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Expertise
Demografische Entwicklung und regionale
Disparitäten im Schulsystem Thüringens auf der
Grundlage zentraler Gerechtigkeitsindikatoren
Prof. Dr. Nils Berkemeyer
Institut für Erziehungswissenschaft
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 11
07743 Jena
Jena, Dezember 2013
1
Inhalte
1. Einleitung
2. Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems
2.1 Demografische Entwicklung
2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
2.3 Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen
3. Eckdaten zum Thüringer Schulsytem
3.1 Struktur des schulischen Bildungsangebots
3.2 Lehrendes Personal
4. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems im
Ländervergleich
4.1 Gerechtigkeit als Kategorie für die Analyse von Schulsystemen
4.2 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems
4.3 Zur Durchlässigkeit des Thüringer Schulsystems
4.4 Zur Kompetenzförderung des Thüringer Schulsystems
4.5 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems
4.6 Übersicht
5. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems auf der Ebene
der Kreise und kreisfreien Städte – regionale Disparitäten
5.1 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Integrationskraft
5.2 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Durchlässigkeit
5.3 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Kompetenzförderung
5.4 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Zertifikatsvergabe
6. Gesamtschau zentraler Befunde zu Bedingungen und Ausprägungen der
Chancengerechtigkeit in Thüringens Schulsystem
7. Handlungsoptionen
2
1. Einleitung
Diese Expertise zu den regionalen Disparitäten im Schulsystem Thüringens ist ein Bestandteil
der diesjährigen intensiven Beschäftigung der thüringischen Landesregierung im
Demografiejahr Thüringen mit aktuellen politischen Herausforderungen hinsichtlich der
Sicherung von Teilhabe, Fachkräfteangebot und Chancengerechtigkeit in Thüringen.
Mit der hier vorgelegten Expertise zu Kontextbedingungen, Angebotsstrukturen, Prozessen
und dem Output des thüringischen Schulsystems werden sowohl die gesamtgesellschaftliche
Bedeutung gerechter Chancen im Schulsystem diskutiert als auch die Rück- und
Wechselwirkungen verschiedener aktueller gesellschaftlicher Prozesse erörtert. Es wird
analysiert, wie es um die Chancengerechtigkeit innerhalb des Thüringer Schulsystems
bestellt ist, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Unterschiede in den Bildungschancen
für die Schülerinnen und Schüler, die in unterschiedlichen Regionen des Landes aufwachsen,
gelegt wird. In Anschluss an den Demografiebericht Thüringen, Teil 2 möchte diese Expertise
zudem Hinweise für zentrale Aufgaben und Handlungsfelder für politische und
zivilgesellschaftliche Verantwortungsträger bereitstellen, die sich angesichts der
Herausforderung der Herstellung und Wahrung von Chancengerechtigkeit im Schulsystem
insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen demografischen Wandels ergeben.
Die Fragen, wie es gelingt, Teilhabechancen zu wahren, Fachkräftebedarf adäquat zu
begegnen und welche Möglichkeiten zur Herstellung von mehr Chancengerechtigkeit in
Anbetracht der zukünftigen demografischen Entwicklungen bestehen, sind zunehmend
Gegenstand in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Diskussionen einer Gesellschaft.
Hieran anknüpfend möchte diese Expertise einen Beitrag dazu liefern, in die Debatte um ein
chancengerechte Schulsystem in Thüringen, das Teilhabemöglichkeiten schafft und einen
Beitrag zur Sicherung des Fachkräfteangebots erbringt, empirische Analysen und auf der
Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchungen formulierte Handlungshinweise
einzubeziehen.
Die vorliegende Bestandsaufnahme beginnt mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum
Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1).
Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen, anhand derer sich Aussagen
über die Chancengerechtigkeit von Schulsystemen treffen lassen, eingegangen. Obgleich ein
gerechtes Schulsystem ein Wert für sich ist bzw. bedeutsam für die lernenden Schülerinnen
und Schüler ist, wird aufgezeigt, welchen Ertrag ein hohes Maß an Gerechtigkeit im
Schulsystem für die Gesamtgesellschaft haben kann, was vor allem in Zeiten rückläufiger
Bevölkerungs- und auch Schülerzahlen überaus bedeutsam ist. Das verwendete Konzept von
Chancengerechtigkeit begründet sich auf einem weiten Begriffsverständnis: So wird davon
ausgegangen, dass ein gerechtes Schulsystem sicherstellt, dass Teilhabemöglichkeiten für
Kinder und Jugendliche bestehen und diese bestmögliche Förderung von
3
Kompetenzentwicklung u.a. auf die an Schule anschließende Fachkräfteausbildung adäquat
vorbereitet werden.
Die hier vorliegende Untersuchung greift bei der Analyse des thüringischen Schulsystems auf
den Ansatz von Chancengerechtigkeit des „Chancenspiegels“, ein Instrument der
Bildungsberichterstattung, zurück. Konkret werden unter Bezugnahme auf aktuelle
Gerechtigkeitstheorien vier zentrale Gerechtigkeitsdimensionen aufgezeigt, anhand derer
sich Schulsysteme vergleichend analysieren lassen: Integrationskraft, Durchlässigkeit,
Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe.
Mit diesen vier Gerechtigkeitsdimensionen wird deutlich, dass Chancengerechtigkeit von
Schulsystemen unter Einbeziehung umfassender Informationen und Daten zu verschiedenen
Aspekten von Gerechtigkeit zu analysieren und diskutieren ist. Es muss also gefragt werden:
1. ob Schulsysteme eher integrierend oder exkludierend aufgebaut sind und wirken
(Integrationskraft),
2. ob Selektionsprozesse gerecht vollzogen werden oder ob soziale Herkunftsmerkmale
dabei bestimmend sind (Durchlässigkeit),
3. ob die Kompetenzen bestmöglich gefördert werden (Kompetenzförderung),
4. ob die schulische Zertifikatsvergabe derart gestaltet ist, dass den Schülern
Anschlussmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Zertifikatsvergabe).
Im Folgenden wird nach Einführung in die grundsätzlichen Überlegungen zur
Chancengerechtigkeit von Schulsystemen ausgeführt, unter welchen Rahmenbedingungen
das Thüringer Schulsystem im Allgemeinen und die einzelnen Kreise und kreisfreien Städte
im Speziellen arbeiten. Von Interesse sind hier die Themen demografische Entwicklung,
ökonomische sowie sozialstrukturelle Rahmenbedingungen.
Nach der Klärung der Ausgangsbedingungen wird in den Hauptteilen dieser Expertise die
Chancengerechtigkeit des Schulsystems datenbasiert fokussiert. Zunächst wird betrachtet,
welches Chancenprofil Thüringen im Vergleich zu den anderen deutschen Bundesländern
aufweist. In einem zweiten Schritt wird auf einer kleinräumigeren Ebene analysiert, welche
regionalen Disparitäten hinsichtlich der Chancengerechtigkeitsausprägungen zwischen den
Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens bestehen.
Der Bericht schließt mit einer Zusammenfassung zentraler Ergebnisse sowie einem Angebot
an Handlungsoptionen, die angesichts der Rahmenbedingungen sowie der
Gerechtigkeitsverhältnisse im Schulsystem Thüringens als mögliche Stellschrauben für die
Gestaltungsakteure anzusehen sind.
4
2. Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems
Wie bereits in der Einleitung angedeutet, stehen gesellschaftliche Teilsysteme immer auch in
Wechselverhältnissen zu der sie umgebenden Umwelt bzw. werden von dieser in ihrer
Reproduktion beeinflusst (siehe allg. Schimank, 2005; 2006). Dies trifft in mehrfacher
Hinsicht auch auf das Schulsystem zu. Es steht dabei vor der Herausforderung, seine
Prozesse immer vor dem Hintergrund sich wandelnder demografischer, wirtschaftlicher und
sozialstruktureller Kontexte zu vollziehen, was wiederum mittel- und langfristig auf die
spezifischen Strukturmomente des Systems zurückwirkt und Modernisierungsprozesse
provoziert. Um aufzuzeigen, vor welchem Hintergrund sich das Thüringer Schulsystem in der
Vergangenheit entwickelt hat, welche aktuellen Umweltbedingungen derzeit vorherrschen
sowie unter welchen Gegebenheiten zukünftig zu agieren sein wird, werden in diesem
Kapitel Ergebnisse der Analysen zur Demografie, zur wirtschaftlichen Lage und zum
sozialstruktruellen Hintergrund bildungsrelevanter Altersgruppen vorgestellt. Eine
komprimierte Zusammenfassung der Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems
bietet am Ende des Kapitels der gebietskörperschaftsscharfe Index zu den Sozialräumen der
Gebietskörperschaften.
2.1 Demografische Entwicklung
Für die Planung der Bildungsangebote und die Steuerung des Schulsystems sind sowohl
überregionale als auch regionale demografische Entwicklungen bedeutsam, denn die in
einigen Regionen stark rückläufigen Bevölkerungszahlen stellen die Akteure des
Schulsystems vor große Herausforderungen. Angesichts disparater
Bevölkerungsentwicklungen in fallweise darüber zu entscheiden, wie Schulstandorte und
pädagogische Ressourcen zukünftig so verteilt werden, dass flächendeckend Angebote
offeriert werden können. Um eine angemessene Planungsgrundlage für den Bedarf im
Bildungsbereich bereitszustellen, werden zunächst die derzeitige demografische Situation
Thüringens sowie erwartbare Entwicklungsverläufe dargestellt.
2.1.1 Bevölkerungsentwicklung in den Jahren 2007 bis 2011
Knapp 2,3 Mio. Einwohner leben im Jahr 2011 in den 23 Kreisen und kreisfreien Städten
Thüringens. Die Thüringer Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahre entspricht der
Tendenz nach dem deutschlandweit beobachtbaren Trend: Von 2007 bis Ende 2011 sank die
Bevölkerungszahl Deutschlands um 0,5%-Punkte bzw. um 374.094 Personen auf 81.843.743
Mio. Einwohner. Für Thüringen lässt sich ein vergleichsweise höherer Bevölkerungsrückgang
von 3%-Punkten feststellen, was einem absoluten Verlust von 67.997 Einwohnern in den
Jahren 2007 bis 2011 bedeutet (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang). Im Jahr 2011 lebten insgesamt
2.221.222 Personen in Thüringen.
Innerhalb Thüringens ergaben sich unterschiedliche Veränderungen. Während sich Ende
2011 gegenüber 2007 in den Kreisen ein Bevölkerungsrückgang von insgesamt 4%-Punkten
5
zeigte, waren die sechs kreisfreien Städte in demselben Betrachtungszeitraum aufgrund
eines Zuwachses von insgesamt 0,1% weitestgehend von der rückläufigen Entwicklung
entkoppelt (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang). Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften
waren mit Ausnahme der drei kreisfreien Städte Erfurt (+1,7%), Jena (+2,6%) und Weimar
(+1,3%) alle übrigen Kreise und kreisfreien Städte von einer rückläufigen Zahl der
Wohnbevölkerung betroffen - wenn auch in einem unterschiedlich hohen Ausmaß. Für die
Stadt Suhl lässt sich dabei der vergleichsweise höchste Verlust der Wohnbevölkerung
beobachten (-6,8%). Im Gegensatz hierzu fiel der Bevölkerungsrückgang von 2011 gegenüber
2007 in der Stadt Eisenach mit -1,5% vergleichsweise gering aus (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang).
Abbildung 2.1.1: Bevölkerung 2007 und 2011 nach Alter und Geschlecht in Thüringen
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 und 2011, Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren sowie Geschlecht nach Kreisen; eigene Darstellung.
Der aktuelle demografische Wandel zeitigt Folgen für die Altersstruktur der Bevölkerung
Thüringens: Dem in Abbildung 2.1.1 sichtbaren Überhang älterer Bevölkerungsgruppen steht
ein geringerer Anteil junger Jahrgänge gegenüber. Kontrastiert man im Jahr 2011 die
zahlenmäßig kleinste (17-Jährige) mit der größten Altersgruppe (50-Jährige) Thüringens, so
kommen auf ca. 13.000 17-Jährige rund 40.000 50-Jährige Thüringer Bürger, was einer etwa
dreimal größeren Jahrgangsstärke entspricht. Zudem befinden sich im gleichen Jahr die
einzelnen Jahrgangsstärken in der Altersgruppe der 0- bis 14-Jährigen auf einem konstant
niedrigen Niveau zwischen 16.000 und 18.000 Personen je Jahrgang. Dies weist auf nur
geringfügig veränderte Geburtenraten innerhalb der jüngeren Jahrgänge hin.
6
Die Geburtenrate für Thüringen verringerte sich von 2007 bis Ende des Jahres 2011 um
0,6%-Punkte (vgl. Tabelle 2.1.2-Anhang). Dies entspricht dem allgemeinen Trend auf
Bundesebene, welcher aber für Thüringen geringer ausfällt. So ist deutschlandweit seit 2007
bis zum Ende des Jahres 2011 die Zahl der Lebendgeborenen von 684.862 auf 662.685 (-
3,2%-Punkte) gesunken.1
Mit Blick auf die Kreise und kreisfreien Städte Thüringens zeigen sich von 2007 bis 2011
größere Disparitäten in der Entwicklung der Geburtenzahlen, was wiederum einer der
Erklärungsfaktoren für die bereits beschriebenen sinkenden Einwohnerzahlen in vielen
Landesteilen ist. Auch hier verzeichnen insbesondere die Kreise sinkende Geburtenzahlen (-
1,0%), wohingegen die kreisfreien Städte für den gleichen Zeitraum ein Plus von
durchschnittlich 0,5% aufweisen (vgl. Tabelle 2.1.2-Anhang).
Abbildung 2.1.2: Veränderung der Geburtenzahlen in den Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens, zwischen 2007 und 2011,( in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 - 2011, Geborene und Gestorbene nach Kreisen in Thüringen; Lebendgeborene insgesamt; eigene Berechnungen.
In 8 der 23 Kreise und kreisfreien Städte sind im Jahr 2011 gestiegene Geburtenzahlen
gegenüber 2007 festzustellen, wobei sich die Zuwachswerte zwischen 0,6% (Stadt Gera) und
15,4% (Stadt Jena) bewegen (vgl. Abbildung 2.1.2). Sowohl in Jena als auch in Weimar sind
die oben dargestellten generellen Bevölkerungszugewinne auch auf das Anwachsen der
Geburtenraten zurückzuführen. Der nachzuvollziehende Bevölkerungszuwachs in der Stadt 1 Statistisches Bundesamt 2013, Statistik der Geburten, Titel: Lebendgeborene: Deutschland, Jahre, Geschlecht;
Eigene Berechnung
-4,7
0,6
15,4
-5,0
3,5
-12,5
5,6
-6,3
10,6
-3,4
-5,4-4,8
3,6
-5,8
-4,2 -4,2 -4,3 -4,0
8,9
2,2
-1,9
-8,8
-5,6
-0,6
-15,0
-10,0
-5,0
0,0
5,0
10,0
15,0
20,0
Ver
änd
eru
ng
in %
7
Erfurt zwischen 2007 und 2011 kann hingegen nicht auf eine gestiegene Geburtenrate
zurückgeführt werden, vielmehr ist von sogenannten Bildungswanderern, sprich jungen
Menschen, die beispielsweise aufgrund der Aufnahme eines Studiums ihren Herkunftsort
wechseln, auszugehen.
Aufgrund der gesunkenen Geburtenrate in Thüringen macht sich der Bevölkerungsrückgang
in Thüringen vor allem in den jüngeren Altersjahrgängen bemerkbar. Für die Steuerung des
Schulsystems haben Informationen über die Veränderung der Anzahl junger Menschen
insbesondere im Alter von 6 bis unter 18 Jahren einen hohen Stellwert, da Menschen diesen
Alters zuvorderst formale Bildungsangebote wahrnehmen. Diese schulrelevante
Altersgruppe hat sich zwischen 2007 und 2011 thüringenweit von 196.730 Personen auf
189.897 Personen - also um 3,5%-Punkte - reduziert (vgl. Tabelle 2.1.3-Anhang).
Abbildung 2.1.3: Veränderung der Bevölkerungszahl der 6- bis unter 18-Jährigen, 2011 gegenüber 2007 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 - 2011, Bevölkerung nach Altersgruppen und Kreisen in Thüringen; eigene Berechnung
Wie der Abbildung 2.1.3 zu entnehmen ist, konzentrieren sich die Verluste in dieser
Altersgruppe vornehmlich auf den Norden und Süden Thüringens. Durchschnittlich nimmt
der Anteil der 6 bis unter 18-Jährigen in den Kreisen um 5%-Punkte im Betrachtungszeitraum
ab. Lediglich in den kreisfreien Städten sind 2011 gegenüber 2007 – mit Ausnahme der
Städte Gera und Suhl - Zuwächse zu verzeichnen. Einen überdurchschnittlich hohen
Rückgang des Bevölkerungsanteils der schulrelevanten Altersgruppe ist für die Stadt Suhl zu
konstatieren, hier zeigt sich ein Verlust von 13,6%-Punkten (vgl. Tabelle 2.1.3-Anhang).
Abb. 2.1 Veränderung der Bevölkerungszahl 6 bis unter 18-Jähriger 2011 gegenüber 2007 (in %)
ABG
HBN
SM
WE
SHL
JG
EA
WAK
KYF
GTH
SÖM
-15,0 bis unter -9,0
in Prozent
-9,0 bis unter -6,0
-6,0 bis unter -3,0
-3,0 bis unter 0,0
0,0 bis 6,0
NDH
UH
EIC
AP
SON
SLF
SHK
SOK
GRZIK
EF
8
2.1.2 Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung
Auch zukünftig hat Thüringen den Bevölkerungsvorausberechnungen des Thüringer
Landesamtes für Statistik zufolge mit einem relativ hohen Bevölkerungsrückgang zu rechnen.
Zählte Thüringen im Jahr 2009 noch 2.249.882 Einwohner, so werden für das Jahr 2030
lediglich 1.842.011 Einwohner erwartet, was einem Verlust von 18,1%-Punkten entspricht.
Der prognostizierte Rückgang wird sich in den Kreisen und in einigen kreisfreien Städten
deutlicher bemerkbar machen als in den vergangenen Jahren. Während die zurückliegende
Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten von 2007 bis 2011 im Schnitt noch
durch einen Zuwachs der Einwohnerzahlen gekennzeichnet war, wird bis zum Jahr 2030 ein
Rückgang um 4,1%-Punkte erwartet (vgl. Tabelle 2.1.4-Anhang).
Aber auch diesbezüglich zeigen sich landesintern deutliche Unterschiede: Auf der Ebene der
kreisfreien Städte sind insbesondere die Städte Suhl (-42%-Punkte), Gera (-22,8%-Punkte)
und Eisenach (-5,1%-Punkte) von hohen Bevölkerungsrückgängen betroffen. Dem gegenüber
stehen zu erwartende Zuwächse in Weimar (+9,5%-Punkte), Jena (+6,6%-Punkte) und Erfurt
(+2,8%-Punkte). Damit sind die drei letztgenannten Städte die einzigen kommunalen
Gebietskörperschaften, die sowohl in den vergangenen Jahren als auch künftig bis zum Jahr
2030 nicht von einem Bevölkerungsrückgang betroffen sind. Zukünftig wird in der Stadt Suhl,
in welcher die Bevölkerung bis 2030 von ca. 40 Tsd. Einwohnern um knapp die Hälfte auf ca.
23 Tsd. Einwohnern zurückgehen soll, das Ausmaß der negativen Bevölkerungsentwicklung
am größten sein. Mit ähnlich hohen Rückgängen sehen sich auf Ebene der Kreise auch der
Kyffhäuserkreis (-35,3%-Punkte), Greiz (-32,6%-Punkte) und Saalfeld-Rudolstadt (-30,8%-
Punkte) konfrontiert (vgl. Tabelle 2.1.4-Anhang).
Der prognostizierte Bevölkerungsrückgang im Freistaat Thüringen wird sich ferner in einer
veränderten Altersverteilung der Bevölkerung niederschlagen. Nach den
Vorausberechnungen wird die Anzahl der für die Bildungsplanung relevanten Altersgruppe
der 0 bis unter 20-Jährigen bis 2030 um 67.247 Personen bzw. 20,4%-Punkte sinken. Mit
einem Verlust von 35,7%-Punkten gegenüber dem aktuellen Bevölkerungsstand wird die
Gruppe der 20- bis unter 65-Jährigen noch einmal stärker betroffen sein. Diese gegenwärtig
anteilsmäßig größte Altersgruppe der Thüringer Bevölkerung wird in den Prognosen für das
Jahr 2030 weitestgehend in die Altersgruppe der 65-Jährigen und älter übergegangen sein,
woraufhin deren Gruppenstärke um 159.168 Personen bzw. 30,7%-Punkte ansteigen wird
(vgl. Tabelle 2.1.5-Anhang).
9
Abbildung 2.1.4: Bevölkerung ausgewählter Altersgruppen 2009, 2020 und 2030 in den Kreisen (links) und kreisfreien Städten (rechts) Thüringens (in Tausend)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2008, Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 nach Kreisen; eigene Darstellung.
In einem Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte untereinander zeigt sich, dass die Kreise
zukünftig überproportional hoch vom Rückgang der Wohnbevölkerung im Alter von 0 bis 20
Jahren betroffen sein werden: Während in den kreisfreien Städten bis zum Jahr 2030 ein
Zuwachs dieser Altersgruppe um durchschnittlich 9,8%-Punkte eintreten wird, reduziert sich
diese Bevölkerungsgruppe in den Kreisen von 249.187 Personen um knapp ein Drittel auf
174.069 Personen (vgl. Abbildung. 2.1.4). Auch in der Altersgruppe der 20 bis unter 65-
jährigen verzeichnen die Kreise in demselben Betrachtungszeitraum höhere
Bevölkerungsverluste als die kreisfreien Städte. Wie aus der Abbildung 2.1.4 hervorgeht,
wird hier die Anzahl der Bevölkerung in dieser Altersgruppe gemäß den Prognosen von ca.
1.100.000 Personen im Jahr 2009 auf ca. 623.000 Personen im Jahr 2030 zurückgehen. Das
entspricht einem Rückgang von mehr als 40%-Punkte, der im Vergleich zu den kreisfreien
Städten (-20,6%-Punkte) fast doppelt so hoch ausfallen wird (vgl. Tabelle 2.1.6-Anhang).
In entgegengesetzter Richtung verläuft der Trend für die Gruppe der Personen, die sich in
der Nacherwerbsphase (65 Jahre und älter) befinden. Hier werden die Bevölkerungszahlen in
der Zeitspanne von 2009 bis 2030 sowohl in den kreisfreien Städten (um knapp 42.000
Personen) als auch in den Kreisen (um knapp 118.000 Personen) deutlich ansteigen (vgl.
Abbildung 2.1.4). Betrachtet man die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung der drei
Altersgruppen in den einzelnen Gebietskörperschaften, wird ersichtlich, dass die kreisfreie
Stadt Suhl in den zwei jüngeren Altersgruppen jeweils mit dem höchsten
Bevölkerungsschwund konfrontiert sein wird: In Suhl wird sich gemäß den Prognosen 2030
gegenüber 2009 nicht nur die Anzahl der 0 bis unter 20-Jährigen mit einem Minus von
59,8%-Punkten am stärksten verringern, sondern auch die Anzahl der 20 bis unter 65-
Jährigen (-65,8%-Punkte; vgl. Tabelle 2.1.6-Anhang und 2.1.7-Anhang). Das Weimarer Land
wird diejenige Gebietskörperschaft sein, die die größte Bevölkerungszunahme der
10
Personengruppe, die sich in der Nacherwerbsphase (65 Jahre und älter) befindet, auzfweist
(+50,5%-Punkte). (vgl. Tabelle 2.1.8-Anhang).
2.1.3 Schülerzahlveränderung in den Schulstufen
Der Bericht „Bildung in Deutschland 2012“ (Autorengruppen Bildungsberichterstattung,
2012) ermittelt für den Zeitraum 1995/96 bis 2011/12 rückläufige Gesamtzahlen der
Bildungsteilnehmer für das gesamte Bundesgebiet, vor allem im Primar- und
Sekundarbereich I. Dieser Trend betrifft in starkem Maße auch das Land Thüringen,
wenngleich die einzelnen Schulstufen des allgemeinbildenden Schulsystems zu
unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich stark (vgl. Tabelle 2.1.9).
Tabelle 2.1.9: Schüler nach Schulstufen in den Jahren 1995, 2000, 2005 und 2010 in Thüringen (ohne Waldorfschulen und Förderschulen), absolut
Schulstufen Jahre
1995 2000 2005 2010
Primarstufe 128.764 65.475 61.812 66.477
Sekundarstufe I 193.172 176.804 99.251 81.448
Sekundarstufe II 18.924 19.597 19.007 14.574
Insgesamt 340.860 261.876 180.070 162.499 Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 1, 2011/12; eigene Darstellung.
Insgesamt ist in Thüringen die Schülerzahl zwischen 1995 und 2010 um fast 180.000 Schüler
gesunken. Besonders stark ist der Rückgang in der Primarstufe im Zeitraum 1995 bis 2000.
Mit Verzögerung wirken sich diese Verluste in den jüngeren Jahrgängen in diesem früheren
Zeitraum zwischen 2000 und 2005 in der Sekundarstufe I und zwischen 2005 und 2010 auch
in der Sekundarstufe II aus. Obwohl zwischen den Jahren 2005 und 2010 über 5000 Schüler
weniger die Sekundarstufe II besuchten, ist angesichts der größeren Verluste in der
Sekundarstufe II von einem proportional geringeren Verlust in der Bildungsbeteiligung an
der gymnasialen Oberstufe zu sprechen.
Die vertieften Analysen auf regionaler Ebene nehmen vor dem Hintergrund der aufgezeigten
Schülerzahlveränderung seit Mitte der 1990er Jahre einen besonderen Zeitraum in den Blick.
Besonders deshalb, da sich der Zeitraum, auf das gesamte Landesgebiet bezogen, zwischen
den fokussierten Schuljahren zwischen 2007/08 und 2011/12 durch ein Anwachsen der
Schülerzahlen auszeichnet. Dabei müssen die Dynamiken der einzelnen Schulstufen
differenziert betrachtet werden.
Innerhalb der Primarstufe stieg die Anzahl der Schüler zwischen 2007/08 und 2011/12 um
1,8%-Punkte (vgl. Abbildung 2.1.5, vgl. Tabelle 2.1.10-Anhang).
11
Abbildung 2.1.5: Veränderung der Schüleranzahl in der Primarstufe je Gebietskörperschaft, 2007/08 und 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Dabei nehmen die Schülerzahlen vor allem im städtischen Raum zu. Eine Ausnahme in der
Gruppe der kreisfreien Städte ist Suhl, wo die Anzahl der Schüler in der Primarstufe um
9,1%-Punkte abnimmt, wohingegen Jena eine Zunahme von 20%-Punkten verzeichnet.
Obgleich für die Gruppe der Kreise im Betrachtungszeitraum insgesamt ein leichter Rückgang
um 0,2%-Punkte festzustellen ist, unterscheiden sich die Veränderungen zwischen den
Gebietskörperschaften doch recht deutlich. Während bei den kreisfreien Städten, mit
Ausnahme von Suhl, eine eindeutige Tendenz erkennbar ist, ist für die Kreise eine stärkere
Varianz in der Schülerzahlveränderungen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zu
beobachten. Während die Anzahl in Sömmerda (+6,0%-Punkte) und dem Weimarer Land
(+5,7%-Punkte) zunehmen, sind in den Kreise Greiz (-5,4%-Punkte), Altenburger Land (-4,5%-
Punkte) und Saale-Orla-Kreis (-4,1%-Punkte) größere Verluste auszumachen. Insgesamt lässt
sich somit für die Primarstufe eine merkliche Differenz in der Schülerzahlentwicklung
zwischen den eher ländlichen Räumen und den Städten beobachten.
Die Betrachtung der Schülerzahlveränderungen innerhalb der Sekundarstufe I zeigt
differente Befunde für die einzelnen Schularten, wenngleich für die Schularten Regelschule
und Gymnasium gleichsam Zugewinne in den Schülerzahlen zu verzeichnen sind (vgl.
Abbildung 2.1.6).
12
Abbildung 2.1.6: Veränderung der Schüleranzahl in der Sekundarstufe I, Regelschule und Gymnasium, 2007/08 und 2011/12
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Zwischen 2007/08 und 2011/12 fällt der Schülerzahlanstieg an Gymnasien dabei stärker aus
als an den anderen Schularten der Sekundarstufe I (vgl. Tabelle 2.1.11-Anhang). Gab es im
Schuljahr 2007/08 noch 27.477 Gymnasiasten, sind es im Schuljahr 2011/12 34.074 Schüler,
was einem Anstieg von 24%-Punkten entspricht. Die Regelschüler stellen 2011/12 mit 45.828
Schülern zwar noch immer die anzahlmäßig stärkste Gruppe innerhalb der Sekundarstufe I.
Diese ist aber gegenüber 2007/08 lediglich um 6,9%-Punkte angewachsen. Die Zahl der
Gesamtschüler ist über die Jahre insgesamt stabil geblieben, die Sekundarstufe I der
Gemeinschaftsschule besuchten im Einführungsjahr 2011/12 insgesamt 1.618 Schüler. Dabei
steigen die Schülerzahlen in den kreisfreien Städten stärker als in den Kreisen, die ist sowohl
bei den Regelschülern als auch bei den Gymnasiasten der Fall.
In der Sekundarstufe II setzt sich der oben kurz angezeigte Trend der Abnahme der
Schülerzahl fort (vgl. Abbildung 2.1.7). Im Schuljahr 2011/12 besuchten 14.507 Schüler die
gymnasiale Oberstufe im allgemeinbildenden Schulsystem Thüringens, dies sind 7.885
Schüler weniger als noch im Schuljahr 2007/08. Die Abnahme in den kreisfreien Städten fällt
dabei ein wenig stärker aus. Dieser Trend wird sich angesichts der für die Primarstufe und
Sekundarstufe I nachzuvollziehenden Schülerzahlveränderungen in den kommenden Jahren
abschwächen, perspektivisch wird die zahlenmäßige Bildungsbeteiligung in der gymnasialen
Oberstufe wieder steigen.
13
Abbildung 2.1.7: Veränderung der Schüleranzahl in der Sekundarstufe II, 2007/08 und 2011/12
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Prognostiziert wird Berechnungen der Statistikstelle des Thüringer Ministeriums für Bildung,
Wissenschaft und Kultur zufolge für die kommenden Jahre ein Anwachsen der Schülerzahlen
bezogen auf das gesamte Landesgebiet (vgl. Tabelle 2.1.12-Anhang). Der Zeitpunkt, ab dem
die Schülerzahlen insgesamt sinken werden, wird auf das Schuljahr 2017/18 geschätzt. Im
Schuljahr 2031/32 werden ca. 30.000 Schüler weniger die Schulen des allgemeinbildenden
Schulsystems Thüringens besuchen. Dabei werden divergierende Entwicklungsverläufe in
den einzelnen Schularten vorhergesagt. Die Schülerzahlen für die Gesamt- und
Gemeinschaftsschule sollen bis ca. Mitte der 2020er Jahre noch ansteigen (vgl. Abbildung
2.1.8), für die Grundschule, die Regelschule und das Gymnasium soll die Periode der
Schülerzahlabnahmen schon zehn Jahre früher einsetzen (vgl. Abbildung 4.2.4).
Da die hier dargelegten Prognosen auf Schätzungen beruhen, die anhand der
prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und des vergangenen Schulwahlverhaltens
angestellt wurden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob sich die vorhergesagten Verteilungen
auf die Schularten der Sekundarstufe in dieser Art und Weise einstellen werden. Die
Verteilungsentwicklung wird wahrscheinlich stark mit der zukünftigen schulstrukturellen
Angebotslage zusammenlaufen. Hier spielen selbstverständlich entsprechende
reformerische Interventionen sowie das zukünftige faktische Schulwahlverhalten der Schüler
und Eltern eine entscheidende Rolle. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten bisweilen
deutlich differierenden Angebotsstrukturen zwischen den Gebietskörperschaften ist für die
kommenden Jahre eine womöglich noch unterschiedlichere Frequentierung der einzelnen
Schularten zu erwarten. Diese tatsächliche Entwicklung kann angesichts der erst jungen
14
Einführung der Gemeinschaftsschule kaum valide abgeschätzt werden. Aber die teilweise
stark zunehmende Präsenz der Gemeinschaftsschule in manchen Gebietskörperschaften
weist darauf hin, dass sich hier weitere Differenzierungen zwischen den Räumen ergeben
werden.
Abbildung 2.1.8: Schülerzahlprognose für Gemeinschaftsschule und Gesamtschule (links) sowie für Grundschule, Regelschule und Gymnasium (rechts) , 2013/14 bis 2031/32
Quelle: Statistikstelle des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur
2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Neben der demografischen Entwicklung erscheint insbesondere die wirtschaftliche Lage aus
zwei Gründen als relevante Kontextgröße: Zum einen geben Kennwerte, welche die
Wirtschaftskraft eines Landes abbilden, Hinweise darauf, wie groß die investiven
Handlungsspielräume der politischen Akteure für strukturelle Reformen oder
Innovationsmaßnahmen sind. Auf der anderen Seite ermöglichen diese Kennwerte einen
Einblick in die sozialstrukturellen Begebenheiten der Gebietskörperschaften, welche
wiederum in einem Wechselverhältnis mit dem Schulsystem stehen. Daher werden
nachfolgend Faktoren wie die Beschäftigungsstruktur und die Arbeitslosigkeit als relevante
Kontextbedingungen dargestellt. Die Beschäftigungsstruktur wird dabei über die Anteile an
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Altersgruppen betrachtet.
2.2.1 Beschäftigungsstruktur
In Thüringen befanden sich im Jahr 2011 insgesamt 826.194 Personen in einem
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Dies entspricht einem Anteil von
56,74% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre). Die
Beschäftigungsentwicklung Thüringens zeichnet sich zudem durch einen positiven Verlauf
aus, ist doch zwischen 2008 und 2011 ein Beschäftigungsanstieg von 4,1%-Punkten zu
15
verzeichnen (vgl. Tabelle 2.2.1). Dieser Trend verläuft zwar für die verschiedenen
Altersgruppen (15-25 Jahre, 25-50 Jahre, 50-65 Jahre) unterschiedlich stark, jedoch sind für
alle Gruppen Zuwächse festzustellen. Ein Vergleich zwischen den Altersgruppen zeigt, dass
die Anteile an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Altersgruppen der 25-50-
Jährigen (+4,8%-Punkte) sowie der 50-65-Jährigen (+4,4%-Punkte) deutlicher als bei der
Gruppe der 15-25-Jährigen (+1,8%-Punkte) zugenommen haben. So sind im Jahr 2011
insgesamt 65,2% der 25-50-Jährigen sowie 50,1% der 50-65-Jährigen
sozialversicherungspflichtig beschäftigt, demgegenüber sind es in der Gruppe der 15-25-
Jährigen lediglich 42,9%.
Tabelle 2.2.1: Anteile der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Bevölkerung nach Altersgruppen und Gebieten, in den Jahren 2008-2011 (in %)
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Anteilig nach Altersgruppen
15-25 Jahre 25-50 Jahre 50-65 Jahre Insgesamt
Thüringen
2008 41,1 60,4 45,7 52,6
2009 41,8 61,7 47,7 54,0
2010 42,5 55,5 48,8 51,3
2011 42,9 65,2 50,1 56,7
Kreisfreie Städte
2008 34,9 60,6 50,1 52,9
2009 31,1 56,5 48,1 49,6
2010 31,5 50,5 48,6 46,8
2011 32,3 59,4 49,5 52,0
Kreise
2008 43,3 60,3 44,4 52,4
2009 45,9 63,4 47,6 55,5
2010 46,8 57,2 48,9 52,8
2011 47,3 67,2 50,2 58,4 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2008 und 2011, Reihe: Arbeitsmarkt in Zahlen - Beschäftigungsstatistik, Titel: Sozialversicherungspflichtige nach Kreisen und kreisfreien Städten; Thüringer Landesamt für Statistik 2008 und 2011, Bevölkerung nach Altersgruppen und Kreisen in Thüringen, eigene Berechnungen.
Die vergleichsweise geringere Zunahme an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der
Altersgruppe der unter 25-Jährigen, sowie die leicht sinkenden Beschäftigungsquoten in den
kreisfreien Städten (-0,9%-Punkte), können als Hinweise auf eine anwachsende Verweildauer
in formellen Bildungszusammenhängen gedeutet werden. Auf einen solchen Tatbestand
verweisen auch die vergleichsweise geringen Beschäftigungsquoten der jüngeren
Altersgruppe in den Hochschulstädten Erfurt (51,9%-Punkte), Weimar (47,1%-Punkte) und
Jena (51,7%-Punkte) hin, welche sich zwischen 2008 und 2011, insbesondere in Erfurt und
Jena, verringert haben (-3,2%-Punkte/-3,7%-Punkte; vgl. Tabelle 2.2.2-Anhang). Ebenfalls
betroffen von einer deutlichen Beschäftigungsabnahme ist die Stadt Eisenach: In der Zeit von
2008 bis 2011 hat sich der Anteil an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt um
3,2%-Punkte reduziert. Demgegenüber erfahren Gebietskörperschaften wie Hildburghausen
16
(+7,8%-Punkte), das Weimarer Land (+7,3%-Punkte), Sömmerda (+7,1%-Punkte) und der
Kyffhäuserkreis (+7,0%-Punkte) im selben Zeitraum stärkere Beschäftigungszuwächse.
Wird die wirtschaftliche Struktur anhand der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
anteilig an den Wirtschaftsbereichen im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 betrachtet,
lassen sich lediglich marginale Veränderungen erkennen. Im Folgenden wird daher
ausschließlich das aktuelle Bezugsjahr 2011 betrachtet (vgl. Tabelle 2.2.3-Anhang).
