, welches sich zumZiel gesetzt hat, die Lebensqualität inder ländlichen Provinz Ayopaya, spezi-ell in ihrer Hauptstadt Independencia, zuverbessern und so der aktuell in Boli-vien sehr stark verbreiteten Landfluchtentgegenzuwirken. Verwirklicht werdensoll dieses Ziel durch viele kleine ver-schiedene Projekte, welche im Idealfallden Landwirten dort die Arbeit ver-einfachen und gleichzeitig dem Dorf-nachwuchs bessere Bildungsmöglichkei-ten und eine lokale Zukunft ermögli-chen. Dies reicht vom Bau eines Wasser-

bassins und der Verlegung von Rohren zur Bewässerung auf den Feldern bis zur Unterstützung der örtlichenweiterführenden Schulen durch Material und Fachwissen.

So war es auch meine Aufgabe, vormittags von 7.30 bis 12.30 Uhr in eine der beiden weiterführendenSchulen (Colegios) zu gehen und anfangs die Englischlehrerin, später dann den Sportlehrer so gut ich konntezu unterstützen. Dies ging im Englischunterricht recht gut, da das Niveau der Schüler, aber leider auch das derLehrerin in Englisch niedrig war. So konnte ich vor allem in der Aussprache und bei Vokabelfragen helfen.Dennoch war es manchmal sehr ernüchternd zu sehen, auf welchem Stand die Schüler dort waren. So fragtemich beispielsweise einmal ein Schüler des Abschlussjahrgangs (17 bis 18 Jahre alt), wie man denn die Zahl17 auf Englisch ausschreiben würde.

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Nach knapp einem Monat wechselte ich dann in den Sportunterricht der Grundschule, da ich eigentlichvon Anfang an in den Sportunterricht gehen wollte, aber da die Mädels, die ohne Organisation da waren,einfach mal vier Wochen auf ihr Visa warten mussten und in dieser Zeit in Cochabamba blieben, übernahmich anfangs den Englischunterricht, den später dann eines der Mädels begleitete.

Im Sportunterricht machte es mir Spaß, den Jüngsten der Schule die Freude an der Bewegung zu zei-gen und sie auf eine Aufführung vorzubereiten, die am Ende des Schuljahres (in Bolivien im Dezember)stattfinden sollte.

Im neuen Schuljahr, welches im Februar begann, teilte mir dann der Schulleiter mit, dass ich nun mit demSportlehrer für die älteren Schüler zusammenarbeiten würde. Anfangs freute ich mich noch darüber, da ichso die Möglichkeit hatte, alle Schüler der Schule kennenzulernen und eventuell den Versuch starten konnte,den älteren „meine“ Sportart – Handball – näherzubringen. Letzteres sollte leider nie zustande kommen, daquasi mit Beginn des Schuljahres die Vorbereitungen für die im Mai stattfindende Sport-Olympiade, in dersich in fast allen Disziplinen und Mannschaftssportarten gemessen wurde, zu treffen.

Dennoch war es auf jeden Fall eine besondere Erfahrung, sich in der Schule auf einmal auf der Seite derLehrer wiederzufinden, und ich hoffe, ich konnte den Schülern dort bestmöglich helfen.

Auf unserer Abschiedsfeier mit dem Team vom Centro Cultural Ayopayamanta

Wenn ich von der Schu-le heimkam, kochte eine An-gestellte des Centros extra füruns Freiwillige und wir hat-ten etwas Zeit, uns auszuru-hen. Etwa um 14 Uhr ging esdann weiter mit arbeiten: nunfür das Centro selbst. Die-se Arbeiten waren sehr ab-wechslungsreich und meistenssehr spannend, da wir auchmal raus aufs Land fuhren,um den Bauern dort bei ih-rer Arbeit zu helfen oder ein-fach nur, um Informationenzu sammeln und sich zu berat-schlagen. Auch im Haus selbstgab es immer wieder Arbeiten, die gemacht werden mussten, wie Fenster einsetzen oder auf- und umräumendiverser Gerätschaften. Auch half ich beim Bau einer neuen Garage mit Wellblechdach. Dazu gab es beiuns im Haus eine Bibliothek, in die jeden Nachmittag die Schüler zum Hausaufgabenmachen und Sichaus-tauschen kamen. Dort fand man immer hilfsbedürftige Schüler, die mit den ihnen gestellten Aufgaben nichtklarkamen oder einfach ein Ohr zum Zuhören brauchten. Nach knapp acht Monaten meiner Zeit dort wurdezudem ein Internetcafé eingerichtet, in dem ich anfangs für die Administration zuständig war. Später arbei-tete ich gemeinsam mit einer der anderen Freiwilligen eine Mitarbeiterin ein, die nun selbstständig für dasInternetcafé zuständig ist.

Unser Team der Mitarbeiter im Centro Cultural Ayopayamanta war wie eine große Familie, da viele schoneinige Jahre dort tätig waren und sich auch privat sehr gut verstanden. Ich habe mich dort immer sehr wohl-gefühlt und vermisse alle schon jetzt.

Alles in allem war es ein sehr spannendes und erlebnisreiches Jahr, welches ich auf keinen Fall missen willund jedem, der die Möglichkeit hat, ein solches freiwilliges soziales Jahr zu machen, wärmstens empfehlenkann.

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Jacqueline KrellComunidad de Libertad y Esperanza de la Mujer/Fundacion Niño FelizZwei Wochen bin ich nun wieder in Deutschland und mittlerweile habe ich auch schon das Gefühl, michwieder eingelebt zu haben. Im Moment denke ich nicht viel an Bolivien, ich glaube, dass ich einfach nochkeine Zeit dazu gehabt habe. Hier trifft man die Familie, da die Freunde, man geht zum Sport, lässt sichauf Partys blicken oder muss noch irgendetwas fürs Studium vorbereiten. Ich denke, dass es den anderenNeuankömmlingen ähnlich geht. Deshalb halte ich auch das Nachbereitungsseminar für eine gute Sache.Hier hat man noch mal die Möglichkeit, sich in Ruhe von den anderen Freiwilligen zu verabschieden, sichmit dem, was da in Bolivien passiert ist, auseinanderzusetzen und, wenn man das nicht schon zur Genügegetan hat, Erfahrungen auszutauschen. Auch das Tief nach der Rückkehr ist noch nicht wirklich eingetreten,was bestimmt damit zusammenhängt, dass es für mich ja das zweite Mal im Ausland war und ich wusste, wiedas ungefähr werden würde.

Ich muss sagen, dass ich froh bin, wieder hier in Deutschland zu sein, dennoch habe ich mittlerweile ge-merkt, dass es doch einige Dinge gibt, die ich vermisse. Zum einen vermisse ich es, mein Wissen in Tanz anmeine SchülerInnen aus der Fundación weiterzugeben und zu sehen, wie diese darin aufgehen, Fortschrittemachen und nach einiger Zeit auch sehr gut aus sich rauskommen können. Sehr schade finde ich, dass sichdas BKHW nicht darum gekümmert hat, dass mein NachfolgerIn diesen Kurs weiterführen kann, sondernzu den vorhandenen zwei bolivianischen Geigenlehrern noch zwei freiwillige Geigenlehrer geschickt hat. DerFundación ist es nämlich im Moment nicht möglich, einen bezahlten Tanzlehrer einzustellen. Hier fehlt jetztleider die Nachhaltigkeit des Kleinprojekts, das ich aufgebaut habe. Für die Auswahl der nächsten Freiwil-ligen schlage ich mehr Kommunikation mit den Freiwilligen vor Ort vor. Diese wissen am besten, welcheVoraussetzungen nötig sind, um in dem entsprechenden Projekt zu arbeiten.

Ansonsten vermisse ich unsere Freiwilligen-WG und die täglichen Tanzstunden nach der Arbeit in meinerTanzschule, die man sich in Deutschland in der Häufigkeit nicht hätte leisten können. Ich habe es nicht bereut,dieses Jahr gemacht zu haben, denn außer dass ich persönlich weiter gereift bin, hat es zudem auch meinenBerufswunsch, als Tänzerin zu arbeiten, verfestigt. Daneben vermisse ich eigentlich nur kleine Dinge, wieSalteñas oder das günstige Taxifahren und tatsächlich manchmal die Unkompliziertheit der Dinge.

Ich bin aber im Gegensatz dazu um vieles froh, mit dem ich mich jetzt nicht mehr „rumärgern“ muss.Mit der bolivianischen Mentalität konnte ich mich zum Beispiel nicht so gut anfreunden. Klar habe ich auchFreundschaften mit Bolivianern geschlossen, aber ob es an dem einen Jahr lag oder an der Mentalität, richtigeTiefe hat das Ganze nie bekommen. Oft werden zu wenig Ehrlichkeit und klare Worte oder Vorausplanungan den Tag gelegt. Und auf das ausgeprägte Machoverhalten kann ich auch verzichten.

Weiterhin werde ich jedoch die Fundación Niño Feliz unterstützen, bei ihrer Suche nach Pateneltern fürdie Kinder, die dafür sorgen, dass die Fundación weiter bestehen kann und den Kindern Schulmaterial undeine warme Mahlzeit am Tag garantieren.

Jetzt freue ich mich erst mal auf ein tolles Seminar!

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Janina Elisabeth WollmannColectivo Rebeldía/Hogar de la Esperanza

Nun ist es an der Zeit, den allerletzten der insgesamt vier Berichte über meinen Freiwilligendienst 2012/13 inSanta Cruz de la Sierra, Bolivien, zu verfassen. Mit einigem Abstand kann ich nun auf dieses Jahr zurückbli-cken, das mich um unglaublich viele schöne, bereichernde, aber auch schwierige Erfahrungen reicher gemachthat, und sehe nun vieles – wie auf dem Vorbereitungsseminar schon prophezeit – mit anderen Augen als vordiesem Aufenthalt.

Aber nun der Reihe nach:Im August 2012 bin ich in Bolivien angekommen mit dem Ziel, einen einjährigen weltwärts-Freiwilli-

gendienst in der bolivianischen NGO Colectivo Rebeldía (CORE) zu leisten. Das CORE ist eine kleine 10-köpfige NGO, die verschiedene Projekte durchführt, um die Lebenslage bolivianischer Frauen in der StadtSanta Cruz de la Sierra und auf dem Land, also in der Chiquitania, zu verbessern. Dazu arbeiten sie neben denFrauen in der Stadt auch mit Frauen der drei in der Chiquitania lebenden Pueblos Indígenas: mit dem PuebloChiquitano, dem Pueblo Ayoreo und dem Pueblo Guarayo. Neben Projekten zur HIV-/Aids-Prävention, Ge-waltprävention, „Diversidades Sexuales en Pueblos Indígenas“ und einigen interkulturellen und in anderenThemengebieten beheimateten Veranstaltungsreihen (Encuentro Social Alternativo Vallegrande, Escuela deCiudadania etc.), führen sie zudem ein eigenes Radioprogramm und ein Projekt zu den Themen „embarazoadolescente/métodos anticonceptivos/aborto“ durch, in welchem ich schwerpunktmäßig mitgearbeitet habe.Mein Arbeitsbereich lag hauptsächlich in der logistischen Unterstützung bei Vorbereitungen von Projektenund Veranstaltungen, der Betreuung der Internetpräsenz (Homepage, Facebook-Seite), generellen Hilfstä-tigkeiten und der Mithilfe beim Projekt „embarazo adolescente“. Das CORE ist ein äußerst interessantesweltwärts-Projekt, in dem ich enorm viel über die bolivianische Gesellschaft, die Situation der Frauen, aberauch über ganz Lateinamerika lernen konnte. Dennoch hat es leider nicht ausreichend die Charakteristikaeines weltwärts-Projekts erfüllt, denn über sehr weite Strecken konnte ich nur sehr wenig aktiv mitarbeiten.Das lag zum einen an der Tatsache, dass es für eine einfache, nicht studierte Abiturientin aus Deutschlandsehr schwierig ist, sich innerhalb eines Jahres in die Arbeitsstruktur einzugliedern bzw. die inhaltlichen Anfor-derungen zu erfüllen. Zum anderen existierten auch vonseiten des CORE einige strukturelle Probleme sowieauch wenig Interesse, mich in den Arbeitsablauf zu integrieren. Dennoch ist das CORE meiner Meinungnach ein sehr wichtiges Projekt, da es ein großer und wichtiger Bestandteil der politischen Kräfte in SantaCruz ist, und auch die Mitarbeiterinnen sind sehr nett.

Doch da ich eigentlich mit dem Ziel nach Bolivien gekommen war, ein Jahr in einem wirklich sinnvollenProjekt zu arbeiten, beschloss ich nach dem Zwischenseminar im Januar, mir noch ein zweites Projekt zusuchen. Angeregt durch den Ausflug auf dem Zwischenseminar in den Hogar Cristo Rey in Cochabamba,begann ich halbtags in der Hausaufgabenbetreuung des Partnerkinderheims Hogar de la Esperanza zu ar-beiten. Der Hogar de la Esperanza ist ein Kinderheim, das hauptsächlich Kinder von Insassen des dortigenGefängnis Palmasola beherbergt. Denn sonst ist es in Bolivien meist die Regel, dass Kinder mit ihren Elternim Gefängnis leben, was sicherlich in den wenigsten Fällen optimale Umstände für das Aufwachsen einesKindes bietet. Im Hogar arbeitete ich mit Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren, die die erste Klassebesuchten. Trotz vieler Schwierigkeiten in der Arbeit mit den Kindern, die meistens Lern- und Konzentrati-onsschwierigkeiten oder eine niedrige Toleranz- und Aggressionsschwelle aufwiesen, hat mir die Arbeit dortwahnsinnig viel Spaß gemacht. Denn obwohl ich dort nur halbtags war, konnte ich eine sehr gute Bindung zuden Kindern aufbauen und immer wieder erleben, wie meine Arbeit dort immer wieder ein kleines bisschenhelfen konnte. In meiner letzten Woche im Hogar habe ich dort außerdem noch ein Miniprojekt mit ARTE-rias Urbanas, einem örtlichen Künstlerkollektiv, durchgeführt. Im Rahmen des Miniprojekts haben wir mitca. 30 Kindern Stoff bemalt, um damit die Räumlichkeiten des Hogars zu verschönern und außerdem ihrekünstlerische Ausbildung zu stärken.

Einen weiteren wichtigen Aspekt meines Jahres in Bolivien stellte meine Wohnsituation dar, die sich imVerlauf der Zeit einige Male grundlegend änderte. Zunächst war geplant, dass jeder Einzelne von uns daserste halbe Jahr in Gastfamilien unterkommen würde. Bei unserer Ankunft gab es allerdings nicht genügendGastfamilien, weshalb ich übergangsweise in eine WG mit einer Mitfreiwilligen, unserer Koordinatorin undihrem Freund zog, die nach Ankunft der anderen Freiwilligen im September noch um drei weitere Freiwilligebereichert wurde. Nach ca. anderthalb Monaten zog ich dann zur Familie Rodriguez, die aus einem Vater

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mit seiner 25-jährigen Tochter und einer Haushaltshilfe bestand. Die anfängliche Freude über das Wohnenin einer Gastfamilie schlug allerdings schnell um, da das Familienleben leider nicht in dem Rahmen stattfand,wie ich es mir vorgestellt hatte und die Familienstruktur nur sehr schwer mit meiner Arbeit im CORE undmeiner Auffassung von einem respektvollen interfamiliären Umgang zu vereinbaren war. Deshalb gründeteich mit fünf Mitfreiwilligen eine eigene WG, in der ich die restlichen neun Monate wohnte.

Bolivien ist ein unglaublich vielfältiges Land, z.B. unterscheiden sich meine Erfahrungen vom Leben inSanta Cruz vollkommen von denen anderer Freiwillige in Sucre, La Paz oder in ländlicheren Regionen. Dochunterscheidet sich das Bolivien, das ich kennengelernt habe auch vollkommen von dem, was ich mir vorherunter Lateinamerika vorgestellt hatte. Doch habe ich in diesem Jahr sehr vieles sehr zu schätzen gelernt,sowohl in Bolivien als auch in Deutschland. Da wäre z.B. die Tatsache, dass in Bolivien fast alles auf einemder vielen Märkte, Tiendas oder kleinen Straßenständen erworben werden kann. Oder dass man einfach aneiner beliebigen Stelle zu einer beliebigen Zeit in einen Micro einsteigen kann oder ganz einfach ein Ticketfür eine Flota zwei Stunden vor Abfahrt kaufen kann und vieles mehr. Doch ist es wiederum auch schön,nach Belieben warmes Wasser und eine Waschmaschine zur Verfügung zu haben oder sich viel einfachervegetarisch ernähren zu können. Was mich in diesem Jahr jedoch auch ständig auf negative Weise begleitethat, ist der Aspekt der Sicherheit. Die Tatsache, dass man als Frau nicht unbedingt nachts allein durch dieStraßen laufen, in Taxis immer wachsam sein und ständig auf seine Taschen aufpassen sollte, ist doch etwas,an das ich mich nie so recht gewöhnen konnte. Dass man außerdem als junge Frau sich nicht unbehelligt inder Öffentlichkeit bewegen kann, ohne angemacht zu werden, ist ein weiterer Aspekt, an den man sich nieso recht gewöhnen wollte und konnte.

Dennoch blicke ich nun auf ein Jahr zurück, das sicherlich vollkommen anders verlaufen ist, als ich esmir vorgestellt habe, aber doch viel besser, als ich es mir erhofft hatte.

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Janna TrinemeierSistema de Coros y Orquestas/ARTErias Urbanas/Walter Henry

Vor knapp einem Jahr stieg ich in Frankfurt in den Flieger und machte mich auf den Weg in ein für michbis dahin unbekanntes und fremdes Land, Bolivien. Zwölf Monate lebte ich in Santa Cruz und arbeiteteals Freiwillige in verschiedenen Projekten. In dem Projekt SICOR (Sistema de Coros y Orquestas) gab ichKlarinettenunterricht für Kinder und wurde Mitglied des Jugendorchesters.

