117
Expertise Demografische Entwicklung und regionale Disparitäten im Schulsystem Thüringens auf der Grundlage zentraler Gerechtigkeitsindikatoren Prof. Dr. Nils Berkemeyer Institut für Erziehungswissenschaft Friedrich-Schiller-Universität Jena Fürstengraben 11 07743 Jena Jena, Dezember 2013

Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

Expertise

Demografische Entwicklung und regionale

Disparitäten im Schulsystem Thüringens auf der

Grundlage zentraler Gerechtigkeitsindikatoren

Prof. Dr. Nils Berkemeyer

Institut für Erziehungswissenschaft

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Fürstengraben 11

07743 Jena

Jena, Dezember 2013

Page 2: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

1

Inhalte

1. Einleitung

2. Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems

2.1 Demografische Entwicklung

2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

2.3 Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen

3. Eckdaten zum Thüringer Schulsytem

3.1 Struktur des schulischen Bildungsangebots

3.2 Lehrendes Personal

4. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems im

Ländervergleich

4.1 Gerechtigkeit als Kategorie für die Analyse von Schulsystemen

4.2 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems

4.3 Zur Durchlässigkeit des Thüringer Schulsystems

4.4 Zur Kompetenzförderung des Thüringer Schulsystems

4.5 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems

4.6 Übersicht

5. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems auf der Ebene

der Kreise und kreisfreien Städte – regionale Disparitäten

5.1 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Integrationskraft

5.2 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Durchlässigkeit

5.3 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Kompetenzförderung

5.4 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Zertifikatsvergabe

6. Gesamtschau zentraler Befunde zu Bedingungen und Ausprägungen der

Chancengerechtigkeit in Thüringens Schulsystem

7. Handlungsoptionen

Page 3: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

2

1. Einleitung

Diese Expertise zu den regionalen Disparitäten im Schulsystem Thüringens ist ein Bestandteil

der diesjährigen intensiven Beschäftigung der thüringischen Landesregierung im

Demografiejahr Thüringen mit aktuellen politischen Herausforderungen hinsichtlich der

Sicherung von Teilhabe, Fachkräfteangebot und Chancengerechtigkeit in Thüringen.

Mit der hier vorgelegten Expertise zu Kontextbedingungen, Angebotsstrukturen, Prozessen

und dem Output des thüringischen Schulsystems werden sowohl die gesamtgesellschaftliche

Bedeutung gerechter Chancen im Schulsystem diskutiert als auch die Rück- und

Wechselwirkungen verschiedener aktueller gesellschaftlicher Prozesse erörtert. Es wird

analysiert, wie es um die Chancengerechtigkeit innerhalb des Thüringer Schulsystems

bestellt ist, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Unterschiede in den Bildungschancen

für die Schülerinnen und Schüler, die in unterschiedlichen Regionen des Landes aufwachsen,

gelegt wird. In Anschluss an den Demografiebericht Thüringen, Teil 2 möchte diese Expertise

zudem Hinweise für zentrale Aufgaben und Handlungsfelder für politische und

zivilgesellschaftliche Verantwortungsträger bereitstellen, die sich angesichts der

Herausforderung der Herstellung und Wahrung von Chancengerechtigkeit im Schulsystem

insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen demografischen Wandels ergeben.

Die Fragen, wie es gelingt, Teilhabechancen zu wahren, Fachkräftebedarf adäquat zu

begegnen und welche Möglichkeiten zur Herstellung von mehr Chancengerechtigkeit in

Anbetracht der zukünftigen demografischen Entwicklungen bestehen, sind zunehmend

Gegenstand in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Diskussionen einer Gesellschaft.

Hieran anknüpfend möchte diese Expertise einen Beitrag dazu liefern, in die Debatte um ein

chancengerechte Schulsystem in Thüringen, das Teilhabemöglichkeiten schafft und einen

Beitrag zur Sicherung des Fachkräfteangebots erbringt, empirische Analysen und auf der

Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchungen formulierte Handlungshinweise

einzubeziehen.

Die vorliegende Bestandsaufnahme beginnt mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum

Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1).

Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen, anhand derer sich Aussagen

über die Chancengerechtigkeit von Schulsystemen treffen lassen, eingegangen. Obgleich ein

gerechtes Schulsystem ein Wert für sich ist bzw. bedeutsam für die lernenden Schülerinnen

und Schüler ist, wird aufgezeigt, welchen Ertrag ein hohes Maß an Gerechtigkeit im

Schulsystem für die Gesamtgesellschaft haben kann, was vor allem in Zeiten rückläufiger

Bevölkerungs- und auch Schülerzahlen überaus bedeutsam ist. Das verwendete Konzept von

Chancengerechtigkeit begründet sich auf einem weiten Begriffsverständnis: So wird davon

ausgegangen, dass ein gerechtes Schulsystem sicherstellt, dass Teilhabemöglichkeiten für

Kinder und Jugendliche bestehen und diese bestmögliche Förderung von

Page 4: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

3

Kompetenzentwicklung u.a. auf die an Schule anschließende Fachkräfteausbildung adäquat

vorbereitet werden.

Die hier vorliegende Untersuchung greift bei der Analyse des thüringischen Schulsystems auf

den Ansatz von Chancengerechtigkeit des „Chancenspiegels“, ein Instrument der

Bildungsberichterstattung, zurück. Konkret werden unter Bezugnahme auf aktuelle

Gerechtigkeitstheorien vier zentrale Gerechtigkeitsdimensionen aufgezeigt, anhand derer

sich Schulsysteme vergleichend analysieren lassen: Integrationskraft, Durchlässigkeit,

Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe.

Mit diesen vier Gerechtigkeitsdimensionen wird deutlich, dass Chancengerechtigkeit von

Schulsystemen unter Einbeziehung umfassender Informationen und Daten zu verschiedenen

Aspekten von Gerechtigkeit zu analysieren und diskutieren ist. Es muss also gefragt werden:

1. ob Schulsysteme eher integrierend oder exkludierend aufgebaut sind und wirken

(Integrationskraft),

2. ob Selektionsprozesse gerecht vollzogen werden oder ob soziale Herkunftsmerkmale

dabei bestimmend sind (Durchlässigkeit),

3. ob die Kompetenzen bestmöglich gefördert werden (Kompetenzförderung),

4. ob die schulische Zertifikatsvergabe derart gestaltet ist, dass den Schülern

Anschlussmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Zertifikatsvergabe).

Im Folgenden wird nach Einführung in die grundsätzlichen Überlegungen zur

Chancengerechtigkeit von Schulsystemen ausgeführt, unter welchen Rahmenbedingungen

das Thüringer Schulsystem im Allgemeinen und die einzelnen Kreise und kreisfreien Städte

im Speziellen arbeiten. Von Interesse sind hier die Themen demografische Entwicklung,

ökonomische sowie sozialstrukturelle Rahmenbedingungen.

Nach der Klärung der Ausgangsbedingungen wird in den Hauptteilen dieser Expertise die

Chancengerechtigkeit des Schulsystems datenbasiert fokussiert. Zunächst wird betrachtet,

welches Chancenprofil Thüringen im Vergleich zu den anderen deutschen Bundesländern

aufweist. In einem zweiten Schritt wird auf einer kleinräumigeren Ebene analysiert, welche

regionalen Disparitäten hinsichtlich der Chancengerechtigkeitsausprägungen zwischen den

Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens bestehen.

Der Bericht schließt mit einer Zusammenfassung zentraler Ergebnisse sowie einem Angebot

an Handlungsoptionen, die angesichts der Rahmenbedingungen sowie der

Gerechtigkeitsverhältnisse im Schulsystem Thüringens als mögliche Stellschrauben für die

Gestaltungsakteure anzusehen sind.

Page 5: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

4

2. Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, stehen gesellschaftliche Teilsysteme immer auch in

Wechselverhältnissen zu der sie umgebenden Umwelt bzw. werden von dieser in ihrer

Reproduktion beeinflusst (siehe allg. Schimank, 2005; 2006). Dies trifft in mehrfacher

Hinsicht auch auf das Schulsystem zu. Es steht dabei vor der Herausforderung, seine

Prozesse immer vor dem Hintergrund sich wandelnder demografischer, wirtschaftlicher und

sozialstruktureller Kontexte zu vollziehen, was wiederum mittel- und langfristig auf die

spezifischen Strukturmomente des Systems zurückwirkt und Modernisierungsprozesse

provoziert. Um aufzuzeigen, vor welchem Hintergrund sich das Thüringer Schulsystem in der

Vergangenheit entwickelt hat, welche aktuellen Umweltbedingungen derzeit vorherrschen

sowie unter welchen Gegebenheiten zukünftig zu agieren sein wird, werden in diesem

Kapitel Ergebnisse der Analysen zur Demografie, zur wirtschaftlichen Lage und zum

sozialstruktruellen Hintergrund bildungsrelevanter Altersgruppen vorgestellt. Eine

komprimierte Zusammenfassung der Rahmenbedingungen des Thüringer Schulsystems

bietet am Ende des Kapitels der gebietskörperschaftsscharfe Index zu den Sozialräumen der

Gebietskörperschaften.

2.1 Demografische Entwicklung

Für die Planung der Bildungsangebote und die Steuerung des Schulsystems sind sowohl

überregionale als auch regionale demografische Entwicklungen bedeutsam, denn die in

einigen Regionen stark rückläufigen Bevölkerungszahlen stellen die Akteure des

Schulsystems vor große Herausforderungen. Angesichts disparater

Bevölkerungsentwicklungen in fallweise darüber zu entscheiden, wie Schulstandorte und

pädagogische Ressourcen zukünftig so verteilt werden, dass flächendeckend Angebote

offeriert werden können. Um eine angemessene Planungsgrundlage für den Bedarf im

Bildungsbereich bereitszustellen, werden zunächst die derzeitige demografische Situation

Thüringens sowie erwartbare Entwicklungsverläufe dargestellt.

2.1.1 Bevölkerungsentwicklung in den Jahren 2007 bis 2011

Knapp 2,3 Mio. Einwohner leben im Jahr 2011 in den 23 Kreisen und kreisfreien Städten

Thüringens. Die Thüringer Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahre entspricht der

Tendenz nach dem deutschlandweit beobachtbaren Trend: Von 2007 bis Ende 2011 sank die

Bevölkerungszahl Deutschlands um 0,5%-Punkte bzw. um 374.094 Personen auf 81.843.743

Mio. Einwohner. Für Thüringen lässt sich ein vergleichsweise höherer Bevölkerungsrückgang

von 3%-Punkten feststellen, was einem absoluten Verlust von 67.997 Einwohnern in den

Jahren 2007 bis 2011 bedeutet (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang). Im Jahr 2011 lebten insgesamt

2.221.222 Personen in Thüringen.

Innerhalb Thüringens ergaben sich unterschiedliche Veränderungen. Während sich Ende

2011 gegenüber 2007 in den Kreisen ein Bevölkerungsrückgang von insgesamt 4%-Punkten

Page 6: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

5

zeigte, waren die sechs kreisfreien Städte in demselben Betrachtungszeitraum aufgrund

eines Zuwachses von insgesamt 0,1% weitestgehend von der rückläufigen Entwicklung

entkoppelt (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang). Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften

waren mit Ausnahme der drei kreisfreien Städte Erfurt (+1,7%), Jena (+2,6%) und Weimar

(+1,3%) alle übrigen Kreise und kreisfreien Städte von einer rückläufigen Zahl der

Wohnbevölkerung betroffen - wenn auch in einem unterschiedlich hohen Ausmaß. Für die

Stadt Suhl lässt sich dabei der vergleichsweise höchste Verlust der Wohnbevölkerung

beobachten (-6,8%). Im Gegensatz hierzu fiel der Bevölkerungsrückgang von 2011 gegenüber

2007 in der Stadt Eisenach mit -1,5% vergleichsweise gering aus (vgl. Tabelle 2.1.1-Anhang).

Abbildung 2.1.1: Bevölkerung 2007 und 2011 nach Alter und Geschlecht in Thüringen

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 und 2011, Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren sowie Geschlecht nach Kreisen; eigene Darstellung.

Der aktuelle demografische Wandel zeitigt Folgen für die Altersstruktur der Bevölkerung

Thüringens: Dem in Abbildung 2.1.1 sichtbaren Überhang älterer Bevölkerungsgruppen steht

ein geringerer Anteil junger Jahrgänge gegenüber. Kontrastiert man im Jahr 2011 die

zahlenmäßig kleinste (17-Jährige) mit der größten Altersgruppe (50-Jährige) Thüringens, so

kommen auf ca. 13.000 17-Jährige rund 40.000 50-Jährige Thüringer Bürger, was einer etwa

dreimal größeren Jahrgangsstärke entspricht. Zudem befinden sich im gleichen Jahr die

einzelnen Jahrgangsstärken in der Altersgruppe der 0- bis 14-Jährigen auf einem konstant

niedrigen Niveau zwischen 16.000 und 18.000 Personen je Jahrgang. Dies weist auf nur

geringfügig veränderte Geburtenraten innerhalb der jüngeren Jahrgänge hin.

Page 7: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

6

Die Geburtenrate für Thüringen verringerte sich von 2007 bis Ende des Jahres 2011 um

0,6%-Punkte (vgl. Tabelle 2.1.2-Anhang). Dies entspricht dem allgemeinen Trend auf

Bundesebene, welcher aber für Thüringen geringer ausfällt. So ist deutschlandweit seit 2007

bis zum Ende des Jahres 2011 die Zahl der Lebendgeborenen von 684.862 auf 662.685 (-

3,2%-Punkte) gesunken.1

Mit Blick auf die Kreise und kreisfreien Städte Thüringens zeigen sich von 2007 bis 2011

größere Disparitäten in der Entwicklung der Geburtenzahlen, was wiederum einer der

Erklärungsfaktoren für die bereits beschriebenen sinkenden Einwohnerzahlen in vielen

Landesteilen ist. Auch hier verzeichnen insbesondere die Kreise sinkende Geburtenzahlen (-

1,0%), wohingegen die kreisfreien Städte für den gleichen Zeitraum ein Plus von

durchschnittlich 0,5% aufweisen (vgl. Tabelle 2.1.2-Anhang).

Abbildung 2.1.2: Veränderung der Geburtenzahlen in den Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens, zwischen 2007 und 2011,( in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 - 2011, Geborene und Gestorbene nach Kreisen in Thüringen; Lebendgeborene insgesamt; eigene Berechnungen.

In 8 der 23 Kreise und kreisfreien Städte sind im Jahr 2011 gestiegene Geburtenzahlen

gegenüber 2007 festzustellen, wobei sich die Zuwachswerte zwischen 0,6% (Stadt Gera) und

15,4% (Stadt Jena) bewegen (vgl. Abbildung 2.1.2). Sowohl in Jena als auch in Weimar sind

die oben dargestellten generellen Bevölkerungszugewinne auch auf das Anwachsen der

Geburtenraten zurückzuführen. Der nachzuvollziehende Bevölkerungszuwachs in der Stadt 1 Statistisches Bundesamt 2013, Statistik der Geburten, Titel: Lebendgeborene: Deutschland, Jahre, Geschlecht;

Eigene Berechnung

-4,7

0,6

15,4

-5,0

3,5

-12,5

5,6

-6,3

10,6

-3,4

-5,4-4,8

3,6

-5,8

-4,2 -4,2 -4,3 -4,0

8,9

2,2

-1,9

-8,8

-5,6

-0,6

-15,0

-10,0

-5,0

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

Ver

änd

eru

ng

in %

Page 8: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

7

Erfurt zwischen 2007 und 2011 kann hingegen nicht auf eine gestiegene Geburtenrate

zurückgeführt werden, vielmehr ist von sogenannten Bildungswanderern, sprich jungen

Menschen, die beispielsweise aufgrund der Aufnahme eines Studiums ihren Herkunftsort

wechseln, auszugehen.

Aufgrund der gesunkenen Geburtenrate in Thüringen macht sich der Bevölkerungsrückgang

in Thüringen vor allem in den jüngeren Altersjahrgängen bemerkbar. Für die Steuerung des

Schulsystems haben Informationen über die Veränderung der Anzahl junger Menschen

insbesondere im Alter von 6 bis unter 18 Jahren einen hohen Stellwert, da Menschen diesen

Alters zuvorderst formale Bildungsangebote wahrnehmen. Diese schulrelevante

Altersgruppe hat sich zwischen 2007 und 2011 thüringenweit von 196.730 Personen auf

189.897 Personen - also um 3,5%-Punkte - reduziert (vgl. Tabelle 2.1.3-Anhang).

Abbildung 2.1.3: Veränderung der Bevölkerungszahl der 6- bis unter 18-Jährigen, 2011 gegenüber 2007 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2007 - 2011, Bevölkerung nach Altersgruppen und Kreisen in Thüringen; eigene Berechnung

Wie der Abbildung 2.1.3 zu entnehmen ist, konzentrieren sich die Verluste in dieser

Altersgruppe vornehmlich auf den Norden und Süden Thüringens. Durchschnittlich nimmt

der Anteil der 6 bis unter 18-Jährigen in den Kreisen um 5%-Punkte im Betrachtungszeitraum

ab. Lediglich in den kreisfreien Städten sind 2011 gegenüber 2007 – mit Ausnahme der

Städte Gera und Suhl - Zuwächse zu verzeichnen. Einen überdurchschnittlich hohen

Rückgang des Bevölkerungsanteils der schulrelevanten Altersgruppe ist für die Stadt Suhl zu

konstatieren, hier zeigt sich ein Verlust von 13,6%-Punkten (vgl. Tabelle 2.1.3-Anhang).

Abb. 2.1 Veränderung der Bevölkerungszahl 6 bis unter 18-Jähriger 2011 gegenüber 2007 (in %)

ABG

HBN

SM

WE

SHL

JG

EA

WAK

KYF

GTH

SÖM

-15,0 bis unter -9,0

in Prozent

-9,0 bis unter -6,0

-6,0 bis unter -3,0

-3,0 bis unter 0,0

0,0 bis 6,0

NDH

UH

EIC

AP

SON

SLF

SHK

SOK

GRZIK

EF

Page 9: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

8

2.1.2 Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung

Auch zukünftig hat Thüringen den Bevölkerungsvorausberechnungen des Thüringer

Landesamtes für Statistik zufolge mit einem relativ hohen Bevölkerungsrückgang zu rechnen.

Zählte Thüringen im Jahr 2009 noch 2.249.882 Einwohner, so werden für das Jahr 2030

lediglich 1.842.011 Einwohner erwartet, was einem Verlust von 18,1%-Punkten entspricht.

Der prognostizierte Rückgang wird sich in den Kreisen und in einigen kreisfreien Städten

deutlicher bemerkbar machen als in den vergangenen Jahren. Während die zurückliegende

Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten von 2007 bis 2011 im Schnitt noch

durch einen Zuwachs der Einwohnerzahlen gekennzeichnet war, wird bis zum Jahr 2030 ein

Rückgang um 4,1%-Punkte erwartet (vgl. Tabelle 2.1.4-Anhang).

Aber auch diesbezüglich zeigen sich landesintern deutliche Unterschiede: Auf der Ebene der

kreisfreien Städte sind insbesondere die Städte Suhl (-42%-Punkte), Gera (-22,8%-Punkte)

und Eisenach (-5,1%-Punkte) von hohen Bevölkerungsrückgängen betroffen. Dem gegenüber

stehen zu erwartende Zuwächse in Weimar (+9,5%-Punkte), Jena (+6,6%-Punkte) und Erfurt

(+2,8%-Punkte). Damit sind die drei letztgenannten Städte die einzigen kommunalen

Gebietskörperschaften, die sowohl in den vergangenen Jahren als auch künftig bis zum Jahr

2030 nicht von einem Bevölkerungsrückgang betroffen sind. Zukünftig wird in der Stadt Suhl,

in welcher die Bevölkerung bis 2030 von ca. 40 Tsd. Einwohnern um knapp die Hälfte auf ca.

23 Tsd. Einwohnern zurückgehen soll, das Ausmaß der negativen Bevölkerungsentwicklung

am größten sein. Mit ähnlich hohen Rückgängen sehen sich auf Ebene der Kreise auch der

Kyffhäuserkreis (-35,3%-Punkte), Greiz (-32,6%-Punkte) und Saalfeld-Rudolstadt (-30,8%-

Punkte) konfrontiert (vgl. Tabelle 2.1.4-Anhang).

Der prognostizierte Bevölkerungsrückgang im Freistaat Thüringen wird sich ferner in einer

veränderten Altersverteilung der Bevölkerung niederschlagen. Nach den

Vorausberechnungen wird die Anzahl der für die Bildungsplanung relevanten Altersgruppe

der 0 bis unter 20-Jährigen bis 2030 um 67.247 Personen bzw. 20,4%-Punkte sinken. Mit

einem Verlust von 35,7%-Punkten gegenüber dem aktuellen Bevölkerungsstand wird die

Gruppe der 20- bis unter 65-Jährigen noch einmal stärker betroffen sein. Diese gegenwärtig

anteilsmäßig größte Altersgruppe der Thüringer Bevölkerung wird in den Prognosen für das

Jahr 2030 weitestgehend in die Altersgruppe der 65-Jährigen und älter übergegangen sein,

woraufhin deren Gruppenstärke um 159.168 Personen bzw. 30,7%-Punkte ansteigen wird

(vgl. Tabelle 2.1.5-Anhang).

Page 10: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

9

Abbildung 2.1.4: Bevölkerung ausgewählter Altersgruppen 2009, 2020 und 2030 in den Kreisen (links) und kreisfreien Städten (rechts) Thüringens (in Tausend)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2008, Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 nach Kreisen; eigene Darstellung.

In einem Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte untereinander zeigt sich, dass die Kreise

zukünftig überproportional hoch vom Rückgang der Wohnbevölkerung im Alter von 0 bis 20

Jahren betroffen sein werden: Während in den kreisfreien Städten bis zum Jahr 2030 ein

Zuwachs dieser Altersgruppe um durchschnittlich 9,8%-Punkte eintreten wird, reduziert sich

diese Bevölkerungsgruppe in den Kreisen von 249.187 Personen um knapp ein Drittel auf

174.069 Personen (vgl. Abbildung. 2.1.4). Auch in der Altersgruppe der 20 bis unter 65-

jährigen verzeichnen die Kreise in demselben Betrachtungszeitraum höhere

Bevölkerungsverluste als die kreisfreien Städte. Wie aus der Abbildung 2.1.4 hervorgeht,

wird hier die Anzahl der Bevölkerung in dieser Altersgruppe gemäß den Prognosen von ca.

1.100.000 Personen im Jahr 2009 auf ca. 623.000 Personen im Jahr 2030 zurückgehen. Das

entspricht einem Rückgang von mehr als 40%-Punkte, der im Vergleich zu den kreisfreien

Städten (-20,6%-Punkte) fast doppelt so hoch ausfallen wird (vgl. Tabelle 2.1.6-Anhang).

In entgegengesetzter Richtung verläuft der Trend für die Gruppe der Personen, die sich in

der Nacherwerbsphase (65 Jahre und älter) befinden. Hier werden die Bevölkerungszahlen in

der Zeitspanne von 2009 bis 2030 sowohl in den kreisfreien Städten (um knapp 42.000

Personen) als auch in den Kreisen (um knapp 118.000 Personen) deutlich ansteigen (vgl.

Abbildung 2.1.4). Betrachtet man die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung der drei

Altersgruppen in den einzelnen Gebietskörperschaften, wird ersichtlich, dass die kreisfreie

Stadt Suhl in den zwei jüngeren Altersgruppen jeweils mit dem höchsten

Bevölkerungsschwund konfrontiert sein wird: In Suhl wird sich gemäß den Prognosen 2030

gegenüber 2009 nicht nur die Anzahl der 0 bis unter 20-Jährigen mit einem Minus von

59,8%-Punkten am stärksten verringern, sondern auch die Anzahl der 20 bis unter 65-

Jährigen (-65,8%-Punkte; vgl. Tabelle 2.1.6-Anhang und 2.1.7-Anhang). Das Weimarer Land

wird diejenige Gebietskörperschaft sein, die die größte Bevölkerungszunahme der

Page 11: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

10

Personengruppe, die sich in der Nacherwerbsphase (65 Jahre und älter) befindet, auzfweist

(+50,5%-Punkte). (vgl. Tabelle 2.1.8-Anhang).

2.1.3 Schülerzahlveränderung in den Schulstufen

Der Bericht „Bildung in Deutschland 2012“ (Autorengruppen Bildungsberichterstattung,

2012) ermittelt für den Zeitraum 1995/96 bis 2011/12 rückläufige Gesamtzahlen der

Bildungsteilnehmer für das gesamte Bundesgebiet, vor allem im Primar- und

Sekundarbereich I. Dieser Trend betrifft in starkem Maße auch das Land Thüringen,

wenngleich die einzelnen Schulstufen des allgemeinbildenden Schulsystems zu

unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich stark (vgl. Tabelle 2.1.9).

Tabelle 2.1.9: Schüler nach Schulstufen in den Jahren 1995, 2000, 2005 und 2010 in Thüringen (ohne Waldorfschulen und Förderschulen), absolut

Schulstufen Jahre

1995 2000 2005 2010

Primarstufe 128.764 65.475 61.812 66.477

Sekundarstufe I 193.172 176.804 99.251 81.448

Sekundarstufe II 18.924 19.597 19.007 14.574

Insgesamt 340.860 261.876 180.070 162.499 Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 1, 2011/12; eigene Darstellung.

Insgesamt ist in Thüringen die Schülerzahl zwischen 1995 und 2010 um fast 180.000 Schüler

gesunken. Besonders stark ist der Rückgang in der Primarstufe im Zeitraum 1995 bis 2000.

Mit Verzögerung wirken sich diese Verluste in den jüngeren Jahrgängen in diesem früheren

Zeitraum zwischen 2000 und 2005 in der Sekundarstufe I und zwischen 2005 und 2010 auch

in der Sekundarstufe II aus. Obwohl zwischen den Jahren 2005 und 2010 über 5000 Schüler

weniger die Sekundarstufe II besuchten, ist angesichts der größeren Verluste in der

Sekundarstufe II von einem proportional geringeren Verlust in der Bildungsbeteiligung an

der gymnasialen Oberstufe zu sprechen.

Die vertieften Analysen auf regionaler Ebene nehmen vor dem Hintergrund der aufgezeigten

Schülerzahlveränderung seit Mitte der 1990er Jahre einen besonderen Zeitraum in den Blick.

Besonders deshalb, da sich der Zeitraum, auf das gesamte Landesgebiet bezogen, zwischen

den fokussierten Schuljahren zwischen 2007/08 und 2011/12 durch ein Anwachsen der

Schülerzahlen auszeichnet. Dabei müssen die Dynamiken der einzelnen Schulstufen

differenziert betrachtet werden.

Innerhalb der Primarstufe stieg die Anzahl der Schüler zwischen 2007/08 und 2011/12 um

1,8%-Punkte (vgl. Abbildung 2.1.5, vgl. Tabelle 2.1.10-Anhang).

Page 12: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

11

Abbildung 2.1.5: Veränderung der Schüleranzahl in der Primarstufe je Gebietskörperschaft, 2007/08 und 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Dabei nehmen die Schülerzahlen vor allem im städtischen Raum zu. Eine Ausnahme in der

Gruppe der kreisfreien Städte ist Suhl, wo die Anzahl der Schüler in der Primarstufe um

9,1%-Punkte abnimmt, wohingegen Jena eine Zunahme von 20%-Punkten verzeichnet.

Obgleich für die Gruppe der Kreise im Betrachtungszeitraum insgesamt ein leichter Rückgang

um 0,2%-Punkte festzustellen ist, unterscheiden sich die Veränderungen zwischen den

Gebietskörperschaften doch recht deutlich. Während bei den kreisfreien Städten, mit

Ausnahme von Suhl, eine eindeutige Tendenz erkennbar ist, ist für die Kreise eine stärkere

Varianz in der Schülerzahlveränderungen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zu

beobachten. Während die Anzahl in Sömmerda (+6,0%-Punkte) und dem Weimarer Land

(+5,7%-Punkte) zunehmen, sind in den Kreise Greiz (-5,4%-Punkte), Altenburger Land (-4,5%-

Punkte) und Saale-Orla-Kreis (-4,1%-Punkte) größere Verluste auszumachen. Insgesamt lässt

sich somit für die Primarstufe eine merkliche Differenz in der Schülerzahlentwicklung

zwischen den eher ländlichen Räumen und den Städten beobachten.

Die Betrachtung der Schülerzahlveränderungen innerhalb der Sekundarstufe I zeigt

differente Befunde für die einzelnen Schularten, wenngleich für die Schularten Regelschule

und Gymnasium gleichsam Zugewinne in den Schülerzahlen zu verzeichnen sind (vgl.

Abbildung 2.1.6).

Page 13: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

12

Abbildung 2.1.6: Veränderung der Schüleranzahl in der Sekundarstufe I, Regelschule und Gymnasium, 2007/08 und 2011/12

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Zwischen 2007/08 und 2011/12 fällt der Schülerzahlanstieg an Gymnasien dabei stärker aus

als an den anderen Schularten der Sekundarstufe I (vgl. Tabelle 2.1.11-Anhang). Gab es im

Schuljahr 2007/08 noch 27.477 Gymnasiasten, sind es im Schuljahr 2011/12 34.074 Schüler,

was einem Anstieg von 24%-Punkten entspricht. Die Regelschüler stellen 2011/12 mit 45.828

Schülern zwar noch immer die anzahlmäßig stärkste Gruppe innerhalb der Sekundarstufe I.

Diese ist aber gegenüber 2007/08 lediglich um 6,9%-Punkte angewachsen. Die Zahl der

Gesamtschüler ist über die Jahre insgesamt stabil geblieben, die Sekundarstufe I der

Gemeinschaftsschule besuchten im Einführungsjahr 2011/12 insgesamt 1.618 Schüler. Dabei

steigen die Schülerzahlen in den kreisfreien Städten stärker als in den Kreisen, die ist sowohl

bei den Regelschülern als auch bei den Gymnasiasten der Fall.

In der Sekundarstufe II setzt sich der oben kurz angezeigte Trend der Abnahme der

Schülerzahl fort (vgl. Abbildung 2.1.7). Im Schuljahr 2011/12 besuchten 14.507 Schüler die

gymnasiale Oberstufe im allgemeinbildenden Schulsystem Thüringens, dies sind 7.885

Schüler weniger als noch im Schuljahr 2007/08. Die Abnahme in den kreisfreien Städten fällt

dabei ein wenig stärker aus. Dieser Trend wird sich angesichts der für die Primarstufe und

Sekundarstufe I nachzuvollziehenden Schülerzahlveränderungen in den kommenden Jahren

abschwächen, perspektivisch wird die zahlenmäßige Bildungsbeteiligung in der gymnasialen

Oberstufe wieder steigen.

Page 14: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

13

Abbildung 2.1.7: Veränderung der Schüleranzahl in der Sekundarstufe II, 2007/08 und 2011/12

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Prognostiziert wird Berechnungen der Statistikstelle des Thüringer Ministeriums für Bildung,

Wissenschaft und Kultur zufolge für die kommenden Jahre ein Anwachsen der Schülerzahlen

bezogen auf das gesamte Landesgebiet (vgl. Tabelle 2.1.12-Anhang). Der Zeitpunkt, ab dem

die Schülerzahlen insgesamt sinken werden, wird auf das Schuljahr 2017/18 geschätzt. Im

Schuljahr 2031/32 werden ca. 30.000 Schüler weniger die Schulen des allgemeinbildenden

Schulsystems Thüringens besuchen. Dabei werden divergierende Entwicklungsverläufe in

den einzelnen Schularten vorhergesagt. Die Schülerzahlen für die Gesamt- und

Gemeinschaftsschule sollen bis ca. Mitte der 2020er Jahre noch ansteigen (vgl. Abbildung

2.1.8), für die Grundschule, die Regelschule und das Gymnasium soll die Periode der

Schülerzahlabnahmen schon zehn Jahre früher einsetzen (vgl. Abbildung 4.2.4).

Da die hier dargelegten Prognosen auf Schätzungen beruhen, die anhand der

prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und des vergangenen Schulwahlverhaltens

angestellt wurden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob sich die vorhergesagten Verteilungen

auf die Schularten der Sekundarstufe in dieser Art und Weise einstellen werden. Die

Verteilungsentwicklung wird wahrscheinlich stark mit der zukünftigen schulstrukturellen

Angebotslage zusammenlaufen. Hier spielen selbstverständlich entsprechende

reformerische Interventionen sowie das zukünftige faktische Schulwahlverhalten der Schüler

und Eltern eine entscheidende Rolle. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten bisweilen

deutlich differierenden Angebotsstrukturen zwischen den Gebietskörperschaften ist für die

kommenden Jahre eine womöglich noch unterschiedlichere Frequentierung der einzelnen

Schularten zu erwarten. Diese tatsächliche Entwicklung kann angesichts der erst jungen

Page 15: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

14

Einführung der Gemeinschaftsschule kaum valide abgeschätzt werden. Aber die teilweise

stark zunehmende Präsenz der Gemeinschaftsschule in manchen Gebietskörperschaften

weist darauf hin, dass sich hier weitere Differenzierungen zwischen den Räumen ergeben

werden.

Abbildung 2.1.8: Schülerzahlprognose für Gemeinschaftsschule und Gesamtschule (links) sowie für Grundschule, Regelschule und Gymnasium (rechts) , 2013/14 bis 2031/32

Quelle: Statistikstelle des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur

2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Neben der demografischen Entwicklung erscheint insbesondere die wirtschaftliche Lage aus

zwei Gründen als relevante Kontextgröße: Zum einen geben Kennwerte, welche die

Wirtschaftskraft eines Landes abbilden, Hinweise darauf, wie groß die investiven

Handlungsspielräume der politischen Akteure für strukturelle Reformen oder

Innovationsmaßnahmen sind. Auf der anderen Seite ermöglichen diese Kennwerte einen

Einblick in die sozialstrukturellen Begebenheiten der Gebietskörperschaften, welche

wiederum in einem Wechselverhältnis mit dem Schulsystem stehen. Daher werden

nachfolgend Faktoren wie die Beschäftigungsstruktur und die Arbeitslosigkeit als relevante

Kontextbedingungen dargestellt. Die Beschäftigungsstruktur wird dabei über die Anteile an

sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Altersgruppen betrachtet.

2.2.1 Beschäftigungsstruktur

In Thüringen befanden sich im Jahr 2011 insgesamt 826.194 Personen in einem

sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Dies entspricht einem Anteil von

56,74% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre). Die

Beschäftigungsentwicklung Thüringens zeichnet sich zudem durch einen positiven Verlauf

aus, ist doch zwischen 2008 und 2011 ein Beschäftigungsanstieg von 4,1%-Punkten zu

Page 16: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

15

verzeichnen (vgl. Tabelle 2.2.1). Dieser Trend verläuft zwar für die verschiedenen

Altersgruppen (15-25 Jahre, 25-50 Jahre, 50-65 Jahre) unterschiedlich stark, jedoch sind für

alle Gruppen Zuwächse festzustellen. Ein Vergleich zwischen den Altersgruppen zeigt, dass

die Anteile an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Altersgruppen der 25-50-

Jährigen (+4,8%-Punkte) sowie der 50-65-Jährigen (+4,4%-Punkte) deutlicher als bei der

Gruppe der 15-25-Jährigen (+1,8%-Punkte) zugenommen haben. So sind im Jahr 2011

insgesamt 65,2% der 25-50-Jährigen sowie 50,1% der 50-65-Jährigen

sozialversicherungspflichtig beschäftigt, demgegenüber sind es in der Gruppe der 15-25-

Jährigen lediglich 42,9%.

Tabelle 2.2.1: Anteile der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Bevölkerung nach Altersgruppen und Gebieten, in den Jahren 2008-2011 (in %)

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte

Anteilig nach Altersgruppen

15-25 Jahre 25-50 Jahre 50-65 Jahre Insgesamt

Thüringen

2008 41,1 60,4 45,7 52,6

2009 41,8 61,7 47,7 54,0

2010 42,5 55,5 48,8 51,3

2011 42,9 65,2 50,1 56,7

Kreisfreie Städte

2008 34,9 60,6 50,1 52,9

2009 31,1 56,5 48,1 49,6

2010 31,5 50,5 48,6 46,8

2011 32,3 59,4 49,5 52,0

Kreise

2008 43,3 60,3 44,4 52,4

2009 45,9 63,4 47,6 55,5

2010 46,8 57,2 48,9 52,8

2011 47,3 67,2 50,2 58,4 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2008 und 2011, Reihe: Arbeitsmarkt in Zahlen - Beschäftigungsstatistik, Titel: Sozialversicherungspflichtige nach Kreisen und kreisfreien Städten; Thüringer Landesamt für Statistik 2008 und 2011, Bevölkerung nach Altersgruppen und Kreisen in Thüringen, eigene Berechnungen.

Die vergleichsweise geringere Zunahme an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der

Altersgruppe der unter 25-Jährigen, sowie die leicht sinkenden Beschäftigungsquoten in den

kreisfreien Städten (-0,9%-Punkte), können als Hinweise auf eine anwachsende Verweildauer

in formellen Bildungszusammenhängen gedeutet werden. Auf einen solchen Tatbestand

verweisen auch die vergleichsweise geringen Beschäftigungsquoten der jüngeren

Altersgruppe in den Hochschulstädten Erfurt (51,9%-Punkte), Weimar (47,1%-Punkte) und

Jena (51,7%-Punkte) hin, welche sich zwischen 2008 und 2011, insbesondere in Erfurt und

Jena, verringert haben (-3,2%-Punkte/-3,7%-Punkte; vgl. Tabelle 2.2.2-Anhang). Ebenfalls

betroffen von einer deutlichen Beschäftigungsabnahme ist die Stadt Eisenach: In der Zeit von

2008 bis 2011 hat sich der Anteil an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt um

3,2%-Punkte reduziert. Demgegenüber erfahren Gebietskörperschaften wie Hildburghausen

Page 17: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

16

(+7,8%-Punkte), das Weimarer Land (+7,3%-Punkte), Sömmerda (+7,1%-Punkte) und der

Kyffhäuserkreis (+7,0%-Punkte) im selben Zeitraum stärkere Beschäftigungszuwächse.

Wird die wirtschaftliche Struktur anhand der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

anteilig an den Wirtschaftsbereichen im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 betrachtet,

lassen sich lediglich marginale Veränderungen erkennen. Im Folgenden wird daher

ausschließlich das aktuelle Bezugsjahr 2011 betrachtet (vgl. Tabelle 2.2.3-Anhang).

Der Dienstleistungssektor und das produzierende Gewerbe sind die anteilsmäßig stärksten

Wirtschaftsbereiche Thüringens. Auf beide Sektoren verteilen sich insgesamt 97,8% aller

sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im gesamten Bundesland, 99,7% aller

Beschäftigten der kreisfreien Städte und 96,9% aller Beschäftigten in den Kreisen.2 Auffällig

sind Unterschiede zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten hinsichtlich der Anteile an

Beschäftigten in den Sektoren. Während in den kreisfreien Städten höhere

Beschäftigungsquoten im Dienstleistungssektor festzustellen sind (79,4%), liegen die Anteile

in den Kreisen im Mittel 22,9%-Punkte darunter. In den Kreisen sind demgegenüber 40,4%

der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig, in den

kreisfreien Städten hingegen nur 20,3%.

Die dezidiertere Betrachtung der einzelnen Gebietskörperschaften (vgl. Tabelle 2.2.3-

Anhang) macht wiederum größere und kleinere Differenzen zwischen den Landesteilen

Thüringens sichtbar. Wie bereits gezeigt, sind über alle Gebietskörperschaften hinweg die

meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig. Werden

zunächst die kreisfreien Städte miteinander verglichen, ist augenscheinlich, dass die Werte

zwischen den Extremfällen Eisenach (66,1%) und Weimar (85,9%) liegen. Für den

Spitzenwert der Stadt Weimar ist möglicherweise das relativ hohe Touristenaufkommen ein

Erklärungsfaktor.

Wenngleich in den Kreisen insgesamt weniger Personen im Dienstleistungssektor tätig sind,

reicht die Spanne von 47,4% bis zu 66,5%. Der Kreis Nordhausen weist mit 66,5% den

höchsten Anteil auf, wohingegen der Dienstleistungssektor in anderen Kreisen, z.B. im

Wartburgkreis (48,2%) nur sehr gering ausgeprägt ist (vgl. Tabelle 2.2.3-Anhang). Mit der

Ausnahme zweier Gebietseinheiten (Wartburgkreis und Saale-Orla-Kreis) kann jedoch

durchweg konstatiert werden, dass in den meisten Gebietskörperschaften mehr als die

Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor arbeiten.

