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In ZTA 2007 Heft 2 Ingo Rath Wenn die Differenzierung zur Spaltung wird Analyse transaktionalen Geschehens (1.Teil) In dem vorliegenden Text wird das transaktionale Geschehen zwischen Patient und Therapeut 1 tiefenpsychologisch analysiert und reflektiert. Dabei stütze ich mich insbesondere auf Bernes frühe Konzepte (Berne 1949, 1952, 1953, 1955, 1957a, 1957b), in denen die psychoanalytischen Wurzeln noch deutlich sind, und auf die Annahme der Psyche als offenes sich selbst organisierendes System (Rath 1992), das auf den transaktionalen Austausch mit der Umwelt angewiesen ist. Der transaktionale Austausch wird als intrapsychischer und interpersonaler Organisator des Beziehungsgeschehens und der psychischen Struktur vorgestellt. Die Differenzierung und Selbstreflexion des eigenen Erlebens führt zur Entwicklung zweier Welten, einer phänomenologischen Welt des Erlebens und einer repräsentationalen inneren Welt. Das Zusammenspiel dieser beiden Welten, das sich im transaktionalen Austausch entwickelt, wird beschrieben, besonders dessen Auswirkung auf die therapeutische Beziehung, die durch Gegenübertragungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit auf Seiten des Therapeuten gekennzeichnet ist. Mögliche Störungen und Widersprüchlichkeiten dieses Zusammenspiels, die zur Abspaltung der repräsentationalen von der erlebenden Welt führen können, werden angedacht. In diesem Zusammenhang wird auf einen Paradigmenwechsel Bernes, der in seinem Strukturmodell der Ichzustände und seiner Definition der Transaktion sichtbar wird, hingewiesen, und kritisiert, dass Berne nicht zwischen einem erlebbaren Ichzustand und dessen seelischem Abdruck als 1 Zur leichteren Lesbarkeit verwende ich im weiteren Text ebenfalls „der Therapeut“ und „der Patient“ und meine damit Vertreter beider Geschlechter. 1

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In ZTA 2007 Heft 2

Ingo Rath

Wenn die Differenzierung zur Spaltung wirdAnalyse transaktionalen Geschehens

(1.Teil)

In dem vorliegenden Text wird das transaktionale Geschehen zwischen Patient und Therapeut1 tiefenpsychologisch analysiert und reflektiert. Dabei stütze ich mich insbesondere auf Bernes frühe Konzepte (Berne 1949, 1952, 1953, 1955, 1957a, 1957b), in denen die psychoanalytischen Wurzeln noch deutlich sind, und auf die Annahme der Psyche als offenes sich selbst organisierendes System (Rath 1992), das auf den transaktionalen Austausch mit der Umwelt angewiesen ist. Der transaktionale Austausch wird als intrapsychischer und interpersonaler Organisator des Beziehungsgeschehens und der psychischen Struktur vorgestellt. Die Differenzierung und Selbstreflexion des eigenen Erlebens führt zur Entwicklung zweier Welten, einer phänomenologischen Welt des Erlebens und einer repräsentationalen inneren Welt. Das Zusammenspiel dieser beiden Welten, das sich im transaktionalen Austausch entwickelt, wird beschrieben, besonders dessen Auswirkung auf die therapeutische Beziehung, die durch Gegenübertragungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit auf Seiten des Therapeuten gekennzeichnet ist. Mögliche Störungen und Widersprüchlichkeiten dieses Zusammenspiels, die zur Abspaltung der repräsentationalen von der erlebenden Welt führen können, werden angedacht. In diesem Zusammenhang wird auf einen Paradigmenwechsel Bernes, der in seinem Strukturmodell der Ichzustände und seiner Definition der Transaktion sichtbar wird, hingewiesen, und kritisiert, dass Berne nicht zwischen einem erlebbaren Ichzustand und dessen seelischem Abdruck als strukturbildendes Element der Psyche unterscheidet. Zur Vermeidung der dadurch entstehenden Widersprüchlichkeiten wird das Ichsystem (Rath 1992,1995) als Strukturmodell vorgeschlagen.

1. Zum transaktionalen Geschehen in der therapeutischen Beziehung

Der transaktionale AustauschDas transaktionale Geschehen zwischen Menschen wurde von Berne (1953) in seiner Arbeit „Über das Wesen der Kommunikation“ diskutiert und beschrieben, noch bevor er das Konzept der Ichzustände (Berne 1957b) entwickelte. Wenn Menschen in Beziehung treten, setzt ein wechselseitiger Austauschprozess ein, bei dem jeder auf den anderen reagiert. Dabei entsteht eine Folge wechselseitig beeinflusster Reaktionen, und es findet

1 Zur leichteren Lesbarkeit verwende ich im weiteren Text ebenfalls „der Therapeut“ und „der Patient“ und meine damit Vertreter beider Geschlechter.

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ein energetischer (emotionaler) Austausch statt, auf den Berne hingewiesen hat, und der selbst das Motiv des Austausches ist. „Ich weiß, dass Menschen, wenn sie miteinander reden, etwas austauschen, und das ist der Grund dafür, warum Menschen miteinander reden (Berne [1971], 1984, S.8)“. Die Grundeinheit des wechselseitigen Austausches bezeichnet Berne als Transaktion, die als „ein energetisch und /oder materieller Austausch zwischen zwei Personen oder einer Person und der Umwelt“ (Rath 1992, S.112) beschrieben werden kann. <Bevor Berne das Konzept der Ichzustände entwickelte, beschäftigte er sich mit dem transaktionalen Austausch, der ursächlich die Zustände des Ichs erzeugt.>

Der Austausch ist ein interpersonales Geschehen, das durch das dialektische Zusammenspiel von Internalisierung und Externalisierung (Mentzos 1984) gestaltet wird und zugleich intrapsychische Prozesse bei den Interaktionspartnern auslöst. Bei der Externalisierung werden Teile der inneren Welt nach außen gelegt und auf Objekte gerichtet. Bei der Internalisierung werden Beziehungserfahrungen mit der äußeren Welt nach innen gelegt und verarbeitet. Die Reaktionen der Interaktionspartner sind erlebbare und wahrnehmbare Ichzustände, die unteilbare subjektive Erfahrungseinheiten im Fluss des Erlebens darstellen, sozusagen Momentaufnahmen im Erleben. Ein Ichzustand organisiert sich im transaktionalen Austausch zwischen Innen- und Außenwelt aus Wahrnehmungen, Körperempfindungen, Gefühlen, Gedanken, Phantasien oder Erinnerungen (Rath 2006). Auf diese Verbindung zwischen Ichzuständen und transaktionalem Austausch wird öfter noch Bezug genommen.<Die Reaktionen der Interaktionspartner im transaktionalen Austausch sind erlebbare Ichzustände, die subjektiv erlebte Beziehungserfahrungen zum Ausdruck bringen.>

Von der Allverbundenheit zur (reifen) Verbundenheit

Wie auch die Säuglingsforschung bestätigt, ist der transaktionale Austausch zumindest von der Geburt an wirksam und wurzelt bioanalytisch gesehen auf der Erfahrung der Allverbundenheit des Embryos mit dem Mutterleib (Gruenberger 2001). Bei der Geburt wird die Allverbundenheit durch die körperliche Trennung gefährdet, der Prozess der Differenzierung von Subjekt und Objekt und der zur Bewusstwerdung ist eingeleitet. Die Ablösung des Säuglings vom allmächtigen Mutteruniversum, die mit einer Subjekt-Objekt-Differenzierung einhergeht, führt zum Erleben von sich selbst als ein einzigartiges und subjektives Lebewesen. Das Kind entwickelt die Subjektivität, die einen wesentlichen Aspekt des Selbst (Stern 1993) darstellt. Hier wird die Auffassung vertreten, dass das Selbst den Trieb (die Energie, das Motiv) zur Selbst- bzw. Ich-Entwicklung enthält. Wenn die Psyche, so wie der Gesamtorganismus des Menschen als ein sich selbst organisierendes System angesehen wird, so ist das Selbst Ursache und Ausgangspunkt der Selbstorganisation. Das Selbst ist in dieser Sichtweise mehr „als nur erlebendes Ich, es ist auch die Hüterin der Individualität, Subjektivität und Ganzheitlichkeit und die Energiequelle im Prozess der Entwicklung“ (Rath 1996, S.13). <Die Ablösung des Säuglings vom allmächtigen Mutteruniversum leitet die Differenzierung von Subjekt und Objekt ein und führt zum Erleben von sich selbst als subjektives

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Page 3: Fassung 4 - oeata · Web viewHeilung durch Beziehung Therapie, die zur Heilung führt, erfordert eine respektvolle liebende Beziehung. „Freud war lange Zeit der Meinung, eine Neurose

Lebewesen.>Der transaktionale Austausch als Ausdruck der Selbstorganisation der Psyche sucht das Objekt, bzw. erschafft das „Objekt“ in der weiteren Entwicklung bis hin zur Objektkonstanz (Mahler 1980), die dann die Verbundenheit mit der Außenwelt sicherstellt. Der Prozess der Differenzierung von Subjekt und Objekt und der Bewusstwerdung ist irreversibel, er ist nicht mehr umkehrbar, der Weg zur Allverbundenheit, zum Baum des ewigen Lebens (der dyadisch narzisstischen, paradiesischen Beziehung), ist durch den Erzengel mit dem flammenden Schwert versperrt, wie es in der Bibel heißt. Der Weg zur Allverbundenheit, die „Entdifferenzierung“ von Subjekt und Objekt, die zum Verlust der Bewusstheit, zur Auflösung der Subjektivität und damit in die Psychose führen würde, wird durch Angst signalisiert. Die Sehnsucht nach Verbundenheit, die als bioanalytische Erfahrung im Organismus gespeichert ist, bleibt bestehen und stellt jene Kraft dar, die die Suche nach Objekten vorantreibt. Findet das Individuum kein Objekt, entwickelt es verschiedene Verfahren der Objektsuche. Die verschiedenen Verfahren der Objektsuche können als transaktionale Beziehungsmuster z.B. schizoide, symbiotische, paranoide, virtuelle, funktionale, u. a. beschrieben werden. Willi (1975) hat verschiedene Beziehungsmuster als Kollusionen beschrieben, das symbiotische Beziehungsmuster wurde von Schiff et al. (1975), das virtuelle und funktionale von Rath (1998) behandelt. Im zweiten Teil dieser Arbeit (erscheint in ZTA 2007, Heft 3) verdeutlicht eine Fallvignette das schizoide Beziehungsmuster.<Die Sehnsucht nach Verbundenheit als bioanalytische Erfahrung des Organismus ist eine Kraft, die die Suche nach Objekten vorantreibt.>

Der transaktionale Austausch ermöglicht, die Folgen der körperlichen Trennung abzufedern und zu verarbeiten, so dass eine Verbundenheit erhalten bleibt, das Individuum sich in der Beziehung als Subjekt erleben und eine reife Abhängigkeit entwickeln kann. Wenn dies nicht gelingt, bleibt im transaktionalen Geschehen die Sehnsucht nach der Allverbundenheit, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies (Rath 1999) bestimmend, oder das Individuum ist gezwungen, den Prozess der Objektschaffung frühzeitig in Gang zu setzen, was zu einer strikten Subjekt-Objekt-Trennung und zur Abwehr von Beziehungen durch Rationalisierung führen kann. In beiden Fällen kommt es zur Internalisierung schlechter Objekterfahrungen, die in zurückweisende und die Sehnsucht erregende Aspekte aufgespalten werden, um so die unerträgliche Zerrissenheit und Hilflosigkeit infolge der totalen Abhängigkeit von den Eltern zu mildern (vgl. Fairbairn 2000).

Zur Wirkmächtigkeit des transaktionalen Austausches

Die Wirkmächtigkeit des transaktionalen Austausches ermöglicht, Beziehungen zur äußeren Welt aufrecht zu erhalten, die Erfahrungen damit zu verarbeiten und in einer inneren Welt abzubilden. Die drei Grundbedürfnisse von Berne ([1967],1970), der Hunger nach Stimulierung, Zuwendung und Struktur stellen jene motivationalen Kräfte dar, die es

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einem Individuum ermöglichen, in der Welt gesehen und wahrgenommen zu werden, zu ihr zu gehören, einen Platz in ihr zu finden, sich in ihr zu verständigen und selbst verstanden zu werden. Der Hunger nach Stimulierung ist das Bedürfnis nach Anregung und Erregung, das auf die Reizung der Sinne ausgelegt ist, der Hunger nach Beachtung und Zuwendung bezieht sich vor allem auf den emotionalen Austausch. Der Hunger nach Strukturierung ist das Bedürfnis des Menschen nach innerer und äußerer Ordnung und ist die Triebfeder für die Organisation der inneren psychischen Welt und für die Gestaltung der äußeren Welt in sozialen Systemen.<Die drei Grundbedürfnisse von Berne, der Hunger nach Stimulierung, nach Zuwendung und nach Struktur, bestimmen die Wirkmächtigkeit des tranaktionalen Austausches.>

Nach Berne sind die drei Antriebsfaktoren bzw. Arten von Hunger auf die Gestaltung von Beziehungen gerichtet. Dies bedeutet: Wenn jemand in Beziehungen Stimulation und Liebe erfahren hat, hat er auch gelernt, sich selbst zu stimulieren und zu lieben. Die Auswirkung des Strukturhungers zeigt sich bei Berne vorwiegend in der Strukturierung der Zeit und in der Organisation des menschlichen Sozialverhaltens. Der Strukturhunger bestimmt aber auch die Fähigkeit zur rationalen Erfassung der Erfahrungen und die Organisation und Gestaltung einer inneren psychischen Struktur.<Der Strukturhunger ist die Triebfeder der Organisation des menschlichen Sozialverhaltens und der inneren psychischen Struktur.>

Die Fähigkeit zur rationalen Erfassung des Erlebens

Die Fähigkeit zur rationalen Erfassung des Erlebens als Aspekt der Mentalisierung (vgl. Fonagy, Gergely, Jurist und Target 2004), stellt eine unmittelbare Folge der Herauslösung des Individuums aus der Allverbundenheit durch die Funktionen der Differenzierung und Selbstreflexion dar. Damit eröffnet sich dem Menschen eine neue Welt, in der er zusehends seine animalischen Triebe beherrschen lernt. Die Rationalisierung des Erlebens dient einerseits der Bewältigung der Anforderungen, die das Leben stellt, anderseits kann sie auch zur Abwehr unerträglicher Gefühle dienen. <Die Fähigkeit zur rationalen Erfassung des Erlebens eröffnet dem Menschen eine neue Welt, die ihm die animalischen Triebe zu beherrschen ermöglicht.>

Die Entwicklung zum denkenden Lebewesen hat in mehreren Mythen der Menschheit ihren Niederschlag gefunden. Der Entwicklungsschritt zur Bewusstwerdung wird jeweils durch die Missachtung eines Tabus eingeleitet, sei es der Raub des Feuers durch Prometheus oder das Essen von der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis durch Adam und Eva im Paradies. Insofern lebt der Mensch als Individuum am Schnittpunkt zweier „Welten“, der erlebbaren Erfahrungswelt, die mit dem Animalischen verbunden ist, und der inneren rationalen Denk- und Phantasiewelt, die die Fesseln der Erdgebundenheit scheinbar sprengen kann. Der transaktionale Austausch sichert die Verbindung und das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Welten. Die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Welten zu wechseln, ist durch die Fähigkeit zur Differenzierung gekennzeichnet, die