Die Musikschule liegt in einem armen Viertelvon Santa Cruz und den Kindern wird für einensehr geringen monatlichen Beitrag das tägliche Aus-leihen und Erlernen eines Instrumentes ermöglicht.Es war für mich anfangs sehr schwer, mich dort ein-zugewöhnen und mich als Teil der Musikschule zufühlen. Aus Deutschland brachte ich keinerlei Er-fahrungen im Unterrichten mit und vonseiten desProjektes wurde mir wenig Unterstützung geboten.Dass es anfangs nur einen sehr unregelmäßig er-scheinenden Schüler für mich gab, machte die Si-tuation nicht einfacher. Erst in den Sommerferienim Januar, als ein kleiner aufgeweckter Junge regel-mäßig zum Unterricht kam, begann ich gerne in dieMusikschule zu gehen. Es folgten weitere Schüler,doch da ich mich lange Zeit sehr unwohl und un-nütz fühlte, hatte ich zu diesem Zeitpunkt meineArbeitszeit bei SICOR bereits von fünf auf zwei bisdrei Nachmittage die Woche gekürzt. Ein paar Kin-der und Mitarbeiter der Musikschule habe ich mitder Zeit wirklich in mein Herz geschlossen. InterneProbleme des Projektes, besonders Organisations-probleme, machten es uns Freiwilligen jedoch sehrschwer, unseren Platz dort zu finden und uns alssinnvolle Arbeitskraft zu fühlen.

In der Zeit, in der ich nicht bei SICOR arbeitete, begleitete ich also eine Mitfreiwillige in ihr ProjektARTErias Urbanas. ARTErias ist ein junges Künstlerkollektiv, bestehend aus Kunststudenten und anderenKünstlern aller Art: Malern, Fotografen, Akrobaten, Theaterspielern, Musiker… Johanna und ich halfen beider Organisation und Durchführung vieler verschiedener Projekte wie Malkursen, Ausstellungen, Konzerten,Kinoabenden oder auch dem Ausmisten und Aufräumen des Ateliers. Am besten gefallen hat mir jedochunser Kindermalkurs kurz vor Weihnachten, den wir selbstständig geplant und durchgeführt haben und indem wir mit einer Gruppe von Kindern jeden Tag gebastelt, gespielt und gemalt haben. Nicht zu vergessennatürlich auch die vielen Male, die wir losgezogen sind, um Kinderheime, kulturelle Zentren oder einfachalte, graue Mauern anzumalen, bei denen wir kleine Kunstwerke in der ganzen Stadt hinterlassen haben undmanchmal sogar dafür auf Reisen gegangen sind. Bei ARTErias habe ich mich sehr wohlgefühlt und es warschön, als volles Mitglied gesehen zu werden. Wir haben im Atelier nicht nur zusammen gearbeitet, sondernauch zusammen gekocht, gequatscht und gefeiert.

Als Mitte April weitere Projekte für die neue Freiwilligengeneration gesucht wurden, bekam ich die Mög-lichkeit, in meinen letzten Monaten noch in einem Kindergarten mitzuhelfen. Es gibt drei verschiedene Al-tersgruppen im Kindergarten „Walter Henry“. Die Jüngsten sind noch unter einem Jahr, die Ältesten, meineGruppe, sind vier bis sechs Jahre alt. Für jede Gruppe gibt es nur eine Erzieherin, was bei einer Gruppengrößevon bis zu 23 Kindern ganz schön anstrengend sein kann.

Von Anfang an wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Die Erzieherinnen, die „Tías“, waren sehr neugie-rig und ich musste tausend Fragen über mein Leben in Bolivien und mein Leben in Deutschland beantworten.Die Chefin und gleichzeitig Köchin des Kindergartens brachte mir immer eine extragroße Portion Essen miteinem Extrastück Fleisch, auch wenn ich regelmäßig beteuerte, dass das nicht nötig sei. Die Kinder habe ich

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alle sehr schnell lieb gewonnen und ich freute mich immer, morgens von allen gleichzeitig begrüßt zu werden,indem sie mich stürmisch umarmten, mich an T-Shirt und Haaren zogen und mir sofort von ihren neuestenErlebnissen erzählen wollten. Die zwei Kindergartentage waren zwar immer die anstrengendsten, aber meistauch sehr schöne Tage der Woche.

In Santa Cruz, einer Groß-stadt mit mehreren Millio-nen Einwohnern, fand ichmich nach ein paar Wo-chen der Orientierungslosig-keit und Verwirrung rechtbald zurecht und begann michwohlzufühlen. Zusammen mitfünf anderen Freiwilligen ha-be ich in einer WG gewohnt.Mit der Zeit fanden wir her-aus, auf welchem Markt mandas beste Obst kaufen kann,welche Tricks man beim Ver-handeln anwendet und woman die leckerste Pizza derStadt bekommt. Da SantaCruz eine sehr laute, chaoti-

sche und dreckige Stadt ist, war es wichtig, immer mal wieder rauszukommen, so haben wir auch ein paarWochenenden genutzt, um die Umgebung rundherum kennenzulernen und ein bisschen frische Luft zuschnappen. Bolivien ist ein sehr vielseitiges Land. Von schneebedeckten Bergen und eisigen Temperaturenbis hin zu tropischem Klima und dem Dschungel habe ich beim Reisen viele Teile von Bolivien kennenlernenkönnen und die Landschaft hat mich immer wieder zum Staunen gebracht.

Ich habe in diesem Jahr meines freiwilligen Dienstes in Bolivien eine fremde Kultur kennengelernt, vieleHürden gemeistert, Freundschaften geschlossen und tolle Erfahrungen gesammelt. Auch wenn nicht immeralles einfach war und ich oft den Kopf geschüttelt habe über das Land und seine Bewohner, vermisse ichBolivien und bin mir sicher, dass ich eines Tages zurückkehren werde.

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Johanna Sofia KauschARTErias Urbanas

„Uno no sabe lo que tiene hasta que lo pierde“

Seit einem guten Monat bin ich wieder zurück in Deutschland, die erste Wiedersehensfreude ist verflogen undes fällt mir noch etwas schwer, mich wieder hier einzuleben. Ich bin sehr froh, diese wichtige Erfahrung einesFreiwilligendienstes gemacht haben zu können und kann nun auf ein wunderschönes Jahr zurückblicken!

In meinem einjährigen Freiwilligendienst habe ich in dem Projekt „ARTErias Urbanas“ gearbeitet. MeineArbeit in dem jungen Künstlerkollektiv war sehr unterschiedlich: Ich habe Flyer designt, eigene Kinderkursegeleitet, in der Organisation und Vorbereitung von kulturellen Events geholfen, ich habe die Werkstatt aufge-räumt und bin einkaufen gegangen… es gab fast immer etwas für mich zu tun. Da es keine festen Aktivitätenfür die Freiwilligen in ARTErias gab, war sehr viel Eigeninitiative gefragt. So haben wir zum Beispiel einenMalkurs in einem Waisenhaus angeboten und mussten während des Kurses feststellen, dass unser Angebotvon der Heimleitung gar nicht so erwünscht war. Wir erhielten keine Unterstützung, was die Materialienanging, und mussten alles aus der Kasse von ARTErias bezahlen.

Meiner Meinung nach war die Arbeit, die wir geleistet haben, eine wichtige Unterstützung für das Kol-lektiv. Immerhin gab es fast jede Woche ein kulturelles Event, was ohne all die helfenden Hände sicher nichtrealisierbar gewesen wäre.

Auch ich habe viel aus dem Projekt mitnehmen können, neben praktischer Erfahrung und neuen Per-spektiven habe ich auch eine andere Art zu denken und zu handeln kennengelernt. In meinem Projekt habeich die Routine eines Künstlerlebens erfahren, wie Werke entstehen… schon allein durch das Zusehen hatman sehr viel gelernt. Auch wenn ich immer noch sehr pünktlich bin, kann mich jetzt, was Spontaneitätund Umdisponieren angeht, nichts mehr schocken, in Südamerika habe ich gelernt, dass immer alles anderskommen kann!

Das Projekt ARTErias Urbanas, wel-ches 2009 aus der Idee zweier jungerKünstler – Kunst in den Straßen und Vier-teln auszustellen – heraus entstand, hatmich persönlich sehr beeindruckt. Wäh-rend meines Jahres war ich Teil des Kollek-tivs und wurde sehr freundlich aufgenom-men und integriert. Mittlerweile ist ARTE-rias zu einer großen Gruppe angewach-sen, die viele kreative Menschen (mit un-glaublich viel Potenzial) aus unterschied-lichen Sektoren (Theater, Musik, Kunst,Zirkus etc.) vereint. Für mich war es im-mer sehr bemerkenswert, wie große kultu-relle Events geplant wurden. Die Künstlerhaben so viel Zeit dafür investiert, für eine Arbeit, die nicht nur unbezahlt, sondern manchmal auch nichtgefördert oder gar geschätzt wurde. Dies hat man zum Beispiel bei dem Graffiti Encuentro „Graffwar“ ander Universität UAGRM in Santa Cruz gemerkt. Es wurden zwar die Genehmigungen für das Projekt erteilt,nach dem Encuentro hingegen gab es einige Proteste seitens der Studierenden. Angesichts moderner Kunstsind viele Cruzeños noch sehr verschlossen, deswegen finde ich, dass die Arbeit, die ARTErias leistet, sehrwichtig ist, und ich finde es sehr schade, dass ich bei der großen Ausstellung in der Casa de la Cultura nichtmehr dabei sein konnte. Diese Energie, zusammenzuarbeiten, etwas Neues zu kreieren, um am Ende Kunstzu schaffen, die für jeden zugänglich ist, hat mich sehr gerührt. Es gibt einem das Vertrauen, dass man ineiner kleinen Gruppe mit Unterstützung und Kreativität etwas Großes schaffen kann.

Für mich war dieses Jahr eine sehr wertvolle und wichtige Erfahrung, ich habe sehr tolle Menschenkennengelernt und es bleiben Beziehungen und Möglichkeiten für die Zukunft. Manchmal habe ich mich inmeiner Rolle als Freiwillige ein wenig hilflos gefühlt, weil es einem an manchen Stellen noch an Ausbildungfehlt. Deswegen freue ich mich jetzt auch auf meinen neuen Lebensabschnitt, dennoch werde ich meine Zeitin Bolivien nie vergessen.

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Jonas KistnerWiñay

Seitdem ich wieder in Deutschland bin,erlebe ich immer wieder Momente, indenen unvermittelt einzelne Erinnerun-gen an mein Leben in Bolivien wachge-rufen werden. So stechen mir hin undwieder Unterschiede in Lebensweise undMentalität ins Auge oder Kleinigkeitenim Alltag erinnern mich an Erlebnisseund Erfahrungen aus dem vergangenenJahr. Daher nutze ich die Gelegenheitim Rahmen dieses Rückblicks gern, ummich noch einmal gedanklich zurück-zuversetzen und zu versuchen, all die-se Bruchstücke für mich selbst zu einemGesamtbild zusammenzusetzen.

Ein Jahr lang lebte ich im BarrioCanadá, einem ärmeren Stadtteil Sucres,und arbeitete als Freiwilliger im Wiñay,das sich in drei Barrios für Kinder und Jugendliche engagiert. Es bietet den Kindern und Jugendlichen in dreiverschiedenen Salóns in erster Linie Betreuung und Unterstützung beim Erledigen von Hausaufgaben unddarüber hinaus viele Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung.

Im Mittelpunkt eines typischen Arbeitstages im Wiñay stand immer die Hausaufgabenbetreuung, zu derparallel eine Kleinkinderbetreuung stattfand. Selbst als man zu Beginn des Jahres das Spanisch noch nicht sogut beherrschte, konnte man den Kindern bei vielen Dingen weiterhelfen und verstand im Verlauf des Jahresimmer besser, wie man bestimmte Themen am einfachsten erklärt.

Wenn die Hausaufgaben erledigt waren, hatte man als Freiwilliger Freiraum zur eigenen Gestaltung, denich für einen wöchentlichen Englischunterricht und für verschiedene Spiele mit den Kindern nutzte.

Feier zum Tag des Kindes

Ich begriff schnell, dassich mit dem Wiñay ein tol-les Projekt erwischt hatte,vor allem da es mit sei-ner Arbeit einen entschei-denden Beitrag zur Ver-besserung des Lebens derKinder liefert. So wurdebei der Hausaufgabenbe-treuung schon nach weni-gen Tagen deutlich, dasssehr viele Kinder auf dieaußerschulische Unterstüt-zung angewiesen sind. Häu-fig haben die Kinder dasin der Schule Unterrichte-te nur teilweise oder kaumbegriffen. Da Eltern in vie-len Fällen entweder denganzen Tag arbeiten oderselbst nicht besonders gutlesen, schreiben und rech-nen können, nutzen viele

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Kinder das Wiñay als Möglichkeit, sich ihre Hausaufgaben erklären zu lassen oder sich auf Prüfungen vorzu-bereiten. Die meisten Kinder und Jugendlichen bleiben nach dem Erledigen ihrer Hausaufgaben oft noch bisabends um neun im Wiñay, wo sie spielen oder bei verschiedenen Aktivitäten mitmachen. Gäbe es das Wiñaynicht, würden sie diese Zeit unbeaufsichtigt auf der Straße verbringen, wo sie in Kontakt mit gewalttätigenBanden der Stadtviertel und an Alkohol kommen können. Auch für die kleinen Kinder ist es wichtig, dass siein die Kleinkinderbetreuung gehen, da sie sonst bei ihren Müttern auf dem Markt, wo viel Verkehr herrscht,spielen müssten.

Fußballturnier des Wiñay

Ich selbst fühlte ich mich im Wiñaysehr wohl. Die bolivianischen Freiwilli-gen, die im Verlauf des Jahres zu gu-ten Freunden wurden, machten mir esdurch einen freundschaftlichen Umgangleicht, mich einzuleben und mich beimeinen neuen Aufgaben zurechtzufin-den. Die Arbeit mit den Kindern mach-te mir Spaß, auch wenn ich mich durchdie große Anzahl der Kinder manchmalüberfordert fühlte. Denn während maneinerseits auf jedes Kind ausreichend ein-gehen wollte, um ihm seine Hausaufga-ben zu erklären, warteten schon wiederandere Kinder darauf, dass man an ih-ren Tisch kommt. Deshalb begrüße ich essehr, dass die jetzigen Freiwilligen zu drittsind, was sie sicherlich entlasten und vorallem den Kindern zugutekommen wird.Den Verlauf meines Englischunterrichts sehe ich hingegen mit gemischten Gefühlen. Ich habe immer ver-sucht, den Kindern z. B. mittels verschiedener Spiele oder Lieder etwas beizubringen, da die Kinder nachSchule und Hausaufgaben wenig Lust auf eine zusätzliche Stunde stillen Sitzens und Schreibens hatten. Sohat der Unterricht ihnen und mir durchaus Spaß gemacht. Auch wenn leider einige Kinder sehr unregelmäßigerschienen und die Bereitschaft, zu Hause etwas zu üben, nur von wenigen Kindern gezeigt wurde, glaubeich trotzdem, dass mein Unterricht ihnen ein wenig weitergeholfen hat. Was mich sehr zufrieden gestimmthat, war das Zustandekommen unserer Freiwilligenband Wayna Ajayu. Zu den wöchentlichen Proben deraus vier bolivianischen Freiwilligen und mir bestehenden Gruppe waren die Jugendlichen des Wiñays stetseingeladen, um sie für Musik zu begeistern, indem sie verschiedene Instrumente ausprobierten oder neueStücke lernten.

Eine weitere Besonderheit am Wiñay ist die große Anzahl von Aktivitäten und Festen, die im Verlauf einesJahres organisiert werden. Von einem Talentwettbewerb über das geisterbahnartige „Haus des Schreckens“bis hin zu einer Misswahl: Die Kinder und Jugendlichen waren immer dazu bereit, sich beim Organisiereneiner solchen Veranstaltung zu beteiligen oder sie durch eigene Beiträge zu bereichern. Für die Kinder wa-ren diese besonderen Tage Highlights, da sie beispielsweise Tanzgruppen formierten oder ein Theaterstückvorbereiteten, um das Geprobte ihren Eltern und Freunden vorführen zu können. Sportlich konnten sichdie Jungen und Mädchen beim großen Fußballturnier des Wiñays unter Beweis stellen, das ich im Monat vormeiner Heimreise organisierte. Über mehrere Wochenenden hinweg trafen wir uns auf dem Fußballplatz, umin zwei verschiedenen Altersklassen die Champions des Wiñays zu küren.

Auch zum Thema Armut bekommt man im Wiñay vieles mit: Bei einem Großteil der Familien der Kinderleben alle Familienmitglieder gemeinsam in einem Raum, einige Kinder müssen arbeiten gehen, und auch Fällehäuslicher Gewalt gehören in manchen Familien zum Alltag. Um dem entgegenzuwirken, werden im WiñayWorkshops für Mütter angeboten. Da es zudem keine Krankenversicherung oder Ähnliches gibt, ist es fürdie Familien wichtig, dass das Wiñay Rechnungen für Arztbesuche oder Medikamente bezahlt. Trotzdemscheinen all diese Schwierigkeiten dem lebensfrohen Wesen der Kinder nichts anhaben zu können.

Natürlich verbinde ich mit meinem FSJ in Bolivien nicht nur meine Arbeit im Wiñay, sondern auchviele andere Dinge. Vor allem meine Gastfamilie, bei der ich das Jahr über gewohnt habe, ist mir ans Herz

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gewachsen. Ich fühlte mich als vollwertiges Familienmitglied, fand immer Hilfe bei Problemen und erhieltwertvolle Einblicke in Familientraditionen und die bolivianische Lebensweise.

Gerade die bolivianische Kultur und ihre Traditionen bestimmen das Land und sein Lebensgefühl. DieVielfalt der Tänze, farbenfrohen Kostüme und traditionellen Musik, die an Heiligenfesttagen oder Karnevaldie Menschen bei den festlichen Umzügen auf die Straßen lockt, haben bei mir einen bleibenden Eindruckhinterlassen. Mein Mitwirken beim Umzug der Universitäten als Tinkuytänzer war ein einzigartiges Erlebnisfür mich.

Casa del Terror (Haus des Schreckens)

Auch wenn es guttut, mal wieder da-heim in Deutschland zu sein, vermisse ichvieles, wenn ich an das vergangene Jahrzurückdenke. Das Wichtigste für michist, dass ich weiß, dass meine Arbeit imWiñay sehr sinnvoll war, weil durch dasWiñay das Leben der Jugendlichen in vie-lerlei Hinsicht bereichert wird. Da sichdas Wiñay schon seit so vielen Jahren indiesen Stadtvierteln Sucres engagiert, bis-her jedoch in Räumen der Stadtverwal-tung untergebracht war, halte ich es fürfolgerichtig, dass das Projekt in den kom-menden Jahren ein eigenes Gebäude be-kommen soll.