Der Dienstleistungssektor und das produzierende Gewerbe sind die anteilsmäßig stärksten
Wirtschaftsbereiche Thüringens. Auf beide Sektoren verteilen sich insgesamt 97,8% aller
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im gesamten Bundesland, 99,7% aller
Beschäftigten der kreisfreien Städte und 96,9% aller Beschäftigten in den Kreisen.2 Auffällig
sind Unterschiede zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten hinsichtlich der Anteile an
Beschäftigten in den Sektoren. Während in den kreisfreien Städten höhere
Beschäftigungsquoten im Dienstleistungssektor festzustellen sind (79,4%), liegen die Anteile
in den Kreisen im Mittel 22,9%-Punkte darunter. In den Kreisen sind demgegenüber 40,4%
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig, in den
kreisfreien Städten hingegen nur 20,3%.
Die dezidiertere Betrachtung der einzelnen Gebietskörperschaften (vgl. Tabelle 2.2.3-
Anhang) macht wiederum größere und kleinere Differenzen zwischen den Landesteilen
Thüringens sichtbar. Wie bereits gezeigt, sind über alle Gebietskörperschaften hinweg die
meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig. Werden
zunächst die kreisfreien Städte miteinander verglichen, ist augenscheinlich, dass die Werte
zwischen den Extremfällen Eisenach (66,1%) und Weimar (85,9%) liegen. Für den
Spitzenwert der Stadt Weimar ist möglicherweise das relativ hohe Touristenaufkommen ein
Erklärungsfaktor.
Wenngleich in den Kreisen insgesamt weniger Personen im Dienstleistungssektor tätig sind,
reicht die Spanne von 47,4% bis zu 66,5%. Der Kreis Nordhausen weist mit 66,5% den
höchsten Anteil auf, wohingegen der Dienstleistungssektor in anderen Kreisen, z.B. im
Wartburgkreis (48,2%) nur sehr gering ausgeprägt ist (vgl. Tabelle 2.2.3-Anhang). Mit der
Ausnahme zweier Gebietseinheiten (Wartburgkreis und Saale-Orla-Kreis) kann jedoch
durchweg konstatiert werden, dass in den meisten Gebietskörperschaften mehr als die
Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor arbeiten.
2.2.2 Arbeitslosigkeit
Ebenfalls wichtige Informationen bezüglich der wirtschaftlichen Lage eines Landes halten die
Daten zur Arbeitslosigkeit bereit. Der Anteil an arbeitslos gemeldeten Personen zeigt in der
2 Hinsichtlich der Beschäftigung nach Wirtschaftsbereichen (WZ 2008) lassen sich im Betrachtungszeitraum
insgesamt lediglich latente Verschiebungen feststellen, sodass vorwiegend das aktuelle Bezugsjahr 2011 berichtet wird.
17
Gesamtbetrachtung mit den Beschäftigtenzahlen das vorhandene Erwerbspersonenpotenzial
einer Region an.
In Thüringen beläuft sich der Anteil der arbeitslos gemeldeten Erwerbspersonen, gemessen
an der Bevölkerung im sozialversicherungspflichtigen Alter, im Jahr 2012 auf 8,5% und liegt
damit 1,7% über der gesamtdeutschen Quote von 6,8%. Im Vergleich zu der gemittelten
Arbeitslosenquote der neuen Bundesländer (10,7% im Jahr 2012) ist der Thüringer Wert
vergleichsweise niedrig. In den alten Bundesländern hingegen fällt die Quote mit 6,6% noch
geringer aus. Die Entwicklung Thüringens, von 2008 bis 2012, verläuft konform zum
generellen Trend der neuen Bundesländer, welcher sich durch eine Abnahme der
Arbeitslosenquoten auszeichnet. Thüringen verfügt im Betrachtungszeitraum über die
geringste Arbeitslosenquote (vgl. Tabelle 2.2.4-Anhang).3
Im Zeitverlauf zeichnen sich sowohl bei der Arbeitslosenquote für die Thüringer Bevölkerung
insgesamt als auch für die Gruppe der unter 25-Jährigen positive Veränderungen ab (vgl.
Tabelle 2.2.5). Während die Arbeitslosenquote für Thüringen im Jahr 2008 noch bei 11,2%
lag, beläuft sie sich im Jahr 2012 auf 8,5%. Die Wertveränderung zwischen den Jahren für die
Personengruppe der unter 25-Jährigen entspricht dieser Tendenz, fällt aber mit einem
Rückgang um 2,6%-Punkte etwas geringer aus.
Auch auf Ebene der Gebietskörperschaften zeigen sich durchschnittlich sinkende
Arbeitslosenquoten: Während die Quote in den kreisfreien Städten im Jahr 2008 noch bei
11,1% lag, sinkt der Anteil zum Jahr 2012 um 2,8%-Punkte. Eine ähnliche Veränderung ergibt
sich auch für die Kreise, in denen der Anteil arbeitslos gemeldeter Personen mit einem
Minus von 2,5%-Punkten zum Jahr 2008 auf derzeit 9,2%-Punkte abnimmt (vgl. Tabelle
2.2.5).
Die hier dargestellten geringen Unterschiede bestätigen sich bei der differenzierteren
Betrachtung zwischen den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten nicht. Hier reicht die
Spanne der Arbeitslosenquoten im Jahr 2012 in den Kreisen von 4,5% bis 12,5% und in den
kreisfreien Städten von 6,9% bis 12,1%. Die Stadt Gera verfügt dabei sowohl im Jahr 2008 als
auch im Jahr 2012 über die höchste Arbeitslosenquote unter den kreisfreien Städten (15%
bzw. 12,1%), innerhalb der Gruppe der Kreise zeigt der Kyffhäuserkreis die höchsten
Anteilswerte (17,0% bzw. 12,5%). Auch in Sömmerda und dem Altenburger Land hat sich die
Arbeitslosenquote im Zeitverlauf stark reduziert, dennoch haben sie auch in 2012
vergleichsweise hohe Arbeitslosenquoten. Einige Fälle wie Sonneberg (4,5%) und
Hildburghausen (5,5%) verfügen hingegen über die geringsten Arbeitslosenquoten unter den
Kreisen, die Städte Jena (6,9%) und Suhl (7,8%) weisen die geringsten Quoten unter den
kreisfreien Städten auf (vgl. Tabelle 2.2.5).
3 DESTATIS. Arbeitsmarkt. Nach den Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf.
18
Tabelle 2.2.5: Entwicklung der Arbeitslosenquote nach Kreisen und kreisfreien Städten 2008-2012 (in %)
Kreis/ kreisfreie Stadt
Arbeitslosenquote insgesamt
Arbeitslosenquote der unter 25jährigen
Differenz zwischen 2008 und
2012 2008 2012 2008 2012
Stadt Erfurt 13,1 9,6 11,8 7,2 -4,6
Stadt Gera 15,0 12,1 12,2 10,4 -1,8
Stadt Jena 8,6 6,9 6,8 5,2 -1,6
Stadt Suhl 10,8 7,8 11,0 7,4 -3,6
Stadt Weimar 12,9 9,4 10,8 7,3 -3,5
Stadt Eisenach 10,6 9,1 9,7 7,9 -1,8
Eichsfeld 9,3 6,4 8,2 5,2 -3,0
Nordhausen 13,6 10,3 12,4 8,7 -3,7
Wartburgkreis 8,0 6,1 7,0 5,4 -1,6
Unstrut-Hainich-Kreis 12,8 11,1 10,4 9,8 -0,6
Kyffhäuserkreis 17,0 12,5 13,7 8,1 -5,6
Schmalkalden-Meiningen 8,8 6,9 8,0 5,8 -2,2
Gotha 9,3 8,0 8,4 7,5 -0,9
Sömmerda 14,7 9,8 12,8 8,5 -4,3
Hildburghausen 7,6 5,5 6,4 3,7 -2,7
Ilm-Kreis 11,8 8,5 9,4 6,7 -2,7
Weimarer Land 10,1 7,5 9,5 6,5 -3,0
Sonneberg 7,9 4,5 8,3 4,8 -3,5
Saalfeld-Rudolstadt 10,9 8,3 10,2 7,8 -2,4
Saale-Holzland-Kreis 9,3 7,3 9,2 6,5 -2,7
Saale-Orla-Kreis 9,5 7,4 8,0 7,1 -0,9
Greiz 11,3 9,2 9,6 6,6 -3,0
Altenburger Land 16,0 11,7 11,8 9,5 -2,3
Kreise 11,1 8,3 9,6 7,1 -2,5
Kreisfreie Städte 11,8 9,2 10,4 7,6 -2,8
Thüringen 11,2 8,5 9,6 7,0 -2,6 Anmerkungen: Die ausgewiesene Differenz bezieht sich auf die Altersgruppe der unter 25-Jährigen. Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2008 und 2012, Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt nach Kreisen ab 2007; eigene Berechnungen.
Auch bezüglich der Gruppe arbeitslos gemeldeter Personen unter 25 Jahren machen sich
positive Entwicklungen Thüringens im Sinne einer flächendeckenden Quotenabnahme im
Zeitraum von 2008 bis 2012 von insgesamt 2,6%-Punkten bzw. einer absoluten Anzahl von
6.054 Personen bemerkbar. So sind im Jahr 2012 in den kreisfreien Städten durchschnittlich
7,6% und in den Kreisen 7,1% arbeitslos. Zwar kann mit Blick auf die einzelnen
Gebietskörperschaften von durchgängigen Quotenabnahmen zwischen 2008 und 2012
gesprochen werden, jedoch reichen diese von allzu geringfügigen Wertverlusten, wie um
0,9%-Punkte im Saale-Orla-Kreis, bis hin zu stärkeren Rückgängen, zu beobachten etwa im
Kyffhäuserkreis (-5,6%-Punkte).
Auch hinsichtlich der Anteile an arbeitslos gemeldeten Personen unter 25-Jahren zeigen sich
Differenzen zwischen den Gebietskörperschaften. So reicht die Spanne im Jahr 2012 von
3,7% bis 9,8% in den Kreisen und von 5,2% bis 10,4% in den kreisfreien Städten. Kreise wie
19
Hildburghausen (3,7%), Sonneberg (4,8%), Wartburgkreis (5,4%) und Eichsfeld (5,2%) sowie
die Stadt Jena (5,2%) sind dabei aufgrund ihrer niedrigeren Werte im Jahr 2012
hervorzuheben. Die höchsten Arbeitslosenquoten liegen im Jahr 2012 in der Stadt Gera
(10,4%), dem Unstrut-Hainich-Kreis (9,8%) und dem Altenburger Land (9,5%) vor. Während
im Jahr 2008 Sömmerda (12,8%) und der Kyffhäuserkreis (12,5%) die höchsten Quoten
aufwiesen, sind deren Anteile bis 2012 deutlich gesunken (-4,3%-Punkte, -5,6%-Punkte).
Auch in der Stadt Erfurt hat der Anteil an Arbeitslosen unter 25 Jahren um 4,6%
bemerkenswert abgenommen (vgl. Tabelle 2.2.5).
Somit zeigen sich zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zwar mehr oder weniger
divergente Veränderungen, in der Gesamtbetrachtung aber begrüßenswerte Entwicklungen.
2.3 Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen
Sowohl große nationale als auch internationale Leistungsvergleichsstudien verweisen auf
einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Kompetenz-
sowie Zertifikatserwerb in Deutschland (u.a. Baumert et al. 2001). Demnach bestehen für
Schüler aus sozial benachteiligten Familien herkunftsbedingte Nachteile, welche nicht allein
durch das Bildungssystem aufgefangen werden können (vgl. Bos et al. 2007). Dieser im
internationalen Vergleich stark ausgeprägte Zusammenhang innerhalb Deutschlands ist
insbesondere vor dem Hintergrund der anzustrebenden Chancengerechtigkeit als besonders
problematisch anzusehen (vgl. ebd.; Berkemeyer et al. 2013). Die Sozialstruktur eines Landes
oder auch einer Region lässt zum einen Rückschlüsse auf die soziale Lage der Thüringer
Bevölkerung zu und zum anderen auf die hierdurch hervorgerufenen Herausforderungen für
das Schulsystem.
Nachfolgend wird die soziale Herkunft über die Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen
sowie der Verteilung der Schülerpopulation des Primar- und Sekundarbereichs nach dem
Buchbesitz im Haushalt betrachtet.
2.3.1 Hilfebedürftigkeit
Die Betrachtung der Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen ist von zentraler
Bedeutung für das Bildungssystem. Der Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen wird
dabei gemessen an der Anzahl der unter 15-Jährigen, die Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch (SGB) II erhalten, anteilig an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung.
Im aktuellen Bezugsjahr 2011 sind insgesamt 19,2% der unter 15-Jährigen in Thüringen
leistungsberechtigt nach dem SGB II. Dies entspricht einer absoluten Anzahl von 48.294
Personen (vgl. Abbildung 2.3.1, Tabelle 2.3.1, Tabelle 2.3.2-Anhang, Tabelle 2.3.3-Anhang).
Nach den Ergebnissen des Keck-Atlas‘ (Kommunale Entwicklung – Chancen für Kinder) der
Bertelsmann Stiftung erweist sich Thüringen als das Bundesland mit der niedrigsten
Armutsquote im Vergleich mit anderen neuen Bundesländern, dennoch lebt jede 5. Person
unter 15 Jahren in einer hilfebedürftigen Familie. Über den Betrachtungszeitraum von 2007
20
bis 2011 sind jedoch erfreuliche Wertabnahmen festzustellen, welche in der Abbildung 2.3.1
veranschaulicht werden.
Abbildung 2.3.1: Veränderungen des Anteils an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen, gemessen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, über die Jahre 2007 bis 2011 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Während im Jahr 2007 noch jeder 4. unter 15-Jährige (61.119 Personen) in einer Familie
aufwuchs, die auf staatliche Hilfen angewiesen war, nimmt der Anteil im Zeitverlauf
kontinuierlich ab.
Deutliche Unterschiede sind jedoch zwischen den Gebietseinheiten der Kreise und
kreisfreien Städte festzustellen. Der Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen in den
kreisfreien Städten ist über den gesamten Betrachtungszeitraum deutlich höher als in den
Kreisen. Im Bezugsjahr 2011 beträgt die Differenz bei einem Wert von 24,2% an
hilfebedürftigen in den kreisfreien Städten und 17,5% in den Kreisen folglich +6,5% (vgl.
Abbildung 2.3.1, Tabelle 2.3.1, Tabelle 2.3.3-Anhang).
Trotz der sich rückläufig entwickelnden Armutsquote, in Thüringen insgesamt sowie jener
der Gebietseinheiten Kreise und kreisfreie Städte, bestehen zwischen den einzelnen
Gebietskörperschaften erkennbare Disparitäten (vgl. Tabelle 2.3.1).
21
Tabelle 2.3.1: Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen, gemessen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, in den Jahren 2007 bis 2011 (in%)
Kreise/Kreisfreie Städte
Anteil an Hilfebedürftigen Veränderung
zwischen 2007 und
2011 2007 2008 2009 2010 2011
in % in % in % in % in % in %
Stadt Erfurt 35,9 33,9 31,0 29,3 27,4 -8,5
Stadt Gera 36,0 34,3 32,3 31,5 29,3 -6,7
Stadt Jena 23,2 21,4 14,9 17,5 15,9 -7,2
Stadt Suhl 29,0 27,7 25,6 23,0 20,6 -8,4
Stadt Weimar 29,6 27,0 24,8 23,6 22,0 -7,6
Stadt Eisenach 29,2 27,2 22,2 23,2 25,7 -3,5
Eichsfeld 14,8 14,1 11,7 11,7 10,1 -4,7
Nordhausen 31,2 29,1 27,2 25,9 24,9 -6,3
Wartburgkreis 17,5 15,3 13,8 12,8 10,8 -6,7
Unstrut-Hainich-Kreis 27,6 26,1 24,5 24,3 22,7 -5,0
Kyffhäuserkreis 32,5 30,6 29,2 28,2 26,4 -6,0
Schmalkalden-Meiningen 18,9 17,5 15,2 14,7 12,4 -6,5
Gotha 26,8 24,9 23,7 22,8 20,8 -6,0
Sömmerda 27,2 26,2 23,5 22,2 19,4 -7,8
Hildburghausen 15,5 13,8 12,5 14,0 11,8 -3,7
Ilm-Kreis 26,9 24,4 22,5 22,0 19,9 -6,9
Weimarer Land 23,8 21,4 19,2 17,9 16,9 -7,0
Sonneberg 19,8 18,1 16,4 15,6 12,9 -10,4
Saalfeld-Rudolstadt 24,3 22,2 19,9 18,5 16,2 -8,1
Saale-Holzland-Kreis 19,4 18,8 17,4 16,0 14,5 -4,9
Saale-Orla-Kreis 21,6 19,6 18,1 18,0 16,2 -5,4
Greiz 24,2 22,4 20,0 19,0 16,9 -7,3
Altenburger Land 32,7 31,7 30,2 28,7 26,4 -6,3
Kreise 23,7 22,0 20,2 19,4 17,5 -6,3
Kreisfreie Städte 31,8 29,8 26,3 25,8 24,2 -7,5
Thüringen 25,6 23,9 21,7 21,0 19,2 -6,5 Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Werden zunächst die kreisfreien Städte verglichen, ist augenscheinlich, dass in der Stadt
Jena deutlich geringere Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen leben als in den
anderen Städten. Insbesondere in der Stadt Gera (29,3%) und der Stadt Erfurt (27,4%) sind
die Anteile deutlich höher, sodass mehr als jeder vierte unter 15-Jährige in einer
hilfebedürftigen Familie lebt. Auch in den Kreisen lassen sich vereinzelt Regionen ausfindig
machen, in welchen ca. jeder vierte unter 15-Jährige hilfebedürftig ist. Dies betrifft
insbesondere die Kreise: Nordhausen (24,5%), Kyffhäuserkreis (26,4%) und das Altenburger
Land (26,4%). In eben genannten Kreisen sind die Anteile mehr als doppelt so hoch wie im
Eichsfeld (10,1%), im Wartburgkreis (10,8%), in Hildburghausen (11,8) und in den Kreisen
Schmalkalden-Meiningen (12,4%) und Sonneberg (12,9%). Hier lebt etwa jeder 10. unter 15-
Jährige in einer sozialhilfebedürftigen Familie (vgl. Tabelle 2.3.1). Über den Zeitverlauf sind
22
insbesondere die deutlichen Wertabnahmen des Kreises Sonneberg hervorzuheben:
Während im Jahr 2007 noch 19,8% der unter 15-Jährigen in einer hilfebedürftigen Familie
lebten, sinkt dieser Anteil bis zum Jahr 2011 um insgesamt -10,4%-Punkte.
2.3.2 Der Buchbesitz nach Haushalt
Die soziale Herkunft der Schüler wird in nationalen und internationalen Studien sowohl über
das soziale Kapital als auch über das ökonomische oder kulturelle Kapital erfasst. Die Anzahl
der Bücher im Haushalt hat sich im Sinne des kulturellen Kapitals, welches implizit sowohl
auf das Bildungsniveau der Eltern als auch das ökonomische Kapital der Familien verweist,
als zuverlässiger Indikator zur Beschreibung der sozialen Herkunft erwiesen und wird auch
im Rahmen dieser Expertise herangezogen (vgl. Bos et al. 2008, Bos et al. 2010). Dabei wird
unterschieden zwischen Haushalten mit 1) weniger als 25 Büchern, 2) 26-100 Büchern und 3)
mehr als 100 Büchern. Als Datengrundlage können die Schülerangaben der landesweiten
Kompetenztests (kompetenztest.de) herangezogen werden. Die hier betrachtete Stichprobe
bezieht sich daher auf die Testpopulation des Schuljahres 2011/12 und die Klasse 3 der
Primarstufe sowie die Klasse 8 der Regelschulen und Gymnasien.
Die Schülerschaft in der Primarstufe zeichnet sich hinsichtlich der eingangs genannten
Bücherkategorien durch große Heterogenität aus. Während 22,5% aller getesteten
Grundschüler angeben, in einem Haushalt zu leben, in dem weniger als 25 Bücher zur
Verfügung stehen, verteilen sich fast gleich große Anteile auf die Kategorien 26-100 Bücher
(39,9%) bzw. mehr als 100 Bücher (37,6%) (vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang).
Zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten lassen sich bezüglich der Schülerschaft mit
weniger als 25 Büchern zwar keine Differenzen feststellen, dennoch leben in den kreisfreien
Städten mehr Schüler in Haushalten mit über 100 Büchern (41,9%) als in den Kreisen
(36,1%), was auf die soziostrukturellen Gegebenheiten und Akademikerdichte
zurückzuführen ist (vgl. Abbildung 2.3.2). Hinsichtlich des Anteils an Schülern mit mehr als
25, aber weniger als 100 Büchern kehrt sich dieses Verhältnis zwischen den Kreisen (36,1%)
und kreisfreien Städten um (41,1%).
Zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften sind ebenfalls Unterschiede festzustellen,
welche in der Abbildung 2.8 dargestellt werden. In kreisfreien Städten wie Jena und Weimar
leben im Vergleich zu den anderen Städten weniger Schüler in Haushalten mit weniger als 25
Büchern (18,0%, 16,6%, vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang). Gleichzeitig verfügen in diesen Städten
deutlich mehr Haushalte über mehr als 100 Bücher (Jena=48,1%, Weimar=53,3%). Diese
Anteile können als Hinweise auf die vorherrschende Sozialstruktur innerhalb dieser Städte
gedeutet werden. Doch auch in Kreisen wie Saalfeld-Rudolstadt (16,8%), dem Saale-Orla-
Kreis (18,5%) sowie dem Weimarer Land (18,6%) und dem Saale-Holzland-Kreis (18,7%)
geben vergleichsweise geringe Schüleranteile an, in einem Haushalt zu leben, in dem
weniger als 25 Bücher zur Verfügung stehen.
23
Abbildung 2.3.2: Anteil der Schüler in der Primarstufe nach Buchbesitz im Haushalt, im Jahr 2012 (in%)
Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Einzig im Kreis Sonneberg zeigen sich nur geringe Unterschiede bezüglich des Anteils an
Schülern nach Bücherkategorien (30,6%, 39,1%, 30,1%, vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang).
In der Sekundarstufe I zeichnet sich bezüglich der Schülerzusammensetzung ein ähnliches
Bild ab wie in der Primarstufe (vgl. Abbildung 2.3.3 sowie Tabelle 2.3.5-Anhang). Während
auf Landesebene 41,3% der Schüler der Sekundarstufe I aus Haushalten mit mehr als 100
Büchern stammen, ist der Anteil in den Kreisen geringer (38,8%) und in den kreisfreien
Städten höher (48,4%). In den Kreisen leben vielmehr fast genauso viele Schüler in
Haushalten mit mehr als 26, aber weniger als 100 Büchern (39%) wie in Haushalten mit über
100 Büchern (38,8%; Tabelle 2.3.5-Anhang).
24
Abbildung 2.3.3: Anteil der Schüler in der Sekundarstufe I nach Buchbesitz, im Jahr 2012 (in%)
Quelle: Kompetenztest.de, eigene Berechnungen
Divergierende Anteile zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften verweisen zudem auf
ein heterogenes Bild. Während in den Städten Jena (66,7%) und Weimar (57,2%)
bedeutende Schüleranteile aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern stammen, leben in der
Stadt Gera höhere Anteile in Haushalten mit weniger als 100 Büchern (40,5%). Die
Schülerschaft der Stadt Jena zeichnet sich zudem durch einen vergleichsweise deutlich
geringeren Anteil an Schülern mit weniger als 25 Büchern im Haushalt aus (11,4%).
In den einzelnen Kreisen leben hingegen mehr Schüler in Haushalten mit weniger als 100
Büchern, wenngleich für Kreise wie Gotha (42,7%), den Ilm-Kreis (43,7%) sowie den Saale-
Holzland-Kreis (46,4) vergleichsweise höhere Schüleranteile der Bücherkategorie „mehr als
100 Bücher“ festgestellt werden können.
2.4 Index zum sozialräumlichen Kontext des Schulsystems
Die im Verlauf dieses Kapitels zur Beschreibung der demografischen, wirtschaftlichen sowie
sozialstrukturellen Rahmenbedingungen herangezogenen Merkmale sind als relevante
25
Kontextfaktoren für die handelnden Schulsystemakteure anzusehen. Manche der
aufgeworfenen Umweltcharakteristika wirken zwar vermittelt, aber dennoch direkt auf das
Handeln der schulischen Akteure. Hierzu sind insbesondere die sozialstrukturellen Faktoren
und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines bestimmten Sozialraums zu zählen. Die
sozialen Gegebenheiten eines Gebietes werden beispielsweise den Lehrkräften in Form der
soziostrukturellen Hintergründe ihrer Schülerschaftvor Augen geführt. Diese Merkmale sind
durch Schule zwar nicht direkt veränderbar, wohl aber können Schulsystemakteure sich auf
die spezifischen Bedingungen einstellen und den Schülern ihren jeweiligen Voraussetzungen
entsprechend ein adäquates Lern- und Entwicklungsumfeld bereitstellen.
Die Kennwerte, mithilfe derer die Demografie eines Raums zu erfassen ist, wie etwa die
Geburtenentwicklung oder die prognostizierte Schülerzahlentwicklung, sind dagegen
vielmehr für die politisch-administrativen Steuerungsakteure von Relevanz. Auf der
Grundlage aktueller Entwicklungen sowie der angestellten Prognosen sind sie damit
beauftragt, Entscheidungen über Ressourcenverteilungen, Ausbildungsinhalte oder mögliche
schulstrukturelle Anpassungen zu treffen. Hier wird die Notwendigkeit einer adäquaten, das
heißt vor allem prospektiven und antizipierenden Governance des Schulsystems
angesprochen.
Mit diesen skizzenhaften Ausführungen werden zwei bedeutende, analytisch zu
unterscheidende Handlungsfelder der systematischen Schulentwicklung, nämlich der
Umgang mit bestimmten soziostrukturellen Voraussetzungen und die ressourcielle und
strukturelle Governance von schulischen Bildungsräumen, näherungsweise markiert. Wie
aber die Ergebnisse zu den einzelnen Rahmendaten zeigen konnten, ist zwischen den
Gebietskörperschaften von teilweise beträchtlich divergierenden Umweltbedingungen
auszugehen. Die Schulen, Lehrkärfte und schulpolitischen Entscheidungsträger müssen vor
dem Hintergrund verschiedenartiger sozialer Situationen agieren.
Zur indikatorenbasierten Beobachtung und Beschreibung von Sozialräumen gilt aus
statistischer Sicht die Methode der Indizierung als ein probates Mittel. Dahinter stehen aus
Steuerungssicht mehrere Intentionen: Zum Beispiel sollen Sozialräume kategorial
unterschieden werden können, sollen Problembezirke identifizierbar gemacht werden oder
„Stellschrauben“ gefunden werden, anhand derer die Bedingungen erfolgsversprechend
verändert werden können. Anspruchsäußerungen dieser Art waren in der Vergangenheit
bereits zu vernehmen (vgl. Frein et al., 2006). Ob die Konstruktion von Sozialindizes wirklich
die Governance unterstützen kann ist bislang nicht abschließend empirisch bestätigt
worden. Vielmehr sind nach wie vor wissenschaftliche Suchbewegungen nach theoretisch-
konzeptionellen Begründungen der Verbindung von Sozialraum und Aktivitäten des
Schulsystems zu beobachten (Bonsen et al., 2010). In einigen Untersuchungen konnten aber
bereits Zusammenhänge zwischen einzelnen sozialstatistischen Merkmalen und
schulsystemischen Variablen nachgewiesen werden (z.B. Weishaupt und Schulzeck, 2005). In
26
welchen Verhältnissen diese aber zueinander stehen und ob sie womöglich kumulativ
zusammenwirken, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden.
Obgleich auch im Rahmen dieser Expertise keine empirisch abgesicherte Wirkungsanalyse
von sozialräumlichen Merkmalen auf Schulstruktur- und Schulqualitätsmerkmale vollzogen
werden kann, soll aber ein erster Schritt zur statistischen Beschreibung der Sozialräume
Thüringens auf der Ebene der 23 Gebietskörperschaften getan werden. Diese Indizierung der
Sozialräume kann dann im weiteren Verlauf als Hintergrundfolie zur Deutung bestimmter
schulsystemischer Ausprägungen verwendet werden.
Die Beschreibung der Sozialräume wird anhand eines summativen Index vorgenommen.
Dieser wurde aus einer Auswahl von als bedeutsam erachteten Kontextindikatoren
errechnet. Entscheidungsleitende Kriterien bei der Auswahl der Indikatoren waren sowohl
eine möglichst ausgewogene Berücksichtigung demografischer, wirtschaftlicher und
sozialstruktureller Rahmendaten sowie der Anspruch, die Schulsystemumwelt möglichst
umfassend und differenziert zu beschreiben. Zudem wurde darauf geachtet, je für sich
effektversprechende Indikatoren auszuwählen, damit der Index einen ersten Eindruck über
spezifische schulsystemrelevante Problemlagen vermittelt. Der Index setzt sich aus ingesamt
sieben Einzelindikatoren zusammen:
Indikator 1: Geburtenentwicklung nach Anzahl Lebendgeburten zwischen 2007 und 2011
Indikator 2: Anteile der Bevölkerungsgruppe der unter 18-Jährigen an der Wohnbevölkerung 2011
Indikator 3: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung, Veränderung zwischen 2009 und 2030
Indikator 4: Arbeitslosenquoten im Jahr 2012
Indikator 5: Anteile sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter im Jahr 2011
Indikator 6: Anteile der Schüler mit mehr als 100 Büchern im Haushalt, 2012
Indikator 7: Anteile Hilfebedürftiger unter 15-Jahren
Die Indikatoren eins bis drei beschreiben die demografische Situation, die Indikatoren vier
und fünf geben Hinweise auf die wirtschaftliche Lage des jeweiligen Gebietes, die
Indikatoren sechs und sieben erfassen die sozialen Lagen der Schülerschaft.
Der Index wurde methodisch wie folgt berechnet:
Je Indikator wurden die Werte der einzelnen Gebietskörperschaften errechnet und in eine
Rangreihe gebracht. Dabei gilt: Je schlechter ein Kreis oder eine Kreisfreie Stadt abschneidet,
in einem Indikator, desto schlechter der Rangplatz. Da aber die Unterschiede in den Werten
zwischen den Gebietskörperschaften zum Teil sehr gering sind, wurde nicht, wie ansonsten
bei summativen Indizierungen üblich, für jeden einzelnen Rangplatz ein Punktwert vergeben,
sondern es wurden Gruppen gebildet, die nach der Logik „obere 25%“ (sechs
27
Gebietskörperschaften), „mittlere 50%“ (11 Gebietskörperschaften) und „untere 25%“
(sechs Gebietskörperschaften) der Verteilung extrahiert wurden. Bei gleichen Werten an den
Schnittstellen zwischen zwei Gruppen wurden die betreffenden Gebietskörperschaften der
oberen bzw. der unteren Gruppe zugeordnet, sodass die beiden äußeren Gruppen auch
mehr als sechs Gebietskörperschaften beinhalten können. Die einzelnen Gruppen wurden
dann derart mit Punktwerten versehen, dass an jede Gebietskörperschaft der oberen
Gruppe der Wert eins, an jede Gebietskörperschaft der mittleren Gruppe der Wert zwei und
an jede Gebietskörperschaft der unteren Gruppe der Wert drei vergeben wurde. Dieses
Verfahren wurde für jeden in den Index einbezogenen Indikator vorgenommen. Infolge der
anschließenden Aufsummierung der Punktwerte ergab sich für jede Gebietskörperschaften
ein Gesamtscore, anhand dessen wiederum ein Rangreihe gebildet und Gruppen
herausgearbeitet werden konnten. Das Ergebnis zeigt Tabelle 2.4.1 auf der nachfolgenden
Seite. Die Tabelle ist so zu lesen, dass hohe Gesamtscores eher ungünstige sozialräumliche
Bedingungen anzeigen, während niedrigere Werte für verhältnismäßig günstige
Ausgangsvoraussetzungen stehen.
Mit der farblichen Unterlegung werden die nach dem dem dargelegten Vorgehen gebildeten
Gruppen markiert. Die Scores der Gebietskörperschaften liegen bisweilen nah beieinander
und können nicht trennscharf differenziert werden, sodass eine bloße Rangreihung hier aus
unserer Sicht nicht plausibel ist, zumal die Indikatoren auch ungewichtet in den Index
eingegangen sind. Wohl aber kann unterstellt werden, dass der Abstand zwischen den
Gebietskörperschaften der oberen Gruppe und denjenigen der unteren Gruppe hinreichend
groß ist, dass hier Unterscheidungen hinsichtlich der Charakterisierung des Sozialraums
vorgenommen werden können. Im Fall der Gebietskörperschaften der oberen Gruppe,
hierzu gehören beispielsweise die Städte Jena, Weimar und Erfurt, kann von relativ
günstigen sozialräumlichen Bedingungen ausgegangen werden, die Schulsysteme der
Gebietskörperschaften der unteren Gruppen, hierzu gehören neben den Städten Suhl und
Gera die im nördlichen Bereich Thüringens liegenden Kreise Sömmerda, Kyffhäuserkreis und
Nordhausen, arbeiten unter eher belasteten Kontextbedingungen. Gleichwohl gilt es aber zu
bedenken, dass nicht unbedingt alle Ergebnisse in den jeweiligen Indikatoren im Fall der
Gebietskörperschaften der unteren Gruppe dafür sprechen müssen, dass
Belastungsverhältnisse bestehen. Dennoch vermitteln sie in der Zusammenschau einen
Eindruck über die sozialräumliche Beschaffenheit jeder Gebietskörperschaft und können für
etwaige Benachteiligungen, die womöglich auf das Schulsystem wirken, sensibilisieren.
28
Tabelle 2.4.1: Gruppierter Index zum Sozialraum der einzelnen Gebietskörperschaften
Gebietskörperschaft Gesamtscore
Stadt Jena 9
Stadt Weimar 9
Eichsfeld 11
Saale-Holzland-Kreis 11
Stadt Erfurt 12
Wartburgkreis 12
Schmalkalden-Meiningen 12
Ilm-Kreis 12
Gotha 13
Hildburghausen 13
Weimarer Land 13
Stadt Eisenach 14
Unstrut-Hainich-Kreis 14
Sonneberg 15
Saale-Orla-Kreis 15
Stadt Suhl 16
Sömmerda 16
Saalfeld-Rudolstadt 16
Stadt Gera 17
Nordhausen 17
Kyffhäuserkreis 18
Greiz 18
Altenburger Land 19
Zusammenfassung
Die Wohnbevölkerungszahl Thüringens ist im betrachteten Zeitraum von 2007 bis 2011
insgesamt durch einen Rückgang gekennzeichnet. Bevölkerungsprognosen verweisen zudem
darauf, dass sich die Verringerung der Einwohnerzahl Thüringens weiter verschärfen wird.
Während bezogen auf die bisherige Bevölkerungsentwicklung die kreisfreien Städte
gegenüber den Kreisen im Schnitt noch geringfügige Wohnbevölkerungszuwächse
verzeichnen können, wird der prognostizierte Bevölkerungsrückgang nicht nur in den
ländlichen Regionen, sondern auch in den kreisfreien Städten deutlicher spürbar sein. Von
dem zukünftigen Bevölkerungsschwund sind die kommunalen Gebietskörperschaften
dennoch unterschiedlich stark betroffen. Gründe hierfür können neben möglichen
Unterschieden im Wanderungssaldo in der aufgezeigten regional differenten
Geburtenentwicklung liegen.
Im Gegensatz zur gegenwärtigen und zukünftigen Bevölkerungsentwicklung zeichnen sich
die wirtschaftlichen Kontextbedingungen Thüringens durch steigende Anteile an
29
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und verringerten Arbeitslosenquoten aus. Zugleich
lassen sich regionale Disparitäten feststellen, welche im Kontext lokaler bildungspolitischer
Handlungsstrategien Berücksichtigung erfahren sollten. Während hinsichtlich der Anteile an
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Zunahmen in den Kreisen feststellbar sind, sinken
die Anteile in den kreisfreien Städten leicht ab, wobei hier insbesondere die Gruppe der
unter 25-jährigen zu erwähnen ist. Aufgrund der möglichen Zuordnung zu den drei
Hochschulstädten Erfurt, Weimar und Jena kann darin ein Hinweis auf verlängerte
Ausbildungszeiten, beispielsweise in Form eines Hochschulstudiums, gesehen werden. Die
vergleichsweise geringeren Beschäftigungsquoten äußern sich zudem nicht in erhöhten
Arbeitslosenquoten, es lassen sich vielmehr flächendeckend fortlaufende Quotenabnahmen
feststellen. Die für das Schulsystem potenziell relevante Altersgruppe der unter 15-Jährigen4
ist jedoch von einer hohen Armutsquote, gemessen am SGB II-Bezug, gekennzeichnet.
Wenngleich flächendeckende Quotenabnahmen festzustellen sind, lebt in Thüringen im
aktuellen Bezugsjahr 2011 jede fünfte Person unter 15 Jahren in sozialhilfebedürftigen
Familien. Das Schulsystem kann herkunftsbedingte Ungleichheiten jedoch nicht vollends
auffangen und ausgleichen, diesbezüglich sei auf die Erfordernis flächendeckender und über
das Schulsystem hinausreichender Interventionen verwiesen.
Die Indizierung der sozialräumlichen Bedingungen, unter denen Schulsysteme bzw. die
betreffenden pädagogischen und steuernden Akteure agieren, wurde anhand einer Auswahl
aus Indikatoren zur Demografie, Wirtschaft und Sozialstruktur vorgenommen. Hiermit soll
ein konzentriertes Beschreibungsschema der divergierenden Kontextfaktoren zwischen den
Gebietskörperschaften Thüringens angeboten werden. Die Indizierung des Sozialraums dient
in der Zusammenführung (Kapitel 6) als Hintergrundfolie zur Deutung der gefundenen
Ergebnisse hinsichtlich der Chancengerechtigkeit der Schulsysteme Thüringens.
4 Hiermit sind alle Kinder und Jugendlichen gemeint, die das 15. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen haben.
