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Feuer frei für della Rocca, Fred McMason

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Fred McMason

Feuer frei für della Rocca Eine Hölle aus Feuer und Rauch schob sich unaufhaltsam

näher heran und bedrohte die Hütten der Schnapphähne auf der Insel Cozumel an der Ostküste von Yucatan. Die höllische Feuerwalze wurde vom Ostwind langsam und unaufhaltsam

westwärts getrieben. Explosionsartig hochstiebender dunkler Qualm wallte immer wieder auf. Funken knisterten, die der Wind vor sich hertrieb und wieder entstanden neue kleine

Brandherde. Es sah so aus, als würde sich der Buschbrand zu einem Inferno der Hölle entwickeln.

Das Feuer hatte zuerst die in Koben gehaltenen Schweine auf der Insel beunruhigt. Zwei brachen voller Angst und Panik aus

ihren Koben und rannten ziellos davon, mitten zwischen die wie erstarrt dastehenden Piraten. Jetzt griff die Panik weiter um

sich. Eine Katastrophe schien sich anzubahnen...

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Die Hauptpersonen des Romans:

Della Rocca - Der Korse stellt fest, daß ihn jemand beklaut hat, und da reagiert er wie ein Amokläufer.

Philip Hasard Killigrew - Der Seewolf hat sich mit Selbstvorwürfen geplagt, aber er hatte die richtigen Männer für den Coup ausgesucht.

Der Kutscher - Bekannt für logisches Denken, zeigt er wieder einmal, daß er auch Rätsel lösen kann.

Dan O’Flynn - Er hilft dem Kutscher beim Enträtseln und beweist dabei ein kluges Köpfchen.

Zardo - Der Ankerwächter der „Bonifacio" kann sagen, was er will, man glaubt ihm nicht, und damit hat seine letzte Stunde geschlagen.

1.

Der Mann mit dem sichelförmigen Schnauzbart, den schwarzen Knie­hosen, blauen Strümpfen, schwarzer Jacke mit Goldknöpfen und dem ro­ten Umhang über der Jacke, starrte aus schmalen Augen in das lodernde Feuer. Er hatte nicht die geringste Erklärung, wie der Brand ausgebro­chen oder überhaupt so plötzlich ent­standen war.

Der Mann war della Rocca, der Perlen-Wolf, wie er heimlich von seinen Schnapphähnen genannt wurde. Perlen-Hai traf allerdings eher zu. Diesen Namen hatten ihm die Seewölfe gegeben.

Della Rocca war Korse, dement­sprechend temperamentvoll, auf­brausend, aber auch jähzornig und brutal. Außerdem hatte er den „Per­len-Tick".

Zwei der ausgebrochenen Schwei­ne rannten immer noch quiekend und grunzend hin und her und sorgten gleichzeitig für weitere Verwirrung und Angst.

Der Schein des Feuers wurde grel­ler, wilder und explosiver. Die Nacht war jetzt taghell erleuchtet, und so sah der Korse deutlich die Angst, die sich im Widerschein des Feuers in

den Gesichtern seiner Schlagetots spiegelte. Ja, sie hatten Angst, die Kerle, und mit den Huren, die sich in ihrer Gesellschaft auf der Insel Cozumel befanden, stand es noch schlimmer. Einige der Frauenzimmer wollten in ihrer Angst flüchten und kreischten in den hellsten Tönen. Doch es gab keinen Fluchtweg. Das Meer hielt sie auf.

In der kleinen Ankerbucht lagen jedoch zwei Schiffe. Eine Zwei­mastschaluppe und die „Bonifacio", mit der della Rocca seine Beutezüge und Raids unternahm, wenn er die Spanier um Perlen erleichterte.

Diese beiden Schiffe waren das Ziel einiger nun ebenfalls in Panik geratener Kerle, die ihr Heil nur noch in einer schnellen Flucht sahen. Einer rannte brüllend los, zwei weitere, die das sahen, folgten ihm au­genblicklich. Etliche andere standen noch unschlüssig herum, doch die Panik überfiel auch sie. Sie hatten Angst, bei lebendigem Leib geröstet zu werden.

Das Fauchen der Feuerwalze war bereits zu hören. Es war ein hohl klingendes, unheilverkündendes Fauchen wie von einer gereizten Großkatze. Und mit jeder Minute

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wurde das Geräusch lauter und un­heimlicher.

Ein paar Frauenzimmer waren kreischend bis zum Wasser gelaufen. Dort standen sie jetzt und starrten angstvoll zu den immer größer wer­denden Flammen.

Für della Rocca hatte es den An­schein, als würde dieses Höllenfeuer die ganze Insel versengen.

Er gab sich einen Ruck, löste den Blick von dem schaurig-schönen Schauspiel und schnappte sich einen Kerl, der gerade wie ein Irrer an ihm vorbeitobte. Sein Ziel war der Strand in der Ankerbucht und damit eins der beiden Schiffe.

„Hiergeblieben!" brüllte della Rocca. „Bleib stehen, verdammt!"

Der Mann, ein geiergesichtiger üb­ler Schnapphahn, hörte ihn nicht. Seine Angst vor dem Feuer war grö­ßer als die vor della Rocca. Wie be­sessen rannte er weiter, keuchend, mit weitaufgerissenen Augen und flackernden Blicken.

Als er mit dem Korsen auf gleicher Höhe war, stellte der ihm ein Bein und lachte roh.

Der Geiergesichtige stoppte abrupt, flog in den Sand und überschlug sich ein paarmal bis er benommen liegenblieb.

Della Rocca hievte ihn am Kragen seines schmierigen Hemdes hoch, drehte es zusammen und hielt den Mann im Würgegriff fest Die linke Faust landete krachend unter seinem Kinn. Gleichzeitig ließ er los.

Der dünne Kerl trat seine zweite Reise an und landete so im Sand, daß er einen weiteren Mann gleich mitumriß. Mit einem schnellen Satz war der Korse bei den am Boden liegenden Kerlen. Er griff in seinen Gürtel, holte eine zusammengerollte

Peitsche hervor und ließ sie hart über die Kerle sausen.

„Wer jetzt abhauen will, den bringe ich um", sagte er keuchend, wobei er immer wieder auf die brüllenden Kerle einhieb. „Ihr Feiglinge ver­kriecht euch vor dem Feuer, was? Aber da seid ihr an der falschen Adresse. Hier läuft niemand weg, da­für werde ich sorgen!"

Die beiden schrien sich die Kehlen heiser, denn della Rocca drosch in seiner unberechenbaren Wut immer wieder auf sie ein. Ein paar andere, die das sahen und ebenfalls schon die Beine in die Hand genommen hatten, blieben stehen.

„Keiner geht zu den Schiffen!" schrie der Korse wild. „Auch die Weiber nicht! Ribas und Moleta - her zu mir!"

Zwei Männer erschienen, die kei­nerlei Anzeichen von Panik zeigten. Beide waren groß und schwarzhaa­rig. Moleta wirkte verschlagen und hinterhältig, Manoel Ribas hart und unnachgiebig. Aber beide hatten Galgenvogelvisagen und gingen über Leichen.

Moleta war Bootsmann auf der „Bonifacio". Manoel Ribas fungierte als Lotse, der sich in den Gewässern der Karibik gut auskannte. Der Korse hielt allerdings nicht viel von Moleta und traute ihm nicht über den Weg. Auf Ribas hingegen konnte er sich verlassen, der ging für ihn durchs Feuer.

„Hört mir genau zu", sagte der Korse. Er schlug noch einmal mit der Peitsche auf die beiden winselnden Kerle ein und steckte sie dann weg. „Ich weiß nicht, wie das verdammte Feuer so plötzlich entstanden ist, aber das ist noch lange kein Grund, alles stehen- und liegenzulassen und einfach zu verschwinden. Die Kerle

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spielen verrückt, seit das Feuer aus­gebrochen ist. Sie wollen weg und rennen zu den Schiffen, aber daraus wird nichts. Ihr werdet den Halunken zum Tanz aufspielen, wenn sie nicht parieren, verstanden? Haltet jeden auf, der zur Ankerbucht rennt und haut ihm ordentlich was vors Maul."

„Was sollen wir gegen das Feuer tun?" fragte Moleta. „Nicht mehr lange, dann sengt es uns den Hintern an. Am besten wäre doch, wir verho­len auf die Schiffe und verschwin­den."

„Eben nicht, verdammt! Wir bleiben hier, und wir werden das verfluchte Feuer auch in den Griff kriegen. Das hier ist unser Stützpunkt, und den gebe ich nicht einfach auf."

„Verstehe", sagte Ribas. Er fuhr blitzschnell herum und schnappte sich einen Kerl, der an ihnen vorbei­rannte. Ein Faustschlag beförderte den Flüchtenden brutal in den Sand.

„Sehr gut", lobte der Korse grimmig. „Wenn einer trotzdem nicht pariert, dann knallt ihn einfach ab. Ich dulde nicht, daß hier eine Panik ausbricht und jeder verrückt spielt. Dazu steht für uns zuviel auf dem Spiel."

Ribas grinste dünn, als er della Rocca ansah. Dann warf er einen schnellen Blick zu dem Feuer. Es hatte sich verändert. Das Brausen war hohler und lauter geworden, der Qualm, der es begleitete, stieg in ei­ner riesigen dunklen Wolke zum mitternächtlichen Himmel. Es war so hell wie am Tag, allerdings eine gespenstische Helligkeit, die alles unheimlich und blutrot erleuchtete. Im Widerschein der Flammen wurden die erschreckten Gesichter zu verzerrten Fratzen und unmenschlich wirkenden Grimassen voller Angst und Grauen.

„Wie wollen wir es aufhalten?" fragte Ribas.

Der Korse deutete mit der linken Hand zu einem langgestreckten Dü­nenkamm.

„Noch vor der Düne. Die Hütten liegen so an der Bucht, daß sie auf ihrer Ostseite von der Düne abge­schirmt sind. Vorläufig kann also gar nichts passieren, wenn wir ruhig bleiben."

„Und die Funken?" fragte Moleta, „die fliegen gleich bis zum Wasser hinunter, und dann verbrennen die Schiffe oder fangen Feuer."

Der Korse war jedoch nicht aus der Ruhe zu bringen. Er war zwar wütend und erbost über das Feuer, ärgerte sich aber noch mehr über seine Kerle, die immer noch brüllend durcheinanderrannten und nicht wußten, was sie tun sollten.

„Wir kriegen das schon in den Griff", murmelte er. „Wir werden in Höhe der Dünen alles ausreißen, was brennbar ist. Gleichzeitig errichten wir einen Wall aus Sand. Aber dazu. muß jeder mitanpacken. Sorgt dafür, daß die Kerle Arbeit kriegen und scheucht die verrückt gewordenen Weiber in die Hütten oder laßt sie mitarbeiten."

Er selbst zog wieder seine Peitsche aus dem Gürtel, um selbst mit harter Hand durchzugreifen.

Nur ein paar Minuten später war erneut die Hölle los. Della Rocca und seine beiden Vollstrecker hieben wild auf alles ein, was unschlüssig herumstand oder Anzeichen von Pa­nik zeigte.

„Hinauf auf die Düne, ihr Höllen­hunde!" brüllte der Korse peitschen­schwingend. „Holt euch Schaufeln oder buddelt mit den Händen! Reißt alles Zeug aus, das Feuer fangen kann! Und beeilt euch! Wen ich

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rumstehen sehe, den hänge ich persönlich an die Rah!"

Einer nach dem anderen fügte sich widerwillig. Die Kerle waren das harte Arbeiten nicht gewohnt. Sie hatten immer nur vom Abstauben oder gelegentlichen Überfällen gelebt. Jetzt mußten sie hart ran und schuften, bis ihnen die Knochen weh taten.

Etliche von ihnen rupften Strand­gras oder Wurzelwerk aus und trugen es zum nahen Strand hinunter. Dabei saß ihnen das Feuer buchstäblich im Genick und wurde immer be­drohlicher.

Etliche andere waren damit be­schäftigt, auf des Korsen Anweisung hin Sand zu Wällen zusammenzu­schaufeln, damit das Feuer nicht überspringen konnte und keine neue Nahrung mehr fand.

Auch die Huren hatten Moleta und Ribas eingespannt. Die Frauen, die sie hier zum Zeitvertreib hatten, wa­ren harte Arbeit ebenfalls nicht ge­wohnt. Hinzu kam die Angst vor dem immer weiter vorrückenden Feuer, dessen Ausmaße immer bedrohlicher wurden. Aber sie mußten helfen, ob sie wollten oder nicht.

Ein Weib mit langen pechschwar­zen Haaren und feurigen Augen, die sich Juanita nannte, weigerte sich jedoch. Mit flammenden Blicken starrte sie den hochgewachsenen Korsen an.

„Ich denke nicht daran, Wurzeln und Gras auszureißen!" schrie sie wild. „Ich will hier weg und nicht ge­röstet werden. Ihr werdet das Feuer nie aufhalten!"

„Du bleibst hier und hilfst mit", sagte della Rocca ruhig. „Und wenn du nicht parierst, ziehe ich dir die Peitsche durchs Gesicht, daß du für den Rest deines Lebens gezeichnet

bist. Es geht schließlich auch um dein Leben."

„Laß uns verschwinden", hauchte sie mit schmachtenden Blicken. „Ich werde dir den Himmel auf Erden be­reiten."

Der Korse lachte geringschätzig. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Männer, die jetzt voller Angst schufteten, Wurzelwerk ausrissen oder Sanddämme errichteten. Ribas und Moleta trieben die Kerle immer wieder zur Eile an.

„Den Himmel auf Erden?" Der Korse lachte. „Zuerst müssen wir durchs Fegefeuer, bis unsere Seelen geläutert sind. Das hier ist die Hölle, damit du einen Vorgeschmack davon erhältst."

„Und du bist der Oberteufel!" schrie Juanita wild. Angstvoll blickte sie zu der heranfauchenden Feuerwalze. Es sah ganz so aus, als würde diese gewaltige knisternde und fauchende Lohe die ganze Insel Cozumel verschlingen. Ein paar weiter landeinwärts stehende Palmen und Bäume standen wie riesige Fackeln in dem tosenden Inferno. Ihre feuri­gen Wedel schickten Funken und brennende Holzteile in alle Richtun­gen.

„Ja, ich bin der Oberteufel", sagte della Rocca, „und wenn du nicht au­genblicklich an die Arbeit gehst, dann wirst du im Vorhof zur Hölle braten, mein Täubchen."

Betont lässig griff er nach seiner Peitsche, die er langsam durch die Finger zog.

„Der Satan soll dich holen!" zischte die Schwarze haßerfüllt. Dann wandte sie sich ab und lief zu der Dü­ne, wo die anderen wie die Kessel­flicker schufteten.

Die Kerle hatten alle rußge­schwärzte Gesichter und angesengte

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Hände. Immer wieder sahen sie sich gehetzt um und starrten zu den bei­den Schiffen, die Rettung vor den Flammen versprachen. Aber sie hat­ten auch hündische Angst vor della Rocca, Ribas und Moleta, die un­barmherzig auf sie einschlugen, wenn die Arbeit zu langsam voran­ging.

Dabei schien es sich um eine Sisy­phusarbeit zu handeln, die nie ans eigentliche Ziel führte. Für die Kerle war es ein Akt der Verzweiflung. Kaum hatten sie Busch- und Wur­zelwerk ausgerissen oder einen Wall aus Sand errichtet, bildeten sich durch Funkenflug hinter oder neben ihnen neue Brandnester, die wie aus dem Nichts entstanden.

Jedesmal gab es Gebrüll, wenn Funken heranstoben, den Kerlen in die Gesichter fuhren oder ihre Klei­dung versengten.

Della Rocca kannte jedoch kein Erbarmen. Immer wieder trieb er die fluchenden Kerle an, fuhr mit der Peitsche dazwischen oder drohte ih­nen mit dem Aufknüpfen.

Die Kerle selbst sahen nach kurzer Zeit aus wie die Feuerteufel. Sie schufteten und schufteten, aber schließlich sahen sie doch ein, daß es auch ums eigene Überleben ging.

Ein Erfolg war allerdings noch nicht abzusehen. Der Feuersturm verstärkte sich, die rotglutende Walze wurde größer und mächtiger, und da es Nacht war, wirkte alles nur noch bedrohlicher.

2.

Gegen zwei Uhr nachts - es war der 19. Juli 1595 - sichtete Blacky auf der „Isabella" die kleine Jolle, die die Ankerbucht ansteuerte. Diese An­

kerbucht, wo „Isabella" und „Em­press" lagen, befand sich südlich der Ankerbucht des Korsen auf der Insel Cozumel.

Die Besatzungen beider Schiffe waren noch wach. Hasard wartete bereits ungeduldig auf das Auftau­chen der Jolle, in der sich Ferris Tuk­ker und Dan O'Flynn befanden.

Schon seit Stunden hatte er sich gefragt, ob das Unternehmen der beiden Männer nicht doch zu riskant war. Sie hatten den Auftrag gehabt, dem Korsen jenes Buch zu entwen­den, in welchem er nach Aussage ei­nes seiner Kerle die Positionen sei­ner zahlreichen Perlenverstecke ein­getragen hatte. Der Mann, der das verraten hatte, war infolge einer Schußverletzung gestorben, hatte aber noch mitteilen können, daß della Rocca über seine Perlenverstecke genau Buch zu führen pflegte.

„Die Jolle hält auf uns zu!" rief Blacky.

Sofort reckten sich Köpfe nach vorn. Die Jolle war nur ein kaum sichtbarer Schatten, der langsam nä­her glitt.

„Na endlich", sagte Ben Brighton erleichtert, der neben dem Seewolf auf der Kühl stand. „Offenbar haben sie es doch geschafft."

„Das bleibt noch abzuwarten", sag­te Hasard. „Gewißheit haben wir erst, wenn sie da sind. Trotzdem bin ich erleichtert, denn die beiden sind heil und gesund, wie es den Anschein hat."

Jetzt waren auch die beiden Ge­stalten in der Jolle zu sehen.

Smoky und der Profos reckten ebenfalls die Köpfe vor. Edwin Car­berry grinste über sein narbiges Ge­sicht.

„Ist doch immer wieder eine Freu­de, wenn die alten Rübenschweine

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wohlbehalten aufkreuzen, was, wie?" meinte er. „Dan schwenkt etwas in den Händen", fügte er hinzu.

„Klar, womit soll er sonst schwen­ken", brummte Smoky und starrte ebenfalls angestrengt in die Dunkel­heit, wo die Gestalten jetzt immer deutlicher zu erkennen waren.

Der Profos, der sich durch Smokys Worte veralbert fühlte, wollte erst zu einer geharnischten Antwort anset­zen, aber dann winkte er ab, denn neben ihnen tauchte nun auch noch Mac Pellew auf, und dessen Gesicht sah im schwachen Licht der Sterne mehr als grämlich aus. Es war so leidvoll verzogen, als kehrten die beiden Männer gerade von einer Seebestattung zurück.

„Sie sind es", murmelte Mac, aber das klang keinesfalls fröhlich. Es klang dumpf, traurig und hohl.

„Klar sind sie es", erwiderte Car­berry ungehalten. „Aber das ist noch lange kein Grund, so sauertöpfisch in die Gegend zu plieren. Freu dich lie­ber, daß sie wieder zurück sind."

„Ich freu mich ja auch, aber alles zu seiner Zeit. Wenn man sich vorher schon freut, kann man sich nachher nicht mehr so freuen."

„Mann, hat der wieder Ansichten", sagte Smoky erschüttert. „Eines Ta­ges verwandelt er sich noch in ein Faß Essig oder in eine riesige Trau­ergurke."

„Eine dürre Trauergurke", verbes­serte Carberry grinsend. „Sagen wir mal, eine sehr dürre grämliche See­trauergurke, wenn's das gibt."

Immer deutlicher waren die beiden Männer in der Jolle zu erkennen. Dan schwenkte erneut triumphierend den Gegenstand, bis ihn auch die anderen erkannten.

Grinsen erschien in den Gesichtern, denn jedem war klar, um was es sich bei dem Gegenstand handelte.

„Die Kanonensöhne haben es also geschafft und dem Korsen das Buch geklaut", sagte Ben Brighton erleich­tert. „Das Feuer muß sie so abgelenkt haben, daß sie nichts bemerkten."

Auf der Kühl der „Isabella" hatten sich mittlerweile alle Seewölfe ver­sammelt. Auch Old O'Flynn mit den Zwillingen, Martin Correa und den beiden Dänen Sven und Nils waren dabei. Jeder wartete sehnsüchtig auf die Neuigkeiten.

Dan O'Flynn und Ferris Tucker enterten auf und wurden sofort von den anderen umringt.

„Alles glattgegangen", berichtete Dan, während er das „Logbuch der Perlen" dem Seewolf übergab. „Wir hatten nicht die geringsten Schwie­rigkeiten, das Buch zu mausen."

„Hat euch niemand bemerkt?" fragte Hasard erstaunt.

„Nein. Auf der Back der ,Bonifacio' befand sich nur ein Ankerposten, und der hatte nur Augen für das aus­gebrochene Feuer. Inzwischen stürz­ten aus den Hütten Männlein und Weiblein, die mächtig aufgeregt wa­ren. Wir konnten mit der Jolle direkt und ungesehen am Heck des Schiffes anlegen und dann aufentern. Wir nahmen uns gleich gezielt die Kapitänskammer vor, und nach einer Weile wurde Ferris fündig."

„Und wo befand sich das Buch?" fragte Hasard, während er es in der Hand hielt und musterte.

Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker grinste breit.

„Hinter der Kopfvertäfelung der eingebauten Koje. Die Vertäfelung sieht wie ein Kassettenmuster aus, die sich durch Leisten voneinander

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abheben. Nun, eine Leiste war etwas dunkler als die anderen infolge häu­figer Benutzung. Ich brauchte nur noch in ein kleines Fach hinter einem aufspringenden Türchen zu greifen, und damit war das Problem auch schon gelöst."

„Ihr seid sicher, daß es das richtige Buch ist?" fragte Hasard.

„Ganz sicher. Wir haben beim Licht einer kleinen Kerze einen kur­zen Blick hineingeworfen. Es ist das Buch mit den Angaben der Perlen­verstecke."

Hasard betrachtete es lächelnd. Das Buch war in Schweinsleder ge­bunden und sah kostbar aus. Er nickte zufrieden und setzte sich auf die Kuhlgräting.

„Das habt ihr prächtig hingekriegt", lobte er. „Im nachhinein erschien mir das Unternehmen fast etwas zu riskant, aber ihr habt es geschafft. Jetzt wollen wir mal einen Blick hineinwerfen. Schirmt die Lampe ein wenig ab, damit wir nicht meilenweit zu sehen sind."

Die Lampe wurde abgeschirmt, bis ihr Lichtschein nur noch die unmit­telbare Umgebung erhellte. Wieder standen alle herum, um einen Blick in das geheimnisvolle Buch zu werfen.

„Jetzt brauchen wir nur noch zu den vorgegebenen Stellen zu segeln und ein bißchen buddeln", sagte Paddy Rogers. „Noch einfacher hätte der Korse es wirklich nicht machen kön­nen."