Ich selbst will mit den bolivianischenFreiwilligen und meiner Gastfamilie wei-terhin Kontakt halten und mich überEntwicklungen im Wiñay auf dem Lau-

fenden halten. Meine Entscheidung, nach Bolivien zu gehen, habe ich im ganzen Jahr zu keinem Zeitpunktbereut. Ich denke, dass ich an den Herausforderungen im Projekt oder im Alltag persönlich gewachsen binund mich die vielen Eindrücke und Erfahrungen positiv geprägt haben. Außerdem wird man sich des Wohl-standes in Deutschland viel bewusster und sieht ihn in anderem Licht. Ich hoffe, dass noch viele junge Men-schen diese Chance nutzen und als Freiwillige ein genauso ereignisreiches Jahr in Bolivien erleben werden.

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Julia Christin TreichelHogar Misk'i WasyUnd plötzlich ist es tatsächlich so weit: Ein Jahr ist vorbei. Unglaublich, wie schnell es dann doch verging.Jetzt bin ich seit etwa einer Woche wieder in Deutschland, bin immer noch versucht, das Toilettenpapier inden Mülleimer zu werfen, staune über den Wasserdruck in der Dusche und wundere mich über die Ordnungund Sauberkeit überall auf den Straßen. Zeit für ein Fazit. Ganz vorneweg kann ich versichern: Gäbe es dieMöglichkeit, würde ich sofort in den nächsten Flieger steigen und nach Bolivien zurückkehren!! Das sagt jawohl schon Einiges aus.

Nun aber noch mal etwas ausführlicher. Zunächst möchte ich noch von den letzten Wochen berichten,denn da unternahmen wir noch so einiges.

Am 8. Juni fand in Sucre die Entrada Universitaria statt. Wieder entschlossen wir uns, Tinkuy zu tanzenund landeten so bei der Faculdad de Economía, welche eine von zwei Universitäten war, die Tinkuy tanzte.Etwa 3 Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung begannen wir zu proben – fast jeden Abend auf demGelände der Fakultät. Das Tolle an dieser Entrada: dass nur Studenten (sowie Professoren) tanzten undsomit fast alle Leute in unserem Alter waren, was eine gute Gruppendynamik erbrachte. Am 5. Juni fanddie Generalprobe statt und am 8. war es dann schließlich so weit. Gegen 3 Uhr nachmittags starteten wir(wobei es zunächst hieß, wir sollten bloß pünktlich um 1 Uhr da sein. Waren wir aber nicht – wir kennendoch mittlerweile die hora boliviana… ;D) und gegen 9 Uhr abends erreichten wir die Plaza – völlig fertig,aber gleichzeitig auch überglücklich. Bolivien hat tausend verschiedene traditionelle Tänze und das Tolle ist,dass einfach fast alle Leute hier sie auch super tanzen können. Diese Leidenschaft werde ich so vermissen…Allerdings sagt man hier, wenn man einmal bei einer Entrada mitgetanzt hat, muss man dies noch zwei weitereMale tun – ich bin also schon allein wegen des Tinkuytanzens verpflichtet, wieder zurück nach Bolivien zukommen!!

Ursprünglich hatte ich außerdem mit einigen Mitfreiwilligen geplant, eine abschließende Reise zu unter-nehmen, doch da uns plötzlich wirklich nur noch 4 Wochen blieben, entschlossen wir uns dazu, dies dochbleiben zu lassen, um die Zeit noch in Sucre mit unseren bolivianischen Freunden und in unseren Projektenzu verbringen.

Trotzdem fuhren wir Mitte Juli aufs Land – nur zwei Tage, doch immerhin noch ein gemeinsamer Ausflug.Eben jener führte uns Samstagmorgen in einem Camión (will heißen, auf der Ladefläche eines LKWs) nachChataquila. Dort begannen wir unsere Wanderung auf dem camino prehispanico, also einem Weg, der nochvon den Inkas angelegt wurde. Etwa 300 Höhenmeter hatten wir zurückzulegen – gute vier Stunden bergab,mit grandioser Aussicht, waren aber gut zu überstehen. Wir entschieden uns dann dazu, unten im Tal an einerFlussbiegung die Nacht zu verbringen und schlugen unsere Zelte auf. Mit Lagerfeuer ließ es sich bis tief in dieNacht aushalten, doch nachdem der letzte Funke erloschen war, wurde es wirklich unglaublich kalt. Winterin Bolivien auf etwa zweieinhalb Tausend Metern ist dann doch kein Zuckerschlecken. Etwa vier Stundengingen wir nur bergauf, und als wir endlich in Maragua ankamen, waren wir doch alle ziemlich fertig.

Gegen Nachmittag bestiegen wir schließlich einen Camión, der uns zurück nach Sucre bringen sollte.Dabei sollten wir nochmals ein kleines Abenteuer erleben. Nachdem der Camión nämlich bereits voll mitMenschen war, hielten wir noch einmal an und uns wurde erklärt, dass noch Auto aufgeladen werden müsse.Also quetschen sich alle Menschen auf den vorderen Teil der Ladefläche und mal eben fand noch ein JeepPlatz. Einige konnten im Jeep unterkommen und fuhren so recht komfortabel zurück nach Sucre, andere (icheingeschlossen) setzten sich zunächst auf die Motorhaube und später in den winzigen Spalt, der zwischenAuto und Wand noch geblieben war. Nur mäßig gesichert sah man dabei in jeder Kurve der Gefahr ins Auge,von dem Wagen zerquetscht zu werden. Wir kamen aber schließlich doch alle sicher in Sucre an. Alles inallem ein sehr schöner, sehr bolivianischer Ausflug und eine gelungene letzte „Reise“, und allein die Sachemit dem Auto im Auto war typisch bolivianisch!!

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So vergingen die letzten Wochen wie im Flug und plötzlich kam der letzte Tag im Projekt. Ich schenkteallen Kindern selbst geknüpfte Armbänder, ein Foto und einen persönlichen Brief und bekam von ihnenebenfalls Karten, Armbänder und einen riesigen Gelatinekuchen mit Schriftzug. Unter reichlich Tränen nahmich schließlich Abschied, nicht ohne das Versprechen, auch weiterhin über Skype und Facebook in Kontaktmit meiner Chefin und den Kindern zu bleiben. (Mittlerweile habe ich auch bereits einmal mit dem Hogartelefoniert – es war total schön und gleichzeitig auch supertraurig!!) Und – sobald ich das Geld für den Flugzusammen und die Zeit habe – kehre ich auf jeden Fall in den Hogar Misk’y Wasi zurück.

Am gleichen Abend fand dann noch unsere BKHW-Abschiedsfeier statt. Im Morgengrauen kehrten wirin unsere Wohnung zurück, wo wir noch bis zur letzten Sekunde Koffer packten, Möbel ausräumten undputzten. Und dann ging es auch schon mit Bus und Flugzeug über Santa Cruz, Asunción, São Paulo undParis nach Frankfurt, wo ein Jahr zuvor alles begonnen hatte.

In wenigen Sätzen zusammengefasst, war dieses Jahr das Beste, was mir passieren konnte. Ich bin sounglaublich dankbar für all die Erfahrungen, die ich sammeln, für die Orte, die ich sehen, und vor allemfür die Menschen, die ich kennenlernen konnte. Ich habe so viel gelernt, viel gegeben, aber noch viel mehrmitgenommen und niemals werde ich die Zeit in Bolivien vergessen, niemals die Freundschaften, die ichgeschlossen habe.

¡¡Gracias por todo, nunca les olvidaré y un día volveré!!

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Kilian Friedrich SchweizerAsociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro

Nach dem aufregendsten, aber auch wahrscheinlich anstrengendsten Jahr meines Lebens fällt es mir nunschwer, eine passende Zusammenfassung zu schreiben. Das Leben dort auf der „anderen Seite der Welt“ist so anders, dass mir die Erfahrungen und Erlebnisse fast wie ein langer, großer und glücklicher Traumvorkommen.

Nun aber erst einmal…Anfang September 2012 trat

ich dank meiner Entsendeorgani-sation „Bolivianisches Kinderhilfs-werk e.V.“ die lange Reise nachSanta Cruz de la Sierra an, umdort für ein Jahr meinen weltwärts-Freiwilligendienst des Bundesmi-nisteriums für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung zuleisten.

Mein Projekt heißt „CentroCultural San Isidro“, liegt im „Plan3000“, dem ärmeren Randviertelder größten Stadt Boliviens SantaCruz de la Sierra.

Das Kulturzentrum setzt sichschon seit Jahren für die Planungund Verwirklichung kultureller, künstlerischer und sportlicher Aktivitäten ein. Dazu besitzt es ihr Büro imBarrio San Isidro mit Versammlungsraum, Computerraum und Radio. Außerdem nutzt das Kulturzentrumfür den näheren Kontakt zu den Bürgern von San Isidro, insbesondere den Kindern, den sogenannten „Gal-pón“, zu übersetzen etwa mit „Halle“ oder „Schuppen“.

Meine Aufgaben waren im Allgemeinen die Planung und Umsetzung von Aktionen mit den Kindern imBarrio. Dazu gingen wir zum oben genannten „Galpón“, um dort mit den Kindern zu spielen und zu arbeiten.Unsere Aktivitäten waren: Kinos, Bastelworkshops, Englischunterricht, Theaterworkshops, Kurse mit denComputern „OneLaptopPerChild“, Computerkurse im Kulturzentrum für Jugendliche, Judo, Spiel und Spaß.Mit der Zeit kristallisierte sich ein Wochenplan bei uns Freiwilligen heraus, sodass wir fast ausschließlich jedenTag bei den Kindern waren.

Diese Kinder wohnen alle bei ihren Familien im Barrio, wir waren also kein „Hogar“ oder Ähnliches.Wir waren ausschließlich dazu da, den Kindern in ihrer freien Zeit (also wenn sie nicht in der Schule oder inihren Häusern waren) den Weg in ihre Zukunft zu erleichtern. Also hin zu einer Ausbildung oder Studiumund weg von Jugendbanden, Drogen und Kriminalität.

Nichtsdestotrotz fühlte ich mich manchmal bei meiner Arbeit wie in einem Kinderhort, der von denEltern, die selber mit ihren Arbeiten beschäftigt sind, genutzt wird, um ihre Kinder loszuwerden. UnsereAltersspanne an Kindern war von 0 bis 16 Jahren, sodass ein gemeinsames Lernen und Spielen meistensunmöglich war. Doch gerade dies war eine spannende Herausforderung, die jetzt im Nachhinein echt sehrlehrreich war.

Durch das kontinuierliche Arbeiten im „Galpón“ wurden wir im Laufe des Jahres immer mehr als Teildes sozialen Lebens akzeptiert. Die Kinder, am Anfang noch ein wenig schüchtern und zurückhaltend, riefenschon von Weitem unsere Namen zu und rannten uns entgegen, die Eltern begrüßten uns auf der Straße,sogar die Hunde bellten uns dann nicht mehr an. Auch merkte man die inhaltlichen Fortschritte der Kinderin unseren Kursen, was mich auch echt ein bisschen stolz machte. Trotzdem muss man aber auch sagen, dassdas Englische nicht so sehr hängengeblieben ist, wie ich mir das erwünscht hatte, was mich hin und wiederfrustriert hat. Das wurde aber dann schnell verdrängt, wenn man die Freude und Liebe der Kinder sieht, mitder sie uns begegneten. Ich muss echt sagen, dass so einige von ihnen mir echt ans Herz gewachsen sind undich sie nie vergessen werde.

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Gewohnt habe ich die ersten elf Monate imProjekt selbst, als Eltern fungierten meine zweiChefs und die Freundin eines der beiden. Ich mussecht sagen, dass das Zusammenleben super ge-klappt hat, auch weil mit der Zeit die Trennung zwi-schen Arbeit und Privatem viel besser geklappt hatund das Verhältnis zwischen uns auf der privatenSeite völlig entspannt, lustig und offen war. Michhat das Leben mit diesen Menschen, Juan-Pablo,Lorena und Fernando, echt im positiven Sinn be-eindruckt, da sie mir gezeigt haben, dass man im-mer mit einem lachenden Auge in die Welt laufenund nicht immer alles so ernst sehen sollte.

Im letzten Monat dann verließ ich dann meine„Familie“, da ich selber merkte, dass wir immer mehr zusammengewachsen waren und mir der Abschied dannnoch schwieriger gefallen wäre, wie er eh schon war. Ich zog in die WG mit den anderen BKHW-Freiwilligen,was für den zwölften Monat eine sehr schöne Abwechslung war.

Ich möchte mich bei vielen Leuten bedanken, die dieses Jahr für mich zu einem ganz besonderen gemachthaben, nicht zuletzt meinen neuen Freunden aus San Isidro, die mich mit offenen Armen empfangen undmir immer mit Rat und Tat geholfen haben.

Ich hoffe, meinen Anteil dazu beigetragen zu haben, um das es im weltwärts-Programm geht. Ich glaubeaber nicht, dass ich mehr dalassen konnte, als ich mitgenommen habe. Die Erfahrungen, Erlebnisse undMentalitäten haben mich reifen lassen, in vielen Dingen sehe ich nun nach dem Jahr anders; ich habe dasGefühl, offener zu sein und mich auch viel mehr auf die kleinen Dinge des Lebens zu freuen. Außerdemfühle ich mich nach dem Jahr mehr als Europäer. Wenn man die Querelen in Lateinamerika zwischen denLändern sieht, können wir uns hier in Europa echt glücklich schätzen. Doch statt in Deutschland zufriedenzu sein, sind wir viel zu sehr auf unser Berufsleben fixiert. All diesen Leuten rate ich, eine Auszeit in Bolivienzu nehmen und dort zu sehen, dass man ein einfaches, aber glückliches Leben führen kann.

Für mich war der traurige Abschied immer verbunden mit einem „Hasta luego“, also einem Wiedersehenin der Zukunft!

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Kristina EhrhornSistema de Coros y OrquestasEin Jahr Bolivien! Ein Jahr lang in einer völlig neuen und zunächst fremden Umgebung leben und arbeiten,eine andere Sprache sprechen, eine einem bis dahin unbekannte Kultur und neue Menschen kennenlernen…Dass es ein so intensives, erlebnisreiches, erfüllendes, aber auch schwieriges Jahr werden würde, hätte ich imVoraus nie gedacht, und ich bin sehr dankbar dafür, dieses Jahr erlebt haben zu dürfen. Es ist eine so großeBereicherung für einen persönlich und ich kann es jedem nur empfehlen!

Mein eigentliches Projekt war SICOR, ein Orchesterprojekt im Plan 3000, einem der ärmsten Stadtteilein Santa Cruz de la Sierra, wo ich zunächst im Orchester mitgespielt und, als es dann auch Schüler gab, Hornunterrichtet habe. Leider gab es dort innerhalb des Projektes Kommunikations- und Organisationsproblemeund wir hatten nur sehr wenig Arbeit. So habe ich mir selber eine zusätzliche Arbeitsstelle gesucht, da ichleider vonseiten des BKHW erst viel später Unterstützung bekam. Ich habe dann mit einer Kunsttherapeutinim Oncológico, dem Krebskrankenhaus in Santa Cruz, auf der Kinderstation zusammengearbeitet. Dort hatteich das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden, da ich den Kindern so ein wenig Ablenkung und den Eltern,die dort meistens rund um die Uhr sind, eine Pause bieten konnte. Später habe ich dann noch zwei Tage dieWoche in einem neuen Projekt des BKHW, der Guardería „Walter Henry“ (Kindergarten), gearbeitet. Dorthatte ich alle Hände voll zu tun und wir wurden vom ganzen Team total herzlich aufgenommen und integriert,sodass ich mich von Beginn an einfach richtig wohlgefühlt und alle Kinder und Erzieherinnen sofort in meinHerz geschlossen habe.

Auch wenn es zu Beginn etwas frustrierend war, da ich gerne wirklich etwas gemacht hätte, es abereinfach keine Aufgaben gab, konnte ich schließlich meinen abwechslungsreichen Arbeitstag wirklich genießen.Trotzdem oder gerade deswegen finde ich, dass das BKHW bei der Auswahl der Projekte genauer auf derenSinnhaftigkeit und vor allem Nachhaltigkeit achten sollte. Die Qualität der Projekte ist wichtiger als Quantität,denn nur so kann man auch einen erfolgreichen Einsatz eines Freiwilligen gewährleisten.

Neben meiner Arbeit habe ich viel getanzt und habe unterschiedliche Tänze Boliviens ausprobiert –eine der Sachen, die mit zu den Highlights meines Jahres gehören. In Bolivien tanzt einfach jeder zu jederGelegenheit und mit so viel Lebensfreude und Energie, dass es einen schon beim Zusehen ansteckt und manam liebsten mittanzt. So habe ich dann an Karneval in einer großen Gruppe beim Umzug Folkloretänze ausdem Oriente, dem Tiefland, getanzt und war tanzte außerdem in einer Gruppe an der Uni Tinkuy, einentraditionellen Tanz aus dem Hochland.

Die Reisen, die ich gemacht habe, gehören auch zu den ganz besonderen Erlebnissen meines Jahres.Bolivien ist ein so vielfältiges Land mit den unterschiedlichsten Landschaften, wie die kargen Hochgebietein den Anden, Salar de Uyuni, der tiefblaue Titicacasee und das tropische Tiefland, interessanten Städten wieLa Paz und einfach ganz unterschiedliche Kulturen.

Ich werde immer ein Stück Bolivien in meinem Herzen tragen und ich bin sehr froh, dieses Land undviele neue Menschen kennengelernt zu haben, und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dassich dort war!

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Larissa CremaWiñay

Abschied ist was wirklich Schwieriges. Zwar weißman vorher schon, dass der Tag des Abschiedskommen würde, und auch mehr oder weniger ge-nau, wann, je näher man jedoch diesem Tag kommt,desto weniger weiß man, wie man das anstellensoll und wie viel Überwindung es einen letztendlichdoch kostet.

Sich nach einem solchen Jahr voller neuer Ein-drücke, neuer Angewohnheiten und neuer Freundezu verabschieden, ist bitter und schwer mit Wortengreifbar zu machen.

All den vielen Kindern, meinen Freunden undauch mir begreiflich zu machen, dass das Jahr nunschon vorbei ist, man sich nicht mehr einfach je-den Tag sehen kann und ich am nächsten Tag nichtmehr zur Arbeit kommen kann, das geht nicht ein-fach über die Lippen.

