1
Von Robert Seeberger E in Teleskop mit 1,8 Metern Durchmesser mit dem Na- men Pan-STARRS durch- mustert auf den Hawaii-Inseln den Himmel nach Kometen und erdnahen Asteroiden. Täglich werden mit Hilfe automatischer Bildauswertung neue Objekte entdeckt. Am 19. Oktober 2017 sah sich ein Astronom die Bilder nochmals an. Er entdeckte ein Objekt, das der Computersoft- ware entgangen war. Wenn Kometen oder Astero- iden – auch von Amateuren – entdeckt werden, dokumentiert das „Minor Planet Center“ in Cambridge die Entdeckungen. Rasch war klar, dass auf Hawaii ein Himmelskörper mit einer ei- genartigen Bahn gefunden wor- den war. Die meisten Asteroiden bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne, doch das neue Objekt bewegte sich auf einer hyperbolischen Bahn – ein Flug ohne Wiederkehr. Keine Aktivitäten. In der Fol- ge richtete man mehrere Tele- skope, darunter das „Very Large Telescope“, ein 8,2-Meter-Gerät, das die Europäische Südstern- warte in Chile betreibt, auf das Objekt. Damit wurden keinerlei Aktivitäten, wie man sie von Ko- meten kennt, gefunden. Die Geschwindigkeit des Ob- jekts war so hoch, dass es nicht durch die Schwerkraft an unser Sonnensystem gebunden sein konnte. Es musste daher aus dem interstellaren Raum oder von einem anderen Sternsystem stammen. Bahnberechnungen ergaben, dass das Objekt fast senkrecht auf die Ebene der Ek- liptik, in der sich die Planeten bewegen, zusteuerte. Zwischen Sonne und Merkur kreuzte es die Ekliptik, wurde stark abge- lenkt und steuert seither mit hoher Geschwindigkeit aus dem Sonnensystem heraus. Exot. Die Entdeckung war etwas Besonderes. Der interstellare Exot ist der erste Vertreter einer neuen astronomischen Objekt- klasse: ein Asteroid, der nicht aus unserem Sonnensystem stammt. Das Objekt erhielt die Bezeichnung 1I Oumuamua. Der Buchstabe I steht für In- terstellares Objekt und 1 für die erste Entdeckung. Oumuamua stammt aus dem Hawaiianischen und bedeutet Botschafter. Die Richtung, aus der Oumuamua zu uns kam, ist der Stern Wega im Sternbild Leier. Berücksichtigt man die Flugdauer des Objektes, so erkennt man, dass die Wega damals an einem anderen Ort gestanden ist. Inzwischen wurden mehre- re Sternsysteme diskutiert, die Oumuamua ausgestoßen haben könnten. Es müssen Sternsy- steme sein, die eine ähnliche Geschwindigkeit wie 1I haben. Außerdem muss die Flugbahn auf einen Stern zum Zeitpunkt des Ausstoßes zeigen. Derzeit werden vier Zwergsysteme als gute Kandidaten gehandelt. Mit letzter Sicherheit lässt sich das Ursprungssystem des interstel- laren Objektes aber nicht mehr identifizieren. Spekulationen. Auch die größ- ten Teleskope zeigten den Bot- schafter nur als kleines Licht- pünktchen (Bild oben links). Allerdings wurde die zeitliche Änderung der Helligkeit von 1I genau vermessen. Aus diesen Lichtkurven konnte man ablei- ten, dass sich 1I in gut sieben Stunden um die eigene Achse dreht und eine zigarrenförmige Geometrie hat. Er ist zirka zehn Mal länger, als er dick ist. Das Ende 2017 wurde der erste interstellare Asteroid beobachtet. Ein Jahr später wird sogar darüber spekuliert, ob das Objekt ein Sonnen- segel einer künstlichen Intelligenz ist Interstellarer Botschafter Objekt ist nur 400 bis 800 Meter lang. Diese recht gut abgesicher- ten Daten dienten als Vorlage für eine künstlerische Darstellung von Oumuamua (Abb. 2). Der Botschafter erhielt ein Gesicht, und das führte zu allerlei Speku- lationen. Gibt es so ungewöhn- liche Objekte, die natürlich ent- stehen? Sieht das Bild, das der Künstler fertigte, nicht wie ein Raumschiff aus? Die Spekulationen erhielten neue Nahrung, als klar war, dass 1I sich schneller von uns entfernt, als es durch die reine Schwerkraftwirkung zu erwar- ten wäre. Am 12. November 2018 erschien in einer renommierten astronomischen Fachzeitschrift ein Artikel der Harvard-Astro- nomen Bialys und Loebs. Sie hielten fest, dass sich die unge- wöhnlichen Eigenschaften des Botschafters wie Form, Größe und Geschwindigkeit erklären ließen, wenn Oumuamua ein Sonnensegel wäre. Ist Welt- raumschrott einer fernen intel- ligenten Zivilisation durch unser Sonnensystem geflogen? Oder haben Aliens sogar bewusst un- sere Umgebung erkundet? Natürliche Erklärung. Bevor wir uns in Science Fiction verlieren, lassen wir Uwe Reichert, einen deutschen Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten, zu Wort kommen: „Egal, wie merk- würdig die Phänomene sind, denen wir begegnen: Außerir- dische waren bisher noch nie ei- ne vernünftige Erklärung dafür“. Schon vor gut 50 Jahren waren manche Forscher versucht, un- erklärliche Daten Aliens zuzu- schreiben. 1967 wurden extrem regelmäßig wiederkehrende Radiosignale aus dem Weltall entdeckt. Als „Wow“-Signal wurden die Pulse bezeichnet. Wollten grüne Männchen mit uns Kontakt aufnehmen? Nein: Das Signal stammte von einer neu entdeckten Objektklasse, den Pulsaren. Das sind rasch drehende Neutronensterne, die wie Leuchttürme regelmäßige Blitze abgeben. Während des Vorbeifluges von Oumuamua wurde auch das Radioteleskop von Green-Bank auf das Objekt gerichtet. Man konnte keinerlei Radiowellen nachweisen. Die ungewöhnliche Beschleunigung des Objektes könnte auch völlig unspektaku- lär erklärt werden. Würde Ou- muamua Gas ausstoßen, würde das eine Zusatzbeschleunigung bewirken. Bei den Pioneer- Raumsonden wurden seltsame Beschleunigungen beobachtet. Diese Pioneer-Anomalie ist mittlerweile geklärt. Eine un- gleichförmige Abgabe von Wär- me bewirkte den Extraschub der Sonden. Zufallsfund Klar ist: Das Objekt ist einzigartig und rätselhaft. Man wird auch keine Nachfor- schungen anstellen können, denn es ist mittlerweile au- ßerhalb der Reichweite von ir- dischen Teleskopen und entfernt sich mit rasender Geschwindig- keit weiter von uns. Betrachten wir die Entdeckung eines inter- stellaren Asteroiden als glück- lichen Zufallsfund. Die astrono- mischen Objektklassen sind um einen interessanten Eintrag rei- cher geworden. Noch in diesem Jahr soll ein neues 8,4-Meter- Teleskop in Chile seinen Betrieb aufnehmen. Das „Large Synoptic Survey Teleskope“ (LSST) wird den gesamten Himmel durch- mustern. Experten erwarten sich, dass jährlich mindestens ein interstellares Objekt, wie Oumuamua gefunden wird. 1I wird nicht alleine bleiben, und sicherlich werden die neuen Ob- jekte helfen, seine besonderen Eigenschaften zu erklären. 44 | Wissen Sonntag, 10. März 2019 Sonntag, 10. März 2019 Wissen | 45 Das „Bild“ von 1I Oumua- mua mit dem 8,2-Me- ter-Te- leskop der ESO beo- bachtet. ESO Künstlerische Darstellung von 1I Oumuamua. Das Bild ist keine (!) Fotografie des Him- melsobjekts. ESO Die rote Linie zeigt die Flugbahn des Botschafters durch unser Sonnen- system. ESO