Als Hasard die erste Seite auf­schlug, fielen ihm die Zwillinge Ha­sard und Philip fast über die Schulter, so neugierig waren sie.

Der Seewolf stieß einen leisen be­wundernden Pfiff aus und blickte aufmerksam auf das, was della Roc­ca pedantisch genau aufgezeichnet hatte.

„Donnerwetter", sagte er anerken­nend. „Der Korse scheint ein hervor­ragender Kartograph zu sein. Von dem können wir fast noch etwas ler­nen."

Er zeigte die Seite kurz herum und sah, daß die anderen ebenfalls aner­kennend nickten. Selbst Dan O'Flynn, der sich aufs Kartographie­ren verstand, schloß sich davon nicht aus.

„Der Mann ist schon fast ein Ge­nie", sagte er. „Offenbar ist er sogar in der Lage, aus der Sicht eines Vo­gels seine Zeichnungen anzufertigen. Wahrhaftig, sehr erstaunlich."

Die Zeichnungen waren kunstvoll mit Tusche und spitzem Federkiel angefertigt worden. Della Rocca hat­te offenbar sehr viel Zeit damit ver­bracht, die Karten zu zeichnen. Aber er war wirklich ein Könner, das ließ sich nicht bestreiten.

Schon auf den ersten Blick wurde Hasard jedoch sehr schnell klar, daß es gar nicht so einfach war, die Auf­zeichnungen zu entziffern.

„So einfach ist das nicht", sagte er zu Paddy Rogers und den anderen, die gebannt auf die erste Seite blick­ten. „Mit dem Hinsegeln und Buddeln ist es nicht getan. Vorher muß erst noch der Grips ein wenig angestrengt werden."

Der Kutscher war ebenfalls inter­essiert näher getreten und warf einen Blick über Hasards Schulter. Er hatte schon einmal eine geheimnisvolle Schatzkarte enträtselt und damit bewiesen, daß er logisch denken konnte.

Auf den ersten Blick schaute alles relativ einfach aus, so sahen es die meisten.

Auf dem Blatt war der Verlauf einer Küstenlinie mit einigen Buchten ausgezeichnet. Das Wasser war

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schraffiert und hob sich somit vom Land deutlich ab, das der Korse weiß gehalten hatte. Es war von einem Kreuz durchbrochen, auf das zwei gestrichelte Linien in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zuliefen, die sich im Kreuz trafen. Der jeweilige Anfang der beiden Linien war markiert. Bei der einen stand die Zeichnung eines Baumes, bei der an­deren war die exakte Darstellung einer Felsspitze zu sehen. Die letztere Linie war allerdings etwas länger gehalten als die andere.

Hasard blickte stirnrunzelnd darauf. Dann wanderte sein Blick langsam weiter nach oben auf den linken Rand des Blattes. Hier war kunstvoll eine Kompaßrose eingezeichnet.

Dann stutzte der Seewolf, als sich sein Blick auf die rechte obere Seite konzentrierte.

„Eine Zahlenreihe", sagte er. „Aber keine weiteren Angaben. Im Augen­blick werde ich daraus noch nicht schlau. Sehen wir uns einmal die weiteren Seiten an."

Er blätterte um und stellte fest, daß sich die gleiche Anordnung auch auf der nächsten Seite befand. Wieder befand sich links oben die Kompaß­rose, während rechts oben die rätsel­hafte Zahlenreihe stand.

„Das sind wieder andere Zahlen", sagte Dan O'Flynn. Er blickte auf die Zeichnung darunter. Es war wieder ein Ort mit einem Kreuz, drei gestri­chelten Linien und einem Anfangs­punkt, der die gestrichelten Linien markierte.

Die Neugier der Seewölfe wurde immer größer. Hasard war so dicht umlagert, daß er sich kaum noch be­wegen konnte.

„Hier bedeuten die Anfangspunkte ein Inselchen vor der Küstenlinie", sagte der Kutscher. „Das ist klar zu

erkennen. Dann befindet sich eine Kerbe zwischen zwei Felsen, und hier hat der Korse eine Kokospalme aufgezeichnet. Das ist ganz eindeu­tig."

„Das sind Peilungen, die er mit großer Akribie durchgeführt und aufgezeichnet hat", meinte Hasard.

„Leider geben sie uns noch keinen genaueren Aufschluß. Die Insel kann sich an jeder beliebigen Stelle der Karibik befinden."

Der Kutscher nickte bekräftigend. „Wir werden das schon noch her­

ausfinden", murmelte er. „Wie sieht es denn auf den anderen Seiten aus?"

Der Seewolf blätterte weiter und zählte leise mit.

Das in Schweinsleder gebundene Buch hatte achtundzwanzig be­schriebene Seiten. Die Seiten dahin­ter waren leer, und würden von nun auch leer bleiben. Dabei stellte sich heraus, daß alle weiteren Positionen nach dem gleichen Schema abgefaßt waren. Zeichnung, Kompaßrose und rätselhafte Zahlenreihe. Jede der Zeichnungen war mit sehr großer Sorgfalt ausgeführt worden. Der Korse war ein Meister darin und mußte sehr viel Zeit und Geduld auf­gebracht haben.

„Auf jeder dieser Zeichnungen be­findet sich eine Truhe mit Perlen", sagte Hasard in die entstandene Stil­le. „Das können wir als sicher vor­aussetzen. Aber dieser Korse ist auch ein ganz gerissener und durchtriebener Hundesohn. Er hat die Zeichnungen bewußt so angelegt, daß niemand etwas damit anfangen kann - auch wir nicht, jedenfalls vorerst nicht. Die Zeichnungen taugen einfach nichts, solange wir nicht wissen, um welche Küste es sich handelt."

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Die gespannten Gesichter wurden länger. Einige blickten enttäuscht auf das Buch.

„Soll dann das ganze Unternehmen umsonst gewesen sein?" fragte Fer­ris Tucker. „Wir können ja schlecht sämtliche Küsten absegeln und sie mit den Karten vergleichen. Viele ähneln sich ja auch und sind kaum zu unterscheiden. Palmen und Fels­spitzen finden wir ebenfalls auf den meisten Inseln."

„Umsonst war das Unternehmen nicht", meinte Hasard nachdenklich.

„Wir müssen nur versuchen, die Systematik zu durchschauen. Der Korse hat das so aufgezeichnet, daß es ihm selbst keine Mühe bereitet, die Stellen wiederzufinden, sonst hätte er sich die ganze Zeichnerei ersparen können. Folglich muß es einen Hin­weis geben, wie die Zeichnungen zu enträtseln sind."

Unbewußt blieb sein Blick wieder an der Zahlenreihe hängen, doch er brachte sie vorerst in keinen Zusam­menhang mit den Zeichnungen, weil sie einfach keinen Sinn ergaben.

„So'n Scheiß", sagte der Profos ent­täuscht „Da klaut man diesem Rü­benschwein das Buch, und dann kön­nen wir nichts damit anfangen, weil dieser Kerl alles verschlüsselt hat."

„Schatzkarten sind überhaupt so 'ne Sache", nörgelte Mac Pellew herum. „Da zerbricht man sich den Schädel, jagt einem Phantom nach und findet doch nichts. Ich habe überhaupt nichts dafür übrig, wenn man sie nicht gleich enträtseln kann."

„Klar, dir muß ja immer alles gleich in den Schoß fallen", sagte Carberry, „weil du zu faul zum Denken bist. Für dich ist so eine Schatzkarte nur etwas wert, wenn alles haarklein verzeichnet ist und genau drinsteht, daß unter Palme elf von links eine

Truhe vergraben ist, die Perlen oder Goldstücke enthält. Und selbst dabei würdest du dich noch verzählen."

„Dann grübel du doch darüber nach", sagte Mac sauer. „Aber bei deinen paar trockenen Bröseln da oben kommt erst recht nichts raus."

Der Profos sah den Zweitkoch der „Isabella" gallig an.

„Bei dir schwimmen die Brösel doch in Essigbrühe, du aufgedockter und achtmal kalfaterter Plattfisch. So ein quergebraßter Seesack wie du kann mich doch gar nicht beleidigen."

„Gebt mal Ruhe, ihr beiden!" rief Ben Brighton. „Euren Disput könnt ihr später unter Deck fortsetzen."

„Das hat man nun davon", knurrte Mac, „kaum ist so'ne Mistkarte an Bord, schon gibt es Ärger."

Hasard und Dan O'Flynn störten sich nicht an dem Stunk zwischen dem Profos und Mac Pellew. Der Kutscher winkte nur ärgerlich ab und beugte sich wieder über die Seiten des Buches.

„Das sind alles Perlenverstecke", betonte er noch einmal nachdrück­lich. „Darauf verwette ich meinen Kopf. Ihr habt doch selbst einmal be­obachtet, wie der Korse so ein Ver­steck ausgrub, mit Perlentruhe und Totenschädel. Kann es nicht sein, daß wir anhand dieser Beobachtung Klarheit in eine der Zeichnungen kriegen?"

„Du meinst, er hat das Versteck ebenfalls eingezeichnet, so daß wir jetzt Rückschlüsse ziehen können?"

„Genau das meine ich, Sir. Dazu bedarf es natürlich eines sehr sorg­fältigen Studiums der einzelnen Karten. Immerhin sind achtund­zwanzig Verstecke eingezeichnet."

„Eine gute Idee", lobte Hasard. „Doch das wird uns auch nicht viel weiterbringen."

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Er sah, daß Dan O'Flynn plötzlich grinste, als hätte er einen Sieg errun­gen.

„Hast du etwas herausgefunden?" wollte Hasard wissen.

„Ja, und ich glaube, ich bin mir meiner Sache ziemlich sicher. Ein Teil des Schleiers ist bereits gelüftet."

„Und der wäre?" Dan O'Flynn deutete auf eine der

Zahlenreihen. „Hier liegt das Geheimnis", sagte er

sehr bestimmt. „Es befindet sich in den Zahlenreihen."

„Sehr schön, und was sagen die aus?" fragte Ben Brighton. Er hatte die Arme in die Hüften gestemmt und blickte auf die Karte.

„Die Zahlenreihe gibt uns die be­treffende Küste an", sagte Dan O'Flynn. „Der Korse hat einen ver­schlüsselten Text gebraucht, bei dem er anstelle der Buchstaben Zahlen eingesetzt hat. So gesehen ist das doch ganz einfach."

„So gesehen, ja", gab Hasard über­rascht zu. „Aber sehr viel weiter sind wir deshalb immer noch nicht."

„Man muß nur die Zahlen ent­schlüsseln, dann haben wir die ent­sprechenden Buchstaben. Zugege­ben, da ist noch eine kleine Nuß zu knacken, aber das sollte zu schaffen sein."

„Dann sieh mal zu, wie du diese Nuß knackst", lautete Hasards bissi­ger Kommentar. „Die Nuß mag zwar klein sein, dafür ist sie aber auch steinhart. Vielleicht schaffst du es ja, sie zu knacken, aber nach Möglich­keit noch in diesem Jahr."

„Hm." Dan O'Flynn kratzte sich grinsend den Schädel. „Wir werden unser Bestes versuchen. Was meinst du, Kutscher? Du hast doch schon Erfahrung im Entziffern von Schatzkarten."

„Zusammen sollten wir es schaf­fen", versicherte der Kutscher. „Aber es wird nicht einfach sein."

„Sollen wir nicht gleich damit an­fangen?" fragte Hasard junior be­geistert. „Philip ist auch dafür. Wir können ja schon mal daran herum­knobeln. Je eher wir es wissen, desto besser ist es für uns."

Hasard bremste den Eifer seiner Söhne jedoch.

„Heute nicht mehr, dafür ist es zu spät. Ihr könnt morgen früh damit beginnen, dann langt es immer noch. Dann haben wir auch Zeit und Muße dazu."

„Schade", sagte Philip bedauernd. „Ganz sicher werde ich heute nacht kein Auge zutun. Wenn ich so etwas sehe, dann läßt es mir keine Ruhe mehr."

„Wenn ihr morgen nicht ausge­schlafen seid, hängt ihr mit dicken Klüsen über dem Buch", erklärte Old O'Flynn, „und dann findet ihr erst recht nichts heraus."

Das sahen die Zwillinge schließlich auch ein, obgleich sie mit der Schatz­suche am liebsten schon morgen in aller Frühe begonnen hätten.

„Bin mal gespannt, wann der Korse das Fehlen seines Buches bemerkt", sagte Ferris. „Möglicherweise gibt das noch Mord und Totschlag bei der Horde, denn er wird natürlich einen seiner Kerle als Dieb vermuten. Aber sein Gesicht dürfte immer länger werden, wenn er feststellt, daß seine Verstecke bereits ausgeräumt sind."

„Noch ist es nicht soweit, Ferris", entgegnete der Seewolf. „Zuerst muß mal die Nuß geknackt werden. Della Rocca wird vermutlich alle die Ver­stecke aufsuchen, die er noch im Kopf hat, sobald er das Verschwin­den des Buches bemerkt hat. Habt

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ihr übrigens alle eure Spuren bei dem nächtlichen Besuch verwischt?"

„Uns hat niemand gesehen, Sir, da­zu waren alle viel zu abgelenkt, als sie das Feuer sahen. In der Kapitäns­kammer haben wir das Geheimfach wieder verschlossen. Da deutet nichts auf unsere Anwesenheit hin. Auch als wir von Bord gingen, hat uns niemand bemerkt."

Die meisten warfen noch einen Blick in das Buch mit den achtund­zwanzig Perlenverstecken. Dann kehrte nach und nach Ruhe auf der „Isabella" ein. Auch die Mannschaft der „Empress" ging wieder an Bord. Die Zwillinge konnten den neuen Tag jedoch kaum erwarten.

3.

Am Morgen des neunzehnten Julis wankten rußgeschwärzte und völlig übermüdete Feuerteufel herum, die vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen stehen konnten.

Sie hatten das Unmögliche ge­schafft und den verheerenden Buschbrand dicht vor der langge­streckten Düne zum Erlöschen ge­bracht. Jetzt qualmte es nur noch an vereinzelten Stellen.

Die Kerle waren zum Umfallen kaputt. Ihre Kleidung war versengt, die Haare und Bärte waren ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Della Rocca, Moleta und Ribas hat­ten sie allerdings auch wie die Irren herumgescheucht und sie keine Mi­nute lang zur Ruhe kommen lassen. Der Korse kontrollierte zusammen mit Ribas noch einmal die erlosche­nen Brandherde. Über der Insel hing eine trübe Wolke aus graublauem Rauch, die auch die leichte Brise

nicht vertrieb. Immer noch roch es nach Feuer.

Die Huren sahen ebenfalls zum Gotterbarmen aus, denn auch ihnen war nichts geschenkt worden. Ein paar von ihnen hatten sich einfach auf den Boden sinken lassen und schliefen.

„Geschafft", sagte der Korse zu­frieden. „Endlich geschafft. Es war eine verdammte Arbeit, aber wenn wir die Kerle nicht gescheucht hätten, wären wir selbst geröstet worden."

Er blieb stehen und trat mit dem Stiefel in einen kleinen Aschehaufen, der als Brandnest immer wieder aufgeflackert war. Der aufwallende Aschestaub reizte ihn zum Husten.

„Verdammter Mist!" schimpfte er. Er blickte zum Himmel, wo sich das erste Morgenlicht abzuzeichnen be­gann. Die Sonne schob im Osten glu­tende Strahlenfinger an der Kimm hoch. Es sah aus, als entstehe dort ein neuer, riesiger Brand. Vor den Sonnenstrahlen, die sich langsam emportasteten, hing ein dunstiger Schleier aus Qualm und Rauch.

„Weiß der Satan, wie dieses Feuer entstanden ist", sagte der Korse grü­belnd. „Irgend etwas muß den Brand verursacht haben. Ob es der Blitz von einem Gewitter war?"

„In der Nacht gab es kein Gewitter", sagte Ribas. „Ich jedenfalls habe keinen einzigen Blitz gesehen. Der Himmel war ziemlich sternenklar, nur ein paar vereinzelte Wolken."

„Stimmt", sagte della Rocca, „aber es ist die einzige Erklärung, die ich für das Feuer habe. Von allein kann es wohl kaum ausgebrochen sein. Das gibt es nicht."

„Vielleicht haben es Fremde ent­zündet", sagte Ribas.

„Fremde? Wer sollte das wohl sein?"

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„Vielleicht diese verdammten Ka­riben. Denen würde ich zutrauen, heimlich Feuer zu legen."

„Welchen Sinn sollte das ergeben?" Daraufhin zuckte Ribas nur verle­

gen mit den Schultern. Della Rocca schüttelte verneinend

den Kopf, während er einen zweiten Aschehaufen zertrat.

„Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Wenn uns die Kariben einen Besuch abgestattet hätten, dann wären sie über die Hütten hergefallen, sofern sie die Absicht hatten, uns allesamt ins Jenseits zu befördern. Aber das kann ich mir nicht vorstellen."

„Aber jemand muß das Feuer gelegt haben. Von unseren Leuten war es mit Sicherheit keiner. Die werden ja nicht so dämlich sein und sich selbst umbringen."

Der Korse nickte wieder, diesmal sehr nachdenklich.

„Vielleicht sollten wir mal die ganze Insel absuchen. Es ist immerhin möglich, daß wir Spuren finden."

„Die Insel ist fast dreißig Meilen lang und hat eine Breite von gut zwölf Meilen", sagte Ribas. „Da können wir suchen, bis wir schwarz werden."

„Wenn wir suchen, dann segeln wir mit einer Jolle dicht am Strand ent­lang und suchen dort nach Spuren. Das Inselinnere können wir uns er­sparen. Na, mal sehen, das werde ich mir noch überlegen."

„Die Kerle sind zu erschöpft", sagte Ribas. „Die kriegen doch ihre eige­nen Gräten nicht mehr hoch. Außer­dem sind sie völlig ausgelaugt und halb verdurstet. Mir geht es auch nicht anders."

Sie sahen ein paar schwärzlichen Gestalten nach, die sich nur noch sehr mühsam und unter Aufbietung aller ihrer Kräfte zu den Hütten schleppten. Sie waren wirklich fix und

fertig, denn in der vergangenen Nacht war ihnen nichts erspart ge­blieben.

Della Rocca grinste hinter ihnen her. Er, der nach der Devise Zucker­brot und Peitsche handelte, ent­schloß sich, der Peitsche nun das Zuckerbrot folgen zu lassen, um die abgeschlafften Kerle bei Laune zu halten.

„Wieviel Wein haben wir noch?" fragte er.

„Nur noch ein Faß. Es ist das letzte, danach können wir Wasser saufen."

„Ein Faß also noch. Gut, wir werden es anstechen, als Belohnung für die Knochenarbeit. Das wird die Kerle freuen. Danach können sie sich aufs Ohr hauen."

Sie folgten den wankenden Gestal­ten bis zu den Hütten. Einige der Kerle fanden nicht einmal mehr die Kraft, in die Hütten zu gehen. Sie lie­ßen sich einfach in den Sand fallen.

Aber sie wurden sehr schnell wie­der munter, als der Korse plötzlich zwischen ihnen stand.

„Ihr habt geschuftet wie die Feuer­teufel", sagte er nach einem Blick in die rußgeschwärzten Gesichter. „Aber es mußte sein, sonst wären un­sere Hütten abgebrannt und der Stützpunkt verloren."

Ein paar Kerle nickten lustlos und starrten trübe vor sich hin.

„Jetzt ist es vorbei", murmelte einer dumpf. „Jetzt wollen wir nur noch schlafen und vorher ein bißchen Wasser trinken."

„Ihr habt das letzte Faß Wein ver­dient", sagte della Rocca großzügig. „Wenn ihr noch die Kraft aufbringt, es leer zu saufen, dann lasse ich es an­stechen."

Seihe Worte wirkten, als sei erneut ein Buschbrand ausgebrochen. In den müden Augen flackerte wieder

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Leben. Etliche sprangen sogar aus dem Sand auf und leckten sich die Lippen.

„Wein", sagte einer andächtig, „das wäre jetzt was."

Ein paar erschöpfte Huren hatten das Wörtchen „Wein" wohl im Unter­bewußtsein vernommen. Erstaunli­cherweise waren sie sofort wach und munter und sprangen ebenfalls auf.

Der Korse ließ das Weinfaß her­beischaffen und an jener Stelle auf­stellen, wo sich das Lagerfeuer be­fand. Der Spund war noch nicht richtig herausgeschlagen, als auch schon die ersten Humpen kreisten. Der Wein verschwand gluckernd in durstigen Kehlen.

Der Korse sah stillschweigend zu, wie die Kerle soffen. Weil sie ausge­laugt und erschöpft waren, vertrugen sie auch nicht viel. Daher wunderte es ihn nicht, als die Kerle innerhalb kürzester Zeit völlig besoffen waren. Allerdings war das Faß auch in sehr kurzer Zeit geleert.

Er selbst trank keinen einzigen Schluck, aber nicht um ein gutes Bei­spiel zu geben. Er wollte nachher ei­nen weggluckern, an Bord der „Boni­facio" und ohne Zuschauer. Dort, in der Kapitänskammer, befanden sich seine persönlichen Vorräte an Bier, Schnaps und Wein. Außerdem konn­te er dort in aller Ruhe nachdenken.

Mit einem verächtlichen Blick mu­sterte er die schlafenden und schnar­chenden Kerle, die sich wieder der Länge nach in den Sand gepackt hat­ten, um ihren Rausch auszuschlafen.

Moleta und Ribas hatten ebenfalls nur wenig getrunken. Der Korse deutete auf den Dünenkamm, wo im­mer noch feiner Rauch aufstieg.

„Ihr löst euch jeweils alle Stunde ab und beobachtet gut, damit wir nicht noch einmal vom Feuer überrascht

werden. Sollte das der Fall sein, purrt ihr alle Männer hoch und benachrichtigt mich sofort. Ich pulle jetzt an Bord."

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zur Ankerbucht hinunter, be­stieg die Jolle und pullte an Bord. An der Jakobsleiter enterte er dann auf und warf einen kurzen Blick zur Back.

Dort stand Zardo, ein düster wir­kender schwarzbärtiger Mann als Ankerposten. Er stand dort seit Mit­ternacht, und niemand hatte ihn ab­gelöst, seit sich die Ereignisse über­schlagen hatten.

Jetzt war er dem Tran verfallen und döste vor sich hin. Er war total übermüdet und nahm seine Umgebung kaum noch wahr. Hin und wieder schrak er etwas zusammen, wenn an Land gebrüllt wurde, dann fielen ihm wieder die Augen zu.

Zardo bemerkte auch nicht, daß die Jolle zur „Bonifacio" gepullt wurde. Er befand sich in einem Dämmerzustand zwischen Halbschlaf und realer Wirklichkeit, wo alles verwischte und unrealistisch zu werden begann.

Dann zuckte er doch zusammen, als die Jolle an die Bordwand stieß und der Ton sich durch den ganzen Schiffsrumpf fortpflanzte.

Der Kapitän enterte auf, blieb für einen kurzen Augenblick in der Kühl stehen und warf einen schnellen Blick zur Back.

Der Schwarzbärtige bewegte sich, damit der Korse nicht glaubte, er schlafe im Stehen. Doch della Rocca schenkte ihm kaum einen Blick. Grußlos ging er nach achtern und verschwand in seiner Kammer.