Auch das Zurückkommen fiel mir persönlichsehr schwer. Besonders schwer war es für mich,dass ich von einem auf den anderen Tag „meinenbolivianischen Alltag“, also das, was für mich al-les dazugehörte tagtäglich, das ganze Drumherumund all das, an das ich mich anfangs noch gewöh-nen musste und was neu war, zurücklassen mussteund in Deutschland wieder ganz von vorne anfan-gen musste, meinen eigenen Alltagsrhythmus zu finden.

Von Deutschland aus scheint die ganze Zeit, dieman in Bolivien verbracht hat, spätestens ab demMoment wie komprimiert, an dem man wieder anBolivien zurückdenkt. Gerade dann kommt es mirimmer so vor, als wäre alles schon viel länger vorbei,als es in Wirklichkeit ist.

Viel beschäftigt hat mich daher auch die Fra-ge, was es denn nun letztendlich gebracht hat, die-ses Jahr, ob es so war, wie ich es mir vorgestellthabe und ob ich denn eigentlich zufrieden bin mitdem, was ich gemacht habe. Bei vielen dieser Din-ge bin ich mir auch jetzt noch nicht so ganz sicherund werde dafür auch noch eine Weile brauchen.Dass es für mich selbst eine gute Entscheidungwar und dass ich sehr froh bin, einen weltwärts-Freiwilligendienst in Sucre gemacht zu haben, daskann ich ganz sicher sagen.

Nicht nur, weil immer alles schön und gut warund genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte, son-dern weil ich Erfahrungen hinsichtlich vieler Dingeauch dadurch machen konnte, dass ich viele Men-schen mit ganz anderem Weltbild kennengelernt ha-be, die meinen Blickwinkel auf einiges verändertund erweitert haben.

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Auch die Arbeit in dem mir zugeordneten Projekt im Wiñay war besonders am Anfang nicht immerleicht, doch habe ich vor allem gegen Ende, als die neuen Freiwilligen schon da waren, bemerkt, wie ich anmir selbst gearbeitet hatte und wie gut ich mich nach zwölf Monaten im Projekt auskannte.

Zu verdanken hatte ich dies wahrscheinlich vor allem den anderen bolivianischen Freiwilligen, die zu-sammen mit mir im Projekt gearbeitet haben, was, soweit ich weiß, bei keinem der anderen Projekte der Fallwar. So wurden mir auch viel Freiraum und Unterstützung angeboten, eigene Ideen einzubringen und zuverwirklichen. Trotzdem stellte genau dieser Freiraum meist eine der größten Herausforderungen dar, dennso hatte ich natürlich schnell viel geplant und musste mir am Ende doch eingestehen, dass vieles nicht immerso läuft, wie geplant, besonders in Bolivien.

Ich hoffe dennoch, dass viele der Kinder, von denen mir jedes auf seine eigene Weise sehr ans Herzgewachsen ist, noch oft und lange an mich denken und die schönen Momente, die wir zusammen hatten,nicht so schnell vergessen werden. Ich werde das nämlich nicht…

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Laura KöppenInstituto Psicopedagógico Ciudad Joven „San Juan de Dios“Wenn ich an meine Zeit in Bolivien zurückdenke, habe ich ein Lächeln auf den Lippen. Auch wenn vielesnicht so war wie versprochen, wie angenommen oder wie erhofft, so bin ich sehr froh, dass ich den Schrittgewagt habe, aus meinem gewohnten Umfeld herauszutreten und die Reise in ein fremdes Land zu wagen.

Während meines Aufenthaltes wohnte ich mit zwei anderen Freiwilligen bei einer Gastfamilie in einemgroßen Haus nahe der Plaza.

Das Zusammenwohnen mit den zwei Mädchen brachte mir am Anfang ein großes Gefühl der Sicherheit– ich war nicht allein. Vor allem, da wir von unserer Gastfamilie ziemlich allein gelassen wurden. Nachdemsich Augen und Kopf nach einigen Wochen etwas an die vielen neuen Bilder, Eindrücke, Menschen und vorallem die Sprache gewöhnt hatten, schaffte ich es auch, bei der Arbeit mehr Anschluss zu bekommen undmich in die Abläufe einzufinden.

So arbeitete ich am Vormittag drei Stunden in der Schule des „Psicopedagógico“. Dort war ich in einerKlasse, in der sowohl geistig als auch körperlich Behinderte gemeinsam lernten. Diese Arbeit gestaltete sichleider als sehr eintönig und langweilig, da ich so gut wie nie etwas zu tun hatte. Auch die Lehrer blättertenlieber in ihren Modezeitschriften, als sich mit den Kindern zu beschäftigen. So saßen diese meist nur herumund malten Kopiervorlagen aus. Die Höhepunkte waren zwei Feste, die mit der gesamten Schule mit einembunten, lauten Programm begangen wurden.

Am Nachmittag fuhr ich dann mit dem Bus zum Hospital Poconas, um die Mitarbeiterinnen dort für vierStunden zu unterstützen. Dieses Projekt wurde durch Fernando, unseren Koordinator in Sucre, extra für michund eine andere Freiwillige neu gesucht, da wir beide zuvor Schwierigkeiten mit einem unserer eigentlichenProjekte gehabt hatten. Wir waren sehr froh, dass Fernando dieses Projekt entdeckt hatte und dass in denfolgenden Jahren andere Freiwillige die Mitarbeiterinnen unterstützen werden. In diesem Projekt habe ichmich sehr wohlgefühlt und auch gemerkt, dass ich wirklich helfen konnte. Ich arbeitete im zweiten Stock mitKindern von null bis zwei Jahren, die in dieser Station ein Zuhause gefunden haben. Einige für nur kurzeZeit, da sie dort untergebracht wurden, um ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, andere etwas länger,da sie Waisen waren und darauf warten, dass sich jemand finden würde, der sie aufnahm.

Ich half also beim Wickeln, Füttern, Waschen, Kämmen, Fingernägel schneiden, Anziehen. Während derSpielzeiten gab es durch uns Freiwillige eine separate Person, die sich mit den Kindern beschäftigte. Denndadurch, dass es nur sehr wenige Mitarbeiterinnen gibt, bleibt ihnen neben den ganzen Aufgaben wie Wäschewaschen, Essen kochen und Fläschchen vorbereiten kaum Zeit, den Kindern Aufmerksamkeit zu widmen.

In meiner freien Zeit ging ich zwei bis drei Mal in der Woche zum Thai Bo, einer Mischung aus Aerobicund Kickboxen, um einen Ausgleich zur Arbeit zu haben und mich körperlich zu betätigen, da mir das Tanzen,welchem ich in Deutschland zweimal wöchentlich in einem Verein nachging, sehr fehlte. Ansonsten nutzteich meine Urlaubstage, um mir vieles anzusehen.

So bleibt zu sagen, dass es wunderbar war, in diese doch sehr andere und oft fremde Welt einzutauchen,und ich weiß, dass ich auf jeden Fall eines Tages noch einmal zurück möchte, da eine große Faszination fürKultur, Sprache und Menschen bestehen bleibt.

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Leif BoettcherCentro Educativo Multifuncional Villa ArmoníaIch als August-Rückkehrer bin jetzt schon seit ca. sechs Wochen wieder hier in Deutschland und konntemich gut an das neue, alte Leben gewöhnen. Aber natürlich denkt man immer wieder an das vergangeneJahr zurück, gerade vor dem Hintergrund, dass neuerdings ein bolivianischer Austauschschüler aus Sucre inmeinem Dörfchen wohnt, mit dem ich mich auch schon ein bisschen unterhalten konnte.

Nach wie vor schätze ich mich sehr glücklich, ein Jahr in Bolivien verbracht zu haben. Von vielen anderenFreiwilligen kriegt man natürlich immer wieder mit, dass nicht alle Projekte so gut organisiert und offen füreine Zusammenarbeit mit ihnen waren wie das CEMVA in Sucre. Ich hatte also ziemlich viel Glück mitmeiner Arbeit und durfte dort auch noch sehr unabhängig mit den anderen CEMVA-Freiwilligen in einerWG leben.

Meine Arbeit bestand sowohl bei meiner ersten Arbeitsstelle, dem Comedor Escolar, als auch im Salónin Villa Armonía C darin, ca. 5- bis 15-jährigen Kindern und Jugendlichen bei ihren Hausaufgaben zu helfen.Beim Comedor kam dann, wie der Name schon sagt, ein Mittagstisch hinzu, an dem ich selber gegessen undaußerdem die Kinder beaufsichtigt habe. Durch das relativ große Altersspektrum wurde mir dabei im Großenund Ganzen eher selten langweilig.

Es liegt natürlich am Schulsystem und nicht am Projekt, wenn bestimmte Aufgabentypen sich ständigwiederholen. Darin liegt aber auch das vielleicht grundlegendste Problem, mit dem ich mich während desJahres konfrontiert sah: Die öffentlichen Schulen, die von unseren Kindern besucht wurden, haben einfachein sehr niedriges Niveau, da sie mit größtenteils unsinnigen Methoden lehren. Daraus resultiert, dass dieHausaufgabenhilfe in den meisten Fällen nur die Symptome einer schlechten Bildungspolitik bekämpft.

Ich half nicht bloß den Kindern, die Schwierigkeiten hatten, den Stoff im gleichen Tempo wie ihre Al-tersgenossen zu lernen. So gut wie alle, auch die Schlauesten, brauchten Unterstützung bei ihren Aufgaben.Denn Hausaufgaben waren meistens nicht, wie man es gewohnt ist, eine Wiederholung des bereits Gelernten,um einfach etwas sicherer bei bestimmten Aufgaben zu werden. Vielmehr waren es standardisierte Aufga-bentypen, die entweder so einfach und stupide waren, dass es schwerfiel, die Kinder zu motivieren (auch mirselbst gegenüber hatte ich manchmal ein schlechtes Gewissen), oder es waren Aufgabenzettel bzw. Kopienaus Büchern, die den Unterrichtsinhalten weit voraus waren. In diesen Fällen hätte meine Aufgabe quasi dar-in bestanden, die Inhalte bei null anfangend an die (in diesen Fällen meistens) Jugendlichen zu vermitteln.Nicht, dass ich das nicht versucht hätte, aber im Endeffekt bleibt sehr wenig längerfristig hängen. Dazu fehltdie Zeit.

So etwas kann natürlich ab und zu auch die eigene Motivation hemmen. Wenn man ein Kind für denMoment gut unterstützen kann, aber gleichzeitig weiß, dass es unter den gegebenen Umständen eigentlichdauerhaft eine solche Hilfe bräuchte, die man nun mal nicht allen Kindern bieten kann, kommt man insGrübeln.

Andererseits ist das natürlich auch eine Frage des Anspruchs. Wenn ich das bolivianische Schulsystemrevolutionieren wollte, wäre ein Freiwilligendienst sicher das falsche Format. Allerdings führt er oftmals dazu,dass man über derartige Probleme überhaupt erst nachdenkt.

Wenn ich nun den Freiwilligendienst abschließend bewerten soll, teile ich das mal in zwei Bereiche: denpersönlichen und den entwicklungspolitischen.

Persönlich ist es allein schon ein großer Schritt, ein Jahr im Ausland zu verbringen. Dazu in einem demunseren so unähnlichen Land wie Bolivien und im Rahmen eines sozialen Dienstes – ich könnte mir nichtsvorstellen, was ich nach der Schule lieber gemacht hätte. Man macht unvergleichliche Erfahrungen, die einenvielleicht den Rest des Lebens begleiten. In dieser Hinsicht ist ein Freiwilligendienst also absolut zu empfehlenund in jeder Hinsicht superb.

Wenn man es aus entwicklungspolitischer Sicht betrachtet, muss man alles viel kritischer bewerten. Ei-gentlich hat ein Freiwilligendienst mit Entwicklungszusammenarbeit nicht viel zu tun. Dass man als frischerSchulabsolvent aber auch keine derartigen Ansprüche haben kann, war mir vorher klar. Es gibt aber auch nochdie kleine, lokale Ebene: Dort, im Projekt selber, hatte man, zumindest im CEMVA, durchaus das Gefühl,Verantwortung zu tragen und am Fortbestehen der Hausaufgabenhilfe einen gewissen Anteil zu haben.

Und zu guter Letzt darf man auch nicht vergessen, dass ein Freiwilligendienst in manchen Fällen erstdazu führt, dass jemand dort Leidenschaften entdeckt und sich vielleicht auch zukünftig engagiert. Darauskann dann echte Entwicklungszusammenarbeit entstehen.

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Lisa BonnetHogar Mallorca

Ein Jahr Bolivien liegt hinter mir. Im Nachhinein kam es mir nicht vor wie ein Jahr. Doch während des Jahreskam es mir wiederum zeitweise ewig lang vor.

Schon kurios, wie sich alles entwickelt hat. Da hatte ich mein Abitur in der Tasche und mein großerWunsch und Traum, ein Jahr nach Bolivien zu gehen, ging in Erfüllung. Von allen Seiten wurden mir Respektund Hochachtung für diesen mutigen Schritt entgegengebracht und man meinte zu mir, dass dies das besteJahr meines Lebens werden würde. Das kann ich so im Nachhinein nicht bestätigen. Es war ein sehr erfah-rungsreiches Jahr, in dem ich viel sehen und erleben durfte und in dem ich sehr viel dazugelernt habe. Dafürbin ich mehr als dankbar und werde dies auch immer in meinem Herzen tragen. Doch musste ich mir aucheingestehen, dass es nicht das Erlebnis war, was ich mir erhofft hatte.

Es mag an meinen vorangegangenen Erwartungen gelegen haben, dass ich zu viel erwartet habe. MeineVorstellung war die, dass ich in ein armes Land kommen und dort in einfachen Verhältnissen leben würde.Dass meine Arbeit darin bestehen würde, Kindern auf einer Dorfschule lesen und schreiben beizubringen.

Und wie sah die Wirklichkeit aus? Ich lebte in einem dreistöckigen Haus mitten in der Stadt, wobei ichgerechterweise sagen muss, dass mir das zuvor bewusst war, zumindest das mit der zentralen Lage. Dass esaber ein mehrstöckiges Haus mit 3 Bädern und 7 Zimmern sein würde, wäre mir nie in den Sinn gekommen.Nicht dass ich in solchen Verhältnissen wie die Menschen dort, in Lehmhütten mit Wellblechdach, hättehausen wollen, aber doch schon einfacher, und dem war nicht so.

So auch bei meiner Arbeit. Ich war in der Behinderteneinrichtung nicht so vonnöten, wie ich es mirerhofft hatte. Die einzige Zeitspanne von meinen vier Stunden, die ich täglich da war, in der ich wirklich dasGefühl hatte, mithelfen zu können, waren die anderthalb Stunden des Fütterns und Wickelns während undnach dem Mittagessen.

Ich bin natürlich überaus dankbar für diese immerhin anderthalb Stunden und für das Zusammensein mitden Kindern, die mir unheimlich viel Liebe und Freude, trotz ihrer Behinderung, entgegengebracht haben.Ich hab sie ins Herz geschlossen und trage sie stets in meinen Gedanken bei mir. Aber wenn die Motivationim Mithelfen und etwas Bewegen besteht, dann sind anderthalb Stunden von vier zu wenig.

Denn im Hogar war es nicht wirklich anders. Da war ich mittags neben zuletzt vier spanischen Frei-willigen, drei bolivianischen Praktikanten und einem Lehrer eine kleine Nebenunterstützung. Natürlich binich auch hier sehr froh über den Kontakt mit den Jungen und möchte auch diese Erfahrung nicht missen,dennoch habe ich mir auch hier mehr Aufgaben versprochen.

Es gehört zur menschlichen Natur, dass man das Gefühl des Gebrauchtwerdens braucht, und wenn danndazu kommt, dass man in ein fremdes Land geht, weit weg von Familie und Freunden und mit der vielleichtim Nachhinein naiven Einstellung, mit anpacken zu können in einem Land, von dem man immer hört, dasses Hilfe benötigt, dann frustriert das einen umso mehr, wenn man das Gefühl hat, man ist unnötig und totalüberflüssig.

Da ist die Frustrationsschwelle schnell erreicht und so kam mir das Jahr des Öfteren ewig vor.Denn nicht nur die Frustrationsschwelle war schnell erreicht, sondern auch das Unverständnis so mancher

Gebräuche und Eigenheiten der bolivianischen Kultur. So erging es mir zum Beispiel mit der Gepflogenheit,Müll stets auf die Straße zu schmeißen, obwohl die Pachamama, also die Mutter Erde, auf ein Höchstesverehrt wird. Da macht man Danksagungen für die gute Ernte und bittet um die weitere Unterstützung undim nächsten Moment wird der Müll darauf verteilt. Das passt für mich nicht zusammen, wie so vieles.

Ich muss also sagen, dass sich das Jahr für mich nicht in die Richtung entwickelt hat, wie ich es erwartet,gedacht und gehofft hatte. Aber dafür in andere Richtungen. Ich habe nämlich zum einen gemerkt, dassFamilienzusammenhalt trotz Schwierigkeiten was Tolles ist und ich eine supertolle Familie habe, zu der ichimmer kommen kann, die mich immer auffängt und aufbaut. Dass ich gerne Zeit mit ihr verbringe und mires daher auch nicht mehr vorstellen kann, noch einmal für den Zeitraum von einem Jahr von ihr getrennt zusein.

Ich hab gemerkt, dass Regeln wichtig sind, denn sonst herrscht das reinste Chaos, oder, wie im Falle derBolivianer, die völlige Bequemlichkeit, stets nach dem Motto „Komm ich heut’ nicht, komm ich morgen.“Mit dieser Mentalität kann ich nichts anfangen, auch wenn die deutsche Mentalität sich ab und an etwasentspannen könnte, die Deutschen sich ihren Stock aus dem Arsch ziehen könnten.

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Aber gerade für solche Einsichten war das Jahr ein voller Erfolg. Ich kann abwägen, ob in manchenSituationen die deutsche Mentalität oder doch eher die bolivianischen Gepflogenheiten von Vorteil sind.Und so hat das Jahr natürlich viele Eindrücke bei mir hinterlassen, die mich auf andere Weise umdenkenlassen oder anders auf mich wirken wie vielleicht noch vor einem Jahr.