2.2.2 Arbeitslosigkeit

Ebenfalls wichtige Informationen bezüglich der wirtschaftlichen Lage eines Landes halten die

Daten zur Arbeitslosigkeit bereit. Der Anteil an arbeitslos gemeldeten Personen zeigt in der

2 Hinsichtlich der Beschäftigung nach Wirtschaftsbereichen (WZ 2008) lassen sich im Betrachtungszeitraum

insgesamt lediglich latente Verschiebungen feststellen, sodass vorwiegend das aktuelle Bezugsjahr 2011 berichtet wird.

Page 18: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

17

Gesamtbetrachtung mit den Beschäftigtenzahlen das vorhandene Erwerbspersonenpotenzial

einer Region an.

In Thüringen beläuft sich der Anteil der arbeitslos gemeldeten Erwerbspersonen, gemessen

an der Bevölkerung im sozialversicherungspflichtigen Alter, im Jahr 2012 auf 8,5% und liegt

damit 1,7% über der gesamtdeutschen Quote von 6,8%. Im Vergleich zu der gemittelten

Arbeitslosenquote der neuen Bundesländer (10,7% im Jahr 2012) ist der Thüringer Wert

vergleichsweise niedrig. In den alten Bundesländern hingegen fällt die Quote mit 6,6% noch

geringer aus. Die Entwicklung Thüringens, von 2008 bis 2012, verläuft konform zum

generellen Trend der neuen Bundesländer, welcher sich durch eine Abnahme der

Arbeitslosenquoten auszeichnet. Thüringen verfügt im Betrachtungszeitraum über die

geringste Arbeitslosenquote (vgl. Tabelle 2.2.4-Anhang).3

Im Zeitverlauf zeichnen sich sowohl bei der Arbeitslosenquote für die Thüringer Bevölkerung

insgesamt als auch für die Gruppe der unter 25-Jährigen positive Veränderungen ab (vgl.

Tabelle 2.2.5). Während die Arbeitslosenquote für Thüringen im Jahr 2008 noch bei 11,2%

lag, beläuft sie sich im Jahr 2012 auf 8,5%. Die Wertveränderung zwischen den Jahren für die

Personengruppe der unter 25-Jährigen entspricht dieser Tendenz, fällt aber mit einem

Rückgang um 2,6%-Punkte etwas geringer aus.

Auch auf Ebene der Gebietskörperschaften zeigen sich durchschnittlich sinkende

Arbeitslosenquoten: Während die Quote in den kreisfreien Städten im Jahr 2008 noch bei

11,1% lag, sinkt der Anteil zum Jahr 2012 um 2,8%-Punkte. Eine ähnliche Veränderung ergibt

sich auch für die Kreise, in denen der Anteil arbeitslos gemeldeter Personen mit einem

Minus von 2,5%-Punkten zum Jahr 2008 auf derzeit 9,2%-Punkte abnimmt (vgl. Tabelle

2.2.5).

Die hier dargestellten geringen Unterschiede bestätigen sich bei der differenzierteren

Betrachtung zwischen den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten nicht. Hier reicht die

Spanne der Arbeitslosenquoten im Jahr 2012 in den Kreisen von 4,5% bis 12,5% und in den

kreisfreien Städten von 6,9% bis 12,1%. Die Stadt Gera verfügt dabei sowohl im Jahr 2008 als

auch im Jahr 2012 über die höchste Arbeitslosenquote unter den kreisfreien Städten (15%

bzw. 12,1%), innerhalb der Gruppe der Kreise zeigt der Kyffhäuserkreis die höchsten

Anteilswerte (17,0% bzw. 12,5%). Auch in Sömmerda und dem Altenburger Land hat sich die

Arbeitslosenquote im Zeitverlauf stark reduziert, dennoch haben sie auch in 2012

vergleichsweise hohe Arbeitslosenquoten. Einige Fälle wie Sonneberg (4,5%) und

Hildburghausen (5,5%) verfügen hingegen über die geringsten Arbeitslosenquoten unter den

Kreisen, die Städte Jena (6,9%) und Suhl (7,8%) weisen die geringsten Quoten unter den

kreisfreien Städten auf (vgl. Tabelle 2.2.5).

3 DESTATIS. Arbeitsmarkt. Nach den Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf.

Page 19: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

18

Tabelle 2.2.5: Entwicklung der Arbeitslosenquote nach Kreisen und kreisfreien Städten 2008-2012 (in %)

Kreis/ kreisfreie Stadt

Arbeitslosenquote insgesamt

Arbeitslosenquote der unter 25jährigen

Differenz zwischen 2008 und

2012 2008 2012 2008 2012

Stadt Erfurt 13,1 9,6 11,8 7,2 -4,6

Stadt Gera 15,0 12,1 12,2 10,4 -1,8

Stadt Jena 8,6 6,9 6,8 5,2 -1,6

Stadt Suhl 10,8 7,8 11,0 7,4 -3,6

Stadt Weimar 12,9 9,4 10,8 7,3 -3,5

Stadt Eisenach 10,6 9,1 9,7 7,9 -1,8

Eichsfeld 9,3 6,4 8,2 5,2 -3,0

Nordhausen 13,6 10,3 12,4 8,7 -3,7

Wartburgkreis 8,0 6,1 7,0 5,4 -1,6

Unstrut-Hainich-Kreis 12,8 11,1 10,4 9,8 -0,6

Kyffhäuserkreis 17,0 12,5 13,7 8,1 -5,6

Schmalkalden-Meiningen 8,8 6,9 8,0 5,8 -2,2

Gotha 9,3 8,0 8,4 7,5 -0,9

Sömmerda 14,7 9,8 12,8 8,5 -4,3

Hildburghausen 7,6 5,5 6,4 3,7 -2,7

Ilm-Kreis 11,8 8,5 9,4 6,7 -2,7

Weimarer Land 10,1 7,5 9,5 6,5 -3,0

Sonneberg 7,9 4,5 8,3 4,8 -3,5

Saalfeld-Rudolstadt 10,9 8,3 10,2 7,8 -2,4

Saale-Holzland-Kreis 9,3 7,3 9,2 6,5 -2,7

Saale-Orla-Kreis 9,5 7,4 8,0 7,1 -0,9

Greiz 11,3 9,2 9,6 6,6 -3,0

Altenburger Land 16,0 11,7 11,8 9,5 -2,3

Kreise 11,1 8,3 9,6 7,1 -2,5

Kreisfreie Städte 11,8 9,2 10,4 7,6 -2,8

Thüringen 11,2 8,5 9,6 7,0 -2,6 Anmerkungen: Die ausgewiesene Differenz bezieht sich auf die Altersgruppe der unter 25-Jährigen. Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik 2008 und 2012, Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt nach Kreisen ab 2007; eigene Berechnungen.

Auch bezüglich der Gruppe arbeitslos gemeldeter Personen unter 25 Jahren machen sich

positive Entwicklungen Thüringens im Sinne einer flächendeckenden Quotenabnahme im

Zeitraum von 2008 bis 2012 von insgesamt 2,6%-Punkten bzw. einer absoluten Anzahl von

6.054 Personen bemerkbar. So sind im Jahr 2012 in den kreisfreien Städten durchschnittlich

7,6% und in den Kreisen 7,1% arbeitslos. Zwar kann mit Blick auf die einzelnen

Gebietskörperschaften von durchgängigen Quotenabnahmen zwischen 2008 und 2012

gesprochen werden, jedoch reichen diese von allzu geringfügigen Wertverlusten, wie um

0,9%-Punkte im Saale-Orla-Kreis, bis hin zu stärkeren Rückgängen, zu beobachten etwa im

Kyffhäuserkreis (-5,6%-Punkte).

Auch hinsichtlich der Anteile an arbeitslos gemeldeten Personen unter 25-Jahren zeigen sich

Differenzen zwischen den Gebietskörperschaften. So reicht die Spanne im Jahr 2012 von

3,7% bis 9,8% in den Kreisen und von 5,2% bis 10,4% in den kreisfreien Städten. Kreise wie

Page 20: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

19

Hildburghausen (3,7%), Sonneberg (4,8%), Wartburgkreis (5,4%) und Eichsfeld (5,2%) sowie

die Stadt Jena (5,2%) sind dabei aufgrund ihrer niedrigeren Werte im Jahr 2012

hervorzuheben. Die höchsten Arbeitslosenquoten liegen im Jahr 2012 in der Stadt Gera

(10,4%), dem Unstrut-Hainich-Kreis (9,8%) und dem Altenburger Land (9,5%) vor. Während

im Jahr 2008 Sömmerda (12,8%) und der Kyffhäuserkreis (12,5%) die höchsten Quoten

aufwiesen, sind deren Anteile bis 2012 deutlich gesunken (-4,3%-Punkte, -5,6%-Punkte).

Auch in der Stadt Erfurt hat der Anteil an Arbeitslosen unter 25 Jahren um 4,6%

bemerkenswert abgenommen (vgl. Tabelle 2.2.5).

Somit zeigen sich zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zwar mehr oder weniger

divergente Veränderungen, in der Gesamtbetrachtung aber begrüßenswerte Entwicklungen.

2.3 Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen

Sowohl große nationale als auch internationale Leistungsvergleichsstudien verweisen auf

einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Kompetenz-

sowie Zertifikatserwerb in Deutschland (u.a. Baumert et al. 2001). Demnach bestehen für

Schüler aus sozial benachteiligten Familien herkunftsbedingte Nachteile, welche nicht allein

durch das Bildungssystem aufgefangen werden können (vgl. Bos et al. 2007). Dieser im

internationalen Vergleich stark ausgeprägte Zusammenhang innerhalb Deutschlands ist

insbesondere vor dem Hintergrund der anzustrebenden Chancengerechtigkeit als besonders

problematisch anzusehen (vgl. ebd.; Berkemeyer et al. 2013). Die Sozialstruktur eines Landes

oder auch einer Region lässt zum einen Rückschlüsse auf die soziale Lage der Thüringer

Bevölkerung zu und zum anderen auf die hierdurch hervorgerufenen Herausforderungen für

das Schulsystem.

Nachfolgend wird die soziale Herkunft über die Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen

sowie der Verteilung der Schülerpopulation des Primar- und Sekundarbereichs nach dem

Buchbesitz im Haushalt betrachtet.

2.3.1 Hilfebedürftigkeit

Die Betrachtung der Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen ist von zentraler

Bedeutung für das Bildungssystem. Der Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen wird

dabei gemessen an der Anzahl der unter 15-Jährigen, die Leistungen nach dem

Sozialgesetzbuch (SGB) II erhalten, anteilig an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung.

Im aktuellen Bezugsjahr 2011 sind insgesamt 19,2% der unter 15-Jährigen in Thüringen

leistungsberechtigt nach dem SGB II. Dies entspricht einer absoluten Anzahl von 48.294

Personen (vgl. Abbildung 2.3.1, Tabelle 2.3.1, Tabelle 2.3.2-Anhang, Tabelle 2.3.3-Anhang).

Nach den Ergebnissen des Keck-Atlas‘ (Kommunale Entwicklung – Chancen für Kinder) der

Bertelsmann Stiftung erweist sich Thüringen als das Bundesland mit der niedrigsten

Armutsquote im Vergleich mit anderen neuen Bundesländern, dennoch lebt jede 5. Person

unter 15 Jahren in einer hilfebedürftigen Familie. Über den Betrachtungszeitraum von 2007

Page 21: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

20

bis 2011 sind jedoch erfreuliche Wertabnahmen festzustellen, welche in der Abbildung 2.3.1

veranschaulicht werden.

Abbildung 2.3.1: Veränderungen des Anteils an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen, gemessen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, über die Jahre 2007 bis 2011 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Während im Jahr 2007 noch jeder 4. unter 15-Jährige (61.119 Personen) in einer Familie

aufwuchs, die auf staatliche Hilfen angewiesen war, nimmt der Anteil im Zeitverlauf

kontinuierlich ab.

Deutliche Unterschiede sind jedoch zwischen den Gebietseinheiten der Kreise und

kreisfreien Städte festzustellen. Der Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen in den

kreisfreien Städten ist über den gesamten Betrachtungszeitraum deutlich höher als in den

Kreisen. Im Bezugsjahr 2011 beträgt die Differenz bei einem Wert von 24,2% an

hilfebedürftigen in den kreisfreien Städten und 17,5% in den Kreisen folglich +6,5% (vgl.

Abbildung 2.3.1, Tabelle 2.3.1, Tabelle 2.3.3-Anhang).

Trotz der sich rückläufig entwickelnden Armutsquote, in Thüringen insgesamt sowie jener

der Gebietseinheiten Kreise und kreisfreie Städte, bestehen zwischen den einzelnen

Gebietskörperschaften erkennbare Disparitäten (vgl. Tabelle 2.3.1).

Page 22: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

21

Tabelle 2.3.1: Anteil an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen, gemessen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, in den Jahren 2007 bis 2011 (in%)

Kreise/Kreisfreie Städte

Anteil an Hilfebedürftigen Veränderung

zwischen 2007 und

2011 2007 2008 2009 2010 2011

in % in % in % in % in % in %

Stadt Erfurt 35,9 33,9 31,0 29,3 27,4 -8,5

Stadt Gera 36,0 34,3 32,3 31,5 29,3 -6,7

Stadt Jena 23,2 21,4 14,9 17,5 15,9 -7,2

Stadt Suhl 29,0 27,7 25,6 23,0 20,6 -8,4

Stadt Weimar 29,6 27,0 24,8 23,6 22,0 -7,6

Stadt Eisenach 29,2 27,2 22,2 23,2 25,7 -3,5

Eichsfeld 14,8 14,1 11,7 11,7 10,1 -4,7

Nordhausen 31,2 29,1 27,2 25,9 24,9 -6,3

Wartburgkreis 17,5 15,3 13,8 12,8 10,8 -6,7

Unstrut-Hainich-Kreis 27,6 26,1 24,5 24,3 22,7 -5,0

Kyffhäuserkreis 32,5 30,6 29,2 28,2 26,4 -6,0

Schmalkalden-Meiningen 18,9 17,5 15,2 14,7 12,4 -6,5

Gotha 26,8 24,9 23,7 22,8 20,8 -6,0

Sömmerda 27,2 26,2 23,5 22,2 19,4 -7,8

Hildburghausen 15,5 13,8 12,5 14,0 11,8 -3,7

Ilm-Kreis 26,9 24,4 22,5 22,0 19,9 -6,9

Weimarer Land 23,8 21,4 19,2 17,9 16,9 -7,0

Sonneberg 19,8 18,1 16,4 15,6 12,9 -10,4

Saalfeld-Rudolstadt 24,3 22,2 19,9 18,5 16,2 -8,1

Saale-Holzland-Kreis 19,4 18,8 17,4 16,0 14,5 -4,9

Saale-Orla-Kreis 21,6 19,6 18,1 18,0 16,2 -5,4

Greiz 24,2 22,4 20,0 19,0 16,9 -7,3

Altenburger Land 32,7 31,7 30,2 28,7 26,4 -6,3

Kreise 23,7 22,0 20,2 19,4 17,5 -6,3

Kreisfreie Städte 31,8 29,8 26,3 25,8 24,2 -7,5

Thüringen 25,6 23,9 21,7 21,0 19,2 -6,5 Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Werden zunächst die kreisfreien Städte verglichen, ist augenscheinlich, dass in der Stadt

Jena deutlich geringere Anteile an hilfebedürftigen unter 15-Jährigen leben als in den

anderen Städten. Insbesondere in der Stadt Gera (29,3%) und der Stadt Erfurt (27,4%) sind

die Anteile deutlich höher, sodass mehr als jeder vierte unter 15-Jährige in einer

hilfebedürftigen Familie lebt. Auch in den Kreisen lassen sich vereinzelt Regionen ausfindig

machen, in welchen ca. jeder vierte unter 15-Jährige hilfebedürftig ist. Dies betrifft

insbesondere die Kreise: Nordhausen (24,5%), Kyffhäuserkreis (26,4%) und das Altenburger

Land (26,4%). In eben genannten Kreisen sind die Anteile mehr als doppelt so hoch wie im

Eichsfeld (10,1%), im Wartburgkreis (10,8%), in Hildburghausen (11,8) und in den Kreisen

Schmalkalden-Meiningen (12,4%) und Sonneberg (12,9%). Hier lebt etwa jeder 10. unter 15-

Jährige in einer sozialhilfebedürftigen Familie (vgl. Tabelle 2.3.1). Über den Zeitverlauf sind

Page 23: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

22

insbesondere die deutlichen Wertabnahmen des Kreises Sonneberg hervorzuheben:

Während im Jahr 2007 noch 19,8% der unter 15-Jährigen in einer hilfebedürftigen Familie

lebten, sinkt dieser Anteil bis zum Jahr 2011 um insgesamt -10,4%-Punkte.

2.3.2 Der Buchbesitz nach Haushalt

Die soziale Herkunft der Schüler wird in nationalen und internationalen Studien sowohl über

das soziale Kapital als auch über das ökonomische oder kulturelle Kapital erfasst. Die Anzahl

der Bücher im Haushalt hat sich im Sinne des kulturellen Kapitals, welches implizit sowohl

auf das Bildungsniveau der Eltern als auch das ökonomische Kapital der Familien verweist,

als zuverlässiger Indikator zur Beschreibung der sozialen Herkunft erwiesen und wird auch

im Rahmen dieser Expertise herangezogen (vgl. Bos et al. 2008, Bos et al. 2010). Dabei wird

unterschieden zwischen Haushalten mit 1) weniger als 25 Büchern, 2) 26-100 Büchern und 3)

mehr als 100 Büchern. Als Datengrundlage können die Schülerangaben der landesweiten

Kompetenztests (kompetenztest.de) herangezogen werden. Die hier betrachtete Stichprobe

bezieht sich daher auf die Testpopulation des Schuljahres 2011/12 und die Klasse 3 der

Primarstufe sowie die Klasse 8 der Regelschulen und Gymnasien.

Die Schülerschaft in der Primarstufe zeichnet sich hinsichtlich der eingangs genannten

Bücherkategorien durch große Heterogenität aus. Während 22,5% aller getesteten

Grundschüler angeben, in einem Haushalt zu leben, in dem weniger als 25 Bücher zur

Verfügung stehen, verteilen sich fast gleich große Anteile auf die Kategorien 26-100 Bücher

(39,9%) bzw. mehr als 100 Bücher (37,6%) (vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang).

Zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten lassen sich bezüglich der Schülerschaft mit

weniger als 25 Büchern zwar keine Differenzen feststellen, dennoch leben in den kreisfreien

Städten mehr Schüler in Haushalten mit über 100 Büchern (41,9%) als in den Kreisen

(36,1%), was auf die soziostrukturellen Gegebenheiten und Akademikerdichte

zurückzuführen ist (vgl. Abbildung 2.3.2). Hinsichtlich des Anteils an Schülern mit mehr als

25, aber weniger als 100 Büchern kehrt sich dieses Verhältnis zwischen den Kreisen (36,1%)

und kreisfreien Städten um (41,1%).

Zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften sind ebenfalls Unterschiede festzustellen,

welche in der Abbildung 2.8 dargestellt werden. In kreisfreien Städten wie Jena und Weimar

leben im Vergleich zu den anderen Städten weniger Schüler in Haushalten mit weniger als 25

Büchern (18,0%, 16,6%, vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang). Gleichzeitig verfügen in diesen Städten

deutlich mehr Haushalte über mehr als 100 Bücher (Jena=48,1%, Weimar=53,3%). Diese

Anteile können als Hinweise auf die vorherrschende Sozialstruktur innerhalb dieser Städte

gedeutet werden. Doch auch in Kreisen wie Saalfeld-Rudolstadt (16,8%), dem Saale-Orla-

Kreis (18,5%) sowie dem Weimarer Land (18,6%) und dem Saale-Holzland-Kreis (18,7%)

geben vergleichsweise geringe Schüleranteile an, in einem Haushalt zu leben, in dem

weniger als 25 Bücher zur Verfügung stehen.

Page 24: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

23

Abbildung 2.3.2: Anteil der Schüler in der Primarstufe nach Buchbesitz im Haushalt, im Jahr 2012 (in%)

Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Einzig im Kreis Sonneberg zeigen sich nur geringe Unterschiede bezüglich des Anteils an

Schülern nach Bücherkategorien (30,6%, 39,1%, 30,1%, vgl. Tabelle 2.3.4-Anhang).

In der Sekundarstufe I zeichnet sich bezüglich der Schülerzusammensetzung ein ähnliches

Bild ab wie in der Primarstufe (vgl. Abbildung 2.3.3 sowie Tabelle 2.3.5-Anhang). Während

auf Landesebene 41,3% der Schüler der Sekundarstufe I aus Haushalten mit mehr als 100

Büchern stammen, ist der Anteil in den Kreisen geringer (38,8%) und in den kreisfreien

Städten höher (48,4%). In den Kreisen leben vielmehr fast genauso viele Schüler in

Haushalten mit mehr als 26, aber weniger als 100 Büchern (39%) wie in Haushalten mit über

100 Büchern (38,8%; Tabelle 2.3.5-Anhang).

Page 25: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

24

Abbildung 2.3.3: Anteil der Schüler in der Sekundarstufe I nach Buchbesitz, im Jahr 2012 (in%)

Quelle: Kompetenztest.de, eigene Berechnungen

Divergierende Anteile zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften verweisen zudem auf

ein heterogenes Bild. Während in den Städten Jena (66,7%) und Weimar (57,2%)

bedeutende Schüleranteile aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern stammen, leben in der

Stadt Gera höhere Anteile in Haushalten mit weniger als 100 Büchern (40,5%). Die

Schülerschaft der Stadt Jena zeichnet sich zudem durch einen vergleichsweise deutlich

geringeren Anteil an Schülern mit weniger als 25 Büchern im Haushalt aus (11,4%).

In den einzelnen Kreisen leben hingegen mehr Schüler in Haushalten mit weniger als 100

Büchern, wenngleich für Kreise wie Gotha (42,7%), den Ilm-Kreis (43,7%) sowie den Saale-

Holzland-Kreis (46,4) vergleichsweise höhere Schüleranteile der Bücherkategorie „mehr als

100 Bücher“ festgestellt werden können.

2.4 Index zum sozialräumlichen Kontext des Schulsystems

Die im Verlauf dieses Kapitels zur Beschreibung der demografischen, wirtschaftlichen sowie

sozialstrukturellen Rahmenbedingungen herangezogenen Merkmale sind als relevante

Page 26: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

25

Kontextfaktoren für die handelnden Schulsystemakteure anzusehen. Manche der

aufgeworfenen Umweltcharakteristika wirken zwar vermittelt, aber dennoch direkt auf das

Handeln der schulischen Akteure. Hierzu sind insbesondere die sozialstrukturellen Faktoren

und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines bestimmten Sozialraums zu zählen. Die

sozialen Gegebenheiten eines Gebietes werden beispielsweise den Lehrkräften in Form der

soziostrukturellen Hintergründe ihrer Schülerschaftvor Augen geführt. Diese Merkmale sind

durch Schule zwar nicht direkt veränderbar, wohl aber können Schulsystemakteure sich auf

die spezifischen Bedingungen einstellen und den Schülern ihren jeweiligen Voraussetzungen

entsprechend ein adäquates Lern- und Entwicklungsumfeld bereitstellen.

Die Kennwerte, mithilfe derer die Demografie eines Raums zu erfassen ist, wie etwa die

Geburtenentwicklung oder die prognostizierte Schülerzahlentwicklung, sind dagegen

vielmehr für die politisch-administrativen Steuerungsakteure von Relevanz. Auf der

Grundlage aktueller Entwicklungen sowie der angestellten Prognosen sind sie damit

beauftragt, Entscheidungen über Ressourcenverteilungen, Ausbildungsinhalte oder mögliche

schulstrukturelle Anpassungen zu treffen. Hier wird die Notwendigkeit einer adäquaten, das

heißt vor allem prospektiven und antizipierenden Governance des Schulsystems

angesprochen.

Mit diesen skizzenhaften Ausführungen werden zwei bedeutende, analytisch zu

unterscheidende Handlungsfelder der systematischen Schulentwicklung, nämlich der

Umgang mit bestimmten soziostrukturellen Voraussetzungen und die ressourcielle und

strukturelle Governance von schulischen Bildungsräumen, näherungsweise markiert. Wie

aber die Ergebnisse zu den einzelnen Rahmendaten zeigen konnten, ist zwischen den

Gebietskörperschaften von teilweise beträchtlich divergierenden Umweltbedingungen

auszugehen. Die Schulen, Lehrkärfte und schulpolitischen Entscheidungsträger müssen vor

dem Hintergrund verschiedenartiger sozialer Situationen agieren.

Zur indikatorenbasierten Beobachtung und Beschreibung von Sozialräumen gilt aus

statistischer Sicht die Methode der Indizierung als ein probates Mittel. Dahinter stehen aus

Steuerungssicht mehrere Intentionen: Zum Beispiel sollen Sozialräume kategorial

unterschieden werden können, sollen Problembezirke identifizierbar gemacht werden oder

„Stellschrauben“ gefunden werden, anhand derer die Bedingungen erfolgsversprechend

verändert werden können. Anspruchsäußerungen dieser Art waren in der Vergangenheit

bereits zu vernehmen (vgl. Frein et al., 2006). Ob die Konstruktion von Sozialindizes wirklich

die Governance unterstützen kann ist bislang nicht abschließend empirisch bestätigt

worden. Vielmehr sind nach wie vor wissenschaftliche Suchbewegungen nach theoretisch-

konzeptionellen Begründungen der Verbindung von Sozialraum und Aktivitäten des

Schulsystems zu beobachten (Bonsen et al., 2010). In einigen Untersuchungen konnten aber

bereits Zusammenhänge zwischen einzelnen sozialstatistischen Merkmalen und

schulsystemischen Variablen nachgewiesen werden (z.B. Weishaupt und Schulzeck, 2005). In

Page 27: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

26

welchen Verhältnissen diese aber zueinander stehen und ob sie womöglich kumulativ

zusammenwirken, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden.

Obgleich auch im Rahmen dieser Expertise keine empirisch abgesicherte Wirkungsanalyse

von sozialräumlichen Merkmalen auf Schulstruktur- und Schulqualitätsmerkmale vollzogen

werden kann, soll aber ein erster Schritt zur statistischen Beschreibung der Sozialräume

Thüringens auf der Ebene der 23 Gebietskörperschaften getan werden. Diese Indizierung der

Sozialräume kann dann im weiteren Verlauf als Hintergrundfolie zur Deutung bestimmter

schulsystemischer Ausprägungen verwendet werden.

Die Beschreibung der Sozialräume wird anhand eines summativen Index vorgenommen.

Dieser wurde aus einer Auswahl von als bedeutsam erachteten Kontextindikatoren

errechnet. Entscheidungsleitende Kriterien bei der Auswahl der Indikatoren waren sowohl

eine möglichst ausgewogene Berücksichtigung demografischer, wirtschaftlicher und

sozialstruktureller Rahmendaten sowie der Anspruch, die Schulsystemumwelt möglichst

umfassend und differenziert zu beschreiben. Zudem wurde darauf geachtet, je für sich

effektversprechende Indikatoren auszuwählen, damit der Index einen ersten Eindruck über

spezifische schulsystemrelevante Problemlagen vermittelt. Der Index setzt sich aus ingesamt

sieben Einzelindikatoren zusammen:

Indikator 1: Geburtenentwicklung nach Anzahl Lebendgeburten zwischen 2007 und 2011

Indikator 2: Anteile der Bevölkerungsgruppe der unter 18-Jährigen an der Wohnbevölkerung 2011

Indikator 3: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung, Veränderung zwischen 2009 und 2030

Indikator 4: Arbeitslosenquoten im Jahr 2012

Indikator 5: Anteile sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter im Jahr 2011

Indikator 6: Anteile der Schüler mit mehr als 100 Büchern im Haushalt, 2012

Indikator 7: Anteile Hilfebedürftiger unter 15-Jahren

Die Indikatoren eins bis drei beschreiben die demografische Situation, die Indikatoren vier

und fünf geben Hinweise auf die wirtschaftliche Lage des jeweiligen Gebietes, die

Indikatoren sechs und sieben erfassen die sozialen Lagen der Schülerschaft.

Der Index wurde methodisch wie folgt berechnet:

Je Indikator wurden die Werte der einzelnen Gebietskörperschaften errechnet und in eine

Rangreihe gebracht. Dabei gilt: Je schlechter ein Kreis oder eine Kreisfreie Stadt abschneidet,

in einem Indikator, desto schlechter der Rangplatz. Da aber die Unterschiede in den Werten

zwischen den Gebietskörperschaften zum Teil sehr gering sind, wurde nicht, wie ansonsten

bei summativen Indizierungen üblich, für jeden einzelnen Rangplatz ein Punktwert vergeben,

sondern es wurden Gruppen gebildet, die nach der Logik „obere 25%“ (sechs

Page 28: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

27

Gebietskörperschaften), „mittlere 50%“ (11 Gebietskörperschaften) und „untere 25%“

(sechs Gebietskörperschaften) der Verteilung extrahiert wurden. Bei gleichen Werten an den

Schnittstellen zwischen zwei Gruppen wurden die betreffenden Gebietskörperschaften der

oberen bzw. der unteren Gruppe zugeordnet, sodass die beiden äußeren Gruppen auch

mehr als sechs Gebietskörperschaften beinhalten können. Die einzelnen Gruppen wurden

dann derart mit Punktwerten versehen, dass an jede Gebietskörperschaft der oberen

Gruppe der Wert eins, an jede Gebietskörperschaft der mittleren Gruppe der Wert zwei und

an jede Gebietskörperschaft der unteren Gruppe der Wert drei vergeben wurde. Dieses

Verfahren wurde für jeden in den Index einbezogenen Indikator vorgenommen. Infolge der

anschließenden Aufsummierung der Punktwerte ergab sich für jede Gebietskörperschaften

ein Gesamtscore, anhand dessen wiederum ein Rangreihe gebildet und Gruppen

herausgearbeitet werden konnten. Das Ergebnis zeigt Tabelle 2.4.1 auf der nachfolgenden

Seite. Die Tabelle ist so zu lesen, dass hohe Gesamtscores eher ungünstige sozialräumliche

Bedingungen anzeigen, während niedrigere Werte für verhältnismäßig günstige

Ausgangsvoraussetzungen stehen.

Mit der farblichen Unterlegung werden die nach dem dem dargelegten Vorgehen gebildeten

Gruppen markiert. Die Scores der Gebietskörperschaften liegen bisweilen nah beieinander

und können nicht trennscharf differenziert werden, sodass eine bloße Rangreihung hier aus

unserer Sicht nicht plausibel ist, zumal die Indikatoren auch ungewichtet in den Index

eingegangen sind. Wohl aber kann unterstellt werden, dass der Abstand zwischen den

Gebietskörperschaften der oberen Gruppe und denjenigen der unteren Gruppe hinreichend

groß ist, dass hier Unterscheidungen hinsichtlich der Charakterisierung des Sozialraums

vorgenommen werden können. Im Fall der Gebietskörperschaften der oberen Gruppe,

hierzu gehören beispielsweise die Städte Jena, Weimar und Erfurt, kann von relativ

günstigen sozialräumlichen Bedingungen ausgegangen werden, die Schulsysteme der

Gebietskörperschaften der unteren Gruppen, hierzu gehören neben den Städten Suhl und

Gera die im nördlichen Bereich Thüringens liegenden Kreise Sömmerda, Kyffhäuserkreis und

Nordhausen, arbeiten unter eher belasteten Kontextbedingungen. Gleichwohl gilt es aber zu

bedenken, dass nicht unbedingt alle Ergebnisse in den jeweiligen Indikatoren im Fall der

Gebietskörperschaften der unteren Gruppe dafür sprechen müssen, dass

Belastungsverhältnisse bestehen. Dennoch vermitteln sie in der Zusammenschau einen

Eindruck über die sozialräumliche Beschaffenheit jeder Gebietskörperschaft und können für

etwaige Benachteiligungen, die womöglich auf das Schulsystem wirken, sensibilisieren.

Page 29: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

28

Tabelle 2.4.1: Gruppierter Index zum Sozialraum der einzelnen Gebietskörperschaften

Gebietskörperschaft Gesamtscore

Stadt Jena 9

Stadt Weimar 9

Eichsfeld 11

Saale-Holzland-Kreis 11

Stadt Erfurt 12

Wartburgkreis 12

Schmalkalden-Meiningen 12

Ilm-Kreis 12

Gotha 13

Hildburghausen 13

Weimarer Land 13

Stadt Eisenach 14

Unstrut-Hainich-Kreis 14

Sonneberg 15

Saale-Orla-Kreis 15

Stadt Suhl 16

Sömmerda 16

Saalfeld-Rudolstadt 16

Stadt Gera 17

Nordhausen 17

Kyffhäuserkreis 18

Greiz 18

Altenburger Land 19

Zusammenfassung

Die Wohnbevölkerungszahl Thüringens ist im betrachteten Zeitraum von 2007 bis 2011

insgesamt durch einen Rückgang gekennzeichnet. Bevölkerungsprognosen verweisen zudem

darauf, dass sich die Verringerung der Einwohnerzahl Thüringens weiter verschärfen wird.

Während bezogen auf die bisherige Bevölkerungsentwicklung die kreisfreien Städte

gegenüber den Kreisen im Schnitt noch geringfügige Wohnbevölkerungszuwächse

verzeichnen können, wird der prognostizierte Bevölkerungsrückgang nicht nur in den

ländlichen Regionen, sondern auch in den kreisfreien Städten deutlicher spürbar sein. Von

dem zukünftigen Bevölkerungsschwund sind die kommunalen Gebietskörperschaften

dennoch unterschiedlich stark betroffen. Gründe hierfür können neben möglichen

Unterschieden im Wanderungssaldo in der aufgezeigten regional differenten

Geburtenentwicklung liegen.

Im Gegensatz zur gegenwärtigen und zukünftigen Bevölkerungsentwicklung zeichnen sich

die wirtschaftlichen Kontextbedingungen Thüringens durch steigende Anteile an

Page 30: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

29

sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und verringerten Arbeitslosenquoten aus. Zugleich

lassen sich regionale Disparitäten feststellen, welche im Kontext lokaler bildungspolitischer

Handlungsstrategien Berücksichtigung erfahren sollten. Während hinsichtlich der Anteile an

sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Zunahmen in den Kreisen feststellbar sind, sinken

die Anteile in den kreisfreien Städten leicht ab, wobei hier insbesondere die Gruppe der

unter 25-jährigen zu erwähnen ist. Aufgrund der möglichen Zuordnung zu den drei

Hochschulstädten Erfurt, Weimar und Jena kann darin ein Hinweis auf verlängerte

Ausbildungszeiten, beispielsweise in Form eines Hochschulstudiums, gesehen werden. Die

vergleichsweise geringeren Beschäftigungsquoten äußern sich zudem nicht in erhöhten

Arbeitslosenquoten, es lassen sich vielmehr flächendeckend fortlaufende Quotenabnahmen

feststellen. Die für das Schulsystem potenziell relevante Altersgruppe der unter 15-Jährigen4

ist jedoch von einer hohen Armutsquote, gemessen am SGB II-Bezug, gekennzeichnet.

Wenngleich flächendeckende Quotenabnahmen festzustellen sind, lebt in Thüringen im

aktuellen Bezugsjahr 2011 jede fünfte Person unter 15 Jahren in sozialhilfebedürftigen

Familien. Das Schulsystem kann herkunftsbedingte Ungleichheiten jedoch nicht vollends

auffangen und ausgleichen, diesbezüglich sei auf die Erfordernis flächendeckender und über

das Schulsystem hinausreichender Interventionen verwiesen.

Die Indizierung der sozialräumlichen Bedingungen, unter denen Schulsysteme bzw. die

betreffenden pädagogischen und steuernden Akteure agieren, wurde anhand einer Auswahl

aus Indikatoren zur Demografie, Wirtschaft und Sozialstruktur vorgenommen. Hiermit soll

ein konzentriertes Beschreibungsschema der divergierenden Kontextfaktoren zwischen den

Gebietskörperschaften Thüringens angeboten werden. Die Indizierung des Sozialraums dient

in der Zusammenführung (Kapitel 6) als Hintergrundfolie zur Deutung der gefundenen

Ergebnisse hinsichtlich der Chancengerechtigkeit der Schulsysteme Thüringens.

4 Hiermit sind alle Kinder und Jugendlichen gemeint, die das 15. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen haben.

Page 31: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

30

3 Eckdaten zum Thüringer Schulwesen

Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die quantitative wie qualitative Betrachtung der

Entwicklung und des Bestandes der Bildungsinfrastruktur im schulischen Kontext. Konkret

wird aufgezeigt, welche Arten von Bildungsangeboten existieren und in welcher Häufigkeit

diese in den einzelnen Gebietskörperschaften vorkommen. Der weiterführende Zweck liegt

darin, dass Anhaltspunkte für Formen und Unterschiede in der Bildungsbeteiligung und im

jeweiligen Bildungserfolg gewonnen werden können. Institutionelle Strukturen sind generell

und in vielfältiger Weise als Erfahrungskontexte zu begreifen (Fend, 2008). Gerade die

schulstrukturellen Gegebenheiten vermitteln Eindrücke darüber, wie die Schülerschaft

sozialstrukturell und leistungsmäßig zusammengesetzt ist, wenngleich sehr wohl empirisch

nachgewiesen wurde, dass sich die Leistungsverteilungen von Schülern unterschiedlicher

Schularten im Sekundarbereich auf individueller Ebene verhältnismäßig weit überlappen

können (vgl. z.B. Helmke & Jäger, 2002; Baumert, Trautwein & Artelt, 2003). Dennoch ist zu

konstatieren, dass es doch einen Unterschied ausmacht, welche Schulart besucht wird. Dies

ist einerseits der Fall, da sich die Klientel der Schularten traditionell aus unterschiedlichen

sozialen Milieus rekrutieren. Daneben übt aber die Schulart selbst, konzipiert als

differenzielles Lern- und Entwicklungsmilieu, infolge ihrer besonderen kulturellen und

institutionellen Prägung einen nachweisbaren Einfluss auf die Leistungsentwicklung der

Schülerschaft aus (Baumert, Stanat und Watermann, 2006). Sprich: Unabhängig von der

sozialen Komposition ist die Schulart leistungsrelevant für die Schüler. Hinzu kommt

weiterhin, dass die Schularten unterschiedliche Abschlussmöglichkeiten bereithalten und

somit zu einem früheren biographischen Zeitpunkt die anschließenden bildungs- und

arbeitsmarktbezogenen Teilhabemöglichkeiten tangieren können.

Diese wenigen Einsichten aus der Forschung erläutern bereits die Notwendigkeit einer

Analyse der Struktur von schulischen Bildungsangeboten. Diese geben Hinweise auf

unterschiedliche Bildungschancen zwischen einzelnen Regionen. Zudem sind die Kapazitäten

von Bildungsangeboten, immer vor dem Hintergrund aktueller und zukünftiger

Schülerzahlentwicklungen, von Interesse, da hierin eins der hauptsächlichen

Betätigungsfelder für Steuerungsakteure zu sehen ist und angesichts des prognostizierten

demografischen Wandels eine quantitativ wie qualitativ adäquate schulische Infrastruktur

sicherzustellen ist.

Ein weiterer relevanter Bereich der Angebotssteuerung ist die Ausbildung, Verteilung und

Entwicklung von Lehrpersonal. Da für dieses wichtige Thema der Schulentwicklung bereits

ein eigenes Personalentwicklungskonzept für das Land Thüringen existiert und somit

Planungswissen verfügbar ist, konzentriert sich die Expertise bezüglich des lehrenden

Personals auf Analysen zu Altersstrukturen und Geschlechterverteilungen und kann

dahingehend auf mögliche Disparitäten zwischen den Gebietskörperschaften aufmerksam

Page 32: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

31

machen (Kapitel 3.2). Dies ist wichtig, da sich der gesamtgesellschaftliche demografische

Wandel zwangsläufig auch auf die Frage der Personalplanung auswirkt.

Zunächst werden die regionalen Angebotsstrukturen des Thüringer Schulsystems näher

beleuchtet.