Zardo peilte aus müden Augen zum Strand, aber da bewegte sich auch nichts mehr. An eine Ablösung war

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ebenfalls nicht zu denken, und so döste er weiter vor sich hin.

Der Korse schlug hinter sich das Schott zu, entnahm dem Schapp eine Flasche Rum und setzte sich an das Pult, wo er seine Eintragungen vor­zunehmen pflegte. In der Beziehung war er besonders pedantisch, denn alles mußte seine Richtigkeit haben.

Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Buddel, wischte sich über den Mund und begann gründlich über seine Zukunft nachzudenken. Intensiv überlegte er, wie er den Aufbruch aus der Karibik zurück nach Korsika bewerkstelligen sollte.

Korsika! Er seufzte leise und nahm einen weiteren Schluck. Korsika, das lag schon lange zurück. Da war er noch der bettelarme Sohn eines Au­stern- und Korallenfischers gewesen und hatte nicht mehr als ein Hemd besessen. Er stammte aus der Hafenstadt Bonifacio im Süden Korsikas, nach der er auch sein Schiff benannt hatte.

Die Hafenstadt war im Jahre 830 von dem Pisaner Bonifacio gegründet worden, als Stützpunkt für die Vertreibung der Sarazenen von Kor­sika und Sardinien. Er hatte sich die­se Daten unauslöschlich eingeprägt. Vor seinem geistigen Auge zog das Bild des bettelarmen Jungen vorüber, der sich abrackerte, um wenigstens das tägliche Brot zu verdienen.

Der Korse lachte leise nach einem weiteren Schluck aus der Buddel. In­zwischen hatte sich alles geändert. Er war längst nicht mehr arm. Er war durch seine Perlen so reich, daß er die ganze Insel kaufen konnte - und noch mehr dazu.

Aber jetzt hatte er genug von der Karibik und auch genug von der Jagd auf Perlen, denen er hoffnungslos verfallen war. Etliche Jahre hatte er

in dieser Ecke zugebracht, speziell im Golf von Campeche, vor der Moskito-Küste und auch vor Ve­nezuela, wo er regelmäßig die Kü­stenorte überfallen hatte, in denen Perlenfischerei betrieben wurde.

Die Ausbeute war so gewaltig ge­wesen, wie er es kaum erwartet hat­te. Die Perlen hatte er an allen mög­lichen und unmöglichen Orten ver­graben und die Mitwisser beseitigt. Er hatte sie zusammen mit den Per­lentruhen begraben, damit es keine Zeugen gab.

Da es sehr viele Verstecke waren, hatte della Rocca sich eine Art Buch­haltung zugelegt. In diesem Buch waren mit peinlicher Akribie und Sorgfalt alle Verstecke beschrieben, allerdings so verschlüsselt, daß niemand sie entziffern würde, wie er annahm.

Der nächste Schluck Rum war fäl­lig. Er genoß ihn sichtlich, lehnte sich etwas zurück und gab sich weiter seinen Überlegungen hin.

Hm, zuerst mußten natürlich die Perlenverstecke ausgeräumt werden. Seine Perlen! Reichtum, Freiheit, keine Sorgen mehr, ein Leben in Saus und Braus. Er berauschte sich geradezu an diesem Gedanken.

Aber da war etwas, was dauernd seine Überlegungen störte, da war ein Gedanke, der sich immer wieder einschlich.

Dieser Gedanke war beunruhigend und gipfelte stets in der Frage, wie das Feuer auf der Insel Cozumel entstanden sein mochte. Wer oder was hatte diesen plötzlichen Brand verursacht?

Della Rocca lehnte sich noch weiter zurück und starrte auf die Ei­chenplatte des Pultes. Voller Gedan­ken und quälender Zweifel griff er erneut zur Flasche.

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Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie dieses Feuer entstanden war. Noch einmal dachte er an den Blitz eines Gewitters, doch dieser Gedanke war abwegig, er hat­te ja schon mit Ribas darüber ge­sprochen. Ein Gewitter hatte nicht stattgefunden, das schied also end­gültig aus. Er griff auch den Gedan­ken an die Kariben auf, doch den verwarf er nach einer Weile eben­falls, weil er keinen Sinn dahinter entdecken konnte.

Und doch war ein Buschbrand ent­standen. Sehr rätselhaft war das!

Fremde auf der Insel? Nein, über­legte er. Sie hätten nichts davon ge­habt, ein Feuer zu entzünden. Sie hätten die Hütten überfallen oder die beiden Schiffe, doch nichts war ge­schehen.

Nach einer Weile weiteren ange­strengten Nachdenkens hatte er die Rumflasche fast zur Hälfte geleert und spürte, wie ihm der Alkohol langsam in den Schädel stieg. Aber das war genau die Stimmung zumNachdenken und Überlegen, die er brauchte. Dann wurden seine Ge­danken klarer und logischer, und er sah alles ganz anders.

Der nächste Zug aus der Buddel tat wieder sehr gut. Er fühlte neue Kräfte in sich aufsteigen. Gleichzeitig fielen ihm auch wieder die Perlen und das Buch ein. Er mußte in dem Logbuch der Perlen eine Streichung vor­nehmen, gewissenhaft und gründlich, wie er war.

Dieses Perlenversteck hatte er an der Bucht westlich von Havanna eingezeichnet, inzwischen aber aus­geräumt. Folglich mußte er das ab­haken und ausstreichen. Die Perlen­truhe, die dort vergraben war, befand sich hier und jetzt an Bord der „Bonifacio" in einem Schapp der Ka­

pitänskammer und damit in Sicher­heit.

Er lachte leise und stand auf. Es drängte ihn, jetzt einen Blick auf die wunderbaren Perlen zu werfen. Er liebte diese mattseidig schimmern-den Dingerchen über alles. Sie be­deuteten ihm mehr als Gold- oder Silberbarren, denn sie waren leichter zu transportieren, nahmen nur wenig Platz weg und waren vor allem wertvoller.

Er öffnete das Schapp mit seinem Schlüssel, blickte verzückt auf die kleine Truhe und nahm sie vorsichtig heraus. Mit der Perlentruhe kehrte er wieder an das Pult zurück. Dort öffnete er sie vorsichtig.

Von dem Anblick war er immer wieder überwältigt. Sein Blick wurde weltentrückt, wenn er die Perlen ansah. Wie kostbare Seide glänzten und leuchteten sie ihm entgegen.

Etliche Minuten lang rührte er sich nicht und starrte sie nur an.

Rosa Perlen von erlesener Schön­heit waren darunter, dann gelblich schimmernde, einige mit einer ganz zarten Blautönung, andere wieder mit einem Schimmer wie das Meer ihn hatte, wenn das Sonnenlicht aus einem ganz bestimmten Winkel dar­auf fiel.

Die Welt um ihn her versank und wurde gegenstandslos. Überaus vor­sichtig, als könne er sie zerstören, griff er nach einer schwarzen Perle, die er zwischen Daumen und Zeige­finger nahm und ausgiebig von allen Seiten bewunderte.

„Eine Kostbarkeit, wie sie nur die Natur hervorbringen kann", murmelte er heiser, „ein kleines Wunder - mein Wunder."

Ebenso vorsichtig legte er die schwarze Perle wieder in die Truhe zurück und nahm ein paar andere

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heraus, die er ebenfalls lange und verzückt anstarrte. Er war ihnen mit Haut und Haaren verfallen.

„Ihr seid mein Leben", flüsterte er, „ihr werdet mir alles das bescheren, was ich mir ein Leben lang ge­wünscht habe."

Leise kichernd schloß er die Truhe wieder ab und nahm den nächsten Schluck, bevor er sich von seinen Lieblingen trennte.

Jetzt war aber erst das Logbuch der Perlen fällig. Ordnung mußte schließlich sein, und darin war der Korse gründlich.

Die Flasche nahm er mit, als er zum Kopfende seiner eingebauten Koje ging. Hinter der Vertäfelung befand sich das Türchen mit dem Geheimfach.

Der Korse umfaßte eine der unauf­fällig angebrachten Leisten mit Daumen und Zeigefinger und schob sie hoch. Ein leiser, knackender Laut war zu hören. Links neben der Leiste sprang das Türchen auf.

Della Rocca griff hinein und glaubte bereits, das in Schweinsleder gebundene Buch in der Hand zu ha­ben, doch er hatte offenbar vorbeige­griffen. Er langte ein zweites Mal zu, doch da war immer noch nichts. Er schüttelte ungläubig den Kopf und bückte sich. Vielleicht war das Log­buch der Perlen ja auch nur etwas weiter nach hinten gerutscht.

Durch das Bleiglasfenster fiel ein schwacher Sonnenstrahl, der das Fach ausleuchtete.

Das Fach war leer! Absolut nichts befand sich darin.

Im ersten Augenblick verspürte der Korse einen heftigen Schmerz im Magen, dann merkte er, wie sich sei­ne Nackenhaare aufrichteten und ihn eine Gänsehaut überlief.

Lähmendes Entsetzen überfiel ihn. Während er in der rechten Hand im­mer noch die Rumbuddel hielt, griff er mit der linken zu und begann in dem Fach zu wühlen.

Er schluckte heftig und konnte es nicht glauben. Seine Gedanken setz­ten sekundenlang aus. Er stand da, gebückt und starr, als hätte ihn der Schlag getroffen.

„Mein Buch", ächzte er. Sein Verstand sträubte sich gegen

die Tatsache, daß das Buch nicht mehr da war. Dann setzte eine Reak­tion ein, die ihn fast wahnsinnig werden ließ.

Er ließ die Rumflasche fallen. Sie polterte auf den Boden und lief aus, aber das nahm der Korse nicht wahr.

Mit weit aufgerissenen entsetzten Augen starrte er in das Fach, wäh­rend er jetzt mit beiden Händen darin wühlte.

Es änderte sich nichts, das Fach blieb leer. Der Korse wurde fast wahnsinnig. Sein kostbares Logbuch war verschwunden!

Er gab der Rumflasche einen Tritt, daß sie durch die ganze Kammer flog und an der Wand zersplitterte. In sei­nen Augen war jetzt ein irres Flak­kern, seine Bewegungen wurden im­mer hektischer und nervöser.

Mit wilden Griffen riß er die Ma­tratze aus der Koje und schleuderte sie quer durch die Kammer.

„Verflucht noch mal!" brüllte er mit überkippender Stimme. „Das Buch ist weg! Einer hat es geklaut!"

Schaum bildete sich vor seinem Mund, als er wie ein Rasender die ganze Kammer durchstöberte. Er wußte genau, daß es zwecklos war, denn er verwahrte das Buch grund­sätzlich in dem Geheimfach auf, aber noch immer sträubte sich sein Ver­

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stand gegen die Tatsache, daß es spurlos verschwunden war.

Fünf Minuten später herrschte eine Unordnung in der Kapitänskammer, als hätten dort die Vandalen gehaust. Alles lag verstreut umher, aus den Schapps waren Kleider und Karten herausgerissen.

In diesem Chaos stieß der Korse ei­nen Schrei aus, der nichts Menschli­ches mehr hatte. Er hörte sich an wie der Schrei eines Mannes, der gerade gefoltert wird.

Ein Fußtritt des Korsen sprengte das Schott auf. Er raste an Deck, mit mordlüsternen Blicken und Schaum in den Mundwinkeln. Er wirkte wie eine rasende Bestie.

4.

Der Ankerposten Zardo döste im­mer noch vor sich hin. Hin und wie­der erwachte er kurz, wobei er das Gefühl hatte, stundenlang geschlafen zu haben. Doch das war ein Trugschluß. Seine Träume, die ihm alles mögliche vorgaukelten, dauer­ten immer nur eine kurze Zeit.

Jetzt kam er wieder zu sich und zuckte heftig zusammen. Er brauchte ein paar Augenblicke, um seine Um­welt wahrzunehmen.

Er sah jedoch niemanden. Die Son­ne schien auf den Strand der Insel und stach ihm in die Augen. Über dem Dünenkamm hing immer noch ganz schwach eine feine Rauchwol­ke. Sonst hatte sich nichts verändert. Er glaubte einen Schrei gehört zu haben. Es konnte aber auch ein Kra­chen gewesen sein.

Er gähnte laut, renkte sich fast den Kiefer dabei aus und sah sich erneut nach allen Seiten um. Aber so ganz wach war er immer noch nicht. Die

Müdigkeit lag ihm wie Blei in allen Gliedern.

Übergangslos zuckte er wieder zu­sammen, denn jetzt hörte er klar und überdeutlich einen wahnsinnigen Schrei, dem ein Krachen und lautes Poltern folgten.

Der Schwarzbärtige zuckte zu­sammen. Dieser Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Er klang so grausig, als würde jemand auf be­stialische Art umgebracht.

Kein Zweifel, er war sicher, daß der unmenschliche Schrei aus dem Achterdeck kam.

Furchtsam blickte er von der Back aus nach achtern, wo es immer noch rumorte. Er entsann sich jetzt auch, daß der Kapitän irgendwann an Bord aufgeentert und wort- und grußlos in seiner Kammer verschwunden war, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Aber da achtern war jetzt der Teufel los. Vielleicht wurde doch einer abgemurkst.

Zardo entschloß sich nach sekun­denlangem Zögern, doch einmal nachzusehen. Er gähnte wieder und stieg - nach allen Seiten lauernd - zur Kühl hinunter.

Er hatte gerade den Niedergang hinter sich, als er abrupt stehenblieb. Er glaubte, ein Monster vor sich zu sehen, ein wildes, unbändiges Mon­ster, das zudem noch einen Tob­suchtsanfall hatte und Amok lief.

Zardo verharrte wie angenagelt und wagte keine Bewegung. Er starrte nur entsetzt auf das, was da plötzlich geifernd und brüllend an Deck erschien.

Der Kapitän war es, della Rocca, der mit den irrlichternden Augen ei­nes Wahnsinnigen aus dem Schott zum Achterdeck hervorbrach.

Della Rocca zitterte am ganzen Körper. Sein Gesicht war bleich vor

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grenzenloser Wut, in seinen Augen loderte unbändiger Haß, heller Schaum stand in seinen Mundwin­keln, er sah aus, als würde er gleich jemanden umbringen.

Zardo hatte den Korsen schon oft wütend gesehen oder einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle mit­erlebt. Doch das war gar nichts gegen das Bild, das sich ihm jetzt bot.

Der wildgewordene Korse zog ein blitzendes Messer aus dem Hosen­bund.

Erst jetzt wich die Erstarrung von Zardo, als er das Messer im Sonnen­licht funkeln sah. Kein Zweifel, aber der Kapitän hatte offenbar vor, ihn umzubringen. Hastig trat er einen Schritt zurück, war aber noch so vol­ler Angst, daß er sich in einer Tau­rolle verfing und ins Straucheln ge­riet. Erst im letzten Augenblick konnte er sich fangen. Dann sah er dem herantobenden Mann zitternd und voller Angst entgegen.

„Mein Buch!" brüllte della Rocca mit einer Stimme, die selbst Tote ge­weckt hätte. „Wo ist mein Buch, du verdammter Hurensohn?"

„Buch?" fragte Zardo verdattert. „Was für ein Buch?"

„Mein Buch!" brüllte der Korse noch wilder.

Erst jetzt dämmerte es Zardo, was der Korse meinte. Innerhalb weniger Sekunden lief vor seinem geistigen Auge ein Ereignis ab, das erst kürz­lich stattgefunden hatte. Da war es um dieses geheimnisvolle Buch ge­gangen. Zardo sah die Bilder ganz deutlich vor sich, obwohl sie so schnell wie ein Blitz vorüberzogen.

*

An Bord der „Bonifacio" ging schon lange das Gerücht um, der Kapitän besäße ein Buch, in das er die Positionen der vergrabenen Perlen­truhen eintrage.

Dieses Buch war noch mehr wert als riesige Goldschätze, allerdings hatte es noch keiner gesehen. Das Gerücht aber erhielt ständig neue Nahrung, denn an Bord wurde stän­dig von dem Perlenbuch gefaselt, das sich in einem Geheimversteck befinden müsse.

Auf einer der zahlreichen Fahrten nach Kuba wurde es dann offen­sichtlich, daß dieses Buch tatsächlich existierte.

Manoel Ribas schickte einen Mann nach achtern in die Kapitänskammer, um dem Korsen zu melden, daß man auf Gegenkurs ein Schiff gesichtet habe. Dieser Mann war Pecco, ein neugieriger kleiner Fuchs, der immer seine Nase im Wind hatte.

Als er aus der Kapitänskammer wieder zurückkehrte, wirkte er ver­stört und aufgeregt und schien kaum erwarten zu können, bis sie endlich vor Anker lagen.

„Ich habe etwas entdeckt", raunte er immer wieder, aber die große Neuigkeit wurde er erst am Abend los, als alle im Logis zusammenhock­ten.

Pecco plusterte sich mächtig auf und sah sich als Mittelpunkt, was ihm großes Behagen bereitete.

„Nun red schon endlich", sagte ei­ner ungeduldig. „Den ganzen Tag er­gehst du dich in Andeutungen, als ob du Luzifer persönlich gesehen hät­test. Was ist los?"

„Ihr müßt mir aber alle euer Wort geben, daß niemand außer uns etwas davon erfährt", flüsterte Pecco. Dabei drehte er sich nach allen

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Seiten um, als hätten sie heimliche Zuhörer.

Die Kerle waren immer neugieriger geworden. Eilig versprachen sie, daß niemand etwas erfahren würde.

„Ich habe das Buch gesehen", sagte Pecco in die lastende Stille.

„Welches Buch?" „Das geheimnisvolle Perlenbuch.

Es existiert wirklich. Als ich in die Achterkammer trat, war della Rocca gerade damit beschäftigt, ein paar Eintragungen vorzunehmen. Das Buch ist ziemlich dick und in Schweinsleder gebunden. Der Kapi­tän lief rot an, als er merkte, daß ich seine Eintragungen sah. Da waren auch ein paar Zeichnungen dabei. Dann stand er hastig auf und ver­deckte das Buch mit seinem Körper."

Erstauntes Murmeln wurde laut. In den Augen einiger Kerle begann es gierig zu glitzern.

„Wo hat er das Buch verwahrt, Pecco?"

Der Fuchsgesichtige zuckte ent­täuscht mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ich war ja auch gleich wieder draußen, weil er mich schnell hinausschob."

„Da müßte man mal einen Blick reinwerfen können", sagte einer der Schnapphähne andächtig. „Hast du nichts entziffern können?"

„Nein, das ging alles viel zu schnell. Aber ich habe deutlich die Zeichnun­gen und ein paar Zahlen erkannt. Auch eine Kompaßrose konnte ich sehen."

Jetzt wurde über das Buch geredet, und das länger als eine Stunde. In ih­rer Phantasie malten sich die Kerle aus, was sich alles mit dem Buch an­fangen ließe. Man würde von sämtli­chen angelegten Perlenverstecken erfahren und ihre genaue Lage ken­nen.

Der Korse ging zwar stets in Be­gleitung an Land, kehrte aber auch immer ohne Begleitung wieder zu­rück, damit es keine Zeugen gab, wenn er die Perlen vergrub. Jede vergrabene Perlentruhe bedeutete auch eine Leiche. Oftmals waren es harmlose Eingeborene, hin und wie­der aber auch aufmüpfig gewordene Kerle der Besatzung.

Sie redeten sich die Köpfe heiß über das Buch, aber es kam nichts dabei heraus. Alles, was sie wußten, war die Tatsache, daß dieses Log­buch der Perlen wirklich existierte.

Nur zwei Tage später forderte das Buch ein weiteres Opfer. Irgend je­mand hatte della Rocca darüber un­terrichtet und alles erzählt, was im Logis besprochen worden war.

Als wieder eine Truhe voller Perlen erbeutet worden war, nahm der Korse Pecco zum Vergraben mit - im wahrsten Sinne des Wortes. Das Fuchsgesicht war sich keiner Schuld bewußt und fühlte sich noch geehrt, weil della Rocca ihm Vertrauen schenkte.

Von da an war Pecco spurlos ver­schwunden, und er tauchte auch nie wieder auf. Der Korse hatte nur kaltlächelnd erklärt, daß Pecco un­bedingt auf der Insel bleiben wollte, weil er von der Seefahrt die Nase voll hätte. Aber die anderen hatten ver­standen, und fortan wurde über das Buch nicht mehr gesprochen, denn schon das Wissen darüber war töd­lich.

*

Das alles schoß Zardo durch den Kopf, als della Rocca ihn voller un­beschreiblicher Wut anbrüllte. In der

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Hand hielt er immer noch das Mes­ser.

Zardo wechselte übergangslos die Gesichtsfarbe und wurde käsig. Er spürte, wie seine Knie zitterten und ihn eine seltsame Lähmung befiel. Er konnte sich kaum noch bewegen. Auch seine Stimme schien aus weiter Ferne zu sprechen. Er hörte sie selbst kaum.

„Ich - ich weiß nicht, ich habe keine Ahnung. Wirklich nicht."

„Du Schweinehund hast das Buch geklaut!" brüllte della Rocca. „Es kommt überhaupt kein anderer in Frage."

Zardo kroch noch mehr in sich zu­sammen. Er starrte nur auf das Mes­ser und hatte das Gefühl, es würde schon in seinem Leib stecken.

„Wirklich nicht", stammelte Zardo, „ich würde nie..."

„Halt dein Maul, du dreckiger Hundesohn. Ich weiß es genau. Du warst es, der das Buch geklaut hat. Wolltest dir wohl auf eigene Rech­nung die Perlen holen, was? Dafür wirst du büßen."

Zardo rang sich zu einem Schrei der Verzweiflung durch.

„Ich habe es nicht!" schrie er wild. „Nie würde ich das tun!"

„Aber du weißt von dem Buch. Antworte!"

„Ich habe mal davon gehört, aber ich weiß nicht, wo es ist."

Der Korse stieß einen triumphie­renden Schrei aus. „Du hast davon gehört - daß ich nicht lache! Dann hat dich die Gier gepackt, und du hast es gestohlen. Genauso war es."

Della Rocca hatte sich jetzt in eine Idee verrannt, die ihn nicht mehr losließ. Er mißtraute ohnehin jedem seiner Kerle, bis auf Manoel Ribas, er mißtraute der ganzen Bande. Das

war auch der Grund, warum er alle möglichen Mitwisser beseitigte.

Zardo hatte sich immer noch nicht gefangen, aber er zitterte jetzt nicht mehr so stark wie zuvor. Dafür stand ihm der Schweiß in dicken Perlen auf der Stirn, denn er kannte die Un­berechenbarkeit und den wilden Jähzorn des Korsen zur Genüge. Dessen Haltung konnte sich von ei­nem Augenblick zum anderen spon­tan ändern.

„Ich hatte Ankerwache", sagte er mühsam beherrscht. „Ich befand mich die ganze Zeit über auf der Back, und ich bin auch nicht abgelöst worden. Alle haben mich gesehen."

Der Korse lächelte kalt und mit schmalen Lippen, die höhnisch ver­zogen waren.