Und natürlich trage ich die Kinder und auch Mitarbeiter meiner Projekte stets in meinem Herzen unddenke mit Freude daran zurück, was wir miteinander erlebt haben, was ich von ihnen lernen durfte und fürmein weiteres Leben von ihnen mit auf den Weg bekommen habe.

Doch auch hier musste ich mich immer wieder fragen, ob es nicht nur ein Jahr für mich war. Ich habeeine neue Sprache gelernt, habe eine neue Kultur entdecken und von ihr lernen dürfen, habe weitere Länderentdeckt und dort Urlaub gemacht, wo die Bolivianer, obwohl es ihr eigenes Land ist, noch nicht waren.

Ich hab mit den Kindern intensiv zusammengearbeitet und bin für manche zu einer Freundin geworden,mit der sie über Familien- oder Schulprobleme geredet haben. Ich war ein Jahr lang an ihrer Seite und vonheute auf morgen einfach nicht mehr. Natürlich war einem das bewusst, aber manchen Kleinkindern natürlichnicht so ganz. Und dann haben sie sich an einen gewöhnt, der dann einfach wieder geht. Manche sind schoneinmal von Vater und/oder Mutter verlassen worden und müssen dies dann immer wieder erleben. Das findeich im Nachhinein gesehen sogar schon ein bisschen gefährlich und würde lieber jemanden hinschicken, derkontinuierlich vor Ort bleiben kann und möchte, damit die Kinder sich nicht immer an jemanden gewöhnen,der dann wieder geht.

Somit lässt sich das Fazit ziehen, dass ich das Jahr so nicht noch einmal machen würde. Dennoch bin ichbin sehr dankbar für dieses Jahr, dass ich so viel dazulernen und sehen durfte, was mich auf meinem weiterenLebensweg immer begleiten wird. Ich hab tolle Menschen kennengelernt, die mich mit ihren Sichtweisen be-reichert haben und ich hab Kinder kennengelernt, die trotz ärmlicher Verhältnisse unendliche Lebensfreudeausstrahlen. All das werde ich nie vergessen und immer in meinem Herzen tragen.

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Moritz BraunProductividad Biósfera y Medio Ambiente/Asociación de Arte, Cultura y Deporte San Isidro

Ein entwicklungspolitisches Jahr in Bolivien

Ich ging mit der Idee nach Bolivien, dass ich mithelfen würde, Bolivien zu entwickeln,jedoch kam es ganz anders.

Mein Auslandsjahr in Bolivien begann offiziell am 3. September 2012 mit der Bahnfahrt von Hamburg nachFrankfurt, um die anderen Freiwilligen zu treffen, die ich bereits auf dem Vorbereitungsseminar in Hohegeiß,Harz, kennenlernen durfte.

Während des Vorbereitungsseminars hatte ich Kontakt zu meinem Vorgänger bei der NRO (Nichtregie-rungsorganisation) „PROBIOMA“ aufgenommen, was sich später als ein Fehler herausstellte.

Der Grund dafür war, dass ich durch den Kontakt zu diesem Freiwilligen mit einer voreingenommenenMeinung über das Projekt nach Bolivien reiste.

Mein Vorgänger schwärmte von dem Projekt, da er sehr viel reiste und dabei viel erlebte. Dadurch ver-nachlässigte er die Büroarbeit, welche ich dann sieben Monate lang machen musste, bis es mir zu bunt wurdeund ich mich entschloss, das Projekt zu wechseln.

Diese Entscheidung wur-de durch eine (vollkommensinnfreie) Abmahnung von-seiten meines alten Projektesbestärkt.

Ich wechselte in das Pro-jekt zweier anderer Freiwilli-ger vom BKHW, zum CentroCultural San Isidro.

Sehr häufig hatte ich sehrviel Spaß an meinem Projekt,was vor allem daran lag, dassich mit zwei Freiwilligen zu-sammenarbeiten und die bei-den in ihrer Arbeit häufig un-terstützen konnte.

Meine eigene Aufgabe be-stand darin, einen Gemüse-garten zu planen und die Planung dann auch umzusetzen.

Die eigentliche Idee dieses Projekts besteht darin, dass Kindergarten- und Schulklassen in den Gemüse-garten kommen und der Freiwillige den Kindern etwas über gesunde Ernährung beibringt und die Kinderdarüber informiert, warum man Müll nicht auf die Straße schmeißt bzw. einfach verbrennt.

Ich konnte mich sofort für dieses Projekt begeistern, musste jedoch nach einem Monat feststellen, dassich sehr wahrscheinlich selbst nicht mehr die Möglichkeit haben würde, Kinder einzuladen, da ich erst dieganzen Pflanzen säen musste und dies ein Langzeitprozess ist.

Wegen dieser beiden Projekte begann ich daran zu zweifeln, ob dieses Jahr und vor allem meine Arbeitüberhaupt sinnvoll waren.

Jedoch bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich meinen neuen Freiwilligen in dem Projekt einenSteilpass gespielt habe, den sie nur noch ins Tor schießen müssen. Damit will ich sagen, dass ich den neuenFreiwilligen die Möglichkeit gegeben habe, den Garten sinnvoll zu nutzen und den Kindern wirklich etwasbeibringen zu können.

Ein wichtiger Bestandteil meines Jahres sollte eigentlich meine Entsenderorganisation, das BKHW, sein.Als ich mich damals beworben hatte, hatte ich eigentlich die Idee von meiner Organisation, dass ich mich

bei Problemen jederzeit bei ihr melden könnte.Es gab direkt vor Ort eine Person, die immer für einen da war, wenn es Probleme gab. Dabei handelt es

sich den Bolivienkoordinator Fernando Fernández, der sich immer für einen eingesetzt hat und der in meinen

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Augen auch zu wenig Wertschätzung vom BKHW erfährt.Fernando munterte mich auf, als ich die Abmahnung erhielt, und war auch derjenige, der meinte, dass,

egal was in dem ersten Projekt passiert wäre, er meiner Version glauben und sich bei Problemen vor michstellen würde.

Wie bereits in der Überschrift erwähnt, bin ich mit der Erwartung nach Bolivien gegangen, dabei zuhelfen, das Land zu „entwickeln“ und den Menschen vor Ort weiterzuhelfen.

Ich denke, dass ich den Kindern, mit denen ich gearbeitet habe, viel Freude bereiten konnte, jedochkonnte ich durch diese wunderbaren Menschen und durch viele andere tolle Menschen, die ich während desJahres kennenlernen durfte, viel mehr lernen.

Ich habe in diesem Jahr viele neue Eindrücke gewinnen und viele neue Erfahrungen sammeln können,die mir niemand mehr nehmen kann.

Ich durfte eine ganz andere Kultur kennenlernen und habe zudem auch mein Spanisch stark verbessernkönnen, was sicherlich auch ein Grund war, warum ich ein freiwilliges soziales Jahr in Lateinamerika machenwollte. Dies war aber nicht der Hauptgrund.

Aufgrund dieser ganzen neuen Eindrücke würde ich das Jahr damit resümieren, dass ich sagen würde,dass ich mit der Idee nach Bolivien gegangen bin, die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessernund das Land weiterzuentwickeln, jedoch bin ich als ein Mensch nach Deutschland zurückgekehrt, der vondem Land Bolivien, seiner Kultur und seinen Menschen weiterentwickelt wurde.

Ich werde dem Bolivianischen Kinderhilfswerk immer dankbar sein, dass es mir diese Erfahrung ermög-licht hat.

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Nazreat ElyasHogar Santa ClotildeMein einjähriger Freiwilligendienst in Bolivien ist zu Ende und das Jahr war geprägt von vielen Eindrückenund Erlebnissen. In diesem Abschlussbericht möchte ich jedoch hauptsächlich meine Projektarbeit im HogarSanta Clotilde zusammenfassen und bewerten und nicht alle möglichen Nebenschauplätze.

Rückblickend betrachtet verging die Zeit schneller als gedacht, was jedoch nichts an der Tatsache ändert,dass ich in meinem Projekt viele Leerläufe feststellen musste, welche oftmals ohnehin sehr zähe Arbeitstagezusätzlich erschwert haben.

Für mich stand die Arbeit mit den Kindern im Hogar Santa Clotilde ganz klar im Vordergrund meinesFreiwilligendienstes, welche mir nach einer gewissen Eingewöhnungszeit auch Spaß machte. Jedoch gestal-tete sich diese nicht immer so einfach wie anfangs angenommen. Man darf nicht vergessen, dass es sich umein katholisches Projekt handelt, in welchem die Nonnen zwar mit all ihrer Kraft und Liebe den Kindern einZuhause bieten, wo aber auch sehr strenge Regeln und Erziehungsmaßnahmen an der Tagesordnung sind,welche für uns als Freiwillige mit der europäischen Denke nicht im Geringsten nachvollziehbar sind und ei-nem auch an die Substanz gehen können. Warum ich das an dieser Stelle so explizit erwähne, hat den speziellenHintergrund, dass zukünftige Freiwilligenanwärter/-innen wissen sollten, dass die Gestaltungsmöglichkeitenfür uns in diesem Projekt wirklich gering sind. Davon abgesehen habe ich die Erfahrung machen müssen,dass die Einstellung, mit welcher man an dieses Projekt herangeht, den Einstieg erheblich beeinflusst. Be-reits nach zwei Monaten habe ich die Sinnhaftigkeit meines Einsatzes im Hogar Santa Clotilde angezweifeltund bis zu meinem letzten Tag hat sich dieser Eindruck verfestigt. Geht man aber von vornherein mit derEinstellung in dieses Projekt und auch in dieses Jahr, „lediglich“ eine Persönlichkeitsentwicklung und guteSpanischkenntnisse mit nach Hause zu nehmen (was völlig legitim ist), kann man durchaus eine tolle Zeitverbringen, ohne Bedenken den Heimweg antreten und das Jahr im Nachhinein als vollen Erfolg feiern.

Da ich eine völlig andere Vorstellung davon hatte, welchen Mehrwert ich als Freiwillige durch meineArbeit vor Ort haben schaffen würde, kann ich lediglich als Erfolg feiern, dass ich sehr tolle, scharfsinnigeKinder in meinem Projekt kennenlernen durfte und dass mir meine Unermüdlichkeit, ein Vertrauensverhält-nis zu den Nonnen aufzubauen, gewisse Gestaltungsfreiräume geschaffen hat, die wiederum den Kindernzugutekamen. So verhielt es sich bspw. mit dem Englischkurs, welchen ich nach fast sechsmonatiger Warte-zeit erfolgreich abschließen und nun auch an die Folgefreiwilligen weitergeben konnte. Ich hoffe natürlich,dass auch in Zukunft Freiwillige in diesem Projekt diesen Kurs weiterführen werden und so gleich zu Beginneine feste und sinnvolle Aufgabe für neue Freiwillige bereitsteht.

Ich wünsche mir – und das nicht nur für mein Projekt, sondern für alle Projekte des BKHW –, dassFreiwilligeneinsätze in regelmäßigen Abständen einer Prüfung über deren Sinnhaftigkeit unterzogen werden,und zwar immer mit dem Blick auf Erreichung des gewünschten Ziels. Es mag sein, dass vor zehn Jahren derEinsatz in einem Projekt richtig und wichtig war. Damalige Ziele sind aber nun durch die zahlreichen Einsätzeerreicht und man nimmt sich aus diesem Grund neuer Projektideen an und ist hier als Entsendeorganisationvor allem für Anregungen der Freiwilligen offen. Das ist es, was ich mir unter Hilfe zur Selbsthilfe vorstelle.Die Menschen nach jahrelanger Unterstützung den Weg alleine weitergehen zu lassen, denn das können sie!Sehr gut sogar.

Weiter kann ich sagen, dass es nicht nur in Sucre, sondern auch im Rest des Landes sicher sinnvoll wäre,ein Projekt zur Müllbeseitigung zu initiieren. Die Zustände vor Ort sind wirklich kaum zu fassen. Zum einenliegt das natürlich an dem mangelnden Verständnis der Menschen, ihren Müll anständig zu entsorgen. Zumanderen aber auch an fehlenden Mülleimern und dem viel zu hohen Verbrauch von Plastik. Worüber ichauch bis zum Ende meines Freiwilligendienstes nicht hinwegkam, ist das Verhalten vieler Menschen auf derStraße. Da wird das Geschäft, ob groß oder klein, sowohl von Mann als auch von Frau, völlig hemmungslosauf offener Straße erledigt. Diese Missstände sind mir in diesem Jahr am stärksten aufgefallen, neben demhohen Alkoholmissbrauch vor allem durch junge Menschen.

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Natürlich hat Bolivien auch schöne Seiten und so hebe ich mir das Beste für den Schluss auf. Die land-schaftliche Vielfalt, welche sich einem in Bolivien darbietet, ist unbeschreiblich groß und wunderschön. Auchder Reichtum an gutem Essen, darunter vor allem die ausgereiften Früchte, eröffnen völlig neue Geschmacks-erlebnisse. So wünsche ich mir für die Menschen im Land, dass sie diesen Reichtum immer zu schätzen wissenund ihre Umwelt entsprechend bewahren, damit auch zukünftige Generationen davon profitieren können.

Mein Fazit für dieses Jahr ist, dass ich es in dieser Form nicht wieder machen würde. Nicht mit derOrganisation (BKHW) und nicht in Bolivien, da für mich der Bedarf nicht erkennbar war. Jedoch ist einfreiwilliges soziales Jahr sicher eine gute Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln. Ich werde michimmer an dieses Jahr erinnern und auch mit den Hogar-Kindern weiter in Kontakt bleiben. Ich kann abernur jedem, der sich für ein solches Jahr im Ausland in einem vermeintlichen „Entwicklungsland“ entscheidet,raten, sich im Vorhinein kritisch mit den Projekten der Organisation und den Strukturen des Ziellandesauseinanderzusetzen.

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Nora NothnagelHogar GranjaViel zu schnell ist das Jahr in Bolivien vergangen! Mittlerweile bin ich schon wieder seit drei Wochen inDeutschland und viele Erinnerung an ein grandioses Jahr beginnen schon jetzt ein wenig zu verblassen.

Ein ganzes Jahr lang habe ich in Bolivien, genauer: in Sucre, eine sehr spannende, interessante und unge-mein bereichernde Zeit erlebt. Trotz der vielen Eindrücke und Erfahrungen, die ich gesammelt habe, kommtmir das Jahr, wenn ich so zurückblicke, sehr kurz vor. Gerade so, als wäre es im Flug vergangen.

Im Hogar Sucre, dem Kinderheim, das ich mit meiner Freiwilligenarbeit unterstützt habe, hatte ich einesehr aufregende, mich nachdenklich stimmende, aber gute Zeit.

Die staatliche Sozialbehörde SEDEGES hat mir über das ganze Jahr des Öfteren schlechte Laune berei-tet. Das liegt vor allem an der Arbeitsweise der Behörde, die von Unstrukturiertheit und Unprofessionalitätgeprägt ist. Die Arbeitsbedingungen für die Angestellten sind unglaublich schlecht. Ein/e Erzieher/in desHogar Sucre hat mit einer 66-Stunden-Woche zu kämpfen und die Bezahlung fällt relativ niedrig oder auchgar nicht bzw. oft verspätet aus.

Außerdem kann das SEDEGES seine Angestellten von einem Tag auf den anderen ohne Vorwarnungkündigen. Oft habe ich mitbekommen, dass Angestellte Intrigen spinnen, um andere Angestellte zum eigenenVorteil schlecht dastehen zu lassen.

Für mich war es und ist es nach wie vor sehr schwer zu verstehen, dass dieser Unfug allen Ernstes ineiner Sozialbehörde passiert und dass letztlich unschuldige Kinder aus Kinderheimen darunter leiden.

Auch meine Rolle als Freiwillige des BKHW hat das nicht erleichtert. Ich hab mein Bestes gegeben, abernicht sehr viel erreicht. Mir wurden immer wieder Hürden in den Weg gelegt. Die für mich am schwierigstenzu überwindenden Hürden waren das nicht vorhandene Team, das mich hätte integrieren können, und man-gelndes Interesse an und Vertrauen zu mir in meiner Rolle als Freiwillige. Oft hatte ich schöne Aktivitätengeplant, die allerdings aus verschiedenen Gründen nie realisiert wurden. Entweder wurden die Heimkindergerade bestraft oder mussten zufällig genau dann arbeiten etc.

Ich habe mich über das Jahr aber trotzdem immer wohler gefühlt im Hogar, weil ich die Heimkinder mitder Zeit immer besser kannte und sie immer fester in mein Herz geschlossen hatte.

Obwohl auch vieles schlecht lief, war ich immer gerne im Kinderheim. Ich hatte wunderbare Momenteund habe mich mit einzelnen Teilen des ständig wechselnden Personals sehr gut angefreundet.

Auf die Kinder freute ich mich sowieso fast jeden Tag.Am tollsten fand ich die Ausflüge, die wir nach Potosí, Villa Norita und in den Parque Bolivar gemacht

haben.Insgesamt finde ich, dass der Einsatz eines/er Freiwilligen im Hogar Sucre sinnvoll ist, da er/sie den

Kindern guttut. Allerdings hat er/sie es nicht besonders leicht. Es muss dann einfach akzeptiert werden, dassnicht alles umgekrempelt werden kann, dass man das Beste daraus machen und alles entspannt sehen sollte.Dann macht es auch Spaß!

Das, was ich in dem Jahr in meiner Freizeit gemacht habe, war super. Ich habe sehr gute Freundinnenund Freunde gefunden und eine superschöne Zeit erlebt.

Durch die Zeit, die wir zum Reisen hatten, konnte ich Boliviens kulturelle und landschaftliche Vielseitig-keit und Schönheit gut kennenlernen. Am schönsten fand ich die Reisen auf die Isla del Sol im Titicacaseeund zum Salar de Uyuní.

An der Kultur Boliviens finde ich die Vielseitigkeit am faszinierendsten. Wenn man sich den kulturellenUnterschied zwischen Hoch- und Tiefland oder Stadt- und Land oder indigener und nicht indigener Bevöl-kerung anschaut, ist der teilweise ziemlich groß. Top finde ich, dass jede Region ihren eigenen Tanz hat unddass in Bolivien, egal welche Region, immer alles tanzt. Ob jung oder alt, alle tanzen! Und die Mehrheit tanztsehr gut.

Ich bin mir hundertprozentig sicher, nach Bolivien zurückkehren zu wollen! Eines Tages werde ich dashoffentlich finanzieren können.