3.1. Struktur der schulischen Bildungsangebote

Die Gliederung des Schulwesens im allgemeinbildenden Systems ist traditionell eines der

vorrangingen strategischen Projekte der Bildungspolitik und hat in Deutschland seit Beginn

der Diskussion um die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsuntersuchungen an

Dynamik gewonnen. Vor allem der Strukturwandel im Sekundarbereich ist ein bevorzugtes

Thema, welches auch in der Wissenschaft Aufmerksamkeit erfährt (Edelstein und Nikolai,

2013). Manche Experten (z.B. Hurrelmann, 2013) sehen die Zukunft des deutschen

Schulsystems in einem Zwei-Wege-Modell, in welchem neben dem Gymnasium eine weitere

Schulart geführt wird. Dieser Vorhersage stellt Zymek (2013) eine differenziertere Prognose

gegenüber: Ihm zufolge wird die Schulsystementwicklung in Abhängigkeit vom

sozialräumlichen Kontext spezifisch konturiert sein. Ein wichtiger Faktor für die Existenz

eines bestimmten Strukturschemas sind die jeweiligen Gemeindegrößen, wonach sich

urbane Räume durch mehrgliedrige Systeme, ländliche Gegenden eher durch integrierte

sowie teilintegrierte Schulangebote auszeichnen werden. In Anschluss an die nachfolgenden

Ergebnisbeschreibungen dienen diese Überlegungen als Reflexionsfolien für derzeitige und

zukünftige Konstitution des Thüringer Schulsystems in regionaler Perspektive.

In diesem Zusammenhang lassen sich Bellenberg (2012) zufolge bundesweit drei

Ländergruppen nach Art ihrer Schulstruktur unterscheiden: Demnach gibt es Länder mit

mehrgliedrigen Schulsystemen, Länder mit etablierten zweigliedrigen Schulsystemen sowie

Länder, deren Schulsysteme im Umbau zur Zweigliedrigkeit begriffen sind. Thüringen gehört

nach dieser Gruppierung, wie auch die übrigen neuen Bundesländer, zu derjenigen Gruppe

mit einem zweigliedrigen Schulsystem, welches schon seit einigen Jahren institutionell

etabliert ist. Genau genommen werden in Thüringen aber innerhalb der Sekundarstufe

neben den klassischen Schularten Regelschule und Gymnasium weitere Schularten, als

schulstrukturelle Ergänzung etwa die Gesamtschule, vorgehalten. Neben dem Gymnasium

und der Gesamtschule gibt es seit dem Schuljahr 2011/12 eine weitere Schulart, die einen

zum Abitur führenden Bildungsgang anbietet: die Gemeinschaftsschule. Da diese Schulart

grundsätzlich die Klassenstufen 1 bis 12 umfasst, wird hiermit potentiell ermöglicht, dass die

Schüler über ihre gesamte Schullaufbahn im allgemeinbildenden System im gemeinsamen

Klassenverbund lernen. Zudem kann sie als „inklusive Schulart“ bezeichnet werden.

Tatsächlich kann daher inzwischen nicht mehr von der ursprünglich etablierten

zweigliedrigen Schulstruktur in Thüringen ausgegangen werden. Bezogen auf die 23

Gebietskörperschaften Thüringens lassen sich im Schuljahr 2011/12 vielmehr vier Gruppen

von Schulsystemen ausmachen, die sich hinsichtlich der Anzahl der Schulartangebote

Page 33: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

32

unterscheiden (vgl. Tabelle 3.1.1): Demnach weist eine Gruppe von insgesamt 10 Kreisen das

traditionelle zweigliedrige System mit Regelschule und Gymnasium auf. Das Schulsystem

einer weiteren Gruppe mit ebenfalls 10 Gebietskörperschaften ist dreigliedrig ausgerichtet,

hier kann aber noch unterschieden werden in Systeme, die neben Regelschule und

Gymnasium die Gesamtschule und Systemen, die neben Regelschule und Gymnasium die

noch junge Schulart Gemeinschaftsschule aufbieten. Eine kleine Gruppe von drei

Gebietskörperschaften schließlich führt ein vielgliedriges Schulsystem. Insgesamt hat keine

Stadt Thüringens mehr ein zweigliedriges Schulsystem, und es ist zu erwarten, dass sich vor

dem Hintergrund aktuell zu beobachtender Umwandlungen von bestehenden

Gesamtschulen und Regelschulen zu Gemeinschaftsschulen der Veränderungstrend zu eher

integrierten Systemen fortsetzt.

Da vor allem in Kreisen mit zweigliedriger Schulstruktur ein vergleichsweise hohes Aufgebot

an Regelschulen im Verhältnis zur Anzahl an Gymnasien (also der in diesen Systemen

einzigen allgemeinbildenden Schulart, die zur Hochschulreife führt) vorherrscht (vgl. Tabelle

3.1.1), ist gerade in diesen Regionen zukünftig danach zu schauen, inwiefern sich das

Schulstrukturangebot dahingehend entwickelt, dass auch sämtliche Abschlussoptionen

gewahrt werden und hier nicht Kapazitätsgrenzen der einzigen zur Hochschulreife führenden

Schulart Gymnasium Exklusionsmomente erzwingen. Das Verhältnis der Regelschulen zu den

anderen Schularten mit Möglichkeit des Hochschulerwerbs ist in den drei- und viergliedrigen

Systemen deutlich ausgewogener, so dass weitergehend zu prüfen ist, inwiefern hier

strukturell Benachteiligungen für die Schülerschaft der Gebietskörperschaften erzeugt

werden. Für diesbezüglich valide Aussagen müssen jedoch noch weitere Informationen

berücksichtigt werden wie etwa gymnasiale Angebote berufsbildender Schulen,

Schulwegsdistanzen, etc.

Gegenstand der nun nachfolgenden Analysen sind differenziertere Betrachtungen der

erwähnten Schularten innerhalb Thüringens danach, wie sie sich auf die

Gebietskörperschaften verteilen. Daneben wird geschaut, inwieweit das öffentliche

Bildungsangebot durch Angebote in freier Trägerschaft ergänzt wird. Ein weiterer relevanter

Indikator im Rahmen der Beschreibung von Angebotsstrukturen ist das Vorkommen von

Ganztagsangeboten im schulischen Kontext. Dies insbesondere, da dem schulischen Ganztag

besondere Bildungspotentiale zugesprochen werden (Rauschenbach et al., 2012) und er aus

Gerechtigkeitsperspektive erweiterte Teilhabemöglichkeiten bereitzuhalten vermag

(Berkemeyer et al., 2012).

Page 34: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

33

Tabelle 3.1.1: Schulstruktur des Sekundarbereichs in den Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens, 2011/12

Kreise/kreisfreie Städte Schulstruktur-Gliedrigkeit

Verhältnis Anzahl Regelschule zu allen anderen

Sekundarschulen

Saalfeld-Rudolstadt 4 (Regelschule, Gymnasium, Gesamtschule, Gemeinschaftsschule)

2,2

Stadt Jena 0,1

Stadt Weimar 0,4

Gotha

3a (Regelschule, Gymnasium, Gesamtschule)

2,1

Stadt Erfurt 1,5

Stadt Eisenach 1,0

Stadt Gera 1,2

Ilm-Kreis

3b (Regelschule, Gymnasium, Gemeinschaftsschule)

2,4

Kyffhäuserkreis 1,6

Saale-Holzland-Kreis 1,3

Saale-Orla-Kreis 2,2

Stadt Suhl 1,0

Unstrut-Hainich-Kreis 1,3

Altenburger Land

2 (Regelschule, Gymnasium)

2,4

Eichsfeld 2,8

Greiz 3,5

Hildburghausen 5,5

Nordhausen 3,0

Schmalkalden-Meiningen 2,2

Sömmerda 2,7

Sonneberg 3,5

Wartburgkreis 4,0

Weimarer Land 4,0

Thüringen insgesamt 2,4

3x Regionen mit viergliedriger Schulstruktur

10x Regionen mit dreigliedriger Schulstruktur

10x Regionen mit zweigliedriger Schulstruktur

In Thüringen existieren im Schuljahr 2011/12 insgesamt 822 Schulen. Dies sind sechs Schulen

weniger als im Schuljahr 2007/08 (vgl. Tabelle 3.1.2.-Anhang). Eine Besonderheit ist, dass

sich zwischen Kreisen und kreisfreien Städten unterschiedliche Veränderungen ergeben:

Nahm die Gesamtanzahl an Schulen im allgemeinbildenden Schulwesen im

Betrachtungszeitraum über alle Kreise hinweg ab (von 674 Einheiten auf 667 Einheiten),

stieg sie in den kreisfreien Städten von 154 auf 155 Einheiten marginal an. Im

Grundschulbereich zeigt sich ein ebensolches Bild, wobei für das jüngste Betrachtungsjahr

Page 35: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

34

2011/12 die Neueinführung der Gemeinschaftsschule5 zu berücksichtigen ist, welche ja auch

Primarklassen führt.

Deutlichere, sowohl absolute wie auch anteilsmäßige Veränderungen (siehe Abbildung 3.1.1)

zeigen sich im Zeitverlauf innerhalb der Sekundarstufe. Auffällig ist der, sowohl absolut als

auch anteilige, konsequente Rückbau der Regelschule in den Kreisen und kreisfreien Städten.

Demgegenüber bleibt die Bedeutung des Gymnasiums landesweit konstant, lässt aber in den

kreisfreien Städten nach und nimmt in den Kreisen zu. Dafür macht sich die Veränderung der

Schullandschaft durch die Einführung der Gemeinschaftsschule eher in den kreisfreien

Städten bemerkbar, wo fast 8% aller Sekundarschulen Gemeinschaftsschulen sind. Hierbei

muss aber beachtet werden, dass vier der sechs Schulen in diesem Gebietskörperschaftstyp

in Jena existieren und somit eine Konzentration auf diesen Standort ausgemacht werden

kann.

Abbildung 3.1.1: Anteile der Schularten an allen Schulen im Sekundarbereich in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen 2007/2008 und 2011/12, (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

In den ländlichen Gebieten zeigt sich mit drei Schuleinheiten für den Unstrut-Hainich-Kreis

eine nennenswerte Anzahl an Gemeinschaftsschulen. In den Kreisen weiterhin kaum eine

Rolle spielt die Gesamtschule, wo nur 0,7% aller Schulen Gesamtschulen sind. Im

Unterschied dazu macht diese Schulart in den kreisfreien Städten 16,9% des Angebots im

5 Die Gemeinschaftsschule wird nachfolgend vorrangig innerhalb des Sekundarbereichs verortet und in den

Analysen berücksichtigt.

Page 36: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

35

Sekundarbereich aus, 1,3%-Punkte weniger als 2007/08. Dies kann als erster Hinweis auf die

Evidenz der These von Zymek (siehe oben) gedeutet werden.

Betrachtet man die Angebotsstrukturen in den einzelnen Gebietskörperschaften im

Schuljahr 2011/12 vor dem Hintergrund der oben zitierten Einordnung des Thüringer

Schulsystem als ein zweigliedriges Schulsystem, ist zu konstatieren, dass eine „echte“

Zweigliedrigkeit, bestehend aus der Regelschule und dem Gymnasium, nur in manchen

Kreisen wiederzufinden ist, in kreisfreien Städten aber in keinem Fall. Extrembeispiele sind

hier der Wartburgkreis und das Weimarer Land, wo jeweils auf ein Gymnasium vier

Regelschulen kommen. Daneben gibt es Gebietskörperschaften, die sich durch ein Angebot

auszeichnen, welches die gesamte Breite der möglichen Sekundarschularten beinhaltet.

Namentlich betrifft dies die Städte Jena und Weimar sowie den Kreis Saalfeld-Rudolstadt.

Eine besondere Veränderung lässt sich in Jena beobachten: Dieses Schulsystem weist im

Schuljahr 2011/12 nur noch eine Regelschule auf, alle weitere 15 Sekundarschulen führen

potentiell zum Erreichen der Hochschulzugangsberechtigung. Ein vertiefter Blick wäre darauf

zu richten, ob die divergierenden Angebotsstrukturen auch mit disparaten Prozess- und

Leistungsstrukturen einhergehen.

3.2 Lehrendes Personal

„Dem Bildungspersonal kommt für die erfolgreiche Gestaltung von Bildungsprozessen, die

damit vermittelten Kompetenzen und erworbenen Abschlüsse sowie die Sicherung und

Weiterentwicklung der Qualität des Bildungssystems eine entscheidende Bedeutung zu“

(Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 33) - so lautet eine Einschätzung zum

Stellenwert des pädagogischen Personals im nationalen Bildungsbericht des Jahres 2012.

Dieser hier betonte Aspekt der Wichtigkeit der Lehrerpersönlichkeit für das Gelingen

schulischer Bildungsprozesse erfährt auf empirischer Ebene Unterstützung durch eine

aktuelle Metastudie von John Hattie (2009), welche das Lehrerhandeln als einen

entscheidenden Bedingungsfaktor für den Erfolg schulischen Lernens hervorhebt. Auch

hinsichtlich der Angebotssteuerung stellt das pädagogische Personal an Schulen einen

relevanten Aspekt dar, welcher im Rahmen dieser Expertise - aufgrund des bereits

existierenden Personalentwicklungskonzeptes – auf die Analyse der Geschlechterverteilung

und Altersstrukturen begrenzt wird.

Für eine erfolgreiche Gestaltung von Bildungsprozessen ist neben der notwendigen

personalen Qualität, die nur durch eine den Anforderungen der Lehr- und Unterrichtspraxis

angemessene Qualifizierung des Lehrpersonals gewährleistet werden kann, auch für eine

Sicherung des Nachwuchses über eine adäquate Einstellungspolitik Sorge zu tragen. Zu

berücksichtigen ist daher der Einstellungs- bzw. Ersatzbedarf von Bildungspersonal. Wie eine

Modellrechnung der Kultusministerkonferenz zum Lehrereinstellungsbedarf und zum

Angebot an Lehrerkräften in der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von 2010 bis

Page 37: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

36

2020 zeigt, wird in den neuen Bundesländern bis 2020 ein erhöhter Einstellungsbedarf von

Lehrpersonal entstehen (vgl. KMK 2011). Dieser Bedarf kann u.a. auf vergangene

demografische Entwicklungen und die derzeitige Altersstruktur der Lehrkräfte zurückgeführt

werden. Da gemäß den Prognosen der Bildungsvorausberechnungen für die Bundesrepublik

Deutschland bis zum Jahr 2025 ein personeller Rückgang vorwiegend an allgemeinbildenden

und berufsbildenden Schulen zu erwarten ist, wird zukünftig besonders in diesen

Bildungssektoren ein nicht zu unterschätzender Bedarf an Lehrkräften entstehen, wie dies

vom Bildungsbericht illustriert wird. Demnach waren im Jahr 2010 knapp die Hälfte der

Lehrkräfte 50 Jahre und älter (vgl. ebd. 2012, S.34). Es ist zu vermuten, dass sich der für

Deutschland prognostizierte Trend einer zukünftigen Abnahme der Anzahl des

Bildungspersonals in Deutschland (vgl. ebd. 2012, S.33) auch in Thüringen bemerkbar

machen wird. Denn in den vergangenen Jahren hat in allen Bundesländern - so auch in

Thüringen - der Anteil an pädagogischem Personal in einem Alter von 50 Jahren und älter

zugenommen (vgl. ebd.).

Während im Schuljahr 2011/12 gegenüber dem Jahr 2007/08 ein Anstieg des Anteils der

Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen in Thüringen, die 45 Jahre und älter sind, von vormals

67,7% auf 78,1% (+10,4%-Punkte) zu vermerken ist, fällt der Zuwachs der Altersgruppe der

unter 35-Jährigen mit 1,9%-Punkten geringer aus (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang u. Tabelle 3.2.2-

Anhang). Nicht allein dieser Umstand, sondern allgemein die Tatsache, dass in Thüringen den

45-Jährigen und älteren Lehrkräften des allgemeinbildenden Schulsystems ein nur

vergleichsweise kleiner und darüber hinaus im Zeitverlauf von 2007/08 bis 2011/12

gesunkener Anteil jüngerer Lehrer unter 45 Jahren (von 32,2% auf 21,8%) gegenübersteht,

bestärkt die eingangs gestellte Vermutung eines in den nächsten Jahren erhöhten

Einstellungsbedarfs an Lehrpersonal (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang u. Tabelle 3.2.2-Anhang).

Mit Blick auf die Altersverteilung des Lehrpersonals allgemeinbildender Schulen in den

Kreisen und kreisfreien Städten Thüringens im Schuljahr 2011/12, zeigt sich, dass der

durchschnittliche Anteil der unter 35-Jährigen sowie der 35- bis unter 45-Jährigen Lehrkräfte

mit insgesamt 8,2% bzw. 17,8% in den kreisfreien Städten höher ist als in den Kreisen (4,6%

bzw. 15,9%; vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang). Umgekehrt beträgt die Quote der 45-Jährigen und

älteren Lehrenden in den Landkreisen im Schnitt 79,5%, wohingegen die gleiche

Altersgruppe in den kreisfreien Städten zu 74,1% vertreten ist. (vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang).

Gleiches gilt für das Schuljahr 2007/08 (vgl. Tabelle 3.2.1-Anhang). Ein möglicher Grund für

die Disparitäten zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten könnte in dem

demografischen Wandel liegen, von dessen Auswirkungen die kreisfreien Städte im Schnitt

gegenwärtig weitestgehend unberührt bleiben (vgl. Kap. 2). Dies kann einen vergleichsweise

stärkeren Bedarf an neu einzustellenden Lehrkräften in den kreisfreien Städten bewirken.

In einer regionalen Perspektive zeigt sich, dass die im südwestlichen Teil Thüringens

liegenden Gebietskörperschaften Suhl (92,3%), gefolgt von Schmalkalden-Meiningen (86,4%)

Page 38: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

37

und dem Wartburgkreis (84,6%) im Schuljahr 2011/12 zu den Kreisen und kreisfreien Städten

mit den höchsten Anteilen an Lehrkräften der älteren Altersgruppe gehören (vgl. Tabelle

3.2.2-Anhang). Damit hat keine andere Gebietskörperschaft eine annähernd so hohe Quote

an Lehrpersonal in der entsprechenden Altersgruppe wie die kreisfreie Stadt Suhl. Im

Gegensatz zu soeben genannten Kreisen und kreisfreien Städten sind unter den

Gebietskörperschaften mit den niedrigsten Anteilen an Lehrern im Alter von 45 Jahren und

älter die Städte Jena (68,8%), Eisenach (71,3%) und Erfurt (71,5%) zu nennen (vgl. Tabelle

3.2.2-Anhang). Obwohl auch hier hohe Quoten zu verzeichnen sind, stellt sich folglich die

Situation eines Überhangs älteren Lehrpersonals in allgemeinbildende Schulen in den

kreisfreien Städten im Vergleich zu den Kreisen insgesamt etwas weniger problematisch dar.

Betrachtet man die Lehrkräfte unter 35 Jahren, fallen wiederkehrend die Städte Erfurt und

Eisenach auf, da dort diese Altersgruppe mit 11,0% Lehrern in Erfurt und 10,1% in Eisenach

gefolgt von Weimar (9,2%) am stärksten vertreten ist. Umgekehrt sieht sich Suhl nicht nur

mit einer im Vergleich zu allen anderen Gebietskörperschaften am stärksten überalterten

Lehrerschaft konfrontiert, sondern hat überdies mit 1,5% den niedrigsten Anteil an Lehrern

unter 35 Jahren. Eine ähnlich niedrige Quote jüngeren Lehrpersonals im allgemeinbildenden

Schulsystem weisen die Kreise Schmalkalden-Meinigen (1,8%) und Sömmerda (1,9%) auf

(vgl. Tabelle 3.2.2-Anhang).

Hinsichtlich der Geschlechterverteilung trifft auf das Bildungspersonal in Thüringen auch

jenes Muster zu, welches sich in der gesamten Bildungsrepublik abzeichnet. Gemäß dem

nationalen Bildungsbericht aus dem Jahr 2012 lässt sich in der Bundesrepublik Deutschland

allgemein der Trend beobachten, dass der Frauenanteil des Bildungspersonals zunimmt, je

jünger die Bildungsteilnehmer im Schulsystem werden (vgl. Bildungsbericht 2012, S.35). Das

Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte im Sekundarbereich und Primarbereich

(Grundschulen) stellt sich in Thüringen im Schuljahr 2011/12 wie folgt dar: Während im

Sekundarbereich ca. jede vierte Lehrkraft männlichen Geschlechts ist, beträgt der Anteil

männlichen Lehrpersonals an den Grundschulen nur noch 6,4%.

Das sich abzeichnende Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte macht sich über alle

Bildungsstufen hinweg und vor allem an den Grundschulen bemerkbar.6 Dies könnte - wie

auch in anderen erzieherischen und sozialen Berufen - eine Folge der geringeren Attraktivität

des Lehrerberufes für das männliche Geschlecht zu sein (vgl. Tabelle 3.2.3). Aspekte, wie die

6 Die Feminisierung der Schule wird mitunter als eine mögliche Ursache geschlechterspezifischen Bildungserfolges diskutiert. Empirische Befunde konnten zeigen, dass die abschlussbezogenen Nachteile der Jungen mitunter auf den geringeren Anteil männlicher Grundschullehrer zurückzuführen ist (vgl. Diefenbach/Klein 2002). Unter dem Aspekt der Bildungsgerechtigkeit gewinnt sonach auch die Frage nach der Bedeutung des Geschlechtes der Lehrkräfte für schulischen Erfolg bzw. Misserfolg an Relevanz.

Page 39: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

38

Anerkennung pädagogischer Berufe innerhalb der Gesellschaft, fehlende Karrieremodelle,

vergleichsweise schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten, die Höhe des Verdienstes oder aber

spezifische Anforderungen und Belastungen, die mit der Berufstätigkeit einhergehen,

könnten einen wesentlichen Beitrag zu dem geringeren Ansehen des Berufes leisten. Der

Frage, wie die Attraktivität des Lehrberufes insbesondere für Männer in Thüringen und ganz

Deutschland gesteigert werden kann, ist daher zukünftig vermehrt Aufmerksamkeit zu

schenken.

Page 40: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

39

4. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems im Ländervergleich

Neben einer regional differenzierten Darstellung relevanter Gerechtigkeitsindikatoren für

das Schulsystem (siehe Kapitel 5) sind ländervergleichende Betrachtungen bedeutsam, damit

die gefundenen Landesresulte in einen größeren Kontext gestellt werden können. Die

nachfolgenden Ausführungen dienen dem Zweck, Thüringens Ergebnisse in einen

bundesdeutschen Vergleichskontext zu stellen. Dabei wird auf Darstellungsverfahren des

Chancenspiegels (Berkemeyer et al. 2013) zurückgegriffen. Dieser fokussiert die

Beobachtungskategorie Chancengerechtigkeit in theoretisch fundierter Weise und bietet

ländervergleichende Ergebnisse zur Chancengerechtigkeit der Schulsysteme. Bevor die

Ergebnisse in den vier Gerechtigkeitsdimensionen Integrationskraft, Durchlässigkeit,

Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe vorgestellt werden, soll eine kurze Einführung in

den Themenkomplex und den theoretisch-konzeptionellen Rahmen des Chancenspiegels

gegeben werden.

Innerhalb dieses Kapitels wird das Schulsystem Thüringens, basierend auf den

Veröffentlichungen des Chancenspiegels aus den Jahren 2012 und 2013, entlang dieser vier

Gerechtigkeitsdimensionen betrachtet und das „Chancenprofil“ Thüringens im

Ländervergleich herausgearbeitet.

4.1 Gerechtigkeit als Kategorie für die Analyse von Schulsystemen

Die Kategorie Gerechtigkeit wird innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses inzwischen

häufig verwendet und auch begrifflich erschlossen. Dabei ist festzustellen, dass der Begriff

der Bildungsgerechtigkeit generell im Spannungsfeld zwischen Verteilungs-, Teilhabe- und

Anerkennungsgerechtigkeit diskutiert wird (vgl. Stojanov, 2011). Allgemein geht es bei der

Frage nach der Gerechtigkeit von und in Schule und Bildung zumeist um die Themen der

Verteilung sozialer Positionen und die Schaffung individueller sozialer Freiheit (vgl. Giesinger,

2007).

Auch die Konzeption des Chancenspiegels, welcher sich als problemzentriertes Instrument

der Bildungsberichterstattung versteht, orientiert sich in ihrer Anlage an den verschiedenen

Lesarten von Gerechtigkeit und plädiert für einen mehrdimensionalen Beobachtungs- und

Analyserahmen. Infolge der Berücksichtigung dreier paradigmatischer Ansätze des

Gerechtigkeitsdiskurses, wobei mit Rawls (1979) die Verteilungsgerechtigkeit, mit Sen (2010)

die Teilhabegerechtigkeit sowie mit Honneth (2011) die Anerkennungsgerechtigkeit

angesprochen werden, geht das Erkentnissinteresse des Chancenspiegels über das

eindimensionaler Ungleichheitsbeschreibungen hinaus. Es geht vielmehr auch um die Frage,

unter welchen Bedingungen Ungleichheiten als gerecht einzustufen sind (vgl. Berkemeyer &

Manitius, 2013).

Page 41: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

40

Durch die Zusammenführung der gerechtigkeitstheoretischen Ansätze sowie

schultheoretischer Überlegungen von Fend (1980), die sich mit den Funktionen von Schule

für die Gesellschaft befassen, wurden vier Gerechtigkeitsdimensionen entwickelt, mithilfe

derer sich die Chancengerechtigkeit von Schulsystemen systematisch untersuchen lässt (vgl.

Tab. 4.1.1).

Tabelle 4.1.1: Vier Gerechtigkeitsdimensionen des Chancenspiegels aus der Verbindung von Schultheorie und Gerechtigkeitstheorie (vgl. Berkemeyer et al., 2012)

In seinen schultheoretischen Arbeiten geht Fend (2006) davon aus, dass Schulsysteme als

Akteure aktiv zur Gestaltung der institutionellen Verhältnisse beitragen. Somit kann danach

gefragt werden, was Systeme bzw. ihre Akteure für die Integration, die Durchlässigkeit, die

Kompetenzförderung und die Zertifikatsvergabe zu leisten im Stande sind (vgl. Berkemeyer

& Manitius, 2013). Damit dem in empirischer Art und Weise nachgegangen werden kann,

mussten den Dimensionen Indikatoren zugeordnet werden. Diese können anzeigen, wie die

Schulsysteme hinsichtlich der Gerechtigkeitsdimensionen abschneiden. Anhand welcher

Indikatoren die Gerechtigkeit der Schulsyteme erfasst wird, verdeutlich Tabelle 4.1.2.

Wird beispielsweise die Dimension der Integrationskraft in den Blick genommen, ist etwa

danach zu schauen, in welchem Ausmaß den Schülern Ganztagsangebote gemacht werden

oder inwiefern Schüler mit besonderen Förderbedarfen die Chance auf eine inklusive

Beschulung im Regelschulsystem haben. Die Prozessdimensionen der Durchlässigkeit wird

z.B. über die Indikatoren der Schulformwechsel, wobei das Verhältnis von Aufstiegs- zu

Absteigswechseln dargestellt wird, oder der Anteile von Klassenwiederholungen abgebildet.

Die Dimension der Kompetenzförderung zeigt etwa, wie groß die Chancen von Schülern

unterschiedlicher sozialer Herkunft sind, Kompetenzen zu erwerben. Und mit der

Zertifikatsvergabe wird danach gefragt, wie hochwertig die Qualität der ausgestellten

Bildungsabschlüsse ist, z.B. wie hoch die Anteile der Absolventen mit Hochschulreife sind.

Als Datenquellen werden sowohl die Bestände der amtlichen Schulstatistik als auch die

Ergebnisse aus Schulleistungsuntersuchungen genutzt. Im Folgenden werden die Ergebnisse

Page 42: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

41

des Landes Thüringens im Verhältnis zu den Resultaten der anderen deutschen Länder

vergleichend vorgestellt (vgl. auch Berkemeyer et al, 2013).

Tabelle 4.1.2: Gerechtigkeitsdimensionen und Indikatoren des Chancenspiegels

4.2 Zur Integrationskraft des Thüringer Schulsystems

Die Gerechtigkeitsdimension „Integrationskraft“ fragt danach, inwiefern es den

Schulsystemen gelingt, ihre Schüler zu integrieren. Zum einen werden Schüler mit einem

‚besonderen pädagogischen Bedarf‘7 in den Fokus genommen, wobei die quantitative

Integration ins Regelschulsystem oder auch Separation dieser über die Indikatoren

Förderquote, Inklusionsanteile und Exklusionsquote betrachtet werden. Zum anderen

erfährt der Ausbau und die Nutzung des schulischen Ganztages als zusätzlicher

Möglichkeitsraum sozialer und pädagogischer Praxis Aufmerksamkeit (ebd.).

In Thüringen hat die Förderquote, d.h. der Anteil an Schülern mit diagnostiziertem

Förderbedarf an allen Schülern im allgemeinbildenden Schulsystem, im

Betrachtungszeitraum der Schuljahre 2009/10 bis 2011/12 kontinuierlich abgenommen.

Während im Schuljahr 2009/10 bei 8,4% aller Schüler im allgemeinbildenden Schulsystem

ein besonderer pädagogischer Bedarf diagnostiziert wurde, beträgt der Anteil im Schuljahr

2011/12 nur noch 7,2%-Punkte. Deutschlandweit wurde im Schuljahr 2011/12 bei 6,4% aller

Schüler des allgemeinbildenden Schulsystems ein besonderer pädagogischer Bedarf

festgestellt, was – bei einer gleichzeitig sinkenden absoluten Schülerzahl – eine Zunahme

von +0,2%-Punkten im Vergleich zum Schuljahr 2009/10 bedeutet. Thüringen befindet sich

7 In Abgrenzung zum gängigen Sprachgebrauch: „Sonderpädagogischer Förderbedarf“.

Page 43: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

42

mit einer Quote von 7,2%-Punkten im aktuellen Ländervergleich im mittleren Feld der

Bundesländer und hat hier gegenläufig zum Bundestrend die Quote verringert (vgl. Tabelle

4.2).

Gleichzeitig sind in Thüringen analog zum deutschlandweiten Trend steigende

Inklusionsanteile zu verzeichnen: Wurden in Thüringen im Schuljahr 2009/10 noch 21,1% der

Schüler mit besonderem pädagogischem Bedarf, gemessen an allen Schülern mit

besonderem pädagogischem Bedarf, inklusiv beschult, sind dies im aktuellen Bezugsjahr

2011/12 bereits 27,8%. Der durchschnittliche Anteil beträgt im Schuljahr 2009/10 in

Deutschland 20,1%-Punkte und steigt im Schuljahr 2011/12 auf 25%-Punkte. Während in

Thüringen somit ein Zuwachs von 6,7%-Punkten festzustellen ist, sind es im bundesweiten

Durchschnitt lediglich 4,9%-Punkte über den Beobachtungszeitraum hinweg.

Im gleichen Betrachtungszeitraum ist die Exklusionsquote, d.h. der Anteil an Schülern mit

besonderem pädagogischem Bedarf, die gesondert an Förderschulen unterrichtet werden,

von 6,6% im Schuljahr 2009/10 auf 5,2% im Bezugsjahr 2011/12 gesunken. Deutschlandweit

ist der durchschnittliche Anteil im selben Betrachtungszeitraum nur um 0,2%-Punkte

gesunken (vgl. Tabelle 4.2).

Der Ausbau des schulischen Ganztags als zweiter wesentlicher Bestandteil dieser

Gerechtigkeitsdimension wird für die Jahre 2009 bis 2011 dargestellt.8 In Thüringen werden

im Jahr 2009 insgesamt 78,6% aller Schulen mit Ganztagsbetreuung geführt.9 Trotz leicht

rückläufiger Anteile im Jahr 2010 (77,8%) sind die Anteile im Vergleich zum

deutschlandweiten Durchschnitt von 30,5% im Jahr 2009 und 26,6% im Jahr 2010 deutlich

höher, wodurch Thüringen im Ländervergleich zur Gruppe der vier erfolgreichsten Länder

zählt. Im Jahr 2011 sind die Anteile erneut leicht rückläufig, dennoch befindet sich die Quote

deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt von 54,4%-Punkten (vgl. Tabelle 4.2).

Die Nutzung schulischer Ganztagsangebote wird über den Anteil an Schülern im

Ganztagsbetrieb gemessen an allen Schülern der Primar- und Sekundarstufe dargestellt.

Parallel zum Anteil der Ganztagsschulen in Thüringen ist die Nutzung des schulischen

Ganztages deutlich oberhalb des deutschlandweiten Durchschnittes zu verorten: Während

die Quote in Thüringen sowohl im Jahr 2009 als auch 2010 52,6%-Punkte beträgt, liegen die

Anteile im deutschlandweiten Durchschnitt 2009 bei 26,9% und im Jahr 2010 bei 28,1%.

Auch hinsichtlich dieses Indikators gehört Thüringen der Spitzenländergruppe an. Anders

stellt sich dies hinsichtlich der Anteile des wegen seiner Wirkkraft als besonders potentiell

geltenden gebunden Ganztags (vgl. Holtappels et al., 2010) dar: In Thüringen werden im Jahr

8 Die Berechnungen für das Jahr 2011 erfolgten gesondert und werden im aktuellen Chancenspiegel nicht berücksichtigt, wodurch ein Ländervergleich ausbleibt. 9 An dieser Stelle sei auf das flächendeckende Hort-Angebot im Grundschulbereich verwiesen.

Page 44: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

43

2010 12,9%, der Schüler im gebundenen Ganztag beschult. Damit befindet sich Thüringen

minimal über den bundesweiten Durchschnittswert von 12,7 %-Punkten (vgl. Tabelle 4.2).

4.3 Zur Durchlässigkeit des Thüringer Schulsystems

Die Gerechtigkeitsdimension „Durchlässigkeit“ wird in zweierlei Hinsicht beschrieben:

Während ausgehend von der Perspektive der horizontalen Durchlässigkeit (1) die Auf- und

Abwärtsmobilität der Schüler zwischen den hierarchisch gegliederten Bildungsgängen und

(2) die Quote der Klassenwiederholungen betrachtet werden, wird vor dem Hintergrund

vertikaler Durchlässigkeit (3) der Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium als

hierarchisch höchste Schulform der Sekundarstufe sowie (4) die Neuzugänge im dualen

Berufsbildungssystem fokussiert.

Der Anteil an Fünftklässlern, der nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechselt, ist in

Thüringen insgesamt betrachtet – mit leichten Abweichungen zum Schuljahr 2010/11 – von

44,6% im Schuljahr 2009/10 auf 45,1% im Schuljahr 2011/12 angestiegen, was den

deutschlandweiten Trend einer zunehmenden Quote von 44,6% (2009/2010) auf aktuell

45,1% (2011/12) widerspiegelt.10 Im Ländervergleich kann Thüringen hier für den

Betrachtungszeitraum konstant im mittleren Bereich eingeordnet werden.

Leichte Rückgänge ergeben sich im gleichen Beobachtungszeitraum hinsichtlich des

Verhältnisses von Aufwärts- zu Abwärtswechseln der Schüler in den Jahrgangsstufen 7 bis 9:

Während in Thüringen auf 4,6 Abwärtswechsel im Schuljahr 2009/10 ein Aufwärtswechsel

kommt, sind gegenwärtig 4,5 Abwärtswechsel auf einen Aufwärtswechsel festzustellen.

Ähnliche Entwicklungen sind auf Bundesebene zu beobachten. Hier stellt sich über die drei

Schuljahre hinweg ein Schulartwechsel in der überwiegenden Mehrzahl als eine abwärts

gerichtete Mobilität heraus, da auf einen Aufwärtswechsel im Mittel 4,3 Abwärtswechsel im

Schuljahr 2009/10 bzw. 4,2 Abwärtswechsel in den Schuljahren 2010/11 und 2011/12

kommen. Im Ländervergleich gehört Thüringen hinsichtlich des Verhältnisses von Auf- zu

Abwärtswechseln der mittleren Ländergruppe an.

Vom Standpunkt einer gerechtigkeitstheoretischen Perspektive ausgehend, fällt

insbesondere die Klassenwiederholung ins Gewicht, welche schulischer Durchlässigkeit im

hohen Maße zuwiderläuft (vgl. Berkemeyer et al. 2012). Der Anteil an Wiederholern in der

Sekundarstufe der allgemeinbildenden Schulen, gemessen an allen Schülern der

Sekundarstufe, verringert sich in Thüringen durchgängig von 2,5% im Schuljahr 2009/10 auf

1,8% im Schuljahr 2011/12. Insgesamt verbessert sich Thüringen hier im betrachteten

Zeitraum und gehört bezüglich der Wiederholerquote zu den Ländern mit den niedrigsten

Anteilswerten.

10 In der ungleichheitsbezogenen Bildungsforschung wird diese Übergangsstelle von der Primar- in die

Sekundarstufe als eine folgenreiche Selektionsschwelle, an welcher grundlegende Weichen für die weitere

Bildungslaufbahn gestellt werden, erörtert. Dieser Übergang sei jedoch weniger entlang des Leistungsprinzips,

als vielmehr entlang der sozialen Herkunft geregelt (Bos et al. 2007; Bos et al. 2004; Maaz et al. 2010).

Page 45: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

44

Ferner sind vor dem Hintergrund der Durchlässigkeit von Schulsystemen Anschlussstellen an

die allgemeinbildenden Schulen nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinsichtlich des Übergangs

in das berufsbildende System kommt der dualen Berufsausbildung eine große Bedeutung zu,

da diese eine gute Einstiegsmöglichkeit in das spätere Erwerbsleben in Form einer

Weiterbeschäftigung im auszubildenden Betrieb bereithält. Dies kann insbesondere für

leistungsschwächere Schüler – bezogen auf das schulische Zertifikatsniveau – eine Chance

auf eine qualifizierte Beschäftigung ermöglichen.

Wie der Tabelle 4.2 zu entnehmen ist, zeichnen sich jedoch für Menschen mit maximal

einem Hauptschulabschuss hinsichtlich des Zugangs in das duale Berufsbildungssystem

länderübergreifend zunehmend erschwerte Bedingungen ab. Entgegen dem

bundesdeutschen Trend vermag es Thüringen den Anteil der Neuzugänge im dualen System

mit maximal einem Hauptschulabschluss über den beobachteten Zeitraum von 41,3% auf

42,7% zu erhöhen. Hierbei muss bei der Einordnung der Befunde auch berücksichtigt

werden, dass traditionell in den ostdeutschen Ländern die vollzeitschulischen Bildungsgänge

des Schulberufssystems häufiger frequentiert werden als das in den westdeutschen Ländern

der Fall ist, so dass ein Bundesländervergleich hier nicht plausibel ist. Unter den

ostdeutschen Ländern ist Thüringen allerdings das einzige Land, dem es gelungen ist, den

Anteil der Neuzugänge im dualen System mit maximal einem Hauptschulabschluss im

Verlauf von 2009 zu 2011 leicht zu steigern.

4.4 Zur Kompetenzförderung des Thüringer Schulsystems

Die „Kompetenzförderung“ stellt im Rahmen des Chancenspiegels eine der zwei

outputorientierten Gerechtigkeitsdimensionen dar, durch welche die deutschen

Schulsysteme in Bezug auf ihre Förderung des Kompetenzerwerbs und somit hinsichtlich

ihrer Qualifikationsfunktion betrachtet werden (Berkemeyer et al. 2013, S.18). Dabei wird

die Lesekompetenz vor dem Hintergrund der Bedeutung des Lesens für die gesellschaftliche

Teilhabe als zentrale Kompetenz angesehen, wobei die Relevanz anderer

Kompetenzbereiche, wie etwa der Mathematik oder der Naturwissenschaften nicht negiert

werden soll (Berkemeyer et al. 2013, Drechsel & Artelt 2008, Baumert et al. 2001).