„Alle haben dich gesehen", wieder­holte er. „Klar, man hat dich ganz si­cher gesehen, aber dann brach das Feuer aus, ganz plötzlich, und dann haben alle nur noch auf das Feuer gestarrt." Des Korsen Stimme wurde jetzt ganz sanft, nur seine Augen flackerten. „Weißt du auch, wie das Feuer entstanden ist?"

„Nein, ich habe keine Ahnung. Es war ganz plötzlich da."

„Sehr richtig, es war ganz plötzlich da. So von allein, was? Ich werde dir sagen, wie das passiert ist. Ein Feuer entsteht nicht von allein, denn ein Blitz hat es nicht entzündet. Du hast das Feuer gelegt, du dreckiger Ba­stard! Jetzt habe ich das durch­schaut."

Zardo wich einen Schritt zurück und starrte den Korsen an. Offenbar war della Rocca übergeschnappt und hatte den Verstand verloren, seit das Buch verschwunden war.

„Ich soll das Feuer gelegt haben?" fragte er entsetzt. „Aber ich hatte doch Wache."

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Della Rocca setzte dem zurückwei­chenden Zardo das spitze Messer hart an die Kehle.

„Wache oder nicht, du Bastard warst es. Du bist heimlich von Bord verschwunden, hast das Feuer gelegt und bist dann ebenso heimlich zu­rückgekehrt."

Zardo schwieg ein paar Augenblik­ke. Die Anschuldigung war so unge­heuerlich und zugleich auch lächer­lich, daß er nicht wußte, was er erwi­dern sollte. Er schluckte ein paarmal hart, als das Messer seine Haut ritzte.

„Warum sollte ich Feuer gelegt ha­ben?" fragte er dann mit heiserer und versagender Stimme.

Aber auch dafür hatte der Korse eine Antwort bereit.

„Zur Ablenkung natürlich. Du hast den Brand gelegt, damit du in aller Ruhe das Buch klauen konntest. Die anderen waren ja mit dem Feuer be­schäftigt, und niemand kümmerte sich um dich. Da bist du in meine Kammer eingedrungen und hast alles durchstöbert, bis du das Buch ge­funden hast."

„Nein, das ist nicht wahr!" schrie Zardo. „Das ist alles an den Haaren herbeigezogen und erfunden. Gelo­gen ist das! Man will mir etwas un­terschieben, was ich nicht getan ha­be."

Er brach ab und stieß ein hysteri­sches Gelächter aus, wobei er immer wieder den Kopf schüttelte.

Della Rocca hatte sich in diese Idee geradezu verbohrt. Sie paßte genau in sein Muster. Als er Zardo jetzt noch hysterisch lachen hörte, war das Maß für ihn voll. Wilde, heiße Wut stieg wieder in ihm hoch.

Er griff das Messer fester und wollte zustoßen, doch im allerletzten Moment fiel ihm etwas ein. Tot hatte

Zardo keinerlei Nutzen für ihn, dann würde er nie mehr erfahren, wo der Kerl das Buch versteckt hatte.

Er ließ das Messer fallen und schlug erbarmungslos zu. Seine Faust krachte Zardo unter das Kinn und trieb ihn zurück bis ans Schanz­kleid der Backbordseite. Einen Lid­schlag später war der Korse keu­chend über ihm, riß ihn hoch und verpaßte ihm einen zweiten Schlag.

Zardo kippte auf die Planken und rührte sich nicht mehr.

„Verdammter Hund", sagte della Rocca, „ich werde schon aus dir her­ausquetschen, wo du das Buch ver­steckt hast, und hinterher wirst du den Tag deiner Geburt tausendmal verfluchen."

Er zerrte den Bewußtlosen über die Planken bis zur Jakobsleiter, an der die Jolle befestigt war. Dann wollte er ihn sich auf den Rücken laden und nach unten bringen. Doch Zardo war ein schwerer Brocken und glich einem riesigen unhandlichen Sack.

„Mistkerl, verdammter!" schimpfte della Rocca. „Du bist es nicht wert, daß man dich trägt. Hau ab!"

Er stieß Zardo über das Schanz­kleid, fast selber ohnmächtig vor Wut.

Der Bewußtlose knallte zwischen die Duchten der Jolle, daß es nur so krachte. Dort blieb er regungslos lie­gen.

Da die Kerle fast alle noch ihren Rausch ausschliefen, hatte an Land kaum jemand bemerkt, was sich auf der „Bonifacio" abspielte. Moleta und Ribas war der Zwischenfall jedoch nicht entgangen. Sie hatten immer wieder abwechselnd kontrolliert, ob sich nicht durch kleine Funken wieder ein Feuer gebildet hatte. Aber der Brand war gelöscht und würde auch nicht mehr aufflackern.

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Beide sahen zur Galeone hinüber, wo der Korse wie ein Wahnsinniger herumtobte und Zardo ein Messer an die Kehle setzte. Sie hatten auch den wilden Schrei vernommen.

Della Rocca brüllte und tobte, während Zardo kleinlaut Antwort gab. Das Geschrei wurde immer wilder und heftiger.

„Was ist denn da los?" fragte Mole­ta. „Hat der Kapitän ihn etwa beim Pennen auf Wache erwischt?"

„Möglich", entgegnete Ribas knapp. Er und Moleta mochten sich nicht besonders und wahrten daher Distanz.

„Du lieber Himmel, jetzt geht es aber los", sagte Moleta nach einer Weile. „Da scheint etwas Schlimme­res vorgefallen zu sein."

Sie sahen, wie della Rocca den An­kerwächter zusammenschlug, ihn über die Planken zerrte, am Schanz­kleid hochhievte und dann einfach über Bord warf. Es krachte dumpf, als Zardo mit hartem Aufschlag in der Jolle landete. Das Beiboot kenterte fast bei dem Aufprall. Danach stieg der Korse zornerfüllt ins Boot und pullte zum Strand.

„Ich gehe mal nachsehen", sagte Ribas.

„Bleib lieber hier. Wenn der Capi­tän seine große Wut hat, geht man ihm besser aus dem Weg. Könnte sein, daß du sonst auch noch was abkriegst."

„Das glaube ich kaum." „Klar, bist ja auch gut Freund mit

ihm", sagte Moleta gehässig. „Braven Jungchen tut er nichts."

Der Lotse sah den Bootsmann nur verächtlich an und grinste abfällig. Eine Antwort gab er nicht. Er ging zur Bucht hinunter und wartete, bis della Rocca mit der Jolle an den Strand

pullte. Wortlos half er mit, die Jolle auf den Strand zu ziehen.

5.

„Schmeiß den Halunken an Land", befahl der Korse. Seine Stimme war kaum noch zu erkennen. Sie klang heiser, wütend und gefährlich.

Ribas zerrte den Bewußtlosen zwi­schen den Duchten hervor, packte ihn bei den Beinen und legte ihn auf den Strand.

Zardo hatte die Augen geschlossen. Sein Gesicht war unnatürlich bleich und zeichnete sich scharf von dem schwarzen Bart ab.

„Was hast du mit ihm vor, Capi­tan?" fragte Ribas. „Was hat der Kerl angestellt?"

„Du kennst mein Buch mit den Verstecken?" fragte der Korse.

„Ich habe davon gehört, ich kenne es natürlich nicht."

„Dieser Drecksack hat es geklaut", erklärte della Rocca.

„Zardo hat das Buch geklaut?" fragte Ribas entgeistert.

„Ja, und er hat auch das Feuer ge­legt, zur Ablenkung nämlich. Nach­dem er das Feuer gelegt hatte, gab er Feueralarm, wenn du dich noch erinnerst."

„Stimmt, das weiß ich." „Damit war die ganze Mannschaft

abgelenkt und mit dem Feuer be­schäftigt Niemand hat mehr auf ihn geachtet. Daraufhin ist dieser Drecksack in meine Kammer einge­drungen, hat das Fach entdeckt und das Buch geklaut. Genauso ist es ge­wesen."

„Und das hat er zugegeben?" „Noch nicht, aber ich werde es Wort

für Wort aus ihm herausprügeln, und wenn er dabei zum Teufel geht. Er

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wird so oder so sterben, auch wenn er alles zugibt oder abstreitet. Einen della Rocca beklaut man nicht, schon gar nicht, wenn man ein dummer Hundesohn ist."

Ribas sah entgeistert auf den Be­wußtlosen und konnte nicht fassen, daß Zardo kaltschnäuzig den Brand gelegt und dann das wertvolle Buch geklaut hatte.

„Das ist ja ein starkes Stück", sagte er gepreßt.

„Das kann man wohl sagen. Aber es paßt alles wunderbar zusammen. Heute nacht hatte ich nicht die ge­ringste Ahnung, wie das Feuer ent­standen war. Aber als ich feststellte, daß das Buch verschwunden war, da konnte ich mir einiges zusammen­reimen. Zardo war der einzige Kerl an Bord, sonst befand sich niemand auf der Galeone. War kein Problem für ihn, kurz mal zu verschwinden, das Feuer zu legen und wieder zu­rückzukehren. So einfach ist das. Es paßt alles zusammen", wiederholte er.

Moleta näherte sich und meldete, daß alles in Ordnung sei. Weitere Brandnester hätten sich nicht gebil­det.

„Seh’ ich selbst", sagte der Korse übellaunig. „Bringt dieses Miststück zu den Hütten und bindet den Kerl an das Balkengerüst. Wenn er wieder bei sich ist, werde ich ihn aus­quetschen, und zwar nach allen Re­geln der Kunst."

Moleta hatte noch einen Teil von dem verstanden, was der Korse ge­sagt hatte, aber er traute sich nicht, weitere Fragen zu stellen, denn della Rocca war in einer sehr üblen Stim­mung. Da konnte es passieren, daß ihm gleich mehrmals die Faust aus­rutschte und ein neugieriger Frage­steller plötzlich eine Plattnase hatte.

„Sollen wir die anderen auch gleich hochpurren?" fragte Ribas.

Della Rocca wollte erst zustimmend nicken, dann änderte er jedoch seine Meinung und schüttelte den Kopf.

„Laßt sie noch schlafen. Mir sind ausgeruhte Kerle lieber als müde Säcke, die nicht begreifen, was um sie herum passiert. Weckt sie gegen Mittag, dann dürften sie wieder munter sein."

Der Korse half mit, als sie Zardo zu den Hütten schleiften. Er war immer noch bewußtlos und würde es auch noch eine Weile bleiben. Der Sturz in das Boot war zu hart gewesen.

Bei den Hütten, in der Nähe des Lagerfeuers, stand ein in den Sand gerammtes Balkengerüst. Zardo war nicht der erste, der hier angebunden wurde. Schon etliche waren hier be­straft oder den Attacken der Reiter­krabben ausgesetzt worden.

In der Nähe des Balkengerüstes la­gen zwei Kerle auf dem Boden, die laut schnarchend ihren Rausch aus­schliefen. Es störte sie nicht einmal, daß ihnen die Sonne direkt in die Ge­sichter schien.

Ribas und Moleta banden Zardo mit ein paar dünnen Leinen so an das Gerüst, daß er sich kaum bewegen konnte. Zardo war der Kopf auf die Brust gesunken, sein Mund stand halb offen.

„Was ist denn überhaupt passiert?" fragte Moleta, als der Korse außer Hörweite war. „Ich habe nicht viel von eurer Unterhaltung mitgekriegt."

„Zardo hat das Perlenbuch geklaut", sagte Ribas. „Deshalb ist jetzt die Hölle los, und nachher wird es noch schlimmer."

Moleta sah aus, als hätte ihn der Schlag getroffen. Mit offenem Mund starrte er den Lotsen an.

Page 26: Feuer frei für della Rocca, Fred McMason

„Das Perlenbuch? Um Himmels willen. Und wo hat Zardo es ver­steckt?"

„Das weiß ich nicht." „Aber wie kam er an das Buch her­

an?" „Durch ein Ablenkungsmanöver.

Der Capitän behauptet, daß Zardo den Brand gelegt habe, um in aller Ruhe nach dem Buch suchen zu kön­nen."

„Dann steht ihm mit Sicherheit die Hölle bevor."

„Zuerst das Fegefeuer. Aber er wird schon reden, darauf kannst du dich verlassen."

„Die anderen werden sehr erfreut sein, wenn sie das hören. Die zerrei­ßen den Kerl in der Luft, denn wegen ihm haben sie die ganze Nacht wie die Wilden geschuftet."

Ribas sah den Bootsmann von der Seite her an und stellte fest, daß des­sen Augen etwas flackerten. Ein ei­gentümliches Licht lag darin. Offen­bar war er neidisch, daß Zardo das Buch geklaut hatte. So viel Mut hatte er dem Kerl gar nicht zugetraut, hieß dieser Blick.

In Wirklichkeit verhielt es sich auch so. Moleta bewunderte den ge­rissenen Hundesohn, daß er den Mut aufgebracht hatte. Er selbst hätte sich das nie zugetraut. Aber viel Freude wird er an dem Buch nicht mehr haben, überlegte er, denn der Korse würde ihm die Seele aus dem Leib prügeln.

Hämisch grinsend ging er zu der langgestreckten Düne hinüber und sah an jenen Stellen nach, wo immer noch ein leichter Dunst über dem Bo­den hing.

Der Korse war zum Strand gegan­gen und auf der Schaluppe ver­schwunden. Ribas hörte ihn ein

paarmal rumoren, dann trat für län­gere Zeit Ruhe ein.

*

Gegen Mittag war alles auf den Beinen. Am Strand tummelte sich ein Haufen wüst aussehender Kerle, die immer noch rabenschwarz waren. Die Frauen sahen auch nicht viel besser aus. Die meisten liefen zum Wasser, um sich den Dreck der ver­gangenen Nacht abzuwaschen. Ein paar andere Kerle konnten sich dazu nicht entschließen und liefen lieber weiter wie die Kaminfeger herum.

Zardo schenkten sie kaum einen Blick. Es war nicht ungewöhnlich, daß mal jemand am Balkengerüst hing und ausgepeitscht wurde, wenn er etwas ausgefressen hatte.

Zardo war aus seiner Bewußtlo­sigkeit erwacht und sah sich mit ängstlichen Blicken nach allen Seiten um. Anfangs fehlte ihm die Erin­nerung, doch sie setzte schlagartig ein, und er sah alles wieder vor sich. Der Korse hatte ihn bezichtigt, das Buch geklaut zu haben, und dann war er zusammengeschlagen wor­den. Jetzt begannen seine Augen im­mer stärker zu flackern. Gleichzeitig wurde die Angst immer größer, denn er wußte, daß ihm jetzt eine hoch­notpeinliche Tortur bevorstand.

Della Rocca war wieder an Land erschienen und schlenderte zwischen den Männern und Frauen herum, die sich wuschen. Dabei heizte er die Stimmung gleich kräftig an.

„Ihr seht aus wie die Wildschweine", sagte er, „und ihr habt bis zum Umfallen geschuftet. Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen. Das hätten wir uns alles ersparen können."

Page 27: Feuer frei für della Rocca, Fred McMason

Fragende Blicke richteten sich auf ihn. Manche sahen verständnislos drein.

„Wieso nicht nötig?" brummte ein Klotz von einem Kerl. „Was hätten wir uns ersparen können? Es ging doch um das verdammte Feuer, das unsere Hütten gefressen hätte."

„Natürlich ging es darum. Aber die Hölle der vergangenen Nacht habt ihr einem von uns zu verdanken."

Wieder richteten sich fragende Blicke auf den Korsen. Der hatte die Arme über der Brust verschränkt und blickte zu Zardo, der bewegungslos am Balkengerüst hing.

„Ja, seht ihn euch an", sagte der Korse genüßlich. „Dieser Hundesohn legte das Feuer, und dazu hatte er ei­nen triftigen Grund. Als ihr alle so schön abgelenkt wart, klaute Zardo mein Buch mit den Angaben der Verstecke. Na, das ist doch einefeine Überraschung, was?"

Für die Schnapphähne und Frauen war das allerdings eine Überra­schung. Sie blickten erst della Rocca an, dann Zardo und konnten es nicht fassen.

„Was für ein Buch?" fragte die schwarze Juanita.

„Das geht euch Weiber gar nichts an. Die anderen wissen schon, was ich meine."

„Dann geht es uns auch was an", sagte Juanita empört. „Schließlich haben wir ebenfalls bis zum Umfallen geschuftet und möchten gern wissen, warum wir das Zardo zu verdanken haben."

Della Rocca grinste vor sich hin. Eigentlich konnte es nicht schaden, auch das „Weibervolk" ein bißchen aufzuhetzen. Die Frauen waren mit­unter wilder und schlimmer als die Männer, ganz besonders diese Art von Frauen, die sich auf der Insel be­

fanden. Was vergab er sich schon, wenn er ihnen das sagte? Selbst wenn sich das Buch wiederfand, konnte keine etwas damit anfangen, denn Schreiben und Lesen konnte fast keine und die Zahlenreihen ent­schlüsseln schon gar nicht. Auch sei­ne wüsten Kerle waren dazu nicht in der Lage.

„Es handelt sich um ein Buch, in dem die Verstecke von Schätzen ein­gezeichnet sind", erklärte er. „Dieses Buch befand sich in meiner Kammer, aber jetzt ist es verschwunden, weil dieser Hundesohn es geklaut hat. Ich kenne die Verstecke aber nicht alle auswendig, und das bedeutet, daß euer Anteil an der Beute wesentlich niedriger ausfallen wird. Das ist doch verständlich. Also müssen wir herauskriegen, wo Zardo das Buch versteckt hat."

„Warum hat er denn das Feuer ge­legt?" fragte Juanita.

„Um in aller Ruhe meine Kammer durchsuchen zu können. Von dem Feuer und den Löscharbeiten waren alle abgelenkt."

Die Blicke richteten sich auf Zardo. Galgenvogelgesichter starrten ihn wild an. Auch die Huren waren empört.

„Hängen wir den Kerl doch einfach auf!" schrie Juanita.

Della Rocca grinste unmerklich, als er die wilden Blicke sah. Die Frauen und Männer hatte der Zorn gepackt. Sie hätten Zardo am liebsten auf der Stelle umgebracht. Die Stimmung wurde immer übler.

„Klar, auf was warten wir noch!" brüllte ein Schwarzhaariger. „Wir fangen gleich an."

„Immer langsam", mahnte der Korse. „Wenn wir ihn jetzt gleich hängen, werden wir nie erfahren, wo er das Buch versteckt hat. Damit

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würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Wir werden ihn zuerst be­fragen. Seht zu, daß ihr fertig wer­det."

Unter den Kerlen brach fast ein Tumult aus, als der Korse zu dem Balkengerüst ging und davor ste­henblieb.

„Dieser dreckige Hund", sagte ein unrasierter Kerl, „der hat es fertig­gebracht und sich das Buch unter den Nagel gerissen. Ausgerechnet Zardo, dieser Bastard. Dem hätte ich das gar nicht zugetraut. Der will wohl später ganz allein absahnen, so still und heimlich."

„Daß er das Buch geklaut hat", meinte ein anderer, „ist ja noch so was wie 'ne Heldentat. Ich hätte den Mut nicht gehabt. Aber daß der Hun­desohn Feuer gelegt hat und wir bei­nahe versengt worden wären, das kreide ich ihm verdammt übel an. Nur wegen dieses Halunken haben wir wie die Idioten geschuftet."

Seine Worte heizten die Stimmung noch höllischer an. Manche blickten neidisch zu dem Schwarzbart, ande­re wieder sehr gereizt und zornig. Zardo war schon jetzt verraten und verkauft.

„Freude wird er an dem Buch kaum haben", sagte der Breitschultrige. „Wenn er es nicht rausrückt, ist er ein toter Mann. Wieso hat der Dummkopf nicht daran gedacht?"

Die Frage interessierte die anderen aber kaum, obwohl sie berechtigt war. Auch daß della Roccas Argu­mente an den Haaren herbeigezogen waren, kam keinem in den Sinn.

Sie wollten Rache, denn nach des Korsen Worten war durch das Ver­schwinden des Perlenbuches ihr An­teil beträchtlich geschrumpft, und in der Beziehung verstanden sie keinen Spaß.

Sie hatten es jetzt sehr eilig, sich im Halbkreis um das Balkengerüst zu versammeln. Zardo wurde eisig oder gehässig, von einigen wenigen aber auch bewundernd angestarrt, weil er den Mut aufgebracht hatte, della Rocca zu beklauen.

Sein Gesicht mit dem schwarzen Bart war jetzt zu einer Fratze der Angst verzogen, als er die Blicke sei­ner Kumpane sah.

Della Rocca holte die Peitsche aus seinem Hosenbund, entrollte sie und zog sie durch die Finger. Dann schlug er einmal prüfend durch die Luft und lauschte dem scharfen, pfeifenden Geräusch.

Die anderen saßen erwartungsvoll und hämisch grinsend im Halbkreis herum.

„Nun zu dir, du Bastard", sagte der Korse. „Du brauchst nicht versuchen, dich herauszureden. Jeder weiß in­zwischen, was du getan hast. Ich will von dir nur wissen, wo das Buch ist. Ich bin auch so großzügig, dich am Leben zu lassen, wenn du es sagst. Du kannst dann hier auf der Insel bleiben und dich häuslich einrichten oder wieder ein neues Feuerchen entzünden."

Zardo wechselte erneut die Ge­sichtsfarbe. Alles Blut war aus sei­nem Gesicht gewichen. Er sah unna­türlich bleich aus.

„Ich weiß nichts von einem Buch", stieß er hervor.

Hämisches Gelächter folgten sei­nen Worten.

„Er weiß nichts von einem Buch", tönte einer, „und er weiß auch sicher nicht, wer das Feuer gelegt hat."

Der Kerl sprang auf und versetzte Zardo eine schallende Ohrfeige.

„Das ist für das Feuer!" brüllte er. „Wegen dir hatten wir den ganzen Ärger."

Page 29: Feuer frei für della Rocca, Fred McMason

Der Korse stand daneben, untätig, die Peitsche noch in der Hand. Seine Blicke waren eiskalt auf Zardo ge­richtet.

„Genug jetzt, Marco", sagte er, als der Kerl Zardo die zweite Ohrfeige verabreichte. „Setz dich wieder zu den anderen. Ich werde die Befragung fortsetzen."

Aus dem Handgelenk hieb er un­versehens zu. Der Schlag erfolgte so schnell, daß Zardo nicht einmal die Bewegung sah. Dafür spürte er den jäh und grell einsetzenden explo­sionsartigen Schmerz.

Mit einem Aufschrei krümmte er sich zusammen und blieb in den Fes­seln hängen.

„Wo ist das Buch?" fragte der Kor­se.

„Ich habe es nicht", winselte Zardo. „Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß ich es nicht habe."

„Was ist dir denn heilig?" fragte della Rocca spöttisch. „Doch höch­stens das Versteck der Beute."

„Ich würde es nie tun!" schrie Zar­do. „Und wenn du mich zu Tode prü­gelst, ich kann es nicht sagen."

„Du meinst, du willst es nicht sagen, du kannst es schon. Du bist noch ein bißchen verstockt. Aber deine Verstocktheit werde ich dir schon austreiben."