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allerdings Störungen und Widersprüchlichkeiten hervorrufen können. Wenn diese Irritationen nicht zur Spaltung führen, d.h. die Verbindung an der Schnittstelle zwischen beiden Welten verloren geht, stellen sie die Grundlage für Entwicklung und Heilung dar. So wird beispielsweise im therapeutischen Prozess die Differenzierung durch eine Deutung der Beziehung zwischen Patient und Therapeut oder durch Einbringung einer neuen Perspektive seitens des Therapeuten initiiert.<Der Mensch lebt am Schnittpunkt zweier Welten, der erlebbaren Erfahrungswelt und der rationalen Denk- und Phantasiewelt.>

Die innere Welt entwickelt eine gewisse Eigenständigkeit, die so weit geht, dass Gedanken und Fantasien das Erleben überschwemmen und die subjektiv emotionale Welt verdrängen oder abspalten können. Die schizoide Persönlichkeit ist in der rationalen Welt gefangen, was Leid nach sich zieht. Dieses Leid, aber auch dessen Linderung, wird im Filmdrama „A Beautiful Mind“ von Ron Howards (USA 2001) eindrucksvoll aufgezeigt, in dem das Leben des genialen Mathematikers und Nobelpreisträgers John Forbes Nash, dargestellt von Russel Crowes, nachgezeichnet wird. John Nash ist in der Welt der Gedanken und Fantasien gefangen, nur sporadisch öffnet sich die Tür zur subjektiv emotionalen Welt, er leidet in weiterer Folge an Schizophrenie. Seine Welt der Gedanken und Fantasien scheint grenzenlos zu sein, er produziert eine Unmenge von Daten, die nach verschiedensten Gesichtspunkten geordnet, zu logischen Widersprüchen führen. Er erstickt in der Fülle von Daten und Widersprüchen, die er nicht auflösen kann, weil ihm der Zugang zur emotionalen Welt verschlossen ist. Diese Paradoxien (unauflösbare Widersprüchlichkeiten) sind für John Nash nicht aushaltbar und erzeugen ein Leid, das im Film subtil und berührend erlebbar wird.<Das Filmdrama „A Beautiful Mind“ zeichnet das Leid des Nobelpreisträgers John Nashsubtil und berührend nach, das die Paradoxien der Welt des Denkens erzeugen, in der Nash gefangen ist.>

An bestimmten Übergängen zwischen der erlebbaren emotionalen und reflektierten rationalen Welt entstehen Paradoxien, auf die bereits Zenon von Elea (griechischer Philosoph um 450 v. Chr.) hingewiesen hat. Er wollte damit die Unteilbarkeit und die Einheit des Seins, des Erlebens im Hier und Jetzt, beweisen: So lässt er gedanklich Achill und eine Schildkröte ein Rennen veranstalten, bei dem die Schildkröte 100 Stadien Vorsprung hat und Achill zehnmal schneller läuft als die Schildkröte. Wenn nun Achill 100 Stadien hinter sich gebracht hat, hat die Schildkröte noch 10 Stadien Vorsprung, läuft nun Achill die 10 Stadien, so hat die Schildkröte noch ein Stadion Vorsprung. Wenn das weiter gedacht wird, holt Achill die Schildkröte nie ein, weil die Schildkröte in dieser Denkweise immer ihren Vorsprung behält, wie klein er auch sein mag. In der Welt der Erfahrung holt Achill die Schildkröte ein, in der Welt des Denkens nicht. Achill ist nicht schuld, dass er die Schildkröte nicht einholt, sondern das Denken (vgl. Rath 1984). Der, wie mir scheint, bedeutendste Unterschied zwischen beiden Welten besteht darin, dass die Erfahrungswelt des Menschen begrenzt ist, während die Welt des Denkens diese Grenzen überschreiten kann. Natürlich entstehen beim Übergang von der einen zur anderen Welt nicht unbedingt Paradoxien (psychisch als Leid erlebbar), aber wenn sie existieren, geht die Auflösung

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über die Veränderung der rationalen Sichtweisen, also der Veränderung der inneren Welt<Die Welt des Erlebens ist widerspruchslos, die Welt des Denkens nicht; denn Achill ist nicht schuld, dass er die Schildkröte nicht einholt.>

Zur Subjekt-Objekt-Differenzierung

Die Wirklichkeit des Menschen ist durch eine Komplexität gekennzeichnet, die das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem überschreitet. Alles, was wir uns (aus)denken können (z. B. Theorien), ist eine Aussage über die Fähigkeit des Organismus, nicht über die Fähigkeiten des Denkens. Die Natur richtet sich nicht nach der menschlichen Logik, und der Mensch ist Teil der Natur. Diese Aussage mag kränkend sein, ihre Anerkennung relativiert aber das archaische Relikt von Allmachtsphantasien. Organismen wie der Mensch haben ein Eigenleben (eine Subjektivität) und eine ihnen eigene Ordnung, die es im transaktionalen Austausch schrittweise zu verstehen gilt. Dies gilt insbesondere in der Psychotherapie und deren Forschung zu beachten.< Die Wirklichkeit des Menschen ist durch eine Komplexität gekennzeichnet, die das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem überschreitet; Theorien helfen die Komplexität zu reduzieren.>

Die Psyche des Menschen wird hier als „ein sich selbst organisierendes System, das sich entfaltet, wenn eine Person durch eine mehr oder weniger intensive energetische oder materielle Transaktion mit der Umwelt in Beziehung steht“ (Rath 1992 S.98) aufgefasst. Offene, sich selbst organisierende Systeme entwickeln sich in einem dialektischen Zusammenspiel von differenzierenden und integrierenden Prozessen, die Prinzipien der Ordnung von Organismen darstellen. Differenzierung erhöht die Subjektivität und Integration die Verbundenheit mit einem System höherer Ordnung. Die Anerkennung von Unterschieden löst Verbindungen nicht auf, sondern bildet die Basis für ein Beziehungsgefüge, das neue Zusammenhänge zu entdecken ermöglicht. Diese Sichtweise ist grundlegend vom Prinzip der Dichothomisierung verschieden, der Spaltung oder Trennung in zwei Teile, z.B. der (strikten) Subjekt-Objekt-Trennung. Spaltung löst Verbindungen auf und erzwingt Distanz. Differenz beinhaltet nicht die Notwendigkeit nach klaren und feststehenden Aufteilungen. Allerdings führen beide Prinzipien zu unterschiedlichen Erkenntnissen (Fox Keller 1986). Die Wahrnehmung und Anerkennung von Unterschieden ist die Voraussetzung zur Übernahme und Integration neuer Perspektiven (Sichtweisen). Ohne Anerkennung von Unterschieden gibt es keine Entwicklung und kein Lernen.<Differenzierung und Integration sind Prinzipien der Ordnung von Organismen, Differenzierung erhöht die Subjektivität, Integration die Verbundenheit.>

Infolge der Selbst- Objekt-Differenzierung, der Selbstreflexion und der Fähigkeit zur Symbolisierung kann das Individuum sich selbst oder Teile davon zum Objekt machen, das eigene Erleben rationalisieren und in inneren Bildern, Symbolen und Theorien speichern. Das Bild (Symbol) repräsentiert eine Beziehungserfahrung, die psychische Realität gewinnt, die nicht an die physische Anwesenheit des Objektes gebunden ist. Beim

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Prozess der Mentalisierung werden nicht nur die Eigenschaften von Personen und äußeren Objekten und deren Beziehungsqualitäten in den Bildern bzw. Symbolen gespeichert und strukturiert, sondern es findet auch eine Veränderung der eigenen Sichtweisen über sich, die anderen und die Welt durch die Übernahme fremder Perspektiven (Piaget und Inhelder [1947], 1971) statt. Eine Perspektivenübernahme schafft im interpersonalen Geschehen ein bestimmtes emotionales und strukturales Wissen vom anderen, das für soziales Handeln (Verhalten) und für Empathie eine notwendige Bedingung ist (Geulen 1982). Wenn das Selbst oder Teile davon im Spiegel des anderen verarbeitet und gespeichert werden, entwickelt sich aus dem erlebenden Selbst das repräsentationale Selbst (vgl. Fonagy, Gergely, Jurist und Target 2004). Selbst und Ich werden hier als zwei verschiedene, aber zusammenhängende Konzepte betrachtet, die unterschiedliche Zugänge zur der menschlichen Psyche zulassen. In fortschreitenden Prozess der Differenzierung und Integration entwickelt sich das Ich als Organisation der Bewältigungsstrategien und als Schutz für das verletzliche Selbst, sozusagen als Biorucksack für das Selbst, um in dieser Welt das Überleben zu sichern und in ihr zu recht zu kommen.<Die gespeicherten inneren Bilder, Symbole und Theorien repräsentieren Beziehungserfahrungen, die nicht an die physische Anwesenheit der Objekte gebunden sind.>

Das dialektische Wechselspiel zwischen der erlebenden und der repräsentationalen Welt hat Rath (1996) durch die Funktionen der Subjektion und Objektion dargestellt und beschrieben. Als Subjektion wird jene psychische Funktion bezeichnet, die Teile der inneren Welt und die Internalisierungen im transaktionalen Geschehen zum erlebenden Ich (zum Selbsterleben) machen, als Objektion jene Funktion, die das „Selbsterleben“ objektiviert und reflektiert (Abb.1). Durch Objektion verliert das Selbsterleben affektive Anteile. Die Objektion unterstützt die Affektregulierung, die Generalisierung und symbolische Verspeicherung der Erfahrungen. Die symbolisch gespeicherten inneren „Objekte“ können wiederum zum erlebenden Selbst gemacht (subjektiviert) werden und erhalten so subjektive emotionale Bedeutung. Als „Objekte“ der inneren Welt können die Selbstobjekterfahrungen der Selbstpsychologie (Wolf 1996) als Erfahrungen des Selbst mit Objekten, die Selbst- und Objektrepräsentanzen der Objektbeziehungstheorie (Kernberg 1989), oder die im Ich-System gespeicherten archäopsychischen und exteropsychischen Erfahrungen (Berne 1983 ,Rath 1992), aufgefasst werden, je nachdem welches Modell bevorzugt wird. <Durch Objektion kann das Selbsterleben objektiviert und reflektiert werden, durch Subjektion kann die innere Welt zum Erleben gebracht werden.>

Der transaktionale Austausch als intrapsychischer und interpersonaler Prozess

Wenn zwei Personen miteinander in Kontakt treten, entsteht ein gemeinsames Unbewusstes, und es findet ein unbewusster Austausch statt, noch bevor sie manifest

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miteinander kommunizieren (vgl. Berne 1953). Das Erleben der beiden Personen organisiert sich aus den intrapsychischen und interpersonalen bewussten und unbewussten Gegebenheiten. Jede Person hat in seiner inneren Welt einen Fundus an gespeicherten Erfahrungen, die im interpersonalen Austausch zu einem jeweils eigenständigen Erleben führen. Dieses Erleben kann nun verschiedener Qualität sein, je nachdem sich das Zusammenspiel von Subjektion und Objektion gestaltet. Die Subjektion bringt die innere Welt zum Selbsterleben und die Objektion schafft Distanz dazu und ermöglicht den Zugang zum Fundus der gespeicherten Erfahrungen. Rath (1996) hat den „Transaktionalen Austausch“ als Zusammenspiel intrapsychischer und interpersonaler Prozesse schematisch dargestellt.<Subjektion und Objektion gestalten das Zusammenspiel zwischen der erlebenden und repräsentationalen Welt, das erlebende Beziehungen kennzeichnet.>

Abb. 1 Metamodell: Transaktionaler Austausch (Rath 1996, S 19)

In Abb. 1 ist der transaktionale Austausch einer Person A mit einer Person B als interaktives Zusammenspiel der interpersonalen Prozesse von Internalisierung und Externalisierung und der intrapsychischen Prozesse von Subjektion und Objektion zwischen Selbst(erleben) (S) und innerer Welt (IW) dargestellt. Durch Subjektion führen die internalisierten Informationen der Außenwelt und die dadurch aktivierten gespeicherten Erfahrungen zu neuem Erleben (neuen Ichzuständen). Dieses Erleben kann durch Objektion reflektiert und bewertet, gegebenenfalls verarbeitet und in der repräsentationalen Welt gespeichert werden.Die Funktionen der Subjektion und Objektion können als Ausdruck der Subjekt-Objekt-Differenzierung verstanden werden und ermöglichen einerseits eine Unterscheidung zwischen Selbst und repräsentierter innerer Welt bzw. zwischen Fühlen und Denken, anderseits zwischen dem eigenen Erleben (intrapsychische Vorgänge) und dem Erleben eines anderen (interpersonale Vorgänge). Manchmal kommt es zu einer Fixierung in der Subjektion, die einem Versinken in der Regression entspricht. Eine Fixierung in der Objektion bedeutet ein Verharren im Denken, bei dem der Zugang zumindest zu den eigenständigen Gefühlen behindert oder blockiert ist. Die Kommunikation ist durch die objektivierte innere Welt, durch Denken bestimmt, bei der die Kommunikation durch kühle nüchterne Verarbeitung von Fakten, durch keinerlei Gefühle getrübt gekennzeichnet ist. Ein solcher Interaktionspartner versucht, das Beziehungsgeschehen zu funktionalisieren, den Dialog durch Denken ohne Gefühle zu beherrschen. Innerpsychisch wird die Subjekt-Objekt-Differenzierung zur Spaltung.<Wenn die Differenzierung zur Spaltung von Fühlen und Denken führt, werden die Beziehungen funktionalisiert und die Dialoge durch Denken ohne Gefühle beherrscht.>

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In einem erlebenden Beziehungsgeschehen besteht ein Zusammenspiel zwischen Subjektion und Objektion, bei dem ein Teil des Selbst vom Wunsch zu wissen, ablässt, um erleben zu können, und der andere Teil dem Wunsch, zu wissen, entspricht. Dies stellt keine Spaltung dar, sondern eine Differenzierung mit einem dialektischen Zusammenspiel von Subjektion und Objektion, in dem funktionale Aspekte im Erleben integriert sind. Die gleichschwebende Aufmerksamkeit, die Freud (1912) als therapeutische Haltung empfiehlt, oder die Forderung von Berne ([1966], 2005) nach Unvoreingenommenheit gegenüber den Patienten und danach, frei von problematischen Beziehungsmustern zu sein, dürfte dem entsprechen, was hier gemeint ist. Die Subjektion erzeugt eine Art von Gegenübertragungsbereitschaft, in der ich erlebe (erfahre), ohne zu wissen (Bollas 1987, S.212), die Objektion eine Art von Reflexionsbereitschaft. Gegenübertragungsbereitschaft und Reflexionsbereitschaft und –fähigkeit bilden die notwendige Voraussetzung für erlebende (therapeutische) Beziehungen.<Die Subjektion erzeugt eine Art von Gegenübertragungsbereitschaft, die Objektion eine Art von Reflexionsbereitschaft als Voraussetzung für eine erlebende Beziehung.>

Zur intrapsychischen Dynamik

Die Fähigkeit zur Selbstobjektivierung ermöglicht es, das transaktionale Geschehen zu reflektieren, zu verarbeiten und in der inneren Welt zu speichern. Im Dialog erschafft jeder für sich eine subjektive Realität, mitgestaltet durch den subjektiven und sozialen Bezugsrahmen. Im transaktionalen Austausch überschneiden sich die subjektiven Realitäten der Interaktionspartner, es entsteht ein gemeinsamer intersubjektiver Raum, wodurch Begegnung, wechselseitiges Verstehen und Lernen möglich wird. Dieser transaktionale Raum ist „ein gemeinsam geteilter Raum in wechselseitigem Miteinander“ (Springer 1999, S.3), er besteht aus einem äußeren Raum, dem Handlungsraum (Kahn 1993), und einem inneren, dem potentiellen Raum (Winnicott 1951) als Voraussetzung für verwandelnde Erfahrungen. <Die Schaffung eines transaktionalen Raumes gilt als Voraussetzung für verwandelnde Erfahrungen.>

In einem offenen, sich selbst organisierenden System befinden sich Subjektion und Objektion in einem Zusammenspiel. Wenn der Austausch mit der Außenwelt gestört oder blockiert ist, verengt sich das Ich-System immer mehr zu einem geschlossenen System. Das Erleben im Hier und Jetzt in den Ichzuständen wird zusehends durch die innere archäopsychische und exteropsychische Dynamik beherrscht, die äußere Realität verliert an Einfluss. Die Dynamik des Ich-Systems selbst ist nicht unmittelbar erlebbar und beobachtbar wie die Ichzustände. Das Ich-System ist ein hypothetisches rationales Konstrukt, das Vorgänge in der Psyche verstehbar, nachvollziehbar und im Bezugsrahmen des Patienten als sinnvoll erscheinen lässt (vgl. Rath 1992). Da die Entwicklung der Subjektivität, des Selbst mit der (Er)Schaffung einer inneren Welt dialektisch verknüpft ist, gibt es, psychisch gesehen, keine strikte Subjekt-Objekt-

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Trennung. Dies dürfte Berne mit seiner Aussage „Die Vorstellung einer präzisen Botschaft ist psychologisch undenkbar“ (Berne 1953, 1991 S. 87) gemeint haben. Denn zumindest das Unbewusste, das unser Erleben und Handeln (mit)bestimmt, ist im Beziehungsgeschehen verwoben. Das bedeutet, dass jede Mitteilung (Botschaft) eines Interaktionspartners, d.h. jeder Ichzustand im Erleben einer Person eine unteilbare Einheit darstellt. Zum Zweck der Analyse unterscheidet Berne zwischen manifesten (den rational erfassten) und latenten (unbewussten) Anteilen der Kommunikation, die den Schlüssel zur Erschließung der innerpsychischen Dynamik eines Patienten darstellen.<„Die Vorstellung einer präzisen Botschaft ist psychologisch undenkbar“ ist Bernes psychologische Version der Heisenbergschen Unschärferelation, Subjekt und Objekt lassen sich nicht strikte trennen, ebenso latente und manifeste Mitteilungen.>

Die latenten Anteile des Beziehungsgeschehens ermöglichen es, die Reaktionen der Interaktionspartner zu verstehen. Dieses Verständnis erschließt die Genese der gespeicherten Erfahrungen und Konflikte eines Patienten. Manchmal erscheinen Mitteilungen vom manifesten Anteil her sinnlos zu sein, währenddessen sich vom latenten Anteil her ein Sinn erschließen lässt. Devereux ([1967],1984 S. 339) hat ein illustratives Beispiel dazu als Scherz verkleidet: „Eine Hausfrau aus Nebraska sagt zu ihrem Mann: ‚Wenn einer von uns stirbt, ziehe ich nach Los Angeles’.“ Die Unlogik ihrer Äußerung ist vom manifesten Inhalt offensichtlich, sie könnte ja vor ihrem Mann sterben. Lässt der Mann aber diese Äußerung in das Unbewusste einfließen und horcht auf den Widerhall, so könnte er Ärger verspüren, ohne zunächst zu wissen, warum. Eine genauere Analyse des Widerhalls des Unbewussten und des latenten Anteils der Äußerung könnte ihn (natürlich hypothetisch) auf den unbewussten Wunsch der Gattin führen „Ich wünschte, Du wärest tot, so dass ich nach Los Angeles ziehen könnte“ (o. a., S. 339).<Die latenten Anteile des Beziehungsgeschehens ermöglichen, die Genese der gespeicherten Erfahrungen und Konflikte eines Patienten zu erschließen.>

Heilung durch Beziehung

Therapie, die zur Heilung führt, erfordert eine respektvolle liebende Beziehung. „Freud war lange Zeit der Meinung, eine Neurose heilen zu können, indem er sie interpretierte. Aber schon 1909 schrieb er an Jung: Wir heilen eigentlich durch Liebe. Das heißt, nicht die Interpretation des Unbewussten heilt, sondern die Beziehung zum Arzt“ (Ernst Federn in einem Interview im Profil vom 10. April 2006, anlässlich des 150.Geburtstages von Sigmund Freud). Zu erwähnen ist, dass Ernst Federn als der „Historiker der Psychoanalyse“ gilt. Sein Vater Paul Federn war bis zu seiner Emigration Freuds rechte Hand in der Wiener psychoanalytischen Gesellschaft. Paul Federn gab gemeinsam mit dem Psychoanalytiker Hermann Nunberg die Protokolle der Wiener psychoanalytischen Gesellschaft heraus und war auch der Analytiker von Eric Berne. Auch im Filmdrama „A Beautiful Mind“ (o. a.) lindert das Leiden von John Nash das einfühlende Verständnis und die Liebe seiner Gattin, indem sie ihm hilft, eine Brücke zwischen beiden Welten zu bauen, so dass er soziale Kontakte knüpfen und seine wissenschaftliche Arbeiten fortführen

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konnte. Psychotherapeutisch könnte man sagen, die Gattin von John Nash hat ihn liebevoll unterstützt, zwischen Innen und Außen, bzw. zwischen intrapsychischen und interpersonalen Prozessen zu unterscheiden.<Freud schrieb 1909 an Jung: „Wir heilen eigentlich durch Liebe.“>

Die erlebende Beziehung bietet die Grundlage von Veränderungen von Beziehungen, die der Patient in seiner Kindheit als Folge seiner frühen Beziehungserfahrungen verinnerlicht hat. Denn das Wechselspiel zwischen Selbst und innerer Welt (Abb. 1) bildet für sich ein geschlossenes System, wenn es nicht im Austausch mit der Außenwelt steht. Kann sich dieses System in der persönlichen Beziehung nicht öffnen, führt es zu pathologischen Übertragungsphänomenen, zu Rollenzuschreibungen gegenwärtiger Personen in verinnerlichten Dramen (vgl. auch Fairbairn 2000). Die Erfahrungen einer erlebenden Beziehung in der Therapie ermöglicht, das geschlossene System der inneren Welt zu öffnen, mit dem Ziel, die differenzierenden und integrierenden Tendenzen der Psyche in einer dynamischen Balance zu halten, die frühkindliche Abhängigkeit in eine reife Abhängigkeit zu verwandeln und die emotional logischen Widersprüchlichkeiten in der therapeutischen Beziehung aufzuheben. Insofern ist Therapie Analyse der erlebenden Beziehung zwischen Patient und Therapeut, die sich im Hier und Jetzt der Begegnung selbst regulierend entfaltet.<Die Erfahrungen einer erlebenden Beziehung ermöglichen, das geschlossene System der inneren Welt zu öffnen und die differenzierenden und integrierenden Tendenzen der Psyche wieder zu aktivieren.>

In den Abhandlungen über Intuition (Berne 1949), Diagnose (Berne 1952) und Kommunikation (Berne 1953) analysiert Berne das Beziehungsgeschehen zwischen Psychiater und Patienten. Im Mittelpunkt dieser Arbeiten steht implizit und explizit das wechselseitige Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen, die latenten und manifesten Anteile der Kommunikation, diese zu rationalisieren und für die Therapie nutzbar zu machen. Da Übertragung und Gegenübertragung unbewusste, stark emotional geprägte Vorgänge sind, lassen sie sich nur bedingt rationalisieren. Insofern ist bei der Analyse des transaktionalen Geschehens der manifeste (rational erfassbare) Anteil, der latente (im Beziehungsgeschehen emotional teilweise erfassbare) Anteil und deren Wechselwirkung zu berücksichtigen, um eine gemeinsame Interpretation und Deutung zu ermöglichen, die die Mentalisierung psychischer Prozesse fördert. Fokus der Therapie ist und bleibt die Analyse des therapeutischen Beziehungsgeschehens, gestaltet durch den sich selbst organisierenden transaktionalen Austausch zwischen Therapeut und Patient. Denn der transaktionale Austausch (die Transaktion) wirkt intrapsychisch und interpersonal und

ist per se der Organisator des (phänomenologischen) Beziehungsgeschehens und der Selbstorganisation der Psyche (des Ich-Systems als innere Struktur der Psyche),

erschafft eine innere Welt (im Prozess der Subjekt- Objekt-Differenzierung) und sichert die Verbundenheit mit anderen,

gestaltet die Verbindung zwischen Unbewusstem und Bewusstem bzw. zwischen

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dem Affekt- und Denksystem ermöglicht dem Individuum, eine Welt des Verstehens und Verstandenwerdens und

der menschlichen Begegnung zu entwickeln.< Fokus der transaktionaler Therapie ist und bleibt die Analyse des therapeutischen Beziehungsgeschehens, gestaltet durch den sich selbst organisierenden transaktionalen Austausch zwischen Therapeut und Patient.>

2. Zur Theorie des transaktionalen Austausches und der Ichzustände

Wie bereits erwähnt, wird in dieser Arbeit die Analyse transaktionalen Geschehens auf der Basis der frühen tiefenpsychologischern Konzepte von Berne und der Sichtweise der Psyche als offenes sich selbst organisierendes System dargestellt und nicht so sehr auf den späteren Konzepten Berns. Die Gründe werden hier kurz dargelegt.Der transaktionale Austausch zwischen den Interaktionspartnern organisiert sich aus bewussten (manifesten) und unbewussten (latenten) Anteilen selbst regulierend, wobei intrapsychische und interpersonale Vorgänge zu unterscheiden sind. Die Reaktionen der Interaktionspartner stellen Momentaufnahmen eines fortlaufenden Erlebensprozesses im Beziehungsgeschehen dar, also Ichzustände (vgl. Rath 2006). Ein Ichzustand ist daher die Reaktion auf eine Äußerung des Interaktionspartners einschließlich des Widerhalls seines Unbewussten. <Erstens ist festzustellen: Ichzustände definieren sich ursächlich als phänomenologische Reaktionen der Interaktionspartner im transaktionalen Austausch mit manifesten und latenten Anteile.>

Ein Ichzustand organisiert sich im Hier und Jetzt auf a) den Widerhall des Interaktionspartners bzw. die äußere Realität, b) das vorherrschende motivationale System, c) die Erwartungen, die auf frühren (archeopsychischen) Erfahrungen beruhen und d) den Einflüssen gespeicherter exteropsychischer Internalisierungen (Rath 2006). Ein Ichzustand ist somit ein Element des Erlebens im Hier und Jetzt und entspricht daher keinem unmittelbaren seelischen Abdruck. Wäre dem so, wäre unser Erleben und Handeln von inneren Strukturen determiniert, und die äußere Situation hätte keinen Einfluss, der transaktionale Austausch wäre gestört. Natürlich können die seelischen Abdrücke schwer traumatischer Beziehungserfahrungen das Erleben überschwemmen und einen Ichzustand im Hier und Jetzt maßgeblich bestimmen. Ein Ichzustand ist kein strukturbildendes Element, erst die innerpsychische Verarbeitung eines Ichzustandes erzeugt einem seelischen Abdruck, der strukturbildend ist. Die Unterscheidung zwischen Ichzuständen und strukturbildenen Elementen, zwischen der erlebten phänomenalen Welt und der repräsentierten inneren Welt hat Berne aus meiner Sicht bei der Konzipierung des Strukturmodelles außer Acht gelassen, was zu Vermischungen und Widersprüchlichkeiten in der Theorie und der praktischen Anwendung des Modells führt.

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<Zweitens ist festzustellen: Ein Ichzustand ist kein strukturbildendes Element, erst die innerpsychische Verarbeitung eines Ichzustandes erzeugt einen seelischen Abdruck, der strukturbildend ist.>

Das Konzept der Ichzustände hat Berne (1957a, 1957b) aus dem Konzept des Ich-Bildes im selben Jahr entwickelt. Das Ich-Bild ist „das intuitiv gewonnene Bild des Therapeuten, das das Ich des Patienten beschreibt“ (Steiner 1982, S.25), eigentlich: das den Zugang zum Verständnis der inneren Struktur des Patienten eröffnet. Denn das Ich-Bild ist die Gegenübertragungsreaktion des Therapeuten im transaktionalen Austausch mit dem Patienten, also ein Ich-Zustand, und sagt zunächst mehr über die seelische Befindlichkeit des Therapeuten aus. Berne ([1957a], 1991, S. 151) schreibt: „ Das Verstehen der Patienten zeigt sich phänomenologisch in zwei Arten von Bildern: Urbilder, die sich auf die vorherrschenden Modi und Zonen der Triebstrebungen beziehen; und Ich-Bilder, die sich auf Fixierungen im Ichzustand des Patienten beziehen“, eigentlich: die die Ichzustände des Therapeuten darstellen, die den Zugang zu den Fixierungen in der Psyche des Patienten eröffnen können. In der Berneschen Formulierung ist eine symbolische Gleichsetzung (Segal [1957], 1990) zu erkennen, bei der keine Unterscheidung zwischen dem Symbolisierten, dem Ichzustand, und dem Symbol, dem seelischen Abdruck in der Psyche, getroffen wird. Weiters wird nicht beachtet, dass erst die Analyse des Ich-Bildes als Gegenübertragungsreaktion des Therapeuten einen Zugang zum Verstehen des Patienten eröffnet, die allerdings interpersonal zu validieren ist. Wenn beispielsweise im Therapeuten als Gegenübertragungsreaktionen das Bild eines etwa einjährigen Kindes in einem Gitterbett stehend und an den Gittern rüttelnd entsteht, kann er es dem Patienten zur Verfügung stellen. Dieser kann es als stimmig oder unstimmig empfinden, er kann es aber auch modifizieren etwa in „Ich sehe mich zwar im Gitterbett, aber sitzend, und bin traurig und verzweifelt“.<Drittens ist festzustellen: Berne hat in Konzeption des Strukturmodells der Ichzustände nicht zwischen dem Symbolisierten, dem Ichzustand, und dem Symbol, dem seelischen Abdruck in der Psyche unterschieden.>

In der folgenden Formulierung von Steiner (o.a. S. 26) sind die Widersprüchlichkeiten fokussiert erkennbar. „Schließlich entdeckte er (gemeint ist Berne, ergänzt durch I.R.), dass in jedem Menschen ein ego image aus der Kindheit steckt; er nannte sie „Ich-Zustände“ (ego states)“. In dieser Aussage werden die symbolische Gleichsetzung von Symbol und Symbolisiertem und die interpersonale Verschiebung des Ich-Bildes, die ursprünglich eine Reaktion des Therapeuten im transaktionalen Austausch ist, auf den Interaktionspartner deutlich. Hier wird der Ichzustand vom Patienten mit dem Ichzustand des Therapeuten (Ich-Bild) gleichgesetzt, anders formuliert, der Ichzustand des Therapeuten wird zum Erleben des Patienten. Aus meiner Sicht hat hier Berne mit einer ungewöhnlichen Denkweise, versucht, die Widersprüchlichkeit zwischen der erlebenden und der repräsentationalen Welt aufzuheben. Die Auflösung der Unstimmigkeiten führt aber, wie beim Paradoxon von Zenon von Elea (o.a.), über die Modifizierung der Theorie: Das wird hier vorgeschlagen.<Viertens ist festzustellen: Das Ich-Bild als Gegenübertragungsreaktion des Therapeuten

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ist nicht identisch mit den erlebten Ichzuständen des Patienten, auch die Sichtweise der Ichzustände als Metaphern ändert daran nichts.>

Die Widersprüchlichkeit im Strukturmodell von Berne wirkt sich natürlich auch in Gegenübertragsreaktionen bei Ausbildungskandidaten aus. Im Beitrag in der Zeitschrift für Transaktionsanalyse drückt eine Peergruppe (Isemann, Littig, Steiner, Stückle und Tschamper, 2003) ihren Unmut nach einer Darstellung der Widersprüchlichkeiten des Strukturmodells aus: „Wir allerdings machen uns jetzt aus dem Staub und wechseln schnurstracks ins ach so bequem überschauliche Funktionsmodell“ (o.a. S. 340). Ich kann diese Reaktion verstehen, denn meine Gegenübertragungsreaktion während der Ausbildung war eine immer wiederkehrende Verwirrung bei der Reflexion des Strukturmodells der Ichzustände; ich klärte, überlegte, kam zu einem neuen Verständnis, das bei der nächsten Gelegenheit wieder in Verwirrung umschlug. Nach etwa acht Jahren der Ausbildung und Beschäftigung mit dem Strukturmodell entschied ich, dass die Verwirrung nicht in mir, sondern im Konzept des Strukturmodells der Ichzustände liegt. Diese Verwirrung löste ich durch die Schaffung eines von den Ichzuständen getrennten Stukturmodells, das ich als Ichsystem mit den Subsystemen Neopsyche, Archeopsyche und Exteropsyche vorstellte (vgl. Rath 1992, 1995 und Exkurs). Das Ichsystem repräsentiert die innere psychische Struktur, die im transaktionalen Austausch die Ichzustände als phänomenologische Aspekte der Persönlichkeit mitbestimmt. Sie hinterlassen keinen direkten seelischen Abdruck und stellen daher keine strukturbildenden Elemente dar. Erst die innerpsychische Verarbeitung der Ichzustände als subjektiv erlebte Beziehungserfahrungen führt zu einem innerpsychischen strukturbildenden Abdruck, der im Ichsystem, das Inhalt und Funktion der Psyche beschreibt, gespeichert wird.<Fünftens ist festzuhalten: Die Widersprüchlichkeit im Strukturmodell der Ichzustände löst nur die Schaffung eines von den Ichzuständen getrennten Strukturmodells auf. Als solches schlage ich das Ichsystem mit den Subsystemen Neopsyche, Archeopsyche und Exteropsyche vor.>

Die Ichzustände können aber, wie Berne sie anfangs auch eingeführt hat, in phänomenologische Kategorien eingeteilt werden. Das erste Kriterium ist die Realitätsangemessenheit. Die realitätsangemessenen Ichzustände werden als Erwachsenen-Ichzustände bezeichnet, die nicht realitätsangemessenen (pathologischen) Ichzustände werden weiter nach ihrer Herkunft als Kind-Ichzustände bzw. Eltern-Ichzustände differenziert. Kategorien von Ichzuständen bilden keine psychische Struktur ab, sind aber hilfreich zur Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Hier wird die Auffassung vertreten und begründet, dass die innere psychische Struktur nicht durch Ichzustände erklärt und beschrieben werden kann, wohl aber das phänomenologische Erleben. Weiters hat Berne den Begriff der Transaktion ursprünglich zwischen Personen als unteilbare Ganzheit mit manifesten und latenten Anteilen aufgefasst. Erst in späteren Jahren hat Berne die Transaktion zwischen Ichzuständen definiert und durch Pfeile dargestellt (z.B. Berne 1983) und nicht mehr zwischen erlebenden Personen. Meiner Ansicht nach vollzieht Berne hier einen Paradigmenwechsel, der mit den Paradoxien an

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der Schnittstelle der beiden Welten, dem emotional Erlebbaren und den gespeicherten Erfahrungen zu tun hat und die vermutlich mit Bernes Ablehnung der Aufnahme in die psychoanalytische Gesellschaft im Jahr 1956 (vgl. Steiner 1982) zusammenhängt. Jedenfalls besteht eine zeitliche Parallele. Der Paradigmenwechsel besteht aus meiner Sicht in einem Richtungswechsel der Entwicklung und Darstellung der Theorie. Geht Berne anfangs von seinem Erleben als Psychiater in der Beziehung zu seinen Patienten aus, das er reflektiert und rationalisiert, wechselt er nun die Richtung und beschreibt Erleben durch Konstrukte, sichtbar beim Übergang vom Ich-Bild zu den Ichzuständen und der Definition der Transaktion. Dies hat zur Folge, dass die ursprüngliche Relativierung der Selbst -Objekt-Trennung in seinen frühen Konzepten „re-relativiert“ wurde, die zu einer verstärkten Operationalisierung der tiefenpsychologisch konzipierten Begriffe und Konzepte und zu einer Abspaltung der tiefenpsychologischen Wurzeln führte. Kennzeichnend dafür ist beispielsweise Bernes Versuch, den transaktionalen Austausch in Beziehungsdiagrammen durch eine mathematische Formel darzustellen (Berne 1983 S29-37). Hier wird Beziehung funktionalisiert und abstrahiert, um subjektives Erleben (scheinbar) fassbar zu machen.<Sechstens ist festzustellen: In der Theorie von Berne ist ein Paradigmenwechsel erkennbar, der von den tiefenpsychologischen Wurzeln führte, zu denen er in „Was sagen Sie, nachdem Sie guten Tag gesagt haben“ wieder eine Brücke zu bauen versuchte.>

Die vorliegende Arbeit untermauert meine Überzeugung, dass transaktionsanalytische Therapie Arbeit an der erlebenden Beziehung darstellt, d.h. Analyse des transaktionalen Geschehens zwischen Therapeut und Patient. Erlebende Beziehung organisiert sich im Hier und Jetzt im Zusammenspiel von Gegenübertragung und Selbstreflexion, von Subjektion und Objektion, im Unterschied zu einer funktionalen therapeutischen Beziehung, in der die Beziehung objektiviert und abstrahiert nach einem Vorstellungsbild von Beziehung gestaltet ist. Eine solche Therapie ist reduktionistisch, weil die Komplexität des Erlebens eingeschränkt wird; dass sie nicht wirksam sein kann, meine ich damit nicht. Kennzeichnend für eine emotional bedeutsame Beziehung ist interpersonal der Austausch zwischen Innen- und Außenwelt und intrapsychisch das Wechselspiel von Subjektion und Objektion, zwischen dem erlebenden Selbst und den gespeicherten Erfahrungen.Historisch und genetisch betrachtet hat Berne in den Jahren 1949 bis 1957, ausgehend von der Beschäftigung mit der Intuition und den kommunikativen Austauschprozessen transaktionales Geschehen analysiert und das Erleben in der Beziehung im Hier und Jetzt in den Mittelpunkt gestellt. Daraus entwickelte er die Konzepte der Ichzustände als Interpunktionen im Fluss des Erlebens. Zugleich beschäftigte sich Berne auch mit der Informationsverarbeitung und sieht die Psyche als einen Organismus, der Informationen verarbeitet. Hier dürfte Berne intuitiv das Spannungsfeld zwischen der Welt des Erlebens und der repräsentationalen Welt erkannt haben. Meiner Ansicht nach hat er versucht, eine Verbindung zwischen beiden Welten herzustellen, die im Strukturmodell der Ichzustände ihren Ausdruck fand. Diese Verbindung ist, wie bereits diskutiert, nicht geglückt, weil Berne die Brücke nicht von der erlebenden Welt, von der er ausgegangen ist, zur repräsentationalen Welt geschlagen hat, sondern einen Paradigmenwechsel vollzog. Die Verbindung der erlebenden zur repräsentationalen Welt leistet der transaktionale

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Austausch, der das Beziehungsgeschehen intrapsychisch und interpersonal organisiert. Vor diesem hier diskutierten Hintergrund schlage ich vor, die Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse zu überdenken und gegebenenfalls zu modifizieren.<Was ich so sehr liebe: Transaktionsanalytische Psychotherapie, die sich in einer erlebenden Beziehung, in der Begegnung zweier Menschen im wechselseitigen transaktionalen Austausch gestaltet.>

Exkurs: Das Ichsystem als Strukturmodell

Das Ichsystem mit den Subsystemen Neopsyche, Archeopsyche und Exteropsyche wurde von Rath (1992) als Strukturmodell vorgeschlagen und in Verbindung mit der ursprünglichen Einteilung der Ichzustände von Berne dargestellt (Rath 1995). In Abb. 2 versinnbildlichen die schwarz ausgefüllten Ringerl eine der Realität angemessene Modifizierung der gespeicherten Erfahrungen durch die Neopsyche, die weiß bleibenden Ringerl eine nicht angemessene Modifizierung.

Abb. 2: Das Ichsystem (Rath 1996)

Während die Archeopsyche vorwiegend als Speicher für die erlebten vergangenen Erfahrungen, die Exteropsyche als Speicher für die von anderen (im allgemeinen von bedeutsamen Bezugspersonen) übernommenen Erfahrungen und Informationen dient, stellt die Neopsyche ein System von Funktionen dar, das für die Verarbeitung und Speicherung des Erlebens, für Prüf- und Entscheidungsprozesse und für das Handeln zuständig ist. Das Ichsystem stellt jene Struktur dar, die mit ihren Funktionen selbst organisierend Informationen auswählt, verarbeitet, bewertet, speichert und für zukünftige Situationen verfügbar macht. Die pathologischen Kind- und Eltern-Ichzustände stellen subjektiv erlebte problematische Beziehungsmuster dar, die die Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeiten beeinträchtigen. Sie haben ihren Ursprung in primären konflikthaften Beziehungserfahrungen, die durch die intrapsychischen Mechanismen der Fixierung und Introjektion als pathogene Schemata im Ichsystem gespeichert werden. <Die Archeopsyche ist der Speicher für die eigenen verarbeiteten Erfahrungen, die Exteropsyche der für die übernommenen Beziehungsmuster und Informationen, und die Neopsyche ist ein System von Funktionen für die Verarbeitung und Speicherung des Erlebens, und die Entscheidung zum Handeln zuständig ist.>

Fixierung ist ein innerpsychischer Mechanismus der Bewältigung und Abwehr eines Konfliktes, „in dem Entwicklungsstrebungen zugunsten der Aufrechterhaltung der

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Beziehung angehalten, fixiert werden“ (Springer 1995 S 16). Eine Fixierung wird als pathogenes Beziehungsschema in der Archeopsyche gespeichert. Introjektion ist ein innerpsychischer Mechanismus der Bewältigung und Abwehr eines Konfliktes, bei dem „elterliche Beziehungsstile und ungelöste elterliche Erfahrungen eingekapselt werden“ (Springer 1995, S 18), die zur „Reparation“ der Fixierung dienen und zum jeweiligen Zeitpunkt nicht verarbeitet werden können“. Das Ergebnis einer Introjektion wird als pathogener Inhalt (als Introjekt) in der Exteropsyche gespeichert. Fixierung und Introjektion sind zwei einander ergänzende Mechanismen, auch wenn sie unterschiedlich verarbeitet und gespeichert werden (in Abb. 2 durch den Doppelpfeil illustriert). <Eine Fixierung ist als pathogenes Beziehungschema in der Archeopsyche gespeichert, das damit verbundene Introjekt in der Exteropsyche.>

Dazu ein Beispiel: Als mein Hund einen Schlaganfall erlitt, wollte ich ihn nicht allein lassen und musste daher eine Therapiestunde absagen. Ich teilte dies dem Patienten mit, gab auch den Grund an und schlug ihm einen neuen Termin am nächsten Tag vor. Ich nahm seine Enttäuschung wahr. Er reagierte mit der Frage „Wissen Sie, dass es für solche Fälle die Tierklinik gibt?“. In der nächsten Stunde thematisierte ich die Situation, der Patient kommt mit seinem Ärger und seiner Kränkung durch die subjektiv erlebte Zurückweisung in Kontakt, die er in der Situation einen Tag zuvor nicht wahrnahm. Die aktivierte problematische Beziehungserfahrung wird durch eine Fixierung mit einer damit verbundenen Introjektion bestimmt. Die Fixierung besteht im Unterdrücken der Kränkung und der damit zusammenhängenden Wut, die auf der in der Archeopsyche gespeicherten Erfahrung „wenn ich wütend bin, werde ich zurückgewiesen oder verlassen“ beruht. Ärger und Kränkung nicht zu fühlen, führt aber gerade zum Abbruch der erlebenden Beziehung, und das ist wiederum intuitiv bedrohlich. Daher wird der Abbruch der Beziehung notdürftig durch die Übernahme (Introjektion) des vermeintlichen Problems des Therapeuten mit einem Lösungsvorschlag zu reparieren versucht. „Wenn der Hund im Tierheim versorgt wird, hat der Therapeut Raum und Zeit für mich, und mein Wunsch geht in Erfüllung“ stellte das dahinter liegende unbewusste Motiv dar. Das gespeicherte Beziehungsschema „Probleme eines anderen (der Mutter) zu übernehmen und zu lösen “, um die bedrohte Beziehung wieder herzustellen, stellt ein nicht verarbeitetes Introjekt der Exteropsyche dar. Die Beziehungen Patient und Therapeut sowie Therapeut und Hund werden auf eine funktionale objektivierte Ebene verschoben, die subjektiv emotionale geht verloren. <Wenn ein Patient den Therapeuten zu funktionalisieren versucht, wird ein problematisches altes Beziehungsmuster aktiviert.>

Zusammenfassung

Transaktionale Analyse wird als ein Geschehen beschrieben, das sich in einer erlebenden Beziehung, in der Begegnung zweier Menschen, durch den transaktionalen Austausch selbst organisiert und gestaltet. Der transaktionale Austausch wird als Grundlage der tiefenpsychologischen Transaktionsanalyse gesehen. Dieser wird als intrapsychischer und interpersonaler Organisator der Psyche beschrieben, der einerseits das Erleben und Handeln im Hier und jetzt gestaltet und der andererseits zur Entwicklung einer inneren

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repräsentationalen Welt führt. Das Zusammenspiel dieser beiden Welten für die therapeutische Beziehung wird hervorgehoben, das den Therapeuten zu einer Gegenübertragungsbereitschaft und einer Reflexionsfähigkeit befähigt, die eine heilende Beziehung ermöglichen.Theoretisch wird zwischen den Ichzuständen als subjektiv erlebbare Erfahrungseinheiten und dem Abdruck, den sie in der Psyche hinterlassen, unterschieden. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen einem erlebbaren Ichzustand und dessen seelischem Abdruck als strukturbildendes Element der Psyche macht Berne nicht, was zu Widersprüchlichkeiten in der Anwendung der Theorie führt. Um dies zu vermeiden, wird ein Strukturmodell vorgestellt, dem nicht das Konzept der Ichzustände grundgelegt ist. Ein solches Strukturmodell wird als Ichsystem mit den Subsystemen Neopsyche, Archeopsyche und Exteropsyche vorgestellt.

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