Als Berechnungs- und Betrachtungsgrundlage werden Daten aus großen

Schulleistungsuntersuchungen herangezogen, welche jedoch zu verschiedenen Zeitpunkten

die Bildungsbereiche Primarstufe bzw. Sekundarstufe fokussieren (IGLU-E 2006, vgl. Bos et

al. 2008; Daten aus den Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2009,2011).11

Stellenweise können anhand der erwähnten Studien deutliche Unterschiede zwischen den

Ländern hinsichtlich der erreichten Kompetenzwerte ausgemacht werden. Die Position

Thüringens über den Betrachtungszeitraum (von 2006 bis 2011) hinweg ist jedoch als

11 Als Datengrundlage gilt zum einen die Erhebung zu den Bildungsstandards „Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik“ (Stanat et al. 2012) sowie die Datensätze aus IGLU 2011 (Bos et al. 2012)

Page 46: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

45

durchweg positiv zu werten. Werden zunächst die mittleren Kompetenzwerte am Ende der

Klassenstufe 4 betrachtet, liegt der Mittelwert Thüringens in beiden Berichtsjahren oberhalb

des Landesmittelwertes: Wie die IGLU-Daten zur Kompetenzförderung im Primarbereich

zeigen, belegte Thüringen mit einer mittleren Lesekompetenz von 564 und einem

bundesweiten Mittelwert von 548 im Ländervergleich eine Spitzenposition (IGLU 2006). Aus

den Daten der Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2011 zum Primarbereich

(Viertklässler) geht ebenfalls hervor, dass Thüringen in der Lesekompetenz mit einem

Mittelwert von 510 signifikant oberhalb des Bundesmittelwertes von 500 liegt, sodass

Thüringen hier ebenfalls zu den erfolgreichsten Bundesländern gehört (vgl. Berkemeyer et

al. 2013). Bezogen auf die Förderung von besonders leistungsstarken Schülern zählt

Thüringen mit einem durchschnittlichen Kompetenzwert von mindestens 627 Punkten

ebenfalls zu den fünf erfolgreichsten Ländern. Hinsichtlich der Förderung der

leistungsschwächsten 10% der Schüler belegt Thüringen sogar die führende Position im

Ländervergleich: Diese Gruppe von Schülern erreicht in Thüringen mindestens 389

Kompetenzpunkte, der bundesweite Durchschnitt liegt bei 370 Punkten.

Die Befunde aus den Untersuchungen zu den Bildungsstandards 2009 (Köller, Knigge und

Tesch 2010) zum Sekundarbereich (Neuntklässler) gestalten sich ähnlich zu den aktuellen

Ergebnissen für den Primarbereich: Mit einem Mittelwert von 497 Kompetenzpunkten

gehört Thüringen im Ländervergleich der oberen Ländergruppe an. Auch bei einer

Betrachtung der leistungsstärksten 10% der Schüler, mit einem Mittelwert von 611, und den

leistungsschwächsten 10% der Schüler, mit einem Mittelwert von 388, gehört Thüringen im

Vergleich zu den erfolgreicheren Ländern.

4.5 Zur Zertifikatsvergabe des Thüringer Schulsystems

Die Zertifikatsvergabe als eine Art der formalisierten Anerkennung schulischer Leistungen

kann sowohl über die Anteile der Schüler mit einer erworbenen Hochschulreife als auch über

die Extremgruppe der Abgänger ohne Hauptschulabschluss beschrieben werden, da sich für

diese beiden Gruppen stark divergierende Übertrittschancen in das berufliche Schulsystem

ergeben.

Wird in Thüringen der Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen

Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen betrachtet, fällt ein Rückgang dieser

Quote von 2009 bis 2011 um insgesamt 2,9% auf. Entgegen dem deutschlandweiten Trend

einer Zunahme der Anteile an Hochschulzugangsberechtigten um 2% sind von der Abnahme

der Quote an Absolventen mit einer erworbenen Hochschulreife vorwiegend ostdeutsche

Länder betroffen. Im Ländervergleich gehört Thüringen hier insgesamt zum Mittelfeld.

Zieht man zu dem Anteil an Absolventen mit Hochschulreife aus den allgemeinbildenden

Schulen die entsprechenden Absolventen aus den beruflichen Schulen hinzu, so zeigt sich

auch hier für Thüringen eine Tendenz zu sinkenden Anteilswerten: Im Jahr 2009 betrug der

entsprechende Anteil an Absolventen in Thüringen noch 45,3%. Diese Quote ist zwischen

Page 47: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

46

2009 und 2011 um 1,6%-Punkte auf nunmehr 43,7% gesunken. Anders als die Mehrzahl der

ostdeutschen Bundesländer positioniert sich Thüringen jedoch über den

Betrachtungszeitraum hinweg konstant in der mittleren Gruppe der Länder.

Die Kehrseite der Zertifikatsvergabe stellen die Jugendlichen dar, die keinen

allgemeinbildenden Abschluss erlangen. Der Anteil dieser Schüler ist in Thüringen, gemessen

an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, gegenwärtig leicht rückläufig. Von 8,6% im

Schuljahr 2010 hat sich der Anteil zum Bezugsjahr 2011 um 0,8%-Punkte verringert. Dies

entspricht dem Bundestrend, wonach ebenfalls eine Abnahme des Anteils von 6,5% im Jahr

2010 auf 6,2% im Jahr 2011 zu konstatieren ist. Vor dem Hintergrund dieser

durchschnittlichen Quote auf Bundesebene im Jahr 2011 ist der Thüringer Anteil an

Absolventen ohne einen allgemeinbildenden Abschluss von 7,8% verhältnismäßig als immer

noch recht hoch einzuschätzen. Setzt sich dieser Trend fort, kann dies mittelfristig gesehen

zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko für die jüngeren Bevölkerungsgruppen, mit

entsprechenden Auswirkungen auf die gesellschaftliche Integration, führen.

Bei genauerer Betrachtung der Gruppe ausländischer Abgänger fällt auf, dass Thüringen

selbst in allen drei Vergleichsjahren zu der Spitzenländergruppe mit einem niedrigen

prozentualen Anteil an ausländischen Abgängern ohne Hauptschulabschluss an der

ausländischen Wohnbevölkerung gehört. So liegt die Abgängerquote im letzten Bezugsjahr

2011 bei 5,9% und damit deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 12,1% (vgl.

Tabelle 4.2). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich Thüringen ländervergleichend durch

einen niedrigen Anteil ausländischer Schüler im allgemeinbildenden Schulsystem

auszeichnet. Während im Schuljahr 2011/12 1,4% 12 aller Schüler an allgemeinbildenden

Schulen eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, beträgt der bundesweite Durchschnitt im

gleichen Bezugsjahr 7,7%.13

4.6 Übersicht

In der Tabelle 4.2 wird abschließend ein Überblick über die Entwicklung Thüringens in den

vier Gerechtigkeitsdimensionen gegeben, wobei das Bundesland ländervergleichend durch

ein positives Chancenprofil gekennzeichnet ist.

Eine sinkende Förderquote, ein Anstieg der inklusiven Beschulung von Schülern mit

besonderem pädagogischen Bedarf, eine sinkende Exklusionsquote sowie der zunehmende

Ausbau und die Nutzung schulischer Ganztagsangebote – diese Entwicklungen in der

12 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Statistik der allgemeinbildenden Schulen, Stichtag: 24.04.2013; Thüringer Landesamt für Statistik, Allgemeinbildende Schulen in Thüringen 2011; eigene Berechnungen 13 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Titel: Statistik der allgemeinbildenden Schulen, Stichtag: 24.04.2013; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Titel: Ausländische Schüler/innen nach Staatsangehörigkeit; eigene Berechnung

Page 48: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

47

Gerechtigkeitsdimension „Integrationskraft“ lassen deutliche Bemühungen zur Umsetzung

der UN-Konvention erkennen.

Die ländervergleichend wiederholt gute Positionierung Thüringens im oberen oder mittleren

Feld, bezogen auf die beobachteten Aspekte der Kompetenzförderung von Schülern der

Primar- und Sekundarstufe, lässt auf eine gelingende Förderung sowohl der leistungsstarken

als auch der leistungsschwachen Schüler schließen.

Auch in Referenz auf die zuvor ausgeführten Aspekte schulischer Durchlässigkeit ist für das

Bundesland Thüringen eine zu begrüßende Entwicklung festzustellen, was sich insbesondere

im vergleichsweise geringen Anteil an Wiederholern widerspiegelt. Mit Blick auf die

Dimension der Zertifikatsvergabe bleibt trotz der verringerten Quote an Schulabgängern

ohne einen allgemeinbildenden Abschluss weiterhin Handlungsbedarf diese zu senken, da

sich der Anteil im Bundesländervergleich aktuell als immer noch zu hoch erweist. Weil sich

die Anteile der Absolventen mit Hochschulreife aus allgemeinbildenden und beruflichen

Schulen von 2009 bis 2011 zunehmend verringerten, besteht darüber hinaus auch in der

Erhöhung der Abiturientenquote Bedarf.

Wenngleich sich die Position Thüringens im Ländervergleich als relativ gut herausstellt, gilt

es ferner um kleinräumige wie auch kleinsträumige Disparitäten zu wissen. Dies ist insofern

von großer Bedeutung, als auch zukünftig lokale Handlungsstrategien für einzelne Regionen

Thüringens geplant und eingeleitet werden können und sollten. In den nachfolgenden

Kapiteln erfolgt daher eine Betrachtung von regionalen Disparitäten unterhalb der

Länderebene auf Kreisebene.

Tabelle 4.2: Entwicklung Thüringens in den Dimensionen der Chancengerechtigkeit

INTEGRATIONSKRAFT

Indikator Schuljahr

2009/10 2010/11 2011/12

Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf an allen Schülern im allgemeinbildenden Schulsystem (Förderquote), in %

8,4 (6,2)

7,8 (6,4)

7,2 (6,4)

Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf in den Regelschulen an allen Schülern mit besonderem Förderbedarf (Inklusionsanteile), in %

21,1 (20,1)

25,2 (22,3)

27,8 (25,0)

Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf, die gesondert in Förderschulen unterrichtet werden, an allen Schülern (Exklusionsquote), in %

6,6 (5,0)

5,8 (4,9)

5,2 (4,8)

Jahr

2009 2010 2011

Anteil der Ganztagsschulen in den Ländern an allen Schulen, in %

78,6 (48,1)

77,8 (51,1) 76,9 (54,4)

Anteil der Schüler im Ganztagsbetrieb an allen Schülern, Primarstufe und Sekundarstufe I, in %

52,6 (26,9)

52,6 (28,1) 51,0 (30,6)

Page 49: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

48

Anteil der Schüler in gebundener Ganztagsform an allen Schülern, Primarstufe und Sekundarstufe I, in %

14,4 (11,9%)

12,9 (12,7%)

12,7 (13,7)

DURCHLÄSSIGKEIT

Indikator Schuljahr

2009/10 2010/11 2011/12

Anteil der Fünftklässler, die nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechselten, in %

44,6 (41,7)

44,5 (41,8)

45,1 (42,1)

Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtswechseln der Schüler in den Jahrgangstufen 7 bis 9

1 : 4,6 (1 : 4,3)

1 : 4,1 (1 : 4,3)

1 : 4,5 (1 : 4,2)

Anteil der Wiederholer in der Sekundarstufe der allgemeinen Schulen an allen Schülern in der Sekundarstufe, in %

2,5 (2,9)

2,0 (2,8)

1,8 (2,7)

Neuzugänge im dualen System mit maximal Hauptschulabschluss an allen Neuzugängen mit maximal Hauptschulabschluss, in %

41,3 (41,5)

35,9 (38,6)

42,7 (40,9)

ZERTIFIKATSVERGABE

Indikator Jahr

2009 2010 2011

Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen, in %

31,5 (29,3)

31,0 (30,3)

29,4 (31,3)

Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, in %

45,3 (46,7)

45,9 (49,2)

43,7 (51,1)

Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung, in %

8,1 (6,9)

8,6 (6,5)

7,8 (6,2)

Anteil der ausländischen Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der ausländischen Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter, in %

5,6 (14,0)

6,0 (13,2)

5,9 (12,1)

Anmerkung: Die Werte in den Klammern stellen die durchschnittlichen Anteile bzw. Verhältniswerte auf Bundesebene dar. Quelle: Berkemeyer et al. 2013; Berkemeyer et. al 2012

Page 50: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

49

5. Zur Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystems auf Ebene der Kreise

und kreisfreien Städte

Nachdem im voranstehenden Kapitel die Gerechtigkeitsverhältnisse des Thüringer

Schulsystems im Vergleich zu den übrigen Schulsystemen deutscher Länder

indikatorenbasiert beschrieben wurden, werden nachfolgend Ergebnisse regionaler Analysen

der Thüringer Schullandschaft hinsichtlich verschiedener Gesichtspunkte dargestellt. Zu den

meisten Unterpunkten werden Veränderungsverläufe zwischen den Schuljahren 2007/08

und 2011/12 herangezogen. Das kennwertgestützte Vorgehen ermöglicht die dezidierte

Beschreibung von Unterschieden innerhalb der Thüringer Schullandschaft, welche eine

Betrachtung auf Landesebene nicht zu leisten vermag. So kann Einsicht darüber gewonnen

werden, ob und in welchen Gebieten des Landes gerechtigkeitsspezifische Unterschiede

bestehen und welche Regionen womöglich besondere Unterstützungsbedarfe aufweisen.

Auf der anderen Seite können Bildungsräume identifiziert werden, die sich durch ein hohes

Maß an bildungsbezogener Qualität auszeichnen. Somit wird eine breite Zustands- und

Veränderungsbeschreibung des Thüringer Schulsystems angeboten, die insbesondere vor

dem Hintergrund der bereits dargestellten demografischen Entwicklungen zu beleuchten ist.

Dabei knüpft die Expertise zu Chancengerechtigkeit des Thüringer Schulsystem auf Ebene

der Gebietskörperschaften an aktuelle Forschungsbemühungen zur Frage regionaler

Disparitäten im Bildungswesen an. Hier ist mit Bezug auf Bourdieu (1985) allgemein auf

Wechselverhältnisse zwischen dem geographischen und dem sozialen Raum hinzuweisen.

Soziale Strukturen, etwa hinsichtlich der Lebensstile oder sozialer Milieus, können sich

raumspezifisch ausbildenden, was wiederum auf das Schulsystem zurückwirkt. Dabei spielen

Faktoren wie die Wirtschaftskraft eines Gebiets oder auch die Wohnraumpräferenzen

bestimmter Bevölkerungsgruppen eine Rolle. Weiterhin verweisen Kemper und Weishaupt

(2011) zudem auf Unterschiede in der regionenbezogenen Bildungsbeteiligung, was auf

divergierende räumliche Verteilungsmuster und damit einhergehende Ungleichheiten in den

Zugangsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Die skizzierten Aspekte kumulieren in

unterschiedlichen Voraussetzungen für die Schulsystementwicklung. So konnte Zymek (z.B.

2007) in unterschiedlichen Studien immer wieder auf die regionalen Besonderheiten von

Schulsystemen und ihren Akteuren herausarbeiten und auf die historisch und sozial bedingte

Verfasstheit von Schullandschaften in einer Region verweisen. Diese Perspektive wird auch

im weiteren Verlauf eingenommen, werden doch die Gebietskörperschaften Thüringens als

eigene Einheiten analytisch in den Blick genommen. So wird nachfolgend auf Grundlage des

bereits eingeführten Dimensionensets ein Überblick über die regionalen Disparitäten

hinsichtlich der Gerechtigkeit des Schulsystems gegeben. Daran anschließend werden die

schulsystembezogene und sozialraumbezogene Disparitäten in einer ausgewählten

Page 51: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

50

Zusammenführung besprochen. Der Fortgang dieses Kapitels orientiert sich an der Abfolge

der Gerechtigkeitsdimensionen zur Schulsystemanalyse (siehe auch Kapitel 4).

5.1 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Integrationskraft

Die Dimension Integrationskraft, welche Auskunft darüber gibt, wie gut es Schulsystemen

gelingt, Schüler systemspezifisch und sozial zu integrieren, wird über zwei zentrale

Indikatoren erschlossen: die Integrationsleistungen der Systeme bei Schülern mit

besonderen Förderbedarfen in das Regelschulsystem sowie den Ausbau- und Nutzungsgrad

von Ganztagsangeboten. Dieser Zugang zeigt an, welche Chancen den Schülern bereitgestellt

werden, unabhängig von besonderen Förderbedarfen miteinander zu lernen sowie unter

welchen schulischen Rahmenbedingungen sich Bildungs- und Vergesellschaftungsprozesse

vollziehen.

5.1.1 Besondere Förderbedarfe, Inklusion und Exklusion

Die Bildungspolitik zeigt seit einigen Jahren deutlich ihre Bemühungen, den Anforderungen

der UN-Behindertenrechtskonvention zu entsprechen (BMAS, 2011). Infolge der

Ratifizierung der UN-Konvention sind auch die Schulsystemakteure in Deutschland dazu

verpflichtet, für die Integration aller Schüler zu sorgen. Dies impliziert das gemeinsame

Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne besondere Förderbedarfe. In Thüringen

beispielsweise hat seit der Novellierung des Förderschulgesetztes im Jahr 2003 der

Gemeinsame Unterricht Vorrang vor der Beschulung in einer Förderschule (vgl. TMBWK,

2013). Inwieweit das Schulsystem Thüringens diesen Anspruch schon einlösen kann und

welche Unterschiede innerhalb des Landes bestehen, wird unter Bezugnahme auf drei

Indikatoren analysiert: die Förderquote, den Inklusionsanteil und die Exklusionsquote.

Die Förderquoten und Inklusionsanteile der einzelnen Gebietskörperschaften sind in Tabelle

5.1.1 dargestellt. Während die Förderquote anzeigt, wie hoch der Anteil von Schülern mit

diagnostizierten besonderen Förderbedarfen an allen Schülern des Regelschulsystems ist,

gibt der Inklusionsanteil den prozentualen Anteil der inklusiv beschulten Schüler mit

besonderen Förderbedarfen an allen Schülern mit besonderen Förderbedarfen an. Aufgrund

der Verfügbarkeit einer aktuellen Datenquellen mit thematischem Schwerpunkt (TMBKW,

2013) beziehen sich die Ergebnisse aus das Bezugsjahr 2013.14

Tabelle 5.1.1: Schüler mit besonderem Förderbedarf absolut, Förderquoten in Prozent und Inklusionsanteil in Prozent, Primar- und Sekundarstufe zusammengefasst, Jahr 2012/13

Kreis/kreisfreie Stadt Schüler mit Förderquote Inklusionsanteil

14

Als Datenquelle diente der „Entwicklungsplan Inklusion“ des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und

Kultur des Freistaats Thüringen.

Page 52: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

51

besonderem Förderbedarf absolut

Stadt Erfurt 1.124 6,5 30,4

Stadt Gera 481 7,1 31,6

Stadt Jena 378 4,1 74,3

Stadt Suhl 202 8,7 7,9

Stadt Weimar 566 9,0 15,7

Stadt Eisenach 355 8,7 19,7

Eichsfeld 624 6,4 40,4

Nordhausen 771 10,4 25,0

Wartburgkreis 558 4,6 34,3

Unstrut-Hainich-Kreis 615 6,3 20,7

Kyffhäuserkreis 416 6,6 31,7

Schmalkalden-Meiningen 517 5,3 9,1

Gotha 622 5,2 21,2

Sömmerda 386 6,3 36,0

Hildburghausen 185 3,4 20,5

Ilm-Kreis 647 7,8 33,8

Weimarer Land 327 5,0 37,3

Sonneberg 184 4,0 19,0

Saalfeld-Rudolstadt 636 7,5 25,6

Saale-Holzland-Kreis 369 5,6 34,4

Saale-Orla-Kreis 465 6,5 35,7

Greiz 557 6,6 25,7

Altenburger Land 421 5,7 25,7

Thüringen 11.406 6,3 28,7 Quelle: TMBWK (2013): Entwicklungsplan Thüringen; eigene Darstellung

Ausgehend von einer thüringenweiten Förderquote von 6,3% im Jahr 2012/13 werden zum

Teil auffällige Schwankungen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften deutlich. Sind

im Kreis Hildburghausen nur 3,4% aller Schüler solche, die einen besonderen Förderbedarf

aufweisen, verzeichnen im Kreis Nordhausen 10,4% aller Schüler einen besonderen

Förderbedarf. Im Stadt-Landkreis-Vergleich wird deutlich, dass die Förderquoten in den

Städten im Mittel etwas höher liegen als in den Kreisen. Eine Ausnahme bildet dabei die

Stadt Jena, die lediglich eine Förderquote von 4,1% aufweist und damit bisweilen deutlich

unterhalb der Förderquoten der Landkreise Nordhausen (10,4%), Ilm-Kreis (7,8%) oder auch

Saalfeld-Rudolstadt (7,5%) liegt. Die Varianzen in den Förderquoten zwischen den

Gebietskörperschaften sollten aber nicht auf Unterschiede in den Diagnosepraxen

zurückgeführt werden, sind sie doch vorrangig in der Verteilung überregionaler

Förderzentren begründet. So sind etwa in den Städten Erfurt (Förderschwerpunkt Hören)

und Weimar (Förderschwerpunkt Sehen) solche überregionalen Förderzentren angesiedelt

Page 53: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

52

(vgl. TMBWK, 2013), wodurch zugleich auch die Förderquoten in diesen Regionen erhöht

werden. Eine konsistente Vergleichbarkeit kann somit hier nicht vorausgesetzt werden.

Demgegenüber zeigen die Ergebnisse im Kennwert Inklusionsanteil durchaus relevante

Spannbreiten zwischen den Gebietskörperschaften an (vgl. Tabelle 5.1.1). Bezogen auf alle

Schulen in staatlicher und privater Trägerschaft zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen

einzelnen Kreisen bzw. kreisfreien Städten. Während die Stadt Jena mit einem

Inklusionsanteil von 74,3% den höchsten Wert im Schuljahr 2012/13 aufweist, haben in Suhl

nur 7,9% aller 202 Schüler mit besonderem Förderbedarf einen Platz im Gemeinsamen

Unterricht. Damit liegen diese beiden Extremfälle mehr oder weniger weit vom Thüringer

Mittelwert von 28,7% entfernt. Betrachtet man allein die Gruppe der kreisfreien Städte fällt

auf, dass Erfurt (30,4%) und Gera (31,6%), mit deutlichem Abstand zu Jena, Inklusionsanteile

ausweisen, die leicht über dem landesweiten Mittelwert liegen, währenddessen Suhl,

Weimar (15,7%) und Eisenach (19,7%) Werte mit teils deutlicher negativer Abweichung

aufweisen. Auch innerhalb der Kreise sind bemerkenswerte Differenzen in den

Inklusionsanteilen zu beobachten, so zeigt sich zwischen Eichsfeld (40,4%) und

Schmalkalden-Meiningen (9,1%) ein Abstand von über 31%-Punkten.

Der Inklusionsanteil wird von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen durch die

infrastrukturellen Voraussetzungen eines Systems zur inklusiven Beschulung, zum anderen

auch durch die Nachfrage nach Regelschulplätzen für Schüler mit besonderen

Förderbedarfen. Bei der Interpretation der Wertunterschiede ist somit zu berücksichtigen,

dass die statistisch abbildbaren Inklusionsfähigkeiten der regionalen Systeme wiederum

auch davon abhängen, ob regionale Förderzentren angesiedelt sind. Eine

Gebietskörperschaft, die kein regionales Förderzentrum unterhält, hat vergleichsweise

günstigere Chancen, höhere Inklusionsanteile zu erreichen als eine Gebietskörperschaft, die

aufgrund eines Förderzentrum mit schwerpunktmäßiger Spezialisierung verhältnismäßig

vielen Schüler aus benachbarten Kreisen und Städten Schulplätze bereithält.

Ein weiterer Kennwert der Auskunft über die Integrationskraft eines Schulsystems erteilt, ist

die Exklusionsquote. Sie zeigt an, wie viele Schüler mit besonderem Förderbedarf anteilig an

allen Schülern in Förderschulen unterrichtet werden. Im Sinne der UN-

Behindertenrechtskonvention liegt eine hohe Integrationskraft vor, wenn ein System eine

niedrige Exklusionsquote bei gleichzeitig hohem Inklusionsanteil aufweist (vgl. Berkemeyer

et al., 2013). Aus Gründen der Datenverfügbarkeit werden die Ergebnisse zum Kennwert

Exklusionsquote aggregiert auf Ebene der Schulamtsbezirke dargestellt (vgl. Tabelle 5.1.2).

Auf den ersten Blick erscheinen die Wertabstände zwischen den Schulamtsbezirken nicht

bemerkenswert groß, alle liegen relativ nah am Landeswert von 4,5%. Dennoch ist zu

konstatieren, dass hinsichtlich der Exklusionsquote zwischen Nordthüringen (5,2%) und

Ostthüringen (3,7%) ein Unterschied von 1,5%-Punkten besteht. In Nordthüringen ist es also

für die Schüler mit besonderem Förderbedarf wahrscheinlicher, exkludiert in einer

Page 54: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

53

Förderschule unterrichtet zu werden. Dies kann abermalig auf die spezifische Verteilung von

Förderzentren innerhalb des Landes zurückzuführen sein.

Tabelle 5.1.2: Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf, die gesondert in Förderschulen unterrichtet werden, an allen Schülern (Exklusionsquote), in Prozent, 2012/13

Schulamtsbezirk Schüler gesamt Schüler Förderbedarf Exklusionsquote

Mittelthüringen 36.258 2.403 4,7

Nordthüringen 33.256 2.426 5,2

Westthüringen 34.282 2.082 4,4

Südthüringen 30.608 1.724 4,7

Ostthüringen 45.566 2.671 3,7

Thüringen 179.970 11.306 4,5 Quelle: TMBWK (2013): Entwicklungsplan Thüringen; eigene Darstellung

Auf den ersten Blick erscheinen die Wertabstände zwischen den Schulamtsbezirken nicht

bemerkenswert groß, alle liegen relativ nah am Landeswert von 4,5%. Dennoch ist zu

konstatieren, dass hinsichtlich der Exklusionsquote zwischen Nordthüringen (5,2%) und

Ostthüringen (3,7%) ein Unterschied von 1,5%-Punkten besteht. In Nordthüringen ist es also

für die Schüler mit besonderem Förderbedarf wahrscheinlicher, exkludiert in einer

Förderschule unterrichtet zu werden. Dies kann abermalig auf die spezifische Verteilung von

Förderzentren innerhalb des Landes zurückzuführen sein.

Insgesamt zeigen sich im thüringenweiten Vergleich regional divergierende

Integrationsleistungen hinsichtlich der Schüler mit besonderen Förderbedarfen zwischen

den Schulsystemen der Gebietskörperschaften. Es wurde aber ebenso deutlich, dass die

Unterschiede auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte nur sehr vorsichtig zu deuten sind,

da Entscheidungen über die Bereithaltung von überregional bedeutsamen Förderzentren

häufig das Ergebnis landesweiter und interkommunaler Koordinierungen sind.

Neben der Analyse regionaler Unterschiede ist es zudem bedeutsam zu schauen, inwiefern

Schüler mit unterschiedlichen Förderbedarfen die Chance erhalten, integrativ beschult zu

werden. Statistische Analysen der Thüringer Forschungs- und Arbeitsstelle für den

Gemeinsamen Unterricht zeigen dahingehend, dass Schüler der Förderschwerpunkte

„emotionale und soziale Entwicklung“ beispielsweise relativ häufig das Regelschulwesen

besuchen, währenddessen insbesondere Schüler mit Förderbedarfen in den Bereichen

„Lernen“ und „geistige Entwicklung“ weitaus häufiger an Förderschulen unterrichtet werden

(vgl. die Abbildung 5.1.1). Hinsichtlich der sozialen Hintergrundmerkmale von Schülern mit

besonderen Förderbedarfen konnte nachgewiesen werden, dass Kinder und Jugendliche aus

sozial benachteiligten Lebenslagen häufiger an Förderschulen lernen, wohingegen

Förderschüler aus sozial privilegierten Familien signifikant häufiger am Gemeinsamen

Unterricht teilnehmen.

Page 55: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

54

Abbildung 5.1.1: Verteilung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Schulart 2008

Quelle: Sasse und Schulzeck, 2010

Perspektivisch wäre zudem zu schauen, inwiefern die für das allgemeinbildende Schulsystem

verantwortlichen Akteure von den Wissensbeständen der Akteure des berufsbildenden

Systems, welches bereits seit Jahrzehnten inklusiv geführt wird, profitieren können, damit

die Integrationsleistungen optimiert werden können.

5.1.2 Ausbau und Besuch von Ganztagsangeboten

Eine weitere wichtige Beschreibungsdimension der Integrationskraft von Schulsystemen ist

der quantitative Ausbau des schulischen Ganztags. Als eines der wichtigsten

bildungspolitischen Strukturprogramme der Nach-PISA-Zeit ist die Ganztagsschule mit einer

Vielzahl von Erwartungen konfrontiert. Konnten ihr die angenommene kompetenzfördernde

Wirkung bislang nicht nachgewiesen werden (vgl. Radisch, Klieme und Bos, 2006), ist sie

doch als ein zentraler Baustein für die Realisierung chancengerechter Schulsysteme zu

markieren. So wirkt die intensive Beteiligung an Ganztagsangeboten positiv auf die

Entwicklung der Schulnoten (Kuhn und Fischer, 2011). Weitere förderliche Effekte wurden

auch hinsichtlich der sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen (Steiner, 2011)

sowie der Lernmotivation infolge der Teilnahme an gut strukturierten Angeboten festgestellt

(Fischer, Kuhn und Klieme, 2009). Zudem sind zudem Stärken des ganztäglichen Aufenthalts

in der Schule im Bereich des informellen Lernens auszumachen. Gebundene

Ganztagsangebote gelten dabei tendenziell und dem Anspruch nach als die

Page 56: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

55

entwicklungsförderlichste Organisationsform (vgl. Holtappels et al., 2010) in Hinblick auf

Effekte hinsichtlich der Ausbildung von Kompetenzen.

Der quantitative Ausbau schulischer Ganztagsangebote

Diese ausschnittartige Rezeption des Forschungsstands macht deutlich, dass Unterschiede

im quantitativen wie qualitativen Ausbau des schulischen Ganztags zwischen

Gebietskörperschaften zumindest potentiell verschiedenartige Entwicklungs- und

Lernkontexte kennzeichnen. Dabei ist im bundesweiten Ländervergleich für Thüringen im

Jahr 2010 ein relativ hoher Ausbaustand festzustellen: 77,8% aller Schulen in öffentlicher

und privater Trägerschaft sind Ganztagsschulen, dabei ist mit 74,9% an allen

Ganztagsschulen die offene Form die am häufigsten vertretene (Berkemeyer et al., 2013).

Thüringen liegt beim Ganztagsschulanteil mehr als 26%-Punkte über dem Wert für das

gesamte Bundesgebiet.

Dass in Thüringen die meisten Ganztagsangebote in offener Form geführt werden, ist unter

anderem dadurch begründet, dass fast alle Grundschulen diese Form anbieten. Im Schuljahr

2011/12 war dies in 92,3% aller Schulen der Fall. Dabei ist gegenüber 2007/08 eine leichte

Zunahme der gebundenen (+1,5%-Punkte) und teilgebundenen Angebote (+1,3%-Punkte) im

Schuljahr 2011/12 nachzuvollziehen (vgl. Tabelle 5.1.3-Anhang). Generell bieten alle

Grundschulen in Thüringen ganztägige Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten, häufig in

Horten; in den kreisfreien Städten in ca. jedem zehnten Fall in gebundener Form, in den

Kreisen in ca. jedem zwanzigsten Fall.

Im Sekundarbereich sind Ganztagsangebote weniger stark verbreitet. In Thüringen sind das

im Schuljahr 2011/12, über alle Organisationsformen hinweg, 42,5% aller Schulen, was einen

leichten Anstieg gegenüber 2007/08 bedeutet. Die Unterschiede zwischen den einzelnen

Gebietskörperschaften sind teilweise erheblich.

Page 57: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

56

Abbildung 5.1.2: Anteile an Schulen mit Ganztagsangeboten an allen Schulen der Sekundarstufe, in den Schuljahren 2007/08 und 2011/12 (in%)

Anmerkungen: Aus Gründen der Sicherung der Anonymität der Einzelschule werden die Gebietskörperschaften Sonneberg sowie die Städte Suhl und Eisenach nicht aufgeführt. In dem Kreis Sömmerda wird keine Sekundarschule mit Ganztagsangebot geführt. Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Beispielsweise differieren die Anteile zwischen dem Kyffhäuserkreis und Jena im Schuljahr

2011/12 um über 45%-Punkte. Im Vergleich zwischen dem städtischen und ländlichen Raum

Thüringens ist festzustellen, dass die Möglichkeit, in Kreisfreien Städten ein

Ganztagsangebot zu nutzen, tendenziell größer ist, betrachtet man den Anteil der Schulen

mit Ganztagsangeboten als relevantes Kriterium. Während in den Städten in fast der Hälfte

aller Schulen ein Ganztagsangebot vorgehalten wird, ist dies in Kreisen nur in 40,8% aller

Schulen der Fall (vgl Abbildung 5.1.2, Tabelle 5.1.4). Hinzu kommt, dass in kreisfreien Städten

anteilsmäßig häufiger die gebundene Organisationsform vorkommt: Sind hier 10,4% aller

Schulen mit gebundenen Ganztagsangeboten ausgestattet, weisen die Kreise einen Wert von

5,1% auf (vgl. Tabelle 4.1.2-Anhang).

Somit kann tendenziell von einer doppelten Benachteiligung des ländlichen Raums

gesprochen werden. Zum einen gibt es hier prozentual gesehen weniger Ganztagsangebote,

und zum anderen finden sie seltener in gebundener Form statt. Aus der

Gerechtigkeitsperpektive erscheint eine gleichmäßigere Verteilung von Ganztagsangeboten

notwendig, bestenfalls soll jeder Schüler, unabhängig vom Wohnort, die Möglichkeit haben,

ein Ganztagsangebot zu nutzen. Ein weiteres, eher arbeits- und familienpolitisches Argument

ist, dass der schulische Ganztag ein Instrument zur Verbesserung der Vereinbarkeit von

Familie und Beruf darstellt und damit auch zur Erhöhung der Frauenerwerbsquote beitragen

Page 58: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

57

kann (BMFSFJ, 2011). Vor diesem Hintergrund kann die Schule mit Ganztagsangebot als ein

zentrales Feld sowohl regionaler Schulentwicklung als auch abgestimmter Bildungs- und

Arbeitsmarktplanung gesehen werden.

Die Nutzung schulischer Ganztagsangebote

Die Potentiale des schulischen Ganztags, insbesondere in sozialintegrativer Hinsicht, wurden

bereits skizziert. Die institutionell verfügbare Infrastruktur sagt aber noch wenig über die

Wahrnehmung der Angebote seitens der Schülerschaft aus. Aufschlüsse hierzu bieten Daten

zur Teilnahme an Ganztagsangeboten.

Im Bundesländervergleich gehört Thüringen im Bezugsjahre 2010 zu denjenigen Ländern, die

eine vergleichsweise hohe Teilnahmequote aufweisen (Berkemeyer et al., 2013). Dabei blieb

der Anteil der Ganztagsteilnehmer zwischen 2009 und 2010 konstant bei 52,6%. Rückläufig

ist dagegen der Anteilswert der Schüler, die gebundene Ganztagsangebote wahrnehmen.

Mit 12,9% aller Schüler der Primarstufe und Sekundarstufe I wies Thüringen im Jahr 2010

einen Wert auf, der 1,5%-Punkte unterhalb des Vorjahreswerts lag. Sollte sich hier auch für

die kommenden Jahre ein Trend abzeichnen, ist zu überlegen, ob hier nicht ein geeignetes

Feld bildungspolitischer Intervention auszumachen ist, da dem gebundenen Ganztag

besondere lernförderliche Potentiale zuzuschreiben sind (vgl. Holtappels et al., 2010) und

mit ihm eine sozialselektive Inanspruchnahme im Prinzip ausgeschlossen wird (vgl. Steiner,

2011).

Bei der Untersuchung der Thüringer Ganztagsangebote auf kleinräumiger Ebene zeigen sich,

sowohl zwischen den Schularten als auch differenziert nach Organisationsform, regionale

Unterschiede. Erwartungsgemäß hoch ist der Anteil der Ganztagsteilnehmer gemessen an

allen Schülern der Grundschulen. Im Analysezeitraum 2007/08 bis 2011/12 ist die

Teilnahmequote in Thüringen um mehr als 11%-Punkte gestiegen, dabei in den Kreisen mit

einem Zugewinn von 22%-Punkten deutlich stärker als in den kreisfreien Städten (+9,1%-

Punkte), wobei in den Städten mit 89,6% noch immer gut 9% mehr Grundschüler im

Schuljahr 2011/12 ein Ganztagsangebote wahrgenommen haben (vgl. Tabelle 5.1.3-Anhang).

Sehr häufig wird der schulische Ganztag dabei in offener Form wahrgenommen, was dadurch

zu erklären ist, dass die Grundschulen mit Horten kooperieren. Thüringenweit besuchen

lediglich 5,7% der Grundschüler ein teilweise oder voll gebundenes Ganztagsangebot, wobei

der Anteil in den kreisfreien Städten (7,8%) über dem der Kreise liegt (5,0%; vgl. Abbildung

5.1.3).

Page 59: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

58

Abbildung 5.1.3: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Grundschulen in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

In den Schularten des Sekundarbereichs I fallen die Anteilswerte generell niedriger aus als in

den Grundschulen. Den geringsten Anteilswert im Schuljahr 2011/12 weist hierbei folgende

Kombination auf: Gymnasien in teilweise oder voll gebundener Angebotsform in den Kreisen

Thüringens (vgl. Abbildung 5.1.4). Im städtischen Raum nehmen dagegen rund 10% der

Schülerschaft an gebundenen Ganztagsangeboten teil. Etwas häufiger werden

Ganztagsangebote an Regelschulen in Thüringen wahrgenommen. Über alle

Organisationsformen hinweg liegt der Anteilswert bei 27,1%, in den Kreisen dabei etwas

höher als in den kreisfreien Städten. Wesentlich höhere Anteile in der Teilnahme an

Ganztagsangeboten in der Sekundarstufe I weisen hingegen die beiden Schularten Gesamt-

und Gemeinschaftsschule auf (vgl. Abbildung 5.1.5). Insbesondere an Gemeinschaftsschulen

in kreisfreien Städten ist eine erhöhte Teilnahme zu beobachten. Hier nehmen 88,2% aller

Schüler am schulischen Ganztag teil, 32,1% tun dies in Angeboten teilweise oder voll

gebundener Form. Auch werden wieder recht deutliche Unterschiede zwischen Kreisen und

kreisfreien Städten offenbar. Insgesamt gesehen liegt der Wert der Kreise mit 54,5% über

30%-Punkte unterhalb des Werts der kreisfreien Städten.

75,4 81,8 76,9

5,0 7,8

5,7

0,0

10,0

20,0

30,0

40,0

50,0

60,0

70,0

80,0

90,0

100,0

Kreise Kreisfreie Städte Thüringen

offen teilweise und voll gebunden

Page 60: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

59

Abbildung 5.1.4: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Regelschulen und Gymnasien (Sek I) in den Kreisen, Kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Abbildung 5.1.5: Teilnahme an Ganztagsangeboten an Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen (Sek I) in den Kreisen, Kreisfreien Städten und Thüringen nach Organisationsform, im Schuljahr 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Abschließend ist zu sagen, dass sich innerhalb Thüringens, abseits der eingangs erwähnten

positiven Befunde aus dem Chancenspiegel, deutlichere Differenzen hinsichtlich der

Angebotsnutzung auftun. Wenn in städtischen Gebieten mehr Angebote im Sekundarbereich

bereitstehen, ist auch die Nutzung deutlich höher. Dies wird dadurch verstärkt, dass sich die

anteilsstarken Schularten Gemeinschaftsschule und Gesamtschule vornehmlich in den

kreisfreien Städten konzentrieren. Zu fragen ist, ob mit einer flächendeckenden Versorgung

des ländlichen Raums mit diesen Schularten die Ganztagsnutzung auch im ländlichen Raum

steigen würde, oder aber ob das Nutzungsverhalten entlang der Dimension Kreis/Stadt

generell differiert. Keine Aussagen können zudem darüber getroffen werden, ob vorhandene

Kapazitäten wirklich genutzt werden. Somit muss vorerst offen bleiben, ob nicht etwa in

Page 61: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

60

manchen Gebieten einem Teil der Schülerschaft keine Angebote aufgrund ausgereizter

Kapazitäten mehr gemacht werden können. Dies wäre aus Gerechtigkeitsperspektive ein

problematischer Sachverhalt.

Zudem sei generell noch darauf hingewiesen, dass für eine erfolgsversprechende

Ganztagsschulentwicklung die strukturelle Einbindung in Bildungslandschaften förderlich

erscheint (Schalkhaußer und Thomas 2011), da unter diesen Bedingungen größere und

nachhaltigere Vernetzungspotenziale, von denen die Angebotsgestaltung des Ganztags

profitieren kann, bestehen.