Der zweite, blitzschnell ausgeführte Schlag ließ das ganze Balkengerüst erbeben. Zardo zuckte unter dem Hieb zusammen und wand sich hin und her. Tränen schossen ihm in die Augen. Er biß sich vor Schmerz auf die Lippen.

„Seht euch diesen zähen Helden an!" höhnte der Korse.

„Gib's ihm, Capitän!" schrie ein ganzer Chor. „Laß den Hundesohn die Peitsche spüren!"

Die Tortur, der sie Zardo unterzo­gen, wurde immer härter. Die Peit­sche hinterließ blutige Striemen auf seinem Körper. Der Schwarzbart wimmerte nur noch.

„Ich bin unschuldig", winselte er. „Das ist alles ein fürchterlicher Irrtum. Ich habe nichts getan."

Die Zuschauer brüllten johlend durcheinander. Sie drängten sich um ihren Kumpan und traten nach ihm. Wieder hagelte es Ohrfeigen, an de­nen sich auch die Frauen beteiligten.

Der Korse hatte die Meute jetzt so weit, daß sie absolut von Zardos Schuld überzeugt war. Der Schwarzbart konnte behaupten, was er wollte, keiner glaubte ihm auch nur ein Wort.

„Du brauchst nur das Versteck zu verraten", sagte der Korse. „Dann laß ich dich losbinden, und alles ist erle­digt."

„Ich würde es gern verraten", jam­merte Zardo, „aber es gibt nichts zu verraten. Ich habe das Buch nicht, ich kenne es nicht einmal, und wenn ich es hätte, würde es mir überhaupt nichts nutzen."

„Weshalb würde es dir nichts nut­zen?"

„Ich kann nicht lesen, und ich kann auch nicht schreiben, weil ich es nie in meinem Leben gelernt habe. Ich könnte gar nichts in dem Buch ent­ziffern."

„Du dreckiger, verlauster Huren­sohn!" rief der Korse. „Du bindest uns ein Märchen nach dem anderen auf. Niemand kann dir beweisen, ob du schreiben oder lesen kannst. Aber wenn du das Buch hast, kann es ein anderer für dich entziffern, du brauchst dann nur mit ihm die Beute zu teilen."

Della Rocca steigerte sich langsam, aber sicher wieder in einen heillosen

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Zorn hinein. Er schluckte hart, als er Zardo anblickte, der ihn voller Angst anstarrte.

Wenn er diesen Kerl, der so ver­stockt war, umbrachte, fand er das Buch ohnehin nicht mehr. Ließ er ihn aber am Leben, dann lachte sich der Kerl später über ihn halb tot.

Jähzornig stürzte er sich auf den Schwarzbart und schlug mit der Peitsche auf ihn ein, bis Zardo zusammensackte. Er konnte nicht mehr schreien, er bewegte nur tonlos die Lippen.

„Zum letzten Mal: Du sagst mir jetzt das Versteck, oder ich lasse dich mit des Seilers Tochter Hochzeit feiern."

„Glaub mir, ich habe nichts zu ge­stehen. Wirklich nicht", flüsterte der Schwarzbart unter Schmerzen.

„Aufhängen!" brüllten ein paar Kerle. „Wenn er erst den Strick um den Hals hat, sieht alles ganz anders aus. Da wird jeder Halunke weich und fängt an zu quatschen."

„Jawohl, aufhängen! Hoch mit dem Kerl!" brüllten sie Zustimmung.

Die Weiber benahmen sich dabei wahrhaftig am schlimmsten.

Juanita und zwei andere sprangen auf, schlugen auf Zardo ein und be­spuckten ihn. Kleine, aber kräftige Fäuste landeten in seinem Gesicht.

„Du Hund hast uns das alles einge­brockt!" schrie eine dunkelhaarige Schlampe mit zerfetzten Kleidern. „Dafür soll man dich aufhängen, oder den Haien zum Fraß vorwerfen!"

Die Stimmung gegen Zardo wurde immer schlimmer. Die ganze Horde tobte und brüllte herum. Sie wollten Zardo zappeln sehen.

Der Korse zog ihm wieder hart eins über. Diesmal legte er alle Kraft in den Schlag, denn es ärgerte ihn maßlos, daß der Kerl nicht im Traum

daran dachte, das Versteck preiszu­geben.

„Was meint ihr?" fragte er Ribas und Moleta.

„Wenn er nicht redet, würde ich ihn hängen", sagte der Lotse. „Vielleicht überlegt er es sich kurz vorher doch noch anders."

„Der verrät nichts", sagte Moleta grinsend. „Ich bin in jedem Fall dafür, daß wir ihn mit des Seilers Tochter verheiraten. Der wird das Versteck nie preisgeben."

Der Korse drehte die Peitsche um und hob mit dem Stiel das Kinn des Bärtigen etwas an.

„Überlege es dir noch einmal", zischte er. „In ein paar Minuten bist du ein toter Mann und hast ausge­zappelt. Ist es dir das wirklich wert? Du hast dann nichts mehr von dem Buch."

„Ich würde alles zugeben!" schrie der Schwarzbart. „Alles würde ich sagen, aber ich kann nichts sagen, wenn ich nichts weiß. Ihr müßt das doch einsehen", rief er mit versa­gender Stimme. „Sicher hat ein an­derer das Buch gestohlen."

„Es war nur kein anderer an Bord als du. Das ist dein Pech. Du warst ganz allein als Ankerwache, oder willst du das etwa auch noch abstrei­ten, du Bastard?"

„Das stimmt ja auch, aber ich habe meinen Posten keinen Augenblick verlassen. Ich bin nur einmal einge­döst."

„Und wer hat das Feuer gelegt?" rief die Meute. „Das ist wohl von al­lein aufgeflammt!"

„Ich weiß es nicht, ich war es je­denfalls nicht."

Niemand glaubte ihm auch nur ein Wort. Dafür johlten sie um so lauter und wurden immer wilder.

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„Dann ist das erledigt", sagte der Korse. „Wenn wir es nicht mal aus ihm herausprügeln können, wird er es auf andere Art und Weise bezah­len. Holt ein kräftiges Seil und knüpft eine Schlinge. Wir werden den Halunken dort drüben aufknüpfen. Das ist mein letztes Wort."

Die Kerle stürzten fast übereinan­der, als sie zu der Schaluppe in der Bucht rannten. Sie hatten es furcht­bar eilig, ihren Kumpan hängen zu sehen. Sie hatten auch eine Stinkwut auf ihn. Außerdem stand er als Dieb fest und konnte sagen, was er wollte. Wie ein Blutrausch kam es jetzt über sie.

Gleich sieben Kerle kehrten mit Tauwerk zurück und knüpften eifrig eine Schlinge.

„Dort an der Palme wird er hängen", sagte der Korse. „Und da bleibt er so lange hängen, bis er von selbst herabfällt."

Johlend und schreiend rannte die Horde zu einer allein zwischen den Hütten stehenden Kokospalme. Hier war schon einmal einer aufgeknüpft worden und hatte sein Leben ausge­haucht. Zardo würde der nächste sein, der an der Palme endete.

Als der Schwarzbart sah, daß es jetzt ernst wurde, begann er an allen Gliedern zu zittern.

„Das könnt ihr nicht tun!" rief er wild. „Ihr könnt keinen Unschuldigen aufhängen."

„Und ob wir das können", sagte della Rocca, „du wirst es gleich spü­ren. Dir bleibt aber noch etwas Zeit, um alles genau zu überlegen. Danach ist es zu spät."

Der Schwarzbart schwieg. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Er sah nur den Strick von der Palme baumeln, und da wurde ihm übel vor lauter Angst. Die Kerle würden ihn

wahrhaftig hängen, daran führte kein Weg mehr vorbei.

„Bindet ihn los und bringt ihn her!" befahl der Korse mit lauter Stimme. „Und dann hoch mit dem Halunken."

Wieder stürzte sich die entfesselte Meute auf Zardo, um ihn von dem Balkengerüst loszubinden.

6.

Auf der „Isabella" und der „Em­press", befanden sich an diesem Tag ebenfalls alle im Rausch, aber der war weitaus harmloser und verlief absolut unblutig.

Es war noch früher Morgen. Die Sonne war aufgegangen und tauchte die Ankerbucht in goldenen Schein. Durch die Palmenwedel funkelten gleißende Sonnenstrahlen. Das Was­ser glitzerte in immer wieder anderen prachtvollen Farbtönen.

Old O'Flynn enterte mit den Zwil­lingen und seiner restlichen Mann­schaft an der „Isabella" auf.

„Habt ihr schon was rausgefun­den?" fragte er nach der kurzen Be­grüßung den Kutscher. „Wißt ihr, wo die Verstecke sind?"

„Noch wissen wir gar nichts", erwi­derte der Kutscher. „Wir wissen nur, daß wir hungrig sind und es gleich Frühstück gibt. Wenn wir das hinter uns haben, befassen wir uns mit dem Perlenbuch."

„Frühstücken könnt ihr morgen auch noch", sagte der Alte. „Das läuft nicht davon. Aber wenn der Kerl merkt, daß sein Buch fehlt, klappert er aus dem Gedächtnis alle Orte ab, und wir haben dann jedes Mal das große Nachsehen."

Aber Old O'Flynn biß mit seinem Eifer auf Granit. Der Kutscher war die Ruhe selbst und durch nichts zu

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erschüttern. Erst kam das Wohl der Mannschaft, dann alles andere.

Der größte Teil der Crew war ebenfalls unruhig. Das traf besonders auf die Zwillinge, aber auch auf den Profos Edwin Carberry zu, den ebenfalls die Neugier plagte.

Der einzige, der an Bord der „Isa­bella" fern jeglicher Neugier war, war Mac Pellew, den das alles nicht kratzte. Er verteilte mit Leichenbit­termiene das Frühstück, das der Ein­fachheit halber an Deck eingenom­men wurde. Es gab Speckpfannku­chen, dazu Hartwurst und Käse.

„Eier fehlen mal wieder", nörgelte der Profos herum. „So richtig schöne Eierchen mit Speck oder Schinken. Am besten gleich ein ganzes Dut­zend."

„Soll ich vielleicht welche legen?" fragte Mac Pellew grämlich. „Soweit sind wir noch nicht, daß ich das kann."

„Da würde ich auch gern drauf verzichten", versicherte Carberry. „Du legst bestimmt nur Trauerknö­del. Aber gackern kannst du immer­hin, das kann man wohl sagen."

Mac stellte die große Kumme mit den Speckpfannkuchen hinter sich auf die Gräting. Die Dinger waren so groß, wie die Pranken von dem Ge­fechtsrudergänger Pete Ballie, also ankerklüsengroß.

„Den Tag möchte ich mal erleben, an dem du nicht an allem was zu meckern und zu motzen hast", brummte Mac weiter. „Gibt es Eier, dann frißt du zwei Tage lang wie ein Wilder, gibt es dann wieder Eier, hast du keinen Hunger mehr. Gibt es..."

„Laß deine geistigen Blähungen woanders ab", fauchte Carberry. „Du ziehst einem ja den letzten Nerv, Mann!"

„Klar, du hast ja auch nur noch ei­nen", sagte Mac spöttisch. „Die ande­ren hat man dir schon in der Wiege gezogen, hä-hä-hä!"

Diesmal brachte er tatsächlich ein saures Grinsen zustande, aber das löste bei dem Profos bestenfalls Er­schütterung aus, weil er nicht begriff, daß einer so ausgesprochen dämlich grinsen konnte.

„Da wir gerade bei der Wiege sind", spottete Carberry. „Kennt ihr ei­gentlich die Geschichte von Mac, als er geboren wurde?" fragte er die an­deren, die zwischen Mampfen und Trinken grinsend dem Dialog zuhör­ten.

Nein, erzähl mal", wurde er aufge­fordert.

An dem Tag, als Mac geboren würde, kam gerade sein lieber Daddy von der Arbeit nach Hause. Den hat es glatt umgehauen, und er fiel auch prompt in Ohnmacht. Mac sah näm­lich aus wie 'ne übergroße Back­pflaume. Und später hat sich der Alte vor Schreck besoffen."

Die anderen begannen loszubrül­len, aber Mac Pellew fand das abso­lut nicht lustig. Übelgelaunt starrte er den Profos an.

„Stimmt das etwa nicht, Schwester Eulalia?" fragte Carberry anzüglich und grinste bis an die Ohren, als Mac vor Ärger rot anlief.

Wieder war Gewieher und Gegröle zu hören. Macs Gesicht wurde immer länger, aber leider fiel ihm keine an­dere Antwort ein als die: „Der spinnt mal wieder, der Profos. Der kam schon als Pockenschleuder auf die Welt. Sieht man heute ja noch seiner Visage an."

Verärgert drehte er sich um und griff nach der Kumme mit den vielen Speckpfannkuchen, aber die war leer

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bis auf einen, der einsam und verlassen darauf lag.

Mac Pellew starrte in die Runde, bis sein Blick auf Paddy Rogers hän­genblieb, der genüßlich mampfte.

„Was ist denn jetzt los?" sagte Mac entrüstet. „Hast du etwa die ganzen Pfannkuchen gefressen, du ewiger Hungerleider?"

„Jaaa", sagte Paddy zufrieden. „Du hast sie mir doch hingestellt, und da dachte ich, die Portion sei für mich bestimmt."

„Um Himmels willen", stöhnte Mac. „Das gibt es doch gar nicht, so was von Verfressenheit. Das waren elf Stück. Jetzt kann ich noch welche nachbacken, verflucht."

„Dann back doch", riet Carberry, „hast ja sonst doch nichts zu tun.

Und back für mich gleich noch welche mit."

„Einen kannst du jetzt schon ha­ben", sagte Mac Pellew giftig, „und zwar den hier, den der Freßsack übriggelassen hat."

Er nahm den fetten Speckpfann­kuchen von der Kumme, und weil der Profos gerade so schön niedrig auf der Gräting saß, knallte er ihm das Ding der Einfachheit halber auf den Schädel.

„Darf's vielleicht auch noch etwas Sirup dazu sein?" fragte Mac genüß­lich. „Oder Marmelade? Aber sonst steht dir der Pfannkuchen wirklich prächtig. Jetzt siehst du echt wie Schwester Eulalia aus, Mister Car­berry."

Mehr konnte Mac Pellew allerdings nicht sagen, denn was sich jetzt erhob, war ein angriffslustiger grun­zender Büffel, der nur noch rot und grün vor Augen sah.

Der Profos riß sich das Fettpolster wütend vom Schädel, zermatschte es in seiner Pranke und setzte Mac Pel­

lew nach, der mit affenartiger Ge­schwindigkeit zur Kombüse flüchtete.

Das war seine Art von Schutzburg, die ihm Sicherheit bot,

Edwin Carberry schaffte es nicht mehr ganz. Das Kombüsenschott knallte so heftig zu, daß die ganze „Isabella" erschüttert wurde. Als er noch nach Mac grapschen wollte, hätte ihm das Schott fast die Finger zerquetscht. Er hämmerte in ohn­mächtiger Wut mit der Faust dage­gen. Und zum Hohn erklang von in­nen Mac Pellews schauriges Geläch­ter, das nach einer Weile erstickt ab­brach.

„Warte nur abl" schrie der Profos. „Einmal kommst du ja auch wieder raus, und wenn ich dich dann erwische, hänge ich dir das Kreuz aus, daß du deinen Affenarsch in der Schlinge tragen kannst!"

Unter dem allgemeinen Gelächter der Seewölfe kehrte der Profos wie­der zu seinem Ausgangspunkt zurück und setzte sich auf die Gräting.

„Lacht nur", sagte er grollend, „mich juckt das überhaupt nicht, aber Mister Pellew wird das noch jucken. Einmal bietet sich die Gelegenheit dazu, und wenn es Tage dauert."

Das rauhe Gelächter brach gerade ab, als der Seewolf auf dem Achter­deck erschien und über das Quarter­deck zur Kühl ging. In seiner Beglei­tung befand sich Dan O'Flynn, der das geheimnisvolle Buch unter dem Arm trug.

Hasard wünschte einen guten Morgen und erkundigte sich gutge­launt nach der Quelle der Heiterkeit.

„Mac und Ed hatten sich wieder mal am Kragen", sagte Ferris Tucker grinsend. „Aber das ist ja nichts Neu-es."

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„Nein, wirklich nicht. Mal ist es der Kutscher, mal Mac und dann wieder Old Donegal."

In erstaunlich kurzer Zeit war das Frühstück beendet, denn nun wollten alle versuchen, das Rätsel zu lösen. Auch der Kutscher erschien gleich darauf. Nur Mac Pellew ließ sich nicht blicken und rumorte in der Kombüse herum, weil er den Zorn des Profos fürchtete.

Die Kühl wurde geräumt, und gleich darauf war Dan O'Flynn so belagert, daß er sich kaum noch bewegen konnte. Es langte gerade noch zu so viel Bewegungsfreiheit, daß er das Buch aufklappen konnte.

„So geht das nicht, Leute", sagte er nach einem Blick in die neugierige Runde. „Ich kann mich ja kaum be­wegen. Auf die Art und Weise gelangen wir nie ans Ziel."

Hasard stimmte ebenfalls zu. „Euch wird nichts entgehen, ihr alle

werdet immer über den neusten Stand der Dinge unterrichtet. Des­halb schlage ich vor, daß wir die Lö­sung dem Kutscher, Dan und meinen beiden Söhnen überlassen. Die Nuß ist nicht leicht zu knacken, und Ab­lenkung können die Männer nicht gebrauchen, das verwirrt nur unnötig. Ihr geht am besten in die Kombüse, da habt ihr Ruhe."

Hasard sah in enttäuschte Gesich­ter. Jedem stand die Neugier im Ge­sicht geschrieben, aber schließlich sahen sie ein, daß es so die beste Lösung war.

Dan O'Flynn packte sein Schreib­zeug zusammen und verließ mit dem Kutscher und den Zwillingen die Kühl. Etwas später befanden sie sich in der Kombüse.

„Du kannst auch an Deck gehen", sagte der Kutscher zu Mac. „Sonst stehst du nur im Weg herum."

„Ich habe noch eine Menge zu tun", redete Mac sich heraus. „Die Pro­viantlast muß noch aufgeklart wer­den, und Speck für das Mittagessen muß ich auch noch schneiden. Aber keine Angst, ich stehe euch ganz be­stimmt nicht im Wege. Mich inter­essiert der ganze Quatsch sowieso nicht."

Die Männer grinsten sich an, weil sie genau wußten, warum Mac Pel­lew nicht an Deck wollte. Da lauerte irgendwo der Profos auf ihn, um sich zu rächen.

„Na gut", meinte der Kutscher. „Dann klar mal alles auf, aber quas­sel uns nicht dazwischen."

Die Zwillinge waren am meisten gespannt auf das Ergebnis. Es berei­tete ihnen ungeheuren Spaß, derar­tige Nüsse zu knacken. Vor Aufre­gung hatten sie schon rote Ohren.

„Ich habe mir das gestern noch ein­mal angesehen", sagte Dan. „Dieser Perlenhai ist tatsächlich ein Genie. Er hat seine Verstecke so verschlüsselt, daß man stundenlang daran rätseln kann. Ich habe nur herausgefunden, daß eine ganz bestimmte Methode dahintersteckt."

„In den Zahlen", meinte der Kut­scher. „Vielleicht ist das System ganz simpel, und aus gerade diesem Grund erscheint es so schwierig."

Dan O'Flynn nickte und reichte ihm das Buch.

„Da kannst du recht haben. Aber ich verwette meinen Kopf, daß wir die Nuß knacken."

Davon waren auch die Zwillinge überzeugt, wie sie versicherten.

Der Kutscher begann damit, die Seiten umzublättern. Dann betrach­tete er jede der Zeichnungen so ge­nau, als suche er etwas ganz Be­stimmtes.

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Dan O'Flynn hatte sich auf einem Blatt Papier die Zahlenreihe der er­sten Seite notiert. Jetzt starrte er schweigend auf die Zahlen und rät­selte an ihnen herum. Hasard und Philip junior sahen abwechselnd auf die Zahlenreihen, dann wieder auf die Zeichnungen, die der Kutscher intensiv und sehr genau betrachtete.

Er blätterte bis Seite zehn, danach blätterte er zurück, sah sich die Zeichnungen noch einmal an und schlug das Buch auf Seite neun auf. Sein Zeigefinger blieb an einem Punkt hängen. Ganz langsam zog er die Linie nach.

Stirnrunzelnd sah der Kutscher auf die Zeichnung. Dann tippte er nachdrücklich darauf.

„Diese Ecke kenne ich. Das ist mit Sicherheit die Bucht, wo ihr - du und Hasard - die Kerle beim Ausbuddeln der kleinen Truhe beobachtet habt. Sieh dir das einmal selbst an. Ich bin mir da ganz sicher."

Dan O'Flynn beugte sich darüber, musterte die Zeichnung und nickte.

„Stimmt haargenau, Kutscher. Das ist die Bucht, daran besteht tatsäch­lich nicht der geringste Zweifel. Jetzt werden wir einmal die Zahlen ver­gleichen."

Dan O'Flynn schrieb die Zahlen­reihe auf. Sie lautete: 6, 13, 18, 13, 26, 26, 13. Dann folgte ein Schräg­strich.

„Offenbar zwei Wörter, die durch einen Schrägstrich getrennt sind", sagte der Kutscher nachdenklich.

„Sieht ganz danach aus", meinten auch die Zwillinge.

Die zweite Zahlenreihe bestand aus sechs Zahlen: 17, 9, 21, 20, 9 und 26.

Jetzt ging die Raterei los. „Das erste Wort hat also sieben

Buchstaben", sagte Dan. „Da kommt

dreimal die Dreizehn und zweimal die Sechsundzwanzig vor. Die taucht beim zweiten Wort übrigens wieder als letzter Buchstabe auf."

Der Kutscher nickte grinsend. „Die Anhäufung der Zahlen ist mir

ebenfalls aufgefallen", sagte er, „Das erste Wort heißt Havanna, das be­haupte ich einfach."

Die anderen drei starrten den schmächtigen Mann an, der immer noch grinste und sich seiner Sache offenbar sehr sicher war.

„Woher willst du das wissen?" fragte Dan. „Das geht mir ein bißchen zu schnell, vorausgesetzt natürlich, es stimmt."

„Es stimmt, ganz sicher. Ich setzte dreimal die Dreizehn für den Buch­staben A und für die beiden Sechs­undzwanzig den Buchstaben N. Das ist gar nicht einmal so schwierig. Es bietet sich an, zumal ja Havanna in der Nähe der Bucht liegt."

„Das ist richtig", gab Dan zu. Aber bevor er noch weitere Erkenntnisse von sich geben konnten, meldeten sich auch schon die Zwillinge, die ebenfalls ihren Beitrag leisten woll­ten.

„Dann steht die Sechs für den Buchstaben H und die Achtzehn für V", sagte Hasard junior schnell. „Das nächste Wort hat sechs Buchstaben, den letzten davon kennen wir bereits, nämlich ein N. In dem Wort ist auch zweimal die Neun enthalten. Wenn wir die noch rauskriegen, sind wir bereits auf den Kern der Nuß ge­stoßen."

Sie freuten sich bereits, denn jetzt gelangten sie der Lösung des Rätsels langsam, aber sicher immer näher.