30
3 Eckdaten zum Thüringer Schulwesen
Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die quantitative wie qualitative Betrachtung der
Entwicklung und des Bestandes der Bildungsinfrastruktur im schulischen Kontext. Konkret
wird aufgezeigt, welche Arten von Bildungsangeboten existieren und in welcher Häufigkeit
diese in den einzelnen Gebietskörperschaften vorkommen. Der weiterführende Zweck liegt
darin, dass Anhaltspunkte für Formen und Unterschiede in der Bildungsbeteiligung und im
jeweiligen Bildungserfolg gewonnen werden können. Institutionelle Strukturen sind generell
und in vielfältiger Weise als Erfahrungskontexte zu begreifen (Fend, 2008). Gerade die
schulstrukturellen Gegebenheiten vermitteln Eindrücke darüber, wie die Schülerschaft
sozialstrukturell und leistungsmäßig zusammengesetzt ist, wenngleich sehr wohl empirisch
nachgewiesen wurde, dass sich die Leistungsverteilungen von Schülern unterschiedlicher
Schularten im Sekundarbereich auf individueller Ebene verhältnismäßig weit überlappen
können (vgl. z.B. Helmke & Jäger, 2002; Baumert, Trautwein & Artelt, 2003). Dennoch ist zu
konstatieren, dass es doch einen Unterschied ausmacht, welche Schulart besucht wird. Dies
ist einerseits der Fall, da sich die Klientel der Schularten traditionell aus unterschiedlichen
sozialen Milieus rekrutieren. Daneben übt aber die Schulart selbst, konzipiert als
differenzielles Lern- und Entwicklungsmilieu, infolge ihrer besonderen kulturellen und
institutionellen Prägung einen nachweisbaren Einfluss auf die Leistungsentwicklung der
Schülerschaft aus (Baumert, Stanat und Watermann, 2006). Sprich: Unabhängig von der
sozialen Komposition ist die Schulart leistungsrelevant für die Schüler. Hinzu kommt
weiterhin, dass die Schularten unterschiedliche Abschlussmöglichkeiten bereithalten und
somit zu einem früheren biographischen Zeitpunkt die anschließenden bildungs- und
arbeitsmarktbezogenen Teilhabemöglichkeiten tangieren können.
Diese wenigen Einsichten aus der Forschung erläutern bereits die Notwendigkeit einer
Analyse der Struktur von schulischen Bildungsangeboten. Diese geben Hinweise auf
unterschiedliche Bildungschancen zwischen einzelnen Regionen. Zudem sind die Kapazitäten
von Bildungsangeboten, immer vor dem Hintergrund aktueller und zukünftiger
Schülerzahlentwicklungen, von Interesse, da hierin eins der hauptsächlichen
Betätigungsfelder für Steuerungsakteure zu sehen ist und angesichts des prognostizierten
demografischen Wandels eine quantitativ wie qualitativ adäquate schulische Infrastruktur
sicherzustellen ist.
Ein weiterer relevanter Bereich der Angebotssteuerung ist die Ausbildung, Verteilung und
Entwicklung von Lehrpersonal. Da für dieses wichtige Thema der Schulentwicklung bereits
ein eigenes Personalentwicklungskonzept für das Land Thüringen existiert und somit
Planungswissen verfügbar ist, konzentriert sich die Expertise bezüglich des lehrenden
Personals auf Analysen zu Altersstrukturen und Geschlechterverteilungen und kann
dahingehend auf mögliche Disparitäten zwischen den Gebietskörperschaften aufmerksam
31
machen (Kapitel 3.2). Dies ist wichtig, da sich der gesamtgesellschaftliche demografische
Wandel zwangsläufig auch auf die Frage der Personalplanung auswirkt.
Zunächst werden die regionalen Angebotsstrukturen des Thüringer Schulsystems näher
beleuchtet.
3.1. Struktur der schulischen Bildungsangebote
Die Gliederung des Schulwesens im allgemeinbildenden Systems ist traditionell eines der
vorrangingen strategischen Projekte der Bildungspolitik und hat in Deutschland seit Beginn
der Diskussion um die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsuntersuchungen an
Dynamik gewonnen. Vor allem der Strukturwandel im Sekundarbereich ist ein bevorzugtes
Thema, welches auch in der Wissenschaft Aufmerksamkeit erfährt (Edelstein und Nikolai,
2013). Manche Experten (z.B. Hurrelmann, 2013) sehen die Zukunft des deutschen
Schulsystems in einem Zwei-Wege-Modell, in welchem neben dem Gymnasium eine weitere
Schulart geführt wird. Dieser Vorhersage stellt Zymek (2013) eine differenziertere Prognose
gegenüber: Ihm zufolge wird die Schulsystementwicklung in Abhängigkeit vom
sozialräumlichen Kontext spezifisch konturiert sein. Ein wichtiger Faktor für die Existenz
eines bestimmten Strukturschemas sind die jeweiligen Gemeindegrößen, wonach sich
urbane Räume durch mehrgliedrige Systeme, ländliche Gegenden eher durch integrierte
sowie teilintegrierte Schulangebote auszeichnen werden. In Anschluss an die nachfolgenden
Ergebnisbeschreibungen dienen diese Überlegungen als Reflexionsfolien für derzeitige und
zukünftige Konstitution des Thüringer Schulsystems in regionaler Perspektive.
In diesem Zusammenhang lassen sich Bellenberg (2012) zufolge bundesweit drei
Ländergruppen nach Art ihrer Schulstruktur unterscheiden: Demnach gibt es Länder mit
mehrgliedrigen Schulsystemen, Länder mit etablierten zweigliedrigen Schulsystemen sowie
Länder, deren Schulsysteme im Umbau zur Zweigliedrigkeit begriffen sind. Thüringen gehört
nach dieser Gruppierung, wie auch die übrigen neuen Bundesländer, zu derjenigen Gruppe
mit einem zweigliedrigen Schulsystem, welches schon seit einigen Jahren institutionell
etabliert ist. Genau genommen werden in Thüringen aber innerhalb der Sekundarstufe
neben den klassischen Schularten Regelschule und Gymnasium weitere Schularten, als
schulstrukturelle Ergänzung etwa die Gesamtschule, vorgehalten. Neben dem Gymnasium
und der Gesamtschule gibt es seit dem Schuljahr 2011/12 eine weitere Schulart, die einen
zum Abitur führenden Bildungsgang anbietet: die Gemeinschaftsschule. Da diese Schulart
grundsätzlich die Klassenstufen 1 bis 12 umfasst, wird hiermit potentiell ermöglicht, dass die
Schüler über ihre gesamte Schullaufbahn im allgemeinbildenden System im gemeinsamen
Klassenverbund lernen. Zudem kann sie als „inklusive Schulart“ bezeichnet werden.
Tatsächlich kann daher inzwischen nicht mehr von der ursprünglich etablierten
zweigliedrigen Schulstruktur in Thüringen ausgegangen werden. Bezogen auf die 23
Gebietskörperschaften Thüringens lassen sich im Schuljahr 2011/12 vielmehr vier Gruppen
von Schulsystemen ausmachen, die sich hinsichtlich der Anzahl der Schulartangebote
32
unterscheiden (vgl. Tabelle 3.1.1): Demnach weist eine Gruppe von insgesamt 10 Kreisen das
traditionelle zweigliedrige System mit Regelschule und Gymnasium auf. Das Schulsystem
einer weiteren Gruppe mit ebenfalls 10 Gebietskörperschaften ist dreigliedrig ausgerichtet,
hier kann aber noch unterschieden werden in Systeme, die neben Regelschule und
Gymnasium die Gesamtschule und Systemen, die neben Regelschule und Gymnasium die
noch junge Schulart Gemeinschaftsschule aufbieten. Eine kleine Gruppe von drei
Gebietskörperschaften schließlich führt ein vielgliedriges Schulsystem. Insgesamt hat keine
Stadt Thüringens mehr ein zweigliedriges Schulsystem, und es ist zu erwarten, dass sich vor
dem Hintergrund aktuell zu beobachtender Umwandlungen von bestehenden
Gesamtschulen und Regelschulen zu Gemeinschaftsschulen der Veränderungstrend zu eher
integrierten Systemen fortsetzt.
Da vor allem in Kreisen mit zweigliedriger Schulstruktur ein vergleichsweise hohes Aufgebot
an Regelschulen im Verhältnis zur Anzahl an Gymnasien (also der in diesen Systemen
einzigen allgemeinbildenden Schulart, die zur Hochschulreife führt) vorherrscht (vgl. Tabelle
3.1.1), ist gerade in diesen Regionen zukünftig danach zu schauen, inwiefern sich das
Schulstrukturangebot dahingehend entwickelt, dass auch sämtliche Abschlussoptionen
gewahrt werden und hier nicht Kapazitätsgrenzen der einzigen zur Hochschulreife führenden
Schulart Gymnasium Exklusionsmomente erzwingen. Das Verhältnis der Regelschulen zu den
anderen Schularten mit Möglichkeit des Hochschulerwerbs ist in den drei- und viergliedrigen
Systemen deutlich ausgewogener, so dass weitergehend zu prüfen ist, inwiefern hier
strukturell Benachteiligungen für die Schülerschaft der Gebietskörperschaften erzeugt
werden. Für diesbezüglich valide Aussagen müssen jedoch noch weitere Informationen
berücksichtigt werden wie etwa gymnasiale Angebote berufsbildender Schulen,
Schulwegsdistanzen, etc.
Gegenstand der nun nachfolgenden Analysen sind differenziertere Betrachtungen der
erwähnten Schularten innerhalb Thüringens danach, wie sie sich auf die
Gebietskörperschaften verteilen. Daneben wird geschaut, inwieweit das öffentliche
Bildungsangebot durch Angebote in freier Trägerschaft ergänzt wird. Ein weiterer relevanter
Indikator im Rahmen der Beschreibung von Angebotsstrukturen ist das Vorkommen von
Ganztagsangeboten im schulischen Kontext. Dies insbesondere, da dem schulischen Ganztag
besondere Bildungspotentiale zugesprochen werden (Rauschenbach et al., 2012) und er aus
Gerechtigkeitsperspektive erweiterte Teilhabemöglichkeiten bereitzuhalten vermag
(Berkemeyer et al., 2012).
33
Tabelle 3.1.1: Schulstruktur des Sekundarbereichs in den Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens, 2011/12
Kreise/kreisfreie Städte Schulstruktur-Gliedrigkeit
Verhältnis Anzahl Regelschule zu allen anderen
Sekundarschulen
Saalfeld-Rudolstadt 4 (Regelschule, Gymnasium, Gesamtschule, Gemeinschaftsschule)
2,2
Stadt Jena 0,1
Stadt Weimar 0,4
Gotha
3a (Regelschule, Gymnasium, Gesamtschule)
2,1
Stadt Erfurt 1,5
Stadt Eisenach 1,0
Stadt Gera 1,2
Ilm-Kreis
3b (Regelschule, Gymnasium, Gemeinschaftsschule)
2,4
Kyffhäuserkreis 1,6
Saale-Holzland-Kreis 1,3
Saale-Orla-Kreis 2,2
Stadt Suhl 1,0
Unstrut-Hainich-Kreis 1,3
Altenburger Land
2 (Regelschule, Gymnasium)
2,4
Eichsfeld 2,8
Greiz 3,5
Hildburghausen 5,5
Nordhausen 3,0
Schmalkalden-Meiningen 2,2
Sömmerda 2,7
Sonneberg 3,5
Wartburgkreis 4,0
Weimarer Land 4,0
Thüringen insgesamt 2,4
3x Regionen mit viergliedriger Schulstruktur
10x Regionen mit dreigliedriger Schulstruktur
10x Regionen mit zweigliedriger Schulstruktur
In Thüringen existieren im Schuljahr 2011/12 insgesamt 822 Schulen. Dies sind sechs Schulen
weniger als im Schuljahr 2007/08 (vgl. Tabelle 3.1.2.-Anhang). Eine Besonderheit ist, dass
sich zwischen Kreisen und kreisfreien Städten unterschiedliche Veränderungen ergeben:
Nahm die Gesamtanzahl an Schulen im allgemeinbildenden Schulwesen im
Betrachtungszeitraum über alle Kreise hinweg ab (von 674 Einheiten auf 667 Einheiten),
stieg sie in den kreisfreien Städten von 154 auf 155 Einheiten marginal an. Im
Grundschulbereich zeigt sich ein ebensolches Bild, wobei für das jüngste Betrachtungsjahr
34
2011/12 die Neueinführung der Gemeinschaftsschule5 zu berücksichtigen ist, welche ja auch
Primarklassen führt.
Deutlichere, sowohl absolute wie auch anteilsmäßige Veränderungen (siehe Abbildung 3.1.1)
zeigen sich im Zeitverlauf innerhalb der Sekundarstufe. Auffällig ist der, sowohl absolut als
auch anteilige, konsequente Rückbau der Regelschule in den Kreisen und kreisfreien Städten.
Demgegenüber bleibt die Bedeutung des Gymnasiums landesweit konstant, lässt aber in den
kreisfreien Städten nach und nimmt in den Kreisen zu. Dafür macht sich die Veränderung der
Schullandschaft durch die Einführung der Gemeinschaftsschule eher in den kreisfreien
Städten bemerkbar, wo fast 8% aller Sekundarschulen Gemeinschaftsschulen sind. Hierbei
muss aber beachtet werden, dass vier der sechs Schulen in diesem Gebietskörperschaftstyp
in Jena existieren und somit eine Konzentration auf diesen Standort ausgemacht werden
kann.
Abbildung 3.1.1: Anteile der Schularten an allen Schulen im Sekundarbereich in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen 2007/2008 und 2011/12, (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
In den ländlichen Gebieten zeigt sich mit drei Schuleinheiten für den Unstrut-Hainich-Kreis
eine nennenswerte Anzahl an Gemeinschaftsschulen. In den Kreisen weiterhin kaum eine
Rolle spielt die Gesamtschule, wo nur 0,7% aller Schulen Gesamtschulen sind. Im
Unterschied dazu macht diese Schulart in den kreisfreien Städten 16,9% des Angebots im
5 Die Gemeinschaftsschule wird nachfolgend vorrangig innerhalb des Sekundarbereichs verortet und in den
Analysen berücksichtigt.
35
Sekundarbereich aus, 1,3%-Punkte weniger als 2007/08. Dies kann als erster Hinweis auf die
Evidenz der These von Zymek (siehe oben) gedeutet werden.
Betrachtet man die Angebotsstrukturen in den einzelnen Gebietskörperschaften im
Schuljahr 2011/12 vor dem Hintergrund der oben zitierten Einordnung des Thüringer
Schulsystem als ein zweigliedriges Schulsystem, ist zu konstatieren, dass eine „echte“
Zweigliedrigkeit, bestehend aus der Regelschule und dem Gymnasium, nur in manchen
Kreisen wiederzufinden ist, in kreisfreien Städten aber in keinem Fall. Extrembeispiele sind
hier der Wartburgkreis und das Weimarer Land, wo jeweils auf ein Gymnasium vier
Regelschulen kommen. Daneben gibt es Gebietskörperschaften, die sich durch ein Angebot
auszeichnen, welches die gesamte Breite der möglichen Sekundarschularten beinhaltet.
Namentlich betrifft dies die Städte Jena und Weimar sowie den Kreis Saalfeld-Rudolstadt.
Eine besondere Veränderung lässt sich in Jena beobachten: Dieses Schulsystem weist im
Schuljahr 2011/12 nur noch eine Regelschule auf, alle weitere 15 Sekundarschulen führen
potentiell zum Erreichen der Hochschulzugangsberechtigung. Ein vertiefter Blick wäre darauf
zu richten, ob die divergierenden Angebotsstrukturen auch mit disparaten Prozess- und
Leistungsstrukturen einhergehen.
3.2 Lehrendes Personal
„Dem Bildungspersonal kommt für die erfolgreiche Gestaltung von Bildungsprozessen, die
damit vermittelten Kompetenzen und erworbenen Abschlüsse sowie die Sicherung und
Weiterentwicklung der Qualität des Bildungssystems eine entscheidende Bedeutung zu“
(Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 33) - so lautet eine Einschätzung zum
Stellenwert des pädagogischen Personals im nationalen Bildungsbericht des Jahres 2012.
Dieser hier betonte Aspekt der Wichtigkeit der Lehrerpersönlichkeit für das Gelingen
schulischer Bildungsprozesse erfährt auf empirischer Ebene Unterstützung durch eine
aktuelle Metastudie von John Hattie (2009), welche das Lehrerhandeln als einen
entscheidenden Bedingungsfaktor für den Erfolg schulischen Lernens hervorhebt. Auch
hinsichtlich der Angebotssteuerung stellt das pädagogische Personal an Schulen einen
relevanten Aspekt dar, welcher im Rahmen dieser Expertise - aufgrund des bereits
existierenden Personalentwicklungskonzeptes – auf die Analyse der Geschlechterverteilung
und Altersstrukturen begrenzt wird.
Für eine erfolgreiche Gestaltung von Bildungsprozessen ist neben der notwendigen
personalen Qualität, die nur durch eine den Anforderungen der Lehr- und Unterrichtspraxis
angemessene Qualifizierung des Lehrpersonals gewährleistet werden kann, auch für eine
Sicherung des Nachwuchses über eine adäquate Einstellungspolitik Sorge zu tragen. Zu
berücksichtigen ist daher der Einstellungs- bzw. Ersatzbedarf von Bildungspersonal. Wie eine
Modellrechnung der Kultusministerkonferenz zum Lehrereinstellungsbedarf und zum
Angebot an Lehrerkräften in der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von 2010 bis
36
2020 zeigt, wird in den neuen Bundesländern bis 2020 ein erhöhter Einstellungsbedarf von
Lehrpersonal entstehen (vgl. KMK 2011). Dieser Bedarf kann u.a. auf vergangene
demografische Entwicklungen und die derzeitige Altersstruktur der Lehrkräfte zurückgeführt
werden. Da gemäß den Prognosen der Bildungsvorausberechnungen für die Bundesrepublik
Deutschland bis zum Jahr 2025 ein personeller Rückgang vorwiegend an allgemeinbildenden
und berufsbildenden Schulen zu erwarten ist, wird zukünftig besonders in diesen
Bildungssektoren ein nicht zu unterschätzender Bedarf an Lehrkräften entstehen, wie dies
vom Bildungsbericht illustriert wird. Demnach waren im Jahr 2010 knapp die Hälfte der
Lehrkräfte 50 Jahre und älter (vgl. ebd. 2012, S.34). Es ist zu vermuten, dass sich der für
Deutschland prognostizierte Trend einer zukünftigen Abnahme der Anzahl des
Bildungspersonals in Deutschland (vgl. ebd. 2012, S.33) auch in Thüringen bemerkbar
machen wird. Denn in den vergangenen Jahren hat in allen Bundesländern - so auch in
Thüringen - der Anteil an pädagogischem Personal in einem Alter von 50 Jahren und älter
zugenommen (vgl. ebd.).
Während im Schuljahr 2011/12 gegenüber dem Jahr 2007/08 ein Anstieg des Anteils der
Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen in Thüringen, die 45 Jahre und älter sind, von vormals
67,7% auf 78,1% (+10,4%-Punkte) zu vermerken ist, fällt der Zuwachs der Altersgruppe der
unter 35-Jährigen mit 1,9%-Punkten geringer aus (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang u. Tabelle 3.2.2-
Anhang). Nicht allein dieser Umstand, sondern allgemein die Tatsache, dass in Thüringen den
45-Jährigen und älteren Lehrkräften des allgemeinbildenden Schulsystems ein nur
vergleichsweise kleiner und darüber hinaus im Zeitverlauf von 2007/08 bis 2011/12
gesunkener Anteil jüngerer Lehrer unter 45 Jahren (von 32,2% auf 21,8%) gegenübersteht,
bestärkt die eingangs gestellte Vermutung eines in den nächsten Jahren erhöhten
Einstellungsbedarfs an Lehrpersonal (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang u. Tabelle 3.2.2-Anhang).
Mit Blick auf die Altersverteilung des Lehrpersonals allgemeinbildender Schulen in den
Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens im Schuljahr 2011/12, zeigt sich, dass der
durchschnittliche Anteil der unter 35-Jährigen sowie der 35- bis unter 45-Jährigen Lehrkräfte
mit insgesamt 8,2% bzw. 17,8% in den kreisfreien Städten höher ist als in den Kreisen (4,6%
bzw. 15,9%; vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang). Umgekehrt beträgt die Quote der 45-Jährigen und
älteren Lehrenden in den Landkreisen im Schnitt 79,5%, wohingegen die gleiche
Altersgruppe in den kreisfreien Städten zu 74,1% vertreten ist. (vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang).
Gleiches gilt für das Schuljahr 2007/08 (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang). Ein möglicher Grund für
die Disparitäten zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten könnte in dem
demografischen Wandel liegen, von dessen Auswirkungen die kreisfreien Städte im Schnitt
gegenwärtig weitestgehend unberührt bleiben (vgl. Kap. 2). Dies kann einen vergleichsweise
stärkeren Bedarf an neu einzustellenden Lehrkräften in den kreisfreien Städten bewirken.
In einer regionalen Perspektive zeigt sich, dass die im südwestlichen Teil Thüringens
liegenden Gebietskörperschaften Suhl (92,3%), gefolgt von Schmalkalden-Meiningen (86,4%)
37
und dem Wartburgkreis (84,6%) im Schuljahr 2011/12 zu den Kreisen und kreisfreien Städten
mit den höchsten Anteilen an Lehrkräften der älteren Altersgruppe gehören (vgl. Tabelle
3.2.2-Anhang). Damit hat keine andere Gebietskörperschaft eine annähernd so hohe Quote
an Lehrpersonal in der entsprechenden Altersgruppe wie die kreisfreie Stadt Suhl. Im
Gegensatz zu soeben genannten Kreisen und kreisfreien Städten sind unter den
Gebietskörperschaften mit den niedrigsten Anteilen an Lehrern im Alter von 45 Jahren und
älter die Städte Jena (68,8%), Eisenach (71,3%) und Erfurt (71,5%) zu nennen (vgl. Tabelle
3.2.2-Anhang). Obwohl auch hier hohe Quoten zu verzeichnen sind, stellt sich folglich die
Situation eines Überhangs älteren Lehrpersonals in allgemeinbildende Schulen in den
kreisfreien Städten im Vergleich zu den Kreisen insgesamt etwas weniger problematisch dar.
Betrachtet man die Lehrkräfte unter 35 Jahren, fallen wiederkehrend die Städte Erfurt und
Eisenach auf, da dort diese Altersgruppe mit 11,0% Lehrern in Erfurt und 10,1% in Eisenach
gefolgt von Weimar (9,2%) am stärksten vertreten ist. Umgekehrt sieht sich Suhl nicht nur
mit einer im Vergleich zu allen anderen Gebietskörperschaften am stärksten überalterten
Lehrerschaft konfrontiert, sondern hat überdies mit 1,5% den niedrigsten Anteil an Lehrern
unter 35 Jahren. Eine ähnlich niedrige Quote jüngeren Lehrpersonals im allgemeinbildenden
Schulsystem weisen die Kreise Schmalkalden-Meinigen (1,8%) und Sömmerda (1,9%) auf
(vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang).
Hinsichtlich der Geschlechterverteilung trifft auf das Bildungspersonal in Thüringen auch
jenes Muster zu, welches sich in der gesamten Bildungsrepublik abzeichnet. Gemäß dem
nationalen Bildungsbericht aus dem Jahr 2012 lässt sich in der Bundesrepublik Deutschland
allgemein der Trend beobachten, dass der Frauenanteil des Bildungspersonals zunimmt, je
jünger die Bildungsteilnehmer im Schulsystem werden (vgl. Bildungsbericht 2012, S.35). Das
Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte im Sekundarbereich und Primarbereich
(Grundschulen) stellt sich in Thüringen im Schuljahr 2011/12 wie folgt dar: Während im
Sekundarbereich ca. jede vierte Lehrkraft männlichen Geschlechts ist, beträgt der Anteil
männlichen Lehrpersonals an den Grundschulen nur noch 6,4%.
Das sich abzeichnende Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte macht sich über alle
Bildungsstufen hinweg und vor allem an den Grundschulen bemerkbar.6 Dies könnte - wie
auch in anderen erzieherischen und sozialen Berufen - eine Folge der geringeren Attraktivität
des Lehrerberufes für das männliche Geschlecht zu sein (vgl. Tabelle 3.2.3). Aspekte, wie die
6 Die Feminisierung der Schule wird mitunter als eine mögliche Ursache geschlechterspezifischen Bildungserfolges diskutiert. Empirische Befunde konnten zeigen, dass die abschlussbezogenen Nachteile der Jungen mitunter auf den geringeren Anteil männlicher Grundschullehrer zurückzuführen ist (vgl. Diefenbach/Klein 2002). Unter dem Aspekt der Bildungsgerechtigkeit gewinnt sonach auch die Frage nach der Bedeutung des Geschlechtes der Lehrkräfte für schulischen Erfolg bzw. Misserfolg an Relevanz.
38
Anerkennung pädagogischer Berufe innerhalb der Gesellschaft, fehlende Karrieremodelle,
vergleichsweise schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten, die Höhe des Verdienstes oder aber
spezifische Anforderungen und Belastungen, die mit der Berufstätigkeit einhergehen,
könnten einen wesentlichen Beitrag zu dem geringeren Ansehen des Berufes leisten. Der
Frage, wie die Attraktivität des Lehrberufes insbesondere für Männer in Thüringen und ganz
Deutschland gesteigert werden kann, ist daher zukünftig vermehrt Aufmerksamkeit zu
schenken.
39
4. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems im Ländervergleich
Neben einer regional differenzierten Darstellung relevanter Gerechtigkeitsindikatoren für
das Schulsystem (siehe Kapitel 5) sind ländervergleichende Betrachtungen bedeutsam, damit
die gefundenen Landesresulte in einen größeren Kontext gestellt werden können. Die
nachfolgenden Ausführungen dienen dem Zweck, Thüringens Ergebnisse in einen
bundesdeutschen Vergleichskontext zu stellen. Dabei wird auf Darstellungsverfahren des
Chancenspiegels (Berkemeyer et al. 2013) zurückgegriffen. Dieser fokussiert die
Beobachtungskategorie Chancengerechtigkeit in theoretisch fundierter Weise und bietet
ländervergleichende Ergebnisse zur Chancengerechtigkeit der Schulsysteme. Bevor die
Ergebnisse in den vier Gerechtigkeitsdimensionen Integrationskraft, Durchlässigkeit,
Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe vorgestellt werden, soll eine kurze Einführung in
den Themenkomplex und den theoretisch-konzeptionellen Rahmen des Chancenspiegels
gegeben werden.
Innerhalb dieses Kapitels wird das Schulsystem Thüringens, basierend auf den
Veröffentlichungen des Chancenspiegels aus den Jahren 2012 und 2013, entlang dieser vier
Gerechtigkeitsdimensionen betrachtet und das „Chancenprofil“ Thüringens im
Ländervergleich herausgearbeitet.
4.1 Gerechtigkeit als Kategorie für die Analyse von Schulsystemen
Die Kategorie Gerechtigkeit wird innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses inzwischen
häufig verwendet und auch begrifflich erschlossen. Dabei ist festzustellen, dass der Begriff
der Bildungsgerechtigkeit generell im Spannungsfeld zwischen Verteilungs-, Teilhabe- und
Anerkennungsgerechtigkeit diskutiert wird (vgl. Stojanov, 2011). Allgemein geht es bei der
Frage nach der Gerechtigkeit von und in Schule und Bildung zumeist um die Themen der
Verteilung sozialer Positionen und die Schaffung individueller sozialer Freiheit (vgl. Giesinger,
2007).
Auch die Konzeption des Chancenspiegels, welcher sich als problemzentriertes Instrument
der Bildungsberichterstattung versteht, orientiert sich in ihrer Anlage an den verschiedenen
Lesarten von Gerechtigkeit und plädiert für einen mehrdimensionalen Beobachtungs- und
Analyserahmen. Infolge der Berücksichtigung dreier paradigmatischer Ansätze des
Gerechtigkeitsdiskurses, wobei mit Rawls (1979) die Verteilungsgerechtigkeit, mit Sen (2010)
die Teilhabegerechtigkeit sowie mit Honneth (2011) die Anerkennungsgerechtigkeit
angesprochen werden, geht das Erkentnissinteresse des Chancenspiegels über das
eindimensionaler Ungleichheitsbeschreibungen hinaus. Es geht vielmehr auch um die Frage,
unter welchen Bedingungen Ungleichheiten als gerecht einzustufen sind (vgl. Berkemeyer &
Manitius, 2013).
40
Durch die Zusammenführung der gerechtigkeitstheoretischen Ansätze sowie
schultheoretischer Überlegungen von Fend (1980), die sich mit den Funktionen von Schule
für die Gesellschaft befassen, wurden vier Gerechtigkeitsdimensionen entwickelt, mithilfe
derer sich die Chancengerechtigkeit von Schulsystemen systematisch untersuchen lässt (vgl.
Tab. 4.1.1).
Tabelle 4.1.1: Vier Gerechtigkeitsdimensionen des Chancenspiegels aus der Verbindung von Schultheorie und Gerechtigkeitstheorie (vgl. Berkemeyer et al., 2012)
In seinen schultheoretischen Arbeiten geht Fend (2006) davon aus, dass Schulsysteme als
Akteure aktiv zur Gestaltung der institutionellen Verhältnisse beitragen. Somit kann danach
gefragt werden, was Systeme bzw. ihre Akteure für die Integration, die Durchlässigkeit, die
Kompetenzförderung und die Zertifikatsvergabe zu leisten im Stande sind (vgl. Berkemeyer
& Manitius, 2013). Damit dem in empirischer Art und Weise nachgegangen werden kann,
mussten den Dimensionen Indikatoren zugeordnet werden. Diese können anzeigen, wie die
Schulsysteme hinsichtlich der Gerechtigkeitsdimensionen abschneiden. Anhand welcher
Indikatoren die Gerechtigkeit der Schulsyteme erfasst wird, verdeutlich Tabelle 4.1.2.
Wird beispielsweise die Dimension der Integrationskraft in den Blick genommen, ist etwa
danach zu schauen, in welchem Ausmaß den Schülern Ganztagsangebote gemacht werden
oder inwiefern Schüler mit besonderen Förderbedarfen die Chance auf eine inklusive
Beschulung im Regelschulsystem haben. Die Prozessdimensionen der Durchlässigkeit wird
z.B. über die Indikatoren der Schulformwechsel, wobei das Verhältnis von Aufstiegs- zu
Absteigswechseln dargestellt wird, oder der Anteile von Klassenwiederholungen abgebildet.
Die Dimension der Kompetenzförderung zeigt etwa, wie groß die Chancen von Schülern
unterschiedlicher sozialer Herkunft sind, Kompetenzen zu erwerben. Und mit der
Zertifikatsvergabe wird danach gefragt, wie hochwertig die Qualität der ausgestellten
Bildungsabschlüsse ist, z.B. wie hoch die Anteile der Absolventen mit Hochschulreife sind.
Als Datenquellen werden sowohl die Bestände der amtlichen Schulstatistik als auch die
Ergebnisse aus Schulleistungsuntersuchungen genutzt. Im Folgenden werden die Ergebnisse
41
des Landes Thüringens im Verhältnis zu den Resultaten der anderen deutschen Länder
vergleichend vorgestellt (vgl. auch Berkemeyer et al, 2013).
Tabelle 4.1.2: Gerechtigkeitsdimensionen und Indikatoren des Chancenspiegels
4.2 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems
Die Gerechtigkeitsdimension „Integrationskraft“ fragt danach, inwiefern es den
Schulsystemen gelingt, ihre Schüler zu integrieren. Zum einen werden Schüler mit einem
‚besonderen pädagogischen Bedarf‘7 in den Fokus genommen, wobei die quantitative
Integration ins Regelschulsystem oder auch Separation dieser über die Indikatoren
Förderquote, Inklusionsanteile und Exklusionsquote betrachtet werden. Zum anderen
erfährt der Ausbau und die Nutzung des schulischen Ganztages als zusätzlicher
Möglichkeitsraum sozialer und pädagogischer Praxis Aufmerksamkeit (ebd.).
In Thüringen hat die Förderquote, d.h. der Anteil an Schülern mit diagnostiziertem
Förderbedarf an allen Schülern im allgemeinbildenden Schulsystem, im
Betrachtungszeitraum der Schuljahre 2009/10 bis 2011/12 kontinuierlich abgenommen.
Während im Schuljahr 2009/10 bei 8,4% aller Schüler im allgemeinbildenden Schulsystem
ein besonderer pädagogischer Bedarf diagnostiziert wurde, beträgt der Anteil im Schuljahr
2011/12 nur noch 7,2%-Punkte. Deutschlandweit wurde im Schuljahr 2011/12 bei 6,4% aller
Schüler des allgemeinbildenden Schulsystems ein besonderer pädagogischer Bedarf
festgestellt, was – bei einer gleichzeitig sinkenden absoluten Schülerzahl – eine Zunahme
von +0,2%-Punkten im Vergleich zum Schuljahr 2009/10 bedeutet. Thüringen befindet sich
7 In Abgrenzung zum gängigen Sprachgebrauch: „Sonderpädagogischer Förderbedarf“.
42
mit einer Quote von 7,2%-Punkten im aktuellen Ländervergleich im mittleren Feld der
Bundesländer und hat hier gegenläufig zum Bundestrend die Quote verringert (vgl. Tabelle
4.2).
Gleichzeitig sind in Thüringen analog zum deutschlandweiten Trend steigende
Inklusionsanteile zu verzeichnen: Wurden in Thüringen im Schuljahr 2009/10 noch 21,1% der
Schüler mit besonderem pädagogischem Bedarf, gemessen an allen Schülern mit
besonderem pädagogischem Bedarf, inklusiv beschult, sind dies im aktuellen Bezugsjahr
2011/12 bereits 27,8%. Der durchschnittliche Anteil beträgt im Schuljahr 2009/10 in
Deutschland 20,1%-Punkte und steigt im Schuljahr 2011/12 auf 25%-Punkte. Während in
Thüringen somit ein Zuwachs von 6,7%-Punkten festzustellen ist, sind es im bundesweiten
Durchschnitt lediglich 4,9%-Punkte über den Beobachtungszeitraum hinweg.
Im gleichen Betrachtungszeitraum ist die Exklusionsquote, d.h. der Anteil an Schülern mit
besonderem pädagogischem Bedarf, die gesondert an Förderschulen unterrichtet werden,
von 6,6% im Schuljahr 2009/10 auf 5,2% im Bezugsjahr 2011/12 gesunken. Deutschlandweit
ist der durchschnittliche Anteil im selben Betrachtungszeitraum nur um 0,2%-Punkte
gesunken (vgl. Tabelle 4.2).
Der Ausbau des schulischen Ganztags als zweiter wesentlicher Bestandteil dieser
Gerechtigkeitsdimension wird für die Jahre 2009 bis 2011 dargestellt.8 In Thüringen werden
im Jahr 2009 insgesamt 78,6% aller Schulen mit Ganztagsbetreuung geführt.9 Trotz leicht
rückläufiger Anteile im Jahr 2010 (77,8%) sind die Anteile im Vergleich zum
deutschlandweiten Durchschnitt von 30,5% im Jahr 2009 und 26,6% im Jahr 2010 deutlich
höher, wodurch Thüringen im Ländervergleich zur Gruppe der vier erfolgreichsten Länder
zählt. Im Jahr 2011 sind die Anteile erneut leicht rückläufig, dennoch befindet sich die Quote
deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt von 54,4%-Punkten (vgl. Tabelle 4.2).
Die Nutzung schulischer Ganztagsangebote wird über den Anteil an Schülern im
Ganztagsbetrieb gemessen an allen Schülern der Primar- und Sekundarstufe dargestellt.
Parallel zum Anteil der Ganztagsschulen in Thüringen ist die Nutzung des schulischen
Ganztages deutlich oberhalb des deutschlandweiten Durchschnittes zu verorten: Während
die Quote in Thüringen sowohl im Jahr 2009 als auch 2010 52,6%-Punkte beträgt, liegen die
Anteile im deutschlandweiten Durchschnitt 2009 bei 26,9% und im Jahr 2010 bei 28,1%.
Auch hinsichtlich dieses Indikators gehört Thüringen der Spitzenländergruppe an. Anders
stellt sich dies hinsichtlich der Anteile des wegen seiner Wirkkraft als besonders potentiell
geltenden gebunden Ganztags (vgl. Holtappels et al., 2010) dar: In Thüringen werden im Jahr
8 Die Berechnungen für das Jahr 2011 erfolgten gesondert und werden im aktuellen Chancenspiegel nicht berücksichtigt, wodurch ein Ländervergleich ausbleibt. 9 An dieser Stelle sei auf das flächendeckende Hort-Angebot im Grundschulbereich verwiesen.
43
2010 12,9%, der Schüler im gebundenen Ganztag beschult. Damit befindet sich Thüringen
minimal über den bundesweiten Durchschnittswert von 12,7 %-Punkten (vgl. Tabelle 4.2).
4.3 Zur Durchlässigkeit des Thüringer Schulsystems
Die Gerechtigkeitsdimension „Durchlässigkeit“ wird in zweierlei Hinsicht beschrieben:
Während ausgehend von der Perspektive der horizontalen Durchlässigkeit (1) die Auf- und
Abwärtsmobilität der Schüler zwischen den hierarchisch gegliederten Bildungsgängen und
(2) die Quote der Klassenwiederholungen betrachtet werden, wird vor dem Hintergrund
vertikaler Durchlässigkeit (3) der Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium als
hierarchisch höchste Schulform der Sekundarstufe sowie (4) die Neuzugänge im dualen
Berufsbildungssystem fokussiert.
Der Anteil an Fünftklässlern, der nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechselt, ist in
Thüringen insgesamt betrachtet – mit leichten Abweichungen zum Schuljahr 2010/11 – von
44,6% im Schuljahr 2009/10 auf 45,1% im Schuljahr 2011/12 angestiegen, was den
deutschlandweiten Trend einer zunehmenden Quote von 44,6% (2009/2010) auf aktuell
45,1% (2011/12) widerspiegelt.10 Im Ländervergleich kann Thüringen hier für den
Betrachtungszeitraum konstant im mittleren Bereich eingeordnet werden.