5.2 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Durchlässigkeit

In diesem Kapitel geht es um zentrale Prozessstrukturen des Thüringer Schulsystems. Neben

dem Blick auf Prozesse wie Klassenwiederholungen und Übergänge zwischen Schulstufen –

vom Primar- in den Sekundarbereich sowie vom Sekundarbereich I in den Sekundarbereich II

– werden die Schülerverbleibschancen am Gymnasium mittels des

Durchgangsquotenverfahrens sowie die Auf- und Abstiege innerhalb der Sekundarstufe I

betrachtet. Eng verbunden mit den Begriffen der Bildungsübergänge und Schulartwechsel ist

der Begriff der Durchlässigkeit (Bellenberg 2012), wobei im Allgemeinen zwischen der

horizontalen und der vertikalen Durchlässigkeit unterschieden werden kann: Während die

vertikale Durchlässigkeit auf den Wechsel zwischen den Schulstufen abzielt, meint die

horizontale Durchlässigkeit die Möglichkeit der Wechsel zwischen parallelen Bildungsgängen

der Sekundarstufe I (ebd.). Die Durchlässigkeit von Schulsystemen ist eine zentrale

Gerechtigkeitsdimension, da sie Auskunft darüber gibt, wie gradlinig und auf welchem

Niveau Bildungskarrieren verlaufen, oder ob diese vielfach durch Misserfolgserfahrungen

geprägt sind.

5.2.1 Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I

Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schulform stellt eine zentrale

Schanierstelle mit weitreichenden Folgen für den weiteren Bildungsverlauf dar. Nach den

Bestimmungen der KMK (2010) muss jedem Kind seiner Bildungsfähigkeit entsprechend und

unabhängig von der sozialen Herkunft die angemessene Schullaufbahn ermöglicht werden.

Bisherige Forschungsergebnisse verweisen jedoch darauf, dass dieses Ziel oft verfehlt wird

(vgl. zum Überblick Berkemeyer et al. 2013). So rücken neben die Diskussion um eine

möglicherweise zu früh erfolgende Selektion der Schüler leistungsunabhängige,

herkunftsbedingte Ungleichheiten, welche sich sowohl in den Übergangsempfehlungen als

auch in den Übergangsentscheidungen der Eltern wiederspielen (Baumert et al. 2010).

Zudem stellt das zur Verfügung stehende Schulangebot einen weiteren Kontextfaktor dar,

welcher in einem nachweisbaren Zusammenhang mit dem Schulwahlverhalten steht

(Weishaupt 2010). Die Verfügbarkeit von Bildungsangeboten spiegelt sich nach Weishaupt

Page 62: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

61

(2012) in standortbedingten Übergangsquoten wider, welche auf eine Tendenz der Wahl

einer Schulart in Abhängigkeit von der Erreichbarkeit schließen lassen. Hierbei werden

jedoch erneut herkunftsbedingte Unterschiede in Form einer milieuabhängigen Nutzung

entfernt gelegener Bildungseinrichtungen sichtbar (ebd.).

Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I wird im Rahmen dieses Kapitels anhand

der Übergangsquoten betrachtet. Diese werden über die Verteilung der Fünftklässler, die im

vorangegangenen Schuljahr noch die Grundschule besucht haben, auf die Schularten der

Sekundarstufe ermittelt. Dadurch ist es möglich, die Nutzung vorhandener Bildungsangebote

darzustellen.

Auf Landessebene verteilt sich die Schülerschaft in der 5. Klasse im Schuljahr 2011/12

hauptsächlich auf die beiden Schularten Regelschule (54,6%) und Gymnasium (43,2%; vgl.

Abbildung 5.2.1). Alternative Schularten, wie die Gesamt- oder Gemeinschaftsschule werden

hingegen nur von insgesamt 2,2% der Fünftklässler besucht. Bei einem Vergleich der

Nutzung der Regelschulen und Gymnasien zwischen den Kreisen und kreisfreien Städte

zeigen sich Differenzen. Während in den Kreisen die Regelschule die hauptsächlich

präferierte Schulart darstellt (50,1%), sind in den kreisfreien Städten höhere

Übergangsquoten auf die Gymnasien (47,6%) sowie Gesamt- (12,8%) und

Gemeinschaftsschulen festzustellen (4,3%). Die vergleichsweise geringeren

Übergangsquoten auf die Regelschule innerhalb der kreisfreien Städte können dabei

möglicherweise der vorherrschenden Schulstruktur bzw. Bereitstellung alternativer

Bildungseinrichtungen geschuldet sein. Dennoch entziehen Gesamt- und

Gemeinschaftsschulen über den Betrachtungszeitraum von 2007/08 bis 2011/12 hinweg

tendenziell eher den Gymnasien der kreisfreien Städte potenzielle Schüler als den

Regelschulen (vgl. Abbildung 5.2.1). Um auf einen kausalen Zusammenhang schließen zu

können, wäre jedoch die Betrachtung der Übergangsquoten vor dem Aspekt sich

verändernder schulstruktureller Begebenheiten über einen längeren Zeitraum nötig.

Page 63: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

62

Abbildung 5.2.1: Verteilung der Fünftklässler, die im vorherigen Jahr die Grundschule besucht haben auf die Schularten der Sekundarstufe I, in den Schuljahren 2007/08, 2009/10 und 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeichnet sich im Schuljahr 2011/12

ebenfalls ein heterogenes Bild ab (Tabelle 5.2.1-Anhang). Wendet man sich zunächst den

Übergangsquoten in den kreisfreien Städten zu, zeigt sich, dass das Gymnasium mit

Ausnahme von Gera die höchsten Übergangsquoten aufweist und sich die Regelschule auf

dem zweiten Platz einfindet. Dieses Verhältnis ist möglicherweise den relativ hohen

Übergangsquoten auf die Gesamtschule von 12,4% in der Stadt Erfurt bis hin zu 26,5% in der

Stadt Jena geschuldet. In der Stadt Erfurt sind jedoch über den Betrachtungszeitraum

hinweg steigende Übergangsquoten auf die Regelschule und sinkende Übergangsquoten auf

das Gymnasium festzustellen. In der Stadt Jena hat sich durch die Umstrukturierung der

Schullandschaft das Angebot an Regelschulen über den Betrachtungszeitraum hinweg

deutlich verringert. Im Schuljahr 2012/13 wird keine Schule als Regelschule geführt, sodass

mit einem Anstieg an Schülern in Gesamt- und Gemeinschaftsschulen zu rechnen ist. Die

Verteilung der Fünftklässler steht folglich in einem engen Zusammenhang mit der regionalen

Schulangebotsstruktur.

In den einzelnen Kreisen Thüringens lassen sich beim Übergang in die Sekundarstufe I nur in

einigen Fällen, nämlich dort wo Angebote verfügbar sind, Übergangsquoten auf Gesamt- und

Gemeinschaftsschulen feststellen. Die hauptsächlich präferierten Schularten stellen die

Regelschule und das Gymnasium dar, wobei die höchsten Übergangsquoten zur Regelschule

festzustellen sind. Insbesondere in den Kreisen Hildburghausen (29,6%), Wartburgkreis

Page 64: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

63

(35,1%), Kyffhäuserkreis (38%) und dem Ilm-Kreis (38,4%) zeigen sich lediglich geringe

Übergangsquoten auf das Gymnasium. Im Kyffhäuserkreis sowie dem Ilm-Kreis sind die

Übergangsquoten auf das Gymnasium erst seit dem aktuellen Schuljahr und der Einführung

von Gemeinschaftsschulen – bei gleichbleibenden Übergangsquoten zur Regelschule –

gesunken. Auch hier sollte geprüft werden, ob dies mit den neu errichteten

Gemeinschaftsschulen in einem Zusammenhang steht. In den Kreisen Schmalkalden-

Meiningen (GYM= 47,6%, RS= 52,4%), Gotha (GYM= 43,6%, RS= 47,2%), Saalfeld-Rudolstadt

(GYM= 45,5%, RS= 51,5%), Altenburger Land (GYM=48,1%, RS=51,9%) sowie dem Saale-Orla-

Kreis (GYM= 42,3%, RS= 55,1% ) zeigen sich im aktuellen Schuljahr 2011/12 etwa

ausgeglichene Übergangsquoten auf die Regelschule und das Gymnasium bei

Übergangsquoten von 2,6% (Saale-Orla-Kreis) bis hin zu 9,3% (Gotha) auf Gesamt- und

Gemeinschaftsschulen (vgl. Tab. 5-2-1-Anhang).

Ein Vergleich der Verteilung der Schüler auf die Schularten der Sekundarstufe I verweist auf

Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen, welche gegebenenfalls auf die

vorhandenen Schulstrukturen zurückzuführen sind. Während in den Kreisen die Regelschule

die am häufigsten präferierte Schulart darstellt, gilt selbiges für die Gymnasien in den

kreisfreien Städten. Die Einführung von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen führt jedoch in

den Kreisen mit Gesamt- oder Gemeinschaftsschulangebot zu einer Quotenabnahme

hinsichtlich des Übergangs auf die Regelschule und in den kreisfreien Städten zu einer

Abnahme der Übergangsquoten zum Gymnasium.

5.2.2 Auf- und Abwärtswechsel innerhalb der Sekundarstufe I

Neben den Übergangsmöglichkeiten der Schüler im Anschluss an bestimmte Schulstufen,

wie dem Übergang von der Primarstufe in die Bildungsgänge der Sekundarstufe I oder dem

Übergang in die Sekundarstufe II (gymnasiale Oberstufe), sind im Schulsystem auch Wechsel

der Schüler zwischen den weiterführenden Bildungsgängen innerhalb der Sekundarstufe I

möglich. Mit diesem sogenannten Schulartwechsel in parallel verlaufende Bildungsgänge

wird die horizontale Durchlässigkeit eines Schulsystems „nach oben“ bzw. „nach unten“

markiert. Die Wechsel zu Schularten mit höher qualifizierenden Schuhlabschlüssen werden

als „Aufstiege“ und Wechsel zu Schularten mit niedriger qualifizierenden Schulabschlüssen

als „Abstiege“ gekennzeichnet. Schulartwechsel können Rückschlüsse auf den Grad der

Selektivität des gegliederten Schulsystems liefern, insbesondere dann, wenn sich die

Wechsel der Schüler eines Systems mehrheitlich in Form von „Abschulungen“ zu

anspruchsniedrigeren Bildungsgängen äußern (Abstiege). Derartige Korrekturen werden in

erster Linie mit den, vom jeweiligen schulartbezogenen Anspruchsniveau abweichenden

schulischen Leistungen der Schüler begründet.

In Deutschland vollziehen sich die Schulartwechsel von Schülern nach wie vor überwiegend

als Abstiege in anspruchsniedrigere Schularten. Darauf verweisen die Befunde der Studie

Page 65: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

64

„Schulformwechsel in Deutschland“ von Gabriele Bellenberg (2012). Gemäß dieser haben im

Schuljahr 2010/11 knapp 100.000 Schüler zwischen der 5. und 10. Klasse einen

Schulformwechsel vorgenommen (vgl. Bellenberg 2012, S.6). Die Aufstiegschancen in den

Schulsystemen Deutschlands sind dabei sehr gering: Während es lediglich 27,4% der

Schulartwechsler gelingt, im Verlauf der Sekundarstufe I von einer anspruchsniedrigeren

Schulart innerhalb des Systems „aufzusteigen“, wird mit rund 58,4% mehr als die Hälfte der

wechselnden Schüler abgeschult.15 Die Spanne der Schulartwechslerquote der Bundesländer

in demselben Jahr reicht dabei von 6,1 % (Bremen) bis zu 1,3% (Baden-Württemberg).

Thüringen verzeichnet ausgehend von insgesamt 81.488 Schülern 1.816 Wechsler, was einer

Wechslerquote von 2,2% entspricht (vgl. ebd. 2012). Damit nimmt Thüringen eine

vergleichsweise mittlere Position im Ländervergleich ein.

In diesem Abschnitt wird sich dem Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtswechsler in den

Jahrgangsstufen 6. bis 9. der Sekundarstufe I an Gymnasien und Regelschulen

nachgegangen.16 Dadurch ist es möglich, Aussagen über die horizontale Mobilität innerhalb

des Thüringer Schulsystems zu tätigen. In Thüringen stehen im Schuljahr 2011/12 131

Aufwärtswechsler 756 Abwärtswechsler gegenüber (Tabelle 5.2.2- Anhang). Diese Anzahl der

auf- und absteigenden Schüler Thüringens entspricht einem Verhältnis von 5,8

Abwärtswechseln, die auf einen Aufwärtswechsel vollzogen werden. (vgl. Tabelle 5.2.3).

Gegenüber dem Schuljahr 2007/08 sind die Anteile der Abwärtswechsel aktuell leicht

angestiegen, was sich in dem Verhältnis zwischen Auf- und Abwärtswechslern widerspiegelt:

Im Schuljahr 2007/08 stehen 5,1 Abwärtswechsel einem Aufwärtswechsel gegenüber.

Folglich nimmt die Regelschule des Thüringer Schulsystems in einem steigenden Maße

Gymnasialabsteiger auf. Diese thüringenweite Entwicklung lässt sich im Schnitt

gleichermaßen für die Kreise wie auch für die kreisfreien Städte beobachten. In beiden

Jahren ist jedoch die Anzahl der Abwärtswechsel bezogen auf einen Aufwärtswechsel in den

kreisfreien Städten durchschnittlich größer. Stehen in den kreisfreien Städten im Schuljahr

2011/12 einem Aufsteiger 7,7 absteigende Schüler gegenüber (2007/08: 6,8), erleben in den

Kreisen im gleichen Jahr 5,4 Schüler einen Abwärtswechsel (2007/08: 4,7) (vgl. Tabelle

5.2.3).

Auch auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte übersteigt die Anzahl der Abwärtswechsel

in jeder Gebietskörperschaft die Anzahl der Aufwärtswechsel. Von allen Kreisen und

kreisfreien Städten zeigt sich Sömmerda im Schuljahr 2011/12 zudem als einzige

15

Die übrigen 14,1% vollzogenen Wechsel in der gesamten Bundesrepublik Deutschland äußern sich als „Umstiege“, da hier die Richtung der Mobilität nicht eindeutig feststellbar ist bzw. das Anspruchsniveau der aufnehmenden Schulart dem der abgebenden nicht zugeordnet werden kann. 16

Die Beschränkung auf die Auf- und Abstiege zwischen den Gymnasien und Regelschulen erfolgt aufgrund der gegebenen Eindeutigkeit eines Auf- bzw. Abwärtswechsels bezüglich des abschlussrelevanten Anspruchsniveaus, welcher bei einem Wechsel zwischen Gymnasien/Regelschulen und Gesamt- und Gemeinschaftsschulen nicht geben ist

Page 66: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

65

Gebietskörperschaft, in welcher trotz der vergleichsweise mittleren Anzahl der

Abwärtswechsel von 36 Schülern der Jahrgangsstufe 6 bis 9 kein aufwärtsgerichteter

Übergang von der Regelschule auf das Gymnasium erfolgte (vgl. Tabelle 5.2.2-Anhang).

Betrachtet man für die Schuljahre 2007/08 sowie 2011/12 die Abstiegsmobilität von

Gymnasiasten der Jahrgangsstufe 6 bis 9 auf die Regelschule in den Gebietskörperschaften,

so fallen zum Teil erhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Kreisen und kreisfreien

Städten auf, aber auch stärkere jährliche Schwankungen des Wechselverhältnisses innerhalb

einer Gebietskörperschaft werden sichtbar (vgl. Tabelle 5.2.3). Mit den häufigsten Abstiegen

vom Gymnasium auf die Regelschule zu einem Aufwärtswechsel sehen sich im Schuljahr

2011/12 die Schüler der Gebietskörperschaften Gotha (30) gefolgt von Saalefeld-Rudolstadt

(25,5) und der kreisfreien Stadt Gera (19) konfrontiert, obwohl diese im Jahr 2007/08 noch

deutlich geringere Wechselverhältnisse von 9,5 (Gotha) und 3,2 (Saalfeld-Rudolstadt)

aufwiesen. Die wenigsten Gymnasialabsteiger im Verhältnis zu einem Gymnasialaufsteiger

gibt es im Unstrut-Hainich-Kreis(2,5), Saale-Holzland-Kreis (2,8) und in Eichsfeld (2,8).

Insgesamt können bezüglich des Schulartwechsels zwischen der Regelschule und dem

Gymnasium in Thüringen geringe Aufstiegschancen von Schülern im allgemeinbildenden

Schulsystem beobachtet werden. Die im Vergleich zu den Abwärtswechseln geringen

Aufwärtswechsel, welche in allen Gebietskörperschaften feststellbar sind, lassen im Rahmen

der horizontalen Durchlässigkeit die Schulartwechsel als ein schulisches Reglement zur

Korrektur der Schüler „nach unten“ erscheinen. Die Abwärtsmobilität von Gymnasiasten

innerhalb der Sekundarstufe auf die Regelschule unterscheidet sich in den Kreisen bzw.

kreisfreien Städten zum Teil so erheblich, dass sich Schüler einer Gebietskörperschaft mit

höheren Anteilen an Gymnasialabstiegen im Vergleich zu einer Gebietskörperschaft mit

einem geringeren Wechselanteil bis zu zwölfmal häufiger mit einem Abwärtswechsel auf die

Regelschule konfrontiert sehen (vgl. Tabelle 5.2.3). Die geringe horizontale Durchlässigkeit

nach oben kann in der pädagogischen Tradition einer stärkeren leistungsbezogenen

Defizitorientierung als einer Stärkenorientierung begründet liegen. Aber auch fehlende

offene Regelungen für einen Aufwärtswechsel von Schülern können hierfür ursächlich sein

(vgl. Bellenberg 2012). So wird die Notwendigkeit schulartbezogener Abstiege von Schülern

anhand von Notenkriterien und Nichtversetzungen geprüft, wohingegen in Thüringen keine

zwingenden Regelungen für das Verfahren mit überdurchschnittlichen Leistungen, die einen

Aufstieg legitimieren, existieren.

Page 67: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

66

Tabelle 5.2.3: Anzahl der Abwärtswechsel von Schülern der Gymnasien zu Regelschulen in den Jahrgangsstufen 6 bis 9 im Verhältnis zu einem Aufwärtswechsel, in den Schuljahren 2007/08 und 2011/12

Kreis/ kreisfreie Stadt

Anzahl der Abwärtswechsel im Verhältnis zu einem Aufwärtswechsel 2007/08 2011/12

Stadt Erfurt 4,4 4,2

Stadt Gera - 19

Stadt Jena 16 X

Stadt Suhl X X

Stadt Weimar 3,4 8

Stadt Eisenach - 18

Eichsfeld 5,1 2,8

Nordhausen 7,2 7,5

Wartburgkreis 4 8,4

Unstrut-Hainich-Kreis 4,2 2,5

Kyffhäuserkreis 2,4 6,8

Schmalkalden-Meiningen 5,1 4,2

Gotha 9,5 30

Sömmerda 6,5 -

Hildburghausen X X

Ilm-Kreis 8,4 15

Weimarer Land 1,3 7

Sonneberg X X

Saalfeld-Rudolstadt 3,2 25,5

Saale-Holzland-Kreis 1,5 2,8

Saale-Orla-Kreis 3,8 3,2

Greiz 6 3,6

Altenburger Land 15,5 5,2

Kreise 4,7 5,4

Kreisfreie Städte 6,8 7,7

Thüringen 5,1 5,8 Anmerkungen: Um die Anonymität der Einzelschule zu wahren, wurden die Werte in Kreisen/kreisfreien Städten, bei denen eine Mindestanzahl von drei Gymnasien nicht erreicht wird, entfernt und mit einem X ersetzt. Für das Schuljahr 2011/12 sind für den Kreis Sömmerda keine Berechnungen aufgrund fehlender Angaben möglich, dies wird durch ein – gekennzeichnet. Quelle: Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, eigene Berechnungen.

5.2.3 Klassenwiederholungen

Das Instrument der Klassenwiederholung wird in der aktuellen Bildungsforschung kontrovers

diskutiert und der pädagogische Nutzen dieser Maßnahme eher skeptisch eingeschätzt.

Befunde deuten zum einen darauf hin, dass Klassenwiederholungen sowohl negative als

auch positive Auswirkungen auf die schulische Motivation der Schüler haben können und

zum anderen weder mittel- noch langfristige Leistungsverbesserungen festzustellen sind

(Klemm 2009, Berkemeyer et al. 2013). Zudem verzögert sich durch Klassenwiederholungen

die Schulzeit und somit der Eintritt in den Arbeitsmarkt und verursacht einen erheblichen

Mehraufwand im Bildungsbereich (ebd.).

Die allgemeine bildungspolitische Forderung der Reduktion von Klassenwiederholungen

schlägt sich derweil in den Schulgesetzen einiger Bundesländer (z.B. Hamburg) nieder, wobei

insbesondere der Ausbau des schulischen Ganztagsangebotes als ein geeignetes Instrument

Page 68: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

67

zur Verringerung der Klassenwiederholungen angesehen wird (Berkemeyer et al. 2013).

Gestützt wird dies durch die Ergebnisse der StEG-Studie, welche darauf verweisen, dass die

dauerhafte Nutzung von Ganztagsangeboten dem Risiko einer Klassenwiederholung

entgegenwirkt.

Der Anteil an Klassenwiederholungen (je Schulart/Schulstufe) wird an der Anzahl aller

Schüler (je Schulart/Schulstufe) gemessen. Im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 haben

insgesamt 1,6% aller Schüler der Sekundarstufe I (5.-9-Klassenstufe) in Thüringen das

Schuljahr wiederholt (vgl. Tabelle 5.2.4). Im Vergleich zum Schuljahr 2007/08, in welchem

der Anteil noch bei 2,3% lag, ist somit eine Abnahme an Klassenwiederholungen in

Thüringen festzustellen.

Tabelle 5.2.4: Anteil an Klassenwiederholungen nach Schularten des allgemeinbildenden Schulsystems in den Klassen 5-9 und den Schuljahren 2007/08 bis 2011/12 (in %)

Klassen- wiederholungen

2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12

in % in % in % in % in %

Regelschule

Kreise 3,3 2,9 2,9 2,3 2,2

Kreisfreie Städte 4,7 3,6 3,9 2,6 2,7

Thüringen 3,5 3,0 3,1 2,4 2,3

Gesamtschule

Kreise X X X X X

Kreisfreie Städte 2,3 2,2 1,5 1,6 1,9

Thüringen 2,4 2,4 1,7 1,5 1,9

Gemeinschaftsschule

Kreise - - - - 1,6 Kreisfreie Städte - - - - 2,7

Thüringen - - - - 2,2

Gymnasium

Kreise 0,7 0,6 0,8 0,8 0,8

Kreisfreie Städte 1,1 0,9 1,0 0,9 0,7

Thüringen 0,8 0,7 0,8 0,8 0,8

insgesamt

Kreise 2,2 2,0 2,0 1,7 1,6

Kreisfreie Städte 2,6 2,1 2,1 1,6 1,6

Thüringen 2,3 2,0 2,0 1,6 1,6 Anmerkungen: Aufgrund der Einführung der Gemeinschaftsschulen zum Schuljahr 2011/12 sind Berechnungen für die vorangegangenen Jahre nicht möglich, dies wird durch ein Minuszeichen (-) gekennzeichnet; die Anzahl an Gesamtschulen in Kreisen unterschreitet die Mindestanzahl von drei Einzelschulen (=X). Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Dieser Befund ist auch auf die einzelnen Schularten, mit Ausnahme des Gymnasiums,

übertragbar. Wird zunächst das Gymnasium betrachtet, so sind auf der Ebene von Thüringen

über den gesamten Betrachtungszeitraum von 2007/08 bis 2011/12 konstant geringere

Wiederholerquoten (0,8%) als an anderen Schularten festzustellen. Die meisten

Klassenwiederholungen werden mit 2,3% an der Regelschule vollzogen. Doch auch

Page 69: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

68

diesbezüglich muss angemerkt werden, dass sich der Anteil seit dem Schuljahr 2007/08

verringert hat. Auch der Anteil an Klassenwiederholungen an den Gesamtschulen sinkt seit

dem Schuljahr 2007/08 von 2,4% auf 1,9% im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 (Tabelle 5.2.4).17

Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften Thüringens ist aus Gründen der

Sicherung der Anonymität der Einzelschule die Betrachtung lediglich getrennt nach den

Regelschulen und Gymnasien möglich. Die eingangs dargestellten Differenzen in der Höhe

der Wiederholeranteile zwischen den Schulformen lassen sich dabei flächendeckend für alle

Kreise und kreisfreien Städte feststellen (vgl. Tabelle 5.2.5-Anhang). Dennoch bestehen

deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften. Die

Wiederholeranteile an Regelschulen erstrecken sich dabei im Schuljahr 2007/08 von 2,0% in

der Stadt Jena sowie dem Kyffhäuserkreis bis hin zu 5,6% in der Stadt Gera und 5,5% in der

Stadt Weimar. Bei einem Vergleich der Schuljahre 2007/08 und 2011/12 sind mit Ausnahme

des Unstrut-Hainich-Kreises, welcher eine Quotenzunahme zu verzeichnen hat (+1,9%),

Abnahmen in der Wiederholerquote festzustellen. Dabei sind insbesondere die deutlichen

Anteilsverluste in den Kreisen Saale-Holzland-Kreis (2007/08: 3,5%; 2011/12: 1,0%), dem

Weimarer Land (2007/08: 5,0%; 2011/12: 2,1%) und dem Ilm-Kreis (2007/08: 4,0%; 2011/12:

1,7%) als erfreulich anzuführen. Dennoch muss hier angemerkt werden, dass sich ein

sinkender Trend auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften nur teilweise

wiederspiegelt. Das Bild der Klassenwiederholungen ist vielmehr mehr oder weniger

deutlichen Schwankungen innerhalb der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte unterlegen.

Selbiges ist für die Wiederholeranteile an den Gymnasien zu konstatieren. Die Spanne reicht

dabei im Schuljahr 2007/08 von 0% im Saale-Holzland-Kreis bis hin zu 1,7% in der Stadt

Eisenach und im Schuljahr 2011/12 von 0,2% im Weimarer Land bis hin zu 2,2% in Sonneberg

(vgl. Tabelle 5.2.5-Anhang).

In der Sekundarstufe I (5.-9. Klassenstufe aller Schularten) sind insgesamt betrachtet

flächendeckende Quotenabnahmen festzustellen, wenngleich die Höhe der Anteile den

einzelnen Gebietskörperschaften divergiert (vgl. Tabelle 5.2.6-Anhang). Am deutlichsten sind

die Veränderungen zwischen 2007/08 und 2011/12 im Weimarer Land (-1,9%) sowie dem

Ilm-Kreis (-1,5%). Einzig im Unstrut-Hainich-Kreis ist eine Quotenzunahme von 0,9%

festzustellen.

Mit Blick auf die Sekundarstufe II sind die Anteile sowohl in Thüringen als auch den Kreisen

und kreisfreien Städten deutlich höher als in der Sekundarstufe I, jedoch ebenso im

Vergleich der Schuljahre 2007/08 mit 2011/12 gesunken: Während in den Kreisen im

Schuljahr 2011/12 2,3% und in den kreisfreien Städten 3,1% der Schüler eine Klasse

wiederholen mussten, zeigt sich zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften eine weite

Spanne von 0,7% im Saale-Orla-Kreis bis hin zu 5,4% im Kreis Sömmerda. Aber auch in der

17

Im selben Zeitraum steigt der Anteil an Gesamtschulen mit Ganztagsangebot von 66,7% im Schuljahr 2007/08 auf 73,3% im Schuljahr 2011/12.

Page 70: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

69

kreisfreien Stadt Eisenach wiederholen im Schuljahr 2011/12 4,5% der Schüler eine

Klassenstufe (vgl. Tabelle 5.2.6-Anhang).

Die dargestellten Befunde zum Gebrauch des Instruments der Klassenwiederholung zeigen

auf Länderebene zwar eine Abnahme der Anwendungshäufigkeit, dennoch kann von keinem

gradlinigem Trend gesprochen werden. Vielmehr verweisen die jährlich schwankenden

Anteilswerte der einzelnen Regionen, Schularten und Schulstufen auf einen heterogenen

Gebrauch der Klassenwiederholung als pädagogische Maßnahme.

5.2.4 Verbleibschancen der Schüler an Gymnasien

Neben den Schulartwechseln und Klassenwiederholungen ist die Betrachtung der

Schülerverbleibschancen im Gymnasium hinsichtlich der Aussagekraft über die horizontale

Durchlässigkeit des Schulsystems von großem Interesse (vgl. hierzu auch Berkemeyer et al.

2013). Mehrere Studien verweisen auf zum Teil deutliche Schülerzahlverluste im Verlauf der

Sekundarstufe I (vgl. Hillebrand 2012, Rösner 2005, Bellenberg 2012), welche

möglicherweise auf verspätete Selektionsleistungen der Gymnasien zurückzuführen sind

(vgl. Schümer et al. 2002). Umgekehrt lassen sich unter bestimmten Bedingungen, wie z.B.

demografischen Veränderungen, aber auch Selbsterhaltungstendenzen von Schulen

feststellen, welche sich darin äußern, dass Gymnasien vermehrt Schüler aufnehmen, die bei

größeren absoluten Schülerzahlen nicht berücksichtigt worden wären und seltener zur

Abschulung tendieren (Rösner & Stubbe 2008; Gomolla & Radtke 2009; Berkemeyer et al.

2013).

Die Haltekraft der Gymnasien, oder auch Verbleibschancen der Schülerinnen und Schüler,

wird nachfolgend anhand des Durchgangsquotenverfahrens ermittelt.18 Das

Durchgangsquotenverfahren hält dabei zwei Möglichkeiten zur Feststellung von

Schülerzahlenveränderungen bereit: Zum einen die Berechnung der realen

Schülerzahlenveränderungen (reale Erreichbarkeitswahrscheinlichkeit) durch die

Betrachtung eines Eingangsjahrganges bis zur 9. Klassenstufe fünf Jahre später; Zum anderen

die Betrachtung eines virtuellen Längsschnitts auf Grundlage von Durchschnittswerten der

letzten vier Schuljahre, hier von 2008/09 bis 2011/12 (Rösner 2003).19. Dieses Verfahren gibt

Auskunft über die aktuellen Schülerzahlveränderungen an den Gymnasien, die im Folgenden

für die einzelnen Gebietskörperschaften berichtet werden. Für jeden Jahrgangswechsel wird

dabei eine Durchgangsquote gebildet, die das Verhältnis der Schülerzahl einer bestimmten

Jahrgangsstufe zur Schülerzahl in der nachfolgenden Jahrgangsstufe im darauffolgenden

Schuljahr ausdrückt. Die vier Durchgangsquoten bis zur 9. Jahrgangsstufe miteinander

multipliziert ergeben die virtuelle Erreichbarkeitswahrscheinlichkeit, der die genaue

18

Als Gymnasien mit hohen Verbleibschancen werden in Anlehnung an Hillebrand (2012) jene verstanden, welche im Verlauf der Sek I nur einen geringen Schüleranteil verlieren. Im Umkehrschluss gilt ein Gymnasium mit einem hohen Schülerverlust als ein Gymnasium mit einer niedrigen Verbleibschance. 19

Dabei stehen die demografisch bedingten Schuleintrittszahlen sowie die Analyse von Bildungskarrieren im Hintergrund (vgl. Rösner 2005).

Page 71: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

70

Größenordnung der Schülerzahlveränderung im Verlauf der Sekundarstufe I entnommen

werden kann. Berechnet wird stets jedoch nur der Saldo aus Zu- und Abgängen. Um den

Einfluss der Aufnahmepraxis zu minimieren, wurden die Zugänge in die Gymnasien je

Klassenstufe mit den absoluten Schülerzahlen verrechnet. Trotz dieser Bereinigung sind

Aussagen aufgrund der Ergebnisse mit Vorsicht zu treffen, da nur ein kurzer

Betrachtungszeitrum (von vier Jahren) in die Berechnungen einfließt und aktuelle

schulstrukturelle Veränderungen Einfluss sowohl auf das Nutzungsverhalten der

Bevölkerung als auch auf den Selbsterhaltungswunsch der Gymnasien ausüben können

(Berkemeyer et al. 2013).

Nach Bellenberg (2012) verzeichnen die Thüringer Gymnasien durchschnittlich eine

fünfprozentigen Verlust an Schülern im Verlauf der Sek I und Regel- sowie Gesamtschulen im

Gegenzug Schülerzuwächse (Bellenberg 2012). Das Gymnasium stellt jedoch trotz der

deutlich geringeren Aufnahmequoten von Schulartwechslern, im Vergleich zu Regel- oder

Gesamtschulen, keine reine abgebende Schulart dar. So stellt Bellenberg (2012) heraus, dass

in den Jahrgangsstufen 5 und 6 im Vergleich zu anderen Bundesländern vergleichsweise

hohe Aufnahmequoten festzustellen sind (je 1,9%), und in den höheren Jahrgängen (ab der

8. Klassenstufe) hingegen lediglich geringe Wechsel zum Gymnasium zu verzeichnen sind.

Dieser Sachverhalt kann jedoch auch auf die rechtliche Bedingungen zurückgeführt werden,

da ein Wechsel zu diesem Zeitpunkt nur von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen möglich ist

(ebd.).

Durch die Bereinigung des virtuellen Durchgangsquotenverfahrens mittels der Verrechnung

von Zugängen kann in Thüringen insgesamt eine Durchgangswahrscheinlichkeit von der 5.

bis zur 9. Klassenstufe von 82% festgestellt werden, welche sich durch die Multiplikation der

Durchgangsquoten der einzelnen Jahrgänge ermitteln lässt (vgl. Tabelle 5.2.7-Anhang)20.

Insgesamt verlassen somit 17,5% der Schülerschaft das Gymnasium vorzeitig in der

Sekundarstufe I.

Bei einem Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte zeigt sich, dass die Anteile an

vorzeitigen Abgängern mit 20% in den kreisfreien Städten höher sind als in den Kreisen

(16,6%) und zudem deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften

bestehen.

Werden zunächst die kreisfreien Städte betrachtet, so reicht die Spanne der

Schülerzahlenverluste von -14,9% in der Stadt Gera bis hin zu -24,2% in der Stadt Erfurt. Die

Gymnasien in Gera (ebenso auch in Jena) weisen demnach eine höhere Haltekraft auf als die

Gymnasien der Stadt Erfurt. Wird der große Umfang des alternativen Schulangebots in der

Stadt Jena mit betrachtet, so können darin mögliche Hinweise auf einen

Selbsterhaltungswunsch der Gymnasien und somit dem geringeren Gebrauch der

20

Bezüglich der absoluten sowie bereinigten Schülerzahlen sei hier auf die Tabelle 5.2.8a-g verwiesen.

Page 72: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

71

Abschulungen gesehen werden. Diesbezüglich besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf,

um die genauen Ursachen zu identifizieren.

Zwischen den einzelnen Kreisen Thüringens lassen sich ähnliche Differenzen feststellen:

Während in den Kreisen Saalfeld-Rudolstadt und dem Saale-Holzland-Kreis vergleichsweise

geringe Schülerzahlenverluste von je 12,7% festzustellen sind, belaufen sich die Verluste in

den Kreisen Weimarer Land und Ilm-Kreis auf vergleichsweise hohe -25,1% bzw. -20,1% (vgl.

Tabelle 5.2.7-Anhang).

Die dargestellten Befunde verdeutlichen das Bild des Gymnasiums als eine in großem Maße

abgebende Schulart. Auf welche Mechanismen dies im Einzelnen zurückgeführt werden

kann, vermag in dieser Expertise nicht abschließend geklärt zu werden. Die Homogenisierung

der Schülerschaft nach Leistungsgesichtspunkten oder aber die Umorientierung von Eltern

aufgrund alternativer Schularten, wie die Gesamt- und Gemeinschaftsschule, wären

mögliche Erklärungsfaktoren für die zum Teil deutlichen Schülerzahlenverluste. Dennoch sei

hier auf den dringenden Bedarf an weiterer Forschung verwiesen, um Ursachen und

Mechanismen adäquat zu ergründen.

5.2.5 Die Zusammensetzung des Eingangsjahres der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien

Neben dem Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I sowie Schulartwechseln

innerhalb der Sekundarstufe I ist der Übergang in die Sekundarstufe II des

allgemeinbildenden Schulsystems möglich. Dabei besteht zum einen die Möglichkeit des

Schulartverbleibs, wenn der Schüler zuvor bereits das Gymnasium oder aber die Gesamt-

/Gemeinschaftsschule mit dem Angebot der gymnasialen Oberstufe besucht hat, zum

anderen die Möglichkeit des Aufwärtswechsels von der Regelschule in die Oberstufe an

Gymnasien sowie zu gymnasialen Angeboten der berufsbildenden Schulen (Berkemeyer et

al. 2013).

In diesem Kapitel wird die Zusammensetzung der Schülerschaft in der 10. Klassenstufe der

gymnasialen Oberstufe der Gymnasien nach schulischer Herkunft der Schüler dargestellt.

Zunächst werden jedoch die Übergangsregelungen in die Sekundarstufe II kurz erläutert: Die

reguläre Oberstufe an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen beginnt mit der

Einführungsphase in der 10. Klassenstufe und endet nach einer zweijährigen

Qualifikationsphase (TMBWK 2012). Schülern der Regelschule wird die Möglichkeit eröffnet,

nach Erwerb des Realschulabschlusses in die gymnasiale Oberstufe an Gymnasien

überzutreten, sofern sie in den Fächern Deutsch, Mathematik, der ersten Fremdsprache

sowie dem Wahlpflichtfach mindestens die Note ‚gut‘ erhalten haben.21 Andernfalls besteht

die Möglichkeit an einer Aufnahmeprüfung teilzunehmen. Schüler mit Realschulabschluss

beginnen die gymnasiale Oberstufe an Gymnasien ebenfalls in der 10. Klassenstufe, sodass

sie die Hochschulreife nach 13 Schuljahren absolvieren können (ebd.).

21

Dies ist ein eher problembehaftetes Verfahren, da die Vergabe von Zensuren nicht als hinreichend valide gilt.

Page 73: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

72

Die traditionelle zweigliedrige Schulstruktur Thüringens, mit einer nicht zum Abitur

führenden Schulart, führt nach Bellenberg (2012) sowohl zu einer geringeren horizontalen

als auch zu einer geringeren vertikalen Mobilität. So setzt sich die Schülerschaft in der

Eingangsphase der gymnasialen Oberstufe in den Ländern mit einem zweigliedrigen

Schulsystem, wie Sachsen (98,1%), Sachsen-Anhalt (98,6%) und Thüringen (93,9%),

hauptsächlich aus Schülern zusammen, die bereits in der Sekundarstufe I das Gymnasium

besucht haben (ebd., S.15).

Analog zu den Befunden von Bellenberg (2012) wird ersichtlich, dass sich die gymnasiale

Oberstufe Thüringens zu bedeutenden Anteilen aus der Schülerschaft der Gymnasien

zusammensetzt und diese Anteile über den Betrachtungszeitraum hinweg sowohl in den

Kreisen als auch in den kreisfreien Städten zugenommen hat (vgl. Tabelle 5.2.9-Anhang). So

beträgt der Anteil im aktuellen Bezugsjahr 2011/12 in den Kreisen 94,8% und in den

kreisfreien Städten 96,1%. Schüler aus anderen Schularten machen folglich lediglich einen

kleinen Anteil der Schülerschaft in der Sekundarstufe II an Gymnasien aus, welcher in den

kreisfreien Städten von 9% im Schuljahr 2007/08 auf 4% bis 5% im Schuljahr 2011/12

gesunken ist.

Im Vergleich der Anteile an Regelschülern in der gymnasialen Oberstufe der

Gebietskörpereinheiten zeigt sich, dass der Anteil in den Kreisen etwas höher ist.

Diesbezüglich könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass Schüler in den kreisfreien

Städten über ein größeres Angebot an Gesamt- und Gemeinschaftsschulen verfügen und

zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nicht zwingend das Gymnasium besuchen

müssen.

Auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeigen sich jedoch deutliche regionale

Disparitäten hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft (vgl. Tabelle 5.2.9-

Anhang). Werden die Anteile an Gymnasiasten in der Oberstufe des Schuljahres 2011/12 der

kreisfreien Städte betrachtet, so besteht eine Differenz von 9,7%-Punkten zwischen dem

Anteil in der Stadt Gera (89,4%) und jenem in der Stadt Weimar (99,1%). Die gymnasiale

Oberstufe in Gera setzt sich dabei zu 9,5% aus ehemaligen Schülern der Regelschule

zusammen und erweist sich dadurch als durchlässiger als z.B. die Oberstufe in Weimar.

Auch zwischen den Kreisen Thüringens lässt sich eine weite Spanne von 88,0% im Ilm-Kreis

bis hin zu 99,5% im Kyffhäuserkreis feststellen. Während die Oberstufe in einigen Kreisen

somit fast vollständig durch die eigene Schülerschaft rekrutiert wird, setzt sich die

Schülerschaft der gymnasialen Oberstufe in anderen Kreisen, so auch im Eichsfeld (11,7%)

und im Saale-Holzland-Kreis (11,8%), aus vergleichsweise hohen Anteilen an Schülern

anderer Schularten zusammen. Ein möglicher Erklärungsfaktor wäre auch diesbezüglich der

Selbsterhaltungstrieb der Gymnasien.