Nur Mac Pellew berührte das alles nicht. Nüsseknacken war nicht seine Angelegenheit. Er hockte vor der

Page 36: Feuer frei für della Rocca, Fred McMason

Proviantlast auf einem Schemel und langweilte sich. Aufgeklart hatte er schon, aber in die Begeisterungsrufe der Männer mochte er nicht mit ein­stimmen.

An Deck wollte er jedoch auch nicht, denn da lauerte irgendwo der Profos auf ihn, und dem ging er am besten vorerst aus dem Weg, bis über die Geschichte mit dem Speckpfannkuchen etwas Gras gewachsen war. Sicher hatte der„liebe Ed" eine Überraschung für ihn.

„Nehmen wir einmal an oder gehen davon aus, daß es sich bei der zwei­malig auftretenden Neun um den Buchstaben E handelt. Dann haben wir als die beiden letzten Buchstaben EN, der zweite ist ebenfalls ein E. Merkt ihr was?" fragte Dan O'Flynn.

„Hm-hm", murmelte der Kutscher. „Könnte das vielleicht Westen hei­ßen? Die Bucht liegt ja auch westlich von Havanna, nicht wahr?"

„Stimmt", erwiderte Dan. „Wenn das Westen heißt, dann haben wir bereits acht Schlüsselzahlen, und damit läßt sich schon eine ganze Menge anfangen."

„Durch Kombinieren", meinte der Kutscher. „Aber da steckt noch ein anderes System dahinter. Vielleicht stoßen wir bald darauf."

„Aber wie?" „Das weiß ich noch nicht. Der Korse

hat sicher lange daran gehäkelt, bis er das System heraus hatte. Er hat sich da einer großen Mühe unter­zogen, einer anstrengenden Arbeit."

Dan O'Flynn zählte die Schlüssel­zahlen noch einmal auf.

„Sechs für H, dreizehn für A, acht­zehn für V, sechsundzwanzig für N, siebzehn für W, neun für E, einund­zwanzig für S und die Zwanzig für den Buchstaben T. Soweit sind wir

jetzt. Aber jetzt müssen wir einfach raten und kombinieren."

„Mann, ist das ein langweiliger Scheiß", nölte Mac Pellew herum. „Dabei kriegt man ja graue Haare. Wann hört denn der Kram endlich auf?"

Der Kutscher drehte sich um und fixierte Mac, dessen Gesicht jetzt tranig-traurig verzogen war. Er hockte immer noch auf dem Schemel und knetete seine Finger.

„Hast du schon den Speck für heute mittag geschnitten?" fragte der Kut­scher anzüglich.

„Noch nicht." „Dann tu das jetzt endlich, und geh

uns nicht ständig auf die Nerven. Oder verzieh dich an Deck."

„An Deck will ich aber nicht", maulte Mac. „Dann schneide ich wohl doch lieber den Speck."

„Schnippel, was du willst, aber laß uns in Ruhe", brummte Dan und beugte sich wieder über die Zahlen­reihe.

Der Kutscher und die Zwillinge dachten ebenfalls nach und zerbra­chen sich die Köpfe. Plötzlich sah der Kutscher auf, nachdem er noch ein­mal in dem Buch geblättert hatte.

„Ich glaube, ich weiß jetzt, wie der Perlenhai die Sache angefaßt hat. Versuchen wir es einmal."

„Und was, bitte?" „Schreibe mal das Alphabet in eine

Reihe, Dan." Dan O'Flynn tat, wie der Kutscher

geraten hatte, und begann das Al­phabet aufzuschreiben. Er kritzelte eine Weile. Dann sah er hoch.

„Alles aufgeschrieben. Und jetzt?" „Jetzt setze über die entsprechen­

den Buchstaben die bekannten Zah­len, die wir schon herausgefunden haben. Du weißt, wie ich das meine. Das ist vermutlich das System."

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„Ziemlich einfach", meinte Dan, während er die Zahlen über die Buchstaben setzte. „Das war ja fast Hexerei."

„Noch sind wir nicht fertig, noch lange nicht. Vorerst ist es nur ein Versuch, aber er könnte klappen..."

Der Kutscher unterbrach sich, denn vor dem Schott wurden Schritte laut. Es hörte sich so an, als lehne sich jemand hart dagegen.

Mac Pellew wurde blaß, denn er dachte an den Profos, daß der jetzt seinen Racheakt in die Tat umsetzen könnte. Gleich darauf war es wieder ruhiger, und Mac fiel eifrig über den Speck her, den er in kurze Streifen schnitt.

An das Schott hatte sich tatsächlich jemand angelehnt, und das war der Profos, der die anderen immer wieder mit der Frage nervte, wie lange das denn noch dauern würde. Darüber wurden die Arwenacks ebenfalls ganz kribbelig. Selbst der Seewolf wurde davon angesteckt.

„Das dauert eben eine Weile", sagte er auf Carberrys diesbezügliche Frage. „So eine Entzifferung geht nicht von einer Minute zur anderen. Das muß alles überlegt und sorgfältig ausgetüftelt werden. Sie werden sich schon melden, wenn sie es geschafft haben."

„Aber das dauert und dauert", sagte Carberry. „Die brüten ja schon den halben Tag wie die Glucken über den Zeichnungen."

„Bisher sind sie erst seit einer guten halben Stunde in der Kombüse, länger auf keinen Fall. Ich bin selbst ebenfalls neugierig auf das Ergebnis, aber wir müssen eben geduldig ab­warten."

Geduld war allerdings nicht Car­berrys Stärke. Für ihn hatte so etwas

zackzack erledigt zu sein. Zu was war der Kutscher denn so ein schlau-es Kerlchen, das alles immer besser wußte als die anderen, was, wie?

Er begann wieder unruhig über die Planken zu tigern, bis er an Smoky geriet. Der Decksälteste starrte auf das Kombüsenschott, als fange es gleich Feuer.

„Mann, das dauert vielleicht", sagte er. „Ich bin gespannt wie ein Lang­bogen. Hast du Lust, zu wetten, daß sie es nicht rauskriegen?"

„Ich hab' überhaupt keine Lust, mit dir eine Wette abzuschließen", knurrte der Profos. „Sie kriegen es raus, das weiß ich."

„Ich wette, daß sie es nicht raus­kriegen", sagte Smoky. „Zumindest nicht bis heute abend. Das scheint ein höllisches und ganz vertracktes Buch zu sein."

„Ich wette trotzdem nicht. Aber ich werde mal die Lage peilen. Hasard ist gerade nach achtern gegangen. Mal sehen, was die Kerle bisher her­ausgebracht haben."

„Tu das, Ed", riet Blacky, der eben­falls eifrig bei der Sache war und sei­ne Neugier kaum bezähmen konnte. „Sieh mal nach, die anderen platzen schon alle vor Neugier."

Die Arwenacks stimmten zu. Die meisten trauten sich nicht, einfach das Kombüsenschott aufzureißen, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Aber der Profos traute sich, obwohl auch er wußte, daß Dan oder der Kutscher sehr sauer reagie­ren konnten.

Er grinste ein bißchen über sein narbiges Gesicht und marschierte polternd los. Die ganze Meute folgte ihm, um ihre Neugier endlich stillen zu können.

Vor dem Schott blieb der Profos stehen. Er holte tief Luft, blies seinen

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mächtigen Brustkasten auf und öff­nete das Schott mit einem harten Ruck.

Er sah gerade noch Mac Pellew in affenartigem Tempo davonflitzen. Der Zweitkoch verschwand wie ein geölter Blitz in der angrenzenden Proviantlast und hatte vor Schreck das Messer fallen lassen. Jetzt war er unsichtbar geworden.

Edwin Carberry gab sich jovial und grinste, als er die Runde erblickte, die um das Buch versammelt war. Sie alle sahen zu ihm hoch.

„Na, wie steht's?" erkundigte er sich freundlich. „Ihr werdet den Kram doch hoffentlich bald entziffert haben. Das dauert schon viel zu lange. Die anderen sind bereits ganz kribbelig, selbst der Kapitän wird immer nervöser und aufgeregter."

Das stimmte zwar nicht, aber Car­berry hoffte, damit ein bißchen Ein­druck schinden zu können.

Der Kutscher war über die Störung allerdings nicht erbaut, und das gab er auf unmißverständliche Weise zum Ausdruck.

Während Carberry draußen stand und freundliche Nasenlöcher machte, stemmte der Kutscher empört die Arme in die Hüften. Seine Augen funkelten den überraschten Profos an.

„Raus!" brüllte er mit Donnerstim­me. „Verzieh dich und laß uns gefäl­ligst in Ruhe, oder dir fliegt der Fleischklopfer an den Schädel. Wir können auch nicht hexen, du neugie­riger Prielwurm!"

Sprach's und donnerte das Schott noch härter zu als Mac Pellew, als er auf der Flucht gewesen war. Das Schott war kaum zugekracht, als der Kutscher es auch schon von innen verriegelte.

An Deck stand ein Edwin Carberry, der die Welt nicht mehr verstand. Das Schott war direkt vor seiner Nase zugeknallt. Nicht auszudenken, wenn die dazwischengeraten wäre!

Carberry war derart verblüfft und beleidigt, daß es ihm buchstäblich die Sprache verschlug. Er starrte das zugedonnerte Schott eine ganze Weile verdattert an. Erst dann tastete er die Skala seines umfangreichen Wortschatzes von oben nach unten ab und beleidigte die unschuldigen Vorfahren des Kutschers auf übelste Weise.

„Du Rübenschwein, du schlitzohri­ges!" wetterte der Profos. „Eine räu­dige Kanalratte ist gar nichts gegen dich Knödeladmiral. Dem Suppen­schwenker werde ich es schon zeigen, wo es langgeht", versicherte er grimmig. „Da fragt man diesen Affenarsch in aller Höflichkeit, und da gibt der quergebraßte Bilgenfrosch rotzfreche Antworten!"

Der Profos war außer sich. Er war so beleidigt, daß er sich beim näch­sten Fluch fast verschluckte.

Der Kutscher aber kehrte hände­reibend zurück, nachdem er das Schott verriegelt hatte.

Dann lauschten sie gemeinsam und sehr andächtig der wüsten Kanonade von Flüchen, die über das Deck hallten. Erst als der Profos offenbar eine Qualle im Hals hatte, nahm der Kutscher wieder Platz.

„So, jetzt ist er fertig mit seinem Geschimpfe. Jetzt können wir wei­terknobeln. Der liebe Ed wird ganz sicher für eine Weile Ruhe geben."

Die anderen grinsten, und auch Mac Pellew erschien wieder zum Speckschneiden, vergewisserte sich aber mit einem schnellen Blick, ob das Schott auch tatsächlich verriegelt war.

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„Weiter im Text", sagte der Kut­scher. „Das Alphabet hat sechsund­zwanzig Buchstaben. Wäre doch ge­lacht, wenn wir das jetzt nicht her­ausfinden."

7.

Die Kerle schrien sich die Kehlen heiser und waren so begeistert, als würde jetzt zum Tanz aufgespielt.

Unter Gejohle und Gebrüll wurden die Stricke gelöst und der Schwarzbart losgebunden. Auch die Huren halfen kräftig dabei mit.

„Jetzt wirst du hängen!" keifte eine. „Zappeln wirst du, bis du ausge­zappelt hast! Dann kannst du darüber nachdenken, was du angestellt hast!"

Nur einer der Kerle hatte scheinbar mit Zardo Mitleid. Das war Otavio, ein dunkelhäutiger Kerl mit verschla­genen Blicken.

„Sag mir, wo du das Buch versteckt hast, Zardo", raunte er. „Es nutzt dir ja doch nichts mehr, wenn sie dich hängen. Wenn du mir aber das Ver­steck sagst, behalte ich es für mich und werde dafür sorgen, daß der Korse dich nicht aufhängt."

Zardo hörte kaum hin. Vor seinen Augen tanzten Nebel, als sie auf ihn einschlugen. Und Otavio versuchte immer noch, ihn wegen des Buches zu bequatschen.

„Sag's doch", drängte er, „aber sag's ganz leise, damit die anderen es nicht hören."

„Ich habe kein Buch", wiederholte der Schwarzbart.

Von der Palme baumelte der Hen­kersstrick herab. Er pendelte leicht im Wind hin und her. Zardo starrte auf die große Schlinge mit dem dicken Knoten.

Drei Männer hielten ihn fest und brachten ihn zu della Rocca. Der Korse hatte die Arme über der Brust verschränkt und lächelte grimmig. Er blickte zu dem Strick und dann zu Zardo, der an allen Gliedern schlot­terte.

„Schau dir das ruhig an", sagte er. „Schau genau hin! Und dann stell dir vor, wie es aussieht, wenn du in der Schlinge baumelst. Das wird be­stimmt ein feiner Anblick, wenn der Wind deine Knochen hin und, her pendeln läßt. Willst du das wirklich?"

„Ich will nicht hängen!" brüllte Zardo. Er stemmte sich gegen seine Bewacher, doch die hielten ihn eisern fest, daß er sich kaum in dem harten Griff rühren konnte.

„Sprich noch ein letztes Gebet, wenn du willst", höhnte della Rocca. „Du hast es nicht anders gewollt. Oder sage mir, wo du das Buch ver­steckt hast, dann lasse ich den Strick abnehmen."

Zardo schüttelte den Kopf. Die Schlinge vor seinen Augen wurde größer und größer, der Knoten immer gewaltiger und mächtiger. Sie mußten ihn schleppen, denn seine Beine versagten ihm den Dienst.

Er hätte gern alles zugegeben, aber er konnte nichts zugeben. Mit tau­send Freuden hätte er geplaudert. Die Tortur, die hinter ihm lag, war schon furchtbar genug gewesen. Und jetzt stand ihm unmittelbar der Tod bevor.

Er sah in hämische, grinsende und erwartungsvolle Gesichter - die Ge­sichter seiner Kumpane. Niemand hatte Mitleid mit ihm, niemand sprach für ihn ein Wort. Sie lauerten wie die Aasgeier auf seinen Tod und würden sich daran noch ergötzen.

In Zardo reifte ein Plan der Ver­zweiflung, als er sah, daß er nieman­

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den mehr umstimmen konnte. Er brauchte eine Galgenfrist - im wahrsten Sinne des Wortes. Viel­leicht gelang es ihm doch, die ande­ren zu überrumpeln. Viel gewann er damit nicht, aber im Angesicht des bevorstehenden Todes war ihm jedes Mittel recht.

„Dieser verstockte Hurenbock!" brüllte der Korse. „Hängt den Kerl jetzt endlich auf! Soll er sein Ge­heimnis mit zur Hölle nehmen, wo er gleich landet!"

Moleta stand neben der Palme und hielt den Strick fest. Er grinste drek­kig. Zwei weitere Kerle wollten sich ebenfalls unmittelbar am Aufknüpfen beteiligen und konnten es kaum erwarten, Zardo an der Palme zu se­hen.

Zwei Mann hielten ihm jetzt die Arme auf dem Rücken fest. Ein har­ter Tritt beförderte Zardo näher an Moleta heran - und dann hatte er ganz plötzlich die Schlinge am Hals.

Der Korse trat zwei Schritte näher heran und gab dem Schwarzbart eine Ohrfeige.

„Das wär's dann", sagte er kalt. „Halt, hört auf, ich sage es", wim­

merte der Schwarzbart. Schweiß lief ihm sturzbachartig über das Gesicht. Seine Lippen zuckten, in seinen Au­gen lag ein gehetzter und irrer Aus­druck.

Moleta schien ihn nicht zu hören. Er war schon eifrig bei der Sache, doch ein Schlag des Korsen fegte seine Hand beiseite.

„Höre ich recht?" fragte della Rocca erstaunt. „Du hast das Buch also tatsächlich geklaut? Seltsam, wie man angesichts eines feinen Strickes seine Meinung ändert."

„Ja, ich habe es gestohlen", sagte Zardo. Gemurmel wurde laut. Die Kerle sahen sich fast enttäuscht an.

„Also doch", sagte der Korse er­leichtert. „Und du hast auch das Feu­er gelegt."

„Ja, das auch, ich habe das Feuer gelegt."

„Es verhielt sich also genauso, wie ich schon sagte?"

Zardo bestätigte das mit einem schwerfälligen Kopfnicken.

„Du verdammter dreckiger Bastard. Du hast uns alle hintergangen und in Gefahr gebracht. Du hast dafür gesorgt, daß wir die ganze Nacht schuften mußten. Du hast dich an meinem persönlichen Eigentum ver­griffen und mich lächerlich gemacht."

„Ich war wie von Sinnen, della Rocca."

„Dann wolltest du wohl abhauen und die Perlenverstecke ganz allein ausräumen, was?"

„Ich - ich wollte nur das Buch. Wei­ter habe ich noch nicht darüber nachgedacht."

Der Korse lachte grimmig. „Demnach kannst du also doch

schreiben und lesen?" fragte er. „Nicht viel, nur ein bißchen." „Wo hast du das Buch - an Bord?" Zardo wollte gerade nicken, aber

dann besann er sich anders. Wenn er vorgab, das Buch an Bord versteckt zu haben, dann würde della Rocca es auch ohne seine Hilfe finden, indem er die ganze Galeone auf den Kopf stellte. Er würde sich nicht einmal scheuen, das Schiff auseinanderzunehmen.

Aber er, Zardo, würde trotzdem hängen und keine Galgenfrist mehr herausschinden können.

„Du sollst antworten, du Hund!" hörte er die Stimme des Korsen in seine jagenden Gedanken hinein. „Wo hast du es versteckt?"

„Es ist nicht an Bord", murmelte Zardo.

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Wieder brüllten alle durcheinander. Gier lag auf einigen Gesichtern, und die Kerle sahen sich so wild um, als sei das Buch direkt unter ihren Füßen vergraben.

„Es ist nicht an Bord?" wiederholte della Rocca ungläubig. „Wo hast du es dann hingebracht? Los, erzähle jetzt, das ist deine allerletzte Chan­ce."

Sie ließen von ihm ab, umstanden ihn aber so, daß er aus dem Kreis nicht ausbrechen konnte. Direkt vor ihm hatte sich der Korse aufgebaut und sah ihm in die Augen.

„Ich habe das Feuer zur Ablenkung gelegt", flüsterte Zardo, „dann habe ich das Buch gesucht und auch ge­funden."

„Sag nicht, wo es war!" schrie der Korse wild. „Weiter! Du bist dann mit dem Buch an Land gegangen?"

„Ja, so war es. Ich habe es an Land versteckt."

„Und wo ist es jetzt?" Zardo hob matt die Hand und zeigte

in die südliche Richtung. „Genug", entschied der Korse. „Du

kennst das Versteck, du wirst es mir auf der Stelle zeigen."

Zardo nickte gehorsam und einge­schüchtert Er fragte sich allerdings verzweifelt, wie es jetzt weitergehen solle. Wenn die ganze Meute ihm folgte, hatte er kaum eine Chance. Aber er setzte seine ganze Hoffnung darauf, daß der Korse das Geheimnis nicht preisgeben wollte. Sein Perlen­buch war sein Heiligtum, und das sollte niemand aus nächster Nähe sehen.

Der Korse packte ihn am Genick und schob Zardo mit harter Hand vor sich her. Die Meute folgte dichtauf und geschlossen. Diesmal schwiegen sie alle erwartungsvoll.

Als della Rocca den Rattenschwanz bemerkte, drehte er sich mit funkelnden Augen um.

„Wer hat euch denn erlaubt, mir zu folgen? Habe ich gesagt, daß ihr mir hinterherrennen sollt? Los, verzieht euch zu den Hütten. Das hier ist al­lein meine Angelegenheit und geht euch nichts an. Los, verschwindet jetzt!" brüllte er noch lauter. „Wer mir trotzdem folgt, dem schieße ich eine Kugel durch seinen Dummkopf!"

Die Weiber wichen entsetzt zurück, denn des Korsen Griff zur Pistole im Gürtel war unmißverständlich. Ein paar Kerle murrten zwar, doch schließlich gehorchten sie. Moleta schien am meisten darüber verärgert, daß aus dem Hängen nichts ge­worden war. Aber wie er den Korsen kannte, würde er das sicher gleich nachholen, sobald er erst einmal sein Buch hatte.

Nur Ribas blieb noch einmal stehen und sah seinen Kapitän an.

„Ist noch was?" fragte della Rocca scharf.

„Nein, nichts, Capitän. Gib acht, daß der Bursche keine Tricks ver­sucht, ich traue ihm nicht über den Weg."

Der Korse hatte die Pistole gezogen und lachte rauh.

„Mit mir nicht", versicherte er grimmig. Dann drückte er den Lauf Zardo an den Hinterkopf. „Immer schön vorangehen. Und Beeilung, du Bastard! Wenn es ein Trick von dir ist, bist du auf der Stelle mausetot."

„Es ist kein Trick", sagte der Schwarzbart heiser.

Sie gingen weiter in südliche Rich­tung. Zuerst ein Stück dicht am Strand entlang, bis Zardo sicher war, daß er keine Zuschauer mehr hatte. Die ganze Meute war aus seinem Blickfeld verschwunden, und sie

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trauten sich auch nicht, dem wüten­den Korsen zu folgen. Selbst Ribas war wie vom Erdboden verschwun­den.

Nach weiteren zweihundert Yards stieß der Korse Zardo die Pistole hart ins Genick.

„Wie weit willst du eigentlich noch laufen?" fragte er mißtrauisch. „Du wirst das Buch doch nicht am ande­ren Ende der Insel versteckt haben, du Lumpenhund! Wage nicht, mich an der Nase herumzuführen."

„Es ist nicht mehr weit. Ich wollte nur sichergehen, damit mich keiner beobachten konnte."

„Hast du schon was aus dem Buch entziffert?"

„Nein, dazu hatte ich keine Zeit. Ich habe nicht mal einen Blick hineinge­worfen."

Della Rocca nahm sich vor, den Schwarzbart an Ort und Stelle zu er­schießen, sobald er das Buch hatte. Was sollte er sich mit dem Kerl noch weiter belasten! Der mußte so oder so sterben.

Zardo wiederum kannte genau die Gedankengänge des Korsen. Der Mann war unberechenbar in seiner Wut, und er würde ihn auf keinen Fall am Leben lassen. Sobald er ihm das Buch übergab, würde ihn della Rocca auf der Stelle abknallen.

Nur gab es dieses Buch für Zardo nicht Also mußte er die erstbeste Gelegenheit nutzen, um zu türmen und sich dabei vor allem den toben­den Korsen vom Leib halten.

„Verdammt noch mal", hörte er hinter sich della Roccas Stimme.

„Jetzt reicht es mir aber. Wir lat­schen ja um die halbe Insel."

„Dort vorn, zwischen den Felsen, da ist es", sagte Zardo, wobei er auf ein paar Felsen zeigte. Es war eine

kleine Phalanx steinerner Riesen zwischen grünbewachsenen Hügeln.

Sie gingen zwischen den Felsbrok­ken hindurch. Dann blieb Zardo ste­hen und deutete auf ein schmales Loch in einem der Felsen.

„Da drin liegt es, es ist eine kleine Höhle."

Das Mißtrauen war aus della Roc­cas Blicken verschwunden. Richtig gierig starrte er auf den schmalen Eingang, den man nur kriechend er­reichen konnte.