Leichte Rückgänge ergeben sich im gleichen Beobachtungszeitraum hinsichtlich des
Verhältnisses von Aufwärts- zu Abwärtswechseln der Schüler in den Jahrgangsstufen 7 bis 9:
Während in Thüringen auf 4,6 Abwärtswechsel im Schuljahr 2009/10 ein Aufwärtswechsel
kommt, sind gegenwärtig 4,5 Abwärtswechsel auf einen Aufwärtswechsel festzustellen.
Ähnliche Entwicklungen sind auf Bundesebene zu beobachten. Hier stellt sich über die drei
Schuljahre hinweg ein Schulartwechsel in der überwiegenden Mehrzahl als eine abwärts
gerichtete Mobilität heraus, da auf einen Aufwärtswechsel im Mittel 4,3 Abwärtswechsel im
Schuljahr 2009/10 bzw. 4,2 Abwärtswechsel in den Schuljahren 2010/11 und 2011/12
kommen. Im Ländervergleich gehört Thüringen hinsichtlich des Verhältnisses von Auf- zu
Abwärtswechseln der mittleren Ländergruppe an.
Vom Standpunkt einer gerechtigkeitstheoretischen Perspektive ausgehend, fällt
insbesondere die Klassenwiederholung ins Gewicht, welche schulischer Durchlässigkeit im
hohen Maße zuwiderläuft (vgl. Berkemeyer et al. 2012). Der Anteil an Wiederholern in der
Sekundarstufe der allgemeinbildenden Schulen, gemessen an allen Schülern der
Sekundarstufe, verringert sich in Thüringen durchgängig von 2,5% im Schuljahr 2009/10 auf
1,8% im Schuljahr 2011/12. Insgesamt verbessert sich Thüringen hier im betrachteten
Zeitraum und gehört bezüglich der Wiederholerquote zu den Ländern mit den niedrigsten
Anteilswerten.
10 In der ungleichheitsbezogenen Bildungsforschung wird diese Übergangsstelle von der Primar- in die
Sekundarstufe als eine folgenreiche Selektionsschwelle, an welcher grundlegende Weichen für die weitere
Bildungslaufbahn gestellt werden, erörtert. Dieser Übergang sei jedoch weniger entlang des Leistungsprinzips,
als vielmehr entlang der sozialen Herkunft geregelt (Bos et al. 2007; Bos et al. 2004; Maaz et al. 2010).
44
Ferner sind vor dem Hintergrund der Durchlässigkeit von Schulsystemen Anschlussstellen an
die allgemeinbildenden Schulen nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinsichtlich des Übergangs
in das berufsbildende System kommt der dualen Berufsausbildung eine große Bedeutung zu,
da diese eine gute Einstiegsmöglichkeit in das spätere Erwerbsleben in Form einer
Weiterbeschäftigung im auszubildenden Betrieb bereithält. Dies kann insbesondere für
leistungsschwächere Schüler – bezogen auf das schulische Zertifikatsniveau – eine Chance
auf eine qualifizierte Beschäftigung ermöglichen.
Wie der Tabelle 4.2 zu entnehmen ist, zeichnen sich jedoch für Menschen mit maximal
einem Hauptschulabschuss hinsichtlich des Zugangs in das duale Berufsbildungssystem
länderübergreifend zunehmend erschwerte Bedingungen ab. Entgegen dem
bundesdeutschen Trend vermag es Thüringen den Anteil der Neuzugänge im dualen System
mit maximal einem Hauptschulabschluss über den beobachteten Zeitraum von 41,3% auf
42,7% zu erhöhen. Hierbei muss bei der Einordnung der Befunde auch berücksichtigt
werden, dass traditionell in den ostdeutschen Ländern die vollzeitschulischen Bildungsgänge
des Schulberufssystems häufiger frequentiert werden als das in den westdeutschen Ländern
der Fall ist, so dass ein Bundesländervergleich hier nicht plausibel ist. Unter den
ostdeutschen Ländern ist Thüringen allerdings das einzige Land, dem es gelungen ist, den
Anteil der Neuzugänge im dualen System mit maximal einem Hauptschulabschluss im
Verlauf von 2009 zu 2011 leicht zu steigern.
4.4 Zur Kompetenzförderung des Thüringer Schulsystems
Die „Kompetenzförderung“ stellt im Rahmen des Chancenspiegels eine der zwei
outputorientierten Gerechtigkeitsdimensionen dar, durch welche die deutschen
Schulsysteme in Bezug auf ihre Förderung des Kompetenzerwerbs und somit hinsichtlich
ihrer Qualifikationsfunktion betrachtet werden (Berkemeyer et al. 2013, S.18). Dabei wird
die Lesekompetenz vor dem Hintergrund der Bedeutung des Lesens für die gesellschaftliche
Teilhabe als zentrale Kompetenz angesehen, wobei die Relevanz anderer
Kompetenzbereiche, wie etwa der Mathematik oder der Naturwissenschaften nicht negiert
werden soll (Berkemeyer et al. 2013, Drechsel & Artelt 2008, Baumert et al. 2001).
Als Berechnungs- und Betrachtungsgrundlage werden Daten aus großen
Schulleistungsuntersuchungen herangezogen, welche jedoch zu verschiedenen Zeitpunkten
die Bildungsbereiche Primarstufe bzw. Sekundarstufe fokussieren (IGLU-E 2006, vgl. Bos et
al. 2008; Daten aus den Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2009,2011).11
Stellenweise können anhand der erwähnten Studien deutliche Unterschiede zwischen den
Ländern hinsichtlich der erreichten Kompetenzwerte ausgemacht werden. Die Position
Thüringens über den Betrachtungszeitraum (von 2006 bis 2011) hinweg ist jedoch als
11 Als Datengrundlage gilt zum einen die Erhebung zu den Bildungsstandards „Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik“ (Stanat et al. 2012) sowie die Datensätze aus IGLU 2011 (Bos et al. 2012)
45
durchweg positiv zu werten. Werden zunächst die mittleren Kompetenzwerte am Ende der
Klassenstufe 4 betrachtet, liegt der Mittelwert Thüringens in beiden Berichtsjahren oberhalb
des Landesmittelwertes: Wie die IGLU-Daten zur Kompetenzförderung im Primarbereich
zeigen, belegte Thüringen mit einer mittleren Lesekompetenz von 564 und einem
bundesweiten Mittelwert von 548 im Ländervergleich eine Spitzenposition (IGLU 2006). Aus
den Daten der Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2011 zum Primarbereich
(Viertklässler) geht ebenfalls hervor, dass Thüringen in der Lesekompetenz mit einem
Mittelwert von 510 signifikant oberhalb des Bundesmittelwertes von 500 liegt, sodass
Thüringen hier ebenfalls zu den erfolgreichsten Bundesländern gehört (vgl. Berkemeyer et
al. 2013). Bezogen auf die Förderung von besonders leistungsstarken Schülern zählt
Thüringen mit einem durchschnittlichen Kompetenzwert von mindestens 627 Punkten
ebenfalls zu den fünf erfolgreichsten Ländern. Hinsichtlich der Förderung der
leistungsschwächsten 10% der Schüler belegt Thüringen sogar die führende Position im
Ländervergleich: Diese Gruppe von Schülern erreicht in Thüringen mindestens 389
Kompetenzpunkte, der bundesweite Durchschnitt liegt bei 370 Punkten.
Die Befunde aus den Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2009 (Köller, Knigge und
Tesch 2010) zum Sekundarbereich (Neuntklässler) gestalten sich ähnlich zu den aktuellen
Ergebnissen für den Primarbereich: Mit einem Mittelwert von 497 Kompetenzpunkten
gehört Thüringen im Ländervergleich der oberen Ländergruppe an. Auch bei einer
Betrachtung der leistungsstärksten 10% der Schüler, mit einem Mittelwert von 611, und den
leistungsschwächsten 10% der Schüler, mit einem Mittelwert von 388, gehört Thüringen im
Vergleich zu den erfolgreicheren Ländern.
4.5 Zur Zertifikatsvergabe des Thüringer Schulsystems
Die Zertifikatsvergabe als eine Art der formalisierten Anerkennung schulischer Leistungen
kann sowohl über die Anteile der Schüler mit einer erworbenen Hochschulreife als auch über
die Extremgruppe der Abgänger ohne Hauptschulabschluss beschrieben werden, da sich für
diese beiden Gruppen stark divergierende Übertrittschancen in das berufliche Schulsystem
ergeben.
Wird in Thüringen der Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen
Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen betrachtet, fällt ein Rückgang dieser
Quote von 2009 bis 2011 um insgesamt 2,9% auf. Entgegen dem deutschlandweiten Trend
einer Zunahme der Anteile an Hochschulzugangsberechtigten um 2% sind von der Abnahme
der Quote an Absolventen mit einer erworbenen Hochschulreife vorwiegend ostdeutsche
Länder betroffen. Im Ländervergleich gehört Thüringen hier insgesamt zum Mittelfeld.
Zieht man zu dem Anteil an Absolventen mit Hochschulreife aus den allgemeinbildenden
Schulen die entsprechenden Absolventen aus den beruflichen Schulen hinzu, so zeigt sich
auch hier für Thüringen eine Tendenz zu sinkenden Anteilswerten: Im Jahr 2009 betrug der
entsprechende Anteil an Absolventen in Thüringen noch 45,3%. Diese Quote ist zwischen
46
2009 und 2011 um 1,6%-Punkte auf nunmehr 43,7% gesunken. Anders als die Mehrzahl der
ostdeutschen Bundesländer positioniert sich Thüringen jedoch über den
Betrachtungszeitraum hinweg konstant in der mittleren Gruppe der Länder.
Die Kehrseite der Zertifikatsvergabe stellen die Jugendlichen dar, die keinen
allgemeinbildenden Abschluss erlangen. Der Anteil dieser Schüler ist in Thüringen, gemessen
an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, gegenwärtig leicht rückläufig. Von 8,6% im
Schuljahr 2010 hat sich der Anteil zum Bezugsjahr 2011 um 0,8%-Punkte verringert. Dies
entspricht dem Bundestrend, wonach ebenfalls eine Abnahme des Anteils von 6,5% im Jahr
2010 auf 6,2% im Jahr 2011 zu konstatieren ist. Vor dem Hintergrund dieser
durchschnittlichen Quote auf Bundesebene im Jahr 2011 ist der Thüringer Anteil an
Absolventen ohne einen allgemeinbildenden Abschluss von 7,8% verhältnismäßig als immer
noch recht hoch einzuschätzen. Setzt sich dieser Trend fort, kann dies mittelfristig gesehen
zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko für die jüngeren Bevölkerungsgruppen, mit
entsprechenden Auswirkungen auf die gesellschaftliche Integration, führen.
Bei genauerer Betrachtung der Gruppe ausländischer Abgänger fällt auf, dass Thüringen
selbst in allen drei Vergleichsjahren zu der Spitzenländergruppe mit einem niedrigen
prozentualen Anteil an ausländischen Abgängern ohne Hauptschulabschluss an der
ausländischen Wohnbevölkerung gehört. So liegt die Abgängerquote im letzten Bezugsjahr
2011 bei 5,9% und damit deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 12,1% (vgl.
Tabelle 4.2). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich Thüringen ländervergleichend durch
einen niedrigen Anteil ausländischer Schüler im allgemeinbildenden Schulsystem
auszeichnet. Während im Schuljahr 2011/12 1,4% 12 aller Schüler an allgemeinbildenden
Schulen eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, beträgt der bundesweite Durchschnitt im
gleichen Bezugsjahr 7,7%.13
4.6 Übersicht
In der Tabelle 4.2 wird abschließend ein Überblick über die Entwicklung Thüringens in den
vier Gerechtigkeitsdimensionen gegeben, wobei das Bundesland ländervergleichend durch
ein positives Chancenprofil gekennzeichnet ist.
Eine sinkende Förderquote, ein Anstieg der inklusiven Beschulung von Schülern mit
besonderem pädagogischen Bedarf, eine sinkende Exklusionsquote sowie der zunehmende
Ausbau und die Nutzung schulischer Ganztagsangebote – diese Entwicklungen in der
12 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Statistik der allgemeinbildenden Schulen, Stichtag: 24.04.2013; Thüringer Landesamt für Statistik, Allgemeinbildende Schulen in Thüringen 2011; eigene Berechnungen 13 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Titel: Statistik der allgemeinbildenden Schulen, Stichtag: 24.04.2013; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Titel: Ausländische Schüler/innen nach Staatsangehörigkeit; eigene Berechnung
47
Gerechtigkeitsdimension „Integrationskraft“ lassen deutliche Bemühungen zur Umsetzung
der UN-Konvention erkennen.
Die ländervergleichend wiederholt gute Positionierung Thüringens im oberen oder mittleren
Feld, bezogen auf die beobachteten Aspekte der Kompetenzförderung von Schülern der
Primar- und Sekundarstufe, lässt auf eine gelingende Förderung sowohl der leistungsstarken
als auch der leistungsschwachen Schüler schließen.
Auch in Referenz auf die zuvor ausgeführten Aspekte schulischer Durchlässigkeit ist für das
Bundesland Thüringen eine zu begrüßende Entwicklung festzustellen, was sich insbesondere
im vergleichsweise geringen Anteil an Wiederholern widerspiegelt. Mit Blick auf die
Dimension der Zertifikatsvergabe bleibt trotz der verringerten Quote an Schulabgängern
ohne einen allgemeinbildenden Abschluss weiterhin Handlungsbedarf diese zu senken, da
sich der Anteil im Bundesländervergleich aktuell als immer noch zu hoch erweist. Weil sich
die Anteile der Absolventen mit Hochschulreife aus allgemeinbildenden und beruflichen
Schulen von 2009 bis 2011 zunehmend verringerten, besteht darüber hinaus auch in der
Erhöhung der Abiturientenquote Bedarf.
Wenngleich sich die Position Thüringens im Ländervergleich als relativ gut herausstellt, gilt
es ferner um kleinräumige wie auch kleinsträumige Disparitäten zu wissen. Dies ist insofern
von großer Bedeutung, als auch zukünftig lokale Handlungsstrategien für einzelne Regionen
Thüringens geplant und eingeleitet werden können und sollten. In den nachfolgenden
Kapiteln erfolgt daher eine Betrachtung von regionalen Disparitäten unterhalb der
Länderebene auf Kreisebene.
Tabelle 4.2: Entwicklung Thüringens in den Dimensionen der Chancengerechtigkeit
INTEGRATIONSKRAFT
Indikator Schuljahr
2009/10 2010/11 2011/12
Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf an allen Schülern im allgemeinbildenden Schulsystem (Förderquote), in %
8,4 (6,2)
7,8 (6,4)
7,2 (6,4)
Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf in den Regelschulen an allen Schülern mit besonderem Förderbedarf (Inklusionsanteile), in %
21,1 (20,1)
25,2 (22,3)
27,8 (25,0)
Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf, die gesondert in Förderschulen unterrichtet werden, an allen Schülern (Exklusionsquote), in %
6,6 (5,0)
5,8 (4,9)
5,2 (4,8)
Jahr
2009 2010 2011
Anteil der Ganztagsschulen in den Ländern an allen Schulen, in %
78,6 (48,1)
77,8 (51,1) 76,9 (54,4)
Anteil der Schüler im Ganztagsbetrieb an allen Schülern, Primarstufe und Sekundarstufe I, in %
52,6 (26,9)
52,6 (28,1) 51,0 (30,6)
48
Anteil der Schüler in gebundener Ganztagsform an allen Schülern, Primarstufe und Sekundarstufe I, in %
14,4 (11,9%)
12,9 (12,7%)
12,7 (13,7)
DURCHLÄSSIGKEIT
Indikator Schuljahr
2009/10 2010/11 2011/12
Anteil der Fünftklässler, die nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechselten, in %
44,6 (41,7)
44,5 (41,8)
45,1 (42,1)
Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtswechseln der Schüler in den Jahrgangstufen 7 bis 9
1 : 4,6 (1 : 4,3)
1 : 4,1 (1 : 4,3)
1 : 4,5 (1 : 4,2)
Anteil der Wiederholer in der Sekundarstufe der allgemeinen Schulen an allen Schülern in der Sekundarstufe, in %
2,5 (2,9)
2,0 (2,8)
1,8 (2,7)
Neuzugänge im dualen System mit maximal Hauptschulabschluss an allen Neuzugängen mit maximal Hauptschulabschluss, in %
41,3 (41,5)
35,9 (38,6)
42,7 (40,9)
ZERTIFIKATSVERGABE
Indikator Jahr
2009 2010 2011
Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen, in %
31,5 (29,3)
31,0 (30,3)
29,4 (31,3)
Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, in %
45,3 (46,7)
45,9 (49,2)
43,7 (51,1)
Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, in %
8,1 (6,9)
8,6 (6,5)
7,8 (6,2)
Anteil der ausländischen Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der ausländischen Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter, in %
5,6 (14,0)
6,0 (13,2)
5,9 (12,1)
Anmerkung: Die Werte in den Klammern stellen die durchschnittlichen Anteile bzw. Verhältniswerte auf Bundesebene dar. Quelle: Berkemeyer et al. 2013; Berkemeyer et. al 2012
49
5. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems auf Ebene der Kreise
und kreisfreien Städte
Nachdem im voranstehenden Kapitel die Gerechtigkeitsverhältnisse des Thüringer
Schulsystems im Vergleich zu den übrigen Schulsystemen deutscher Länder
indikatorenbasiert beschrieben wurden, werden nachfolgend Ergebnisse regionaler Analysen
der Thüringer Schullandschaft hinsichtlich verschiedener Gesichtspunkte dargestellt. Zu den
meisten Unterpunkten werden Veränderungsverläufe zwischen den Schuljahren 2007/08
und 2011/12 herangezogen. Das kennwertgestützte Vorgehen ermöglicht die dezidierte
Beschreibung von Unterschieden innerhalb der Thüringer Schullandschaft, welche eine
Betrachtung auf Landesebene nicht zu leisten vermag. So kann Einsicht darüber gewonnen
werden, ob und in welchen Gebieten des Landes gerechtigkeitsspezifische Unterschiede
bestehen und welche Regionen womöglich besondere Unterstützungsbedarfe aufweisen.
Auf der anderen Seite können Bildungsräume identifiziert werden, die sich durch ein hohes
Maß an bildungsbezogener Qualität auszeichnen. Somit wird eine breite Zustands- und
Veränderungsbeschreibung des Thüringer Schulsystems angeboten, die insbesondere vor
dem Hintergrund der bereits dargestellten demografischen Entwicklungen zu beleuchten ist.
Dabei knüpft die Expertise zu Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystem auf Ebene
der Gebietskörperschaften an aktuelle Forschungsbemühungen zur Frage regionaler
Disparitäten im Bildungswesen an. Hier ist mit Bezug auf Bourdieu (1985) allgemein auf
Wechselverhältnisse zwischen dem geographischen und dem sozialen Raum hinzuweisen.
Soziale Strukturen, etwa hinsichtlich der Lebensstile oder sozialer Milieus, können sich
raumspezifisch ausbildenden, was wiederum auf das Schulsystem zurückwirkt. Dabei spielen
Faktoren wie die Wirtschaftskraft eines Gebiets oder auch die Wohnraumpräferenzen
bestimmter Bevölkerungsgruppen eine Rolle. Weiterhin verweisen Kemper und Weishaupt
(2011) zudem auf Unterschiede in der regionenbezogenen Bildungsbeteiligung, was auf
divergierende räumliche Verteilungsmuster und damit einhergehende Ungleichheiten in den
Zugangsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Die skizzierten Aspekte kumulieren in
unterschiedlichen Voraussetzungen für die Schulsystementwicklung. So konnte Zymek (z.B.
2007) in unterschiedlichen Studien immer wieder auf die regionalen Besonderheiten von
Schulsystemen und ihren Akteuren herausarbeiten und auf die historisch und sozial bedingte
Verfasstheit von Schullandschaften in einer Region verweisen. Diese Perspektive wird auch
im weiteren Verlauf eingenommen, werden doch die Gebietskörperschaften Thüringens als
eigene Einheiten analytisch in den Blick genommen. So wird nachfolgend auf Grundlage des
bereits eingeführten Dimensionensets ein Überblick über die regionalen Disparitäten
hinsichtlich der Gerechtigkeit des Schulsystems gegeben. Daran anschließend werden die
schulsystembezogene und sozialraumbezogene Disparitäten in einer ausgewählten
50
Zusammenführung besprochen. Der Fortgang dieses Kapitels orientiert sich an der Abfolge
der Gerechtigkeitsdimensionen zur Schulsystemanalyse (siehe auch Kapitel 4).
5.1 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Integrationskraft
Die Dimension Integrationskraft, welche Auskunft darüber gibt, wie gut es Schulsystemen
gelingt, Schüler systemspezifisch und sozial zu integrieren, wird über zwei zentrale
Indikatoren erschlossen: die Integrationsleistungen der Systeme bei Schülern mit
besonderen Förderbedarfen in das Regelschulsystem sowie den Ausbau- und Nutzungsgrad
von Ganztagsangeboten. Dieser Zugang zeigt an, welche Chancen den Schülern bereitgestellt
werden, unabhängig von besonderen Förderbedarfen miteinander zu lernen sowie unter
welchen schulischen Rahmenbedingungen sich Bildungs- und Vergesellschaftungsprozesse
vollziehen.
5.1.1 Besondere Förderbedarfe, Inklusion und Exklusion
Die Bildungspolitik zeigt seit einigen Jahren deutlich ihre Bemühungen, den Anforderungen
der UN-Behindertenrechtskonvention zu entsprechen (BMAS, 2011). Infolge der
Ratifizierung der UN-Konvention sind auch die Schulsystemakteure in Deutschland dazu
verpflichtet, für die Integration aller Schüler zu sorgen. Dies impliziert das gemeinsame
Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne besondere Förderbedarfe. In Thüringen
beispielsweise hat seit der Novellierung des Förderschulgesetztes im Jahr 2003 der
Gemeinsame Unterricht Vorrang vor der Beschulung in einer Förderschule (vgl. TMBWK,
2013). Inwieweit das Schulsystem Thüringens diesen Anspruch schon einlösen kann und
welche Unterschiede innerhalb des Landes bestehen, wird unter Bezugnahme auf drei
Indikatoren analysiert: die Förderquote, den Inklusionsanteil und die Exklusionsquote.
Die Förderquoten und Inklusionsanteile der einzelnen Gebietskörperschaften sind in Tabelle
5.1.1 dargestellt. Während die Förderquote anzeigt, wie hoch der Anteil von Schülern mit
diagnostizierten besonderen Förderbedarfen an allen Schülern des Regelschulsystems ist,
gibt der Inklusionsanteil den prozentualen Anteil der inklusiv beschulten Schüler mit
besonderen Förderbedarfen an allen Schülern mit besonderen Förderbedarfen an. Aufgrund
der Verfügbarkeit einer aktuellen Datenquellen mit thematischem Schwerpunkt (TMBKW,
2013) beziehen sich die Ergebnisse aus das Bezugsjahr 2013.14
Tabelle 5.1.1: Schüler mit besonderem Förderbedarf absolut, Förderquoten in Prozent und Inklusionsanteil in Prozent, Primar- und Sekundarstufe zusammengefasst, Jahr 2012/13
Kreis/kreisfreie Stadt Schüler mit Förderquote Inklusionsanteil
14
Als Datenquelle diente der „Entwicklungsplan Inklusion“ des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und
Kultur des Freistaats Thüringen.
51
besonderem Förderbedarf absolut
Stadt Erfurt 1.124 6,5 30,4
Stadt Gera 481 7,1 31,6
Stadt Jena 378 4,1 74,3
Stadt Suhl 202 8,7 7,9
Stadt Weimar 566 9,0 15,7
Stadt Eisenach 355 8,7 19,7
Eichsfeld 624 6,4 40,4
Nordhausen 771 10,4 25,0
Wartburgkreis 558 4,6 34,3
Unstrut-Hainich-Kreis 615 6,3 20,7
Kyffhäuserkreis 416 6,6 31,7
Schmalkalden-Meiningen 517 5,3 9,1
Gotha 622 5,2 21,2
Sömmerda 386 6,3 36,0
Hildburghausen 185 3,4 20,5
Ilm-Kreis 647 7,8 33,8
Weimarer Land 327 5,0 37,3
Sonneberg 184 4,0 19,0
Saalfeld-Rudolstadt 636 7,5 25,6
Saale-Holzland-Kreis 369 5,6 34,4
Saale-Orla-Kreis 465 6,5 35,7
Greiz 557 6,6 25,7
Altenburger Land 421 5,7 25,7
Thüringen 11.406 6,3 28,7 Quelle: TMBWK (2013): Entwicklungsplan Thüringen; eigene Darstellung
Ausgehend von einer thüringenweiten Förderquote von 6,3% im Jahr 2012/13 werden zum
Teil auffällige Schwankungen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften deutlich. Sind
im Kreis Hildburghausen nur 3,4% aller Schüler solche, die einen besonderen Förderbedarf
aufweisen, verzeichnen im Kreis Nordhausen 10,4% aller Schüler einen besonderen
Förderbedarf. Im Stadt-Landkreis-Vergleich wird deutlich, dass die Förderquoten in den
Städten im Mittel etwas höher liegen als in den Kreisen. Eine Ausnahme bildet dabei die
Stadt Jena, die lediglich eine Förderquote von 4,1% aufweist und damit bisweilen deutlich
unterhalb der Förderquoten der Landkreise Nordhausen (10,4%), Ilm-Kreis (7,8%) oder auch
Saalfeld-Rudolstadt (7,5%) liegt. Die Varianzen in den Förderquoten zwischen den
Gebietskörperschaften sollten aber nicht auf Unterschiede in den Diagnosepraxen
zurückgeführt werden, sind sie doch vorrangig in der Verteilung überregionaler
Förderzentren begründet. So sind etwa in den Städten Erfurt (Förderschwerpunkt Hören)
und Weimar (Förderschwerpunkt Sehen) solche überregionalen Förderzentren angesiedelt
52
(vgl. TMBWK, 2013), wodurch zugleich auch die Förderquoten in diesen Regionen erhöht
werden. Eine konsistente Vergleichbarkeit kann somit hier nicht vorausgesetzt werden.
Demgegenüber zeigen die Ergebnisse im Kennwert Inklusionsanteil durchaus relevante
Spannbreiten zwischen den Gebietskörperschaften an (vgl. Tabelle 5.1.1). Bezogen auf alle
Schulen in staatlicher und privater Trägerschaft zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen
einzelnen Kreisen bzw. kreisfreien Städten. Während die Stadt Jena mit einem
Inklusionsanteil von 74,3% den höchsten Wert im Schuljahr 2012/13 aufweist, haben in Suhl
nur 7,9% aller 202 Schüler mit besonderem Förderbedarf einen Platz im Gemeinsamen
Unterricht. Damit liegen diese beiden Extremfälle mehr oder weniger weit vom Thüringer
Mittelwert von 28,7% entfernt. Betrachtet man allein die Gruppe der kreisfreien Städte fällt
auf, dass Erfurt (30,4%) und Gera (31,6%), mit deutlichem Abstand zu Jena, Inklusionsanteile
ausweisen, die leicht über dem landesweiten Mittelwert liegen, währenddessen Suhl,
Weimar (15,7%) und Eisenach (19,7%) Werte mit teils deutlicher negativer Abweichung
aufweisen. Auch innerhalb der Kreise sind bemerkenswerte Differenzen in den
Inklusionsanteilen zu beobachten, so zeigt sich zwischen Eichsfeld (40,4%) und
Schmalkalden-Meiningen (9,1%) ein Abstand von über 31%-Punkten.
Der Inklusionsanteil wird von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen durch die
infrastrukturellen Voraussetzungen eines Systems zur inklusiven Beschulung, zum anderen
auch durch die Nachfrage nach Regelschulplätzen für Schüler mit besonderen
Förderbedarfen. Bei der Interpretation der Wertunterschiede ist somit zu berücksichtigen,
dass die statistisch abbildbaren Inklusionsfähigkeiten der regionalen Systeme wiederum
auch davon abhängen, ob regionale Förderzentren angesiedelt sind. Eine
Gebietskörperschaft, die kein regionales Förderzentrum unterhält, hat vergleichsweise
günstigere Chancen, höhere Inklusionsanteile zu erreichen als eine Gebietskörperschaft, die
aufgrund eines Förderzentrum mit schwerpunktmäßiger Spezialisierung verhältnismäßig
vielen Schüler aus benachbarten Kreisen und Städten Schulplätze bereithält.
Ein weiterer Kennwert der Auskunft über die Integrationskraft eines Schulsystems erteilt, ist
die Exklusionsquote. Sie zeigt an, wie viele Schüler mit besonderem Förderbedarf anteilig an
allen Schülern in Förderschulen unterrichtet werden. Im Sinne der UN-
Behindertenrechtskonvention liegt eine hohe Integrationskraft vor, wenn ein System eine
niedrige Exklusionsquote bei gleichzeitig hohem Inklusionsanteil aufweist (vgl. Berkemeyer
et al., 2013). Aus Gründen der Datenverfügbarkeit werden die Ergebnisse zum Kennwert
Exklusionsquote aggregiert auf Ebene der Schulamtsbezirke dargestellt (vgl. Tabelle 5.1.2).
Auf den ersten Blick erscheinen die Wertabstände zwischen den Schulamtsbezirken nicht
bemerkenswert groß, alle liegen relativ nah am Landeswert von 4,5%. Dennoch ist zu
konstatieren, dass hinsichtlich der Exklusionsquote zwischen Nordthüringen (5,2%) und
Ostthüringen (3,7%) ein Unterschied von 1,5%-Punkten besteht. In Nordthüringen ist es also
für die Schüler mit besonderem Förderbedarf wahrscheinlicher, exkludiert in einer
53
Förderschule unterrichtet zu werden. Dies kann abermalig auf die spezifische Verteilung von
Förderzentren innerhalb des Landes zurückzuführen sein.
Tabelle 5.1.2: Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf, die gesondert in Förderschulen unterrichtet werden, an allen Schülern (Exklusionsquote), in Prozent, 2012/13
Schulamtsbezirk Schüler gesamt Schüler Förderbedarf Exklusionsquote
Mittelthüringen 36.258 2.403 4,7
Nordthüringen 33.256 2.426 5,2
Westthüringen 34.282 2.082 4,4
Südthüringen 30.608 1.724 4,7
Ostthüringen 45.566 2.671 3,7
Thüringen 179.970 11.306 4,5 Quelle: TMBWK (2013): Entwicklungsplan Thüringen; eigene Darstellung
Auf den ersten Blick erscheinen die Wertabstände zwischen den Schulamtsbezirken nicht
bemerkenswert groß, alle liegen relativ nah am Landeswert von 4,5%. Dennoch ist zu
konstatieren, dass hinsichtlich der Exklusionsquote zwischen Nordthüringen (5,2%) und
Ostthüringen (3,7%) ein Unterschied von 1,5%-Punkten besteht. In Nordthüringen ist es also
für die Schüler mit besonderem Förderbedarf wahrscheinlicher, exkludiert in einer
Förderschule unterrichtet zu werden. Dies kann abermalig auf die spezifische Verteilung von
Förderzentren innerhalb des Landes zurückzuführen sein.
Insgesamt zeigen sich im thüringenweiten Vergleich regional divergierende
Integrationsleistungen hinsichtlich der Schüler mit besonderen Förderbedarfen zwischen
den Schulsystemen der Gebietskörperschaften. Es wurde aber ebenso deutlich, dass die
Unterschiede auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte nur sehr vorsichtig zu deuten sind,
da Entscheidungen über die Bereithaltung von überregional bedeutsamen Förderzentren
häufig das Ergebnis landesweiter und interkommunaler Koordinierungen sind.
Neben der Analyse regionaler Unterschiede ist es zudem bedeutsam zu schauen, inwiefern
Schüler mit unterschiedlichen Förderbedarfen die Chance erhalten, integrativ beschult zu
werden. Statistische Analysen der Thüringer Forschungs- und Arbeitsstelle für den
Gemeinsamen Unterricht zeigen dahingehend, dass Schüler der Förderschwerpunkte
„emotionale und soziale Entwicklung“ beispielsweise relativ häufig das Regelschulwesen
besuchen, währenddessen insbesondere Schüler mit Förderbedarfen in den Bereichen
„Lernen“ und „geistige Entwicklung“ weitaus häufiger an Förderschulen unterrichtet werden
(vgl. die Abbildung 5.1.1). Hinsichtlich der sozialen Hintergrundmerkmale von Schülern mit
besonderen Förderbedarfen konnte nachgewiesen werden, dass Kinder und Jugendliche aus
sozial benachteiligten Lebenslagen häufiger an Förderschulen lernen, wohingegen
Förderschüler aus sozial privilegierten Familien signifikant häufiger am Gemeinsamen
Unterricht teilnehmen.
54
Abbildung 5.1.1: Verteilung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Schulart 2008
Quelle: Sasse und Schulzeck, 2010
Perspektivisch wäre zudem zu schauen, inwiefern die für das allgemeinbildende Schulsystem
verantwortlichen Akteure von den Wissensbeständen der Akteure des berufsbildenden
Systems, welches bereits seit Jahrzehnten inklusiv geführt wird, profitieren können, damit
die Integrationsleistungen optimiert werden können.
5.1.2 Ausbau und Besuch von Ganztagsangeboten
Eine weitere wichtige Beschreibungsdimension der Integrationskraft von Schulsystemen ist
der quantitative Ausbau des schulischen Ganztags. Als eines der wichtigsten
bildungspolitischen Strukturprogramme der Nach-PISA-Zeit ist die Ganztagsschule mit einer
Vielzahl von Erwartungen konfrontiert. Konnten ihr die angenommene kompetenzfördernde
Wirkung bislang nicht nachgewiesen werden (vgl. Radisch, Klieme und Bos, 2006), ist sie
doch als ein zentraler Baustein für die Realisierung chancengerechter Schulsysteme zu
markieren. So wirkt die intensive Beteiligung an Ganztagsangeboten positiv auf die
Entwicklung der Schulnoten (Kuhn und Fischer, 2011). Weitere förderliche Effekte wurden
auch hinsichtlich der sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen (Steiner, 2011)
sowie der Lernmotivation infolge der Teilnahme an gut strukturierten Angeboten festgestellt
(Fischer, Kuhn und Klieme, 2009). Zudem sind zudem Stärken des ganztäglichen Aufenthalts
in der Schule im Bereich des informellen Lernens auszumachen. Gebundene
Ganztagsangebote gelten dabei tendenziell und dem Anspruch nach als die
55
entwicklungsförderlichste Organisationsform (vgl. Holtappels et al., 2010) in Hinblick auf
Effekte hinsichtlich der Ausbildung von Kompetenzen.
Der quantitative Ausbau schulischer Ganztagsangebote
Diese ausschnittartige Rezeption des Forschungsstands macht deutlich, dass Unterschiede
im quantitativen wie qualitativen Ausbau des schulischen Ganztags zwischen
Gebietskörperschaften zumindest potentiell verschiedenartige Entwicklungs- und
Lernkontexte kennzeichnen. Dabei ist im bundesweiten Ländervergleich für Thüringen im
Jahr 2010 ein relativ hoher Ausbaustand festzustellen: 77,8% aller Schulen in öffentlicher
und privater Trägerschaft sind Ganztagsschulen, dabei ist mit 74,9% an allen
Ganztagsschulen die offene Form die am häufigsten vertretene (Berkemeyer et al., 2013).
Thüringen liegt beim Ganztagsschulanteil mehr als 26%-Punkte über dem Wert für das
gesamte Bundesgebiet.
Dass in Thüringen die meisten Ganztagsangebote in offener Form geführt werden, ist unter
anderem dadurch begründet, dass fast alle Grundschulen diese Form anbieten. Im Schuljahr
2011/12 war dies in 92,3% aller Schulen der Fall. Dabei ist gegenüber 2007/08 eine leichte
Zunahme der gebundenen (+1,5%-Punkte) und teilgebundenen Angebote (+1,3%-Punkte) im
Schuljahr 2011/12 nachzuvollziehen (vgl. Tabelle 5.1.3-Anhang). Generell bieten alle
Grundschulen in Thüringen ganztägige Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten, häufig in
Horten; in den kreisfreien Städten in ca. jedem zehnten Fall in gebundener Form, in den
Kreisen in ca. jedem zwanzigsten Fall.
Im Sekundarbereich sind Ganztagsangebote weniger stark verbreitet. In Thüringen sind das
im Schuljahr 2011/12, über alle Organisationsformen hinweg, 42,5% aller Schulen, was einen
leichten Anstieg gegenüber 2007/08 bedeutet. Die Unterschiede zwischen den einzelnen
Gebietskörperschaften sind teilweise erheblich.
56
Abbildung 5.1.2: Anteile an Schulen mit Ganztagsangeboten an allen Schulen der Sekundarstufe, in den Schuljahren 2007/08 und 2011/12 (in%)
Anmerkungen: Aus Gründen der Sicherung der Anonymität der Einzelschule werden die Gebietskörperschaften Sonneberg sowie die Städte Suhl und Eisenach nicht aufgeführt. In dem Kreis Sömmerda wird keine Sekundarschule mit Ganztagsangebot geführt. Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Beispielsweise differieren die Anteile zwischen dem Kyffhäuserkreis und Jena im Schuljahr
2011/12 um über 45%-Punkte. Im Vergleich zwischen dem städtischen und ländlichen Raum
Thüringens ist festzustellen, dass die Möglichkeit, in Kreisfreien Städten ein
Ganztagsangebot zu nutzen, tendenziell größer ist, betrachtet man den Anteil der Schulen
mit Ganztagsangeboten als relevantes Kriterium. Während in den Städten in fast der Hälfte
aller Schulen ein Ganztagsangebot vorgehalten wird, ist dies in Kreisen nur in 40,8% aller
Schulen der Fall (vgl Abbildung 5.1.2, Tabelle 5.1.4). Hinzu kommt, dass in kreisfreien Städten
anteilsmäßig häufiger die gebundene Organisationsform vorkommt: Sind hier 10,4% aller
Schulen mit gebundenen Ganztagsangeboten ausgestattet, weisen die Kreise einen Wert von
5,1% auf (vgl. Tabelle 4.1.2-Anhang).