Gemeinsam ist den Gebietskörperschaften Thüringens die primäre Aufnahme der

Schülerschaft aus den Gymnasien und nachfolgend den Regelschulen. Lediglich in der

Page 74: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

73

kreisfreien Stadt Jena (2,6%) sowie dem Kreis Sonneberg (2,4%) stammt ein

erwähnenswerter Anteil an Schülern der Oberstufe aus Gesamtschulen und sonstigen

Schulen (vgl. Tabelle 5.2.9-Anhang).

5.2.6 Neuzugänge in das berufsbildende System nach schulischer Vorbildung

Nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule sind die nachfolgenden

Bildungsmöglichkeiten vielfältig. Eine für viele Schüler zentrale Anschlussstelle ist hierbei das

beruflich qualifizierende Schulsystem. Dieses gliedert sich nach einer gängigen Definition in

das Duale System, das Schulberufssystem sowie das Übergangssystem (Baethge, 2008).

Während das Duale System und das Schulberufssystem vollqualifizierende berufliche

Abschlüsse vermitteln, ist das Übergangssystem vielmehr ein Angebot für Schüler, die

aufgrund spezifischer Gründe (z.B. fehlender Hauptschulabschluss) keine Ausbildungsstelle

finden und sich übergangsweise in berufsvorbereitenden Maßnahmen wiederfinden. In

Thüringen führt im Rahmen der Dualen Ausbildung die Berufsschule gemeinsam mit der

betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildung zur beruflichen Qualifikation. Das

Schulberufssystem wird über die höhere Berufsfachschule abgebildet, währenddessen das

Übergangssystem in Thüringen in Form des Berufsvorbereitungsjahrs (BVJ) sowie dem

Schulversuch „Einsteigsqualifizierung Plus“ (EQ-Plus) besteht. Die Chance auf eine

Ausbildungsstelle im Dualen oder schulischen Berufsbildungssystem, bzw. das Risiko des

Übertritts in das Übergangssystem ist nachgewiesenermaßen abhängig von der schulischen

Vorbildung (vgl. Berkemeyer et al. 2013) und lässt sich somit gerechtigkeitsfokussiert

beleuchten.

Tabelle 5.2.10 gibt Auskunft darüber, wie sich die Neuzugänge, erfasst über den höchsten

allgemeinbildenden Schulabschluss, innerhalb der Kreise, kreisfreien Städte und Thüringen

im Jahr 2011 auf die drei Sektoren verteilen. Zu erkennen ist eine deutliche

Ungleichverteilung der neu eingemündeten Schüler nach Abschlussart auf die drei Sektoren.

Während inbesondere Schüler ohne einen Hauptschulabschluss in das o.g. Übergangssystem

übergehen, bleibt der Weg in einen Bildungsgang, der eine Ausbildung im Schulberufssystem

oder im dualen System bedeutet, für die diese Schüler zumeist verschlossen. In dem

Schulberufssystem, das auf die Ausbildung in Berufen des Dienstleistungssektors – oben

beispielweise erfasst als soziale, medizinische oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten – abzielt,

findet sich im Jahr 2011 thüringenweit kein Schüler ohne Abschluss. Mit Blick auf die

Differenzen zwischen Städten und Kreisen ist auffällig, dass in den Kreisen die Schüler mit

einem vorab erworbenen mittlerem Abschluss häufig eine Ausbildung im Schulberufssystem

(60,4%) aufnehmen, wohingegen in den kreisfreien Städten 69,0% dieser Schülergruppe eine

duale Ausbildung aufnehmen. Diejenigen Schüler, die mit einer

Hochschulzugangsberechtigung in das berufsbildende Schulsystem einmünden, nehmen

zumeist eine Ausbildung im Dualen System auf.

Page 75: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

74

Tabelle 5.2.10: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des berufsbildenden Schulsystems nach schulischer Vorbildung, in den Kreisen, kreisfreien Städten und Thüringen, im Jahr 2011

Gebiet

Sektor

ohne Hauptschul- abschluss

mit Hauptschul- abschluss

mittlerer Abschluss

Hochschul- reife

absolut in % absolut in % absolut in % absolut in %

Kreise

duales System 179 19,6 1607 56,8 953 39,6 709 64,5

Schulberufssystem 0 0,0 544 19,2 1452 60,4 391 35,5

Übergangssystem 735 80,4 676 23,9 0 0,0 0 0,0

Absolut 914 100,0 2827 100,0 2405 100,0 1100 100,0

Kreisfreie Städte

duales System 68 16,1 1049 61,1 2224 69,0 1135 72,8

Schulberufssystem 0 0,0 277 16,1 999 31,0 425 27,2

Übergangssystem 355 83,9 390 22,7 0 0,0 0 0,0

Absolut 423 100,0 1716 100,0 3223 100,0 1560 100,0

Thüringen

duales System 247 18,5 2656 58,5 4918 66,7 1844 69,3

Schulberufssystem 0 0,0 821 18,1 2451 33,3 816 30,7

Übergangssystem 1090 81,5 1066 23,5 0 0,0 0 0,0

Absolut 1337 100,0 4543 100,0 7369 100,0 2660 100,0 Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Aus der Gerechtigkeitsperspektive nimmt das duale Ausbildungssystem eine besondere

Stellung ein, da dieses potentiell gute Integrationschancen gerade für schulisch

geringqualifizierte Jugendliche bietet und somit einen Weg darstellt, nach der erfolgreichen

Beendigung der dualen Ausbildung den Schritt in das Erwerbsleben zu gehen (Berkemeyer et

al., 2013). Trotz des international hohen Ansehens des deutschen dualen

Ausbildungssystems (Baetghe, 2008) ist zu beachten, dass durch die Beteiligung der

Ausbildungsbetriebe und deren Abhängigkeit von der konjunkturellen Lage die

Aufnahmekapazitäten dieses Sektor stärker als die Kapazitäten des Schulberufssystems auf

wirtschaftliche Dynamiken reagieren. Von einer geminderten Ausbildungsfreudigkeit der

Betriebe sind insbesondere die Jugendlichen ohne Abschluss bzw. mit einem

Hauptschulabschluss betroffen (Berkemeyer, Bos und Manitius, 2012).

Die Betrachtung der nach Abschlüssen differenzierten Neuzugänge, die im Jahr 2011 eine

duale Berufsausbildung begonnen haben, zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Schüler mit

einem mittleren Abschluss in eine solche einmünden (Abbildung 5.2.3, Tabelle 5.2.11-

Anhang). Die nächstgrößte Gruppe stellen die Schüler mit einem Hauptschulabschluss

(27,5%) dar, gefolgt von den Schülern mit einer Hochschulzugangsberechtigung (19,1%).

Demgegenüber sind nur 2,6% aller Neuzugänge Schüler, die keinen allgemeinbildenden

Abschluss aufweisen können. In der regionalen Perspektive mit Blick auf die

Schulamtsbezirke zeigt sich, dass vor allem in Südthüringen viele Schüler ohne

Hauptschulabschluss eine duale Ausbildung aufnehmen. Zudem ist auffällig, dass

Mittelthüringen einen hohen Wert (27,4%) an Neuzugängen aufweist, die bereits eine

Hochschulzugangsberechtigung besitzen.

Page 76: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

75

Abbildung 5.2.3: Neuzugänge in das duale Ausbildungssystem nach schulischer Vorbildung in den Schulamtsbereichen Thüringens, im Jahr 2011 (in%)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Page 77: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

76

5.3 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Kompetenzförderung

Als institutionelle Räume des Lernens sollen Schulsysteme dazu beitragen, sämtliche

Potenziale der Schüler auzuschöpfen. Dieser Anspruch einer bestmöglichen individuellen

Kompetenzausschöpfung impliziert die Vermeidung einseitiger, auf bestimmte

Schülergruppen konzentrierte Fördereffekte.

Aufschlüsse über die Leistungsfähigkeit eines Schulsystems geben u.a. Kennwerte zu den

Lesekompetenzständen der Schüler an. Informationen hierüber halten auf der Ebene von

Nationalstaaten oder Bundesländern verschiedene Schulleistungsstudien wie PISA, IGLU

oder die Untersuchungen zu den Bildungsstandards bereit. In Vergleichen der deutschen

Länder gehört Thüringen kontinuierlich zur Gruppe der Länder mit höheren Testergebnissen,

was auf eine gelingende Kompetenzförderung hindeutet. Betrachtungen auf diesen

großräumigen Ebenen zeigen allerdings nicht an, inwieweit Differenzen zwischen einzelnen

Landesteilen bestehen. Aufgrund dieses Desiderats soll in diesem Kapitel mittels der

Ergebnisse der landesweiten Kompetenztests das Augenmerk auf potenzielle

Leistungsunterschiede zwischen den Gebietskörperschaften Thüringens gerichtet werden.

Somit lassen sich womöglich trotz des relativen Erfolgs Thüringens in den

ländervergleichenden Untersuchungen differenzierte Handlungsbedarfe auf der Ebene von

Kreisen oder kreisfreien Städten feststellen.

Die Lesekompetenz als fachübergreifende Kompetenz, die von grundlegender Bedeutung für

die allgemeine Lernfähigkeit sowie die gesellschaftliche Teilhabe ist (vgl. Baumert 2001), ist

insbesondere seit dem Bekanntwerden der im internationalen Vergleich schwächeren

Leseleistungen deutscher Schüler in der PISA-Studie 2000 in den Fokus von Wissenschaft,

Öffentlichkeit und Bildungspolitik gerückt.22 Als Reaktion auf diese ernüchternden

Ergebnisse wurden Bildungsstandards formuliert, die mittlerweile für mehrere Domänen

und Klassenstufen verbindlich eingeführt wurden. Diese in Form von Kompetenzen

beschriebenen Bildungsziele geben an, welche kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten die

Schüler zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Bildungslaufbahn aufweisen sollen (Weinert 2001,

KMK 2003).23

Zur Ermittlung der anhand der Bildungsstandards definierten Leistungsstände werden

Kompetenztests oder auch Vergleichsarbeiten (VERA-3 und VERA-8) als Bestandteil der

Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring flächendeckend in den 3. und 8. Klassen

aller allgemeinbildenden Schulen verpflichtet durchgeführt (KMK 2006). Während die

Leistungsvergleichsstudien auf das Systemmonitoring abzielen, wird mit Kompetenztests das

Ziel der fortlaufenden Unterrichts- und Schulentwicklung verfolgt (KMK 2012). Inwiefern die 22 Auch im Rahmen dieser Expertise erfährt die Lesekompetenz eine besondere Berücksichtigung, wenngleich die Bedeutung anderer Domänen, wie Mathematik oder Naturwissenschaften, nicht unerwähnt bleiben soll. 23 Formuliert wurden Bildungsstandards in der Primarstufe für die Fächer Deutsch und Mathematik, in der Sekundarstufe I in den Fächern Deutsch, Mathematik, der ersten Fremdsprache (Jahrgangsstufe 9 und 10), sowie den Fächern Biologie, Chemie und Physik in der 10. Jahrgangsstufe

Page 78: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

77

Ergebnisse aber tatsächlich für die Lehrkräfte verwendbar sind und diese Berücksichtigung in

der pädagogischen Praxis finden, ist derzeit nicht abschließend geklärt (Berkemeyer/Bos

2009; Maier 2008).

Entwickelt werden die Kompetenztests seit 2009 durch das IQB (Institut zur

Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) in Berlin in Zusammenarbeit mit einer

Expertengruppe von Lehrkräften, Fachdidaktikern und Wissenschaftlern. Die Zuständigkeit

für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Kompetenztests liegt hingegen bei

den Ländern selbst. In Thüringen wurden Kompetenztests bereits im Schuljahr 2002/03

verbindlich eingeführt und inzwischen in den Klassenstufen 3 und 8 in den Fächern, Deutsch,

Mathematik sowie in der 8. Klassenstufe auch in der ersten Fremdsprache eingesetzt

(Nachtigall/Müller 2010).24 Verantwortlich für die Realisierung ist seit dem Jahr 2002,

beauftragt durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der Lehrstuhl für

Methodenlehre und Evaluationsforschung an der Universität Jena. Die Durchführung der

Tests in den Schulen sowie die Auswertung der einzelnen Aufgaben und die internetbasierte

Dateneingabe erfolgten durch die Lehrkraft.25

Eine Vielzahl der Bundesländer bedient sich bei der Darstellung und Rückvermittlung der

Ergebnisse des Kompetenztests eines durch das IQB Berlin entwickelten

Kompetenzstufenmodells. Dieses ermöglicht, die erbrachten Leistungen den

schulstufenentsprechenden Kompetenzstufen zuzuordnen. In Thüringen wird das

Kompetenzstufenmodell bei der Rückmeldung der Ergebnisse auf Klassenebene eingesetzt.

Hierbei erfährt die Lehrkraft zwar, wie viele Aufgaben einer Kompetenzstufe die Schüler

ihrer Klasse anteilsmäßig lösen, eine schülerscharfe Zuordnung der gemessenen mittleren

Leistungen auf eine Kompetenzstufe wird hingegen nicht angeboten. Dem Anspruch nach

werden der Lehrkraft infolge des derzeit realisierten Verfahrens sowohl Stärken als auch

Schwächen der Klasse hinsichtlich der Bildungsstandards veranschaulicht und Hinweise auf

zukünftig zu berücksichtigende Unterrichtsinhalte geliefert (Nachtigall 2012).

Die in der Expertise verwendeten Daten der Kompetenztests werden nicht auf der aus den

Schulleistungsstudien bekannten Metrik dargestellt. Während in den

Leistungsvergleichsstudien zumeist ein Mittelwert von 500 und eine Standardabweichung

von 100 festgesetzt sind, setzt sich die Gesamtpunktzahl der Kompetenztests aus der Anzahl

der Aufgaben zusammen. Da diese jährlich, in Abhängigkeit des eingesetzten Tests, variiert,

ist ein Vergleich der Mittelwerte über die Jahre 2009 bis 2012 hinweg wenig aussagekräftig.

24 In der Klassenstufe 8 wurde die Lesekompetenz erstmalig im Jahr 2009 erfasst. In der 6. Klassenstufe ist den Schulen die Wahl des Testfaches freigestellt, wobei der Test nicht verpflichtend ist und auch im Rahmen dieser Expertise keine Berücksichtigung erfährt. 25 Die Teilnehmerzahlen der einzelnen Jahre können der Tabelle 5.3.1-Anhang entnommen werden.

Page 79: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

78

Im Folgenden werden die Ergebnisse daher als durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl

in Form von Prozentwerten abgebildet (vgl. Tabelle 5.3.2-Anhang).26

Zur Wahrung der Anonymität der Einzelschule werden diejenigen Kreise bzw. kreisfreien

Städte, die weniger als fünf Schulen je Schulstufe aufweisen, in den Analysen nicht

berücksichtigt. Dies betrifft bezüglich der Sekundarstufe I die Stadt Suhl, da hier im Schuljahr

2011/12 nur drei Schulen innerhalb dieser Schulstufe existierten. Zudem sind infolge dieser

Regelung Schulartvergleiche innerhalb der einzelnen Gebietskörperschaften nur für sieben

Kreise und kreisfreie Städte möglich und werden aufgrund der geringen Fallzahl im Verlauf

nicht gesondert dargestellt und beschrieben. Eine unkommentierte Übersicht hierzu gibt

aber Tabelle 5.3.3-Anhang.

Das nachfolgende Kapitel gliedert sich wie folgt: Zunächst werden die durchschnittlich

erreichten Gesamtpunktzahlen in Form von Anteilswerten der einzelnen

Gebietskörperschaften dem spezifischen Erwartungswert27 je Gebietskörperschaft

gegenübergestellt. Darauf folgen die Darstellung der Schülerverteilung nach der

durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl sowie Analysen hinsichtlich

Geschlechterdifferenzen und herkunftsbedingten Leistungsunterschieden, wobei die soziale

Herkunft über die Anzahl von Büchern in den Familienhaushalten ermittelt wurde.

5.3.1 Vergleich der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl mit dem Erwartungswert Nachfolgend werden die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen der Schüler aus den

einzelnen Gebietskörperschaften dem korrigierten Landesmittelwert gegenübergestellt. Der

korrigierte Mittelwert fungiert dabei als (fairer)Vergleichswert oder auch Erwartungswert28,

welcher jene Faktoren berücksichtigt, die durch die Lehrkraft nicht veränderbar sind,

erfahrungsgemäß aber die Leistungsentwicklung beeinflussen. Dadurch wird ermöglicht, die

gemessenen Leistungen den zu erwartenden Leistungswerten vergleichend

gegenüberzustellen. Neben der Schulart berücksichtigt der korrigierte Mittelwert die

Zusammensetzung der Schülerschaft nach dem Geschlecht und der Muttersprache, die

soziale Herkunft, vermittelt über die Anzahl der Bücher im Haushalt, sowie die Anzahl an

Wiederholern einer Klassenstufe und Schülern mit diagnostizierten besonderen

Lernschwierigkeiten und sonderpädagogischen Förderbedarfen (Nachtigall/Müller 2010).

Dieses Vorgehen zeigt, unter welchen Bedingungen die Einzelschulen arbeiten und ob sie die

erwarteten Leseleistungen über- oder unterschreiten. Dennoch sollte der Erwartungswert

26 Hierfür werden die Mittelwerte anhand der jährlichen Maximalpunktzahl in die durchschnittliche Gesamtpunktzahl umgewandelt. 27 Dieser wird im nachfolgenden Abschnitt beschrieben. 28 Der Erwartungswert wird hier definiert als ein Wert, welcher aufgrund der Berücksichtigung bestimmter Schülermerkmale jene Leistungswerte angibt, die zu erwarten sind. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass nur eine bestimmte Anzahl von Aspekten beachtet werden können.

Page 80: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

79

sowohl hinsichtlich der tatsächlich bereitstellenden Information als auch des

Interpretationsgehalts nicht unkritisch betrachtet werden. Problematisch kann der

Erwartungswertvergleich insbesondere dann sein, wenn dieser zur Legitimierung der

erbrachten, möglicherweise gegenüber dem Erwartungswert guten Leistungen

herangezogen wird, die Kompetenzen der Schüler aber dennoch nicht dem erforderlichen

Standard genügen. Ein kombiniertes Bewertungserfahren, welches zugleich auf die

leistungsrelevanten Bedingungslagen der Schulen hinweist, aber auch ein erforderliches

Mindestmaß an fachbezogenen Fähigkeiten definiert, wäre sicherlich, gerade aus Gründen

der Sicherung eines ausreichenden Fähigkeitensets zur Teilnahme am schulischen und

gesellschaftlichen Leben, wünschenswert.

Für das nachfolgende Kapitel ist anzumerken, dass durch die Betrachtung von

Gebietskörperschaften, welche Schulen verschiedener Schularten umfassen, keine

Unterschiede zwischen einzelnen Schulen oder Schularten herausgestellt werden können.

Die aggregierte Betrachtung der Schularten des Sekundarbereichs kann aufgrund der

divergierenden Verteilungsmuster, so weist die Stadt Jena etwa verhältnismäßig viele

Gymnasien auf, zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen. Die Darstellung erfolgt zunächst

für den Primar- und nachfolgend für die Sekundarstufe.

Primarstufe

Ein Vergleich zwischen der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl von Grundschülern

der einzelnen Gebietskörperschaften mit dem (fairen) Vergleichswert, nachfolgend

Erwartungswert genannt, ist in Tabl. 5.3.4-Anhang für das Jahr 2012 dargestellt. Zusätzlich

sind die entsprechenden Werte auf Länderebene eingetragen, wobei sich die tatsächlich

erreichte durchschnittliche Gesamtpunktzahl und der Erwartungswert nahezu entsprechen.

Zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften zeichnen sich jedoch divergierende

Abweichungen zum Erwartungswert ab. Bei der Klassifikation der Differenzen wird analog zu

den Thüringer Schulrückmeldungen der Wert von 3%-Punkten als Richtgröße angesehen,

sodass Differenzen von unter 3%-Punkten als geringe Abweichungen und jene über 3% als

bedeutsame Abweichungen29 verstanden werden (Nachtigall/Müller 2010).

Zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten zeichnet sich ein recht heterogenes Bild

sowohl hinsichtlich der erreichten Gesamtpunktzahl als auch hinsichtlich des jeweiligen

Erwartungswertes ab. Während einigen Gebietskörperschaften die Ausschöpfung der

erwarteten Leistungsfähigkeit besser gelingt als anderen, bestehen bei einigen negative

Leistungsdifferenzen im Sinne einer Unterschreitung des erwarteten Leistungsniveaus.

Werden zunächst die kreisfreien Städte betrachtet, ist anzumerken, dass die

29 Ein Unterschied von 3%-Punkten im Ergebnis entspricht etwa einer gelösten Aufgabe. Dieser Unterschied ist für die gesamte Untersuchungspopulation im Mittel festzustellen, wodurch sich die Zuschreibung einer Bedeutsamkeit als plausibel erweist.

Page 81: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

80

Erwartungswerte für die Städte Suhl (72,2%) und Weimar (71,7%) leicht oberhalb des

Landeserwartungswertes liegen (vgl. Tabelle 5.3.4-Anhang).

Während die Leistungen der Schüler in Weimar den Erwartungen entsprechen, weichen die

Leseleistungen von Schülern der Stadt Suhl geringfügig, aber nicht bedeutsam ab. Die Stadt

Jena ist hingegen durchaus als leistungsstark zu bezeichnen, erreichen die Schüler doch

durchschnittlich eine gegenüber dem Erwartungswert 3,4%-Punkte höhere

Gesamtpunktzahl.

Ähnlich der Differenzen zwischen den Städten zeigen sich die Unterschiede zwischen den

Kreisen. Für neun der 17 Kreise werden Leistungswerte oberhalb des Landesdurchschnitts

erwartet. Dies kann möglicherweise auf Schülermerkmale, welche der korrigierte Mittelwert

berücksichtigt, zurückgeführt werden. Welche Merkmale dies im Einzelnen betrifft, kann im

Rahmen dieser Expertise jedoch nicht abschließend geklärt werden.

Bei einem Vergleich der Erwartungswerte mit den durchschnittlich erreichten

Gesamtpunktzahlen ist lediglich im Kreis Gotha eine Unterschreitung von über 3%-Punkten

auszumachen (vgl. Tabelle 5.3.4-Anhang). Einige Gebietskörperschaften wie das Altenburger

Land (-2,6%), der Ilm-Kreis (-2,5%) sowie der Kreis Saalfeld-Rudolstadt (+2,7%) bewegen sich

nah am Grenzwert. Insgesamt ist für die Primarstufe zu sehen, dass der Vergleich der

ermittelten Kompetenzwerte und der Erwartungswerte kaum bedeutsame Differenzen

aufzeigt, worauf auch der geringe Unterschied zwischen den Gesamtwerten für Thüringen

hinweist.

Sekundarstufe I

Auch für die Sekundarstufe I werden die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen der

Gebietskörperschaften mit den jeweiligen (fairen)Vergleichs- bzw. Erwartungswerten für das

Jahr 2012 angegeben. Ein Vergleich des real gemessenen Wertes mit dem Erwartungswert

für Thüringen zeigt, dass die Kompetenzförderung in der Sekundarstufe I auf Landesebene

zu gelingen scheint, da der Messwert positiv vom Erwartungswert abweicht (vgl. Tabelle

5.3.5-Anhang).

Zwischen den Erwartungswerten der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte sowie den

tatsächlichen Leseleistungen lassen sich lediglich geringe Differenzen feststellen (vgl. Tabelle

5.3.5-Anhang). Auf Kreisebene weichen das Eichsfeld (+3,7%) und der Saale-Holzland-Kreis

(+3,9%) in positiver Weise bedeutsam vom Erwartungswert ab (vgl. Tab. 5.3.5-Anhang).30 Auf

der Ebene der kreisfreien Städte Jena (+4,7%) und Weimar (+3,1%) lassen sich ebenfalls

positive Abweichungen vom Erwartungswert feststellen, wobei insbesondere Leseleistungen

der Jenaer Schüler deutlich oberhalb der Erwartungen liegen.

30 Die durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen nach Gebietskörperschaft sowie der spezifische Erwartungswert können der Tabelle 5.3.5-Anhang entnommen werden.

Page 82: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

81

Das Abschneiden der Gebietskörperschaften Kyffhäuserkreis und Sömmerda ist jedoch

ebenso auffällig. Trotz bereits deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegender

Erwartungswerte weisen diese Kommunen tatsächlich ermittelte Leistungsstände auf, die

den Erwartungswert noch einmal bedeutsam unterschreiten: Die Schüler im Kyffhäuserkreis

erreichen durchschnittlich eine um 4,9%-Punkte geringere Gesamtpunktzahl, für Sömmerda

findet sich eine Unterschreitung um 4,2%-Punkte. Bei einem Vergleich zwischen der Primar-

und Sekundarstufe I dieser beiden Kreise ist zudem auffällig, dass der Kyffhäuserkreis zwar in

der Sekundarstufe I Schwächen zu verzeichnen hat, dafür jedoch die Kompetenzförderung in

der Primarstufe besser zu gelingen scheint.

Lesekompetenz nach Schulart

Differenzen zwischen der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl und dem

Erwartungswert in der Primarstufe im Vergleich zur Sekundarstufe können durch

verschiedene Faktoren begründet werden. Zum einen können die Abweichungen auf

testimmanente Unterschiede zurückgeführt werden und zum anderen auf innerhalb des

Erwartungswertes berücksichtigte Faktoren, wie bspw. die Schulart, wofür exemplarisch

Analysen angestellt wurden.

Ein Vergleich der Ergebnisse zwischen den Schularten deutet auf schulartspezifische

Leistungsunterschiede in der Domäne Lesen hin, welche sich im Jahr 2012 durch eine

Punktedifferenz von durchschnittlich 18,5%-Punkten äußern: Während Gymnasiasten

durchschnittlich 76,3% der maximal erreichbaren Gesamtpunktzahl erzielen, beträgt der

Anteil an Regelschulen 57,8% (vgl. Tabelle 5.3.2-Anhang).

Diese Befunde sind konform zu bisherigen Forschungserkenntnissen aus

Schulleistungsvergleichsstudien, wie bspw. PISA (Baumert et al. 2006) oder der

Untersuchung zu den Lernausgangslagen in Hamburg (Lehmann et al. 2002).

Leistungsunterschiede zwischen den verschiedenen Schularten sind nach Baumert et al.

(2006) ein Produkt differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus. Die leistungsmäßige

Verteilung der Schüler nach der Grundschule führe nach Baumert et al. (2006, S.95ff.) zum

einen zu einer Homogenisierung der Schülerschaft hinsichtlich der Leistung, zum anderen

jedoch auch, aufgrund der Kovariation mit der sozialen Herkunft, zu einer sozialen

Segregation. Unabhängig von den Eingangsbedingungen der Schüler werden durch den

Verteilungsprozess sowie institutionelle ‚Arbeits- und Lernbedingungen’ je nach Schulart

differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus bereitgestellt, welche sich in differenziellen

Leistungsständen widerspiegeln (ebd.).

Page 83: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

82

Vergleich der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl (in %) mit dem Landeswert im Zeitverlauf von 2010 bis 2012

Neben der Betrachtung der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl im Verhältnis zu

dem Erwartungswert je Gebietskörperschaft besteht die Möglichkeit der Analyse von

Differenzen zwischen den durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahlen je

Gebietskörperschaft und dem durchschnittlichen Landeswert im Zeitverlauf von 2010 bis

2012. Durch diese Art der Darstellung soll keine Wertung der einzelnen

Gebietskörperschaften hinsichtlich der Höhe der erreichten Gesamtpunktzahl erfolgen,

sondern Tendenzen zur Annäherung bzw. Entfernung vom durchschnittlichen Landeswert

aufgezeigt werden. Auch diesbezüglich gilt eine Differenz von 3%-Punkten als Richtwert zur

Klassifikation von Annäherungs- bzw. Entfernungstendenzen (<3%) sowie bedeutsamen

Entwicklungen (>3%, Nachtigall/Müller 2010). Die Darstellung erfolgt zunächst für die

Primarstufe und nachfolgend die Sekundarstufe I, jeweils im Zeitvergleich von 2010 bis 2012.

Primarstufe

Innerhalb der Primarstufe zeigen sich hinsichtlich der Annäherung bzw. Entfernung vom

durchschnittlichen Landeswert flächendeckend keine bedeutsamen Entwicklungen,

gemessen an der Richtgröße von 3%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.6).

Während in dem Großteil der Gebietskörperschaften nur marginale Differenzen zwischen

den Jahren bestehen, lassen sich jedoch sieben Gebietskörperschaften identifizieren, in

denen Annäherungs- bzw. Entfernungstendenzen ausgemacht werden können: Während in

der Stadt Eisenach im Jahr 2010 keine Differenz (0,1%) zum durchschnittlichen Landeswert

besteht, sind in den Jahren 2011 sowie 2012 negative Differenzen festzustellen, welche auf

eine potenzielle Tendenz der negativen Entfernung vom Landeswert verweisen. Ähnlich

gestaltet sich die Entwicklung in den Gebietskörperschaften Altenburger Land und Ilm-Kreis.

Während im Jahr 2010 keine bzw. nur sehr geringe Differenzen zum durchschnittlichen

Landeswert festgestellt werden können, verweisen die Differenzen im Jahr 2012 mit -2,7%-

Punkten im Ilm-Kreis und -2,5%-Punkten im Altenburger Land auf eine „mögliche“ negative

Tendenz. Hinsichtlich des Ilm-Kreises muss jedoch angemerkt werden, dass die

durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl im Jahr 2011 +1,9%-Punkte höher lag als der

Landeswert, sodass diesbezüglich die fortlaufende Entwicklung betrachtet werden sollte, um

auf eine konstante Tendenz schließen zu können.

Page 84: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

83

Tabelle 5.3.6: Differenz zwischen der durchschnittlichen erreichten Gesamtpunktzahl der Gebietskörperschaft und dem Landeswert in der Primarstufe, in den Jahren 2010 bis 2012

Kreise/kreisfreie Städte 2010 2011 2012

in %-Punkten in %-Punkten in %-Punkten

Stadt Erfurt -2,8 -0,3 -2,1

Stadt Gera -2,2 1,9 -1,8

Stadt Jena 5,8 4,7 3,4

Stadt Suhl 1,7 - -1,1

Stadt Weimar -1,0 -0,1 0,3

Stadt Eisenach 0,1 -5,6 -2,6

Eichsfeld 0,9 3,7 2,4

Nordhausen 0,8 0,2 1,0

Wartburgkreis 1,3 1,9 1,1

Unstrut-Hainich-Kreis -3,6 -1,9 -1,1

Kyffhäuserkreis -2,8 1,1 1,1

Schmalkalden-Meiningen 1,6 0,9 0,7

Gotha -2,2 -2,9 -3,4

Sömmerda -2,5 -3,6 -0,2

Hildburghausen 2,4 -1,1 0,4

Ilm-Kreis -0,2 1,9 -2,7

Weimarer Land 1,3 -1,3 -0,5

Sonneberg -2,5 -1,4 0,8

Saalfeld-Rudolstadt 2,0 1,0 3,0

Saale-Holzland-Kreis 2,8 1,6 2,1

Saale-Orla-Kreis -1,0 -1,3 -1,1

Greiz 0,9 2,0 2,8

Altenburger Land -0,7 -1,5 -2,5

Kreise -0,1 0,0 0,2

Kreisfreie Städte 0,3 0,1 -0,7 Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Positive Tendenzen zeigen sich in den Kreisen Unstrut-Hainich-Kreis, Sömmerda, Sonneberg

und Greiz. In diesen Kreisen verringerte sich im Zeitverlauf von 2010 bis 2012 der Abstand

der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl von dem Landeswert (vgl. Tabelle 5.3.6).

Sekundarstufe I Ähnlich der Befunde zur Primarstufe lassen sich innerhalb der Sekundarstufe I keine

bedeutsamen Entwicklungen in den Abständen zum Landeswert, gemessen an dem

Richtwert von 3%-Punkten feststellen. In den meisten Gebietskörperschaften zeigen sich nur

marginale Differenzen sowie leichte Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren, welche

auf keine Tendenz schließen lassen. Allerdings lassen sich in sechs Gebietskörperschaften

potenzielle Trends ausmachen (vgl. Tabelle 5.3.7). Positive Tendenzen zeigen sich z.B. in der

Stadt Weimar sowie den Kreisen Weimarer Land und Unstrut-Hainich-Kreis. Während sich in

den beiden Kreisen negative Abweichungen durch Annäherungstendenzen zum

Page 85: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

84

durchschnittlichen Landeswert im Zeitverlauf verringert haben, zeigt sich im Weimarer Land

eine positive Tendenz der Entfernung vom durchschnittlichen Landeswert durch höhere

Gesamtpunktzahlen. Negative Tendenzen zeigen sich jedoch in den kreisfreien Städten Gera

und Eisenach sowie dem Wartburgkreis: Im Jahr 2010 weichen die durchschnittlichen

Gesamtpunktzahlen der kreisfreien Städte positiv vom durchschnittlichen Landeswert ab.

Über den Zeitverlauf von 2010 bis 2012 nimmt die Differenz in den beiden kreisfreien

Städten jedoch um ca. 2%-Punkte ab, sodass im Jahr 2012 keine Abweichung mehr zwischen

der durchschnittlichen Gesamtpunktzahl und dem Landeswert für die Stadt Eisenach

besteht. Zudem hat sich die deutliche Differenz der Stadt Gera, von 4,1%-Punkte im Jahr

2010 auf nunmehr 2,1%-Punkte im Jahr 2012 verringert.

Positiv zeigt sich die Entwicklung im Weimarer Land: Während im Jahr 2010 noch eine

negative Differenz von -3,5%-Punkten festzustellen ist, zeigen sich Annäherungstendenzen

an den durchschnittlichen Landeswert, sodass im Jahr 2012 lediglich eine marginale negative

Differenz von -0,6%-Punkten festgestellt werden kann (vgl. Tabelle 5.3.7).

Tabelle 5.3.7: Differenz zwischen der durchschnittlichen erreichten Gesamtpunktzahl der Gebietskörperschaft und dem Landeswert in der Sekundarstufe, in den Jahren 2010 bis 2012

Kreise/ kreisfreie Städte 2010 2011 2012

in % in % in %

Stadt Erfurt -1,2 0,4 -0,4

Stadt Gera 4,1 2,1 2,1

Stadt Jena 9,5 8,9 9,2

Stadt Weimar 2,0 3,2 4,5

Stadt Eisenach 2,4 1,6 0,1

Eichsfeld 0,7 -0,6 0,8

Nordhausen -0,8 -0,7 -1,8

Wartburgkreis -1,8 0,2 -3,0

Unstrut-Hainich-Kreis -3,3 -1,3 -1,6

Kyffhäuserkreis -3,9 -6,9 -4,4

Schmalkalden-Meiningen 0,4 0,7 -0,9

Gotha -2,0 -0,1 -0,9

Sömmerda -5,5 -6,1 -4,3

Hildburghausen -0,6 -0,7 -1,1

Ilm-Kreis -1,0 -0,1 -0,3

Weimarer Land -3,5 -2,6 -0,6

Sonneberg 1,3 2,1 -0,1

Saalfeld-Rudolstadt 2,1 0,3 0,9

Saale-Holzland-Kreis 2,2 0,8 2,6

Saale-Orla-Kreis -0,5 -0,4 0,8

Greiz 1,5 1,7 -0,1

Altenburger Land -2,1 -2,8 -1,6

Kreise -1,0 -1,0 -0,9

Kreisfreie Städte 3,4 3,3 3,1 Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen

Page 86: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

85

Trotz dieser zum Teil deutlichen Tendenzen, können auf Basis der Datengrundlage, von

lediglich drei Messzeitpunkten, kleine zuverlässigen Aussagen über Entwicklungen getätigt

werden. Allerdings liefern diese Ergebnisse erste Hinweise auf Tendenzen.

5.3.2 Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien Aufschluss über die Leistungsfähigkeit der Schulen einzelner Gebietskörperschaften gibt

neben der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl die Leistungsheterogenität der

Schülerschaft. Diese wird über eine Verteilung der Schüler auf vier Leistungskategorien

abgebildet: 1) Schüler, welche weniger als 25% der maximal zu erreichenden Punktzahl

erzielen und somit einer Risikogruppe angehören, da das Erreichen

der Bildungsstandards nicht gewährleistet werden kann, 2) Schüler, welche 26-50% der

maximalen Gesamtpunktzahl erreichen, 3) Schüler, welche zwischen 51-75% der

Gesamtpunktzahl erlangen sowie 4) Schüler, die mehr als 75% der Gesamtpunktzahl erzielen

und somit im Vergleich zu den anderen Gruppen der Spitzengruppe angehören.

Primarstufe

In der Abbildung 5.3.1 sind die Schüleranteile in den vier Kategorien nach der

durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl je Gebietskörperschaft im Jahr 2012

abgebildet. Der Anschaulichkeit halber wurden die Ergebnisse der Gebietskörperschaften

wie folgt sortiert: Kreise und kreisfreie Städte mit der geringsten Anzahl an leistungsstarken

Schülern (der vierten Kategorie) werden im oberen Teil der Abbildung und

Gebietskörperschaften mit dem höchsten Anteil an leistungsstarken Schülern im unteren Teil

der Abbildung dargestellt.

Page 87: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

86

Abbildung 5.3.1. Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien in der Primarstufe, im Jahr 2012 (in%)

Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Im Kyffhäuserkreis gehören im Vergleich zu den anderen Gebietskörperschaften nur 27,6%

der Testpopulation der leistungsstarken Schülerschaft an, dafür über die Hälfte der

Schülerschaft der dritten Kategorie. Dies ist insofern positiv zu werten, als angenommen

werden kann, dass die Schüler der dritten Kategorie über die Kompetenzen der

Regelstandards verfügen (vgl. Tabelle 5.3.8-Anhang). Die Stadt Jena, in der Abbildung 5.3.1

unten zu finden, verfügt hingegen über den größten Anteil an leistungsstarken Schülern,

wobei der Anteil 46,5% der Schülerschaft ausmacht (vgl. Tabelle 4.4.8-Anhang). Beiden

Kreisen ist trotz des unterschiedlich starken Anteils an leistungsstarken Schülern, der vierten

Kategorie, nur ein sehr geringer Anteil von 2,1% der Risikogruppe zuzuordnen, was auf eine

gelungene Förderung der leistungsschwächsten Schüler schließen lässt.

Die Stadt Weimar (5,2%) sowie der Kreis Nordhausen (4,0%) weisen hingehen unter den

Gebietskörperschaften mit den größten Anteilen an leistungsstarken Schülern gleichzeitig

die größten Anteile an leistungsschwachen Schülern auf, was auf eine hohe

Leistungsheterogenität innerhalb der Testpopulation schließen lässt.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass mit einer Zunahme an leistungsstarken Schülern

(der vierten Kategorie) die Anteile an Schülern der dritten Kategorie zu sinken scheinen, aber

kein Zusammenhang mit den leistungsschwächsten Schülern sichtbar wird.

Sekundarstufe I In der Abbildung 5.3.2 sind analog zum vorangegangen Abschnitt die Schüleranteile in den

vier Kategorien nach der durchschnittlich erreichten Gesamtpunktzahl für die Schüler der

Page 88: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

87

Klasse 8 abgebildet. Die Gebietskörperschaften mit den geringsten Anteilen an

leistungsstarken Schülern werden auch hier im oberen Teil der Abbildung dargestellt und die

Kreise und kreisfreien Städte mit den höchsten Anteilen im unteren Teil der Abbildung (vgl.

Tabelle 5.3.9-Anhang).

Abbildung 5.3.2: Verteilung der Schüler nach Leistungskategorien in der Sekundarstufe I, im Jahr 2012 (in%)

Anmerkungen: Die Stadt Suhl wird aufgrund der geringen Schulanzahlen und der Sicherung der Anonymität der Einzelschule nicht aufgeführt. Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Die Stadt Jena ist auch bei Sekundarschülern diejenige Stadt, die den größten Anteil an

leistungsstärksten Schülern (47,3%) und zugleich den geringsten Anteil an

leistungsschwächsten Schülern (0,8%) zeigt. Im Kreis Sömmerda lassen sich hingegen

lediglich 16,1% an leistungsstarken Schülern feststellen. Auch der Kyffhäuserkreis, welcher

bereits hinsichtlich der Primarstufe die vergleichsweise geringsten Anteile an

leistungsstärksten Schülern verbucht, gehört mit 18,1% leistungsstarker Schüler, gemessen

an allen Schülern des Kreises, der Gruppe der sechs leistungsschwächsten

Gebietskörperschaften an. Auffällig ist, dass in der Sekundarstufe größere Anteile an

Schülern der zweiten Kategorie (26-50% der Gesamtpunktzahlen erreicht) angehören. Dies

ist unter Umständen auf die Leistungsfähigkeit verschiedener Schularten zurückzuführen

(Baumert et al. 2006).