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Dass weltwärts uns ermöglicht, ein Jahr lang weit weg von Zuhause zu verbringen, ohne viel eigenes Geldzu investieren, ist selbstverständlich total super für jeden Einzelnen von uns.

Für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist so ein Jahr Gold wert.Allerdings investiert Deutschland jedes Jahr große Mengen an Geld, um Freiwillige zu entsenden.In vielen Fällen sind diese Freiwilligen unausgebildet und unerfahren in dem Gebiet, in dem sie dann

arbeiten. Oder es gibt für sie eigentlich gar nicht wirklich Arbeit.Da muss man das Konzept von weltwärts kritisch betrachten, da es auf jeden Fall auch negative Seiten

hat.Für mich war das Jahr, zusammenfassend gesagt, absolut klasse und ich habe keine Sekunde bereut, mich

dafür entschieden zu haben!

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Paulina Martinez MorenoCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía

Nach einem Jahr voller Erfahrungen, Enttäuschungen, Glück und Unglück ist es fast unmöglich, das Wich-tigste in einem Erfahrungsbericht zusammenzufassen.

Ich habe zwölf Monate im CEMVA in Sucre gearbeitet und gelebt. Zum Anfang werde ich etwas übermeine Eindrücke zum Projekt an sich sagen und anschließend auf meine persönliche Arbeitsstelle eingehen.

Das CEMVA liegt am nördlichen Stadtrand von Sucre, verteilt über das ganze Viertel Villa Armoníabis hin nach Alegría. Das Projekt beherbergt drei Kindergärten, drei Jugendzentren, mehrere Werkstättenund viele weitere kleinere Einrichtungen. Wir Freiwilligen waren in der Casa weltwärts untergebracht, diesich auch im Viertel befindet. Wir wohnten dort als Sechser-Wohngemeinschaft zusammen mit der FamiliePuma, die auf demselben Gelände auch ihre Holzwerkstatt hat, in der sie Kinderspielzeug produziert.

In der ersten Woche hatten wir Zeit, uns einzuleben und uns die verschiedenen Projekte anzusehen. Al-lerdings waren wir schon im Vorhinein von der Projektleitung in die verschiedenen Einrichtungen eingeteiltworden. Ich konnte mich schnell in Villa Armonía einleben, da wir sehr freundlich von der Familie Puma auf-genommen wurden und auch in der Oficina offen und herzlich auf unsere Fragen und Wünsche eingegangenwurde.

Mein erster Eindruck der Projekte war sehr positiv, ich war überrascht, wie viele verschiedene Bedürf-nisse der Jugendlichen und Kinder durch das CEMVA gedeckt werden können. Besonders toll finde ich,dass es auch für die Mütter ein Alphabetisierungsprogramm gibt, dass die Kinder im Comedor Mittages-sen bekommen und dass Jugendliche in den Werkstätten eine professionelle Lehre machen können. Von derProjektleitung war ich für Alegría zugeteilt worden, dort erlebte ich eine andere Realität als in Villa Armonía.Alegría ist eine kleine Comunidad mit schlechter Anbindung zum Zentrum, in der es eine Schule und aucheine große Sporthalle gibt. Die ländlichen Lebensweisen sind noch viel stärker vertreten als in Villa Armonía.So hat zum Beispiel jede Familie Tiere und meistens auch ein kleines Feld, auf dem sie Mais und Kartoffelnanbaut. Die Wasser- und Stromversorgung ist ungesichert, eine Müllentsorgung gibt es leider gar nicht. Ichfinde allerdings, dass dieses Umfeld sich positiv auf die Kinder auswirkt. So werden sie nicht verleitet, insInternetcafé zu gehen oder den ganzen Tag vor dem Fernseher zu sitzen. Sie treffen sich und spielen imFreien, passen auf die Schafe und Schweine auf oder erkunden ganz einfach die Gegend.

In der Guardería hatte ich zunächst ein wenig Schwierigkeiten, mit den Mitarbeiterinnen in Kontakt zukommen, aber schon nach einer Woche lockerte sich die Situation und wir begannen uns zu unterhalten undauszutauschen. Mit den Kindern verstand ich mich von Anfang an sehr gut und bis zum Ende des Jahreskonnten wir eine wunderbare Beziehung zueinander aufbauen. Um meiner Arbeit in der Guardería einenSinn zu geben, suchte ich nach Aktivitäten, die ich mit den Kindern umsetzen könnte. Schon bald fiel mirdann auf, dass es weniger an Spielideen als an Hygiene mangelte. Die Guardería ist sehr schön eingerichtetund mit viel Material ausgestattet, allerdings gab es keine Zahnbürsten, ständig fehlte es an Klopapier oderWaschpulver etc. Also bat ich in der Oficina um Unterstützung und kaufte für jedes Kind eine Zahnbürste undeinen Zahnputzbecher. Die darauffolgende Woche war ich damit beschäftigt, die Kinder mit den Zahnbürstenbekannt zu machen und ihnen die Idee von Mundhygiene näherzubringen. Der Zustand der Kinderzähneschockierte mich wirklich. Statt weißer Milchzähne haben die meisten der Kinder nur noch schwarze Stummelim Mund. Nach und nach fand ich mich immer besser in den Alltag im Kindergarten ein und wurde somitauch zu einer besseren Hilfe für die Erzieherinnen. Mit den Kindern begann ich Armbänder zu machenund Fadenspiele zu lernen. Wir übten am Klettergerüst Rollen zu machen und auf einem Bein zu springen.Erstaunlicherweise waren vor allem sportliche Übungen für die Kinder absolutes Neuland.

Mit meiner Mitarbeiterin nahm ich mir vor, den Kindern spielerisch das Alphabet näher zu bringen. Alsobegannen wir, für jeden Buchstaben ein Bild zu malen und Merksätze zu formulieren.

Im Dezember begannen in Bolivien die Sommerferien. Auch für uns Freiwillige bedeutete das Ferien,da die Projekte in diesem Zeitraum geschlossen sind. Einige von uns arbeiteten in dieser Zeit mit der Sozi-alarbeiterin des CEMVA zusammen oder halfen in der Oficina. Ich nahm nach Weihnachten einige Wochenfrei und erkundete mit Freunden ein bisschen das Land. Meine Reise führte mich nach La Paz und an denTiticacasee, in die Yungas und letztendlich nach Cochabamba, wo das Zwischenseminar stattfand. Für dasSeminar waren wir in zwei Gruppen eingeteilt und mit Freiwilligen des AFS gemischt worden. Zum erstenMal lernte ich weltwärtsler aus einer anderen Organisation kennen. Der Austausch war sehr interessant, da

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jedes Projekt anders funktioniert und jede Organisation andere Schwerpunkte setzt. Viele vom BKHW hat-ten das Gefühl, dass die Projekte in anderen Organisationen mit mehr Sorgfalt ausgewählt werden und dieEinsätze der Freiwilligen besser durchdacht und sinnvoller sind. Wir bekamen also den Freiraum, unserenpositiven und negativen Erfahrungen Luft zu machen und kritisch zu reflektieren. Insgesamt gefiel mir dasZwischenseminar sehr gut.

Bald darauf ging es dann auch wieder mit der Arbeit los. Leider verlief der Beginn in Alegría sehr schlep-pend. Die ersten Wochen kamen kaum Kinder und wir waren fast jeden Tag damit beschäftigt, durch dieComunidad zu laufen und Kinder zu suchen. Aber auch das war irgendwann vorbei und der normale Betriebkam wieder in Gang. Je mehr Zeit verging, desto wohler fühlte ich mich bei der Arbeit. Es trat eine guteArbeitsroutine ein, in der jeder Ablauf funktionierte und die Aufgaben gut verteilt waren. Auf die Art undWeise fand ich viel Zeit, mich mit den Problemen der Kinder intensiv auseinanderzusetzen. Bis heute seheich das größte Problem Boliviens nicht in der finanziellen Armut, sondern in der Bildungsarmut. Natürlichkann ich nicht bestreiten, dass auch beides Hand in Hand geht.

Durch Märchen und Geschichten versuchte in den Kindern ein Weltbild zu vermitteln, das nicht vonStereotypen und Rassismus geprägt ist. Am besten funktioniert es, wenn man mit den älteren Kindern einfachins Gespräch kommt. Das Interesse ist immer vorhanden, es muss nur geweckt werden.

Bei der Arbeit lief es also sehr gut und auch in der WG gab es nur selten Auseinandersetzungen.Mit dem BKHW und der Oficina gab es im Laufe der Zeit hin und wieder Probleme. Dies lag teilweise an

Missverständnissen oder fehlgeschlagener Kommunikation. Wir haben aber auf dem Nachbereitungsseminarschon ausführlich mit Thomas Schwarz diskutiert und werden uns auch in der Mitgliederversammlung desBKHW mit unseren Verbesserungsvorschlägen engagieren.

Ohne einen Abschluss zu finden, kann ich abschließend sagen, dass dieses Jahr entwicklungspolitischgesehen nichts gebracht hat, aber für mich das schönste Jahr meines Lebens war. Und ich kann auch mit Stolzsagen, dass sich Menschen in Bolivien an unsere gemeinsame Zeit mit einem glücklichen Lächeln erinnernwerden.

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Ricarda Valerie RivoirCentro Educativo Multifuncional Villa Armonía

Ein Jahr Freiwilligendienst in Bolivien istnun zu Ende gegangen, doch meine Lie-be zu Südamerika geht weiter. Seit circaeinem Monat bin ich wieder in Deutsch-land – angekommen fühle ich mich aberüberhaupt nicht. Es ist ein bisschen, alshätte mir jemand eine Brille abgenom-men, denn ich sehe die Welt hier jetzt mitganz anderen Augen als vor einem Jahrund kann und will mich an einige As-pekte der deutschen bzw. europäischenLebensweise nicht gewöhnen. Das Le-ben ist hier so viel gehetzter, jeder renntdie ganze Zeit irgendwelchen Belanglo-sigkeiten hinterher, die aber als unend-lich wichtig bewertet werden. Ich habedas Gefühl, die Menschen leben dadurchgenerell weniger intensiv und mehr wiein Trance. Wogegen ich auch eine innere Abneigung entwickelt habe, ist die ständige Präsenz von Werbepla-katen oder Fernsehwerbung, die ganzen riesigen Geschäfte und diese eigenartige Entwicklung, dass plötzlichjeder die Augen nur noch auf sein Smartphone gerichtet hat, egal wo er steht oder geht. Ich habe das Ge-fühl, in diese Gesellschaft nicht mehr hineinzupassen und das auch gar nicht zu wollen. In Bolivien lief dasLeben viel natürlicher und ich vermisse die entspannte Lebenseinstellung der Menschen und den täglichenAnblick der Anden. Zwischen all den Häusern hier fühle ich mich unendlich eingesperrt. Damit aber genugvon meinem Kulturschock hier und zu meinen Erfahrungen in Bolivien…

Mein Projekt war das CEMVA-Projekt in Villa Armonía am StadtrandSucres. Es besteht aus verschiedenenKinderkrippen und Hausaufgabenzen-tren, auf die die Freiwilligen verteilt wer-den. Das enge Zusammenleben mit denMenschen dort brachte mich viel zumNachdenken. Die Armut dort zu verste-hen fällt mir bis heute schwer, da Ar-mut nicht in jedem Fall der Mangel anGeld für Wesentliches bedeutet, sonderneher strukturell bedingt ist. Ich habe mirauch viele Gedanken über die kulturellenUnterschiede gemacht und darüber, in-wiefern es einfach schwierig ist, aus derSichtweise eines Europäers, der mit ei-nem ganz anderen Alltag und mit ganz

anderen Wertvorstellungen aufgewachsen ist, über die Lebenssituation der Menschen dort zu urteilen. Eswar nicht immer leicht zu entscheiden, in welche Aspekte man sich einmischen und etwas verändern sollteund in welchen Fällen man sich mit Urteilen besser zurückhalten sollte, auch weil man die Situation sogarnach einem ganzen Jahr einfach nicht gut genug kennt, um am besten zu wissen, was richtig ist.

Anfangs habe ich einige Zeit gebraucht, bis ich mich in meinen neuen Lebensumständen wohlgefühlthabe und den Kulturschock, den ich hatte, als ich in Villa Armonía ankam, will ich auch nicht unerwähntlassen… Doch nachdem ich mich nach einigen Wochen eingelebt hatte, die Menschen besser kennengelernthatte und somit auch besser verstehen konnte (sprachlich und kulturell), machte ich mich daran, mich zu

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bemühen, einige Umstände an meinem Arbeitsplatz in der Kinderkrippe von Villa Armonía B zu verbessern.Schon bald wurde mir klar, dass meine Hauptsorge bezüglich des Freiwilligendienstes, nämlich nur mit ei-nem deutschen Abitur und ohne Ausbildung kaum etwas bewegen zu können, nicht eintraf. Da mir keinekonkreten Aufgaben zugeteilt wurden, überlegte ich mir selbst, wie ich meiner Zeit in Bolivien Sinnhaftig-keit verleihen konnte. Das größte Problem in der Guardería war offensichtlich nicht der Mangel an Material,sondern die Trägheit und Motivationslosigkeit der Erzieherinnen.

Das liegt sicherlich amschlechten Lohn, aber auchdaran, dass sie wenige Ide-en hatten, wie man Kinderbeschäftigen kann, was mitder mangelhaften Schulbil-dung und der nicht vorhande-nen Ausbildung zusammen-hängt. Ich verbrachte die ers-ten Wochen damit, nur zuanalysieren, warum mich derAlltag in der Kinderkrippeso schockierte, und mir Lö-sungsansätze zu überlegen.Nachdem ich mir ein Bild vonder Situation gemacht hatte,begann ich vorsichtig Verbes-serungsvorschläge anzubrin-gen, was nicht einfach war,weil ich nicht wirken wollte,als wäre ich überlegen und würde nun alles umkrempeln wollen. Andererseits war es, ohne ständig Druck zumachen, unmöglich, irgendetwas zu bewegen, weil ich auf die Unterstützung der Erzieherinnen angewiesenwar, meine Vorschläge allerdings generell einfach ignoriert wurden. Zum Beispiel die Einführung des tägli-chen Zähneputzens nach dem Mittagessen wurde mit einem „Ja, ja“ quittiert, aber letztendlich musste ich siejeden Tag von Neuem vehement dazu auffordern. Mir war auch klar, dass an den Tagen, an denen ich nichtda war, mit Sicherheit keine Zahnbürste in die Hand genommen wurde.

So verliefen viele Pläne, die ich hat-te, und mit der Zeit ist das sehr frus-trierend. Es ist anstrengend, aber um-so mehr freut man sich dann über Er-folge und lernt sie zu schätzen. GroßeUnterstützung bekam ich außerdem im-mer von meinen Ansprechpartnerinnenim Projekt. Zum Beispiel wurde mir oh-ne Weiteres das nötige Geld zur Verfü-gung gestellt, Material zu kaufen, um dieKrätze der Kinder zu behandeln. Nachzwei Monaten täglichen Behandelns wa-ren dann schließlich alle Kinder krätze-frei, was auch bis heute so geblieben ist.Ich denke, dass ich letztendlich auch et-was von meinen Werten über Gesund-heit und Hygiene weitergeben konnte.

Zusammen mit der Sozialarbeiterin organisierten wir eine Art Workshop über Gesundheits- und Hygienefra-gen für die Erzieherinnen und die Eltern. Außerdem organisierten wir regelmäßigen Besuch von den Kran-kenschwestern des Gesundheitszentrums des Stadtviertels, die dann beispielsweise alle Kinder entwurmten.Ein anderer großer Aspekt, in dem ich als Freiwillige die Situation verbessern konnte, war, dass ich mich

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an viele Spiele aus meiner eigenen Kindergartenzeit erinnerte und sie den Kindern und Erzieherinnen bei-brachte. Oft saßen bzw. rannten die Kinder den ganzen Tag lang nur herum und prügelten sich. Der Alltagwar nur durch die Mahlzeiten strukturiert, ansonsten gab es keine Tagesplanung. Durch die Trennung derRasselbande in verschiedene Altersgruppen konnte ich jede Gruppe mit altersgerechten Spielen beschäfti-gen und fördern. Gegen Ende meiner Zeit wurde die Gruppenplanung tatsächlich selbstverständlich und dieErzieherinnen kannten und spielten viele neue Spiele.

CEMVA hat mir alle Mög-lichkeiten gegeben, meine Ide-en umzusetzen und so konn-ten meine Bemühungen auchFrüchte tragen und größe-re Projekte realisiert werden.Angefangen habe ich im Ok-tober mit dem Zahnprojekt,das nun auch endlich seinenAbschluss gefunden hat undbei dem mich die Sozialar-beiterin von CEMVA maß-geblich unterstützt hat. Insge-samt wurden die Zähne vonzwanzig Kindern behandelt.Die Verbesserung ist enorm,da viele der Kinder erst jetztrichtig essen können, nach-dem von Karies befalleneZähne gezogen oder abge-

schliffen wurden. Ein weiteres Projekt war die Konstruktion eines Sonnendaches für die Dachterrasse derKinderkrippe. Dank der Hilfe eines Freiwilligen, der in den Metallwerkstätten gearbeitet hat, kann man jetztdraußen essen, ohne sich von der südamerikanischen Sonne verbrennen zu lassen. Das, wie auch die frischgestrichenen Wände (das Ergebnis von einer Woche Arbeit in den Weihnachtsferien), hat das Ambiente derGuardería sehr verbessert.

Die Arbeit im Centro Juvenil Vil-la Armonía B, dem Hausaufgabenzen-trum, wo ich nach einem halben Jahrbegonnen habe nachmittags zu arbeiten,war sehr viel unkomplizierter. Die Che-fin dort ist eine unglaublich starke, tolleFrau und die Arbeit mit ihr hat mir vielSpaß gemacht. Die Kinder aus dem Vier-tel kommen nachmittags in den Salón,um dort ihre Hausaufgaben zu machenund ihre Freunde zu treffen. Die Frei-willigen unterstützen Cleofé, die Leiterinder Einrichtung, dabei, den Kindern beiden Aufgaben zu helfen und vor allemmit den Kindern, die Probleme in derSchule haben, zu üben. Oft blieben wirlänger als unsere vorgeschriebene Ar-beitszeit, weil es einfach immer viel zu tun gab. Wir, die drei Freiwilligen und Cleofé, waren mit etwa vierzigKindern trotzdem oft überlastet. Deshalb darf im Centro Juvenil Villa Armonía B auf keinen Fall an Frei-willigen gekürzt werden! Um dies zu verhindern, müssen unbedingt jedes Jahr genügend Freiwillige in dasCEMVA-Projekt entsandt werden!