„Hol es raus!" befahl der Korse hart. Er blieb etliche Schritte vor dem Loch stehen und versuchte hin­einzublicken. Doch dahinter war es dunkel.

Zardo kannte einen großen Teil der Insel. Sie hatten sie in Mußestunden erforscht, und er wußte auch, daß dieses Loch im Felsgestein einen anderen Ausgang hatte. Man mußte sich nur hindurchwinden und konnte kriechend nach ein paar Yards wieder hinaus.

Er grinste höhnisch, als er auf dem Boden lag und in die kleine Höhle robbte. Der Korse stand mit ange­schlagener Pistole hinter ihm und belauerte jede seiner Bewegungen. Dann war Zardo in der Höhle verschwunden. Er glitt in seiner Angst wie ein Aal weiter, wand und schlängelte sich, bis er den anderen Ausgang erreichte. Hier standen nur noch ein paar Nadelfelsen, gleich da­hinter begann tropischer Dschungel.

Für ein paar Augenblicke bestand noch Gefahr, daß der Korse seine Flucht entdeckte, wenn er seitlich vor den Felsen trat. Doch der Korse stierte nur in das Loch und wartete.

Zardo rannte geduckt in langen Sprüngen, erreichte den Rand des Dschungels und verschwand hinter einem Vorhang aus dunklem Grün.

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Hinter ihm schlossen sich Zweige und Blätter zu einer dichten Wand zusammen.

*

„Wie lange dauert das denn noch?" brüllte della Rocca. „Wenn du Ba­stard glaubst, dich verstecken zu können, dann bist du verdammt schiefgewickelt.

Der Korse erhielt keine Antwort. Noch wußte er nicht, daß er auf einen ganz banalen Trick reingefallen war. Zardo befand sich schon ein paar hundert Yards weiter und war längst außer Sicht.

„Gib endlich Antwort, Mistkerl!" schrie der Korse noch lauter. „Wenn ich nichts höre, schieße ich ein paar Kugeln hinein."

Um ihn her war es unglaublich still. Er hörte nicht einmal die Seevögel kreischen und auch nicht das leise Rauschen der Brandung. Der Korse glaubte nur, die Zeit knistern zu hören, die verrann, während er hier stand und wartete.

Als immer noch keine Antwort er­folgte, überfiel ihn der Jähzorn. Er hob die Pistole und feuerte blindlings in die kleine Höhle. Das Echo des Schusses verhallte zwischen den Steinriesen. Danach war nur noch diese entsetzliche Stille, als befände er sich ganz allein auf der Welt.

Fluchend steckte er die Pistole in den Bund zurück und begann in die Höhle zu robben. Mit seiner massi­gen Gestalt konnte er sich gerade noch darin bewegen, viel mehr Platz war nicht.

Er kroch nach links, dann ein Stück geradeaus, dann ein wenig nach rechts. Andere Abzweigungen gab es nicht.

Als der Korse das rechte Teilstück hinter sich hatte, glaubte er zu träu­men. Plötzlich war es um ihn herum taghell, und gleich darauf stand er verblüfft im Freien.

In seiner Verblüffung brauchte er einen Augenblick, um zu begreifen, was hier passiert war.

Der Hundesohn hatte ihn ganz in­fam geleimt!

Jähe, wilde Wut überfiel den Kor­sen, als ihm diese Erkenntnis däm­merte und er zu der dunkelgrünen Dschungelwand starrte. Dahinter war der Bastard verschwunden. Und er hatte hier wie ein Idiot gestanden und auf sein Buch gewartet. Dabei war dieser Lump längst über alle Berge.

Der Korse lief knallrot an, schleu­derte mit einem Fußtritt einen Stein beiseite, warf sich dann in ohnmäch­tigem Zorn auf den Boden und trom­melte mit beiden Fäusten wie ein Wilder los, wobei er halberstickte Flüche murmelte. Vor Wut schossen ihm die Tränen in die Augen, und in seinem Hals hing ein dicker Kloß.

„Dieser Bastard!" schrie er. „Dieser dreckige Hundesohn! Nein, das macht man nicht mit mir! Oh, ver­dammt noch mal!"

Sauer wie nur selten in seinem Le­ben stand er auf, riß die doppelläufi­ge Pistole aus dem Bund und stürmte wie ein Irrer in den nahen Dschungel. Dort rannte er ziellos weiter.

Einmal glaubte er zwischen dem Grün eine Bewegung zu sehen. Ab­rupt blieb er stehen und feuerte die Pistole ab. Dann schnappte er sich die zweite Waffe und schoß sie eben­falls leer.

Als er anschließend keuchend und fluchend zu der Stelle stürzte, auf die er geschossen hatte, war das Resultat ein bunter Vogel, der tot am Boden lag.

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Das versetzte den Korsen noch mehr in Raserei. Er kehrte um, als er einsah, daß es zwecklos war, den Bastard weiterzuverfolgen. Er mußte seine Kerle alarmieren. Die würden den Hurensohn jagen, und wenn sie die ganze Insel auseinandernehmen müßten. Dafür würde er schon sor­gen.

8.

Auf der „Isabella" wurde inzwischen weitergerätselt. Mac Pellew schnitt mit immer längerem Gesicht den Speck zurecht. Der Kutscher war am Grübeln, Dan O'Flynn pinselte Zahlen, und die Zwillinge Hasard und Philip sahen ihm dabei über die Schulter. Alle beide hatten rote Ohren, seit sie der Lösung des Rätsel nähergerückt waren.

„Wie weit bist du jetzt?" fragte der Kutscher, der erneut in dem Buch blätterte und sich weitere Zeichnun­gen ansah.

„Ich habe inzwischen das Alphabet und die zuständigen Zahlen für die entsprechenden Buchstaben hinge­pinselt. Die Zahlen natürlich über die Buchstaben des Alphabets."

„Dann laß mal sehen." Der Kut­scher beugte sich ebenfalls über Zahlenreihe und Alphabet.

Lange starrte er die Zahlen an. Über dem E die Neun, über dem H die Sechs, und wie es weiterging.

„Verflixt schwierig", meinte Hasard junior nach einem kritischen Blick auf die Zahlen- und Buchstabenreihen. „Auf den ersten Blick ergibt das keinen richtigen Sinn."

„Auf den zweiten auch nicht", sagte der Kutscher. „Der Korse hat uns da eine harte Nuß serviert."

Dan O'Flynn schien völlig geistes­abwesend zu sein. Sein Blick war fast weltentrückt auf die Seite ge­richtet.

„Wie sieht es bei dir aus?" fragte Philip.

Dan O'Flynn gab keine Antwort. Er hatte den Zeigefinger auf die Lippen gelegt. Dann nahm er ihn ganz langsam weg und tippte auf den Buchstaben A.

„Dreizehn, zwölf, elf, zehn, neun", murmelte er. „Die neun ist das E."

„Hatten wir aber schon", sagte Ha­sard junior etwas voreilig.

Dan O'Flynn ließ sich nicht beirren. Er begann weiter rückwärts zu zählen.

„Sechs ist H", murmelte er und fuhr wieder die Reihe mit den Fingern ab. „Bei M ist mit der Zahl eins dann Schluß", verkündete er.

Die anderen hatten dadurch aller­dings noch keine neuen Erkenntnisse gewonnen. Sie starrten Dan an, dann wieder Zahlen und Buchstaben.

„Jetzt müssen wir mit sechsund­zwanzig für N beginnen", erläuterte Dan lächelnd, „und natürlich wieder rückwärts zählen. Ich glaube, wir haben den Dreh gefunden. Fünfund­zwanzig für O, vierundzwanzig für P und so weiter. Einundzwanzig und zwanzig stimmen." Dan O'Flynn sprang grinsend auf. „Das ist es!" rief er. „Wir haben die Nuß geknackt. Hurra!"

„Na, na!" sagte der Kutscher vor­sichtig. „Ich habe das zwar verstan­den, aber erst sollten wir einmal die Probe aufs Exempel machen, ob das auch genau stimmt. Sonst lachen uns die anderen nämlich aus, wenn wir uns geirrt haben."

„Gib mir mal ein neues Blatt", sagte Dan, „dann werden wir gleich sehen, ob es stimmt. Aber ich bin mir meiner

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Sache ganz sicher. Man muß nur in der richtigen Reihenfolge die Zahlen rückwärts lesen."

Ein neues Blatt wurde Dan gereicht. Mit angespanntem Gesicht pinselte er die Zahlengruppe der ersten Seite auf das Blatt. Als er fertig war, reichte er es herum. Die Zahlengruppe ergab jetzt folgendes Bild: 3, 19, 12, 13/ 11, 13, 12, 25/ 21, 13, 26/ 13, 26, 20, 25, 26, 5, 25.

Der Kutscher betrachtete schwei­gend die Zahlen. Die Zwillinge nick­ten anerkennend und gaben das Blatt an Dan zurück. ,

„Jetzt kommt der Hammer", sagte Hasard junior. „Jetzt werden, wir es gleich genau wissen."

Dan übertrug in fliegender Eile die Buchstaben des Codes auf die Zah­len. Als er fertig war, grinste er noch stärker.

„Sieht fein aus", verkündete er, „und vor allem ergibt das jetzt einen vernünftigen Sinn. Seht euch das mal an."

Philip riß ihm das Blatt fast aus der Hand und las vor.

Kuba - Cabo - San - Antonio. Ich werd' auf der Stelle verrückt."

„Steht das auch da drauf?" fragte der Kutscher anzüglich. „Cabo San Antonio ist doch die westlichste Spit­ze von Kuba."

„Stimmt genau, und dort befindet sich das Perlenversteck des ehren­werten Korsen. Wenn wir da ausräu­men, dürften della Rocca allerdings die Tränen in die Augen schießen."

Der Kutscher klopfte Dan aner­kennend auf die Schulter und entrie­gelte das Schott.

„Hervorragend", sagte er. „Dann werden wir mal die anderen infor­mieren. Die sind bestimmt schon ganz kribbelig."

Die Zwillinge hatten es mal wieder am eiligsten, um die große Neuigkeit zu verkünden. Sie schnappten sich das Blatt und rasten an Deck. In ihrem Eifer stießen sie das Schott hart auf.

Es gab einen gewaltigen Krach, dann einen Sturz, dem ein lästerli­cher Fluch folgte.

Der Profos Edwin Carberry hatte wieder mal die Ohren an der Wand gehabt, um zu lauschen. Da er aber nicht viel von dem Gemurmel ver­stand, preßte er das Ohr dicht an das Schott.

Als es jetzt aufflog, explodierte echte und sehr massive englische Ei­che an seinem Schädel. Der Anprall war so gewaltig, daß es den unvorbe­reiteten Profos glatt umwarf. Er krachte auf die Planken und über­schlug sich dabei.

Bei den Kerlen ging das große Grinsen um, als der Profos fluchend wieder aufstand, etwas taumelig und torkelig noch, und seine Stirn be­fühlte. Es war schon jetzt vorauszu­sehen, daß ihm dort in Kürze ein prächtiges Hörn wachsen würde.

Völlig verdattert starrte er die Zwillinge an, die das Blatt in den Händen schwenkten und es dem Seewolf brachten. Der Kutscher und Dan folgten ebenfalls nach. Nur Mac Pellew hantierte ganz hinten in der Kombüse weiter.

„Verdammt noch mal", knurrte Carberry. „Mir ist das ganze Schiff auf die Birne gefallen."

„Lauschen ist auch nicht die feine englische Art", belehrte ihn der Kut­scher. „Ein Gentleman lauscht nicht an fremden Türen."

„Du mußt mir gerade sagen, was die feine englische Art ist, du querge­streifte Vorpiekwanze. Ich ging da

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nur zufällig dran vorbei, und ihr müßt wie die Affen rausstürmen."

„Dann bist du aber in sehr gebück­ter Haltung geschlichen", entgegnete der Kutscher trocken, „oder vielleicht auf den Knien gerutscht Aber jetzt gib dich zufrieden, wir haben die Nuß geknackt."

Der Profos grinste und vergaß über der freudigen Mitteilung auch gleich seine Schmerzen. Allerdings flimmerten immer noch eine Menge Sterne vor seinen Augen, und hin und wieder zog ein feuriger Sonnen­ball kometengleich vorbei.

An Deck war die Freude riesen­groß. Man hieb sich gegenseitig auf die Schultern und war begeistert.

Hasard hielt das Blatt in den Hän­den und sah auf die Zahlenreihen in dem Buch, das Dan langsam umblät­terte.

„Du kannst alles kontrollieren, Sir, es stimmt. Seit die Nuß geknackt ist, gibt das Perlenbuch keine Rätsel mehr auf. Wir brauchen nur jeweils die Buchstaben auf die Zahlen zu übertragen."

„Ja, ich sehe es. Dann haben wir die jeweilige Position und können uns anhand der Karte genau orientieren. Das habt ihr hervorragend gelöst. Dafür gibt es einen kräftigen Schluck zur Feier des Tages."

Das hörten alle gern, und gleich darauf gingen ein paar Rumbuddeln herum, und jeder nahm einen kräfti­gen Zug.

„Wo ist denn Mac?" fragte der Pro­fos hinterhältig. „Will der nicht auch auf den Erfolg anstoßen?"

Aber Mac wollte nicht, als der Kut­scher ihn rief. Er habe eine „unheim­liche Menge Arbeit", wie er versi­cherte. Außerdem müsse er zum Speckschneiden einen klaren Kopf behalten.

„Die dämlichste Ausrede, die ich je von ihm hörte", kommentierte der Profos. „Dabei hat der Kerl nur Angst, daß ich die Haut in Streifen von seinem karierten Affenarsch ab­ziehe." Die leeren Buddeln wurden sorgfältig aufgehoben. Darauf achtete Ferris Tucker immer genau, denn daraus wurden Flaschen­bomben hergestellt.

Hasard blätterte in dem Buch weiter und sah sich zum wiederholten Mal die erste Seite an.

„Überhaupt kein Problem, das Versteck zu finden und die anderen ebenfalls", sagte er lächelnd. „Da wird sich der Perlenhai aber mächtig ärgern, wenn er später nachschaut. Wahrscheinlich hat er noch etliche der Verstecke im Kopf."

„Dann räumen wir in der Bucht bei Cabo San Antonio ab?" fragte Dan O'Flynn. „Oder woanders?"

„Am besten nehmen wir immer gleich die nächstgelegenen Ver­stecke", erwiderte Hasard. „Wenn er den Verlust des Buches bemerkt, wird er voraussichtlich das gleiche tun. Nur waren wir dann etwas früher da als er und seine Kerle."

„Wann segeln wir?" wollte Ben Brighton wissen.

„Am besten gleich", sagte der See­wolf. „Macht alles klar, dann segeln wir los."

Die meisten hatte jetzt wieder das Jagdfieber gepackt. Sie konnten gar nicht schnell genug lossegeln, um an der Westspitze Kubas nach Perlen zu suchen.

Was sich inzwischen auf der Insel Cozumel abspielte, ahnten die See­wölfe jedoch nicht. Etwas weiter war der Teufel los.

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9.

Die zurückgebliebenen Kerle hörten nach einer längeren Zeit die Schüsse. Sie waren weit entfernt, aber dennoch deutlich zu hören.

Moleta grinste, als er es dumpf knallen hörte.

„Das Hängen können wir uns er­sparen", sagte er hämisch. „Der Ba­stard hat dem Kapitän jetzt das Buch gegeben, und dann hat es ein paar­mal bummbumm gemacht. Schätze, daß der elende Schwarzbart jetzt tot im Sand liegt."

„Na klar", sagte Otavia, „der ist über die Klinge gesprungen. Geschieht ihm ganz recht."

Insgeheim ärgerte er sich jedoch darüber, daß Zardo ihm das Versteck nicht verraten hatte. An dem Buch hätte er seine helle Freude gehabt und es wie seinen Augapfel gehütet.

Ein paar Minuten später, als die Meinungen noch hin und her gingen, zuckten alle verstört zusammen.

Der Korse erschien, und er sah aus wie ein wildes Tier, das jetzt planlos alles reißen würde, was ihm in die Quere geriet.

Seine Augen waren blutunterlaufen, die Haare wirr und unordentlich, und in den Mundwinkeln stand Schaum. Seine rechte Hand umklammerte eine Pistole, um die sie sich verkrallt hatte.

Das Schlimmste an ihm aber waren seine unkontrollierten Bewegungen. Er rannte fast Zickzack, schwang die Pistole und stöhnte wild.

Die Kerle wichen angstvoll vor ihm zurück. Jeder nahm an, der Korse würde wahllos in die Meute schießen.

Ribas sah, daß er das Buch nicht hatte, sonst hätte er es wie ein Heilig­tum vor sich hergetragen. Außerdem

hätte er auch nicht diesen mörderi­schen Blick drauf gehabt.

Dicht vor der zurückweichenden Horde blieb der Korse stehen, als sei er stark angetrunken. Mit der Hand vollführte er eine herrische, alles umfassende Bewegung. Seine Stim­me klang laut und schrill, und sie duldete nicht den geringsten Wider­spruch.

„Ausschwärmen!" brüllte er. „Alle Mann sofort ausschwärmen, auch die Weiber! Der Bastard ist abgehauen und entwischt. Kämmt den Teil vom Dschungel durch, wo die Felsen sind. Die anderen gehen in einer zweiten Gruppe der ersten entgegen. Nehmt Pistolen mit Ich will den Kerl lebend, und ich will ihn heute. Wenn ihr ihn nicht herbeibringt, werdet ihr die Hölle erleben. Haut jetzt ab!" schrie er noch lauter.

Keiner wagte zu fragen, wie das passiert war. Aber sie beeilten sich, seinem Befehl zu folgen und schwärmten sofort aus.

Als Ribas der Gruppe folgen wollte, winkte der Korse ab.

„Du nicht, du bleibst hier." Inzwischen waren die anderen so

schnell verschwunden, als hätte der Erdboden sie verschluckt.

„So ein verdammter Bastard", sagte della Rocca schwer atmend. „Und das muß ausgerechnet mir passie­ren." Er war immer noch so erregt, daß er sich kaum beruhigen konnte.

Ribas konnte sich wesentlich mehr herausnehmen als alle anderen, weil er ein enger Vertrauter des Korsen war. Er ließ della Rocca sich erst ein­mal seine Wut von der Seele reden.

„Ich hätte mitgehen sollen", sagte er dann. „Ich habe dich gleich gewarnt, denn Zardo hatte nichts mehr zu verlieren. Das war alles fauler Zauber, was er da veranstaltet hat.

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Er wollte nur Zeit gewinnen, dieser Bastard."

„Und wo, zum Teufel, ist jetzt mein Buch?"

„Vermutlich an Bord, Capitän. Er hat es garantiert nicht an Land ver­steckt. Er sah in der Behauptung die einzige Möglichkeit, zu entwischen, und das hat er getan."

Die Atemzüge des Korsen wurden etwas ruhiger.

„Dieses Schwein, dieses dreckige. Zeigt mir in den Felsen eine Höhle, geht hinein und verschwindet auf der anderen Seite im Dschungel. Und ich stehe wie ein Idiot da! Warum, glaubst du, hat er mein Buch nicht an Land versteckt? Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich noch denken soll."

„Wenn er gesagt hätte, es wäre an Bord versteckt, dann hättest du ihn hängen lassen, weil du das Buch dann in jedem Fall gefunden hättest. Oder stimmt das nicht?"

„Du bist ein schlaues Kerlchen. Klar, den Halunken hätte ich sofort hochziehen lassen."

„Das wußte er, und deshalb suchte er nach einer Ausrede, um wenig­stens Zeit zu gewinnen. Ich habe mich nur in seine Lage versetzt und hätte genauso gehandelt."

„Stimmt, du hast recht", sagte della Rocca etwas ruhiger. „Aber wir krie­gen diesen Bastard, und dann ist es aus mit ihm. Später werde ich das Schiff auf den Kopf stellen und su­chen, bis ich das Buch gefunden ha­be."

„Ich würde dir dabei helfen, du kannst mir vertrauen."

Der Korse blickte seinen Lotsen erst mißtrauisch an, weil sich seiner Meinung nach alles gegen ihn ver­schworen hatte.

„Gut, wir beide werden suchen", sagte er dann. „Und wenn ich den verdammten Kahn abwracken muß! Ich habe sowieso noch etwas mit dir zu besprechen, aber das hat Zeit bis morgen."

Nach einer Weile begann er wieder unruhig zu werden und rannte hin und her. Eine weitere Stunde ver­ging, dann war in weiter Ferne hei­seres Gebrüll zu hören. Gleich darauf krachten dumpf zwei Schüsse schnell hintereinander,

„Sie haben ihn!" rief della Rocca wild. „Sie haben ihn, sonst hätten sie nicht geschossen!"

Nochmals verging eine Viertel­stunde. Dann waren die Stimmen näher zu hören. Es hörte sich nach fröhlichem Gejohle an.

„Los, wir gehen ihnen entgegen. Sie sind da drüben."

Sie brauchten nicht weit zu gehen, denn gleich darauf begegneten ihnen zwei Kerle.

„Wir haben ihn, wir haben ihn!" brüllten sie begeistert. „Er hat auf ei­nem Baum gehockt und sich ver­steckt. Aber er hat sich durch Gera­schel verraten, als ein Ast brach."

„Wie schön", sagte der Korse an­dächtig. „Das werde ich euch nie ver­gessen."

Fünf Mann schleppten Zardo, der erbärmlich aussah. Er war zerrupft und geschunden. Seine Nase blutete, und sein rechtes Auge war zuge­schwollen.

Unter lautem Gejohle brachten sie ihn auf den Platz, wo die Palme stand, von der immer noch der Strick baumelte.

Der Schwarzbart war apathisch und am Ende. Er hatte jetzt endgültig aufgegeben und mit dem Leben abgeschlossen. Als er den Korsen sah, verzog er nur das Gesicht.

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Der Korse lächelte auf eine teufli­sche Art. Er nahm sehr langsam und sehr bedächtig die Peitsche in die Hand und schlug ein paarmal mit dem Stielende zu. Jeder Schlag war genau berechnet und traf sehr emp­findlich.

„Bastard", sagte della Rocca nach jedem Schlag. Dann steckte er die Peitsche wieder ein und sah Zardo verächtlich an.

„Das Buch, he? In den Felsen ver­steckt, was? Ich will gar nicht mehr wissen, wo es ist, denn du Hundesohn lügst dich nur wieder heraus. Ich werde es selbst finden. Schade, daß du das dann nicht mehr mitansehen kannst."

Zardo sagte kein Wort. Sein Auge schwoll immer mehr zu. In dem an­deren war nur das Weiße zu sehen. Der Korse ging einmal um ihn herum, blieb dann vor ihm stehen und nickte. Sein Gesicht war ganz ausdruckslos.

„Das wär's denn", sagte er kühl. „Hängt den Bastard auf!"

Moleta und ein paar andere hatten nur darauf gewartet. Ein dichter Kreis bildete sich um die Palme.

Der Schwarzbart wollte noch etwas sagen, doch da hatten sie ihm schon die Schlinge übergestreift.