5.3.3 Geschlechterspezifische und soziale Disparitäten im Lesekompetenzerwerb

Die Heterogenität von Schulsystemen hinsichtlich ihrer Kompetenzförderungsfähigkeiten

misst sich auch daran, welche spezifischen Schülergruppen welche Leistungen aufweisen.

Page 89: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

88

Viele Schulleistungsuntersuchungen zeigen hier Disparitäten im Kompetenzerwerb sowohl

zwischen den Geschlechtern als auch zwischen verschiedenen sozialen Milieus auf. Im

Anschluss an diese Befunde wird nachfolgend anhand dieser Merkmale danach geschaut, ob

Disparitäten innerhalb Thüringens bestehen und wo diese ggf. besonders groß bzw.

besonders niedrig sind.

Geschlechterspezifische Unterschiede in der Lesekompetenz

Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleichsstudien, wie PISA 2000 oder IGLU

2001 deuteten bereits darauf hin, dass Mädchen bessere Leseleistungen aufweisen als

Jungen. Bisherige, durch empirische Befunde gestützte Ansätze zur Erklärung von

geschlechtsspezifischen Differenzen in der Lesekompetenz reichen von divergierenden

Schuleingangsfähigkeiten bis hin zu motivationalen Faktoren, wie den Leseinteressen und

Lesegewohnheiten (Bos et al. 2007, S.198f.). Baumert begründet die

Geschlechterunterschiede mit der Fähigkeit von Mädchen, den Texten besser Informationen

entnehmen zu können, Texte interpretieren zu können und sich kritisch mit dem Gelesenen

auseinandersetzen zu können (Baumert 2001, S.254).

In diesem Abschnitt werden Leistungsunterscheide zwischen den Geschlechtern anhand des

Kompetenztests vorgetragen, wobei sich derselben inhaltlichen Struktur wie in

vorangegangenen Abschnitten bedient wird.

Primarstufe

Bereits in der Primarstufe weisen Mädchen höhere Leseleistungen auf als Jungen (vgl.

Tabelle 5.3.10-Anhang). In der nachfolgenden Abbildung 5.3.3 wird dies exemplarisch für das

Jahr 2012 veranschaulicht. Neben den geschlechterspezifischen durchschnittlich erreichten

Gesamtpunktzahlen der einzelnen Gebietskörperschaften sind auch die Landeswerte als

Referenzgröße eingetragen (blau-gestrichelt = weiblich, rot-gepunktet = männlich).

Zwischen Jungen und Mädchen besteht demnach in Thüringen insgesamt eine

Leistungsdifferenz von 4,6%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.10-Anhang). Das bedeutet, dass

Mädchen durchschnittlich eine um 4,6%-Punkte höhere Gesamtpunktzahl erreichen als

Jungen. Das Bild auf der Ebene der einzelnen Gebietskörperschaften zeichnet sich durch

Heterogenität aus, denn während beispielsweise in der Stadt Suhl eine Leistungsdifferenz

von +1,7% im Jahr 2012 festzustellen ist, beträgt diese in der Stadt Eisenach +7,3%. Neben

den Unterschieden zwischen den Geschlechtern und Gebietskörperschaften ist im

Jahresvergleich keine generelle Tendenz festzustellen, die prozentualen Anteile sind

vielmehr deutlichen Schwankungen unterlegen (vgl. Tabelle 5.3.10-Anhang). So sind die

Differenzen in der Stadt Suhl im Jahr 2012 zwar deutlich geringer als in anderen Kreisen, im

Jahr 2010 ist hingegen eine Leistungsdifferenz von +9,3% zugunsten der Mädchen

Page 90: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

89

festzustellen. Dies könnte wiederum durch die Beschaffenheit des gewählten Testtextes, sei

es inhaltlicher oder struktureller Natur, begründet werden.

Abbildung 5.3.3: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Primarstufe nach dem Geschlecht und Landkreis, im Jahr 2012 (in %)

Anmerkungen: Die Abbildung enthält die durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl in Thüringen für weibliche Schüler (blau-gestrichelte Line) sowie die männlichen Schüler (rot-gepunktete Linie). Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Sekundarstufe I

In der Primarstufe auszumachende Geschlechterdifferenzen im Kompetenzbereich Lesen

scheinen sich in der Sekundarstufe I zu vergrößern (vgl. Abbildung 5.3.4, Tabelle 5.3.11-

Anhang). In Thüringen besteht zwischen den Geschlechtern insgesamt eine

Leistungsdifferenz von +5,2%-Punkten (vgl. Tabelle 5.3.11-Anhang). Auch in der

Sekundarstufe erreichen die Mädchen eine 5,2%-Punkte höhere Gesamtpunktzahl als die

Jungen. Die Leistungsunterschiede scheinen zudem in den Kreisen (+5,6%) größer zu sein als

in den kreisfreien Städten (+4,2%), wobei in den Kreisen eine größere Spanne festgestellt

werden kann als in den kreisfreien Städten. Dennoch schwanken die Anteile zwischen den

einzelnen Gebietskörperschaften von +3,2% in der Stadt Jena und dem Kreis Greiz bis hin zu

+7,9% im Altenburger Land.

Page 91: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

90

Abbildung 5.3.4: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Sekundarstufe I nach dem Geschlecht und Landkreis, im Jahr 2012 (in %)

Anmerkungen: Für die Stadt Suhl wurden keine Daten bereitgestellt, Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

Soziale Herkunft und Lesekompetenz

Der im internationalen Vergleich stark ausgeprägte Zusammenhang zwischen der sozialen

Herkunft und der schulischen Leistung ist den Befunden von PISA zufolge in keinem der

anderen PISA-Staaten so ausgeprägt wie in Deutschland (Klieme et al. 2009) und konnte mit

IGLU auch im Primarbereich festgestellt werden (vgl. Bos et al. 2008). Bildungschancen

hängen demnach maßgeblich von der sozialen Herkunft der Kinder ab, wobei Schüler aus

niedrigen Schichten vergleichsweise geringere Chancen haben. Der Buchbesitz hat sich dabei

in nationalen wie auch internationalen Leistungsvergleichsstudien als zuverlässiger Indikator

zur Beschreibung der sozialen Herkunft erwiesen und wird auch im Rahmen dieser Expertise

herangezogen (vgl. Bos et al. 2008, Bos et al. 2010).

Nachfolgend wird die durchschnittliche Leistung der Testpopulationen entlang dreier

Gruppen, die Unterschiede des elterlichen Haushalts hinsichtlich des Buchbesitzes

offenbaren, analysiert. Dabei wird unterschieden zwischen Haushalten mit 1) weniger als 25

Büchern, 2) 26-100 Büchern und 3) mehr als 100 Büchern.

Primarstufe

Page 92: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

91

Die Schülerschaft an Grundschulen zeichnet sich hinsichtlich der eingangs genannten

Bücherkategorien durch große Heterogenität aus. So geben 39,9% der Schüler an, in einer

Familie mit mehr als 26, aber weniger als 100 Büchern zu leben, fast ebenso viele in einer

Familie mit mehr als 100 Büchern und 22,5%, dass sie in einer Familie mit weniger als 25

Büchern lebe. Bezüglich der Leistungsfähigkeit der Schüler zeigt sich, dass diese konsequent

mit einer zunehmenden Anzahl an Büchern im Haushalt steigt, sodass auf einen

Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Höhe der durchschnittlich

erreichten Gesamtpunktzahl geschlossen werden muss (vgl. Abbildung 5.3.5, Tabelle 5.3.12-

Anhang).

Abbildung 5.3.5: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Primarstufe nach dem Buchbesitz in Thüringen sowie in den Kreisen und kreisfreien Städten, im Jahr 2012 (in %)

Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

In den Kreisen scheint die soziale Herkunft jedoch einen geringeren Einfluss auf die

Leseleistung auszuüben als in den kreisfreien Städten. Denn während Schüler aus

Haushalten mit weniger als 25 Büchern in den Kreisen durchschnittlich 70,9% der

Gesamtpunktzahl erreichen, sind dies in den kreisfreien Städten durchschnittlich 4,5%-

Punkte weniger. Im Städtevergleich sind insbesondere die Disparitäten in der Stadt Weimar

zu nennen: In Weimar beträgt die durchschnittliche Gesamtpunktzahl von Schülern mit

weniger als 25 Büchern vergleichsweise geringe 55,4%, sodass sich Weimar deutlich von

anderen Kreisen und kreisfreien Städten absetzt. Gleichzeitig erzielen die Weimarer Schüler

aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern im Haushalt 78% der Gesamtpunktzahl, wodurch

Page 93: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

92

Weimar ebenfalls der Spitzengruppe angehört (vgl. Tabelle 5.3.12-Anhang). Lediglich die

Schüler der Stadt Jena können einen um 1%-Punkt höheren Wert aufweisen (79%).

Sekundarstufe I In der Sekundarstufe I zeichnet sich bezüglich der Schülerzusammensetzung ein ähnliches

Bild ab, wie bereits zur Primarstufe dargestellt (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.3). Auf

Landesebene können jedoch lediglich vergleichsweise geringere Leistungsunterschiede nach

der sozialen Herkunft ausgemacht werden, denn während Schüler aus Haushalten mit

weniger als 25 Büchern durchschnittlich 65,1% der Gesamtpunktzahl erreichen, beträgt der

Anteil bei Schülern aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern 67,9% (vgl. Abbildung 5.3.6).

Doch bereits bei einem Vergleich der kreisfreien Städte und Kreise zeigen sich erneut

sozialbedingte Leistungsdifferenzen ähnlich jener im Primarbereich. Zudem unterscheiden

sich die Ergebnisse zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften (vgl. Tabelle 5.3.13-

Anhang).

Abbildung 5.3.6: Durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl von Schülern der Sekundarstufe I nach dem Buchbesitz in Thüringen sowie in den Kreisen und kreisfreien Städten, im Jahr 2012 (in %)

Quelle: Kompetenztest.de; eigene Berechnungen.

In der kreisfreien Stadt Gera lassen sich beispielsweise deutliche Differenzen zwischen den

Schülern nach Bücherkategorie nachzeichnen (16,9% zwischen den Extremen). Den Schulen

in Jena scheint hingegen eine Kompetenzförderung, relativ unabhängig vom Sozialstatus, zu

gelingen, denn Schüler aller drei Bücherkategorien erreichen über 70% der

Gesamtpunktzahl. Anders gestaltet sich das Verhältnis in der Stadt Weimar: Schüler mit über

Page 94: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

93

26 bzw. 100 Büchern im Haushalt erreichen über 70% der Gesamtpunktzahl, bei Schülern

aus Familien mit weniger als 25 Büchern beträgt der Anteil 58,8%.

5.4 Regionale Disparitäten hinsichtlich der Zertifikatsvergabe

Die Vergabe schulischer Zertifikate gilt als eine zentrale Funktion der Institution Schule (Fend

2006) und erhält eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, da sich in Abhängigkeit zur

schulisch erworbenen (oder nicht erworbenen) Berechtigung unter anderem berufliche und

soziale Teilhabemöglichkeiten regeln. Dabei gilt es, Zertifikate in fairer Art und Weise zu

vergeben. Das heißt konkret, die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Leistungen

angemessen zu zertifizieren und niemanden ungerechtfertigt ohne eine formale

Qualifizierung aus dem Schulwesen zu entlassen.

Betrachtet man die ideelle sowie die berufliche Wertigkeit der Abschlüsse, ist zu

beobachten, dass vor allem der Hauptschulabschluss eine deutliche Abwertung erfährt. Der

Erwerb maximal eines Hauptschulabschlusses erhöht signifikant das Arbeitslosigkeitsrisiko

an der zweiten Schwelle, dem Übergang von der Ausbildung in den Beruf (Buch, Hell und

Wydra-Somaggio 2011). Dagegen halten sich Arbeitslosenquoten von Hochschulabsolventen,

die im Regelfall ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abgeschlossen haben, auf konstant

niedrigem Niveau.

Nachfolgend wird gezeigt, wie sich die Zertifikatsvergabe in Thüringen darstellt. Hierfür

werden zum einen die abschlussbezogene Absolventenstruktur sowie die

Absolventenanteile im Verhältnis zur Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter in den

einzelnen Gebietskörperschaften Thüringens im Zeitverlauf analysiert. Zum anderen wird

Thüringen im Vergleich zu den Bundesländern hinsichtlich des Erwerbs der

Hochschulzugangsberechtigung sowie hinsichtlich fehlender schulischer Zertifikate

betrachtet.

5.4.1 Absolventen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss aus den allgemeinbildenden

Schulen

In der traditionell dreigliedrigen Schulstruktur war an jeder der drei Schularten ein

spezifischer Abschluss zu erwerben, wobei an den höheren Schularten auch die niedrigeren

Abschlüsse zu erwerben waren. Mit der Einführung integrierter Schularten ging auch die

zunehmende Entkopplung von Schulart und Schulabschluss einher.

Betrachtet man den Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der gleichaltrigen

Wohnbevölkerung aus den allgemeinbildenden Schulen im Abschlussjahr 2011 in Thüringen

im Vergleich zu den 15 Bundesländern, lässt sich Thüringen mit 29,4 % Anteil an

Page 95: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

94

Hochschulreifeabsolventen31 eher im Mittelfeld verorten, und es bleibt leicht unter dem

bundesdeutschen Durchschnitt von 31,3% (vgl. Berkemeyer et al. 2013). Gerade im Vergleich

zu Ländern im Norden wie Hamburg (mit einem Absolventenanteil von 46,7%) und Bremen

(40,9%) oder im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen (37,8%) ist ein teils sehr deutlicher

Abstand zu erkennen, während die Diskrepanz etwa zu Bayern am unteren Ende der

Rangreihe (mit 24,2% Anteil an Absolventen) weniger deutlich ausfällt. Vergleicht man den

Anteil der Absolventen mit Hochschulreife aus den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen

zwischen den Jahren 2009 und 2011, ist ein leichter Rückgang des Anteils zu verzeichnen.

Erwarben im Abschlussjahr 2009 noch 31,5% der jungen Menschen an der gleichaltrigen

Wohnbevölkerung die Hochschulzugangsberechtigung, waren es ein Jahr später 31%, und im

Jahr 2011 sank die Quote abermals auf 29,4%. Gleichzeitig erfährt der bundesdeutsche

Anteil im selben Zeitraum in etwa die gleiche Veränderung, jedoch gegenläufig in Form eines

leichten Anstiegs um 2%-Punkte, von 29,3% im Jahr 2009 auf nun 31,3% im Jahr 2011.

Fokussiert man neben den höchsten zu erwerbenden Abschlüssen das Fehlen eines

schulischen Zertifikats und nimmt den Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der

gleichaltrigen Wohnbevölkerung im Jahr 2011 in Thüringen in den Blick, so ergibt sich im

Ländervergleich folgendes Bild: Verlassen in Thüringen 7,8% der jungen Menschen die

Schule, ohne maximal einen Hauptschulabschluss erworben zu haben, sind es in Deutschland

mit 6,2% Abschlusslosen 1,6%-Punkte weniger (vgl. ebd.). Damit bleibt Thüringen teils

deutlich über den Abgängerquoten süd-westlicher Länder wie dem Saarland (mit 4,8%

Abgängern ohne Abschluss), Baden-Württemberg (5,1%) und Bayern (5,2%), jedoch auch

merklich unter den Quoten aller anderen östlichen Bundesländer, insbesondere bezüglich

Sachsen-Anhalt (12,1%) und Mecklenburg-Vorpommern (13,3%). Im Zeitverlauf betrachtet

verlassen in Thüringen prozentual weniger Abgänger die Schule ohne Abschluss. So sind es

im Jahr 2009 8,1% und im Jahr 2011 noch 7,8%, wobei im dazwischenliegenden Jahr 2010

der Anteil der Abgänger mit 8,6% am höchsten liegt. Der bundesdeutsche Anteil sinkt

dagegen innerhalb der drei Jahre konstant von 6,9% in 2009 auf nun 6,2% im Jahr 2011.

Anteile der Absolventen an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter

Die benannten Differenzen zwischen den beiden Gebietskörperschaftstypen „Kreis“ und

„kreisfreie Stadt“ lassen sich ebenso auf der Ebene der einzelnen Kreise und kreisfreien

Städte erkennen. Im Folgenden werden die Anteile der Abgänger und Absolventen an der

31

Die berichteten Abschlussquoten Gesamtthüringens sind weder vergleichbar noch identisch mit den im nächsten Abschnitt dokumentierten Anteilswerten in den Kreisen, kreisfreien Städten und in Thüringen, da sich erstere nach dem Quotensummenverfahren berechnen (s. auch Berkemeyer et al., 2013) und aufgrund dessen leichte Abweichungen bezüglich der Anteilswerte bestehen können.

Page 96: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

95

Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter für das Jahr 2012 sowie in der Zeitreihe von

2008 an betrachtet (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang).

Auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte kann folgender Trend festgemacht werden

(Tabelle 5.4.7): Während die Quote der Abgänger ohne Abschluss32 zwischen den Jahren

2008 und 2012 tendenziell zurückgeht (in den kreisfreien Städten mit minus 1,1% deutlicher

als in den Kreisen, in denen die Quote eher stagniert), ist sowohl bei den Hauptschul- als

auch bei den Realschulabschlüssen ein sehr deutlicher Rückgang spürbar. Durchschnittlich

verlassen in den Kreisen und Städten 3,3%-Punkte weniger Jugendliche die Schule mit einem

Hauptschulabschluss (jeweils 10,6% der alterstypischen Wohnbevölkerung im Jahr 2012), die

Quote des Realschulabschluss sinkt noch deutlicher um 10,7%-Punkte in den Kreisen (auf

43,6%) sowie um 15,9%-Punkte in den Städten (auf 34,9%). Der Anteil der erworbenen

allgemeinen Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung zeigt im Vergleich der

Jahre 2008 und 2012 sowohl in den Kreisen (mit einem Plus von 3,5%-Punkten auf 30,1%) als

auch in den kreisfreien Städten (mit einem Plus von 2,7%-Punkten auf 41,7%) einen Anstieg,

obgleich im dazwischenliegenden Jahr 2010 jeweils ein Rückgang der Quote zu beobachten

war (Abbildung 5.4.1).

Tabelle 5.4.7: Abgänger und Absolventen absolut und anteilig an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter in den Kreisen, Kreisfreien Städten und in Thüringen in den Jahren 2008, 2010 und 2012

Gebiet Abschlussart 2008 2010 2012

Kreise

ohne Hauptschulabschluss absolut 356 345 354

Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,0 3,3 3,1

Hauptschulabschluss absolut 1.655 1.259 1.225

Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 12,2 10,6

Realschulabschluss absolut 6.429 4.789 5.028

Anteil an Wohnbevölkerung in % 54,1 46,5 43,6

Allgemeine Hochschulreife absolut 5.865 3.639 3.056

Anteil an Wohnbevölkerung in % 26,6 24,7 30,1

Kreisfreie Städte

ohne Hauptschulabschluss absolut 126 142 93

Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,9 5,0 2,8

Hauptschulabschluss absolut 450 408 346

Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 14,2 10,6

Realschulabschluss absolut 1.642 1.217 1.143

Anteil an Wohnbevölkerung in % 50,8 42,5 34,9

Allgemeine Hochschulreife absolut 2594 1779 1383

Anteil an Wohnbevölkerung in % 39,0 38,1 41,7

Thüringen

ohne Hauptschulabschluss absolut 482 487 447

Anteil an Wohnbevölkerung in % 3,2 3,7 3,0

Hauptschulabschluss absolut 2.105 1.667 1.571

Anteil an Wohnbevölkerung in % 13,9 12,2 10,6

32

Für die vorliegenden Berechnungen der Abgängerquoten wurde ausschließlich das Regelschulsystem

betrachtet, das Förderschulwesen wurde konsequent ausgespart.

Page 97: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

96

Realschulabschluss absolut 8.071 6.006 6.171

Anteil an Wohnbevölkerung in % 53,4 45,6 41,7

Allgemeine Hochschulreife absolut 8.459 5.418 4.439

Anteil an Wohnbevölkerung in % 29,5 27,9 32,9

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; Absolventen/Abgänger aus allgemeinbildenden Schulen nach Schuljahr und Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren sowie Geschlecht nach Kreisen; eigene Berechnungen.

Nachfolgend werden die einzelnen Abschlussarten noch einmal je für sich in ihren

anteilsmäßigen Verteilungen dargestellt, beginnend mit den Ergebnissen zu den Abgängern

ohne Abschluss, die als besonders gefährdete Gruppe einzustufen sind, da sie deutlich

geringere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben.

Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung

Im Vergleich der Städte und Kreise ist für das Abschlussjahr 2012 zu konstatieren, dass

zwischen ihnen durchschnittlich nur geringe Unterschiede bezüglich der Abgängerquote

bestehen (vgl. Tabelle 5.4.6-Anhang). Verlassen in den Kreisen im Schnitt 3,1% der

Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, sind es in den kreisfreien Städten 2,8% der

alterstypischen Wohnbevölkerung. Der Blick in die einzelnen Gebiete offenbart größere

Differenzen: Im Jahr 2012 verzeichnet Jena die geringste Abgängerquote von 0,7% (neben

Weimar mit 0,9% und der Kreis Greiz mit 1,2%), demgegenüber verlassen im Kreis

Schmalkalden-Meiningen mit 5,1% die meisten Jugendlichen die Schule, ohne maximal einen

Hauptschulabschluss erworben zu haben. Im Weimarer Land sowie im Kreis Saalfeld-

Rudolstadt gingen 4,3% der jungen Menschen ohne Abschluss von der Schule.

Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung aus den Regelschulen

Die Anteile der Absolventen mit Hauptschulabschluss verteilen sich mit jeweils 10,6% zu

gleichen Teilen auf die Kreise und kreisfreien Städte (vgl. Tabelle 5.4.6-Anhang). Der je

höchste bzw. geringste Anteil findet sich innerhalb der Kreise: Im Kreis Hildburghausen

erwerben 16,5% der Jugendlichen einen Hauptschulabschluss, während dies im Weimarer

Land 6,9% gelingt.

Wie weiter oben bereits angedeutet, sinken die Anteile der erworbenen

Hauptschulabschlüsse an der alterstypischen Wohnbevölkerung im Verlauf der Jahre 2008

bis 2012, obwohl sich in der Zeitreihe größere Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren

Page 98: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

97

abzeichnen (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). In der Stadt Suhl sowie im Kreis

Nordhausen ergibt sich mit einem Minus von 11,5%-Punkten bzw. einem Minus von 16,1%-

Punkten der höchste Rückgang im Vergleich der beiden Jahre 2008 und 2012. Vor allem im

Kreis Nordhausen ist auffällig, dass im Jahr 2008 noch mehr als ein Viertel der Jugendlichen

(26,8%) einen Hauptschulabschluss erwarb, vier Jahre später sind es weniger als 11%. Die

beiden einzigen Anstiege innerhalb dieser Zeitspanne fallen auf die Stadt Eisenach mit 4,3%-

Punkten sowie auf das Altenburger Land mit 0,3%-Punkten. Ein auch über die Jahre konstant

zu beobachtender hoher Anteil an Hauptschulabsolventen findet sich im Kreis

Hildburghausen.

Anteil der Absolventen mit Realschulabschluss an der alterstypischen Wohnbevölkerung

Im Abschlussjahr 2012 erwarben in den Kreisen 43,6% der jungen Menschen einen

Realschulabschluss, in den kreisfreien Städten hingegen rund 35% (vgl. Tabelle 5.4.6-

Anhang). Diese Verteilung korrespondiert mit den Anteilen der Regelschule (in denen der

Realschulabschluss als höchster zu erwerbender Abschluss angeboten wird) in Kreisen und

kreisfreien Städten gemessen an allen Schulen des Sekundarschulbereichs: Innerhalb der

Kreise finden sich mit rund 71% deutlich mehr Regelschulen als in den Städten, die mit rund

43% knapp 30%-Punkte weniger zählen.

Den mit Abstand geringsten Anteil an Realschulabsolventen weist Weimar mit knapp 27%

der alterstypischen Wohnbevölkerung auf, diesen letzten Platz im Vergleich der insgesamt

23 Kreise und kreisfreien Städte hat Weimar seit den letzten drei Abschlussjahren inne (vgl.

Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). Daneben bleibt nur noch Jena unter der 30-%-

Marke. Die meisten jungen Menschen gemessen an der Wohnbevölkerung im typischen

Abschlussalter verlassen im Kreis Hildburghausen die Schule mit einem Realschulabschluss,

hier sind es 54,8%. Seit dem Abschlussjahr 2009 verzeichnet dieser Kreis die höchste

Realschulabschlussquote. Im Vergleich der Jahre 2008 und 2012 verzeichnet die Stadt Suhl

mit einem Plus von knapp 14%-Punkten den im Vergleich der Gebietskörperschaften

einzigen Anstieg der Abschlussquote, für die Stadt Eisenach kann dagegen mit einem Minus

von 28,4%-Punkten der deutlichste Rückgang beobachtet werden. Suhl fällt darüber hinaus

ins Auge, da es, anders als die übrigen kreisfreien Städte Thüringens, eine hohe

Realschulabschlussquote und eine niedrige Quote der Hochschulreifeabsolventen aufweist,

die Abschlussstruktur demnach eher der der ländlichen Räume ähnelt. Generell ist für alle

Kreise und kreisfreien Städte (mit Ausnahme von Weimar) ein teils sehr deutlicher Rückgang

der Absolventen mit Realschulabschluss, sowohl anteilig als auch absolut zu sehen, auch und

vor allem im Vergleich mit den Anteilen der anderen Schulabschlüsse im Thüringer

Schulsystem (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang).

Anteil der Absolventen mit Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung

Page 99: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

98

In den kreisfreien Städten ist die Quote der Absolventen mit Hochschulreife mit einem Anteil

von 41,7% an der alterstypischen Wohnbevölkerung die am häufigsten erworbene

Abschlussart (vgl. Abbildung 5.4.1; Tabelle 5.4.6-Anhang). In den Kreisen sind es gut 10%-

Punkte weniger, hier erwerben 30,1% der alterstypischen Wohnbevölkerung das Abitur.

Deutlich höher liegen die Abschlussquoten in den Städten, vor allem in Eisenach erwirbt

mehr als die Hälfte der jungen Menschen (54,0%) die Hochschulreife, gefolgt von Jena mit

knapp 50%. Jedoch findet sich erwartungswidrig auch der niedrigste Abschlusswert im

städtischen Gebiet: Suhl verzeichnet einen hohen Rückgang der Absolventenquote von 8,7%-

Punkten im Vergleich zum Jahr 2008 und zählt 2012 lediglich gut 19% Absolventen mit

Hochschulreife (vgl. Tabelle 5.4.2-Anhang bis 5.4.6-Anhang). Absolut gesehen erwarben in

Suhl in 2008 insgesamt noch 144 Jugendliche das Abitur, vier Jahre später sind es nur noch

39 junge Menschen. Demgegenüber ist die positive Entwicklung im Kreis Gotha

bemerkenswert: Hier verlassen im Jahr 2012 12%-Punkte mehr junge Menschen die mit

Abitur als noch vier Jahre zuvor.

Abbildung 5.4.1: Entwicklung der Absolventenanteile mit Hochschulreife an der Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter, 2007/08 bis 2011/12 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Die divergierenden Absolventenquoten zwischen Kreisen und kreisfreien Städten ergeben

sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den unterschiedlichen schulstrukturellen

Angebotslagen. Die kreisfreien Städte weisen im Vergleich zu den Landkreisen eine größere

Vielfalt an Schularten auf, die zum Abitur führen (siehe Kapitel 3). Die Städte Thüringens

zählen über 57% weiterführende Schulen, die zur höchsten Abschlussart führen, die Kreise

Page 100: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

99

dagegen rund 29%. Somit kann gesagt werden, dass die unterschiedlichen Aussichten auf ein

Abiturzeugnis offensichtlich durch die disparaten schulstrukturellen Angebote zumindest

mitmoderiert werden. Die Aufgabe zukünftiger Forschung ist es, zu ermitteln, ob sich für

Schüler, denen nach Beendigung der Grundschulzeit keine Gymnasialfähigkeit zugesprochen

wurde, durch den Besuch einer anderen zum Abitur führenden Schulart die Chancen auf den

Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung systematisch erhöhen. Hier wären vergleichende

Analysen zwischen Regelschülern und Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschülern zielführend.

5.4.2 Absolventen aus beruflichen Schulen

Das berufsbildende Schulsystem besitzt eine hohe Bedeutung hinsichtlich des Nacherwerbs

bzw. Höhererwerbs allgemeinbildender Abschlüsse. Die auf Ebene der Länder ansetzenden

Analysen des Chancenspiegels zeigen, dass in Deutschland an beruflichen Schulen in

bemerkenswertem Maße Hauptschulabschlüsse nachgeholt oder auch höhere Zertifikate wie

die Fachhochschulreife oder die allgemeine Hochschulreife erworben werden (Berkemeyer

et al., 2013).

Auch in Thüringen ist das berufsbildende Schulsystem erkennbar daran beteiligt, die Schüler

mit allgemeinbildenden Schulabschlüssen auszustatten. Die absoluten Absolventenzahlen

sind im Zeitverlauf zwischen 2007 und 2011 zwar über alle Abschlussarten hinweg rückläufig

(vgl. Tabelle 5.4.8-Anhang), im Fall des Erwerbs der Hochschulreife33 aber zeigt sich, dass die

Anteile der Absolventen an der alterstypischen Wohnbevölkerung anwachsen (vgl.

Abbildung 5.4.2).

Gerade in den kreisfreien Städten zeigen sich im Betrachtungszeitraum deutlich ansteigende

Werte. Zwischen 2007 und 2011 steigt der Anteilswert hier um 16,1%-Punkte. Etwas

geringer fallen die Zugewinne in den Kreisen aus, auch hier steigt in der anteilsmäßigen

Betrachtung die Bedeutung des Erwerbs der Hochschulreife, allerdings in geringerem Maße.

Gegenläufig ist die Veränderung zwischen den Jahren bei den anderen beiden

allgemeinbildenden Schulabschlüssen. Sowohl absolut als auch anteilsmäßig gesehen sind

die Werte im Jahr 2011 niedriger als im Jahr 2007. Diese entgegenlaufenden Veränderungen

können als Hinweise darauf gedeutet werden, dass das berufsbildende Schulsystem

zunehmend einen höherqualifizierenden Charakter annimmt und weniger als Instanz zum

nachholen niedrigerer Abschlüsse fungiert.

33

Hier werden Fachhochschulreife und allgemeine Hochschulreife zusammengefasst betrachtet.

Page 101: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

100

Abbildung 5.4.2: Anteil an Absolventen mit Hochschulreife an der alterstypischen Wohnbevölkerung aus beruflichen Schulen, 2007 bis 2011 (in %)

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik; eigene Berechnungen.

Betrachtet man die Absolventen mit Hochschulreife aus dem berufsbildenden Schulsystem

zusammen mit denen aus dem allgemeinbildenden Schulsystem so zeigt sich, dass in

Thüringen über 50% der alterstypischen Wohnbevölkerung eine

Hochschulzugangsberechtigung erwerben. Auffällig sind die großen Unterschiede zwischen

den Kreisen und den kreisfreien Städten: Während in den kreisfreien Städten über 80% der

Wohnbevölkerung die Hochschulreife zertifiziert bekommen, erreichen dies in den Kreisen

nur knapp 47% der abschlusstypischen Jahrgänge. Diese großen Disparitäten, die durchaus

als Stadt-Land-Gefälle hinsichtlich des Erreichens des Abiturs zu bezeichnen ist, sind

erklärungsbedürftig. Das schulstrukturelle Angebot spielt sicher eine Rolle, ist aber nur in

Zusammenhang mit der soziostrukturellen Zusammensetzung der Bevölkerung und den

Bildungsaspirationen von Eltern und Schülern in den einzelnen Gebietskörperschaften zu

betrachten. In den städtischen Gebieten kumulieren die relevanten Faktoren derart, dass die

Chance eines Schülers in der Stadt ungleich höher ist, eine Hochschulzugangsberechtigung

zu erwerben. Die Abstände in den Erwerbsanteilen sind für das berufsbildende Schulsystem

analog zum allgemeinbildenden Schulsystem, wie bereits dargelegt, nachzuweisen.

Page 102: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

101

6. Gesamtschau zentraler Befunde zu Bedingungen und Ausprägungen der

Chancengerechtigkeit in Thüringens Schulsystem34

Die Analysen zu den einzelnen thematischen Teilbereichen mit ihrem breit angelegten

Beobachtungsspektrum bieten grundlegende Einsichten zu jüngeren Entwicklungen und der

gegenwärtigen Konstitution der Thüringer Schulsysteme sowie angrenzender Teilsysteme

und demografischer Bedingungen. Das gewählte Format eines indikatorenbasierten Berichts

hat dabei den Vorteil, eine Vielzahl unterschiedlicher Gegenstandsbereiche anhand von

Kennzahlen umfassend beschreiben zu können. Zudem können die verschiedenen

Beobachtungseinheiten, hier die Gebietskörperschaften Thüringens, differenziert beurteilt

werden. Somit lassen sich vielfältige Aussagen über interessierende Aspekte treffen, die

aufgrund der Vielschichtigkeit der Erkenntnisse in der Summe aber, und hier lässt sich ein

Defizit vieler großangelegter Bildungsberichtssysteme feststellen, einer konzentrierten

Gesamtschau entgegenstehen. Die Informationsfülle ist schlichtweg zu umfangreich, als dass

am Ende ein Generalbefund stehen könnte. Die Expertise verfolgt das Ziel, einen

datengestützten Rahmen für eine funktionsorientierte und systemisch-ökologische

Schulsystementwicklung bereitzustellen.

Die nachfolgende Zusammenschau zentraler Ergebnisse aus den Bereichen sozialräumliche

Bedingungen, schulische Angebotsstrukturen sowie gerechtigkeitsrelevante

Qualitätsmerkmale zeichnet ein umfassendes und zugleich auf ausgewählte Aspekte

reduziertes Bild der Thüringer Schulsysteme. Dieses kann anschließend als fundierte Basis

für die Formulierung von Handlungsoptionen für Steuerungsakteure herangezogen werden

(Kapitel 7).

Da in Anlehnung an den Chancenspiegel die Gerechtigkeitsausprägungen der Schulsysteme

als maßgebliche Kriterien für eine gesellschaftlich und politisch adäquate Systemsteuerung

fungieren sollen, werden die schon weiter vorne aufgezeigten sozialräumlichen (Kapitel 2)

und schulstrukturellen Bedingungslagen (Kapitel 3), die in den einzelnen

Gebietskörperschaften vorzufinden sind, im weiteren Verlauf als Reflexionsfolien rekrutiert.

Um die Gesamtbetrachtung in den genannten schulsystemischen Teildimensionen zu

erleichtern, werden die extrahierten Befunde zu den sozialräumlichen und schulstrukturellen

Bedingungslagen vorab noch einmal kurz präsentiert, bevor die Übersicht zu den

gefundenen Gerechtigkeitsausprägungen vorgestellt wird.

34

Die Analysen und Ausführungen beziehen sich nachfolgend ausschließlich auf das allgemeinbildende Schulsystem.

Page 103: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

102

Die sozialräumlichen Kontexte der Thüringer Schulsysteme

Den Annahmen folgend, dass Bildungs- bzw. Schulsysteme in multiplen Wechselbeziehungen

zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen stehen und dass sie regional und demografisch

spezifisch eingebettet sind, wurden sie im Rahmen dieser Expertise als Sozialraum

definierende Kontextbedingungen mittels eines Indezes beschrieben. Der gebildete Index

setzt sich aus insgesamt sieben Einzelindikatoren der Bereiche Demografie, Wirtschaft und

Sozialstruktur zusammen:

Indikator 1: Geburtenentwicklung nach Anzahl Lebendgeburten zwischen 2007 und 2011

Indikator 2: Anteile der Bevölkerungsgruppe der unter 18-Jährigen an der Wohnbevölkerung 2011

Indikator 3: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung, Veränderung zwischen 2009 und 2030

Indikator 4: Arbeitslosenquoten im Jahr 2012

Indikator 5: Anteile sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter im Jahr 2011

Indikator 6: Anteile der Schüler mit mehr als 100 Büchern im Haushalt, 2012

Indikator 7: Anteile Hilfebedürftiger unter 15-Jähriger

Mit dem Index wird ein Eindruck darüber vermittelt, unter welchen Bedingungen schulische

Systeme und Akteure ihre Leistungen erbringen. Da die Verhältnisse zwischen den einzelnen

Gebietskörperschaften Thüringens bisweilen deutlich divergieren und sich je Indikator

disparate Ergebnisse zeigen, gibt der Index Hinweise auf die Unterschiedlichkeit der

jeweiligen Sozialräume (siehe Kapitel 2).

Die schulstrukturelle Gliederung der Thüringer Schulsysteme in der Sekundarstufe

Dem Systematisierungsvorschlag von Bellenberg (2012) folgend, demnach drei

Schulsystemvarianten (mehrgliedrig, etabliert zweigliedrig, im Umbau zur Zweigliedrigkeit)

zu unterscheiden sind, ist Thüringen der Gruppe der etabliert zweigliedrigen Schulsysteme

zuzuordnen. Damit fokussiert sie die traditionelle Aufgabenteilung zwischen Regelschule und

Gymnasium. Eine differenzierte Betrachtung hingegen belegt, dass die Schulstruktur

Thüringens noch durch weitere Schularten geprägt wird. Innerhalb der Sekundarstufe

werden neben den bereits genannten Schularten als ergänzende Angebote noch die

Gesamtschule sowie seit dem Schuljahr 2011/12 die Gemeinschaftsschule, welche die

Primar- und Sekundarstufe vereint, vorgehalten (nicht berücksichtigt werden hier die

Förderschulen). Die beiden letztgenannten Schularten sowie das Gymnasium führen jeweils

potentiell zum Erreichen der Hochschulreife. Somit kann daher inzwischen nicht mehr von

einer rein zweigliedrigen Schulsystemstruktur in Thüringen ausgegangen werden, wie die

Übersicht in Kapitel 3 aufzeigt.

Auffällig ist, dass die von Bellenberg als generelles Modell angenommene schulstrukturelle

Zweigliedrigkeit ausschließlich in Landkreisen vorzufinden ist. Einige Kreise sowie alle

Page 104: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

103

kreisfreien Städte weisen mindestens eine dreigliedrige Schulstruktur auf. In Saalfeld-

Rudolstadt, Jena und Weimar besteht in der Sekundarstufe sogar die Wahl zwischen vier

Schularten. Mittels dieser Differenzierungen werden weitere Unterscheidungsdimensionen

für die Analyse der Gerechtigkeitsausprägungen eingeführt.

Ausprägungen der Chancengerechtigkeit der Thüringer Schulsysteme und Zusammenführung der Ergebnisse mit den sozialräumlichen Bedingungen und schulstrukturellen Gliederungen

Die beiden zuvor aufgeworfenen Beobachtungsdimensionen werden nun mit einer Auswahl

derjenigen Indikatoren zusammengeführt, die Aufschlüsse über die Systemgerechtigkeit der

einzelnen Schulsysteme geben. Die Betrachtung beschränkt sich hierbei auf die

Ausprägungen, die statistisch für die Sekundarstufe nachgewiesen werden können. Die

Chancengerechtigkeit der Schulsysteme wird beschrieben über einen

Integrationskraftindikator35 (Ganztagsangebot), zwei Durchlässigkeitsindikatoren

(Wiederholerquote und Schülerzahlverluste des Gymnasiums) sowie drei Outputindikatoren

(Lesekompetenzwert, Abgänger ohne Abschluss, Absolventen mit Hochschulreife). Wie

schon bei der Indexbildung zu den sozialräumlichen Bedingungen wurde hier kein Ranking

vorgenommen. Stattdessen wurde wieder auf das oben bereits beschriebene

Gruppierungsverfahren zurückgegriffen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6.1 dargestellt. Ein

grün unterlegtes Feld bedeutet, dass die betreffende Gebietskörperschaft in der Analyse

dieses Indikators zu dem besseren Viertel aller Gebietskörperschaften gehört, ist ein Feld

orange markiert, gehört die Gebietskörperschaft zu den 25% der Verteilung, die in diesem

Indikator weniger erfolgreich sind. In den beiden unteren Zeilen sind die

Gruppenmittelwerte zur Vergegenwärtigung der quantitativen Abstände zwischen den

äußeren Gruppen aufgeführt. Die Kreise und kreisfreien Städte wurden so angeordnet, dass

die sozialräumlich gesehen weniger belasteten Fälle in den oberen (hellblau unterlegt), die

stärker belasteten Gebietskörperschaften in den unteren Zeilen der Tabelle wiederzufinden

sind. Zusätzlich wird der schulstrukturelle Gliederungstyp mittels der Sternchen an den

Namen der Gebietskörperschaften symbolisiert.