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Jetzt bin ich wieder zurück in Deutschland,doch meine Erinnerungen an Bolivien sind immernoch so klar und lebhaft. Ich vermisse all meineKinder so sehr und vor allem meine letzten Wo-chen in Bolivien werde ich niemals vergessen. Erstgegen Ende meiner Zeit dort wurde mir richtig klar,dass die Menschen, mit denen ich so viel Zeit ver-bracht habe und für die ich die Projekte, in die ichviel Kraft und Energie gesteckt habe, durchgesetzthabe, mir ehrlich dankbar waren. Es waren mit dieschönsten Momente in Bolivien, als mir in meinerletzten Woche immer wieder gesagt wurde, wie vielich allen bedeutet habe, wie sehr meine Arbeit ge-schätzt wurde und natürlich, dass man mich vermis-sen würde.

Für meine persönliche Entwicklung hat mir dasJahr insofern sehr viel bedeutet, als dass ich, weitweg von allem, was vertraut war und Geborgenheitbot, mich ganz ungebunden auf alle Ideen einlassenkonnte, ohne dass mich die Erwartungen, die ichselbst, die Menschen, die mir nahestehen, und auchdie Gesellschaft in Deutschland eingeschränkt hät-ten. Ich habe so viele Erfahrungen gesammelt, dieich niemals hätte machen können, wenn ich nichtden Sprung nach Bolivien gewagt hätte. Auch für meine Zukunft habe ich endlich herausgefunden, was icheigentlich schon immer machen wollte und den Mut gefunden, es auch wirklich zu tun. Ich werde im Oktoberbeginnen, Ethnologie zu studieren, und meinen Schwerpunkt auf Lateinamerika legen. Mein Freiwilligen-dienst in Bolivien war bis jetzt die beste Entscheidung meines Lebens und hat mich für immer geprägt. Ichbin unendlich glücklich, dass ich dieses Jahr so verbringen konnte, und würde es jederzeit wieder tun. MeinFreiwilligendienst ist zwar zu Ende, meine Liebe zu Lateinamerika aber noch lange nicht, und so habe ich esim Herzen mitgenommen und weiß, dass ich, sobald es mir möglich ist, wieder zurückkehren werde.

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Sascha-Philippe HeidrichCentro Solidaridad/Hogar Jesús de NazarethDie Form dieses Berichtes ist die logische Folge-rung aus mangelnder Distanz zu meinem Freiwil-ligenjahr – und der damit einhergehenden Abwe-senheit von Reflexion – und der Erkenntnis der of-fensichtlichen Vermessenheit des Unterfangens, einJahr oder gar ein Land und seine Menschen in all ih-ren Facetten in einem Bericht abhandeln zu wollen.

Keine Entwicklungshilfe, Kokablätter kauen,jeden Tag gerne aufstehen, von drei Bewaffne-ten auf einem Motorrad überfallen werden, keineNie-endenden-to-do-Listen, großartige Mitfreiwil-lige, Hühnerfüße in der Suppe und Rinderherz alsHauptgang – ohne Messer und Gabel, Fußballspie-len mit meinen Jungs, bis die Sonne untergeht. Woist das Geld aus unserem Förderkreis hingeflos-sen? Papageien tanzen mit dem Pick-up, am Mut-tertag wird die Hundemutter im Centro erhängt,selbst gebackenes Brot mit meinen Kleinen ver-kaufen, SEDEGES, Kuchen backen mit meinerGastmutter, Bolivien besser kennen als Deutsch-land, das Schamgefühl darüber, mich über mei-ne Weihnachtsgeschenke beschwert zu haben, mitjugendlichen Mördern, Vergewaltigern und Kleb-stoffschnüfflern frohgemut Kekse backen und Ge-müse anpflanzen, Fernando – ein guter Mentor undnoch besserer Freund –, die effektivsten Spanischlehrer: meine Jungs, der Abschied oder ein Tränenfluss, derHeimleiter klaut meinen Kugelschreiber, Schuheputzen in La Paz, Adventsdekoration basteln mit meinenKleinen, ein erzkatholisches Land mit 15-cm-Tanzröcken, Sonnenuntergang über der Stadt der vier Namen.Wollt ihr eurem Koordinator etwa keine Versicherung abkaufen? Bestrafung bis zum wortwörtlichen Erbre-chen, 350 Tage blauer Himmel, das gestohlene Meer, den Jungs beim Wachsen zusehen, das selbst gepflanzteGemüse im Stadtviertel verkaufen, Rangkämpfe stehen an der Tagesordnung, unberührte Natur, Cumbia, lan-ge Gespräche am Abend mit meinem Gastvater, ankommen und nicht gebraucht werden, von seinen Jungsgeliebt werden, Kampfsport, der seines Namens würdig ist, mit 17 Jungs auf der Ladefläche des Pick-ups undzu zehnt im Taxi fahren, viele meiner Jungs kennen ihren eigenen Geburtstag nicht, Zähneputzworkshop,überall Hippies, viele unmotivierte sowie unfähige Heimleiter und Erzieher, Patriotismus, so weit das Augereicht, Jonglierbälle aus Mehl basteln, der Tag des Baumes, ein Lachen, das alle Mühen entlohnt. Das schönsteJahr meines Lebens.

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Sebastian Marco PscheidlCentro de Formación Integral Rural VeraMein Freiwilligenjahr in Bolivien kann ich im Gesamten durchaus sehr positiv bewerten. Durch das Jahr hin-durch lernte ich die Kultur Boliviens noch besser kennen und zudem die Menschen dort verstehen. MeineMenschenkenntnis hat sich verbessert sowie viele andere Kompetenzen in meinem Leben. Meine Lebens-einstellung hat sich ein wenig gelockert und meine Pläne für mein zukünftiges Leben haben sich verfestigt.

Das Projekt, welches mir zugeteilt wurde und in dem ich ein Jahr arbeiten durfte, nennt sich CFIR Vera(Centro de formación integral rural Vera) und liegt 40 Minuten mit Bus und anschließend zu Fuß weit wegvon der Stadt Sucre. Ich bin wahrscheinlich deswegen hierhin eingeteilt worden, da ich dies von Zuhauseaus gewohnt war und auch gelernter Zimmerer bin. In diesem streng katholischen Jungeninternat hat SeñoraDoris das Ruder fest in der Hand und bringt den Kindern durch ihre Güte echte Disziplin bei und vor allem,was es heißt, einander zu achten und zu respektieren. Dies veränderte nicht nur die 12- bis 18-Jährigen Kinder,welche größtenteils aus schwierigen Verhältnissen kommen, sondern es veränderte auch mich deutschenweltwärts-Freiwilligen positiv.

Von Anfang an arbeitete ich mich in die Schreinerei ein, in der ein Teil der 200 Kinder des Internats einertechnischen Ausbildung nachgehen. Dort war ich nicht nur anerkannter Lehrer, der den Azubis holztechni-schen Unterricht gab sowie diverse andere Kompetenzen vermittelte, ich war auch wieder Schüler und lerntemich durchzusetzen sowie mein erlerntes Wissen bestmöglichst weiterzuvermitteln. Es machte mir sehr vielSpaß, meine Fortschritte an den von mir ausgedachten Projekten wie Werkzeugtruhen, Sitzbänkchen, Ge-heimkästchen usw. von den Auszubildenden umsetzen zu sehen. Mich motivierte sehr, dass sie viel Interessezeigten und immer ein dankbares Lächeln übrig hatten. Es gab jedoch noch zwei weitere Ausbilder, mit denenich persönlich sehr gut zurechtkam. Wir gaben uns gegenseitig Tipps und halfen uns aus. Jedoch wünschteich mir, dass sie wie ich motivierter arbeiten würden, denn das Interesse haben die Kinder ja. Nachdem ichvon den Zimmerern in Deutschland eigentlich genug hatte, konnte ich mich zum Schreinern sehr animieren.

Viele der Jungs sind mir im Laufe des Jahres sehr ans Herz gewachsen, da wir ja tagein, tagaus von frühbis spät zusammengewohnt haben. Wenn ich so zurückdenke, nehme ich fast nur gute Erinnerungen ausCortijo mit und frage mich, ob es den neuen Freiwilligen genauso ergeht, welche ich jedoch glücklicherweisenach den bolivianischen Schulferien im Februar wieder besuchen komme.

Ich hoffe natürlich auch, dass, wenn ich zurückkomme, vieles von mir hängengeblieben ist und die Azubisin der Schreinerei viel zu tun haben und ihre Hefte voll Stoff sind. Vor allem hoffe ich, dass die neuenFreiwilligen die Kinder abends dazu animieren, weiterhin Capoeira, Tinkuy und Caporales zu trainieren. Mirselbst hatte es immer sehr viel Spaß gemacht, den Jungs die Tänze beizubringen. Das lief so gut, dass wirauch schon mehrere Auftritte mit echten Trachten, welche ich dann später auch für sie kaufte, hatten. Jedochwar das Schwierigste die Animation und Disziplin. Mehrmals machte ich ihnen klar, dass, wenn sie nicht mitmehr Ehrgeiz trainierten, es keinen Spaß machen würde, weil sie so keine Fortschritte sehen würden. Jedochhat der Einklang von Lässigkeit und Strenge sehr gut harmoniert. Wir machten unsere eigenen Choreografienund entwickelten zum Ende einen eigenen Style. Es gab immer mindestens fünf Jungs, welche sehr begabtin dem jeweiligen Tanz waren, und ich hoffe sehr, dass sie, wie ich ihnen auferteilte, noch bevor ich flog, ihreKollegen unterstützen.

Ich nahm sehr viele Erfahrungen und Erkenntnisse aus meinem weltwärts-Jahr mit und kann dies nurempfehlen zu nutzen. Das weltwärts-Jahr bzw. der entwicklungspolitische Freiwilligendienst unterstützt über-wiegend die Entwicklung des Freiwilligen und sein Anschauungsbild vom Ausland oder Land, in dem er Frei-williger war, sowie in vielen weiteren Dingen im zukünftigen Leben, was evtl. als Einstieg dienen kann in einenentwicklungspolitischen Beruf. Die Entwicklung im jeweiligen Land wird jedoch durch weltwärts-Freiwillige,die größtenteils frische Abiturienten sind, nicht unterstützt.

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Sven Christian LiebscherCentro Educativo Multifuncional Villa ArmoníaEin Jahr lang habe ich im Centro Educativo Multifuncional Villa Armonía (kurz CEMVA) am Stadtrandvon Sucre als Freiwilliger gearbeitet. In dieser Zeit habe ich die Stadt Sucre kennengelernt, das Viertel VillaArmonía sowie dessen Bewohner, ihre Situation und ihre Probleme.

Ich habe zusammen mit fünf anderen deutschen Freiwilligen und der bolivianischen Familie Puma gelebt,die aus acht Personen besteht. So war ich in der neuen Umgebung und mit den neuen Herausforderungennicht ganz allein, sondern hatte Mitfreiwillige an meiner Seite, die dasselbe durchmachten und mit denenich mich austauschen konnte. Wir konnten uns gegenseitig unterstützen und aushelfen, wenn es nötig war.Gleichzeitig bot das Zusammenleben mit den Pumas einen intimen Einblick in das bolivianische Familien-leben am Stadtrand. So aßen wir oft gemeinsam, unternahmen viel zusammen und waren auch bei Famili-enereignissen wie Geburtstagen dabei. Außerdem konnten sie uns stets bei Fragen und Problemen, die wirhatten, wie zum Beispiel bei Alltagsdingen wie der Müllabfuhr, weiterhelfen.

Dadurch, dass ich in Villa Armonía gewohnt habe, konnte ich jeden Tag erleben, wie sich das Lebender Migrantenbevölkerung, die vom Land dorthin zieht, gestaltet. Es fällt vielen nicht leicht, sich an dasStadtleben anzupassen. Da sie auf dem Land keine offiziell anerkannte Ausbildung erhalten, finden sie oftkeine gut bezahlte Arbeit und müssen so den ganzen Tag schuften, um ihre meist vielköpfige Familie zuernähren. Außerdem sprechen viele Eltern nicht einmal gut Spanisch, sondern hauptsächlich Quechua.

Meine Hilfe im Projekt bestand darin, dass ich morgens in der Kinderkrippe „Casa del Niño“ („Haus desKindes“) arbeitete und die dortigen Erzieherinnen (Männer arbeiten dort keine) unterstützte. So betreute ichdort Kinder von eins bis fünf Jahren und erledigte Aufgaben wie Reinigung (der Tische nach dem Essen, Fe-gen und Wischen des Saals etc.), Ernährung (die Kinder zum Essen animieren und ihnen dabei Tischmanierenans Herz legen sowie beibringen, das Besteck richtig zu benutzen etc.), Erziehung der Kinder, Beibringen vongrundlegenden Kenntnissen und Fertigkeiten (Sprechübungen, zählen lernen, die Vokale lesen und schrei-ben, simple geometrische Formen erkennen und zeichnen, Bilder ausmalen etc.), Bewegungsspiele (laufen,springen, Fußball spielen, sich Bälle zuwerfen etc.), Ausarbeitung und Durchführung von Lernspielen, Singenvon Liedern und anderes.

Die Kinder sind gemäß ihrem Alter in verschiedene Säle aufgeteilt, wobei eine Erzieherin (manchmalauch zwei) für eine Altersgruppe, die ein Jahr umfasst, in einem Saal zuständig ist.

Die Freiwilligen, die in der Kinderkrippe arbeiteten, halfen jeden Monat in einem anderen Saal. DiesesSystem ermöglichte es uns, alle Erzieherinnen kennenzulernen, mit Kindern verschiedenen Alters zu arbeitenund ihre jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu erfahren.

Die Arbeit in der Kinderkrippe hat mir viel Freude bereitet und war sehr angenehm, da das ganze Perso-nal stets sehr freundlich und offen mir gegenüber war. So konnte ich mich schnell mit allen anfreunden undfühlte mich dort sehr wohl, was auch den konstruktiven Austausch über Ideen und Vorstellungen bezüglichder Erziehung der Kinder und Verbesserung unserer Arbeit förderte. Auch untereinander haben die bolivia-nischen Erzieherinnen ein gutes Verhältnis; alle verstehen sich gut miteinander und helfen sich auch immergegenseitig und unterstützen sich, sodass sie ein gut funktionierendes Team bilden.

Die Nachmittage verbrachte ich im Jugendzentrum „Comedor Escolar“. In diesem Jugendzentrum wirdden Schulkindern ab der ersten Klasse bei ihren Hausaufgaben geholfen und ihnen werden auch weitere Ak-tivitäten angeboten. Oftmals beschränkt sich die Hilfe auch nicht nur auf das Erledigen der Hausaufgaben,sondern es ist notwendig, das ganze Behandelte noch einmal von vorne zu erklären, da sie es in der Schulenicht verstehen (da sie nicht aufmerksam zuhören oder auch die Lehrer nicht gut erklären). Nebenbei ver-suchten wir stets, den Kindern weitere Angebote zu bieten, die sowohl Spaß machten als auch einen lern-und erziehungstechnischen Zweck erfüllten, zum Beispiel: gemeinsames Backen von Keksen, Beseitigung desMülls auf der Straße vor dem Jugendzentrum, gemeinschaftliches lautes Lesen von Märchen oder anderenGeschichten, Singen, Tanzen, Wiederholen der Grundlagen einiger Fächer etc.

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Um geordnet und effizient arbeiten zu können, richteten wir für jede Klassenstufe einen Tisch ein, an demdie entsprechenden Schüler ihre Aufgaben machten. Jeder dieser Tische hatte auch seinen festen Betreuer vomJugendzentrum, sodass man als Lehrer immer mit denselben Kindern arbeitete. So konnte man ein engeresVerhältnis zu seinen Schützlingen aufbauen, ihre Stärken und Schwächen kennenlernen und gezielt daranarbeiten. Da einige der Kinder zuerst zurückhaltend und schüchtern waren, war es auch für sie von Vorteil,einen fest zugeteilten Lehrer im Comedor zu haben.

Die Leiterin des Jugendzentrums, Judith, verwaltete im Alleingang den Comedor und sorgte mit Einsatzund Strenge für eine ruhige und effiziente Arbeitsatmosphäre. Außerdem war sie stets darauf bedacht, dassdas Personal eine sinnvolle Hilfe leistete und nicht etwa den Kindern die Lösungen einfach vorgab, was zwarschneller und unkomplizierter gewesen wäre, den Schülern auf lange Sicht aber nicht viel gebracht hätte.Stattdessen sollten die Kinder das Thema verstehen, um dann die Aufgaben selbst mit etwas Unterstützunglösen zu können. So reichte die Zeit zwar manchmal nicht, um allen Kindern ihr Thema bis ins letzte Detailzu erklären, und oft saßen wir bis über die planmäßigen Arbeitszeiten hinaus mit den Kindern an ihrenAufgaben, doch konnten wir so wenigstens sicher sein, dass sie etwas lernen.

Auch im Büro von CEMVA, wo alle Fäden zusammenlaufen und die gesamte Verwaltung des Projektsstattfindet, arbeitete ich einige Male. Dort übersetzte ich zum Beispiel Rechnungen von Spanisch auf Deutsch,half bei technischen Problemen weiter oder erstellte Präsentationen und Übersichten. Die Arbeit dort warstets interessant, da ich nebenbei vieles über aktuelle Probleme und Ereignisse im Projekt mitbekommenkonnte.