Somit kann tendenziell von einer doppelten Benachteiligung des ländlichen Raums
gesprochen werden. Zum einen gibt es hier prozentual gesehen weniger Ganztagsangebote,
und zum anderen finden sie seltener in gebundener Form statt. Aus der
Gerechtigkeitsperpektive erscheint eine gleichmäßigere Verteilung von Ganztagsangeboten
notwendig, bestenfalls soll jeder Schüler, unabhängig vom Wohnort, die Möglichkeit haben,
ein Ganztagsangebot zu nutzen. Ein weiteres, eher arbeits- und familienpolitisches Argument
ist, dass der schulische Ganztag ein Instrument zur Verbesserung der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf darstellt und damit auch zur Erhöhung der Frauenerwerbsquote beitragen
57
kann (BMFSFJ, 2011). Vor diesem Hintergrund kann die Schule mit Ganztagsangebot als ein
zentrales Feld sowohl regionaler Schulentwicklung als auch abgestimmter Bildungs- und
Arbeitsmarktplanung gesehen werden.
Die Nutzung schulischer Ganztagsangebote
Die Potentiale des schulischen Ganztags, insbesondere in sozialintegrativer Hinsicht, wurden
bereits skizziert. Die institutionell verfügbare Infrastruktur sagt aber noch wenig über die
Wahrnehmung der Angebote seitens der Schülerschaft aus. Aufschlüsse hierzu bieten Daten
zur Teilnahme an Ganztagsangeboten.
Im Bundesländervergleich gehört Thüringen im Bezugsjahre 2010 zu denjenigen Ländern, die
eine vergleichsweise hohe Teilnahmequote aufweisen (Berkemeyer et al., 2013). Dabei blieb
der Anteil der Ganztagsteilnehmer zwischen 2009 und 2010 konstant bei 52,6%. Rückläufig
ist dagegen der Anteilswert der Schüler, die gebundene Ganztagsangebote wahrnehmen.
Mit 12,9% aller Schüler der Primarstufe und Sekundarstufe I wies Thüringen im Jahr 2010
einen Wert auf, der 1,5%-Punkte unterhalb des Vorjahreswerts lag. Sollte sich hier auch für
die kommenden Jahre ein Trend abzeichnen, ist zu überlegen, ob hier nicht ein geeignetes
Feld bildungspolitischer Intervention auszumachen ist, da dem gebundenen Ganztag
besondere lernförderliche Potentiale zuzuschreiben sind (vgl. Holtappels et al., 2010) und
mit ihm eine sozialselektive Inanspruchnahme im Prinzip ausgeschlossen wird (vgl. Steiner,
2011).
Bei der Untersuchung der Thüringer Ganztagsangebote auf kleinräumiger Ebene zeigen sich,
sowohl zwischen den Schularten als auch differenziert nach Organisationsform, regionale
Unterschiede. Erwartungsgemäß hoch ist der Anteil der Ganztagsteilnehmer gemessen an
allen Schülern der Grundschulen. Im Analysezeitraum 2007/08 bis 2011/12 ist die
Teilnahmequote in Thüringen um mehr als 11%-Punkte gestiegen, dabei in den Kreisen mit
einem Zugewinn von 22%-Punkten deutlich stärker als in den kreisfreien Städten (+9,1%-
Punkte), wobei in den Städten mit 89,6% noch immer gut 9% mehr Grundschüler im
Schuljahr 2011/12 ein Ganztagsangebote wahrgenommen haben (vgl. Tabelle 5.1.3-Anhang).
Sehr häufig wird der schulische Ganztag dabei in offener Form wahrgenommen, was dadurch
zu erklären ist, dass die Grundschulen mit Horten kooperieren. Thüringenweit besuchen
lediglich 5,7% der Grundschüler ein teilweise oder voll gebundenes Ganztagsangebot, wobei
der Anteil in den kreisfreien Städten (7,8%) über dem der Kreise liegt (5,0%; vgl. Abbildung
5.1.3).
58
Abbildung 5.1.3: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Grundschulen in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
In den Schularten des Sekundarbereichs I fallen die Anteilswerte generell niedriger aus als in
den Grundschulen. Den geringsten Anteilswert im Schuljahr 2011/12 weist hierbei folgende
Kombination auf: Gymnasien in teilweise oder voll gebundener Angebotsform in den Kreisen
Thüringens (vgl. Abbildung 5.1.4). Im städtischen Raum nehmen dagegen rund 10% der
Schülerschaft an gebundenen Ganztagsangeboten teil. Etwas häufiger werden
Ganztagsangebote an Regelschulen in Thüringen wahrgenommen. Über alle
Organisationsformen hinweg liegt der Anteilswert bei 27,1%, in den Kreisen dabei etwas
höher als in den kreisfreien Städten. Wesentlich höhere Anteile in der Teilnahme an
Ganztagsangeboten in der Sekundarstufe I weisen hingegen die beiden Schularten Gesamt-
und Gemeinschaftsschule auf (vgl. Abbildung 5.1.5). Insbesondere an Gemeinschaftsschulen
in kreisfreien Städten ist eine erhöhte Teilnahme zu beobachten. Hier nehmen 88,2% aller
Schüler am schulischen Ganztag teil, 32,1% tun dies in Angeboten teilweise oder voll
gebundener Form. Auch werden wieder recht deutliche Unterschiede zwischen Kreisen und
kreisfreien Städten offenbar. Insgesamt gesehen liegt der Wert der Kreise mit 54,5% über
30%-Punkte unterhalb des Werts der kreisfreien Städten.
75,4 81,8 76,9
5,0 7,8
5,7
0,0
10,0
20,0
30,0
40,0
50,0
60,0
70,0
80,0
90,0
100,0
Kreise Kreisfreie Städte Thüringen
offen teilweise und voll gebunden
59
Abbildung 5.1.4: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Regelschulen und Gymnasien (Sek I) in den Kreisen, Kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Abbildung 5.1.5: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen (Sek I) in den Kreisen, Kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Abschließend ist zu sagen, dass sich innerhalb Thüringens, abseits der eingangs erwähnten
positiven Befunde aus dem Chancenspiegel, deutlichere Differenzen hinsichtlich der
Angebotsnutzung auftun. Wenn in städtischen Gebieten mehr Angebote im Sekundarbereich
bereitstehen, ist auch die Nutzung deutlich höher. Dies wird dadurch verstärkt, dass sich die
anteilsstarken Schularten Gemeinschaftsschule und Gesamtschule vornehmlich in den
kreisfreien Städten konzentrieren. Zu fragen ist, ob mit einer flächendeckenden Versorgung
des ländlichen Raums mit diesen Schularten die Ganztagsnutzung auch im ländlichen Raum
steigen würde, oder aber ob das Nutzungsverhalten entlang der Dimension Kreis/Stadt
generell differiert. Keine Aussagen können zudem darüber getroffen werden, ob vorhandene
Kapazitäten wirklich genutzt werden. Somit muss vorerst offen bleiben, ob nicht etwa in
60
manchen Gebieten einem Teil der Schülerschaft keine Angebote aufgrund ausgereizter
Kapazitäten mehr gemacht werden können. Dies wäre aus Gerechtigkeitsperspektive ein
problematischer Sachverhalt.
Zudem sei generell noch darauf hingewiesen, dass für eine erfolgsversprechende
Ganztagsschulentwicklung die strukturelle Einbindung in Bildungslandschaften förderlich
erscheint (Schalkhaußer und Thomas 2011), da unter diesen Bedingungen größere und
nachhaltigere Vernetzungspotenziale, von denen die Angebotsgestaltung des Ganztags
profitieren kann, bestehen.
5.2 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Durchlässigkeit
In diesem Kapitel geht es um zentrale Prozessstrukturen des Thüringer Schulsystems. Neben
dem Blick auf Prozesse wie Klassenwiederholungen und Übergänge zwischen Schulstufen –
vom Primar- in den Sekundarbereich sowie vom Sekundarbereich I in den Sekundarbereich II
– werden die Schülerverbleibschancen am Gymnasium mittels des
Durchgangsquotenverfahrens sowie die Auf- und Abstiege innerhalb der Sekundarstufe I
betrachtet. Eng verbunden mit den Begriffen der Bildungsübergänge und Schulartwechsel ist
der Begriff der Durchlässigkeit (Bellenberg 2012), wobei im Allgemeinen zwischen der
horizontalen und der vertikalen Durchlässigkeit unterschieden werden kann: Während die
vertikale Durchlässigkeit auf den Wechsel zwischen den Schulstufen abzielt, meint die
horizontale Durchlässigkeit die Möglichkeit der Wechsel zwischen parallelen Bildungsgängen
der Sekundarstufe I (ebd.). Die Durchlässigkeit von Schulsystemen ist eine zentrale
Gerechtigkeitsdimension, da sie Auskunft darüber gibt, wie gradlinig und auf welchem
Niveau Bildungskarrieren verlaufen, oder ob diese vielfach durch Misserfolgserfahrungen
geprägt sind.
5.2.1 Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I
Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schulform stellt eine zentrale
Schanierstelle mit weitreichenden Folgen für den weiteren Bildungsverlauf dar. Nach den
Bestimmungen der KMK (2010) muss jedem Kind seiner Bildungsfähigkeit entsprechend und
unabhängig von der sozialen Herkunft die angemessene Schullaufbahn ermöglicht werden.
Bisherige Forschungsergebnisse verweisen jedoch darauf, dass dieses Ziel oft verfehlt wird
(vgl. zum Überblick Berkemeyer et al. 2013). So rücken neben die Diskussion um eine
möglicherweise zu früh erfolgende Selektion der Schüler leistungsunabhängige,
herkunftsbedingte Ungleichheiten, welche sich sowohl in den Übergangsempfehlungen als
auch in den Übergangsentscheidungen der Eltern wiederspielen (Baumert et al. 2010).
Zudem stellt das zur Verfügung stehende Schulangebot einen weiteren Kontextfaktor dar,
welcher in einem nachweisbaren Zusammenhang mit dem Schulwahlverhalten steht
(Weishaupt 2010). Die Verfügbarkeit von Bildungsangeboten spiegelt sich nach Weishaupt
61
(2012) in standortbedingten Übergangsquoten wider, welche auf eine Tendenz der Wahl
einer Schulart in Abhängigkeit von der Erreichbarkeit schließen lassen. Hierbei werden
jedoch erneut herkunftsbedingte Unterschiede in Form einer milieuabhängigen Nutzung
entfernt gelegener Bildungseinrichtungen sichtbar (ebd.).
Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I wird im Rahmen dieses Kapitels anhand
der Übergangsquoten betrachtet. Diese werden über die Verteilung der Fünftklässler, die im
vorangegangenen Schuljahr noch die Grundschule besucht haben, auf die Schularten der
Sekundarstufe ermittelt. Dadurch ist es möglich, die Nutzung vorhandener Bildungsangebote
darzustellen.
Auf Landessebene verteilt sich die Schülerschaft in der 5. Klasse im Schuljahr 2011/12
hauptsächlich auf die beiden Schularten Regelschule (54,6%) und Gymnasium (43,2%; vgl.
Abbildung 5.2.1). Alternative Schularten, wie die Gesamt- oder Gemeinschaftsschule werden
hingegen nur von insgesamt 2,2% der Fünftklässler besucht. Bei einem Vergleich der
Nutzung der Regelschulen und Gymnasien zwischen den Kreisen und kreisfreien Städte
zeigen sich Differenzen. Während in den Kreisen die Regelschule die hauptsächlich
präferierte Schulart darstellt (50,1%), sind in den kreisfreien Städten höhere
Übergangsquoten auf die Gymnasien (47,6%) sowie Gesamt- (12,8%) und
Gemeinschaftsschulen festzustellen (4,3%). Die vergleichsweise geringeren
Übergangsquoten auf die Regelschule innerhalb der kreisfreien Städte können dabei
möglicherweise der vorherrschenden Schulstruktur bzw. Bereitstellung alternativer
Bildungseinrichtungen geschuldet sein. Dennoch entziehen Gesamt- und
Gemeinschaftsschulen über den Betrachtungszeitraum von 2007/08 bis 2011/12 hinweg
tendenziell eher den Gymnasien der kreisfreien Städte potenzielle Schüler als den
Regelschulen (vgl. Abbildung 5.2.1). Um auf einen kausalen Zusammenhang schließen zu
können, wäre jedoch die Betrachtung der Übergangsquoten vor dem Aspekt sich
verändernder schulstruktureller Begebenheiten über einen längeren Zeitraum nötig.
62
Abbildung 5.2.1: Verteilung der Fünftklässler, die im vorherigen Jahr die Grundschule besucht haben auf die Schularten der Sekundarstufe I, in den Schuljahren 2007/08, 2009/10 und 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeichnet sich im Schuljahr 2011/12
ebenfalls ein heterogenes Bild ab (Tabelle 5.2.1-Anhang). Wendet man sich zunächst den
Übergangsquoten in den kreisfreien Städten zu, zeigt sich, dass das Gymnasium mit
Ausnahme von Gera die höchsten Übergangsquoten aufweist und sich die Regelschule auf
dem zweiten Platz einfindet. Dieses Verhältnis ist möglicherweise den relativ hohen
Übergangsquoten auf die Gesamtschule von 12,4% in der Stadt Erfurt bis hin zu 26,5% in der
Stadt Jena geschuldet. In der Stadt Erfurt sind jedoch über den Betrachtungszeitraum
hinweg steigende Übergangsquoten auf die Regelschule und sinkende Übergangsquoten auf
das Gymnasium festzustellen. In der Stadt Jena hat sich durch die Umstrukturierung der
Schullandschaft das Angebot an Regelschulen über den Betrachtungszeitraum hinweg
deutlich verringert. Im Schuljahr 2012/13 wird keine Schule als Regelschule geführt, sodass
mit einem Anstieg an Schülern in Gesamt- und Gemeinschaftsschulen zu rechnen ist. Die
Verteilung der Fünftklässler steht folglich in einem engen Zusammenhang mit der regionalen
Schulangebotsstruktur.
In den einzelnen Kreisen Thüringens lassen sich beim Übergang in die Sekundarstufe I nur in
einigen Fällen, nämlich dort wo Angebote verfügbar sind, Übergangsquoten auf Gesamt- und
Gemeinschaftsschulen feststellen. Die hauptsächlich präferierten Schularten stellen die
Regelschule und das Gymnasium dar, wobei die höchsten Übergangsquoten zur Regelschule
festzustellen sind. Insbesondere in den Kreisen Hildburghausen (29,6%), Wartburgkreis
63
(35,1%), Kyffhäuserkreis (38%) und dem Ilm-Kreis (38,4%) zeigen sich lediglich geringe
Übergangsquoten auf das Gymnasium. Im Kyffhäuserkreis sowie dem Ilm-Kreis sind die
Übergangsquoten auf das Gymnasium erst seit dem aktuellen Schuljahr und der Einführung
von Gemeinschaftsschulen – bei gleichbleibenden Übergangsquoten zur Regelschule –
gesunken. Auch hier sollte geprüft werden, ob dies mit den neu errichteten
Gemeinschaftsschulen in einem Zusammenhang steht. In den Kreisen Schmalkalden-
Meiningen (GYM= 47,6%, RS= 52,4%), Gotha (GYM= 43,6%, RS= 47,2%), Saalfeld-Rudolstadt
(GYM= 45,5%, RS= 51,5%), Altenburger Land (GYM=48,1%, RS=51,9%) sowie dem Saale-Orla-
Kreis (GYM= 42,3%, RS= 55,1% ) zeigen sich im aktuellen Schuljahr 2011/12 etwa
ausgeglichene Übergangsquoten auf die Regelschule und das Gymnasium bei
Übergangsquoten von 2,6% (Saale-Orla-Kreis) bis hin zu 9,3% (Gotha) auf Gesamt- und
Gemeinschaftsschulen (vgl. Tab. 5-2-1-Anhang).
Ein Vergleich der Verteilung der Schüler auf die Schularten der Sekundarstufe I verweist auf
Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen, welche gegebenenfalls auf die
vorhandenen Schulstrukturen zurückzuführen sind. Während in den Kreisen die Regelschule
die am häufigsten präferierte Schulart darstellt, gilt selbiges für die Gymnasien in den
kreisfreien Städten. Die Einführung von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen führt jedoch in
den Kreisen mit Gesamt- oder Gemeinschaftsschulangebot zu einer Quotenabnahme
hinsichtlich des Übergangs auf die Regelschule und in den kreisfreien Städten zu einer
Abnahme der Übergangsquoten zum Gymnasium.
5.2.2 Auf- und Abwärtswechsel innerhalb der Sekundarstufe I
Neben den Übergangsmöglichkeiten der Schüler im Anschluss an bestimmte Schulstufen,
wie dem Übergang von der Primarstufe in die Bildungsgänge der Sekundarstufe I oder dem
Übergang in die Sekundarstufe II (gymnasiale Oberstufe), sind im Schulsystem auch Wechsel
der Schüler zwischen den weiterführenden Bildungsgängen innerhalb der Sekundarstufe I
möglich. Mit diesem sogenannten Schulartwechsel in parallel verlaufende Bildungsgänge
wird die horizontale Durchlässigkeit eines Schulsystems „nach oben“ bzw. „nach unten“
markiert. Die Wechsel zu Schularten mit höher qualifizierenden Schuhlabschlüssen werden
als „Aufstiege“ und Wechsel zu Schularten mit niedriger qualifizierenden Schulabschlüssen
als „Abstiege“ gekennzeichnet. Schulartwechsel können Rückschlüsse auf den Grad der
Selektivität des gegliederten Schulsystems liefern, insbesondere dann, wenn sich die
Wechsel der Schüler eines Systems mehrheitlich in Form von „Abschulungen“ zu
anspruchsniedrigeren Bildungsgängen äußern (Abstiege). Derartige Korrekturen werden in
erster Linie mit den, vom jeweiligen schulartbezogenen Anspruchsniveau abweichenden
schulischen Leistungen der Schüler begründet.
In Deutschland vollziehen sich die Schulartwechsel von Schülern nach wie vor überwiegend
als Abstiege in anspruchsniedrigere Schularten. Darauf verweisen die Befunde der Studie
64
„Schulformwechsel in Deutschland“ von Gabriele Bellenberg (2012). Gemäß dieser haben im
Schuljahr 2010/11 knapp 100.000 Schüler zwischen der 5. und 10. Klasse einen
Schulformwechsel vorgenommen (vgl. Bellenberg 2012, S.6). Die Aufstiegschancen in den
Schulsystemen Deutschlands sind dabei sehr gering: Während es lediglich 27,4% der
Schulartwechsler gelingt, im Verlauf der Sekundarstufe I von einer anspruchsniedrigeren
Schulart innerhalb des Systems „aufzusteigen“, wird mit rund 58,4% mehr als die Hälfte der
wechselnden Schüler abgeschult.15 Die Spanne der Schulartwechslerquote der Bundesländer
in demselben Jahr reicht dabei von 6,1 % (Bremen) bis zu 1,3% (Baden-Württemberg).
Thüringen verzeichnet ausgehend von insgesamt 81.488 Schülern 1.816 Wechsler, was einer
Wechslerquote von 2,2% entspricht (vgl. ebd. 2012). Damit nimmt Thüringen eine
vergleichsweise mittlere Position im Ländervergleich ein.
In diesem Abschnitt wird sich dem Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtswechsler in den
Jahrgangsstufen 6. bis 9. der Sekundarstufe I an Gymnasien und Regelschulen
nachgegangen.16 Dadurch ist es möglich, Aussagen über die horizontale Mobilität innerhalb
des Thüringer Schulsystems zu tätigen. In Thüringen stehen im Schuljahr 2011/12 131
Aufwärtswechsler 756 Abwärtswechsler gegenüber (Tabelle 5.2.2- Anhang). Diese Anzahl der
auf- und absteigenden Schüler Thüringens entspricht einem Verhältnis von 5,8
Abwärtswechseln, die auf einen Aufwärtswechsel vollzogen werden. (vgl. Tabelle 5.2.3).
Gegenüber dem Schuljahr 2007/08 sind die Anteile der Abwärtswechsel aktuell leicht
angestiegen, was sich in dem Verhältnis zwischen Auf- und Abwärtswechslern widerspiegelt:
Im Schuljahr 2007/08 stehen 5,1 Abwärtswechsel einem Aufwärtswechsel gegenüber.
Folglich nimmt die Regelschule des Thüringer Schulsystems in einem steigenden Maße
Gymnasialabsteiger auf. Diese thüringenweite Entwicklung lässt sich im Schnitt
gleichermaßen für die Kreise wie auch für die kreisfreien Städte beobachten. In beiden
Jahren ist jedoch die Anzahl der Abwärtswechsel bezogen auf einen Aufwärtswechsel in den
kreisfreien Städten durchschnittlich größer. Stehen in den kreisfreien Städten im Schuljahr
2011/12 einem Aufsteiger 7,7 absteigende Schüler gegenüber (2007/08: 6,8), erleben in den
Kreisen im gleichen Jahr 5,4 Schüler einen Abwärtswechsel (2007/08: 4,7) (vgl. Tabelle
5.2.3).
Auch auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte übersteigt die Anzahl der Abwärtswechsel
in jeder Gebietskörperschaft die Anzahl der Aufwärtswechsel. Von allen Kreisen und
kreisfreien Städten zeigt sich Sömmerda im Schuljahr 2011/12 zudem als einzige
15
Die übrigen 14,1% vollzogenen Wechsel in der gesamten Bundesrepublik Deutschland äußern sich als „Umstiege“, da hier die Richtung der Mobilität nicht eindeutig feststellbar ist bzw. das Anspruchsniveau der aufnehmenden Schulart dem der abgebenden nicht zugeordnet werden kann. 16
Die Beschränkung auf die Auf- und Abstiege zwischen den Gymnasien und Regelschulen erfolgt aufgrund der gegebenen Eindeutigkeit eines Auf- bzw. Abwärtswechsels bezüglich des abschlussrelevanten Anspruchsniveaus, welcher bei einem Wechsel zwischen Gymnasien/Regelschulen und Gesamt- und Gemeinschaftsschulen nicht geben ist
65
Gebietskörperschaft, in welcher trotz der vergleichsweise mittleren Anzahl der
Abwärtswechsel von 36 Schülern der Jahrgangsstufe 6 bis 9 kein aufwärtsgerichteter
Übergang von der Regelschule auf das Gymnasium erfolgte (vgl. Tabelle 5.2.2-Anhang).
Betrachtet man für die Schuljahre 2007/08 sowie 2011/12 die Abstiegsmobilität von
Gymnasiasten der Jahrgangsstufe 6 bis 9 auf die Regelschule in den Gebietskörperschaften,
so fallen zum Teil erhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Kreisen und kreisfreien
Städten auf, aber auch stärkere jährliche Schwankungen des Wechselverhältnisses innerhalb
einer Gebietskörperschaft werden sichtbar (vgl. Tabelle 5.2.3). Mit den häufigsten Abstiegen
vom Gymnasium auf die Regelschule zu einem Aufwärtswechsel sehen sich im Schuljahr
2011/12 die Schüler der Gebietskörperschaften Gotha (30) gefolgt von Saalefeld-Rudolstadt
(25,5) und der kreisfreien Stadt Gera (19) konfrontiert, obwohl diese im Jahr 2007/08 noch
deutlich geringere Wechselverhältnisse von 9,5 (Gotha) und 3,2 (Saalfeld-Rudolstadt)
aufwiesen. Die wenigsten Gymnasialabsteiger im Verhältnis zu einem Gymnasialaufsteiger
gibt es im Unstrut-Hainich-Kreis(2,5), Saale-Holzland-Kreis (2,8) und in Eichsfeld (2,8).
Insgesamt können bezüglich des Schulartwechsels zwischen der Regelschule und dem
Gymnasium in Thüringen geringe Aufstiegschancen von Schülern im allgemeinbildenden
Schulsystem beobachtet werden. Die im Vergleich zu den Abwärtswechseln geringen
Aufwärtswechsel, welche in allen Gebietskörperschaften feststellbar sind, lassen im Rahmen
der horizontalen Durchlässigkeit die Schulartwechsel als ein schulisches Reglement zur
Korrektur der Schüler „nach unten“ erscheinen. Die Abwärtsmobilität von Gymnasiasten
innerhalb der Sekundarstufe auf die Regelschule unterscheidet sich in den Kreisen bzw.
kreisfreien Städten zum Teil so erheblich, dass sich Schüler einer Gebietskörperschaft mit
höheren Anteilen an Gymnasialabstiegen im Vergleich zu einer Gebietskörperschaft mit
einem geringeren Wechselanteil bis zu zwölfmal häufiger mit einem Abwärtswechsel auf die
Regelschule konfrontiert sehen (vgl. Tabelle 5.2.3). Die geringe horizontale Durchlässigkeit
nach oben kann in der pädagogischen Tradition einer stärkeren leistungsbezogenen
Defizitorientierung als einer Stärkenorientierung begründet liegen. Aber auch fehlende
offene Regelungen für einen Aufwärtswechsel von Schülern können hierfür ursächlich sein
(vgl. Bellenberg 2012). So wird die Notwendigkeit schulartbezogener Abstiege von Schülern
anhand von Notenkriterien und Nichtversetzungen geprüft, wohingegen in Thüringen keine
zwingenden Regelungen für das Verfahren mit überdurchschnittlichen Leistungen, die einen
Aufstieg legitimieren, existieren.
66
Tabelle 5.2.3: Anzahl der Abwärtswechsel von Schülern der Gymnasien zu Regelschulen in den Jahrgangsstufen 6 bis 9 im Verhältnis zu einem Aufwärtswechsel, in den Schuljahren 2007/08 und 2011/12
Kreis/ kreisfreie Stadt
Anzahl der Abwärtswechsel im Verhältnis zu einem Aufwärtswechsel 2007/08 2011/12
Stadt Erfurt 4,4 4,2
Stadt Gera - 19
Stadt Jena 16 X
Stadt Suhl X X
Stadt Weimar 3,4 8
Stadt Eisenach - 18
Eichsfeld 5,1 2,8
Nordhausen 7,2 7,5
Wartburgkreis 4 8,4
Unstrut-Hainich-Kreis 4,2 2,5
Kyffhäuserkreis 2,4 6,8
Schmalkalden-Meiningen 5,1 4,2
Gotha 9,5 30
Sömmerda 6,5 -
Hildburghausen X X
Ilm-Kreis 8,4 15
Weimarer Land 1,3 7
Sonneberg X X
Saalfeld-Rudolstadt 3,2 25,5
Saale-Holzland-Kreis 1,5 2,8
Saale-Orla-Kreis 3,8 3,2
Greiz 6 3,6
Altenburger Land 15,5 5,2
Kreise 4,7 5,4
Kreisfreie Städte 6,8 7,7
Thüringen 5,1 5,8 Anmerkungen: Um die Anonymität der Einzelschule zu wahren, wurden die Werte in Kreisen/kreisfreien Städten, bei denen eine Mindestanzahl von drei Gymnasien nicht erreicht wird, entfernt und mit einem X ersetzt. Für das Schuljahr 2011/12 sind für den Kreis Sömmerda keine Berechnungen aufgrund fehlender Angaben möglich, dies wird durch ein – gekennzeichnet. Quelle: Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, eigene Berechnungen.
5.2.3 Klassenwiederholungen
Das Instrument der Klassenwiederholung wird in der aktuellen Bildungsforschung kontrovers
diskutiert und der pädagogische Nutzen dieser Maßnahme eher skeptisch eingeschätzt.
Befunde deuten zum einen darauf hin, dass Klassenwiederholungen sowohl negative als
auch positive Auswirkungen auf die schulische Motivation der Schüler haben können und
zum anderen weder mittel- noch langfristige Leistungsverbesserungen festzustellen sind
(Klemm 2009, Berkemeyer et al. 2013). Zudem verzögert sich durch Klassenwiederholungen
die Schulzeit und somit der Eintritt in den Arbeitsmarkt und verursacht einen erheblichen
Mehraufwand im Bildungsbereich (ebd.).
Die allgemeine bildungspolitische Forderung der Reduktion von Klassenwiederholungen
schlägt sich derweil in den Schulgesetzen einiger Bundesländer (z.B. Hamburg) nieder, wobei
insbesondere der Ausbau des schulischen Ganztagsangebotes als ein geeignetes Instrument
67
zur Verringerung der Klassenwiederholungen angesehen wird (Berkemeyer et al. 2013).
Gestützt wird dies durch die Ergebnisse der StEG-Studie, welche darauf verweisen, dass die
dauerhafte Nutzung von Ganztagsangeboten dem Risiko einer Klassenwiederholung
entgegenwirkt.
Der Anteil an Klassenwiederholungen (je Schulart/Schulstufe) wird an der Anzahl aller
Schüler (je Schulart/Schulstufe) gemessen. Im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 haben
insgesamt 1,6% aller Schüler der Sekundarstufe I (5.-9-Klassenstufe) in Thüringen das
Schuljahr wiederholt (vgl. Tabelle 5.2.4). Im Vergleich zum Schuljahr 2007/08, in welchem
der Anteil noch bei 2,3% lag, ist somit eine Abnahme an Klassenwiederholungen in
Thüringen festzustellen.
Tabelle 5.2.4: Anteil an Klassenwiederholungen nach Schularten des allgemeinbildenden Schulsystems in den Klassen 5-9 und den Schuljahren 2007/08 bis 2011/12 (in %)
Klassen- wiederholungen
2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12
in % in % in % in % in %
Regelschule
Kreise 3,3 2,9 2,9 2,3 2,2
Kreisfreie Städte 4,7 3,6 3,9 2,6 2,7
Thüringen 3,5 3,0 3,1 2,4 2,3
Gesamtschule
Kreise X X X X X
Kreisfreie Städte 2,3 2,2 1,5 1,6 1,9
Thüringen 2,4 2,4 1,7 1,5 1,9
Gemeinschaftsschule
Kreise - - - - 1,6 Kreisfreie Städte - - - - 2,7
Thüringen - - - - 2,2
Gymnasium
Kreise 0,7 0,6 0,8 0,8 0,8
Kreisfreie Städte 1,1 0,9 1,0 0,9 0,7
Thüringen 0,8 0,7 0,8 0,8 0,8
insgesamt
Kreise 2,2 2,0 2,0 1,7 1,6
Kreisfreie Städte 2,6 2,1 2,1 1,6 1,6
Thüringen 2,3 2,0 2,0 1,6 1,6 Anmerkungen: Aufgrund der Einführung der Gemeinschaftsschulen zum Schuljahr 2011/12 sind Berechnungen für die vorangegangenen Jahre nicht möglich, dies wird durch ein Minuszeichen (-) gekennzeichnet; die Anzahl an Gesamtschulen in Kreisen unterschreitet die Mindestanzahl von drei Einzelschulen (=X). Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Dieser Befund ist auch auf die einzelnen Schularten, mit Ausnahme des Gymnasiums,
übertragbar. Wird zunächst das Gymnasium betrachtet, so sind auf der Ebene von Thüringen
über den gesamten Betrachtungszeitraum von 2007/08 bis 2011/12 konstant geringere
Wiederholerquoten (0,8%) als an anderen Schularten festzustellen. Die meisten
Klassenwiederholungen werden mit 2,3% an der Regelschule vollzogen. Doch auch
68
diesbezüglich muss angemerkt werden, dass sich der Anteil seit dem Schuljahr 2007/08
verringert hat. Auch der Anteil an Klassenwiederholungen an den Gesamtschulen sinkt seit
dem Schuljahr 2007/08 von 2,4% auf 1,9% im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 (Tabelle 5.2.4).17
Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften Thüringens ist aus Gründen der
Sicherung der Anonymität der Einzelschule die Betrachtung lediglich getrennt nach den
Regelschulen und Gymnasien möglich. Die eingangs dargestellten Differenzen in der Höhe
der Wiederholeranteile zwischen den Schulformen lassen sich dabei flächendeckend für alle
Kreise und kreisfreien Städte feststellen (vgl. Tabelle 5.2.5-Anhang). Dennoch bestehen
deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften. Die
Wiederholeranteile an Regelschulen erstrecken sich dabei im Schuljahr 2007/08 von 2,0% in
der Stadt Jena sowie dem Kyffhäuserkreis bis hin zu 5,6% in der Stadt Gera und 5,5% in der
Stadt Weimar. Bei einem Vergleich der Schuljahre 2007/08 und 2011/12 sind mit Ausnahme
des Unstrut-Hainich-Kreises, welcher eine Quotenzunahme zu verzeichnen hat (+1,9%),
Abnahmen in der Wiederholerquote festzustellen. Dabei sind insbesondere die deutlichen
Anteilsverluste in den Kreisen Saale-Holzland-Kreis (2007/08: 3,5%; 2011/12: 1,0%), dem
Weimarer Land (2007/08: 5,0%; 2011/12: 2,1%) und dem Ilm-Kreis (2007/08: 4,0%; 2011/12:
1,7%) als erfreulich anzuführen. Dennoch muss hier angemerkt werden, dass sich ein
sinkender Trend auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften nur teilweise
wiederspiegelt. Das Bild der Klassenwiederholungen ist vielmehr mehr oder weniger
deutlichen Schwankungen innerhalb der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte unterlegen.
Selbiges ist für die Wiederholeranteile an den Gymnasien zu konstatieren. Die Spanne reicht
dabei im Schuljahr 2007/08 von 0% im Saale-Holzland-Kreis bis hin zu 1,7% in der Stadt
Eisenach und im Schuljahr 2011/12 von 0,2% im Weimarer Land bis hin zu 2,2% in Sonneberg
(vgl. Tabelle 5.2.5-Anhang).
In der Sekundarstufe I (5.-9. Klassenstufe aller Schularten) sind insgesamt betrachtet
flächendeckende Quotenabnahmen festzustellen, wenngleich die Höhe der Anteile den
einzelnen Gebietskörperschaften divergiert (vgl. Tabelle 5.2.6-Anhang). Am deutlichsten sind
die Veränderungen zwischen 2007/08 und 2011/12 im Weimarer Land (-1,9%) sowie dem
Ilm-Kreis (-1,5%). Einzig im Unstrut-Hainich-Kreis ist eine Quotenzunahme von 0,9%
festzustellen.
Mit Blick auf die Sekundarstufe II sind die Anteile sowohl in Thüringen als auch den Kreisen
und kreisfreien Städten deutlich höher als in der Sekundarstufe I, jedoch ebenso im
Vergleich der Schuljahre 2007/08 mit 2011/12 gesunken: Während in den Kreisen im
Schuljahr 2011/12 2,3% und in den kreisfreien Städten 3,1% der Schüler eine Klasse
wiederholen mussten, zeigt sich zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften eine weite
Spanne von 0,7% im Saale-Orla-Kreis bis hin zu 5,4% im Kreis Sömmerda. Aber auch in der
17
Im selben Zeitraum steigt der Anteil an Gesamtschulen mit Ganztagsangebot von 66,7% im Schuljahr 2007/08 auf 73,3% im Schuljahr 2011/12.
69
kreisfreien Stadt Eisenach wiederholen im Schuljahr 2011/12 4,5% der Schüler eine
Klassenstufe (vgl. Tabelle 5.2.6-Anhang).
Die dargestellten Befunde zum Gebrauch des Instruments der Klassenwiederholung zeigen
auf Länderebene zwar eine Abnahme der Anwendungshäufigkeit, dennoch kann von keinem
gradlinigem Trend gesprochen werden. Vielmehr verweisen die jährlich schwankenden
Anteilswerte der einzelnen Regionen, Schularten und Schulstufen auf einen heterogenen
Gebrauch der Klassenwiederholung als pädagogische Maßnahme.
5.2.4 Verbleibschancen der Schüler an Gymnasien
Neben den Schulartwechseln und Klassenwiederholungen ist die Betrachtung der
Schülerverbleibschancen im Gymnasium hinsichtlich der Aussagekraft über die horizontale
Durchlässigkeit des Schulsystems von großem Interesse (vgl. hierzu auch Berkemeyer et al.
2013). Mehrere Studien verweisen auf zum Teil deutliche Schülerzahlverluste im Verlauf der
Sekundarstufe I (vgl. Hillebrand 2012, Rösner 2005, Bellenberg 2012), welche
möglicherweise auf verspätete Selektionsleistungen der Gymnasien zurückzuführen sind
(vgl. Schümer et al. 2002). Umgekehrt lassen sich unter bestimmten Bedingungen, wie z.B.
demografischen Veränderungen, aber auch Selbsterhaltungstendenzen von Schulen
feststellen, welche sich darin äußern, dass Gymnasien vermehrt Schüler aufnehmen, die bei
größeren absoluten Schülerzahlen nicht berücksichtigt worden wären und seltener zur
Abschulung tendieren (Rösner & Stubbe 2008; Gomolla & Radtke 2009; Berkemeyer et al.
2013).
Die Haltekraft der Gymnasien, oder auch Verbleibschancen der Schülerinnen und Schüler,
wird nachfolgend anhand des Durchgangsquotenverfahrens ermittelt.18 Das
Durchgangsquotenverfahren hält dabei zwei Möglichkeiten zur Feststellung von
Schülerzahlenveränderungen bereit: Zum einen die Berechnung der realen
Schülerzahlenveränderungen (reale Erreichbarkeitswahrscheinlichkeit) durch die
Betrachtung eines Eingangsjahrganges bis zur 9. Klassenstufe fünf Jahre später; Zum anderen
die Betrachtung eines virtuellen Längsschnitts auf Grundlage von Durchschnittswerten der
letzten vier Schuljahre, hier von 2008/09 bis 2011/12 (Rösner 2003).19. Dieses Verfahren gibt
Auskunft über die aktuellen Schülerzahlveränderungen an den Gymnasien, die im Folgenden
für die einzelnen Gebietskörperschaften berichtet werden. Für jeden Jahrgangswechsel wird
dabei eine Durchgangsquote gebildet, die das Verhältnis der Schülerzahl einer bestimmten
Jahrgangsstufe zur Schülerzahl in der nachfolgenden Jahrgangsstufe im darauffolgenden
Schuljahr ausdrückt. Die vier Durchgangsquoten bis zur 9. Jahrgangsstufe miteinander
multipliziert ergeben die virtuelle Erreichbarkeitswahrscheinlichkeit, der die genaue
18
Als Gymnasien mit hohen Verbleibschancen werden in Anlehnung an Hillebrand (2012) jene verstanden, welche im Verlauf der Sek I nur einen geringen Schüleranteil verlieren. Im Umkehrschluss gilt ein Gymnasium mit einem hohen Schülerverlust als ein Gymnasium mit einer niedrigen Verbleibschance. 19
Dabei stehen die demografisch bedingten Schuleintrittszahlen sowie die Analyse von Bildungskarrieren im Hintergrund (vgl. Rösner 2005).