Somit sind alle interessierenden Informationen zu den extrahierten

Systembeschreibungsdimensionen in dieser Tabelle komprimiert enthalten.

Ein genereller Zusammenhang zwischen den einzelnen Strukturdimensionen ist nicht

auszumachen. Es gibt genauso Gebietskörperschaften, die sozialräumlich besehen günstige

Bedingungen sowie mehrgliedrige Schulsysteme aufweisen, wie auch

Gebietskörperschaften, die sozialräumlich eher belastet sind und deren Schulsysteme

35

Die Indikatoren, die Hinweise auf den Integrationsgrad von Schülern mit besonderen pädagogischen

Bedarfen geben, sind aufgrund der Existenz regionaler Förderzentren auf der Ebene von

Gebietskörperschaften nicht sinnvoll zu vergleichen.

Page 105: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

104

mehrgliedrig strukturiert sind. Gegen einen direkten Durchgriff der sozialräumlichen und

schulstrukturellen Gegebenheiten auf die Gerechtigkeitsausprägungen sprechen die

Ergebnisse einzelner Fälle, deren Ausprägungen in den Gerechtigkeitsindikatoren sich trotz

ähnlicher Kontextbedingungen nicht entsprechen. Abgesehen von diesen Einzelfällen sind

tendenziell einige Muster zu erkennen. So ist innerhalb der Gruppe der

Gebietskörperschaften mit den vorteilhafteren sozialräumlichen Bedingungen erkennbar,

dass diese hinsichtlich der Gerechtigkeitsindikatoren häufiger zu den erfolgreicheren 25%

und seltener zu den weniger erfolgreicheren Gebietskörperschaften gehören, als dies

innerhalb der Gruppe der sozialräumlich eher belasteten Kreise und kreisfreien Städten der

Fall ist. Insbesondere Jena und der Saale-Holzland-Kreis, aber auch Weimar und das Eichsfeld

gehören überdurchschnittlich häufig zu den erfolgreicheren Gebietskörperschaften, gerade

in den sogenannten Outputindikatoren. Daneben zeichnen sich die sozialräumlich eher

belasteten Gebietskörperschaften laut den Daten durch eine höhere Haltekraft ihrer

Gymnasien aus.

Aus Perspektive der Wissenschaft ergeben sich aus dieser Übersicht weitergehende

Forschungsanlässe. So ist zu fragen, wieso es Kreise wie Schmalkalden-Meiningen und den

Wartburgkreis gibt, deren Schulsysteme unter günstigen sozialräumlichen Bedingungen

arbeiten, aber in keinem der herangezogenen Gerechtigkeitsindikatoren gute Ergebnisse

erzielen. Demgegenüber gibt es mit Greiz, Saaldfeld-Rudolstadt und dem Altenburger Land

Gebietskörperschaften, die aufgrund ihrer sozialräumlichen Belastungen erwartungswidrig

gute Ergebnisse erzielen. Sowohl diese Fälle als auch die Städte Jena und Weimar könnten

innerhalb von Einzelfalluntersuchungen auf weitere Erklärungsfaktoren hin untersucht

werden.36 Insbesondere ist danach zu schauen, welche Schulentwicklungsmaßnahmen

positive Wirkungen hervorrufen und somit in das Interventionsrepertoire der regionalen und

lokalen Steuerungsakteure aufgenommen werden sollten. Dies erscheint insbesondere in

den Gebietskörperschaften, die zumeist weniger gute Ergebnisse erzielen und sich durch

eine geringe Chancengerechtigkeit auszeichnen, als Gebot der Zukunft, damit den Schülern

in diesen Gebieten ausreichende Bildungschancen geboten und disparate

Chancenverhältnisse innerhalb Thüringens ausgeglichen werden.

36

Der Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-Universität Jena schreibt zu Fragestellungen dieser Art aktuell verschiedene Themen aus, die innerhalb von Abschlussarbeiten bearbeitet werden sollen.

Page 106: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

105

Tabelle 6.1: Übersicht zu Ausprägungen ausgewählter Gerechtigkeitsindikatoren

Kreise/Kreisfreie Stadt Ganztagsangebot,

Sekundarstufe 2011/12

Wiederholerquote, Sekundarstufe 2011/12

Schülerzahlverluste des Gymnasium, 5.-9.

Klassenstufe, 2008/09 bis 2011/12

Anteil erreichte Lesekompetenzwert an

Gesamtpunktzahl, Klassenstufe 8, 2012

Anteil Abgänger ohne Hauptschulabschluss an

Wohnbevölkerung im typischen Abschlussalter,

2011/12

Anteil der Absolventen mit Hochschulreife aus

dem allgemeinbildenden

Schulsystem an Wohnbevölkerung im

typischen Abschlussalter, 2011/12

Stadt Jena****

Stadt Weimar****

Eichsfeld**

Saale-Holzland-Kreis***

Stadt Erfurt***

Wartburgkreis**

Schmalkalden-Meiningen**

Ilm-Kreis***

Gotha***

Hildburghausen**

Weimarer Land**

Stadt Eisenach***

Unstrut-Hainich-Kreis***

Sonneberg**

Saale-Orla-Kreis***

Stadt Suhl***

Sömmerda**

Saalfeld-Rudolstadt****

Stadt Gera***

Nordhausen**

Kyffhäuserkreis***

Greiz**

Altenburger Land**

Mittelwert obere Gruppe 59,6 1,1 -14,0 69,2 1,3 41,9

Mittelwert untere Gruppe 20,8 2,3 -22,0 63,5 4,5 25,4

Anmerkungen: Aus Gründen der Sicherung der Anonymität der Einzelschule werden Gruppenwerte aufgeführt Grün = Gruppe der oberen 25%, orange = Gruppe der unteren 25%; angegebener Wert ist der Durchschnittswert der Gruppe. ** = Zweigliedrigkeit; ***= Dreigliedrigkeit; **** = Viergliedrigkeit.

Page 107: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

106

7. Handlungsoptionen

Die hier vorgestellte Expertise zeigt ein differenziertes Bild der Thüringer Schullandschaft.

Dass letztere so vielgestaltig ist, kann verschiedene Ursachen haben, wobei festgehalten

werden muss, dass es vor dem Hintergrund der verfügbaren Daten keine kausalanalytischen

Erklärungen geben kann. Hierzu sind umfängliche, längsschnittliche und randomisierte

Verfahren notwendig. Dennoch lassen sich gerade unter Rückgriff auf die theoretischen

Überlegungen und Hinzunahme weiterer Daten einige Entwicklungsperspektiven skizzieren

und Handlungsoptionen als Möglichkeitsräume für Steuerungshandeln aufzeigen. Diese

Diskussion soll nachfolgend entlang der für den Bericht leitenden Themen Demografie,

Teilhabe und Fachkräftesicherung erfolgen.

Demografie

Thüringen hat insbesondere in den 1990er Jahren erhebliche Schülerverluste, bedingt durch

den demografischen Wandel, hinnehmen müssen. Gerade in dem hier betrachteten

Zeitraum 2007-2011 lässt sich eine leichte Erholung beobachten, die jedoch nicht darüber

hinwegtäuschen darf, dass es zum Ende dieses Jahrzehnts erneut zu stärkeren Rückgängen

der Schülerzahlen kommen wird. Neben dieser Globaleinschätzung konnten weitere

detaillierte Aussagen über die Regionen Thüringens gemacht werden, wobei sich zeigt, dass

kreisfreie Städte und Kreise recht unterschiedlich vom demografischen Wandel betroffen

sind. Dies muss in Bezug auf mögliche Handlungsoptionen zu differenzierten Überlegungen

führen, die jeweils hinsichtlich ihrer Relevanz für die einzelnen Gebietskörperschaften zu

spezifizieren sind:

- Das bislang vorrangig zweigliedrige Schulangebot Thüringens wird aufgrund des

demografischen Wandels und der damit einhergehenden sinkenden Schülerzahl

mittelfristig nicht Bestand haben können. Aktuell lassen sich hier wie aufgezeigt

schon schulstrukturell Umbauten zu mehr teilintegrierten Systemen beobachten.

Zukünftig wird für solche Umbauten eine noch stärker datengestützte (Schülerzahlen

wie Qualitätsbefunde aus Schulinspektionen und Lernstandserhebungen

gleichermaßen berücksichtigende) Schulnetzplanung notwendig sein, die gerade in

dünn besiedelten Regionen auch von mehreren benachbarten Kreisen gemeinsam

durchgeführt werden kann. Diese Schulnetzplanung sollte moderiert und dialogisch,

wie bereits im Schulgesetz Thüringens (§ 41) definiert, unter Einbeziehung aller

relevanten Akteure (Schüler, Eltern, Schulpraxis-Akteure, kommunale Politik und

Verwaltung, Schulaufsicht, weitere relevante Bildungsakteure wie z.B. Jugendhilfe,

Sozialarbeit, Wirtschaftsförderung usw.) erfolgen, um so für eine Angebotssicherung

in allen Räumen Thüringens sowohl sämtliche Ressourcen zu bündeln, als auch über

die Möglichkeit der Partizipation an Entscheidungen, Akzeptanz für eben diese zu

erzielen. Dennoch wäre zu prüfen, ob das Thüringer Ministerium für Bildung,

Page 108: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

107

Wissenschaft und Kultur weitreichendere Koordinations- und

Gestaltungskompetenzen als bisher geschehen zugestanden werden können, um so

eine abgestimmte Schulnetzplanung zu gewährleisten und das Entstehen von

systemischen Überkapazitäten zu verhindern.

- Im Fokus einer solchen dialogischen Schulnetzplanung sollte dabei nicht allein über

Schulschließungen nachgedacht werden, sondern auch über die Zusammenlegung

bestehender Schulen, wenn möglich unter Wahrung der Schulstandorte. Eine weitere

Option besteht in der Umwandlung bestehender Standorte in teilintegrative

Systeme, die auch sämtliche schulische Abschlüsse vergeben.

- Insbesondere für den ländlichen Raum werden künftig solch integrative

Schulangebote, die alle Schulabschlüsse vorhalten, nicht nur besonders attraktiv,

sondern standorterhaltend sein. Die Gemeinschaftsschule dürfte dabei der Schultyp

sein, der dies am ehesten in sich vereinigt. Hierbei ist zudem der durch die Expertise

gewonnene Eindruck bedeutsam, dass in besonderem Maße das vorhandene

Schulangebot die regionalen Schulabschlussmöglichkeiten moderiert. Des Weiteren

bietet die Gemeinschaftsschule günstige Voraussetzungen, um die Durchlässigkeit im

thüringischen Schulsystem weiter zu verbessern. Diesbezüglich wäre auch zu prüfen,

inwiefern z.B. Gemeinschaftsschulverbünde eine Handlungsoption darstellen. Diese

könnten netzwerkförmig für die Versorgung der Schülerinnen und Schüler zuständig

sein, dabei aber jeweils nur bestimmte Klassenstufen bedienen (Standorte 1-4; 5-9

und 10-13). Dies würde eine hohe Flexibilisierung in der Angebotsgestaltung und

Ressourceneinsatzplanung bedeuten (z.B. 1 Schulleiter für mehrere Standorte) und

zudem das Potential bieten, in großen Flächenräumen mit geringer

Bevölkerungsdichte die Schulwegslänge unter den Standorten nach aktuell besuchter

Klassenstufe systematisch „aufzuteilen“, um nicht eine Schülerpopulation aufgrund

sehr peripherem Wohnort die gesamte Schulbiografie über zu benachteiligen.

- Zu prüfen wäre hinsichtlich der Ressourcen-Einsatz-Planung, ob künftig eine noch

stärker bedarfsorientierte Steuerung durch das Ministerium vorzunehmen ist.

Belastete Regionen und Schulstandorte (für eine präzise Beschreibung solcher

Standorte sollte zudem über einen Sozialindex nachgedacht werden, vgl. z.B. Bonsen

et al., 2010) sollten bedarfsgerechter als bislang unterstützt werden. Hierbei ist an

zusätzliche Lehrerstellen, Fortbildungsetats oder Schulentwicklungsteams zu denken.

An solche Maßnahmen wären Rechenschaftsberichte zu koppeln, um die

Verwendung der zusätzlichen Ressourcen zu dokumentieren.

Page 109: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

108

Fachkräftesicherung

Die Fachkräftesicherung betrifft vor allem den schulischen Funktionsbereich der

Qualifikation. Hinreichend die Kompetenzen der Schüler zu fördern ist eine der wesentlichen

Aufgaben von Schule. Dabei muss Kompetenzförderung zum einen darin bestehen,

individuelle Stärken zu entwickeln, aber auch Mindestanforderungen in den

Basiskompetenzen wie Lesen, Rechnen aber auch Sozialverhalten zu gewährleisten.

Thüringen zeigt in Bezug auf diese Aspekte in vielen Bereichen ein im Deutschlandvergleich

positives Bild, insbesondere bei der allgemeinen Förderung von Kompetenzen im Bereich

Lesen. Allerdings lassen sich auch ungenutzte Potentiale bei Schülerinnen und Schülern

vermuten. Dafür spricht die vergleichsweise hohe Anzahl von Schülern, die ohne Abschluss

die Schule verlassen sowie auch die Ergebnisse aus den Kompetenztests, wonach z.B.

Schüler, deren Eltern einen geringen sozialen Status aufweisen, beim Bildungserfolg

benachteiligt sind. Hier muss bei Planungen von Steuerungshandeln in diesem Bereich auch

regionsspezifisch berücksichtigt werden, dass bei der Interpretation der

Kompetenztestdaten der jeweilige Erwartungswert lediglich die faire Interpretation zulässt,

faktisch aber einzelne Regionen trotz bereits deutlich unter Landeswert angesetztem

Erwartungswert selbst diesen nicht erreichen.

Die Fachkräftesicherung hängt zudem von der zweiten wichtigen Dimension der schulischen

Qualifikationsfunktion ab: einer objektiven Zertifizierung von Schülern am Ende der

Schullaufbahn. Schulische Zertifikate stellen das entscheidende Merkmal dar, mit dem der

Übergang in beruflich qualifizierende Systeme vorrangig ermöglicht wird. Hier muss

Thüringen auch im Bundesländervergleich besehen mit Sorgfalt auf rückläufigen

Abiturquoten achten. Zwar kommt dem berufsbildenden Schulsystem Thüringens hier

offenbar eine wichtige Kompensationsfunktion gerade im Hinblick auf den Erwerb der

allgemeinen Hochschulreife -besonders in den Kreisen - zu, dennoch muss eine erfolgreiche

Zertifizierung aller Schüler vorrangig als Aufgabe des allgemeinbildenden Schulsystems

verstanden werden.

Zu diskutieren wären im Einzelnen für diesen Bereich folgende Handlungsoptionen:

- Die in Thüringen, auch im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt deutlich zu hohe

Quote von Schülern ohne Abschluss erscheint neben den rückläufigen

Abiturientenzahlen als ein vordringliches Problem. Die Initiative der „Individuellen

Abschlussphase“ (IAP) (vgl. ThürSchulO) erscheint hier als ein erster sinnvoller

Interventionsansatz, um mehr Schüler erfolgreich zum Schulabschluss zu führen.

Zudem müssten aber gezielter Programme für Schüler entwickelt werden, deren

Abschluss gefährdet ist. Solche Programme sollten Kooperationen mit der

Page 110: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

109

Schulsozialarbeit und Jugendhilfe vorsehen, um möglichst ganzheitliche

Förderungsansätze zu realisieren.

- Daran anknüpfend können weiterführende Identifizierungsanstrengungen in Bezug

auf Schulen „in challenging cirumstances“ unternommen werden. Hierbei wäre ein

verstärktes Aufgenmerk auf die einzelschul- und systembedingten Ursachen für die

Entstehungsbedingungen von herausfordernen Lagen von Schulen zu legen.

Derartige Identifizierungsmechanismen, die perspektivisch in standardisierte

Monitoringverfahren münden können, wären die Basis für ein Benachteiligungen

minimierendes Interventionsmanagement, das beispielsweise hinsichtlich der

Ressourcenausstattungen oder der pädagogischen Unterstützung von Schulen wirken

kann.

- Für Thüringen ist hinsichtlich der Kompetenzförderung des Schulsystems zudem

vermehrt ein Augenmerk auf die Förderung von Jungen zu legen. Dies impliziert etwa

die Überprüfung der thematischen Ausgestaltung von Schulbüchern hinsichtlich z.B.

des Einbezugs von Praxisbeispielen oder auch notwendige Fortbildungen für

Lehrkräfte zur Sensibilisierung geschlechtsspezifischer Lernanregungspotentiale.

- Eine weitere Handlungsoption könnte darin liegen, die Ausgestaltung von

Ferienzeiten anzureichern. Für leistungsschwächere Schüler bedeuten insbesondere

die Sommerferien eine Zeit mit möglicherweise nur einseitigen oder geringen

kognitiven Anreizen. Sommercamps, die spezifische Kompetenzen fördern, gleichsam

aber auch Erholung in Form sozialen Miteinanders, Spiel, Sport und Freizeit anbieten,

könnten hier kompensierend und fördernd wirken (vgl. Kowoll, Strietholt und Bos,

2013). Eine enge Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Partnern wäre dabei von

Nutzen.

Teilhabe

Die Sicherung der Befähigung junger Menschen zur politischen und gesellschaftlichen

Teilhabe oder anders formuliert, die Stärkung der Integrationsfunktion der Schule durch eine

bewusste Demokratieerziehung an Schulen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Wenngleich ihre Bedeutung unumstritten ist, dürften die Anstrengungen bezüglich ihrer

Realisierung kaum an solche der individuellen Förderung in spezifischen Lernbereichen

heranreichen. Die hier zur Verfügung stehenden Daten konnten diesbezüglich keine

umfassende Auskunft geben. Es ist folglich wünschenswert, schulspezifische Informationen

über den Bereich der Teilhabe künftig verfügbar zu machen. Strategien und Indikatoren

hierfür müssten gemeinsam mit Schulen entwickelt werden. In Bezug auf die in der Expertise

genutzten Daten kann vor allem auf die Bedeutung von Schule für die Sicherung

gesellschaftlicher Teilhabe allgemein hingewiesen werden. Dies gilt insbesondere für Schule

Page 111: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

110

als Akteur im kommunalen Raum. Schule ist in dieser Perspektive eben nicht nur Ort des

Lernens, sondern auch Ort der Begegnung, des Dialogs, Austauschs und der gemeinsamen

Verständigung. Dieser Aspekt muss immer gleichwertig mit solchen Argumenten diskutiert

werden, die eher aus einer bildungsökonomischen Perspektive entstammen.

- Strukturell erscheint vor dem Hintergrund der Teilhabesicherung im schulischen

Bereich der Ausbau von (gebundenen) Ganztagsangeboten geboten. Schulische

Ganztagsangebote bieten den institutionellen Rahmen, um allen Schülern

Lernmöglichkeiten und vielfältige soziale Begegnungen und Partizipationsräume zu

ermöglichen. Auch wenn Thüringen im Primarbereich ein flächendeckendes offenes

Ganztagsangebot aufbietet, stellt sich für die Steuerungsakteure jedoch hier die

Herausforderung, erstens den wegen seiner lernförderlichen Wirkung (vgl.

Holtappels et al., 2010) zu bevorzugenden gebundenen Ganztag auszubauen und

zweitens das grundsätzlich geringere Ganztagsangebot im Sekundarbereich (mit

sogar einer Gebietskörperschaft, die keinerlei schulisches Ganztagsangebot im

Sekundarbereich aufweist) zu korrigieren. Dies scheint auch vor dem Hintergrund

sich verändernder sozialstruktureller Verhältnisse (Vereinbarkeit von Beruf und

Familie, veränderte Familienkonstellationen) verstärkt geboten.

- Institutionelle Regelungsstrukturen sollten unter Ungleichheitsbedingungen im Sinne

einer größtmöglichen Gerechtigkeit der Systeme derart gestaltet werden, dass sie die

am wenigsten privilegierten Individuen am meisten begünstigen (vgl. Rawls, 2006).

Vor diesem Hintergrund wäre zu überlegen, ob nicht die Wechselmöglichkeiten der

Regelschüler zum Gymnasium in der Sekundarstufe I derart verändert sollen, dass sie

die gleichen Rechte wie Gesamt- und Gemeinschaftsschüler erhalten. Aktuell haben

laut der Thüringer Schulordnung Regelschüler nur bis zur Klassenstufe sechs die

Möglichkeit, einen Aufstiegswechsel zum Gymnasium zu vollziehen, danach haben sie

diese Wahloption erst wieder nach Beendigung der Klassenstufe 10. Aus

Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen kann hingegen auch zu späteren

Zeitpunkten in der Sekundarstufe I noch zum Gymnasium gewechselt werden. Hier

ist eine Öffnung und Anpassung der Übertrittsregelungen ratsam, um

institutionalisierten Benachteiligungen entgegenzuwirken.

- Auch das Erfordernis der Inklusion stellt eine weitere zentrale Herausforderung der

Teilhabesicherung im schulischen Bereich dar. Hier ist auf die Umsetzung der UN-

Konvention für die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne besondere

Förderbedarfe zu achten.

Weitere Handlungsoptionen - Durch die bundesweit sich verändernden Schullandschaften sollte insgesamt über die

Bezeichnung von Schulabschlüssen neu nachgedacht werden. In einem Bundesland,

in dem Eltern die Hauptschule nicht besuchen konnten, und auch für die Schüler

Page 112: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

111

diese Schulart nicht vorgesehen ist, traditionell aber Abschlussbezeichnung und

Schulart eng verwoben waren, wirkt dieses Vorgehen nicht mehr zeitgemäß.

Schulabschlussbezeichnungen sollten grundsätzlich von Schulartbezeichnungen

losgelöst formuliert sein. Vor dem Hintergrund zukünftig erwartbarer stärker

integrativer Schulsysteme könnte Thüringen hierzu eine länderübergreifende

Initiative in Gang setzen, um gerade die mittleren Abschlüsse zukünftig z.B. nach

ihrem Anspruchsniveau und nicht nach einer Schulart zu bezeichnen.

- Generell erscheint es notwendig über die Verfügbarkeit und Nutzung von Daten im

thüringischen Schulsystem nachzudenken. Hier zeigt sich Optimierungsbedarf, nicht

zuletzt, da aktuell wichtige Analysen nicht durchführbar sind. Demnach gilt es, dass

die datenführende Stellen sich auch in Datenabruf und –management den

Änderungen im Schulsystem zeitnah anpassen und so etwa ein umfassendes

Systemmonitoring sichergestellt ist. Beispielhaft sei hier etwa die inklusive

Beschulung angeführt, die vor dem Hintergrund der Teilhabesicherung auch

erfordert, die entsprechende Schülerpopulation auch statistisch im Hinblick auf

Bildungsteilhabe und –erfolg zu beobachten.

- Es wird in den nächsten Jahren in Thüringen zu deutlichen Veränderungen in der

Lehrerzusammensetzung kommen. Lehrer werden dann insgesamt jünger sein und

sie werden noch häufiger weiblich sein. In Bezug auch auf den besonders hohen

Anteil an weiblichen Lehrkräften sollte z.B. auch über Anreizsysteme nachgedacht

werden. Hierzu zählt auch die Verbeamtung. Thüringen wird diesen

Wettbewerbsnachteil auf längere Sicht eher nicht ausgleichen können. Die

zahlreichen jungen Lehrkräfte, die künftig in Schule unterrichten werden, werden

zudem systematischer als bislang an Fortbildungen teilnehmen müssen, um den oben

benannten Defiziten entgegenwirken zu können. Dass in diesem Zuge auch über eine

Neujustierung der Lehrerbildung nachzudenken ist, liegt auf der Hand: Inklusion,

Diagnostik, ganztagsschulische Bildung, Demokratieerziehung, Beratung u.a.m. sind

Themenbereiche, die nicht hinreichend im Curriculum abgebildet werden. Schließlich

wäre über eine Nutzung der erfahrungsbasierten Kompetenzen der ausscheidenden

Lehrkräfte nachzudenken. Interessierte Kollegen könnten Mentorate übernehmen

oder auch die vorgeschlagenen Sommercamps begleiten. Wichtig dabei wäre eine

Qualitätssicherung in Form von Superrevision oder kollegialer Beratung.

Page 113: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

112

Literatur Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein

indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Bielefeld: Bertelsmann.

Baethge, M. (2008): Das berufliche Bildungswesen in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. In: K. Cortina, J. Baumert, A. Leschinsky, K. U. Mayer & L. Trommer ( Hrsg.). Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. (S. 541–597). Rowohlt: Reinbek.

Baumert, J.; Klieme, E.; Neubrand, M.; Prenzel, M.; Schiefele, U.; Schneider, W.; Stanat, P.; Tillmann, K.-J. & Weiß, M. (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich.

Baumert, J.; Trautwein, U. & Artelt, C. (2003): Schulumwelten – institutionelle Bedingungen des Lehrens und Lernens. In: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). PISA 2000. Ein differenzierter Blick auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland. (S. 261-331). Opladen: Leske + Budrich.

Baumert, J.; Stanat, P. & Watermann, R. (Hrsg.) (2006): Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus. In: Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden: VS-Verlag.

Bellenberg, G. (2012): Schulformwechsel in Deutschland. Schulformwechsel in Deutschland – Durchlässigkeit und Selektion in den 16 Schulsystemen der Bundesländer innerhalb der Sekundarstufe I. Gütersloh: Bertelsmann.

Berkemeyer, N. & Bos, W. (2009): Professionalisierung im Spannungsfeld externer und interner Evaluation. In: O. Zlatkin-Troitschanskaia, K. Beck, D. Sembill, R. Nickolaus & R. Mulder (Hrsg.). Lehrerprofessionalität. Bedingungen, Genese, Wirkungen und ihre Messung. (S. 529-542). Weinheim: Beltz.

Berkemeyer, N.; Bos, W. & Manitius, V. (2012): Chancenspiegel. Zur Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme. Gütersloh: Bertelsmann.

Berkemeyer, N. & Manitius, V. (2013): Gerechtigkeit als Kategorie in der Analyse von Schulsystemen - das Beispiel Chancenspiegel. In: K. Schwippert, M. Bonsen & N. Berkemeyer (Hrsg.). Schul- und Bildungsforschung. Diskussionen, Befunde und Perspektiven. (S. 223-240). Münster u.a.: Waxmann.

Berkemeyer, N.; Bos, W.; Manitius, V.; Hermstein, B. & Khalatbari, J. (2013): Chancenspiegel 2013. Zur Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme mit einer Vertiefung zum schulischen Ganztag. Gütersloh: Bertelsmann.

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011): Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland. Verfügbar unter: www.bmas .de/Shared-Docs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a729-un-konvention.pdf?__ blob=publicationFile

Bonsen, M.; Bos, W.; Gröhlich, C.; Harney, B.; Imhäuser, K.; Makles, A.; Schräpler, J.-P.; Terpoorten, T.; Weishaupt, H. & Wendt, H. (2010): Zur Konstruktion von Sozialindizes. Ein Beitrag zur Analyse sozialräumlicher Benachteiligung von Schulen als Voraussetzung für qualitative Schulentwicklung. Bonn u.a. Verfügbar unter: http://www.bmbf.de/pub/bildungsforschung_band_einunddreissig.pdf. [14.10.2013].

Bos, W.; Voss, A.; Lankes, E.-M.; Schwippert, K.; Thiel, O. & Valtin, R. (2004): Schullaufbahnempfehlungen von Lehrkräften für Kinder am Ende der vierten Jahrgangsstufe. In: W. Bos, S. Hornberg, K.-H. Arnold, G. Faust, L. Fried, E.-M. Lankes, K.

Page 114: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

113

Schwippert & R. Valtin (Hrsg.). IGLU. Einige Länder der Bundesrepublik Deutschland im nationalen und internationalen Vergleich. (S. 191-228). Münster: Waxmann.

Bos, W.; Schwippert, K. & Stubbe, T. C. (2007): Die Koppelung von sozialer Herkunft und Schülerleistung im internationalen Vergleich. In: W. Bos, S. Hornberg, K.-H. Arnold, G. Faust, L. Fried, E.-M. Lankes, K. Schwippert und R. Valtin (Hrsg.). IGLU 2006. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. (S. 225-247). Münster: Waxmann.

Bos, W.; Hornberg, S.; Arnold, K.-H.; Faust, G.; Fried, L.; Lankes, E.-M.; Schwippert, K. & Valentin, R. (2008): IGLU-E 2006. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im nationalen und internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.

Bos, W.; Stubbe, T. C. & Buddeberg, M. (2010): Gibt es eine armutsbedingte Bildungsbenachteiligung? Die Operationalisierung verschiedener Indikatoren der sozialen Herkunft in der empirischen Bildungsforschung. In: D. H. Rost (Hrsg.). Intelligenz, Hochbegabung, Vorschulerziehung, Bildungsbenachteiligung. (S. 165-208). Münster: Waxmann.

Bos, W.; Tarelli, I.; Bremerich-Vos, A. & Schwippert, K. (Hrsg.) (2012): IGLU 2011. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.

Bourdieu, P. (1985): Sozialer Raum und `Klassen´. Leçon sur la leçon. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Buch, T.; Hell, S. & Wydra-Somaggio, G.: Stigma Hauptschulabschluss? Der Einfluss der Schulbildung auf das Arbeitslosigkeitsrisiko an der zweiten Schwelle. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (14) 3 2011. S. 421-443.

Diefenbach, H. & Klein, M.: „Bringing Boys Back in“. Soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Bildungssystem zuungunsten von Jungen am Beispiel der Sekundarschulabschlüsse. In: Zeitschrift für Pädagogik (48) 6 2002. S. 938-958.

Drechsel, B. & Artelt, C. (2008): Lesekompetenz im Ländervergleich. In: M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert, W. Blum, M. Hammann, E. Klieme & R. Pekrun (Hrsg.). PISA 2006 in Deutschland. Die Kompetenzen der Jugendlichen im dritten Ländervergleich. (S.107-126). Münster: Waxmann.

Edelstein, B. & Nikolai, R.: Strukturwandel im Sekundarbereich. Determinanten schulpolitischer Reformprozesse in Sachsen und Hamburg. In: Zeitschrift für Pädagogik (59) 4 2013. S. 482-495.

Fend, H. (1980): Theorie der Schule. Urban & Schwarzenberg: München. Fend, H. (2006): Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen.

Wiesbaden: VS-Verlag. Fend, H. (2008): Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichts-

qualität. Wiesbaden: VS-Verlag. Fischer, N.; Kuhn, H. P. & Klieme, E. (2009): Was kann die Ganztagsschule leisten?

Wirkungen ganztägiger Beschulung auf die Entwicklung von Lernmotivation und schulischer Performance nach dem Übergang in die Sekundarstufe. In: L. Stecher, C. Allemann-Ghionda, W. Helsper & Eckhard Klieme (Hrsg.) Ganztägige Bildung und Betreuung. S. 143-167. Weinheim: Beltz.

Frein, T.; Möller, G.; Petermann, A. & Wilpricht, M. (2006): Bedarfsgerechte Stellenzuweisung. Das neue Instrument Sozialindex. In: SchulVerwaltung, Ausgabe Nordrhein-Westfalen (6) 2006. S. 188.

Page 115: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

114

Giesinger, J.: Was heißt Bildungsgerechtigkeit? In: Zeitschrift für Pädagogik (53) 3 2007. S. 362-381.

Gomolla, M. & Radtke, F.-O. (2009): Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. 3. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag.

Hattie, J. (2009): Visible Learning. A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement. New York: Routledge.

Helmke, A. & Jäger, R. S. (2002). Das Projekt MARKUS. Mathematik-Gesamterhebung Rheinland-Pfalz: Kompetenzen, Unterrichtsmerkmale, Schulkontext. Landau: Verlag Empirische Pädagogik.

Hillebrand, A. (2012): Verbleibchancen in Gymnasien in Nordrhein-Westfalen. In: Hornberg, S. & Parreira do Amaral, M. (Hrsg.): Deregulierung im Bildungswesen. (S. 95-107). Münster: Waxmann,

Holtappels, H. G.; Radisch, F.; Rollett, W.; Kowoll, M. E. (2010): Bildungsangebot und Schülerkompetenzen in Ganztagsgrundschulen. In: W. Bos, S. Hornberg, K.-H. Arnold, G. Faust, L. Fried, E.-M. Lankes, K. Schwippert, I. Tarelli & R. Valtin (Hrsg.). IGLU 2006 – die Grundschule auf dem Prüfstand. Vertiefende Analysen zu Rahmenbedingungen schulischen Lernens. S. 165-198. Münster: Waxmann.

Honneth, A. (2011): Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin: Suhrkamp.

Hurrelmann, K.: Das Schulsystem in Deutschland. Das "Zwei-Wege-Modell" setzt sich durch. In: Zeitschrift für Pädagogik (59) 4 2013. S. 455-468.

Kemper, T. & Weishaupt, H. (2011): Region und soziale Ungleichheit. In: H. Reinders, H. Ditton, C. Gräsel & B. Gniewosz (Hrsg.) Empirische Bildungsforschung. (S. 209-219). Wiesbaden: VS-Verlag.

Klieme, E., Artelt, C., Hartig, J., Jude, N., Köller, O., Prenzel, M., Schneider, W. & Stanat, P. (2010). PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster: Waxmann.

KMK – Kultusministerkonferenz (2006). Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring. Bonn. Verfügbar unter: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2006/2006_08_01-Gesamtstrategie-Bildungsmonitoring.pdf. [1.11.2012].

KMK – Kultusministerkonferenz (2010). Übergang von der Grundschule in Schulen des Sekundarbereichs I und Förderung, Beobachtung und Orientierung in den Jahrgangsstufen 5 und 6 (sog. Orientierungsstufe). Verfügbar unter: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_10_18-Uebergang-Grundschule-S_eI1-Orientierungsstufe.pdf. [15.05.2013].

KMK - Kultusministerkonferenz (2011): Lehrereinstellungsbedarf und Lehrereinstellungs-angebot in der Bundesrepublik Deutschland Modellrechnung 2010-2020. Verfügbar unter: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Statistik/BERICHT_MODELLRECHNUNG_online.pdf. [21.06.2013].

Köller, O.; Knigge, M. & Tesch, B. (Hrsg.) (2010): Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich. Münster: Waxmann.

Kowoll, M. E.; Strietholt, R. & Bos, W.: Können Sommercamps Bildungsungleichheit abbauen? In: Die Deutsche Schule (105) 2 2013. S. 158-168.

Kuhn, H. P. & Fischer, N. (2011). Entwicklung der Schulnoten in der Ganztagsschule. Einflüsse der Ganztagsteilnahme und der Angebotsqualität. In: N. Fischer, H.-G. Holtappels, E. Klieme, T. Rauschenbach, L. Stecher & I. Züchner (Hrsg.). Ganztagsschule: Entwicklung,

Page 116: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

115

Qualität, Wirkungen. Längsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung von Ganztags-schulen (StEG). (S. 207-226). Weinheim und Basel: Juventa.

Lehmann, R.; Peek, R.; Gänsfuß, R. & Husfeld, V. (2002): Aspekte der Lernausgangslage und der Lernentwicklung – Klassenstufe 9. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung in Hamburg. Hamburg: Behörde für Bildung und Sport.

Maier, U.: Rezeption und Nutzung von Vergleichsarbeiten aus der Perspektive von Lehrkräften. Zeitschrift für Pädagogik (54) 1 2008. S. 95-117.

Maaz, K.; Baumert, J.; Gresch, C. & McElvany, N. (2010): Bildungsforschung Band 34. Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Disparitäten. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Verfügbar unter: http://www.bmbf.de/pub/bildungsforschung_band_vierunddreissig.pdf. [03.07.2013].

Nachtigall, C. & Müller, M. (Hrsg.) (2010): Schulbericht. Thüringer Kompetenztests. Beispielschule. Schuljahre 2002/2003-2009/2010. Verfügbar unter: http://www.kompeteztest.de.

Nachtigall, C. (Hrsg.) (2012): Ergebnisbericht. Thüringer Kompetenztest 2011/2012, Deutsch, Klasse 8z. Verfügbar unter: http://www.kompeteztest.de.

Radisch, F.; Klieme, E. & Bos, W.: Gestaltungsmerkmale und Effekte ganztägiger Angebote im Grundschulbereich. Eine Sekundäranalyse zu Daten der IGLU-Studie. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (9) 1 2006. S. 30-50.

Rauschenbach, T.; Arnoldt, B.; Steiner, C. & Stolz, H.-J. (2012): Ganztagsschule als Hoffnungsträger für die Zukunft? Ein Reformprojekt auf dem Prüfstand. Expertise des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh: Bertelsmann.

Rawls, J. (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Rösner, E. (2005): Von erfolgreichen Verlierern und verlustreichen Gewinnern. In: H. G.

Holtappels & K. Höhmann (Hrsg.). Schulentwicklung und Schulwirksamkeit. Systemsteuerung, Bildungschancen und Entwicklung der Schule. (S. 131-139). Weinheim und München: Juventa.

Sasse, A. & Schulzeck, U. (2010): Sonder- und Integrationspädagogische Förderung in Thüringen. Vortrag vor dem Thüringer Landtag, Erfurt am 03.12.2010.

Schümer, G.; Tillmann, K.-J. & Weiß, M. (2002): Institutionelle und soziale Bedingungen schulischen Lernens. In: J. Baumert und Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). PISA 2000. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. (S. 203-218). Opladen: Laske + Budrich.

Schimank, U. (2005): Differenzierung und Integration der modernen Gesellschaft. Beiträge zur akteurszentrierten Differenzierungstheorie 1. Wiesbaden: VS-Verlag.

Schimank, U. (2006): Teilsystemische Autonomie und politische Gesellschaftssteuerung. Beiträge zur akteurszentrierten Differenzierungstheorie 2. Wiesbaden: VS-Verlag.

Stanat, P.; Pant, H. A.; Böhme, K. & Richter, D. (Hrsg.) (2012): Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik. Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs 2012. Münster: Waxmann.

Steiner, C. (2011): Teilnahme am Ganztagsbetrieb. Zeitliche Entwicklung und mögliche Selektionseffekte. In: N. Fischer, H. G. Holtappels, E. Klieme, T. Rauschenbach, L. Stecher & I. Züchner (Hrsg.). Ganztagsschule: Entwicklung, Qualität, Wirkungen. (S. 57-75). Weinheim u.a.: Beltz/Juventa.

Page 117: Expertise - serviceagentur-demografie.de · Konzept der Chancengerechtigkeit im Schulsystem (für eine Vertiefung siehe Kapitel 4.1). Hierbei wird zuvorderst auf die Beobachtungsdimensionen,

116

Stojanov, K. (2011): Bildungsgerechtigkeit. Rekonstruktionen eines umkämpften Begriffs. Wiesbaden: VS Verlag.

Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (o.J.): Thüringer Bildungsmodell – Neue Lernkultur in Kommunen. Verfügbar unter: http://www.nelecom.de/index.html. [Stand: 31.05.2013].

Weinert, F. E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: F. E. Weinert (Hrsg.). Leistungsmessung in Schulen. (S. 17-31). Weinheim: Beltz.

Weishaupt, H. & Schulzeck U. (2005): Regionalisierte Stichprobenbeziehungen und Analysen bei large scale assessments - Möglichkeiten zur Typisierung regionaler Lebenslagen mit Daten der amtlichen Statistik. Unveröffentlichter Ergebnisbericht.

Zymek, B.: Die Aktualität der regionalen Schulentwicklung als Gegenstand der empirischen Bildungsforschung. Einführung in den Thementeil. In: Zeitschrift für Pädagogik (53) 3 2007. S. 279-283.

Zymek, B.: Die Zukunft des zweigliedrigen Schulsystems in Deutschland. Was man von der historischen Schulentwicklung dazu wissen kann. In: Zeitschrift für Pädagogik (59) 4 2013. S. 469-481.