Dank des freundlichen Personals im ganzen CEMVA-Projekt, das immer bereit war, uns Freiwilligen zuhelfen und unseren Aufenthalt dort so angenehm wie möglich zu gestalten, das auch viel Verständnis fürunsere Probleme zeigte und geduldig mit uns war, konnte ich mich schnell an die Arbeit dort gewöhnen undeffizient mit ihm zusammenarbeiten. Ich habe im Verlauf des Jahres viel gelernt, nicht nur in Bezug auf dasErziehen und Unterrichten von Kindern. Tatsächlich habe ich einen einzigartigen Einblick in eine andereKultur erhalten, die auf eine ganz andere Art und Weise lebt und sich mit vielen Problemen auseinander-setzen muss. Ich habe den Wert einer aufrichtigen Hilfsbereitschaft kennengelernt, die es ermöglicht, mitvereinten Kräften auch schwierige Probleme anzugehen und eine Lösung zu finden. Ich habe gelernt, michin eine andere Gesellschaft einzuleben, ihre Lebensweise und Kultur zu akzeptieren und zu versuchen, siezu verstehen. Gleichzeitig konnte ich meine Spanischkenntnisse ausbauen und mir sogar die Grundlagen derSprache Quechua aneignen. Das Jahr, das ich in Bolivien verbracht habe, war das bisher interessanteste Jahrmeines Lebens, und ich bin froh, nach Sucre und nach Villa Armonía gekommen zu sein. Ich habe unver-gessliche Erfahrungen gemacht und auch sehr glückliche Momente erlebt. Ich würde jedem, der sich für einAuslandsjahr interessiert, empfehlen, diese Erfahrung zu machen.

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Till HerzogCentro de Formación Integral Rural Vera

¡Viva Bolivia!Vielen Dank für ein unglaubliches Jahr voller traumhafter Erfahrungen.

Am Anfang war es fast schon unheimlich: Ich saß in einem Transportmittel voller Menschen, doch es gabkein Geruckel und es war sehr still. Schnell setzte ich mir meine Kopfhörer auf, um mich, so paradox esklingen mag, in dieser Ruhe zu beruhigen.

Das war einer der ersten Eindrücke, als ich in Frankfurt den auf den Schienen still gleitenden ICE nachHause genommen hatte. Natürlich war das angenehmer als die mindestens acht Stunden langen Busfahr-ten auf den meist unbefestigten Straßen Boliviens, doch mir wurde sofort klar, dass auch das den CharmeBoliviens ausgemacht hatte.

So eine Busreise war einer der ersten Eindrücke, die ich von Bolivien sammeln konnte, und zwar amersten Tag auf dem Weg von Santa Cruz nach Sucre, wo sich mein Projekt befand. Das Zentrum C.F.I.R.Vera, das Jugendlichen von 12 bis 18 Jahren eine duale Ausbildung ermöglicht, liegt etwas außerhalb vonSucre. Die praktische Ausbildung findet morgens in den einzelnen Werkstätten statt, also in der Schreinerei,Metall- und Autowerkstatt, Landwirtschaft, Viehzucht oder Schneiderei. Die Produkte der Landwirtschaftund Viehzucht werden in einem eigenen Laden der Institution in Sucre verkauft. Nachmittags erfolgt derschulische Unterricht am Gymnasium, wo die Schüler am Ende das bolivianische Abitur erhalten.

Als erster Freiwilliger des BKHW wusste ich vorher nicht besonders viel über das Projekt und war deshalbsehr gespannt und ein wenig nervös. Der Direktor nahm mich aber sehr herzlich auf und kurze Zeit späterauch die Jugendlichen. In den ersten Tagen wurde mir von ihnen gezeigt, wie der Alltag in dem Internatabläuft.

Die darauffolgenden Wochen arbeitete ich morgens in der Landwirtschaft und fungierte mittags als Assis-tenzlehrer in Englisch und Mathe. Außerdem war bei der Essensausgabe auch immer eine helfende Hand zugebrauchen. Nach dem Abendessen bot ich Hausaufgabenbetreuung an, wo mir bei 200 Jungs nie langweiligwurde.

Auch weil ich zusammen mit den Jungs im Internat wohnte, also ständig mit ihnen in Kontakt war, konnteich mich sehr schnell einleben und fühlte mich bald als ein Teil der Familie. Mein Spanisch war bald auf einemNiveau, das mir erlaubte, problemlos mit den Jungs zu kommunizieren.

An den Wochenenden durften die Jungs nach Hause fahren und ich nutzte die Gelegenheit, zu denanderen Freiwilligen nach Sucre zu reisen. Im Tausch gegen Joghurt und Käse oder Gemüse aus meinemProjekt wurde mir ein Bett angeboten. Der Abstand am Wochenende zu dem Internat war mir wichtig, weiles unter der Woche schon sehr stressig war, die ganze Zeit mit den Jungs zusammen zu sein. Deshalb kammir ein wenig Abwechslung am Wochenende sehr gelegen.

Nach einem halben Jahr änderten sich meine Tätigkeiten im Projekt ein wenig. Da ich in DeutschlandHandball spiele, wollte ich den Jungs diese in Bolivien völlig unbekannte Sportart näherbringen. Ich sammelteSpenden und lies mir aus Deutschland Handbälle schicken, da diese in Bolivien unauffindbar waren. Da soein Internatstag sehr „vollgestopft“ ist, mussten wir teilweise um halb 7 Uhr morgens trainieren oder auchmal um 22 Uhr abends. Aber den Jungs und mir machte es sehr viel Spaß, außerdem interessierte sich auchder Sportlehrer für die Sportart und trainiert hoffentlich mit den Schülern weiter.

Außerdem bekam das Projekt Besuch von einer Mitarbeiterin des weltwärts-Sekretariats, die das „Süd-Nord“-Projekt vorstellte. Diese Initiative ermöglicht es Jugendlichen aus den Partnerländern der Entwick-lungszusammenarbeit, ein Freiwilligenjahr in Deutschland abzuleisten. In Absprache habe ich daraufhinDeutschunterricht im Internat angeboten. In drei Klassen unterrichtete ich insgesamt 30 Schüler, was wegender schwierigen Sprache und zwischenzeitlich aufkommenden Konzentrationsschwächen nicht immer leicht,aber meistens spaßig war. Als die Internatsdirektorin Geburtstag hatte, haben wir ihr „Zum Geburtstag vielGlück“ gesungen und auch meine Familie konnte schon auf Deutsch begrüßt werden.

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Kurz vor Ende meines Freiwilligendienstes habe ich noch ein Projekt angestoßen: Ich wollte die doch sehrtriste Mauer im Eingangsbereich verschönern. Jede Werkstatt sollte sich mit einem für sie typischen Motivrepräsentieren. Um dies zu erreichen, sammelte ich Spenden und initiierte zusammen mit dem Kunstlehrereinen Wettbewerb. Jeder Schüler sollte für die Werkstätte, in der er seine Ausbildung macht, ein Designeinreichen. Das beste Design jeder Werkstatt wurde dann auf der Mauer verwirklicht. Es war sehr schön zusehen, mit wie viel Eifer die Jungs zeichneten, entwarfen und später auch die Mauer verputzten und bemalten.

Wie man sieht, hatte ich im C.F.I.R. Vera immer etwas zu tun und die Zeit verging total schnell. Aberich nutzte sie natürlich auch, um Bolivien und seine verschiedenen Facetten besser kennenzulernen. DasBeeindruckendste der Natur ist hier auf jeden Fall ihre Vielfalt. Es ist in Bolivien möglich, innerhalb von einpaar Stunden Busfahrt von der kalten und teilweise schneebedeckten Hochebene Altiplano bis ins Tieflandund mitten in den Regenwald zu reisen. Wenn man also ein bisschen Zeit in Bolivien hat, kann man sich vieleverschiedene Naturschauspiele anschauen, nicht zu vergessen den Titicacasee oder die große Salzwüste Salarde Uyuni.

Wenn ich das so schreibe, hier in Deutschland sitzend, werde ich richtig wehmütig und bekomme Fernwehnach Bolivien. Auch deshalb möchte ich mich an dieser Stelle beim BKHW bedanken, das mein Freiwilli-genjahr in Bolivien erst möglich gemacht hat. Ich habe nie sonderlich viel von der Organisation gehört, was,wie ich meine, auch nicht nötig war. Hatte ich aber Probleme, Wünsche oder Anregungen, habe ich immerFeedback erhalten. Ganz besonders bedanken möchte ich mich vor allem bei Fernando, dem Freiwilligen-koordinator vor Ort. Egal welches Anliegen oder Wehwehchen ich hatte, Fernando hat mir immer geholfenund der Abschied war auf jeden Fall einer unter Freunden.

Irgendwann während des Freiwilligenjahres stellt man sich aber natürlich auch die Frage der Sinnhaftig-keit dieses Dienstes. Leiste ich hier wirklich Entwicklungsarbeit? Trage ich tatsächlich zur Weiterentwicklungvor Ort oder sogar des Landes bei? Das sind natürlich Fragen, die sich jeder Einzelne selbst stellen und beant-worten muss. Für mich sieht der/die optimale Freiwillige folgendermaßen aus: Er/Sie wird nicht zwingend alsArbeitskraft benötigt, aber gibt helfende, interessante, neue, am besten auch nachhaltige Denkanstöße oderführt solche Aktivitäten durch, um den Kindern und Jugendlichen etwas beizubringen oder ihrem AlltagAbwechslung zu bieten.

Ich persönlich bin in dieser Hinsicht mit meinem Freiwilligenjahr zufrieden, ich wurde nie als Lehreroder Feldarbeiter wirklich benötigt, aber in meinen Augen konnte ich neue Akzente setzen und für die Jungsabwechslungsreiche Aktivitäten anbieten.

Ein unglaubliches und wundervolles Jahr ist vorbei und ich vermisse immer noch alle neuen Freundedort. Aber eines ist mir so klar, dass ich es nie infrage gestellt habe: Ich werde nach Bolivien zurückkehren.

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Tobias Erwin KneuerCentro Educativo Multifuncional Villa ArmoníaVor noch einem Jahr hatte ich kein besonders ausge-prägtes Bild von Bolivien bzw. wenn ich Vorstellungenhatte, waren sie komplett anders. So richtig vorbereitenkann man sich auch nicht. Im Nachhinein denke ich,dass es besser ist, das Land so hinzunehmen, wie esist, und dann zu versuchen, sich positiv einzubringen.Anstatt voller Vorurteile anzukommen und dann seineeigene Realität zu bilden. Weil man immer das Bild imKopf haben wird, das einem durch andere vermitteltwurde.

Eine der wichtigsten Aufgaben im Projekt warfür mich meine Arbeit vormittags in der Werkstatt.Die meisten Organisationen legen großen Wert aufdie Kleinkindbetreuung und kümmern sich, sobald dieschulische Ausbildung zu Ende ist, nicht mehr um dieZukunft der Kinder. In meinen Augen ist genau dasder falsche Ansatz. Denn wenn es leicht ist, sich umarme Kinder zu kümmern und sie noch relativ we-nig Probleme machen können, werden sie unterstützt.Doch sobald sie Jugendliche oder junge Erwachsenesind und „richtige“ Probleme wie z.B. Alkoholkonsumoder Auseinandersetzungen mit den Eltern auftreten,lassen viele Organisationen ihre Schützlinge in der Lufthängen. In meinen Augen kann man nicht kontraproduktiver arbeiten. CEMVA gibt den Jugendlichen hierdie Chance einer Ausbildung. Neben der Elektro- und Schreinerlehre kann man auch eine Ausbildung in derMetallwerkstatt machen, in der ich am Vormittag gearbeitet habe.

Meine Arbeit hat sich innerhalb des Jahres immerwieder verändert. Mit immer besseren Spanischkennt-nissen konnte ich dann selbstständigere Arbeiten undanspruchsvollere Tätigkeiten übernehmen. Anfangslagen meine Aufgaben darin, elektrische Probleme zulösen, Maschinen zu reparieren und beim Arbeitsall-tag unterstützend zu wirken. Vor Weihnachten hab ichdann meinen ersten Elektrokurs angeboten. Das An-gebot stieß auf großes Interesse, auch über den Kurshinaus. Um das Potenzial zu nutzen, gab es dann inder ersten Ferienwoche vor Weihnachten einen erwei-terten Teil des Kurses.

Im Laufe des Jahres habe ich versucht, Themenzu behandeln, die den Auszubildenden in der letztenPrüfung viele Schwierigkeiten bereitet haben. Des-halb hab ich mich in das technische Zeichnen mitSchwerpunkt auf Maßstäbe eingearbeitet. Kurz da-nach gab es dann jeden Montag am Nachmittag einentechnischen Zeichenkurs. Die Resultate waren durch-gehend gut, sodass sie bei der nächsten Prüfung keineProbleme in diesem Thema haben sollten.

Was mir noch sehr am Herzen lag, war, mein Wis-sen über die Elektronik zu vermitteln. Deswegen botich nach dem technischen Zeichenkurs Elektrokurse

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an. In diesen Kursen wurden Themen wie Gefahren des elektrischen Stroms, Hausinstallationen, physikali-sche Gesetze usw. behandelt. Ich hab immer versucht, die Themen so praxisnah wie möglich zu behandeln,was den Auszubildenden gut gefallen hat.

Die letzten Monate hatdie Werkstatt einen Auftragfür eine Innenhofüberdachungbekommen. Es musste vielgeplant, ausgemessen und be-rechnet werden. Dabei konn-te ich mich gut einbringenund hab auch selbst noch vielgelernt.

Im Centro Juvenil „Vil-la Armonía B“ war ich inder Hausaufgabenbetreuungtätig. Das hieß für mich, Kin-der bei ihren Aufgaben zumotivieren, zu unterstützen,zu erklären und auch darüberhinaus mir selbst Übungenauszudenken. Im Alltag ver-suchten wir durch unser Ver-halten, aber auch durch direk-te Gespräche, den Kindern Umweltbewusstsein und ein positives soziales Denken zu vermitteln. Eine Chancebot sich fast jeden Freitag, wenn wir einen kleinen Ausflug machten. Ziel dieses Ausfluges ist es, die Kinderaus dem alltäglichen Umfeld herauszuholen. Möglichkeiten dazu boten sich auch an den größeren Feiertagen.So gibt es Weihnachten, Ostern usw. immer ein kleines Fest, bei dem das ganze Projekt zusammenkommt.Jedes Centro hat dabei einen Programmpunkt, bei dem es sich verwirklichen kann. So kann eine Geschichteerzählt, Theater gespielt oder auch getanzt werden. Vor diesen Festen sind die Kinder schon ganz aufgeregt.

Ein weiterer Höhepunkt im Jahr war das Fußballturnier. Daraufhin hatten wir schon Wochen vorhertrainiert. Als dann das Turnier stattfand und wir sogar den zweiten Platz mit den Jungs und den ersten mitden Mädels belegt hatten, waren sie richtig stolz. Die gewonnenen Trikots und Medaillen wurden gleich dieganze nächste Woche in der Schule angezogen.

Ingesamt war es ein außergewöhnliches Jahr, in dem ich mich gut verwirklichen und einbringen konnte.Ich selbst habe meinen Horizont erweitert, aber auch viel weitergeben. Es wäre schade, wenn diese Stellen inZukunft nicht mehr besetzt werden könnten, weil es zu wenig Freiwillige gibt.

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Vincent Jonas ScheuCentro Educativo Multifuncional Villa ArmoníaNach einem ereignisreichen Jahr in Bolivien möchte ich hier im Folgenden die wesentlichen Ereignisse dergeleisteten Freiwilligenarbeit zusammenfassen und ein kurzes Abschlussfazit ziehen.

Die Eingewöhnung in den fremden Kulturkreis sowie in das neue Umfeld glückte überraschend schnell –nach kleineren anfänglichen Schwierigkeiten, die größtenteils der Sprache geschuldet waren. Schnell zeigtensich am Arbeitsplatz mehr oder weniger offensichtliche Probleme, wie zum Beispiel Zahnhygiene oder auchdie Art und Weise des Unterrichts beziehungsweise der Hausaufgaben.

Manche Missstände konnten dank der freundlichen Mithilfe des BKHW beseitigt werden, allen vorandas Fehlen von Schulmaterial und Zahnbürsten. In diesem Zusammenhang ist das Projekt zu erwähnen, dasTobias und ich im Centro Juvenil „Villa Armonía B“ im März realisiert haben. Mit dem verwendeten Betragvon rund 1.500 Bolivianos konnten neben oben genannter Ausstattung auch Spielzeug, Bälle oder Ähnlichesgekauft werden.

Bei der täglichen Arbeit im Centro Juvenil galt es vor allem, während der Hausaufgaben der Kinder alsAnsprechpartner bereitzustehen. Danach stand die Arbeit mit lernschwächeren Schülern im Mittelpunkt,was je nach Fall meist die Alphabetisierung oder das Erlernen der Grundrechenarten beinhaltete. Oftmalsstand freitags ein Ausflug in einen nahe gelegenen Park oder Sonstiges auf dem Programm. Andere spezielleAktivitäten waren das Organisieren von Feiern anlässlich gewisser Festtage (beispielsweise Muttertag), dasEinstudieren von Tänzen und Liedern oder auch der Besuch beim (Zahn-)Arzt.

Vormittags im Kindergarten lag der Schwerpunkt mehrheitlich auf dem Erlernen der Zahlen und Buch-staben, aber auch das Verhalten in der Gruppe und Disziplin wurde den Kindern nahegebracht. Aufgrundder hohen Anzahl an Kindern war hier leider eine individuelle Förderung lernschwächerer Kinder – andersals im Centro Juvenil – nicht möglich. Auch im Kindergarten wurde ein kleines Projekt realisiert: Mit demBetrag von rund 1.600 Bolivianos wurden im August Mülleimer sowie Puzzles für zwei Kurse gekauft.

Kurz äußern will ich mich auch zu dem Projekt „weltwärts“. Alles in allem bin ich sehr dankbar, dass mirdurch „weltwärts“ die Chance eröffnet wurde, dieses Jahr in Bolivien zu verbringen. Diese tolle Möglichkeitfür junge Menschen, die Welt zu entdecken und auf viele Dinge einen ganz anderen Blick zu werfen, ist einabsolut fördernswertes Projekt, das in dieser oder ähnlicher Form hoffentlich noch lange bestehen bleibt.Zwar entsprach die Wohngemeinschaft in CEMVA (bestehend aus sechs Freiwilligen) nicht den weltwärts-Richtlinien, doch war der gegenseitige Halt vor allem in der Eingewöhnungszeit enorm wichtig. Zwar magsich das negativ auf beispielsweise die Sprachkenntnisse ausgewirkt haben, doch im Nachhinein war dieseverhältnismäßig große Wohngemeinschaft für alle ein absoluter Glücksfall.

Abschließend lässt sich festhalten, dass ich hier ein tolles Jahr verbracht habe. Die Arbeit wurde mir durchKollegen und Mitfreiwillige sehr erleichtert. Abgesehen von meiner Hepatitiserkrankung im November kannich auf ein durch und durch erfolgreiches Jahr zurückblicken, aus dem ich zahlreiche gute Erinnerungenmitnehmen werde.

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