ESO Interstellarer Botschafters durch unser Sonnen- · die Ekliptik, wurde stark abge-lenkt und steuert seither mit hoher Geschwindigkeit aus dem Sonnensystem heraus. Exot. Die Entdeckung

Embed Size (px)

Citation preview

Von Robert Seeberger

Ein Teleskop mit 1,8 Metern Durchmesser mit dem Na-men Pan-STARRS durch-

mustert auf den Hawaii-Inseln den Himmel nach Kometen und erdnahen Asteroiden. Täglich werden mit Hilfe automatischer Bildauswertung neue Objekte entdeckt. Am 19. Oktober 2017 sah sich ein Astronom die Bilder nochmals an. Er entdeckte ein Objekt, das der Computersoft-ware entgangen war.

Wenn Kometen oder Astero-iden – auch von Amateuren – entdeckt werden, dokumentiert das „Minor Planet Center“ in Cambridge die Entdeckungen. Rasch war klar, dass auf Hawaii ein Himmelskörper mit einer ei-genartigen Bahn gefunden wor-den war. Die meisten Asteroiden bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne, doch das neue Objekt bewegte sich auf einer hyperbolischen Bahn – ein Flug ohne Wiederkehr.

Keine Aktivitäten. In der Fol-ge richtete man mehrere Tele-

skope, darunter das „Very Large Telescope“, ein 8,2-Meter-Gerät, das die Europäische Südstern-warte in Chile betreibt, auf das Objekt. Damit wurden keinerlei Aktivitäten, wie man sie von Ko-meten kennt, gefunden.

Die Geschwindigkeit des Ob-jekts war so hoch, dass es nicht durch die Schwerkraft an unser Sonnensystem gebunden sein konnte. Es musste daher aus dem interstellaren Raum oder von einem anderen Sternsystem stammen. Bahnberechnungen ergaben, dass das Objekt fast senkrecht auf die Ebene der Ek-liptik, in der sich die Planeten bewegen, zusteuerte. Zwischen Sonne und Merkur kreuzte es die Ekliptik, wurde stark abge-lenkt und steuert seither mit hoher Geschwindigkeit aus dem Sonnensystem heraus.

Exot. Die Entdeckung war etwas Besonderes. Der interstellare Exot ist der erste Vertreter einer neuen astronomischen Objekt-klasse: ein Asteroid, der nicht aus unserem Sonnensystem stammt. Das Objekt erhielt die

Bezeichnung 1I Oumuamua. Der Buchstabe I steht für In-terstellares Objekt und 1 für die erste Entdeckung. Oumuamua stammt aus dem Hawaiianischen und bedeutet Botschafter. Die Richtung, aus der Oumuamua zu uns kam, ist der Stern Wega im Sternbild Leier. Berücksichtigt man die Flugdauer des Objektes, so erkennt man, dass die Wega damals an einem anderen Ort gestanden ist.

Inzwischen wurden mehre-re Sternsysteme diskutiert, die Oumuamua ausgestoßen haben könnten. Es müssen Sternsy-steme sein, die eine ähnliche Geschwindigkeit wie 1I haben. Außerdem muss die Flugbahn auf einen Stern zum Zeitpunkt

des Ausstoßes zeigen. Derzeit werden vier Zwergsysteme als gute Kandidaten gehandelt. Mit letzter Sicherheit lässt sich das Ursprungssystem des interstel-laren Objektes aber nicht mehr identifizieren.

Spekulationen. Auch die größ-ten Teleskope zeigten den Bot-schafter nur als kleines Licht-pünktchen (Bild oben links). Allerdings wurde die zeitliche Änderung der Helligkeit von 1I genau vermessen. Aus diesen Lichtkurven konnte man ablei-ten, dass sich 1I in gut sieben Stunden um die eigene Achse dreht und eine zigarrenförmige Geometrie hat. Er ist zirka zehn Mal länger, als er dick ist. Das

Ende 2017 wurde der erste interstellare Asteroid beobachtet. Ein Jahr später wird sogar

darüber spekuliert, ob das Objekt ein Sonnen-segel einer künstlichen Intelligenz ist

Interstellarer Botschafter

Objekt ist nur 400 bis 800 Meter lang. Diese recht gut abgesicher-ten Daten dienten als Vorlage für eine künstlerische Darstellung von Oumuamua (Abb. 2). Der Botschafter erhielt ein Gesicht, und das führte zu allerlei Speku-lationen. Gibt es so ungewöhn-liche Objekte, die natürlich ent-stehen? Sieht das Bild, das der Künstler fertigte, nicht wie ein Raumschiff aus?

Die Spekulationen erhielten neue Nahrung, als klar war, dass 1I sich schneller von uns entfernt, als es durch die reine Schwerkraftwirkung zu erwar-ten wäre. Am 12. November 2018 erschien in einer renommierten astronomischen Fachzeitschrift ein Artikel der Harvard-Astro-

nomen Bialys und Loebs. Sie hielten fest, dass sich die unge-wöhnlichen Eigenschaften des Botschafters wie Form, Größe und Geschwindigkeit erklären ließen, wenn Oumuamua ein Sonnensegel wäre. Ist Welt-raumschrott einer fernen intel-ligenten Zivilisation durch unser Sonnensystem geflogen? Oder haben Aliens sogar bewusst un-sere Umgebung erkundet?

Natürliche Erklärung. Bevor wir uns in Science Fiction verlieren, lassen wir Uwe Reichert, einen deutschen Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten, zu Wort kommen: „Egal, wie merk-würdig die Phänomene sind, denen wir begegnen: Außerir-

dische waren bisher noch nie ei-ne vernünftige Erklärung dafür“. Schon vor gut 50 Jahren waren manche Forscher versucht, un-erklärliche Daten Aliens zuzu-schreiben. 1967 wurden extrem regelmäßig wiederkehrende Radiosignale aus dem Weltall entdeckt. Als „Wow“-Signal wurden die Pulse bezeichnet. Wollten grüne Männchen mit uns Kontakt aufnehmen? Nein: Das Signal stammte von einer neu entdeckten Objektklasse, den Pulsaren. Das sind rasch drehende Neutronensterne, die wie Leuchttürme regelmäßige Blitze abgeben.

Während des Vorbeifluges von Oumuamua wurde auch das Radioteleskop von Green-Bank

auf das Objekt gerichtet. Man konnte keinerlei Radiowellen nachweisen. Die ungewöhnliche Beschleunigung des Objektes könnte auch völlig unspektaku-lär erklärt werden. Würde Ou-muamua Gas ausstoßen, würde das eine Zusatzbeschleunigung bewirken. Bei den Pioneer-Raumsonden wurden seltsame Beschleunigungen beobachtet. Diese Pioneer-Anomalie ist mittlerweile geklärt. Eine un-gleichförmige Abgabe von Wär-me bewirkte den Extraschub der Sonden.

Zufallsfund Klar ist: Das Objekt ist einzigartig und rätselhaft. Man wird auch keine Nachfor-schungen anstellen können, denn es ist mittlerweile au-ßerhalb der Reichweite von ir-dischen Teleskopen und entfernt sich mit rasender Geschwindig-keit weiter von uns. Betrachten wir die Entdeckung eines inter-stellaren Asteroiden als glück-lichen Zufallsfund. Die astrono-mischen Objektklassen sind um einen interessanten Eintrag rei-cher geworden. Noch in diesem Jahr soll ein neues 8,4-Meter-Teleskop in Chile seinen Betrieb aufnehmen. Das „Large Synoptic Survey Teleskope“ (LSST) wird den gesamten Himmel durch-mustern. Experten erwarten sich, dass jährlich mindestens ein interstellares Objekt, wie Oumuamua gefunden wird. 1I wird nicht alleine bleiben, und sicherlich werden die neuen Ob-jekte helfen, seine besonderen Eigenschaften zu erklären.

44 | Wissen Sonntag, 10. März 2019 Sonntag, 10. März 2019 Wissen | 45

Das „Bild“ von 1I

Oumua-mua mit

dem 8,2-Me-

ter-Te-leskop

der ESO beo-

bachtet. ESO

Künstlerische Darstellung von 1I Oumuamua. Das Bild ist keine (!) Fotografie des Him-melsobjekts. ESO

Die rote Linie zeigt die Flugbahn des Botschafters durch unser Sonnen-system. ESO