70
Größenordnung der Schülerzahlveränderung im Verlauf der Sekundarstufe I entnommen
werden kann. Berechnet wird stets jedoch nur der Saldo aus Zu- und Abgängen. Um den
Einfluss der Aufnahmepraxis zu minimieren, wurden die Zugänge in die Gymnasien je
Klassenstufe mit den absoluten Schülerzahlen verrechnet. Trotz dieser Bereinigung sind
Aussagen aufgrund der Ergebnisse mit Vorsicht zu treffen, da nur ein kurzer
Betrachtungszeitrum (von vier Jahren) in die Berechnungen einfließt und aktuelle
schulstrukturelle Veränderungen Einfluss sowohl auf das Nutzungsverhalten der
Bevölkerung als auch auf den Selbsterhaltungswunsch der Gymnasien ausüben können
(Berkemeyer et al. 2013).
Nach Bellenberg (2012) verzeichnen die Thüringer Gymnasien durchschnittlich eine
fünfprozentigen Verlust an Schülern im Verlauf der Sek I und Regel- sowie Gesamtschulen im
Gegenzug Schülerzuwächse (Bellenberg 2012). Das Gymnasium stellt jedoch trotz der
deutlich geringeren Aufnahmequoten von Schulartwechslern, im Vergleich zu Regel- oder
Gesamtschulen, keine reine abgebende Schulart dar. So stellt Bellenberg (2012) heraus, dass
in den Jahrgangsstufen 5 und 6 im Vergleich zu anderen Bundesländern vergleichsweise
hohe Aufnahmequoten festzustellen sind (je 1,9%), und in den höheren Jahrgängen (ab der
8. Klassenstufe) hingegen lediglich geringe Wechsel zum Gymnasium zu verzeichnen sind.
Dieser Sachverhalt kann jedoch auch auf die rechtliche Bedingungen zurückgeführt werden,
da ein Wechsel zu diesem Zeitpunkt nur von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen möglich ist
(ebd.).
Durch die Bereinigung des virtuellen Durchgangsquotenverfahrens mittels der Verrechnung
von Zugängen kann in Thüringen insgesamt eine Durchgangswahrscheinlichkeit von der 5.
bis zur 9. Klassenstufe von 82% festgestellt werden, welche sich durch die Multiplikation der
Durchgangsquoten der einzelnen Jahrgänge ermitteln lässt (vgl. Tabelle 5.2.7-Anhang)20.
Insgesamt verlassen somit 17,5% der Schülerschaft das Gymnasium vorzeitig in der
Sekundarstufe I.
Bei einem Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte zeigt sich, dass die Anteile an
vorzeitigen Abgängern mit 20% in den kreisfreien Städten höher sind als in den Kreisen
(16,6%) und zudem deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften
bestehen.
Werden zunächst die kreisfreien Städte betrachtet, so reicht die Spanne der
Schülerzahlenverluste von -14,9% in der Stadt Gera bis hin zu -24,2% in der Stadt Erfurt. Die
Gymnasien in Gera (ebenso auch in Jena) weisen demnach eine höhere Haltekraft auf als die
Gymnasien der Stadt Erfurt. Wird der große Umfang des alternativen Schulangebots in der
Stadt Jena mit betrachtet, so können darin mögliche Hinweise auf einen
Selbsterhaltungswunsch der Gymnasien und somit dem geringeren Gebrauch der
20
Bezüglich der absoluten sowie bereinigten Schülerzahlen sei hier auf die Tabelle 5.2.8a-g verwiesen.
71
Abschulungen gesehen werden. Diesbezüglich besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf,
um die genauen Ursachen zu identifizieren.
Zwischen den einzelnen Kreisen Thüringens lassen sich ähnliche Differenzen feststellen:
Während in den Kreisen Saalfeld-Rudolstadt und dem Saale-Holzland-Kreis vergleichsweise
geringe Schülerzahlenverluste von je 12,7% festzustellen sind, belaufen sich die Verluste in
den Kreisen Weimarer Land und Ilm-Kreis auf vergleichsweise hohe -25,1% bzw. -20,1% (vgl.
Tabelle 5.2.7-Anhang).
Die dargestellten Befunde verdeutlichen das Bild des Gymnasiums als eine in großem Maße
abgebende Schulart. Auf welche Mechanismen dies im Einzelnen zurückgeführt werden
kann, vermag in dieser Expertise nicht abschließend geklärt zu werden. Die Homogenisierung
der Schülerschaft nach Leistungsgesichtspunkten oder aber die Umorientierung von Eltern
aufgrund alternativer Schularten, wie die Gesamt- und Gemeinschaftsschule, wären
mögliche Erklärungsfaktoren für die zum Teil deutlichen Schülerzahlenverluste. Dennoch sei
hier auf den dringenden Bedarf an weiterer Forschung verwiesen, um Ursachen und
Mechanismen adäquat zu ergründen.
5.2.5 Die Zusammensetzung des Eingangsjahres der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien
Neben dem Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I sowie Schulartwechseln
innerhalb der Sekundarstufe I ist der Übergang in die Sekundarstufe II des
allgemeinbildenden Schulsystems möglich. Dabei besteht zum einen die Möglichkeit des
Schulartverbleibs, wenn der Schüler zuvor bereits das Gymnasium oder aber die Gesamt-
/Gemeinschaftsschule mit dem Angebot der gymnasialen Oberstufe besucht hat, zum
anderen die Möglichkeit des Aufwärtswechsels von der Regelschule in die Oberstufe an
Gymnasien sowie zu gymnasialen Angeboten der berufsbildenden Schulen (Berkemeyer et
al. 2013).
In diesem Kapitel wird die Zusammensetzung der Schülerschaft in der 10. Klassenstufe der
gymnasialen Oberstufe der Gymnasien nach schulischer Herkunft der Schüler dargestellt.
Zunächst werden jedoch die Übergangsregelungen in die Sekundarstufe II kurz erläutert: Die
reguläre Oberstufe an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen beginnt mit der
Einführungsphase in der 10. Klassenstufe und endet nach einer zweijährigen
Qualifikationsphase (TMBWK 2012). Schülern der Regelschule wird die Möglichkeit eröffnet,
nach Erwerb des Realschulabschlusses in die gymnasiale Oberstufe an Gymnasien
überzutreten, sofern sie in den Fächern Deutsch, Mathematik, der ersten Fremdsprache
sowie dem Wahlpflichtfach mindestens die Note ‚gut‘ erhalten haben.21 Andernfalls besteht
die Möglichkeit an einer Aufnahmeprüfung teilzunehmen. Schüler mit Realschulabschluss
beginnen die gymnasiale Oberstufe an Gymnasien ebenfalls in der 10. Klassenstufe, sodass
sie die Hochschulreife nach 13 Schuljahren absolvieren können (ebd.).
21
Dies ist ein eher problembehaftetes Verfahren, da die Vergabe von Zensuren nicht als hinreichend valide gilt.
72
Die traditionelle zweigliedrige Schulstruktur Thüringens, mit einer nicht zum Abitur
führenden Schulart, führt nach Bellenberg (2012) sowohl zu einer geringeren horizontalen
als auch zu einer geringeren vertikalen Mobilität. So setzt sich die Schülerschaft in der
Eingangsphase der gymnasialen Oberstufe in den Ländern mit einem zweigliedrigen
Schulsystem, wie Sachsen (98,1%), Sachsen-Anhalt (98,6%) und Thüringen (93,9%),
hauptsächlich aus Schülern zusammen, die bereits in der Sekundarstufe I das Gymnasium
besucht haben (ebd., S.15).
Analog zu den Befunden von Bellenberg (2012) wird ersichtlich, dass sich die gymnasiale
Oberstufe Thüringens zu bedeutenden Anteilen aus der Schülerschaft der Gymnasien
zusammensetzt und diese Anteile über den Betrachtungszeitraum hinweg sowohl in den
Kreisen als auch in den kreisfreien Städten zugenommen hat (vgl. Tabelle 5.2.9-Anhang). So
beträgt der Anteil im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 in den Kreisen 94,8% und in den
kreisfreien Städten 96,1%. Schüler aus anderen Schularten machen folglich lediglich einen
kleinen Anteil der Schülerschaft in der Sekundarstufe II an Gymnasien aus, welcher in den
kreisfreien Städten von 9% im Schuljahr 2007/08 auf 4% bis 5% im Schuljahr 2011/12
gesunken ist.
Im Vergleich der Anteile an Regelschülern in der gymnasialen Oberstufe der
Gebietskörpereinheiten zeigt sich, dass der Anteil in den Kreisen etwas höher ist.
Diesbezüglich könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass Schüler in den kreisfreien
Städten über ein größeres Angebot an Gesamt- und Gemeinschaftsschulen verfügen und
zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nicht zwingend das Gymnasium besuchen
müssen.
Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeigen sich jedoch deutliche regionale
Disparitäten hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft (vgl. Tabelle 5.2.9-
Anhang). Werden die Anteile an Gymnasiasten in der Oberstufe des Schuljahres 2011/12 der
kreisfreien Städte betrachtet, so besteht eine Differenz von 9,7%-Punkten zwischen dem
Anteil in der Stadt Gera (89,4%) und jenem in der Stadt Weimar (99,1%). Die gymnasiale
Oberstufe in Gera setzt sich dabei zu 9,5% aus ehemaligen Schülern der Regelschule
zusammen und erweist sich dadurch als durchlässiger als z.B. die Oberstufe in Weimar.
Auch zwischen den Kreisen Thüringens lässt sich eine weite Spanne von 88,0% im Ilm-Kreis
bis hin zu 99,5% im Kyffhäuserkreis feststellen. Während die Oberstufe in einigen Kreisen
somit fast vollständig durch die eigene Schülerschaft rekrutiert wird, setzt sich die
Schülerschaft der gymnasialen Oberstufe in anderen Kreisen, so auch im Eichsfeld (11,7%)
und im Saale-Holzland-Kreis (11,8%), aus vergleichsweise hohen Anteilen an Schülern
anderer Schularten zusammen. Ein möglicher Erklärungsfaktor wäre auch diesbezüglich der
Selbsterhaltungstrieb der Gymnasien.
Gemeinsam ist den Gebietskörperschaften Thüringens die primäre Aufnahme der
Schülerschaft aus den Gymnasien und nachfolgend den Regelschulen. Lediglich in der
73
kreisfreien Stadt Jena (2,6%) sowie dem Kreis Sonneberg (2,4%) stammt ein
erwähnenswerter Anteil an Schülern der Oberstufe aus Gesamtschulen und sonstigen
Schulen (vgl. Tabelle 5.2.9-Anhang).
5.2.6 Neuzugänge in das berufsbildende System nach schulischer Vorbildung
Nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule sind die nachfolgenden
Bildungsmöglichkeiten vielfältig. Eine für viele Schüler zentrale Anschlussstelle ist hierbei das
beruflich qualifizierende Schulsystem. Dieses gliedert sich nach einer gängigen Definition in
das Duale System, das Schulberufssystem sowie das Übergangssystem (Baethge, 2008).
Während das Duale System und das Schulberufssystem vollqualifizierende berufliche
Abschlüsse vermitteln, ist das Übergangssystem vielmehr ein Angebot für Schüler, die
aufgrund spezifischer Gründe (z.B. fehlender Hauptschulabschluss) keine Ausbildungsstelle
finden und sich übergangsweise in berufsvorbereitenden Maßnahmen wiederfinden. In
Thüringen führt im Rahmen der Dualen Ausbildung die Berufsschule gemeinsam mit der
betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildung zur beruflichen Qualifikation. Das
Schulberufssystem wird über die höhere Berufsfachschule abgebildet, währenddessen das
Übergangssystem in Thüringen in Form des Berufsvorbereitungsjahrs (BVJ) sowie dem
Schulversuch „Einsteigsqualifizierung Plus“ (EQ-Plus) besteht. Die Chance auf eine
Ausbildungsstelle im Dualen oder schulischen Berufsbildungssystem, bzw. das Risiko des
Übertritts in das Übergangssystem ist nachgewiesenermaßen abhängig von der schulischen
Vorbildung (vgl. Berkemeyer et al. 2013) und lässt sich somit gerechtigkeitsfokussiert
beleuchten.
Tabelle 5.2.10 gibt Auskunft darüber, wie sich die Neuzugänge, erfasst über den höchsten
allgemeinbildenden Schulabschluss, innerhalb der Kreise, kreisfreien Städte und Thüringen
im Jahr 2011 auf die drei Sektoren verteilen. Zu erkennen ist eine deutliche
Ungleichverteilung der neu eingemündeten Schüler nach Abschlussart auf die drei Sektoren.
Während inbesondere Schüler ohne einen Hauptschulabschluss in das o.g. Übergangssystem
übergehen, bleibt der Weg in einen Bildungsgang, der eine Ausbildung im Schulberufssystem
oder im dualen System bedeutet, für die diese Schüler zumeist verschlossen. In dem
Schulberufssystem, das auf die Ausbildung in Berufen des Dienstleistungssektors – oben
beispielweise erfasst als soziale, medizinische oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten – abzielt,
findet sich im Jahr 2011 thüringenweit kein Schüler ohne Abschluss. Mit Blick auf die
Differenzen zwischen Städten und Kreisen ist auffällig, dass in den Kreisen die Schüler mit
einem vorab erworbenen mittlerem Abschluss häufig eine Ausbildung im Schulberufssystem
(60,4%) aufnehmen, wohingegen in den kreisfreien Städten 69,0% dieser Schülergruppe eine
duale Ausbildung aufnehmen. Diejenigen Schüler, die mit einer
Hochschulzugangsberechtigung in das berufsbildende Schulsystem einmünden, nehmen
zumeist eine Ausbildung im Dualen System auf.
74
Tabelle 5.2.10: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des berufsbildenden Schulsystems nach schulischer Vorbildung, in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen, im Jahr 2011
Gebiet
Sektor
ohne Hauptschul- abschluss
mit Hauptschul- abschluss
mittlerer Abschluss
Hochschul- reife
absolut in % absolut in % absolut in % absolut in %
Kreise
duales System 179 19,6 1607 56,8 953 39,6 709 64,5
Schulberufssystem 0 0,0 544 19,2 1452 60,4 391 35,5
Übergangssystem 735 80,4 676 23,9 0 0,0 0 0,0
Absolut 914 100,0 2827 100,0 2405 100,0 1100 100,0
Kreisfreie Städte
duales System 68 16,1 1049 61,1 2224 69,0 1135 72,8
Schulberufssystem 0 0,0 277 16,1 999 31,0 425 27,2
Übergangssystem 355 83,9 390 22,7 0 0,0 0 0,0
Absolut 423 100,0 1716 100,0 3223 100,0 1560 100,0
Thüringen
duales System 247 18,5 2656 58,5 4918 66,7 1844 69,3
Schulberufssystem 0 0,0 821 18,1 2451 33,3 816 30,7
Übergangssystem 1090 81,5 1066 23,5 0 0,0 0 0,0
Absolut 1337 100,0 4543 100,0 7369 100,0 2660 100,0 Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Aus der Gerechtigkeitsperspektive nimmt das duale Ausbildungssystem eine besondere
Stellung ein, da dieses potentiell gute Integrationschancen gerade für schulisch
geringqualifizierte Jugendliche bietet und somit einen Weg darstellt, nach der erfolgreichen
Beendigung der dualen Ausbildung den Schritt in das Erwerbsleben zu gehen (Berkemeyer et
al., 2013). Trotz des international hohen Ansehens des deutschen dualen
Ausbildungssystems (Baetghe, 2008) ist zu beachten, dass durch die Beteiligung der
Ausbildungsbetriebe und deren Abhängigkeit von der konjunkturellen Lage die
Aufnahmekapazitäten dieses Sektor stärker als die Kapazitäten des Schulberufssystems auf
wirtschaftliche Dynamiken reagieren. Von einer geminderten Ausbildungsfreudigkeit der
Betriebe sind insbesondere die Jugendlichen ohne Abschluss bzw. mit einem
Hauptschulabschluss betroffen (Berkemeyer, Bos und Manitius, 2012).
Die Betrachtung der nach Abschlüssen differenzierten Neuzugänge, die im Jahr 2011 eine
duale Berufsausbildung begonnen haben, zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Schüler mit
einem mittleren Abschluss in eine solche einmünden (Abbildung 5.2.3, Tabelle 5.2.11-
Anhang). Die nächstgrößte Gruppe stellen die Schüler mit einem Hauptschulabschluss
(27,5%) dar, gefolgt von den Schülern mit einer Hochschulzugangsberechtigung (19,1%).
Demgegenüber sind nur 2,6% aller Neuzugänge Schüler, die keinen allgemeinbildenden
Abschluss aufweisen können. In der regionalen Perspektive mit Blick auf die
Schulamtsbezirke zeigt sich, dass vor allem in Südthüringen viele Schüler ohne
Hauptschulabschluss eine duale Ausbildung aufnehmen. Zudem ist auffällig, dass
Mittelthüringen einen hohen Wert (27,4%) an Neuzugängen aufweist, die bereits eine
Hochschulzugangsberechtigung besitzen.
75
Abbildung 5.2.3: Neuzugänge in das duale Ausbildungssystem nach schulischer Vorbildung in den Schulamtsbereichen Thüringens, im Jahr 2011 (in%)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
76
5.3 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Kompetenzförderung
Als institutionelle Räume des Lernens sollen Schulsysteme dazu beitragen, sämtliche
Potenziale der Schüler auzuschöpfen. Dieser Anspruch einer bestmöglichen individuellen
Kompetenzausschöpfung impliziert die Vermeidung einseitiger, auf bestimmte
Schülergruppen konzentrierte Fördereffekte.
Aufschlüsse über die Leistungsfähigkeit eines Schulsystems geben u.a. Kennwerte zu den
Lesekompetenzständen der Schüler an. Informationen hierüber halten auf der Ebene von
Nationalstaaten oder Bundesländern verschiedene Schulleistungsstudien wie PISA, IGLU
oder die Untersuchungen zu den Bildungsstandards bereit. In Vergleichen der deutschen
Länder gehört Thüringen kontinuierlich zur Gruppe der Länder mit höheren Testergebnissen,
was auf eine gelingende Kompetenzförderung hindeutet. Betrachtungen auf diesen
großräumigen Ebenen zeigen allerdings nicht an, inwieweit Differenzen zwischen einzelnen
Landesteilen bestehen. Aufgrund dieses Desiderats soll in diesem Kapitel mittels der
Ergebnisse der landesweiten Kompetenztests das Augenmerk auf potenzielle
Leistungsunterschiede zwischen den Gebietskörperschaften Thüringens gerichtet werden.
Somit lassen sich womöglich trotz des relativen Erfolgs Thüringens in den
ländervergleichenden Untersuchungen differenzierte Handlungsbedarfe auf der Ebene von
Kreisen oder kreisfreien Städten feststellen.
Die Lesekompetenz als fachübergreifende Kompetenz, die von grundlegender Bedeutung für
die allgemeine Lernfähigkeit sowie die gesellschaftliche Teilhabe ist (vgl. Baumert 2001), ist
insbesondere seit dem Bekanntwerden der im internationalen Vergleich schwächeren
Leseleistungen deutscher Schüler in der PISA-Studie 2000 in den Fokus von Wissenschaft,
Öffentlichkeit und Bildungspolitik gerückt.22 Als Reaktion auf diese ernüchternden
Ergebnisse wurden Bildungsstandards formuliert, die mittlerweile für mehrere Domänen
und Klassenstufen verbindlich eingeführt wurden. Diese in Form von Kompetenzen
beschriebenen Bildungsziele geben an, welche kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten die
Schüler zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Bildungslaufbahn aufweisen sollen (Weinert 2001,
KMK 2003).23
Zur Ermittlung der anhand der Bildungsstandards definierten Leistungsstände werden
Kompetenztests oder auch Vergleichsarbeiten (VERA-3 und VERA-8) als Bestandteil der
Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring flächendeckend in den 3. und 8. Klassen
aller allgemeinbildenden Schulen verpflichtet durchgeführt (KMK 2006). Während die
Leistungsvergleichsstudien auf das Systemmonitoring abzielen, wird mit Kompetenztests das
Ziel der fortlaufenden Unterrichts- und Schulentwicklung verfolgt (KMK 2012). Inwiefern die 22 Auch im Rahmen dieser Expertise erfährt die Lesekompetenz eine besondere Berücksichtigung, wenngleich die Bedeutung anderer Domänen, wie Mathematik oder Naturwissenschaften, nicht unerwähnt bleiben soll. 23 Formuliert wurden Bildungsstandards in der Primarstufe für die Fächer Deutsch und Mathematik, in der Sekundarstufe I in den Fächern Deutsch, Mathematik, der ersten Fremdsprache (Jahrgangsstufe 9 und 10), sowie den Fächern Biologie, Chemie und Physik in der 10. Jahrgangsstufe
77
Ergebnisse aber tatsächlich für die Lehrkräfte verwendbar sind und diese Berücksichtigung in
der pädagogischen Praxis finden, ist derzeit nicht abschließend geklärt (Berkemeyer/Bos
2009; Maier 2008).
Entwickelt werden die Kompetenztests seit 2009 durch das IQB (Institut zur
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) in Berlin in Zusammenarbeit mit einer
Expertengruppe von Lehrkräften, Fachdidaktikern und Wissenschaftlern. Die Zuständigkeit
für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Kompetenztests liegt hingegen bei
den Ländern selbst. In Thüringen wurden Kompetenztests bereits im Schuljahr 2002/03
verbindlich eingeführt und inzwischen in den Klassenstufen 3 und 8 in den Fächern, Deutsch,
Mathematik sowie in der 8. Klassenstufe auch in der ersten Fremdsprache eingesetzt
(Nachtigall/Müller 2010).24 Verantwortlich für die Realisierung ist seit dem Jahr 2002,
beauftragt durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der Lehrstuhl für
Methodenlehre und Evaluationsforschung an der Universität Jena. Die Durchführung der
Tests in den Schulen sowie die Auswertung der einzelnen Aufgaben und die internetbasierte
Dateneingabe erfolgten durch die Lehrkraft.25
Eine Vielzahl der Bundesländer bedient sich bei der Darstellung und Rückvermittlung der
Ergebnisse des Kompetenztests eines durch das IQB Berlin entwickelten
Kompetenzstufenmodells. Dieses ermöglicht, die erbrachten Leistungen den
schulstufenentsprechenden Kompetenzstufen zuzuordnen. In Thüringen wird das
Kompetenzstufenmodell bei der Rückmeldung der Ergebnisse auf Klassenebene eingesetzt.
Hierbei erfährt die Lehrkraft zwar, wie viele Aufgaben einer Kompetenzstufe die Schüler
ihrer Klasse anteilsmäßig lösen, eine schülerscharfe Zuordnung der gemessenen mittleren
Leistungen auf eine Kompetenzstufe wird hingegen nicht angeboten. Dem Anspruch nach
werden der Lehrkraft infolge des derzeit realisierten Verfahrens sowohl Stärken als auch
Schwächen der Klasse hinsichtlich der Bildungsstandards veranschaulicht und Hinweise auf
zukünftig zu berücksichtigende Unterrichtsinhalte geliefert (Nachtigall 2012).
Die in der Expertise verwendeten Daten der Kompetenztests werden nicht auf der aus den
Schulleistungsstudien bekannten Metrik dargestellt. Während in den
Leistungsvergleichsstudien zumeist ein Mittelwert von 500 und eine Standardabweichung
von 100 festgesetzt sind, setzt sich die Gesamtpunktzahl der Kompetenztests aus der Anzahl
der Aufgaben zusammen. Da diese jährlich, in Abhängigkeit des eingesetzten Tests, variiert,
ist ein Vergleich der Mittelwerte über die Jahre 2009 bis 2012 hinweg wenig aussagekräftig.
24 In der Klassenstufe 8 wurde die Lesekompetenz erstmalig im Jahr 2009 erfasst. In der 6. Klassenstufe ist den Schulen die Wahl des Testfaches freigestellt, wobei der Test nicht verpflichtend ist und auch im Rahmen dieser Expertise keine Berücksichtigung erfährt. 25 Die Teilnehmerzahlen der einzelnen Jahre können der Tabelle 5.3.1-Anhang entnommen werden.
78
Im Folgenden werden die Ergebnisse daher als durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl
in Form von Prozentwerten abgebildet (vgl. Tabelle 5.3.2-Anhang).26
Zur Wahrung der Anonymität der Einzelschule werden diejenigen Kreise bzw. kreisfreien
Städte, die weniger als fünf Schulen je Schulstufe aufweisen, in den Analysen nicht
berücksichtigt. Dies betrifft bezüglich der Sekundarstufe I die Stadt Suhl, da hier im Schuljahr
2011/12 nur drei Schulen innerhalb dieser Schulstufe existierten. Zudem sind infolge dieser
Regelung Schulartvergleiche innerhalb der einzelnen Gebietskörperschaften nur für sieben
Kreise und kreisfreie Städte möglich und werden aufgrund der geringen Fallzahl im Verlauf
nicht gesondert dargestellt und beschrieben. Eine unkommentierte Übersicht hierzu gibt
aber Tabelle 5.3.3-Anhang.
Das nachfolgende Kapitel gliedert sich wie folgt: Zunächst werden die durchschnittlich
erreichten Gesamtpunktzahlen in Form von Anteilswerten der einzelnen
Gebietskörperschaften dem spezifischen Erwartungswert27 je Gebietskörperschaft
gegenübergestellt. Darauf folgen die Darstellung der Schülerverteilung nach der
durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl sowie Analysen hinsichtlich
Geschlechterdifferenzen und herkunftsbedingten Leistungsunterschieden, wobei die soziale
Herkunft über die Anzahl von Büchern in den Familienhaushalten ermittelt wurde.
5.3.1 Vergleich der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl mit dem Erwartungswert Nachfolgend werden die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen der Schüler aus den
einzelnen Gebietskörperschaften dem korrigierten Landesmittelwert gegenübergestellt. Der
korrigierte Mittelwert fungiert dabei als (fairer)Vergleichswert oder auch Erwartungswert28,
welcher jene Faktoren berücksichtigt, die durch die Lehrkraft nicht veränderbar sind,
erfahrungsgemäß aber die Leistungsentwicklung beeinflussen. Dadurch wird ermöglicht, die
gemessenen Leistungen den zu erwartenden Leistungswerten vergleichend
gegenüberzustellen. Neben der Schulart berücksichtigt der korrigierte Mittelwert die
Zusammensetzung der Schülerschaft nach dem Geschlecht und der Muttersprache, die
soziale Herkunft, vermittelt über die Anzahl der Bücher im Haushalt, sowie die Anzahl an
Wiederholern einer Klassenstufe und Schülern mit diagnostizierten besonderen
Lernschwierigkeiten und sonderpädagogischen Förderbedarfen (Nachtigall/Müller 2010).
Dieses Vorgehen zeigt, unter welchen Bedingungen die Einzelschulen arbeiten und ob sie die
erwarteten Leseleistungen über- oder unterschreiten. Dennoch sollte der Erwartungswert
26 Hierfür werden die Mittelwerte anhand der jährlichen Maximalpunktzahl in die durchschnittliche Gesamtpunktzahl umgewandelt. 27 Dieser wird im nachfolgenden Abschnitt beschrieben. 28 Der Erwartungswert wird hier definiert als ein Wert, welcher aufgrund der Berücksichtigung bestimmter Schülermerkmale jene Leistungswerte angibt, die zu erwarten sind. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass nur eine bestimmte Anzahl von Aspekten beachtet werden können.
79
sowohl hinsichtlich der tatsächlich bereitstellenden Information als auch des
Interpretationsgehalts nicht unkritisch betrachtet werden. Problematisch kann der
Erwartungswertvergleich insbesondere dann sein, wenn dieser zur Legitimierung der
erbrachten, möglicherweise gegenüber dem Erwartungswert guten Leistungen
herangezogen wird, die Kompetenzen der Schüler aber dennoch nicht dem erforderlichen
Standard genügen. Ein kombiniertes Bewertungserfahren, welches zugleich auf die
leistungsrelevanten Bedingungslagen der Schulen hinweist, aber auch ein erforderliches
Mindestmaß an fachbezogenen Fähigkeiten definiert, wäre sicherlich, gerade aus Gründen
der Sicherung eines ausreichenden Fähigkeitensets zur Teilnahme am schulischen und
gesellschaftlichen Leben, wünschenswert.
Für das nachfolgende Kapitel ist anzumerken, dass durch die Betrachtung von
Gebietskörperschaften, welche Schulen verschiedener Schularten umfassen, keine
Unterschiede zwischen einzelnen Schulen oder Schularten herausgestellt werden können.
Die aggregierte Betrachtung der Schularten des Sekundarbereichs kann aufgrund der
divergierenden Verteilungsmuster, so weist die Stadt Jena etwa verhältnismäßig viele
Gymnasien auf, zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen. Die Darstellung erfolgt zunächst
für den Primar- und nachfolgend für die Sekundarstufe.
Primarstufe
Ein Vergleich zwischen der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl von Grundschülern
der einzelnen Gebietskörperschaften mit dem (fairen) Vergleichswert, nachfolgend
Erwartungswert genannt, ist in Tabl. 5.3.4-Anhang für das Jahr 2012 dargestellt. Zusätzlich
sind die entsprechenden Werte auf Länderebene eingetragen, wobei sich die tatsächlich
erreichte durchschnittliche Gesamtpunktzahl und der Erwartungswert nahezu entsprechen.
Zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zeichnen sich jedoch divergierende
Abweichungen zum Erwartungswert ab. Bei der Klassifikation der Differenzen wird analog zu
den Thüringer Schulrückmeldungen der Wert von 3%-Punkten als Richtgröße angesehen,
sodass Differenzen von unter 3%-Punkten als geringe Abweichungen und jene über 3% als
bedeutsame Abweichungen29 verstanden werden (Nachtigall/Müller 2010).
Zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten zeichnet sich ein recht heterogenes Bild
sowohl hinsichtlich der erreichten Gesamtpunktzahl als auch hinsichtlich des jeweiligen
Erwartungswertes ab. Während einigen Gebietskörperschaften die Ausschöpfung der
erwarteten Leistungsfähigkeit besser gelingt als anderen, bestehen bei einigen negative
Leistungsdifferenzen im Sinne einer Unterschreitung des erwarteten Leistungsniveaus.
Werden zunächst die kreisfreien Städte betrachtet, ist anzumerken, dass die
29 Ein Unterschied von 3%-Punkten im Ergebnis entspricht etwa einer gelösten Aufgabe. Dieser Unterschied ist für die gesamte Untersuchungspopulation im Mittel festzustellen, wodurch sich die Zuschreibung einer Bedeutsamkeit als plausibel erweist.
80
Erwartungswerte für die Städte Suhl (72,2%) und Weimar (71,7%) leicht oberhalb des
Landeserwartungswertes liegen (vgl. Tabelle 5.3.4-Anhang).
Während die Leistungen der Schüler in Weimar den Erwartungen entsprechen, weichen die
Leseleistungen von Schülern der Stadt Suhl geringfügig, aber nicht bedeutsam ab. Die Stadt
Jena ist hingegen durchaus als leistungsstark zu bezeichnen, erreichen die Schüler doch
durchschnittlich eine gegenüber dem Erwartungswert 3,4%-Punkte höhere
Gesamtpunktzahl.
Ähnlich der Differenzen zwischen den Städten zeigen sich die Unterschiede zwischen den
Kreisen. Für neun der 17 Kreise werden Leistungswerte oberhalb des Landesdurchschnitts
erwartet. Dies kann möglicherweise auf Schülermerkmale, welche der korrigierte Mittelwert
berücksichtigt, zurückgeführt werden. Welche Merkmale dies im Einzelnen betrifft, kann im
Rahmen dieser Expertise jedoch nicht abschließend geklärt werden.
Bei einem Vergleich der Erwartungswerte mit den durchschnittlich erreichten
Gesamtpunktzahlen ist lediglich im Kreis Gotha eine Unterschreitung von über 3%-Punkten
auszumachen (vgl. Tabelle 5.3.4-Anhang). Einige Gebietskörperschaften wie das Altenburger
Land (-2,6%), der Ilm-Kreis (-2,5%) sowie der Kreis Saalfeld-Rudolstadt (+2,7%) bewegen sich
nah am Grenzwert. Insgesamt ist für die Primarstufe zu sehen, dass der Vergleich der
ermittelten Kompetenzwerte und der Erwartungswerte kaum bedeutsame Differenzen
aufzeigt, worauf auch der geringe Unterschied zwischen den Gesamtwerten für Thüringen
hinweist.
Sekundarstufe I
Auch für die Sekundarstufe I werden die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen der
Gebietskörperschaften mit den jeweiligen (fairen)Vergleichs- bzw. Erwartungswerten für das
Jahr 2012 angegeben. Ein Vergleich des real gemessenen Wertes mit dem Erwartungswert
für Thüringen zeigt, dass die Kompetenzförderung in der Sekundarstufe I auf Landesebene
zu gelingen scheint, da der Messwert positiv vom Erwartungswert abweicht (vgl. Tabelle
5.3.5-Anhang).
Zwischen den Erwartungswerten der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte sowie den
tatsächlichen Leseleistungen lassen sich lediglich geringe Differenzen feststellen (vgl. Tabelle
5.3.5-Anhang). Auf Kreisebene weichen das Eichsfeld (+3,7%) und der Saale-Holzland-Kreis
(+3,9%) in positiver Weise bedeutsam vom Erwartungswert ab (vgl. Tab. 5.3.5-Anhang).30 Auf
der Ebene der kreisfreien Städte Jena (+4,7%) und Weimar (+3,1%) lassen sich ebenfalls
positive Abweichungen vom Erwartungswert feststellen, wobei insbesondere Leseleistungen
der Jenaer Schüler deutlich oberhalb der Erwartungen liegen.
30 Die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen nach Gebietskörperschaft sowie der spezifische Erwartungswert können der Tabelle 5.3.5-Anhang entnommen werden.
81
Das Abschneiden der Gebietskörperschaften Kyffhäuserkreis und Sömmerda ist jedoch
ebenso auffällig. Trotz bereits deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegender
Erwartungswerte weisen diese Kommunen tatsächlich ermittelte Leistungsstände auf, die
den Erwartungswert noch einmal bedeutsam unterschreiten: Die Schüler im Kyffhäuserkreis
erreichen durchschnittlich eine um 4,9%-Punkte geringere Gesamtpunktzahl, für Sömmerda
findet sich eine Unterschreitung um 4,2%-Punkte. Bei einem Vergleich zwischen der Primar-
und Sekundarstufe I dieser beiden Kreise ist zudem auffällig, dass der Kyffhäuserkreis zwar in
der Sekundarstufe I Schwächen zu verzeichnen hat, dafür jedoch die Kompetenzförderung in
der Primarstufe besser zu gelingen scheint.
Lesekompetenz nach Schulart
Differenzen zwischen der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl und dem
Erwartungswert in der Primarstufe im Vergleich zur Sekundarstufe können durch
verschiedene Faktoren begründet werden. Zum einen können die Abweichungen auf
testimmanente Unterschiede zurückgeführt werden und zum anderen auf innerhalb des
Erwartungswertes berücksichtigte Faktoren, wie bspw. die Schulart, wofür exemplarisch
Analysen angestellt wurden.
Ein Vergleich der Ergebnisse zwischen den Schularten deutet auf schulartspezifische
Leistungsunterschiede in der Domäne Lesen hin, welche sich im Jahr 2012 durch eine
Punktedifferenz von durchschnittlich 18,5%-Punkten äußern: Während Gymnasiasten
durchschnittlich 76,3% der maximal erreichbaren Gesamtpunktzahl erzielen, beträgt der
Anteil an Regelschulen 57,8% (vgl. Tabelle 5.3.2-Anhang).
Diese Befunde sind konform zu bisherigen Forschungserkenntnissen aus
Schulleistungsvergleichsstudien, wie bspw. PISA (Baumert et al. 2006) oder der
Untersuchung zu den Lernausgangslagen in Hamburg (Lehmann et al. 2002).
Leistungsunterschiede zwischen den verschiedenen Schularten sind nach Baumert et al.
(2006) ein Produkt differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus. Die leistungsmäßige
Verteilung der Schüler nach der Grundschule führe nach Baumert et al. (2006, S.95ff.) zum
einen zu einer Homogenisierung der Schülerschaft hinsichtlich der Leistung, zum anderen
jedoch auch, aufgrund der Kovariation mit der sozialen Herkunft, zu einer sozialen
Segregation. Unabhängig von den Eingangsbedingungen der Schüler werden durch den
Verteilungsprozess sowie institutionelle ‚Arbeits- und Lernbedingungen’ je nach Schulart
differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus bereitgestellt, welche sich in differenziellen
Leistungsständen widerspiegeln (ebd.).
82
Vergleich der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl (in %) mit dem Landeswert im Zeitverlauf von 2010 bis 2012
Neben der Betrachtung der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl im Verhältnis zu
dem Erwartungswert je Gebietskörperschaft besteht die Möglichkeit der Analyse von
Differenzen zwischen den durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen je
Gebietskörperschaft und dem durchschnittlichen Landeswert im Zeitverlauf von 2010 bis
2012. Durch diese Art der Darstellung soll keine Wertung der einzelnen
Gebietskörperschaften hinsichtlich der Höhe der erreichten Gesamtpunktzahl erfolgen,
sondern Tendenzen zur Annäherung bzw. Entfernung vom durchschnittlichen Landeswert
aufgezeigt werden. Auch diesbezüglich gilt eine Differenz von 3%-Punkten als Richtwert zur
Klassifikation von Annäherungs- bzw. Entfernungstendenzen (<3%) sowie bedeutsamen
Entwicklungen (>3%, Nachtigall/Müller 2010). Die Darstellung erfolgt zunächst für die
Primarstufe und nachfolgend die Sekundarstufe I, jeweils im Zeitvergleich von 2010 bis 2012.
Primarstufe
Innerhalb der Primarstufe zeigen sich hinsichtlich der Annäherung bzw. Entfernung vom
durchschnittlichen Landeswert flächendeckend keine bedeutsamen Entwicklungen,
gemessen an der Richtgröße von 3%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.6).
Während in dem Großteil der Gebietskörperschaften nur marginale Differenzen zwischen
den Jahren bestehen, lassen sich jedoch sieben Gebietskörperschaften identifizieren, in
denen Annäherungs- bzw. Entfernungstendenzen ausgemacht werden können: Während in
der Stadt Eisenach im Jahr 2010 keine Differenz (0,1%) zum durchschnittlichen Landeswert
besteht, sind in den Jahren 2011 sowie 2012 negative Differenzen festzustellen, welche auf
eine potenzielle Tendenz der negativen Entfernung vom Landeswert verweisen. Ähnlich
gestaltet sich die Entwicklung in den Gebietskörperschaften Altenburger Land und Ilm-Kreis.
Während im Jahr 2010 keine bzw. nur sehr geringe Differenzen zum durchschnittlichen
Landeswert festgestellt werden können, verweisen die Differenzen im Jahr 2012 mit -2,7%-
Punkten im Ilm-Kreis und -2,5%-Punkten im Altenburger Land auf eine „mögliche“ negative
Tendenz. Hinsichtlich des Ilm-Kreises muss jedoch angemerkt werden, dass die
durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl im Jahr 2011 +1,9%-Punkte höher lag als der
Landeswert, sodass diesbezüglich die fortlaufende Entwicklung betrachtet werden sollte, um
auf eine konstante Tendenz schließen zu können.
83
Tabelle 5.3.6: Differenz zwischen der durchschnittlichen erreichten Gesamtpunktzahl der Gebietskörperschaft und dem Landeswert in der Primarstufe, in den Jahren 2010 bis 2012
Kreise/kreisfreie Städte 2010 2011 2012
in %-Punkten in %-Punkten in %-Punkten
Stadt Erfurt -2,8 -0,3 -2,1
Stadt Gera -2,2 1,9 -1,8
Stadt Jena 5,8 4,7 3,4
Stadt Suhl 1,7 - -1,1
Stadt Weimar -1,0 -0,1 0,3
Stadt Eisenach 0,1 -5,6 -2,6
Eichsfeld 0,9 3,7 2,4
Nordhausen 0,8 0,2 1,0
Wartburgkreis 1,3 1,9 1,1
Unstrut-Hainich-Kreis -3,6 -1,9 -1,1
Kyffhäuserkreis -2,8 1,1 1,1
Schmalkalden-Meiningen 1,6 0,9 0,7
Gotha -2,2 -2,9 -3,4
Sömmerda -2,5 -3,6 -0,2
Hildburghausen 2,4 -1,1 0,4
Ilm-Kreis -0,2 1,9 -2,7
Weimarer Land 1,3 -1,3 -0,5
Sonneberg -2,5 -1,4 0,8
Saalfeld-Rudolstadt 2,0 1,0 3,0
Saale-Holzland-Kreis 2,8 1,6 2,1
Saale-Orla-Kreis -1,0 -1,3 -1,1
Greiz 0,9 2,0 2,8
Altenburger Land -0,7 -1,5 -2,5
Kreise -0,1 0,0 0,2
Kreisfreie Städte 0,3 0,1 -0,7 Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Positive Tendenzen zeigen sich in den Kreisen Unstrut-Hainich-Kreis, Sömmerda, Sonneberg
und Greiz. In diesen Kreisen verringerte sich im Zeitverlauf von 2010 bis 2012 der Abstand
der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl von dem Landeswert (vgl. Tabelle 5.3.6).
Sekundarstufe I Ähnlich der Befunde zur Primarstufe lassen sich innerhalb der Sekundarstufe I keine
bedeutsamen Entwicklungen in den Abständen zum Landeswert, gemessen an dem
Richtwert von 3%-Punkten feststellen. In den meisten Gebietskörperschaften zeigen sich nur
marginale Differenzen sowie leichte Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren, welche
auf keine Tendenz schließen lassen. Allerdings lassen sich in sechs Gebietskörperschaften
potenzielle Trends ausmachen (vgl. Tabelle 5.3.7). Positive Tendenzen zeigen sich z.B. in der
Stadt Weimar sowie den Kreisen Weimarer Land und Unstrut-Hainich-Kreis. Während sich in
den beiden Kreisen negative Abweichungen durch Annäherungstendenzen zum
84
durchschnittlichen Landeswert im Zeitverlauf verringert haben, zeigt sich im Weimarer Land
eine positive Tendenz der Entfernung vom durchschnittlichen Landeswert durch höhere
Gesamtpunktzahlen. Negative Tendenzen zeigen sich jedoch in den kreisfreien Städten Gera
und Eisenach sowie dem Wartburgkreis: Im Jahr 2010 weichen die durchschnittlichen
Gesamtpunktzahlen der kreisfreien Städte positiv vom durchschnittlichen Landeswert ab.
Über den Zeitverlauf von 2010 bis 2012 nimmt die Differenz in den beiden kreisfreien
Städten jedoch um ca. 2%-Punkte ab, sodass im Jahr 2012 keine Abweichung mehr zwischen
der durchschnittlichen Gesamtpunktzahl und dem Landeswert für die Stadt Eisenach
besteht. Zudem hat sich die deutliche Differenz der Stadt Gera, von 4,1%-Punkte im Jahr
2010 auf nunmehr 2,1%-Punkte im Jahr 2012 verringert.
Positiv zeigt sich die Entwicklung im Weimarer Land: Während im Jahr 2010 noch eine
negative Differenz von -3,5%-Punkten festzustellen ist, zeigen sich Annäherungstendenzen
an den durchschnittlichen Landeswert, sodass im Jahr 2012 lediglich eine marginale negative
Differenz von -0,6%-Punkten festgestellt werden kann (vgl. Tabelle 5.3.7).
Tabelle 5.3.7: Differenz zwischen der durchschnittlichen erreichten Gesamtpunktzahl der Gebietskörperschaft und dem Landeswert in der Sekundarstufe, in den Jahren 2010 bis 2012
Kreise/ kreisfreie Städte 2010 2011 2012
in % in % in %
Stadt Erfurt -1,2 0,4 -0,4
Stadt Gera 4,1 2,1 2,1
Stadt Jena 9,5 8,9 9,2
Stadt Weimar 2,0 3,2 4,5
Stadt Eisenach 2,4 1,6 0,1
Eichsfeld 0,7 -0,6 0,8
Nordhausen -0,8 -0,7 -1,8
Wartburgkreis -1,8 0,2 -3,0
Unstrut-Hainich-Kreis -3,3 -1,3 -1,6
Kyffhäuserkreis -3,9 -6,9 -4,4
Schmalkalden-Meiningen 0,4 0,7 -0,9
Gotha -2,0 -0,1 -0,9
Sömmerda -5,5 -6,1 -4,3
Hildburghausen -0,6 -0,7 -1,1
Ilm-Kreis -1,0 -0,1 -0,3
Weimarer Land -3,5 -2,6 -0,6
Sonneberg 1,3 2,1 -0,1
Saalfeld-Rudolstadt 2,1 0,3 0,9
Saale-Holzland-Kreis 2,2 0,8 2,6
Saale-Orla-Kreis -0,5 -0,4 0,8
Greiz 1,5 1,7 -0,1
Altenburger Land -2,1 -2,8 -1,6
Kreise -1,0 -1,0 -0,9
Kreisfreie Städte 3,4 3,3 3,1 Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen
85
Trotz dieser zum Teil deutlichen Tendenzen, können auf Basis der Datengrundlage, von
lediglich drei Messzeitpunkten, kleine zuverlässigen Aussagen über Entwicklungen getätigt
werden. Allerdings liefern diese Ergebnisse erste Hinweise auf Tendenzen.
5.3.2 Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien Aufschluss über die Leistungsfähigkeit der Schulen einzelner Gebietskörperschaften gibt
neben der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl die Leistungsheterogenität der
Schülerschaft. Diese wird über eine Verteilung der Schüler auf vier Leistungskategorien
abgebildet: 1) Schüler, welche weniger als 25% der maximal zu erreichenden Punktzahl
erzielen und somit einer Risikogruppe angehören, da das Erreichen
der Bildungsstandards nicht gewährleistet werden kann, 2) Schüler, welche 26-50% der
maximalen Gesamtpunktzahl erreichen, 3) Schüler, welche zwischen 51-75% der
Gesamtpunktzahl erlangen sowie 4) Schüler, die mehr als 75% der Gesamtpunktzahl erzielen
und somit im Vergleich zu den anderen Gruppen der Spitzengruppe angehören.
Primarstufe
In der Abbildung 5.3.1 sind die Schüleranteile in den vier Kategorien nach der
durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl je Gebietskörperschaft im Jahr 2012
abgebildet. Der Anschaulichkeit halber wurden die Ergebnisse der Gebietskörperschaften
wie folgt sortiert: Kreise und kreisfreie Städte mit der geringsten Anzahl an leistungsstarken
Schülern (der vierten Kategorie) werden im oberen Teil der Abbildung und
Gebietskörperschaften mit dem höchsten Anteil an leistungsstarken Schülern im unteren Teil
der Abbildung dargestellt.
86
Abbildung 5.3.1. Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien in der Primarstufe, im Jahr 2012 (in%)
Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Im Kyffhäuserkreis gehören im Vergleich zu den anderen Gebietskörperschaften nur 27,6%
der Testpopulation der leistungsstarken Schülerschaft an, dafür über die Hälfte der
Schülerschaft der dritten Kategorie. Dies ist insofern positiv zu werten, als angenommen
werden kann, dass die Schüler der dritten Kategorie über die Kompetenzen der
Regelstandards verfügen (vgl. Tabelle 5.3.8-Anhang). Die Stadt Jena, in der Abbildung 5.3.1
unten zu finden, verfügt hingegen über den größten Anteil an leistungsstarken Schülern,
wobei der Anteil 46,5% der Schülerschaft ausmacht (vgl. Tabelle 4.4.8-Anhang). Beiden
Kreisen ist trotz des unterschiedlich starken Anteils an leistungsstarken Schülern, der vierten
Kategorie, nur ein sehr geringer Anteil von 2,1% der Risikogruppe zuzuordnen, was auf eine
gelungene Förderung der leistungsschwächsten Schüler schließen lässt.
Die Stadt Weimar (5,2%) sowie der Kreis Nordhausen (4,0%) weisen hingehen unter den
Gebietskörperschaften mit den größten Anteilen an leistungsstarken Schülern gleichzeitig
die größten Anteile an leistungsschwachen Schülern auf, was auf eine hohe
Leistungsheterogenität innerhalb der Testpopulation schließen lässt.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass mit einer Zunahme an leistungsstarken Schülern
(der vierten Kategorie) die Anteile an Schülern der dritten Kategorie zu sinken scheinen, aber
kein Zusammenhang mit den leistungsschwächsten Schülern sichtbar wird.
Sekundarstufe I In der Abbildung 5.3.2 sind analog zum vorangegangen Abschnitt die Schüleranteile in den
vier Kategorien nach der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl für die Schüler der
87
Klasse 8 abgebildet. Die Gebietskörperschaften mit den geringsten Anteilen an
leistungsstarken Schülern werden auch hier im oberen Teil der Abbildung dargestellt und die
Kreise und kreisfreien Städte mit den höchsten Anteilen im unteren Teil der Abbildung (vgl.
Tabelle 5.3.9-Anhang).
Abbildung 5.3.2: Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien in der Sekundarstufe I, im Jahr 2012 (in%)
Anmerkungen: Die Stadt Suhl wird aufgrund der geringen Schulanzahlen und der Sicherung der Anonymität der Einzelschule nicht aufgeführt. Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Die Stadt Jena ist auch bei Sekundarschülern diejenige Stadt, die den größten Anteil an
leistungsstärksten Schülern (47,3%) und zugleich den geringsten Anteil an
leistungsschwächsten Schülern (0,8%) zeigt. Im Kreis Sömmerda lassen sich hingegen
lediglich 16,1% an leistungsstarken Schülern feststellen. Auch der Kyffhäuserkreis, welcher
bereits hinsichtlich der Primarstufe die vergleichsweise geringsten Anteile an
leistungsstärksten Schülern verbucht, gehört mit 18,1% leistungsstarker Schüler, gemessen
an allen Schülern des Kreises, der Gruppe der sechs leistungsschwächsten
Gebietskörperschaften an. Auffällig ist, dass in der Sekundarstufe größere Anteile an
Schülern der zweiten Kategorie (26-50% der Gesamtpunktzahlen erreicht) angehören. Dies
ist unter Umständen auf die Leistungsfähigkeit verschiedener Schularten zurückzuführen
(Baumert et al. 2006).
5.3.3 Geschlechterspezifische und soziale Disparitäten im Lesekompetenzerwerb
Die Heterogenität von Schulsystemen hinsichtlich ihrer Kompetenzförderungsfähigkeiten
misst sich auch daran, welche spezifischen Schülergruppen welche Leistungen aufweisen.
88
Viele Schulleistungsuntersuchungen zeigen hier Disparitäten im Kompetenzerwerb sowohl
zwischen den Geschlechtern als auch zwischen verschiedenen sozialen Milieus auf. Im
Anschluss an diese Befunde wird nachfolgend anhand dieser Merkmale danach geschaut, ob
Disparitäten innerhalb Thüringens bestehen und wo diese ggf. besonders groß bzw.
besonders niedrig sind.
Geschlechterspezifische Unterschiede in der Lesekompetenz
Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleichsstudien, wie PISA 2000 oder IGLU
2001 deuteten bereits darauf hin, dass Mädchen bessere Leseleistungen aufweisen als
Jungen. Bisherige, durch empirische Befunde gestützte Ansätze zur Erklärung von
geschlechtsspezifischen Differenzen in der Lesekompetenz reichen von divergierenden
Schuleingangsfähigkeiten bis hin zu motivationalen Faktoren, wie den Leseinteressen und
Lesegewohnheiten (Bos et al. 2007, S.198f.). Baumert begründet die
Geschlechterunterschiede mit der Fähigkeit von Mädchen, den Texten besser Informationen
entnehmen zu können, Texte interpretieren zu können und sich kritisch mit dem Gelesenen
auseinandersetzen zu können (Baumert 2001, S.254).
In diesem Abschnitt werden Leistungsunterscheide zwischen den Geschlechtern anhand des
Kompetenztests vorgetragen, wobei sich derselben inhaltlichen Struktur wie in
vorangegangenen Abschnitten bedient wird.
Primarstufe
Bereits in der Primarstufe weisen Mädchen höhere Leseleistungen auf als Jungen (vgl.
Tabelle 5.3.10-Anhang). In der nachfolgenden Abbildung 5.3.3 wird dies exemplarisch für das
Jahr 2012 veranschaulicht. Neben den geschlechterspezifischen durchschnittlich erreichten
Gesamtpunktzahlen der einzelnen Gebietskörperschaften sind auch die Landeswerte als
Referenzgröße eingetragen (blau-gestrichelt = weiblich, rot-gepunktet = männlich).
Zwischen Jungen und Mädchen besteht demnach in Thüringen insgesamt eine
Leistungsdifferenz von 4,6%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.10-Anhang). Das bedeutet, dass
Mädchen durchschnittlich eine um 4,6%-Punkte höhere Gesamtpunktzahl erreichen als
Jungen. Das Bild auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeichnet sich durch
Heterogenität aus, denn während beispielsweise in der Stadt Suhl eine Leistungsdifferenz
von +1,7% im Jahr 2012 festzustellen ist, beträgt diese in der Stadt Eisenach +7,3%. Neben
den Unterschieden zwischen den Geschlechtern und Gebietskörperschaften ist im
Jahresvergleich keine generelle Tendenz festzustellen, die prozentualen Anteile sind
vielmehr deutlichen Schwankungen unterlegen (vgl. Tabelle 5.3.10-Anhang). So sind die
Differenzen in der Stadt Suhl im Jahr 2012 zwar deutlich geringer als in anderen Kreisen, im
Jahr 2010 ist hingegen eine Leistungsdifferenz von +9,3% zugunsten der Mädchen
89
festzustellen. Dies könnte wiederum durch die Beschaffenheit des gewählten Testtextes, sei
es inhaltlicher oder struktureller Natur, begründet werden.
Abbildung 5.3.3: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Primarstufe nach dem Geschlecht und Landkreis, im Jahr 2012 (in %)
Anmerkungen: Die Abbildung enthält die durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl in Thüringen für weibliche Schüler (blau-gestrichelte Line) sowie die männlichen Schüler (rot-gepunktete Linie). Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Sekundarstufe I
In der Primarstufe auszumachende Geschlechterdifferenzen im Kompetenzbereich Lesen
scheinen sich in der Sekundarstufe I zu vergrößern (vgl. Abbildung 5.3.4, Tabelle 5.3.11-
Anhang). In Thüringen besteht zwischen den Geschlechtern insgesamt eine
Leistungsdifferenz von +5,2%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.11-Anhang). Auch in der
Sekundarstufe erreichen die Mädchen eine 5,2%-Punkte höhere Gesamtpunktzahl als die
Jungen. Die Leistungsunterschiede scheinen zudem in den Kreisen (+5,6%) größer zu sein als
in den kreisfreien Städten (+4,2%), wobei in den Kreisen eine größere Spanne festgestellt
werden kann als in den kreisfreien Städten. Dennoch schwanken die Anteile zwischen den
einzelnen Gebietskörperschaften von +3,2% in der Stadt Jena und dem Kreis Greiz bis hin zu
+7,9% im Altenburger Land.
90
Abbildung 5.3.4: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Sekundarstufe I nach dem Geschlecht und Landkreis, im Jahr 2012 (in %)
Anmerkungen: Für die Stadt Suhl wurden keine Daten bereitgestellt, Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
Soziale Herkunft und Lesekompetenz
Der im internationalen Vergleich stark ausgeprägte Zusammenhang zwischen der sozialen
Herkunft und der schulischen Leistung ist den Befunden von PISA zufolge in keinem der
anderen PISA-Staaten so ausgeprägt wie in Deutschland (Klieme et al. 2009) und konnte mit
IGLU auch im Primarbereich festgestellt werden (vgl. Bos et al. 2008). Bildungschancen
hängen demnach maßgeblich von der sozialen Herkunft der Kinder ab, wobei Schüler aus
niedrigen Schichten vergleichsweise geringere Chancen haben. Der Buchbesitz hat sich dabei
in nationalen wie auch internationalen Leistungsvergleichsstudien als zuverlässiger Indikator
zur Beschreibung der sozialen Herkunft erwiesen und wird auch im Rahmen dieser Expertise
herangezogen (vgl. Bos et al. 2008, Bos et al. 2010).
Nachfolgend wird die durchschnittliche Leistung der Testpopulationen entlang dreier
Gruppen, die Unterschiede des elterlichen Haushalts hinsichtlich des Buchbesitzes
offenbaren, analysiert. Dabei wird unterschieden zwischen Haushalten mit 1) weniger als 25
Büchern, 2) 26-100 Büchern und 3) mehr als 100 Büchern.
Primarstufe
91
Die Schülerschaft an Grundschulen zeichnet sich hinsichtlich der eingangs genannten
Bücherkategorien durch große Heterogenität aus. So geben 39,9% der Schüler an, in einer
Familie mit mehr als 26, aber weniger als 100 Büchern zu leben, fast ebenso viele in einer
Familie mit mehr als 100 Büchern und 22,5%, dass sie in einer Familie mit weniger als 25
Büchern lebe. Bezüglich der Leistungsfähigkeit der Schüler zeigt sich, dass diese konsequent
mit einer zunehmenden Anzahl an Büchern im Haushalt steigt, sodass auf einen
Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Höhe der durchschnittlich
erreichten Gesamtpunktzahl geschlossen werden muss (vgl. Abbildung 5.3.5, Tabelle 5.3.12-
Anhang).
Abbildung 5.3.5: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Primarstufe nach dem Buchbesitz in Thüringen sowie in den Kreisen und kreisfreien Städten, im Jahr 2012 (in %)
Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
In den Kreisen scheint die soziale Herkunft jedoch einen geringeren Einfluss auf die
Leseleistung auszuüben als in den kreisfreien Städten. Denn während Schüler aus
Haushalten mit weniger als 25 Büchern in den Kreisen durchschnittlich 70,9% der
Gesamtpunktzahl erreichen, sind dies in den kreisfreien Städten durchschnittlich 4,5%-
Punkte weniger. Im Städtevergleich sind insbesondere die Disparitäten in der Stadt Weimar
zu nennen: In Weimar beträgt die durchschnittliche Gesamtpunktzahl von Schülern mit
weniger als 25 Büchern vergleichsweise geringe 55,4%, sodass sich Weimar deutlich von
anderen Kreisen und kreisfreien Städten absetzt. Gleichzeitig erzielen die Weimarer Schüler
aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern im Haushalt 78% der Gesamtpunktzahl, wodurch
92
Weimar ebenfalls der Spitzengruppe angehört (vgl. Tabelle 5.3.12-Anhang). Lediglich die
Schüler der Stadt Jena können einen um 1%-Punkt höheren Wert aufweisen (79%).
Sekundarstufe I In der Sekundarstufe I zeichnet sich bezüglich der Schülerzusammensetzung ein ähnliches
Bild ab, wie bereits zur Primarstufe dargestellt (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.3). Auf
Landesebene können jedoch lediglich vergleichsweise geringere Leistungsunterschiede nach
der sozialen Herkunft ausgemacht werden, denn während Schüler aus Haushalten mit
weniger als 25 Büchern durchschnittlich 65,1% der Gesamtpunktzahl erreichen, beträgt der
Anteil bei Schülern aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern 67,9% (vgl. Abbildung 5.3.6).
Doch bereits bei einem Vergleich der kreisfreien Städte und Kreise zeigen sich erneut
sozialbedingte Leistungsdifferenzen ähnlich jener im Primarbereich. Zudem unterscheiden
sich die Ergebnisse zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften (vgl. Tabelle 5.3.13-
Anhang).
Abbildung 5.3.6: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Sekundarstufe I nach dem Buchbesitz in Thüringen sowie in den Kreisen und kreisfreien Städten, im Jahr 2012 (in %)
Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.
In der kreisfreien Stadt Gera lassen sich beispielsweise deutliche Differenzen zwischen den
Schülern nach Bücherkategorie nachzeichnen (16,9% zwischen den Extremen). Den Schulen
in Jena scheint hingegen eine Kompetenzförderung, relativ unabhängig vom Sozialstatus, zu
gelingen, denn Schüler aller drei Bücherkategorien erreichen über 70% der
Gesamtpunktzahl. Anders gestaltet sich das Verhältnis in der Stadt Weimar: Schüler mit über
93
26 bzw. 100 Büchern im Haushalt erreichen über 70% der Gesamtpunktzahl, bei Schülern
aus Familien mit weniger als 25 Büchern beträgt der Anteil 58,8%.
5.4 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Zertifikatsvergabe
Die Vergabe schulischer Zertifikate gilt als eine zentrale Funktion der Institution Schule (Fend
2006) und erhält eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, da sich in Abhängigkeit zur
schulisch erworbenen (oder nicht erworbenen) Berechtigung unter anderem berufliche und
soziale Teilhabemöglichkeiten regeln. Dabei gilt es, Zertifikate in fairer Art und Weise zu
vergeben. Das heißt konkret, die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Leistungen
angemessen zu zertifizieren und niemanden ungerechtfertigt ohne eine formale
Qualifizierung aus dem Schulwesen zu entlassen.
Betrachtet man die ideelle sowie die berufliche Wertigkeit der Abschlüsse, ist zu
beobachten, dass vor allem der Hauptschulabschluss eine deutliche Abwertung erfährt. Der
Erwerb maximal eines Hauptschulabschlusses erhöht signifikant das Arbeitslosigkeitsrisiko
an der zweiten Schwelle, dem Übergang von der Ausbildung in den Beruf (Buch, Hell und
Wydra-Somaggio 2011). Dagegen halten sich Arbeitslosenquoten von Hochschulabsolventen,
die im Regelfall ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abgeschlossen haben, auf konstant
niedrigem Niveau.
Nachfolgend wird gezeigt, wie sich die Zertifikatsvergabe in Thüringen darstellt. Hierfür
werden zum einen die abschlussbezogene Absolventenstruktur sowie die
Absolventenanteile im Verhältnis zur Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter in den
einzelnen Gebietskörperschaften Thüringens im Zeitverlauf analysiert. Zum anderen wird
Thüringen im Vergleich zu den Bundesländern hinsichtlich des Erwerbs der
Hochschulzugangsberechtigung sowie hinsichtlich fehlender schulischer Zertifikate
betrachtet.
5.4.1 Absolventen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss aus den allgemeinbildenden
Schulen
In der traditionell dreigliedrigen Schulstruktur war an jeder der drei Schularten ein
spezifischer Abschluss zu erwerben, wobei an den höheren Schularten auch die niedrigeren
Abschlüsse zu erwerben waren. Mit der Einführung integrierter Schularten ging auch die
zunehmende Entkopplung von Schulart und Schulabschluss einher.
Betrachtet man den Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen
Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen im Abschlussjahr 2011 in Thüringen
im Vergleich zu den 15 Bundesländern, lässt sich Thüringen mit 29,4 % Anteil an
94
Hochschulreifeabsolventen31 eher im Mittelfeld verorten, und es bleibt leicht unter dem
bundesdeutschen Durchschnitt von 31,3% (vgl. Berkemeyer et al. 2013). Gerade im Vergleich
zu Ländern im Norden wie Hamburg (mit einem Absolventenanteil von 46,7%) und Bremen
(40,9%) oder im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen (37,8%) ist ein teils sehr deutlicher
Abstand zu erkennen, während die Diskrepanz etwa zu Bayern am unteren Ende der
Rangreihe (mit 24,2% Anteil an Absolventen) weniger deutlich ausfällt. Vergleicht man den
Anteil der Absolventen mit Hochschulreife aus den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen
zwischen den Jahren 2009 und 2011, ist ein leichter Rückgang des Anteils zu verzeichnen.
Erwarben im Abschlussjahr 2009 noch 31,5% der jungen Menschen an der gleichaltrigen
Wohnbevölkerung die Hochschulzugangsberechtigung, waren es ein Jahr später 31%, und im
Jahr 2011 sank die Quote abermals auf 29,4%. Gleichzeitig erfährt der bundesdeutsche
Anteil im selben Zeitraum in etwa die gleiche Veränderung, jedoch gegenläufig in Form eines
leichten Anstiegs um 2%-Punkte, von 29,3% im Jahr 2009 auf nun 31,3% im Jahr 2011.
Fokussiert man neben den höchsten zu erwerbenden Abschlüssen das Fehlen eines
schulischen Zertifikats und nimmt den Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der
gleichaltrigen Wohnbevölkerung im Jahr 2011 in Thüringen in den Blick, so ergibt sich im
Ländervergleich folgendes Bild: Verlassen in Thüringen 7,8% der jungen Menschen die
Schule, ohne maximal einen Hauptschulabschluss erworben zu haben, sind es in Deutschland
mit 6,2% Abschlusslosen 1,6%-Punkte weniger (vgl. ebd.). Damit bleibt Thüringen teils
deutlich über den Abgängerquoten süd-westlicher Länder wie dem Saarland (mit 4,8%
Abgängern ohne Abschluss), Baden-Württemberg (5,1%) und Bayern (5,2%), jedoch auch
merklich unter den Quoten aller anderen östlichen Bundesländer, insbesondere bezüglich
Sachsen-Anhalt (12,1%) und Mecklenburg-Vorpommern (13,3%). Im Zeitverlauf betrachtet
verlassen in Thüringen prozentual weniger Abgänger die Schule ohne Abschluss. So sind es
im Jahr 2009 8,1% und im Jahr 2011 noch 7,8%, wobei im dazwischenliegenden Jahr 2010
der Anteil der Abgänger mit 8,6% am höchsten liegt. Der bundesdeutsche Anteil sinkt
dagegen innerhalb der drei Jahre konstant von 6,9% in 2009 auf nun 6,2% im Jahr 2011.
Anteile der Absolventen an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter
Die benannten Differenzen zwischen den beiden Gebietskörperschaftstypen „Kreis“ und
„kreisfreie Stadt“ lassen sich ebenso auf der Ebene der einzelnen Kreise und kreisfreien
Städte erkennen. Im Folgenden werden die Anteile der Abgänger und Absolventen an der
31
Die berichteten Abschlussquoten Gesamtthüringens sind weder vergleichbar noch identisch mit den im nächsten Abschnitt dokumentierten Anteilswerten in den Kreisen, kreisfreien Städten und in Thüringen, da sich erstere nach dem Quotensummenverfahren berechnen (s. auch Berkemeyer et al., 2013) und aufgrund dessen leichte Abweichungen bezüglich der Anteilswerte bestehen können.
95
Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter für das Jahr 2012 sowie in der Zeitreihe von
2008 an betrachtet (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang).
Auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte kann folgender Trend festgemacht werden
(Tabelle 5.4.7): Während die Quote der Abgänger ohne Abschluss32 zwischen den Jahren
2008 und 2012 tendenziell zurückgeht (in den kreisfreien Städten mit minus 1,1% deutlicher
als in den Kreisen, in denen die Quote eher stagniert), ist sowohl bei den Hauptschul- als
auch bei den Realschulabschlüssen ein sehr deutlicher Rückgang spürbar. Durchschnittlich
verlassen in den Kreisen und Städten 3,3%-Punkte weniger Jugendliche die Schule mit einem
Hauptschulabschluss (jeweils 10,6% der alterstypischen Wohnbevölkerung im Jahr 2012), die
Quote des Realschulabschluss sinkt noch deutlicher um 10,7%-Punkte in den Kreisen (auf
43,6%) sowie um 15,9%-Punkte in den Städten (auf 34,9%). Der Anteil der erworbenen
allgemeinen Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung zeigt im Vergleich der
Jahre 2008 und 2012 sowohl in den Kreisen (mit einem Plus von 3,5%-Punkten auf 30,1%) als
auch in den kreisfreien Städten (mit einem Plus von 2,7%-Punkten auf 41,7%) einen Anstieg,
obgleich im dazwischenliegenden Jahr 2010 jeweils ein Rückgang der Quote zu beobachten
war (Abbildung 5.4.1).
Tabelle 5.4.7: Abgänger und Absolventen absolut und anteilig an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter in den Kreisen, Kreisfreien Städten und in Thüringen in den Jahren 2008, 2010 und 2012
Gebiet Abschlussart 2008 2010 2012
Kreise
ohne Hauptschulabschluss absolut 356 345 354
Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,0 3,3 3,1
Hauptschulabschluss absolut 1.655 1.259 1.225
Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 12,2 10,6
Realschulabschluss absolut 6.429 4.789 5.028
Anteil an Wohnbevölkerung in % 54,1 46,5 43,6
Allgemeine Hochschulreife absolut 5.865 3.639 3.056
Anteil an Wohnbevölkerung in % 26,6 24,7 30,1
Kreisfreie Städte
ohne Hauptschulabschluss absolut 126 142 93
Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,9 5,0 2,8
Hauptschulabschluss absolut 450 408 346
Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 14,2 10,6
Realschulabschluss absolut 1.642 1.217 1.143
Anteil an Wohnbevölkerung in % 50,8 42,5 34,9
Allgemeine Hochschulreife absolut 2594 1779 1383
Anteil an Wohnbevölkerung in % 39,0 38,1 41,7
Thüringen
ohne Hauptschulabschluss absolut 482 487 447
Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,2 3,7 3,0
Hauptschulabschluss absolut 2.105 1.667 1.571
Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 12,2 10,6
32
Für die vorliegenden Berechnungen der Abgängerquoten wurde ausschließlich das Regelschulsystem
betrachtet, das Förderschulwesen wurde konsequent ausgespart.
96
Realschulabschluss absolut 8.071 6.006 6.171
Anteil an Wohnbevölkerung in % 53,4 45,6 41,7
Allgemeine Hochschulreife absolut 8.459 5.418 4.439
Anteil an Wohnbevölkerung in % 29,5 27,9 32,9
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; Absolventen/Abgänger aus allgemeinbildenden Schulen nach Schuljahr und Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren sowie Geschlecht nach Kreisen; eigene Berechnungen.
Nachfolgend werden die einzelnen Abschlussarten noch einmal je für sich in ihren
anteilsmäßigen Verteilungen dargestellt, beginnend mit den Ergebnissen zu den Abgängern
ohne Abschluss, die als besonders gefährdete Gruppe einzustufen sind, da sie deutlich
geringere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben.
Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung
Im Vergleich der Städte und Kreise ist für das Abschlussjahr 2012 zu konstatieren, dass
zwischen ihnen durchschnittlich nur geringe Unterschiede bezüglich der Abgängerquote
bestehen (vgl. Tabelle 5.4.6-Anhang). Verlassen in den Kreisen im Schnitt 3,1% der
Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, sind es in den kreisfreien Städten 2,8% der
alterstypischen Wohnbevölkerung. Der Blick in die einzelnen Gebiete offenbart größere
Differenzen: Im Jahr 2012 verzeichnet Jena die geringste Abgängerquote von 0,7% (neben
Weimar mit 0,9% und der Kreis Greiz mit 1,2%), demgegenüber verlassen im Kreis
Schmalkalden-Meiningen mit 5,1% die meisten Jugendlichen die Schule, ohne maximal einen
Hauptschulabschluss erworben zu haben. Im Weimarer Land sowie im Kreis Saalfeld-
Rudolstadt gingen 4,3% der jungen Menschen ohne Abschluss von der Schule.
Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung aus den Regelschulen
Die Anteile der Absolventen mit Hauptschulabschluss verteilen sich mit jeweils 10,6% zu
gleichen Teilen auf die Kreise und kreisfreien Städte (vgl. Tabelle 5.4.6-Anhang). Der je
höchste bzw. geringste Anteil findet sich innerhalb der Kreise: Im Kreis Hildburghausen
erwerben 16,5% der Jugendlichen einen Hauptschulabschluss, während dies im Weimarer
Land 6,9% gelingt.
Wie weiter oben bereits angedeutet, sinken die Anteile der erworbenen
Hauptschulabschlüsse an der alterstypischen Wohnbevölkerung im Verlauf der Jahre 2008
bis 2012, obwohl sich in der Zeitreihe größere Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren
97
abzeichnen (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). In der Stadt Suhl sowie im Kreis
Nordhausen ergibt sich mit einem Minus von 11,5%-Punkten bzw. einem Minus von 16,1%-
Punkten der höchste Rückgang im Vergleich der beiden Jahre 2008 und 2012. Vor allem im
Kreis Nordhausen ist auffällig, dass im Jahr 2008 noch mehr als ein Viertel der Jugendlichen
(26,8%) einen Hauptschulabschluss erwarb, vier Jahre später sind es weniger als 11%. Die
beiden einzigen Anstiege innerhalb dieser Zeitspanne fallen auf die Stadt Eisenach mit 4,3%-
Punkten sowie auf das Altenburger Land mit 0,3%-Punkten. Ein auch über die Jahre konstant
zu beobachtender hoher Anteil an Hauptschulabsolventen findet sich im Kreis
Hildburghausen.
Anteil der Absolventen mit Realschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung
Im Abschlussjahr 2012 erwarben in den Kreisen 43,6% der jungen Menschen einen
Realschulabschluss, in den kreisfreien Städten hingegen rund 35% (vgl. Tabelle 5.4.6-
Anhang). Diese Verteilung korrespondiert mit den Anteilen der Regelschule (in denen der
Realschulabschluss als höchster zu erwerbender Abschluss angeboten wird) in Kreisen und
kreisfreien Städten gemessen an allen Schulen des Sekundarschulbereichs: Innerhalb der
Kreise finden sich mit rund 71% deutlich mehr Regelschulen als in den Städten, die mit rund
43% knapp 30%-Punkte weniger zählen.
Den mit Abstand geringsten Anteil an Realschulabsolventen weist Weimar mit knapp 27%
der alterstypischen Wohnbevölkerung auf, diesen letzten Platz im Vergleich der insgesamt
23 Kreise und kreisfreien Städte hat Weimar seit den letzten drei Abschlussjahren inne (vgl.
Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). Daneben bleibt nur noch Jena unter der 30-%-
Marke. Die meisten jungen Menschen gemessen an der Wohnbevölkerung im typischen
Abschlussalter verlassen im Kreis Hildburghausen die Schule mit einem Realschulabschluss,
hier sind es 54,8%. Seit dem Abschlussjahr 2009 verzeichnet dieser Kreis die höchste
Realschulabschlussquote. Im Vergleich der Jahre 2008 und 2012 verzeichnet die Stadt Suhl
mit einem Plus von knapp 14%-Punkten den im Vergleich der Gebietskörperschaften
einzigen Anstieg der Abschlussquote, für die Stadt Eisenach kann dagegen mit einem Minus
von 28,4%-Punkten der deutlichste Rückgang beobachtet werden. Suhl fällt darüber hinaus
ins Auge, da es, anders als die übrigen kreisfreien Städte Thüringens, eine hohe
Realschulabschlussquote und eine niedrige Quote der Hochschulreifeabsolventen aufweist,
die Abschlussstruktur demnach eher der der ländlichen Räume ähnelt. Generell ist für alle
Kreise und kreisfreien Städte (mit Ausnahme von Weimar) ein teils sehr deutlicher Rückgang
der Absolventen mit Realschulabschluss, sowohl anteilig als auch absolut zu sehen, auch und
vor allem im Vergleich mit den Anteilen der anderen Schulabschlüsse im Thüringer
Schulsystem (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang).
Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung
98
In den kreisfreien Städten ist die Quote der Absolventen mit Hochschulreife mit einem Anteil
von 41,7% an der alterstypischen Wohnbevölkerung die am häufigsten erworbene
Abschlussart (vgl. Abbildung 5.4.1; Tabelle 5.4.6-Anhang). In den Kreisen sind es gut 10%-
Punkte weniger, hier erwerben 30,1% der alterstypischen Wohnbevölkerung das Abitur.
Deutlich höher liegen die Abschlussquoten in den Städten, vor allem in Eisenach erwirbt
mehr als die Hälfte der jungen Menschen (54,0%) die Hochschulreife, gefolgt von Jena mit
knapp 50%. Jedoch findet sich erwartungswidrig auch der niedrigste Abschlusswert im
städtischen Gebiet: Suhl verzeichnet einen hohen Rückgang der Absolventenquote von 8,7%-
Punkten im Vergleich zum Jahr 2008 und zählt 2012 lediglich gut 19% Absolventen mit
Hochschulreife (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). Absolut gesehen erwarben in
Suhl in 2008 insgesamt noch 144 Jugendliche das Abitur, vier Jahre später sind es nur noch
39 junge Menschen. Demgegenüber ist die positive Entwicklung im Kreis Gotha
bemerkenswert: Hier verlassen im Jahr 2012 12%-Punkte mehr junge Menschen die mit
Abitur als noch vier Jahre zuvor.
Abbildung 5.4.1: Entwicklung der Absolventenanteile mit Hochschulreife an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter, 2007/08 bis 2011/12 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Die divergierenden Absolventenquoten zwischen Kreisen und kreisfreien Städten ergeben
sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den unterschiedlichen schulstrukturellen
Angebotslagen. Die kreisfreien Städte weisen im Vergleich zu den Landkreisen eine größere
Vielfalt an Schularten auf, die zum Abitur führen (siehe Kapitel 3). Die Städte Thüringens
zählen über 57% weiterführende Schulen, die zur höchsten Abschlussart führen, die Kreise
99
dagegen rund 29%. Somit kann gesagt werden, dass die unterschiedlichen Aussichten auf ein
Abiturzeugnis offensichtlich durch die disparaten schulstrukturellen Angebote zumindest
mitmoderiert werden. Die Aufgabe zukünftiger Forschung ist es, zu ermitteln, ob sich für
Schüler, denen nach Beendigung der Grundschulzeit keine Gymnasialfähigkeit zugesprochen
wurde, durch den Besuch einer anderen zum Abitur führenden Schulart die Chancen auf den
Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung systematisch erhöhen. Hier wären vergleichende
Analysen zwischen Regelschülern und Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschülern zielführend.
5.4.2 Absolventen aus beruflichen Schulen
Das berufsbildende Schulsystem besitzt eine hohe Bedeutung hinsichtlich des Nacherwerbs
bzw. Höhererwerbs allgemeinbildender Abschlüsse. Die auf Ebene der Länder ansetzenden
Analysen des Chancenspiegels zeigen, dass in Deutschland an beruflichen Schulen in
bemerkenswertem Maße Hauptschulabschlüsse nachgeholt oder auch höhere Zertifikate wie
die Fachhochschulreife oder die allgemeine Hochschulreife erworben werden (Berkemeyer
et al., 2013).
Auch in Thüringen ist das berufsbildende Schulsystem erkennbar daran beteiligt, die Schüler
mit allgemeinbildenden Schulabschlüssen auszustatten. Die absoluten Absolventenzahlen
sind im Zeitverlauf zwischen 2007 und 2011 zwar über alle Abschlussarten hinweg rückläufig
(vgl. Tabelle 5.4.8-Anhang), im Fall des Erwerbs der Hochschulreife33 aber zeigt sich, dass die
Anteile der Absolventen an der alterstypischen Wohnbevölkerung anwachsen (vgl.
Abbildung 5.4.2).
Gerade in den kreisfreien Städten zeigen sich im Betrachtungszeitraum deutlich ansteigende
Werte. Zwischen 2007 und 2011 steigt der Anteilswert hier um 16,1%-Punkte. Etwas
geringer fallen die Zugewinne in den Kreisen aus, auch hier steigt in der anteilsmäßigen
Betrachtung die Bedeutung des Erwerbs der Hochschulreife, allerdings in geringerem Maße.
Gegenläufig ist die Veränderung zwischen den Jahren bei den anderen beiden
allgemeinbildenden Schulabschlüssen. Sowohl absolut als auch anteilsmäßig gesehen sind
die Werte im Jahr 2011 niedriger als im Jahr 2007. Diese entgegenlaufenden Veränderungen
können als Hinweise darauf gedeutet werden, dass das berufsbildende Schulsystem
zunehmend einen höherqualifizierenden Charakter annimmt und weniger als Instanz zum
nachholen niedrigerer Abschlüsse fungiert.
33
Hier werden Fachhochschulreife und allgemeine Hochschulreife zusammengefasst betrachtet.
100
Abbildung 5.4.2: Anteil an Absolventen mit Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung aus beruflichen Schulen, 2007 bis 2011 (in %)
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.
Betrachtet man die Absolventen mit Hochschulreife aus dem berufsbildenden Schulsystem
zusammen mit denen aus dem allgemeinbildenden Schulsystem so zeigt sich, dass in
Thüringen über 50% der alterstypischen Wohnbevölkerung eine
Hochschulzugangsberechtigung erwerben. Auffällig sind die großen Unterschiede zwischen
den Kreisen und den kreisfreien Städten: Während in den kreisfreien Städten über 80% der
Wohnbevölkerung die Hochschulreife zertifiziert bekommen, erreichen dies in den Kreisen
nur knapp 47% der abschlusstypischen Jahrgänge. Diese großen Disparitäten, die durchaus
als Stadt-Land-Gefälle hinsichtlich des Erreichens des Abiturs zu bezeichnen ist, sind
erklärungsbedürftig. Das schulstrukturelle Angebot spielt sicher eine Rolle, ist aber nur in
Zusammenhang mit der soziostrukturellen Zusammensetzung der Bevölkerung und den
Bildungsaspirationen von Eltern und Schülern in den einzelnen Gebietskörperschaften zu
betrachten. In den städtischen Gebieten kumulieren die relevanten Faktoren derart, dass die
Chance eines Schülers in der Stadt ungleich höher ist, eine Hochschulzugangsberechtigung
zu erwerben. Die Abstände in den Erwerbsanteilen sind für das berufsbildende Schulsystem
analog zum allgemeinbildenden Schulsystem, wie bereits dargelegt, nachzuweisen.
101
6. Gesamtschau zentraler Befunde zu Bedingungen und Ausprägungen der
Chancengerechtigkeit in Thüringens Schulsystem34
Die Analysen zu den einzelnen thematischen Teilbereichen mit ihrem breit angelegten
Beobachtungsspektrum bieten grundlegende Einsichten zu jüngeren Entwicklungen und der
gegenwärtigen Konstitution der Thüringer Schulsysteme sowie angrenzender Teilsysteme
und demografischer Bedingungen. Das gewählte Format eines indikatorenbasierten Berichts
hat dabei den Vorteil, eine Vielzahl unterschiedlicher Gegenstandsbereiche anhand von
Kennzahlen umfassend beschreiben zu können. Zudem können die verschiedenen
Beobachtungseinheiten, hier die Gebietskörperschaften Thüringens, differenziert beurteilt
werden. Somit lassen sich vielfältige Aussagen über interessierende Aspekte treffen, die
aufgrund der Vielschichtigkeit der Erkenntnisse in der Summe aber, und hier lässt sich ein
Defizit vieler großangelegter Bildungsberichtssysteme feststellen, einer konzentrierten
Gesamtschau entgegenstehen. Die Informationsfülle ist schlichtweg zu umfangreich, als dass
am Ende ein Generalbefund stehen könnte. Die Expertise verfolgt das Ziel, einen
datengestützten Rahmen für eine funktionsorientierte und systemisch-ökologische
Schulsystementwicklung bereitzustellen.
Die nachfolgende Zusammenschau zentraler Ergebnisse aus den Bereichen sozialräumliche
Bedingungen, schulische Angebotsstrukturen sowie gerechtigkeitsrelevante
Qualitätsmerkmale zeichnet ein umfassendes und zugleich auf ausgewählte Aspekte
reduziertes Bild der Thüringer Schulsysteme. Dieses kann anschließend als fundierte Basis
für die Formulierung von Handlungsoptionen für Steuerungsakteure herangezogen werden
(Kapitel 7).
Da in Anlehnung an den Chancenspiegel die Gerechtigkeitsausprägungen der Schulsysteme
als maßgebliche Kriterien für eine gesellschaftlich und politisch adäquate Systemsteuerung
fungieren sollen, werden die schon weiter vorne aufgezeigten sozialräumlichen (Kapitel 2)
und schulstrukturellen Bedingungslagen (Kapitel 3), die in den einzelnen
Gebietskörperschaften vorzufinden sind, im weiteren Verlauf als Reflexionsfolien rekrutiert.
Um die Gesamtbetrachtung in den genannten schulsystemischen Teildimensionen zu
erleichtern, werden die extrahierten Befunde zu den sozialräumlichen und schulstrukturellen
Bedingungslagen vorab noch einmal kurz präsentiert, bevor die Übersicht zu den
gefundenen Gerechtigkeitsausprägungen vorgestellt wird.
34
Die Analysen und Ausführungen beziehen sich nachfolgend ausschließlich auf das allgemeinbildende Schulsystem.
102
Die sozialräumlichen Kontexte der Thüringer Schulsysteme
Den Annahmen folgend, dass Bildungs- bzw. Schulsysteme in multiplen Wechselbeziehungen
zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen stehen und dass sie regional und demografisch
spezifisch eingebettet sind, wurden sie im Rahmen dieser Expertise als Sozialraum
definierende Kontextbedingungen mittels eines Indezes beschrieben. Der gebildete Index
setzt sich aus insgesamt sieben Einzelindikatoren der Bereiche Demografie, Wirtschaft und
Sozialstruktur zusammen:
Indikator 1: Geburtenentwicklung nach Anzahl Lebendgeburten zwischen 2007 und 2011
Indikator 2: Anteile der Bevölkerungsgruppe der unter 18-Jährigen an der Wohnbevölkerung 2011
Indikator 3: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung, Veränderung zwischen 2009 und 2030
Indikator 4: Arbeitslosenquoten im Jahr 2012
Indikator 5: Anteile sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter im Jahr 2011
Indikator 6: Anteile der Schüler mit mehr als 100 Büchern im Haushalt, 2012
Indikator 7: Anteile Hilfebedürftiger unter 15-Jähriger
Mit dem Index wird ein Eindruck darüber vermittelt, unter welchen Bedingungen schulische
Systeme und Akteure ihre Leistungen erbringen. Da die Verhältnisse zwischen den einzelnen
Gebietskörperschaften Thüringens bisweilen deutlich divergieren und sich je Indikator
disparate Ergebnisse zeigen, gibt der Index Hinweise auf die Unterschiedlichkeit der
jeweiligen Sozialräume (siehe Kapitel 2).
Die schulstrukturelle Gliederung der Thüringer Schulsysteme in der Sekundarstufe
Dem Systematisierungsvorschlag von Bellenberg (2012) folgend, demnach drei
Schulsystemvarianten (mehrgliedrig, etabliert zweigliedrig, im Umbau zur Zweigliedrigkeit)
zu unterscheiden sind, ist Thüringen der Gruppe der etabliert zweigliedrigen Schulsysteme
zuzuordnen. Damit fokussiert sie die traditionelle Aufgabenteilung zwischen Regelschule und
Gymnasium. Eine differenzierte Betrachtung hingegen belegt, dass die Schulstruktur
Thüringens noch durch weitere Schularten geprägt wird. Innerhalb der Sekundarstufe
werden neben den bereits genannten Schularten als ergänzende Angebote noch die
Gesamtschule sowie seit dem Schuljahr 2011/12 die Gemeinschaftsschule, welche die
Primar- und Sekundarstufe vereint, vorgehalten (nicht berücksichtigt werden hier die
Förderschulen). Die beiden letztgenannten Schularten sowie das Gymnasium führen jeweils
potentiell zum Erreichen der Hochschulreife. Somit kann daher inzwischen nicht mehr von
einer rein zweigliedrigen Schulsystemstruktur in Thüringen ausgegangen werden, wie die
Übersicht in Kapitel 3 aufzeigt.
Auffällig ist, dass die von Bellenberg als generelles Modell angenommene schulstrukturelle
Zweigliedrigkeit ausschließlich in Landkreisen vorzufinden ist. Einige Kreise sowie alle
103
kreisfreien Städte weisen mindestens eine dreigliedrige Schulstruktur auf. In Saalfeld-
Rudolstadt, Jena und Weimar besteht in der Sekundarstufe sogar die Wahl zwischen vier
Schularten. Mittels dieser Differenzierungen werden weitere Unterscheidungsdimensionen
für die Analyse der Gerechtigkeitsausprägungen eingeführt.
Ausprägungen der Chancengerechtigkeit der Thüringer Schulsysteme und Zusammenführung der Ergebnisse mit den sozialräumlichen Bedingungen und schulstrukturellen Gliederungen
Die beiden zuvor aufgeworfenen Beobachtungsdimensionen werden nun mit einer Auswahl
derjenigen Indikatoren zusammengeführt, die Aufschlüsse über die Systemgerechtigkeit der
einzelnen Schulsysteme geben. Die Betrachtung beschränkt sich hierbei auf die
Ausprägungen, die statistisch für die Sekundarstufe nachgewiesen werden können. Die
Chancengerechtigkeit der Schulsysteme wird beschrieben über einen
Integrationskraftindikator35 (Ganztagsangebot), zwei Durchlässigkeitsindikatoren
(Wiederholerquote und Schülerzahlverluste des Gymnasiums) sowie drei Outputindikatoren
(Lesekompetenzwert, Abgänger ohne Abschluss, Absolventen mit Hochschulreife). Wie
schon bei der Indexbildung zu den sozialräumlichen Bedingungen wurde hier kein Ranking
vorgenommen. Stattdessen wurde wieder auf das oben bereits beschriebene
Gruppierungsverfahren zurückgegriffen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6.1 dargestellt. Ein
grün unterlegtes Feld bedeutet, dass die betreffende Gebietskörperschaft in der Analyse
dieses Indikators zu dem besseren Viertel aller Gebietskörperschaften gehört, ist ein Feld
orange markiert, gehört die Gebietskörperschaft zu den 25% der Verteilung, die in diesem
Indikator weniger erfolgreich sind. In den beiden unteren Zeilen sind die
Gruppenmittelwerte zur Vergegenwärtigung der quantitativen Abstände zwischen den
äußeren Gruppen aufgeführt. Die Kreise und kreisfreien Städte wurden so angeordnet, dass
die sozialräumlich gesehen weniger belasteten Fälle in den oberen (hellblau unterlegt), die
stärker belasteten Gebietskörperschaften in den unteren Zeilen der Tabelle wiederzufinden
sind. Zusätzlich wird der schulstrukturelle Gliederungstyp mittels der Sternchen an den
Namen der Gebietskörperschaften symbolisiert.
Somit sind alle interessierenden Informationen zu den extrahierten
Systembeschreibungsdimensionen in dieser Tabelle komprimiert enthalten.
Ein genereller Zusammenhang zwischen den einzelnen Strukturdimensionen ist nicht
auszumachen. Es gibt genauso Gebietskörperschaften, die sozialräumlich besehen günstige
Bedingungen sowie mehrgliedrige Schulsysteme aufweisen, wie auch
Gebietskörperschaften, die sozialräumlich eher belastet sind und deren Schulsysteme
35
Die Indikatoren, die Hinweise auf den Integrationsgrad von Schülern mit besonderen pädagogischen
Bedarfen geben, sind aufgrund der Existenz regionaler Förderzentren auf der Ebene von
Gebietskörperschaften nicht sinnvoll zu vergleichen.
104
mehrgliedrig strukturiert sind. Gegen einen direkten Durchgriff der sozialräumlichen und
schulstrukturellen Gegebenheiten auf die Gerechtigkeitsausprägungen sprechen die
Ergebnisse einzelner Fälle, deren Ausprägungen in den Gerechtigkeitsindikatoren sich trotz
ähnlicher Kontextbedingungen nicht entsprechen. Abgesehen von diesen Einzelfällen sind
tendenziell einige Muster zu erkennen. So ist innerhalb der Gruppe der
Gebietskörperschaften mit den vorteilhafteren sozialräumlichen Bedingungen erkennbar,
dass diese hinsichtlich der Gerechtigkeitsindikatoren häufiger zu den erfolgreicheren 25%
und seltener zu den weniger erfolgreicheren Gebietskörperschaften gehören, als dies
innerhalb der Gruppe der sozialräumlich eher belasteten Kreise und kreisfreien Städten der
Fall ist. Insbesondere Jena und der Saale-Holzland-Kreis, aber auch Weimar und das Eichsfeld
gehören überdurchschnittlich häufig zu den erfolgreicheren Gebietskörperschaften, gerade
in den sogenannten Outputindikatoren. Daneben zeichnen sich die sozialräumlich eher
belasteten Gebietskörperschaften laut den Daten durch eine höhere Haltekraft ihrer
Gymnasien aus.
Aus Perspektive der Wissenschaft ergeben sich aus dieser Übersicht weitergehende
Forschungsanlässe. So ist zu fragen, wieso es Kreise wie Schmalkalden-Meiningen und den
Wartburgkreis gibt, deren Schulsysteme unter günstigen sozialräumlichen Bedingungen
arbeiten, aber in keinem der herangezogenen Gerechtigkeitsindikatoren gute Ergebnisse
erzielen. Demgegenüber gibt es mit Greiz, Saaldfeld-Rudolstadt und dem Altenburger Land
Gebietskörperschaften, die aufgrund ihrer sozialräumlichen Belastungen erwartungswidrig
gute Ergebnisse erzielen. Sowohl diese Fälle als auch die Städte Jena und Weimar könnten
innerhalb von Einzelfalluntersuchungen auf weitere Erklärungsfaktoren hin untersucht
werden.36 Insbesondere ist danach zu schauen, welche Schulentwicklungsmaßnahmen
positive Wirkungen hervorrufen und somit in das Interventionsrepertoire der regionalen und
lokalen Steuerungsakteure aufgenommen werden sollten. Dies erscheint insbesondere in
den Gebietskörperschaften, die zumeist weniger gute Ergebnisse erzielen und sich durch
eine geringe Chancengerechtigkeit auszeichnen, als Gebot der Zukunft, damit den Schülern
in diesen Gebieten ausreichende Bildungschancen geboten und disparate
Chancenverhältnisse innerhalb Thüringens ausgeglichen werden.
36
Der Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-Universität Jena schreibt zu Fragestellungen dieser Art aktuell verschiedene Themen aus, die innerhalb von Abschlussarbeiten bearbeitet werden sollen.
105
Tabelle 6.1: Übersicht zu Ausprägungen ausgewählter Gerechtigkeitsindikatoren
Kreise/Kreisfreie Stadt Ganztagsangebot,
Sekundarstufe 2011/12
Wiederholerquote, Sekundarstufe 2011/12
Schülerzahlverluste des Gymnasium, 5.-9.
Klassenstufe, 2008/09 bis 2011/12
Anteil erreichte Lesekompetenzwert an
Gesamtpunktzahl, Klassenstufe 8, 2012
Anteil Abgänger ohne Hauptschulabschluss an
Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter,
2011/12
Anteil der Absolventen mit Hochschulreife aus
dem allgemeinbildenden
Schulsystem an Wohnbevölkerung im
typischen Abschlussalter, 2011/12
Stadt Jena****
Stadt Weimar****
Eichsfeld**
Saale-Holzland-Kreis***
Stadt Erfurt***
Wartburgkreis**
Schmalkalden-Meiningen**
Ilm-Kreis***
Gotha***
Hildburghausen**
Weimarer Land**
Stadt Eisenach***
Unstrut-Hainich-Kreis***
Sonneberg**
Saale-Orla-Kreis***
Stadt Suhl***
Sömmerda**
Saalfeld-Rudolstadt****
Stadt Gera***
Nordhausen**
Kyffhäuserkreis***
Greiz**
Altenburger Land**
Mittelwert obere Gruppe 59,6 1,1 -14,0 69,2 1,3 41,9
Mittelwert untere Gruppe 20,8 2,3 -22,0 63,5 4,5 25,4
Anmerkungen: Aus Gründen der Sicherung der Anonymität der Einzelschule werden Gruppenwerte aufgeführt Grün = Gruppe der oberen 25%, orange = Gruppe der unteren 25%; angegebener Wert ist der Durchschnittswert der Gruppe. ** = Zweigliedrigkeit; ***= Dreigliedrigkeit; **** = Viergliedrigkeit.
106
7. Handlungsoptionen
Die hier vorgestellte Expertise zeigt ein differenziertes Bild der Thüringer Schullandschaft.
Dass letztere so vielgestaltig ist, kann verschiedene Ursachen haben, wobei festgehalten
werden muss, dass es vor dem Hintergrund der verfügbaren Daten keine kausalanalytischen
Erklärungen geben kann. Hierzu sind umfängliche, längsschnittliche und randomisierte
Verfahren notwendig. Dennoch lassen sich gerade unter Rückgriff auf die theoretischen
Überlegungen und Hinzunahme weiterer Daten einige Entwicklungsperspektiven skizzieren
und Handlungsoptionen als Möglichkeitsräume für Steuerungshandeln aufzeigen. Diese
Diskussion soll nachfolgend entlang der für den Bericht leitenden Themen Demografie,
Teilhabe und Fachkräftesicherung erfolgen.
Demografie
Thüringen hat insbesondere in den 1990er Jahren erhebliche Schülerverluste, bedingt durch
den demografischen Wandel, hinnehmen müssen. Gerade in dem hier betrachteten
Zeitraum 2007-2011 lässt sich eine leichte Erholung beobachten, die jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen darf, dass es zum Ende dieses Jahrzehnts erneut zu stärkeren Rückgängen
der Schülerzahlen kommen wird. Neben dieser Globaleinschätzung konnten weitere
detaillierte Aussagen über die Regionen Thüringens gemacht werden, wobei sich zeigt, dass
kreisfreie Städte und Kreise recht unterschiedlich vom demografischen Wandel betroffen
sind. Dies muss in Bezug auf mögliche Handlungsoptionen zu differenzierten Überlegungen
führen, die jeweils hinsichtlich ihrer Relevanz für die einzelnen Gebietskörperschaften zu
spezifizieren sind:
- Das bislang vorrangig zweigliedrige Schulangebot Thüringens wird aufgrund des
demografischen Wandels und der damit einhergehenden sinkenden Schülerzahl
mittelfristig nicht Bestand haben können. Aktuell lassen sich hier wie aufgezeigt
schon schulstrukturell Umbauten zu mehr teilintegrierten Systemen beobachten.
Zukünftig wird für solche Umbauten eine noch stärker datengestützte (Schülerzahlen
wie Qualitätsbefunde aus Schulinspektionen und Lernstandserhebungen
gleichermaßen berücksichtigende) Schulnetzplanung notwendig sein, die gerade in
dünn besiedelten Regionen auch von mehreren benachbarten Kreisen gemeinsam
durchgeführt werden kann. Diese Schulnetzplanung sollte moderiert und dialogisch,
wie bereits im Schulgesetz Thüringens (§ 41) definiert, unter Einbeziehung aller
relevanten Akteure (Schüler, Eltern, Schulpraxis-Akteure, kommunale Politik und
Verwaltung, Schulaufsicht, weitere relevante Bildungsakteure wie z.B. Jugendhilfe,
Sozialarbeit, Wirtschaftsförderung usw.) erfolgen, um so für eine Angebotssicherung
in allen Räumen Thüringens sowohl sämtliche Ressourcen zu bündeln, als auch über
die Möglichkeit der Partizipation an Entscheidungen, Akzeptanz für eben diese zu
erzielen. Dennoch wäre zu prüfen, ob das Thüringer Ministerium für Bildung,
107
Wissenschaft und Kultur weitreichendere Koordinations- und
Gestaltungskompetenzen als bisher geschehen zugestanden werden können, um so
eine abgestimmte Schulnetzplanung zu gewährleisten und das Entstehen von
systemischen Überkapazitäten zu verhindern.
- Im Fokus einer solchen dialogischen Schulnetzplanung sollte dabei nicht allein über
Schulschließungen nachgedacht werden, sondern auch über die Zusammenlegung
bestehender Schulen, wenn möglich unter Wahrung der Schulstandorte. Eine weitere
Option besteht in der Umwandlung bestehender Standorte in teilintegrative
Systeme, die auch sämtliche schulische Abschlüsse vergeben.
- Insbesondere für den ländlichen Raum werden künftig solch integrative
Schulangebote, die alle Schulabschlüsse vorhalten, nicht nur besonders attraktiv,
sondern standorterhaltend sein. Die Gemeinschaftsschule dürfte dabei der Schultyp
sein, der dies am ehesten in sich vereinigt. Hierbei ist zudem der durch die Expertise
gewonnene Eindruck bedeutsam, dass in besonderem Maße das vorhandene
Schulangebot die regionalen Schulabschlussmöglichkeiten moderiert. Des Weiteren
bietet die Gemeinschaftsschule günstige Voraussetzungen, um die Durchlässigkeit im
thüringischen Schulsystem weiter zu verbessern. Diesbezüglich wäre auch zu prüfen,
inwiefern z.B. Gemeinschaftsschulverbünde eine Handlungsoption darstellen. Diese
könnten netzwerkförmig für die Versorgung der Schülerinnen und Schüler zuständig
sein, dabei aber jeweils nur bestimmte Klassenstufen bedienen (Standorte 1-4; 5-9
und 10-13). Dies würde eine hohe Flexibilisierung in der Angebotsgestaltung und
Ressourceneinsatzplanung bedeuten (z.B. 1 Schulleiter für mehrere Standorte) und
zudem das Potential bieten, in großen Flächenräumen mit geringer
Bevölkerungsdichte die Schulwegslänge unter den Standorten nach aktuell besuchter
Klassenstufe systematisch „aufzuteilen“, um nicht eine Schülerpopulation aufgrund
sehr peripherem Wohnort die gesamte Schulbiografie über zu benachteiligen.
- Zu prüfen wäre hinsichtlich der Ressourcen-Einsatz-Planung, ob künftig eine noch
stärker bedarfsorientierte Steuerung durch das Ministerium vorzunehmen ist.
Belastete Regionen und Schulstandorte (für eine präzise Beschreibung solcher
Standorte sollte zudem über einen Sozialindex nachgedacht werden, vgl. z.B. Bonsen
et al., 2010) sollten bedarfsgerechter als bislang unterstützt werden. Hierbei ist an
zusätzliche Lehrerstellen, Fortbildungsetats oder Schulentwicklungsteams zu denken.
An solche Maßnahmen wären Rechenschaftsberichte zu koppeln, um die
Verwendung der zusätzlichen Ressourcen zu dokumentieren.
108
Fachkräftesicherung
Die Fachkräftesicherung betrifft vor allem den schulischen Funktionsbereich der
Qualifikation. Hinreichend die Kompetenzen der Schüler zu fördern ist eine der wesentlichen
Aufgaben von Schule. Dabei muss Kompetenzförderung zum einen darin bestehen,
individuelle Stärken zu entwickeln, aber auch Mindestanforderungen in den
Basiskompetenzen wie Lesen, Rechnen aber auch Sozialverhalten zu gewährleisten.
Thüringen zeigt in Bezug auf diese Aspekte in vielen Bereichen ein im Deutschlandvergleich
positives Bild, insbesondere bei der allgemeinen Förderung von Kompetenzen im Bereich
Lesen. Allerdings lassen sich auch ungenutzte Potentiale bei Schülerinnen und Schülern
vermuten. Dafür spricht die vergleichsweise hohe Anzahl von Schülern, die ohne Abschluss
die Schule verlassen sowie auch die Ergebnisse aus den Kompetenztests, wonach z.B.
Schüler, deren Eltern einen geringen sozialen Status aufweisen, beim Bildungserfolg
benachteiligt sind. Hier muss bei Planungen von Steuerungshandeln in diesem Bereich auch
regionsspezifisch berücksichtigt werden, dass bei der Interpretation der
Kompetenztestdaten der jeweilige Erwartungswert lediglich die faire Interpretation zulässt,
faktisch aber einzelne Regionen trotz bereits deutlich unter Landeswert angesetztem
Erwartungswert selbst diesen nicht erreichen.
Die Fachkräftesicherung hängt zudem von der zweiten wichtigen Dimension der schulischen
Qualifikationsfunktion ab: einer objektiven Zertifizierung von Schülern am Ende der
Schullaufbahn. Schulische Zertifikate stellen das entscheidende Merkmal dar, mit dem der
Übergang in beruflich qualifizierende Systeme vorrangig ermöglicht wird. Hier muss
Thüringen auch im Bundesländervergleich besehen mit Sorgfalt auf rückläufigen
Abiturquoten achten. Zwar kommt dem berufsbildenden Schulsystem Thüringens hier
offenbar eine wichtige Kompensationsfunktion gerade im Hinblick auf den Erwerb der
allgemeinen Hochschulreife -besonders in den Kreisen - zu, dennoch muss eine erfolgreiche
Zertifizierung aller Schüler vorrangig als Aufgabe des allgemeinbildenden Schulsystems
verstanden werden.
Zu diskutieren wären im Einzelnen für diesen Bereich folgende Handlungsoptionen:
- Die in Thüringen, auch im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt deutlich zu hohe
Quote von Schülern ohne Abschluss erscheint neben den rückläufigen
Abiturientenzahlen als ein vordringliches Problem. Die Initiative der „Individuellen
Abschlussphase“ (IAP) (vgl. ThürSchulO) erscheint hier als ein erster sinnvoller
Interventionsansatz, um mehr Schüler erfolgreich zum Schulabschluss zu führen.
Zudem müssten aber gezielter Programme für Schüler entwickelt werden, deren
Abschluss gefährdet ist. Solche Programme sollten Kooperationen mit der
109
Schulsozialarbeit und Jugendhilfe vorsehen, um möglichst ganzheitliche
Förderungsansätze zu realisieren.
- Daran anknüpfend können weiterführende Identifizierungsanstrengungen in Bezug
auf Schulen „in challenging cirumstances“ unternommen werden. Hierbei wäre ein
verstärktes Aufgenmerk auf die einzelschul- und systembedingten Ursachen für die
Entstehungsbedingungen von herausfordernen Lagen von Schulen zu legen.
Derartige Identifizierungsmechanismen, die perspektivisch in standardisierte
Monitoringverfahren münden können, wären die Basis für ein Benachteiligungen
minimierendes Interventionsmanagement, das beispielsweise hinsichtlich der
Ressourcenausstattungen oder der pädagogischen Unterstützung von Schulen wirken
kann.
- Für Thüringen ist hinsichtlich der Kompetenzförderung des Schulsystems zudem
vermehrt ein Augenmerk auf die Förderung von Jungen zu legen. Dies impliziert etwa
die Überprüfung der thematischen Ausgestaltung von Schulbüchern hinsichtlich z.B.
des Einbezugs von Praxisbeispielen oder auch notwendige Fortbildungen für
Lehrkräfte zur Sensibilisierung geschlechtsspezifischer Lernanregungspotentiale.
- Eine weitere Handlungsoption könnte darin liegen, die Ausgestaltung von
Ferienzeiten anzureichern. Für leistungsschwächere Schüler bedeuten insbesondere
die Sommerferien eine Zeit mit möglicherweise nur einseitigen oder geringen
kognitiven Anreizen. Sommercamps, die spezifische Kompetenzen fördern, gleichsam
aber auch Erholung in Form sozialen Miteinanders, Spiel, Sport und Freizeit anbieten,
könnten hier kompensierend und fördernd wirken (vgl. Kowoll, Strietholt und Bos,
2013). Eine enge Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Partnern wäre dabei von
Nutzen.
Teilhabe
Die Sicherung der Befähigung junger Menschen zur politischen und gesellschaftlichen
Teilhabe oder anders formuliert, die Stärkung der Integrationsfunktion der Schule durch eine
bewusste Demokratieerziehung an Schulen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Wenngleich ihre Bedeutung unumstritten ist, dürften die Anstrengungen bezüglich ihrer
Realisierung kaum an solche der individuellen Förderung in spezifischen Lernbereichen
heranreichen. Die hier zur Verfügung stehenden Daten konnten diesbezüglich keine
umfassende Auskunft geben. Es ist folglich wünschenswert, schulspezifische Informationen
über den Bereich der Teilhabe künftig verfügbar zu machen. Strategien und Indikatoren
hierfür müssten gemeinsam mit Schulen entwickelt werden. In Bezug auf die in der Expertise
genutzten Daten kann vor allem auf die Bedeutung von Schule für die Sicherung
gesellschaftlicher Teilhabe allgemein hingewiesen werden. Dies gilt insbesondere für Schule
110
als Akteur im kommunalen Raum. Schule ist in dieser Perspektive eben nicht nur Ort des
Lernens, sondern auch Ort der Begegnung, des Dialogs, Austauschs und der gemeinsamen
Verständigung. Dieser Aspekt muss immer gleichwertig mit solchen Argumenten diskutiert
werden, die eher aus einer bildungsökonomischen Perspektive entstammen.
- Strukturell erscheint vor dem Hintergrund der Teilhabesicherung im schulischen
Bereich der Ausbau von (gebundenen) Ganztagsangeboten geboten. Schulische
Ganztagsangebote bieten den institutionellen Rahmen, um allen Schülern
Lernmöglichkeiten und vielfältige soziale Begegnungen und Partizipationsräume zu
ermöglichen. Auch wenn Thüringen im Primarbereich ein flächendeckendes offenes
Ganztagsangebot aufbietet, stellt sich für die Steuerungsakteure jedoch hier die
Herausforderung, erstens den wegen seiner lernförderlichen Wirkung (vgl.
Holtappels et al., 2010) zu bevorzugenden gebundenen Ganztag auszubauen und
zweitens das grundsätzlich geringere Ganztagsangebot im Sekundarbereich (mit
sogar einer Gebietskörperschaft, die keinerlei schulisches Ganztagsangebot im
Sekundarbereich aufweist) zu korrigieren. Dies scheint auch vor dem Hintergrund
sich verändernder sozialstruktureller Verhältnisse (Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, veränderte Familienkonstellationen) verstärkt geboten.
- Institutionelle Regelungsstrukturen sollten unter Ungleichheitsbedingungen im Sinne
einer größtmöglichen Gerechtigkeit der Systeme derart gestaltet werden, dass sie die
am wenigsten privilegierten Individuen am meisten begünstigen (vgl. Rawls, 2006).
Vor diesem Hintergrund wäre zu überlegen, ob nicht die Wechselmöglichkeiten der
Regelschüler zum Gymnasium in der Sekundarstufe I derart verändert sollen, dass sie
die gleichen Rechte wie Gesamt- und Gemeinschaftsschüler erhalten. Aktuell haben
laut der Thüringer Schulordnung Regelschüler nur bis zur Klassenstufe sechs die
Möglichkeit, einen Aufstiegswechsel zum Gymnasium zu vollziehen, danach haben sie
diese Wahloption erst wieder nach Beendigung der Klassenstufe 10. Aus
Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen kann hingegen auch zu späteren
Zeitpunkten in der Sekundarstufe I noch zum Gymnasium gewechselt werden. Hier
ist eine Öffnung und Anpassung der Übertrittsregelungen ratsam, um
institutionalisierten Benachteiligungen entgegenzuwirken.
- Auch das Erfordernis der Inklusion stellt eine weitere zentrale Herausforderung der
Teilhabesicherung im schulischen Bereich dar. Hier ist auf die Umsetzung der UN-
Konvention für die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne besondere
Förderbedarfe zu achten.
Weitere Handlungsoptionen - Durch die bundesweit sich verändernden Schullandschaften sollte insgesamt über die
Bezeichnung von Schulabschlüssen neu nachgedacht werden. In einem Bundesland,
in dem Eltern die Hauptschule nicht besuchen konnten, und auch für die Schüler
111
diese Schulart nicht vorgesehen ist, traditionell aber Abschlussbezeichnung und
Schulart eng verwoben waren, wirkt dieses Vorgehen nicht mehr zeitgemäß.
Schulabschlussbezeichnungen sollten grundsätzlich von Schulartbezeichnungen
losgelöst formuliert sein. Vor dem Hintergrund zukünftig erwartbarer stärker
integrativer Schulsysteme könnte Thüringen hierzu eine länderübergreifende
Initiative in Gang setzen, um gerade die mittleren Abschlüsse zukünftig z.B. nach
ihrem Anspruchsniveau und nicht nach einer Schulart zu bezeichnen.
- Generell erscheint es notwendig über die Verfügbarkeit und Nutzung von Daten im
thüringischen Schulsystem nachzudenken. Hier zeigt sich Optimierungsbedarf, nicht
zuletzt, da aktuell wichtige Analysen nicht durchführbar sind. Demnach gilt es, dass
die datenführende Stellen sich auch in Datenabruf und –management den
Änderungen im Schulsystem zeitnah anpassen und so etwa ein umfassendes
Systemmonitoring sichergestellt ist. Beispielhaft sei hier etwa die inklusive
Beschulung angeführt, die vor dem Hintergrund der Teilhabesicherung auch
erfordert, die entsprechende Schülerpopulation auch statistisch im Hinblick auf
Bildungsteilhabe und –erfolg zu beobachten.
- Es wird in den nächsten Jahren in Thüringen zu deutlichen Veränderungen in der
Lehrerzusammensetzung kommen. Lehrer werden dann insgesamt jünger sein und
sie werden noch häufiger weiblich sein. In Bezug auch auf den besonders hohen
Anteil an weiblichen Lehrkräften sollte z.B. auch über Anreizsysteme nachgedacht
werden. Hierzu zählt auch die Verbeamtung. Thüringen wird diesen
Wettbewerbsnachteil auf längere Sicht eher nicht ausgleichen können. Die
zahlreichen jungen Lehrkräfte, die künftig in Schule unterrichten werden, werden
zudem systematischer als bislang an Fortbildungen teilnehmen müssen, um den oben
benannten Defiziten entgegenwirken zu können. Dass in diesem Zuge auch über eine
Neujustierung der Lehrerbildung nachzudenken ist, liegt auf der Hand: Inklusion,
Diagnostik, ganztagsschulische Bildung, Demokratieerziehung, Beratung u.a.m. sind
Themenbereiche, die nicht hinreichend im Curriculum abgebildet werden. Schließlich
wäre über eine Nutzung der erfahrungsbasierten Kompetenzen der ausscheidenden
Lehrkräfte nachzudenken. Interessierte Kollegen könnten Mentorate übernehmen
oder auch die vorgeschlagenen Sommercamps begleiten. Wichtig dabei wäre eine
Qualitätssicherung in Form von Superrevision oder kollegialer Beratung.
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