Fünf Minuten später zuckte er noch einmal. Dann war es für ihn endgültig vorbei.

„Ein Hundesohn weniger", sagte der Korse. „Ihr laßt ihn da vorerst hängen, damit er auch denen immervor Augen ist, die etwas Ähnliches vorhaben sollten."

Eine der Huren kicherte erregt. „Guckt mal, der Bastard streckt uns auch noch die Zunge raus!" Ein paar andere kicherten ebenfalls.

Inzwischen war es Nachmittag geworden. Der Leichnam Zardos pendelte in der leichten Brise von ei­

ner Seite zur anderen und drehte sich dabei noch um seine Achse. Aber das störte keinen, sie rissen höchstens noch rohe Witze über den Schwarzbart.

Della Rocca hatte es jetzt eilig. Sein Buch hatte er immer noch nicht, und so war er genauso schlau wie am An­fang.

Er rief Ribas zu sich, und gemein­sam pullten sie gleich darauf zu der „Bonifacio" hinüber.

Die anderen entzündeten inzwi­schen ein Feuer und brieten Fleisch. Der Korse ließ Ribas allerdings nie allein in einem Raum. Sie gingen im­mer zusammen, denn ganz konnte della Rocca sein Mißtrauen nicht ab­legen.

„Zuerst die Bude ganz vorn", sagte der Korse. „Vielleicht hat er es im Quartier versteckt. Danach nehmen wir uns die Piek vor. Du kannst in­zwischen eine Lampe entzünden."

Außer ihnen befand sich niemand an Bord. Die anderen hockten ziem­lich uninteressiert in der Nähe der pendelnden Leiche und starrten in das Feuer.

In dem Quartier war es stickig, dumpf und heiß. Es herrschte die üb­liche Unordnung und Schlamperei. Der Korse riß die Gräting heraus, damit Licht in den dunklen Raum fiel.

Ribas hängte die Lampe an einen Deckenbalken. Dann krempelten sie gemeinsam alles um, rissen die Ko­jen auseinander und sahen überall nach. Auch ein paar Dielen wurden herausgerissen.

Anschließend sah das Quartier so verwüstet aus, als hätte eine Horde Trunkenbolde alles kurz und klein geschlagen.

„Auch nichts", sagte der Korse hei­ser. „Dieser verdammte Hund! Wo kann er es nur versteckt haben?"

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„Sehen wir uns mal in der Piek um", schlug Ribas von

„Wo würdest du es denn verstek­ken, wenn du an seiner Stelle wärst?" fragte della Rocca.

„An einem Ort, wo selten jemand hinkommt. Ich hätte es in der Segel­last unter der alten Bunk versteckt."

„Verdammt, daß ich daran nicht gedacht habe."

Beide stürmten hinaus und eilten zur Segellast. Das war ein kleiner, modrig riechender Raum, in dem ein paar Ersatzsegel lagen. Hier wurde nur hin und wieder mal gelüftet, damit die Segel nicht schimmelten oder brüchig wurden. Aber in dem Raum gab es eine kleine Bunk, die aller­dings längst nicht mehr benutzt wurde.

Der Korse wurde ganz kribbelig, als sie die Segel beiseite räumten und unter der Bunk nachsahen.

Als sie wieder nicht fündig wurden, sah der Korse enttäuscht aus.

„Auch nichts", knurrte er sauer. Systematisch nahmen sie sich nun

einen Raum nach dem anderen vor. Auch die Kombüse und die Proviant­last wurden durchsucht. Als sie wie­der draußen waren, hinterließen sie ein unbeschreibliches Chaos.

Dem Korsen stieg wieder die Galle hoch. Er sah zum Land hinüber und drohte dem Gehenkten mit der Faust.

„Er hat sein Geheimnis mitgenom­men, der Hundesohn. Jetzt sehen wir uns noch achtern um und dann im Laderaum. Aber ich habe kaum noch Hoffnung, das Buch zu finden."

Sogar seine eigene Kammer ließ er nicht aus und stellte alles auf den Kopf.

„Du kannst das Geheimnis jetzt ruhig erfahren", sagte della Rocca, „denn ich habe bereits einen Plan gefaßt. Hier war das Buch drin."

Er ging zu der Koje und ließ das Geheimfach aufspringen. Ribas warf einen neugierigen Blick hinein, aber das Fach war leer und enthielt absolut nichts.

„Sieht kompliziert aus", meinte er. „Ich hätte dem dämlichen Kerl gar nicht zugetraut, das Geheimfach zu finden."

„Er hat es aber gefunden, sonst wä­re das Buch noch hier. Er hatte ja auch stundenlang Zeit zum Suchen."

Der Korse verschloß das Fach wie­der und sah sich ratlos um.

Er kam einfach nicht dahinter, wie Zardo vorgegangen war, und das wurmte ihn mächtig, daß ihn dieser kleine Halunke so überlistet hatte. Für einen Mann wie della Rocca war das eine empfindliche Niederlage.

Nach und nach hatten sie das ganze Schiff durchstöbert. Auch in den Beibooten sah der Korse nach. Er geriet langsam, aber sicher wieder an jenen Punkt, an dem er unberechenbar wurde.

Jedem Gegenstand, der ihm im Weg lag, gab er einen wütenden Tritt.

„Der Hund hat es doch an Land versteckt", sagte er dann. „Auf dem Schiff ist das Logbuch jedenfalls nicht, sonst hätten wir es gefunden. Oder weißt du noch ein paar Ver­stecke?"

Ribas überlegte, dann schüttelte er den Kopf.

„Wir haben alles durchsucht. Blei­ben noch die Mehlsäcke in der Kom­büse. Mehr wüßte ich wirklich nicht."

Della Rocca stürmte schon wieder los. Als Ribas ihm folgte, sah er gera­de noch, wie der Korse mit seinem Entermesser die Mehlsäcke auf­schlitzte und ihren Inhalt verstreute. In der schmierigen Kombüse breitete sich eine weiße Wolke aus.

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Gefunden wurde das Buch jedoch auch hier nicht.

„Dann rüber zum Land!" brüllte der Korse.

Sie verließen die „Bonifacio", die jetzt aussah wie ein völlig verwüste­tes Schlachtfeld und pullten zum Land.

Die anderen sahen ihnen entgegen, schwiegen aber und verhielten sich abwartend, als sie den wütenden Korsen sahen. Er war in mörderi­scher Stimmung, und da ging man ihm besser aus dem Weg.

„Wo sollen wir hier suchen?" fragte Ribas. „Die Insel ist groß. Er kann es überall versteckt haben."

„Bei den Hütten jedenfalls nicht. Das wäre aufgefallen. Also muß er in die Richtung gegangen sein, die er mir zeigte. Ins Innere kann er auch nicht gegangen sein, da befindet sich der Dünenkamm. Wir gehen noch mal zu den Felsen, aber wir nehmen ein paar Kerle mit, die beim Suchen helfen."

Mittlerweile war es später Nach­mittag geworden, doch der Korse gab die Suche nach dem Buch nicht auf und ließ auch nicht locker. Er zeigte auf ein paar Kerle, die beim Feuer saßen.

„Olivio, Alberto, Zucchi und Gio­vanno, ihr geht mit. Besorgt euch ein paar Schaufeln. Wir gehen zu den Felsen. Ihr werdet dort buddeln, und wenn ihr das Buch gefunden habt, dann bringt es sofort zu mir, aber oh­ne hineinzuglotzen, verstanden?"

Die Kerle hatten verstanden. Sie waren allerdings nicht sehr erbaut, jetzt nach dem Buch zu buddeln, weil der Korse sich wieder mal in eine üb-le Stimmung gesteigert hatte.

Ein paar Minuten später zog der Trupp los zu den Felsen, wo Zardo so spurlos verschwunden war.

„Hatte er etwas bei sich, als ihr ihn fandet?" fragte della Rocca. „Habt ihr genau nachgesehen?"

„Er hatte nichts bei sich, überhaupt nichts. Er hockte nur auf dem Baum, wo er sich versteckt hatte."

Della Rocca dachte scharf nach. Vielleicht hatte der Hundesohn doch das Buch in der Höhle versteckt, dann die günstige Gelegenheit wahrgenommen und war mit dem Buch verschwunden.

„Wißt ihr noch, wo sich der Baum befindet?"

„Nicht weit von hier. Wir führen dich hin."

Hm, überlegte der Korse. War ja möglich, daß Zardo das Buch auf dem Baum versteckt hatte, als er die Stimmen hörte.

Sie führten ihn zu dem Baum. Della Rocca ließ es sich nicht nehmen, hinaufzuklettern und nachzusehen. Als er wieder herunterkam, war seine Wut noch größer.

„Jetzt zu den Felsen!" befahl er. Alberto und Otavio grinsten sich

heimlich an. Sie hielten della Rocca glatt für verrückt. Der kriegte es fertig und krempelte in seinem mörde­rischen Zorn die ganze Insel um. Dann konnten sie hier bis zum St. Nimmerleinstag suchen.

Bei den Felsen zeigte der Korse ih­nen die Stellen, wo sie zu buddeln hatten oder wo er etwas vermutete.

Aber alles Graben und Buddeln er­wies sich als Fehlschlag. Niemand wurde fündig.

Sie sahen ihm nach, als er zwischen den Felsen herumrannte und mit wilden Blicken alles absuchte. Er benahm sich wie ein Verrückter, kurvte zwischen ihnen hindurch und verschwand wieder, um an anderer Stelle weiterzusuchen.

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„So ein Scheiß", sagte Alberto. „Das bringt doch nichts." Wieder grinsten er und Otavio sich an.

Da war der Korse plötzlich zwi­schen ihnen. Er glaubte gesehen zu haben, daß Alberto über ihn grinste, oder er bildete sich das zumindest ein.

„Was grinst du so dämlich?" brüllte er. „Du lachst mich aus, was? Du ver­höhnst mich, du verfluchter Bastard!"

Alberto blickte erschrocken. „Ich habe nicht gegrinst", sagte er

hastig. „Ich habe nur das Gesicht verzogen, wegen der Moskitos."

„Du hast gegrinst", behauptete del­la Rocca wütend. „Du lachst heimlich über mich, weil ich das Logbuch nicht finde. Aber das werde ich dir austreiben. Zardo hat auch über mich gegrinst, und jetzt grinst er immer noch."

Alberto sprang in seiner Angst zwei Schritte zurück, als er sah, daß der Korse seine Pistole aus dem Ho­senbund zog.

„Nicht!" schrie er wild. „Es war nichts!"

Die anderen standen wir erstarrt da. Otavio sah aus großen Augen zu dem jähzornigen Korsen, dessen Wut keine Grenzen mehr kannte.

„Er hat wirklich nicht gegrinst", flüsterte er. „Wir haben uns nur un­terhalten."

„Halt dein Maul, ich habe es deut­lich gesehen."

Della Rocca war nicht mehr zu bremsen. Er hatte sich in die Idee verrannt und war sich ganz sicher, daß der Kerl heimlich über ihn ge­lacht hatte.

Alberto rannte in seiner Angst da­von und wollte Deckung vor dem wütenden Korsen zwischen den Fel­sen suchen.

Noch während er rannte, krachte ein Schuß. Es dröhnte überlaut, und zwischen den steinernen Riesen brach sich das Echo. Aus dem Lauf der Pistole quoll Rauch. Der Korse ließ die Hand langsam sinken und starrte aus schmalen Augen zu den Felsen.

Alberto blieb mitten im Lauf stehen. Er krümmte sich zusammen, torkelte ein paar Schritte nach vorn und fiel in den Sand. Als er sich langsam umdrehte, schoß der Korse ein zweites Mal.

Alberto rührte sich nicht mehr. Ausgestreckt lag er jetzt im Sand. Ungerührt, aber mit flammenden

Blicken, steckte della Rocca die im­mer noch rauchende Pistole in den Bund zurück.

„Noch jemand da, der über mich grinst?" fragte er lauernd.

Die Galgenvögel sahen sich ent­setzt an. Sie hatten starre, erschrok­kene Gesichter, aus denen der letzte Blutstropfen gewichen war. Sie wa­ren solche harten Bandagen von dem Korsen zwar gewohnt, aber jetzt schauderte es ihnen doch.

Ribas sagte auch kein Wort, um den wilden Korsen nicht weiter zu reizen. Er ging mit steifen Schritten zu Alberto hinüber und drehte ihn um.

Er blickte in ein leichenblasses Ge­sicht. Alberto hatte die Augen offen und starrte in die Unendlichkeit. Er war tot.

„Bringt ihn dort zwischen die Fel­sen", sagte der Korse kalt. „Da wollte er ja auch hin. Und verkneift euch das Grinsen, sonst geht es euch wie dem da."

Niemand wagte einen Widerspruch. Sie hoben den Toten auf und brachten ihn zwischen die Felsen. Dann kehrten sie zurück.

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„Es wird weitergebuddelt", sagte della Rocca. „Wir graben, bis es dun­kel wird. Irgendwo muß das Logbuch sein."

An immer wieder neuen Stellen ließ er graben. Wo er auch nur eine Spur sah, wurde gebuddelt, bis den Kerlen der Schweiß über die Körper lief und sie die Dunkelheit herbeisehnten.

Dann war es endlich soweit. Die Sonne schickte sich an, im Westen ins Meer zu tauchen. Es würde nur eine sehr kurze Dämmerung folgen, dann brach auch schon die Dunkelheit herein.

Erfolglos kehrten sie von ihrer Su­che zurück.

Della Rocca schenkte den anderen keinen Blick. Es stellte auch niemand Fragen. Sie sahen seinem Gesicht an, daß seine Stimmung noch übler geworden war, und schwiegen, als sie vom Tod Albertos erfuhren.

Der Korse stieg mit müden Bewe­gungen in das Beiboot und pullte an Bord der Galeone. Er sah sich nicht ein einziges Mal um.

In seiner Kammer donnerte er das Schott hinter sich zu, ging an das Schapp und griff nach der Rumfla­sche.

Dann setzte er sich auf seine Koje und trank mit stieren Blicken.

Eine knappe halbe Stunde später ­es war inzwischen schon dunkel ­entzündete er eine Lampe und griff zur zweiten Rumflasche. Dann besoff er sich, bis er nicht mehr stehen konnte.

Aber der Suff vertrieb seine üble Stimmung auch nicht. Er lehnte sich zurück. Allerlei krause Gedanken schossen ihm durch den Kopf.

„Ich verschwinde hier", murmelte er. „Ich werde fünf oder sechs Kerle mitnehmen und abhauen. Die ande­ren soll der Teufel holen."

Mühsam griff er nach einem Blatt Papier und versuchte, die Verstecke aufzuzeichnen. Aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Es wurde nur ein Gekritzel, was er zustande brachte.

Dunkel faßte er den Entschluß, am nächsten Tag mit der Zweimast­schaluppe zu verschwinden. Dann wollte er alle Verstecke aufsuchen, um die Perlentruhen zu bergen. So ungefähr wußte er noch, wo er zu su­chen hatte. Ja, Ribas würde er natür­lich mitnehmen und ein paar andere Kerle, denen er einigermaßen ver­traute. Die anderen konnten bleiben, wo der Pfeffer wuchs.

Er lachte noch einmal leise und grimmig, als er sich zurücksinken ließ. Die exakten Positionsangaben fehlten ihm zwar, aber die Kerle mußten eben kräftig buddeln.

Dann streckte er sich auf seiner Koje aus und schlief ein.

10.

„Die „Isabella" und die „Empress" waren ankerauf gegangen und liefen auf Nordostkurs auf Cabo San An­tonio zu.

Am frühen Morgen des 20. Juli an­kerten beide Schiffe in jener Bucht, die auf dem ersten Blatt des Logbu­ches verzeichnet war.

Die Seewölfe standen auf der Kühl und sahen zum Land hinüber. Ha­sard hielt das Buch mit der ersten Zeichnung in den Händen.

„Kein Zweifel, daß wir uns an der richtigen Stelle befinden", sagte er. „Das ist die Bucht. Jetzt werden wir mit einer Gruppe an Land setzen und uns anhand der Zeichnung orientieren. So wie der Korse das aufgezeichnet hat, müßte der betref­

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fende Platz gut zu finden sein. Er hat sehr korrekt gearbeitet."

Die Männer nickten zustimmend. Carberry befühlte seine Stirn, auf der eine prächtige Beule in allen Farben schimmerte. Er sah aus wie ein Einhorn, aber das sagte niemand, schon gar nicht Mac Pellew, der sich vornehm zurückhielt und die Nähe des Profos' mied.

Die Jolle wurde ausgesetzt. Bis zum Strand waren es nur knapp hundert Yards. Alle fieberten der Entdeckung entgegen, ganz beson­ders die Zwillinge, die nicht schnell genug ins Boot gelangen konnten.

Auch von der „Empress" wurde das Beiboot zum Strand gepullt. Die mei­sten wollten sich die Schatzsuche nicht entgehen lassen.

Als die Boote auf den Strand liefen, sah der Kutscher sich um. Er hätte das Perlenbuch dabei und verglich jetzt alles.

„Da ist der Baum, und dort befindet sich die Felsspitze", erklärte er. „Stimmt alles mit der Zeichnung haargenau überein. Jetzt müssen wir den Kreuzungspunkt suchen und dort buddeln."

„Dann suchen wir ihn doch", sagte Carberry. Er hatte einen Spaten in der Hand und grinste erwartungsvoll. Auch die anderen waren mit Schaufeln und Spaten bewaffnet.

In der Bucht war alles ruhig. Kein Vogel ließ sich sehen, nur die Bran­dung rauschte leise an den Strand.

Wieder verglich der Kutscher die Linien, peilte den Baum an, sah dann zur Felsspitze und schritt eine Strecke ab. Dan O'Flynn folgte ihm, ebenso die Zwillinge.

„Jetzt bin ich aber gespannt", sagte Dan. „Es fehlt nur die Angabe, in welcher Tiefe die Perlentruhe liegt."

„Das werden wir durch Graben feststellen. Sehr tief wird sie nicht liegen. Der Korse hat sich vermutlich nicht sehr viel Zeit zum Vergraben genommen."

Die anderen rückten auf und starrten auf die Stelle, die der Kut­scher ein letztes Mal abschritt.

„Alles stimmt", versicherte er nach einem letzten Blick. „Wenn wir hier nicht fündig werden, soll mich der Teufel holen."

„Können wir jetzt endlich anfan­gen?" erkundigte sich Hasard junior voller Eifer.

„Niemand hindert euch daran." Spaten und Schaufeln wurden in

den Erdboden gestoßen. Die Seewöl­fe gruben voller Feuereifer.

Old O'Flynn stand daneben und sah zu. Die Kerle rissen sich regelrecht darum, buddeln zu dürfen.

Als das Loch ein halbes Yard tief war, blickte der Profos enttäuscht zu dem Kutscher.

„Hast dich wohl doch geirrt, was, wie? Das sieht mir aber gar nicht da­nach aus, als ..."

„Grabt nur weiter", sagte der Kut­scher. „Ein halbes Yard ist ja schließ­lich noch keine Tiefe."

Jetzt wurde noch emsiger gebud­delt. Dann gab es ein dumpfes Ge­räusch, als ein Spaten auf einen Ge­genstand traf.

„Da ist was!" rief Philip junior eifrig. „Etwas vorsichtiger", riet der Kut­

scher. „Wir haben ja Zeit." Das erste, was erschien, war ein

menschliches Gerippe. Neben dem Knochenmann lag der Totenschädel. Die Augenhöhlen waren mit Sand gefüllt.

Old O'Flynn wich in affenartigem Tempo zurück, als er das sah. Die anderen hörten mit dem Graben auf

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und starrten in die Grube. Eine Weile sprach niemand ein Wort.

„Eine makabre Beigabe", sagte Dan O'Flynn. „Grabt jetzt vorsichtig weiter. Die Truhe muß auch hier sein."

Schon nach dem nächsten Spaten­stich stießen sie auf den Deckel der Truhe. Es war eine kleine Eisentruhe mit dunklen Beschlägen.

Der Profos hob sie schaudernd heraus und reichte sie dem Kutscher und Dan, die sie neben der Grube in den Sand stellten.

„Und was tun wir mit dem Kno­chenmann?" fragte Carberry.

„Wir sprechen ein Gebet für ihn und schütten die Grube wieder zu", sagte der Kutscher.

Das taten sie. Für den Unbekann­ten, der heimtückisch ermordet wor­den war, wurde ein kurzes Gebet ge­sprochen. Danach wurde die Grube schweigend zugeschüttet.

Der Profos brachte die Truhe zur Jolle und verstaute sie zwischen den Duchten. Dann pullten sie zur „Isa­bella" zurück, wo die Seewölfe sie neugierig anblickten.

Etwas später wurde sie von dem Schiffszimmermann Ferris Tucker vorsichtig geöffnet.

Ausnahmslos alle blickten andäch­tig auf den Inhalt.

„Donnerwetter", sagte Hasard überrascht. „Das ist tatsächlich ein

Vermögen von sehr erlesenen Per­len."

Die ganze Pracht und Herrlichkeit lag vor ihnen. Mattschimmernde Perlen, darunter auch einige schwarze, füllten die kleine Eisen­truhe bis fast an den Rand. Allein mit einer Handvoll dieser erlesenen Kostbarkeiten hätte der Korse bis an sein Lebensende ausgesorgt.

Und dabei gab es noch viele derar­tiger Verstecke.

Hasard ließ die Truhe wieder schließen und in den Laderaum bringen.

„Hast du schon die zweite Seite im Logbuch entziffert?" fragte er Dan O'Flynn.

„Ja, Sir. Das nächste Versteck ist Punta Frances, Islas de Pinos."

„Sehr gut, ausgezeichnet sogar. Da werden wir dem Korsen noch einmal zuvorkommen."

Er ging aufs Achterdeck und blickte die Männer an.

„Also dann - Anker auf! Kurs Ost. Wir laufen die Islas de Pinos an."

Wieder packte sie das Jagdfieber. Als die beiden Schiffe ankerauf

gingen und auf Ostkurs davonsegel­ten, blieben am Strand nur ein paar Spuren im Sand zurück, aber sie wa­ren deutlich zu erkennen...

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Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 525

Flucht nach vorn von Burt Frederick

Della Rocca, der Korse, nickte zufrieden. Es hatte alles so geklappt, wie er das geplant hatte. Die Feuer brannten noch mäßig. Es war still geworden. Jetzt, eine Stunde vor Mitternacht, hatte der Alkohol die gewünschte Wirkung gezeitigt. Sämtliche Kerle und die Weiber lagen volltrunken im Tiefschlaf, einige in den Hütten, die anderen hier im Sand. Die meisten schnarchten, und keiner sah so aus, als würde er in den nächsten Stunden aufwachen. Sicherheitshalber verpaßte der Korse einigen der Kerle kräftige Fußtritte, aber sie schnarchten weiter. Della Rocca grinste böse: sie würden sich wundern, wenn sie wieder nüchtern waren und begriffen, daß ihr Kapitän von der Fahne gegangen war...

Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Seewolfs und seiner Crew erhalten Sie bereits in der nächsten Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in allen Bahnhofsbuchhandlungen. Wenn nicht, dann wenden Sie sich bitte an die Vertriebsabteilung des Erich Pabel Verlags GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt.