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Verwaltungsrecht Einheit 8 1 Finn Mengler [email protected]

Finn Mengler - jura-rep.de · Widerspruchsbehörde, ... über ein Recht zum sogenannten Selbsteintritt verfügt.“ ... ihre Zulässigkeit folgt zwar nicht schon aus den §§ 68 ff

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Verwaltungsrecht Einheit 8

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Finn Mengler [email protected]

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Verwaltungsrecht Einheit 8

Schwerpunkt der heutigen Kurseinheit: „Reformatio in peius“

> Wiederholung: „Reformatio in peius“ im Widerspruchsverfahren > Lateinischer Wortstamm: „reformatio“ = Veränderung / „peius“ =

Schlechteres > Gegenstand der Verböserung: Abänderung von Entscheidungen in

Art und / oder Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Betroffenen > Unproblematisch: Zulässigkeit der „reformatio in peius“, soweit diese

gesetzlich vorgesehen ist > Beispiel: § 42 II 2 BDG iVm § 35 III 3 BDG, der bei

beamtenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen „Verschärfung der Disziplinarmaßnahme nach Art oder Höhe“ gestattet

> Im Übrigen problematisch: Ob und unter welchen Voraussetzungen eine „reformatio in peius“ im Widerspruchsverfahren zulässig ist

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> In Fällen der „reformatio in peius“ bei nachteiliger Abänderung von Verwaltungsakten zu beachten: Besonderheiten bei Prüfung der Anfechtungsklage gegen Widerspruchsbescheid

> In diesem Zusammenhang iRd Sachentscheidungsvoraussetzungen zu problematisieren: Gegenstand der Anfechtungsklage iSv § 79 VwGO und passive Prozessführungsbefugnis iSv § 78 VwGO

> Sodann iRd Begründetheit regelmäßig diskutabel: Rechtsgrundlage für Erlass des Widerspruchsbescheides, Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde, Anhörung gemäß § 71 VwGO sowie Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG

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Staatshaftungsrecht Fall 1Verwaltungsrecht Einheit 8

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Gegenstand der Anfechtungsklage iSv § 79 VwGO > Grundsätzlich Gegenstand der Anfechtungsklage gemäß

§ 79 I Nr. 1 VwGO: „Der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat“

> Gemäß § 79 I Nr. 2 VwGO denkbar: Klage gegen „Widerspruchs-bescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält“

> Schließlich gemäß § 79 II 1 VwGO möglich nach Wahl des Klägers („kann“): Vorgehen gegen - sodann alleinigen Gegenstand der Anfechtungsklage bildenden - Widerspruchsbescheid, „wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält“

> Demnach in die Wahl des Klägers gestellt: Vollständige Anfechtung gemäß § 79 I Nr. 1 VwGO oder isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides gemäß § 79 II 1 VwGO

> Letztlich maßgeblich iRv § 79 VwGO: Klagebegehren 4

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Passive Prozessführungsbefugnis iSv § 78 VwGO > Grundsätzlich Klagegegner gemäß § 78 I Nr. 1 VwGO: Rechtsträger

der den angefochtenen Verwaltungsakt erlassenden Behörde („Rechtsträgerprinzip“)

> Mangels Ausführungsvorschrift zu § 78 I Nr. 2 VwGO in Hamburg abzulehnen: Prozessführungsbefugnis von Behörden

> Wenn Widerspruchsbescheid „erstmalig eine Beschwer enthält“, indes notwendig: Rückgriff auf § 78 II VwGO, der in Fällen des § 79 I Nr. 2 VwGO einschlägig ist

> Heranzuziehen, wenn Kläger isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides iSv § 79 II 1 VwGO begehrt: § 79 II 3 VwGO iVm § 78 II VwGO

> In diesen Fällen „Behörde“ im Sinne des § 78 I VwGO: Widerspruchsbehörde

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Rechtsgrundlage für Erlass des Widerspruchsbescheides > Fraglich in Fällen der Verböserung, wenn Gegenstand der

Anfechtungsklage ausschließlich der Widerspruchsbescheid ist, also in Fällen des § 79 I Nr. 2 VwGO oder § 79 II 1 VwGO: Rechtsgrundlage für Widerspruchsbescheid

> Insoweit zu erwägen, weil in dem Widerspruchsbescheid liegende Verböserung als (teilweise) Aufhebung des Ausgangsbescheides eingestuft werden könnte: Analoge Anwendung von § 48 (Hmb)VwVfG / § 49 (Hmb) VwVfG

> Voraussetzung für eine derartige Analogie: Planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage

> Bereits sehr zweifelhaft, weil in § 50 (Hmb)VwVfG unmittelbar Regelungen zur „Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren“ enthalten sind: Planwidrige Regelungslücke 6

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Rechtsgrundlage für Erlass des Widerspruchsbescheides > Jedenfalls abzulehnen: Vergleichbare Interessenlage > Keinesfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, das gemäß

§ 68 I 1 VwGO der Überprüfung des Ausgangsbescheids auf „Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ dient: Aufhebung von Verwaltungsakten

> Stattdessen beabsichtigt: Kontrolle der Entscheidung der Ausgangsbehörde durch eine im Verfahren hinzutretende Widerspruchsbehörde

> In Fällen der „reformatio in peius“ überdies nicht gerechtfertigt: Rückgriff auf § 48 I 2 (Hmb)VwVfG, demzufolge ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der - Vertrauensschutz gewährenden - § 48 II (Hmb)VwVfG bis § 48 IV (Hmb)VwVfG zurückgenommen werde

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Rechtsgrundlage für Erlass des Widerspruchsbescheides > Nicht gleichzustellen: Adressat eines begünstigenden

Verwaltungsaktes, der diese Entscheidung der Verwaltung bestandskräftig werden lässt, und Widerspruchsführer, der gegen eine ihm zu gering erscheinende Begünstigung Rechtsbehelfe einlegt und so das Verwaltungsverfahren weiterhin offen hält

> Allenfalls zu berücksichtigen: „Rechtsgrundsätze über den Vertrauensschutz und über Treu und Glauben, soweit hier ihr revisibler bundesverfassungsrechtlicher Kernbestand in Betracht kommt“ (BVerwGE 51, 310)

> Somit mangels vergleichbarer Interessenlage nicht möglich: Analoge Anwendung von § 48 (Hmb)VwVfG / § 49 (Hmb)VwVfG (hM)

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Rechtsgrundlage für Erlass des Widerspruchsbescheides > Andernfalls drohend: Wertungswiderspruch, weil die analoge

Anwendung der § 48 (Hmb)VwVfG / § 49 (Hmb)VwVfG dazu führen, dass die „reformatio in peius“ auf Fälle beschränkt wird, in denen die Behörde den Verwaltungsakt nach Maßgabe dieser Vorschriften ohnehin zurücknehmen oder widerrufen könnte

> Vielmehr bereits in § 68 I 1 VwGO („Rechtmäßigkeit“) enthalten: Hinweis auf das anzuwendende Recht

> Nach alledem heranzuziehen für Widerspruch: Vorschriften, nach denen sich der Erlass des Ausgangsbescheides beurteilte (hM)

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > Regelmäßig zuständige Widerspruchsbehörde gemäß

§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO: „Die nächsthöhere Behörde“ > Indes fraglich: Kompetenz der Widerspruchsbehörde, die

Entscheidung der Ausgangsbehörde in der Art und / oder Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Klägers abzuändern („reformatio in peius“)

> Grundsätzlich wegen der in § 68 I 1 VwGO vorgesehenen Nachprüfung des Verwaltungsaktes auf „Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ zu bejahen: Umfassende Kontrollbefugnis der Widerspruchsbehörde

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > IRd Zuständigkeit nunmehr zu differenzieren: Quantitative

Verböserung, die Abänderung der Höhe der Rechtsfolgen zum Gegenstand hat, so dass der Widerspruchsbescheid sich iRd Gegenstands des Ausgangsbescheides hält, und qualitative Verböserung, bei der Abänderung der Art der Rechtsfolgen stattfindet, so dass der Widerspruchsbescheid sich als völlig neuer Verwaltungsakt ohne Bezug zum Ausgangsbescheid darstellt

> In Fällen quantitativer Verböserung bei Verschiedenheit von Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde maßgeblich: Dass die Widerspruchsbehörde gleichzeitig Fachaufsichtsbehörde der Ausgangsbehörde ist

> Demgegenüber nicht erforderlich: Selbsteintrittsrecht der Widerspruchsbehörde (hM)

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > Dazu BVerwG (NVwZ 1987, 215): „Die Fachaufsicht erstreckt sich

auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben. Wenn hieraus das Berufungsgericht die Zulässigkeit einer ‚reformatio in peius‘ durch die Widerspruchsbehörde herleitet, so ist dies aus der Sicht des Bundesrechts nicht zu beanstanden. Insbesondere ergibt sich aus Bundesrecht nicht, daß eine Widerspruchsbehörde nur dann zu einer ‚reformatio in peius‘ befugt sei, wenn sie - generell oder unter besonderen Voraussetzungen - über ein Recht zum sogenannten Selbsteintritt verfügt.“

> Regelfall: Dass Widerspruchsbehörde auch die Fachaufsicht ausübt > Somit bei quantitativer „reformatio in peius“ oftmals gegeben:

Kompetenz der Widerspruchsbehörde, die Entscheidung der Ausgangsbehörde in der Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Klägers abzuändern 12

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > Hingegen grundsätzlich nicht mehr von Kontrollbefugnis des

§ 68 I 1 VwGO gedeckt: Qualitative Verböserung, bei der Entscheidung der Ausgangsbehörde in der Art der Rechtsfolgen zum Nachteil des Klägers abgeändert wurde, so dass der Widerspruchsbescheid sich als völlig neuer Verwaltungsakt ohne Bezug zum Ausgangsbescheid darstellt

> In Fällen qualitativer Verböserung bei Verschiedenheit von Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde regelmäßig zu verneinen: Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde (hM)

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > Dazu OVG Berlin (NJW 1977, 1166): „§ 68 VwGO gewährt der

Widerspruchsbehörde die Befugnis, die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Gegenstand der Anfechtungsklage ist gemäß § 79 I Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Diese Regelung schließt nach herrschender Ansicht zwar grundsätzlich die Abänderung des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Nachteil des Betroffenen ein. Hingegen eröffnet § 68 VwGO der Widerspruchsbehörde nicht die Möglichkeit, einen unbegründeten Widerspruch ohne Rücksicht auf den Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Anlass einer weiteren Entscheidung zu nehmen.“

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Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde > Ferner OVG Berlin (aaO): „Eine zusätzliche, vom angefochtenen

Verwaltungsakt rechtlich unabhängige Entscheidung wäre nicht mehr eine Entscheidung über den Widerspruch, sondern eine Erstentscheidung.“

> In steter Regelmäßigkeit zu verneinen bei qualitativer Verböserung: Zuständigkeit der - mit Ausgangsbehörde nicht identischen - Widerspruchsbehörde

> Seltene Ausnahme: Gesetzlich vorgesehenes Selbsteintrittsrecht der Widerspruchsbehörde (hM)

> Beispiel: § 1 IV VerwBehG, der den Senat befugt, „Angelegenheiten selbst zu erledigen, auch soweit eine Fachbehörde oder ein Bezirksamt zuständig ist“

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Anhörung gemäß § 71 VwGO > Gemäß § 71 VwGO vor Erlass des Widerspruchsbescheides

geboten („soll"), sofern „die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden“ ist: Vorherige Anhörung des Betroffenen

> Über den Wortlaut hinaus in allen Fällen der „reformatio in peius“ - also nicht nur bei erstmaliger, sondern auch bei zusätzlicher Beschwer - im Regelfall notwendig: Anhörung gemäß § 71 VwGO

> Damit vor „reformatio in peius“ statuiert: Umfassende Anhörungspflicht (hM)

> Dazu BVerwG (NVwZ 1999, 1218): „§ 71 VwGO begründet abgesehen von atypischen Sachverhalten mit der Anordnung, eine Unterrichtung des Betroffenen über die beabsichtigte Verböserung solle vor Erlaß des Widerspruchsbescheides erfolgen, eine Pflicht zur Anhörung.“ 16

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Maßgeblich, wenn die Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen

zu handeln: Ermessensfehlerhaftigkeit des Verwaltungshandelns > Vom Verwaltungsgericht gemäß § 114 S. 1 VwGO zu prüfen:

Ermessensfehler der Behörde iSv § 40 (Hmb)VwVfG > Insoweit denkbar: Ermessensausfall („hat“),

Ermessensfehlgebrauch („entsprechend dem Zweck der Ermächtigung“) und Ermessensüberschreitung („gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten“)

> Regelmäßig erwähnenswert: Ermessensüberschreitung („gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten“)

> Demnach fraglich: Verstoß gegen ermessensbegrenzenden Umstand

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Ermessensbegrenzender Umstand, weil sie gemäß Art. 1 III GG „als

unmittelbar geltendes Recht“ die „vollziehende Gewalt“ binden: Grundrechte

> Gewährleistet von Art. 19 IV 1 GG, wenn „jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt“ wird: Rechtsweg („institutionelle Garantie des Rechtsschutzes“)

> Womöglich mit Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 IV 1 GG nicht zu vereinbaren: Verböserung („reformatio in peius“)

> Insoweit zu bedenken: Dass Bürger von Einlegung seiner Rechtsbehelfe abgehalten werden kann, wenn im Widerspruchsverfahren Verböserung droht

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Ohne ausdrückliche Regelung nicht zulässig nach

Dispositionsmaxime gemäß § 88 VwGO: Hinausgehen über das Klagebegehren („ne ultra petita“)

> Dem jedoch entgegenzuhalten: Dass „Rechtsweg“ iSv Art. 19 IV 1 GG den Zugang zu staatlichen Gerichten meint und damit im Widerspruchsverfahren nicht ohne Weiteres gilt

> Vielmehr bezweckt durch Widerspruchsverfahren: Entlastung der Gerichte durch Selbstkontrolle der Verwaltung, so dass zu Gunsten anderer Rechtsschutzsuchender gerade dem Gebot effektiven Rechtsschutzes iSv Art. 19 IV 1 GG Rechnung getragen wird

> Ferner zu bedenken: Dass § 88 VwGO nur für das „Klagebegehren“ gilt, das Widerspruchsverfahren trotz seiner „Doppelnatur“ aber zunächst ein Verwaltungsverfahren darstellt 19

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Überdies von Bedeutung: Dass Rechtsschutzsuchender die

Bestandskraft seines Verwaltungsaktes durch Einlegung des Widerspruchs selbst verhindert hat und deshalb in seinem Vertrauen nicht schutzwürdig ist

> Da vollziehende Gewalt gemäß Art. 20 III GG an Gesetz und Recht gebunden ist („Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“), geboten: Sachlich richtige Entscheidung der Widerspruchsbehörde

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Schließlich zu berücksichtigen: Umkehrschluss („argumentum e

contrario“) zu § 331 I StPO, § 358 II 1 StPO sowie § 373 II 1 StPO, nach denen eine Verböserung grundsätzlich ausgeschlossen ist, während in der VwGO in § 79 II 1 VwGO („Widerspruchsbescheid … gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer“) „reformatio in peius“ gleichsam als zulässig vorausgesetzt wird

> Nach alledem nicht als Verstoß gegen Art. 19 IV 1 GG einzustufen: Verböserung im Widerspruchsverfahren („reformatio in peius“)

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Ermessensüberschreitung wegen Verstoß gegen ermessensbegrenzendes Verböserungsverbot aus Art. 19 IV 1 GG > Dazu BVerwG (NVwZ 1987, 215): „Zutreffend hat das

Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, daß eine ‚reformatio in peius‘ im Widerspruchsverfahren nicht generell ausgeschlossen ist; ihre Zulässigkeit folgt zwar nicht schon aus den §§ 68 ff. 73 VwGO, sondern richtet sich vielmehr nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Bundes- oder Landesrecht einschließlich seiner Zuständigkeitsvorschriften“

> Damit abzulehnen: Ermessensüberschreitung wegen (quantitativer) Verböserung

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Erster Teil: Erfolgsaussichten der Klage auf Durchsetzung des ursprünglichen Begehrens

> Zu prüfen: Erfolgsaussichten der vor dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage

> Damit erforderlich: Prüfung von Sachentscheidungsvoraussetzungen und Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Klage

A) Sachentscheidungsvoraussetzungen > Von Amts wegen zu prüfen: Vorliegen sämtlicher

Sachentscheidungsvoraussetzungen als prozessuale Voraussetzungen für eine Entscheidung des angerufenen Gerichts über Streitgegenstand

> Maßgeblicher Zeitpunkt: Letzte mündliche Verhandlung 24

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I) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs > Andernfalls: Verweisungsbeschluss gemäß § 173 S. 1 VwGO

iVm § 17 a II 1 GVG > Vorrangig zu prüfen: Aufdrängende Sonderzuweisung > Insoweit zu berücksichtigen: „Besondere Vorschriften des

Beamtenrechts“ gemäß § 40 II 2 1. Alt. VwGO > Denkbare beamtenrechtliche Sonderzuweisungen: Für

Bundesbeamte geltender § 126 I BBG > Gemäß § 126 I BBG „für alle Klagen der Beamten (…) aus

dem Beamtenverhältnis“ gegeben: „Verwaltungsrechtsweg“ > Da Kläger „Beamter des Bundes“ iSv § 1 BBG und der Bund

gemäß § 2 BBG dienstherrnfähig ist, gegeben: Klage des Beamten aus dem Beamtenverhältnis

> Damit einschlägig: Sonderzuweisung gemäß § 126 I BBG > Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs: (+) 25

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II) Zuständigkeit des Gerichts > Ferner erwähnenswert: Sachliche und örtliche Zuständigkeit

des angerufenen Verwaltungsgerichts > Andernfalls: Verweisungsbeschluss gemäß § 83 S. 1 VwGO

(„entsprechend“) iVm § 17 a II 1 GVG > Vorgesehen in § 45 VwGO: Sachliche Zuständigkeit des

Verwaltungsgerichts > Nicht einschlägig: Ausnahme iFd erstinstanzlichen

Zuständigkeit des OVG gemäß § 47 VwGO / § 48 VwGO oder des BVerwG gemäß § 50 VwGO

> Für örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte heranzuziehen: § 52 VwGO

> Zu unterstellen: Zuständigkeit des Gerichts

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III) Beteiligte > Voraussetzung für Zulässigkeit der Klage: Beteiligungs- und

Prozessfähigkeit der Beteiligten > Beteiligte des Rechtsstreits gemäß § 63 Nr. 1 VwGO und

§ 63 Nr. 2 VwGO Kläger und Beklagte > Unproblematisch: Beteiligungsfähigkeit des Klägers als

natürliche Person iSv § 61 Nr. 1 1. Alt. VwGO und der beklagten Bundesrepublik Deutschland als Gebietskörperschaft und somit als juristische Person des öffentlichen Rechts iSv § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO

> Abschließend zu klären: Prozessfähigkeit der Beteiligten gemäß § 62 VwGO

> Zu unterstellen: Prozessfähigkeit des Klägers als iSv § 62 I Nr. 1 VwGO nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähiger

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> Zumindest nicht unproblematisch: Prozessfähigkeit der beklagten juristischen Person

> Im Hinblick auf Differenzierung in § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO und § 61 Nr. 2 VwGO zunächst wenig naheliegend: Einstufung juristischer Personen als „Vereinigung“ iSv § 62 III VwGO

> Dem Wortlaut nach in § 62 VwGO überhaupt nicht geregelt: Prozessfähigkeit juristischer Personen

> Zur Vermeidung von sinnwidrigen Ergebnissen wegen drohender Unzulässigkeit von Klagen unter Beteiligung juristischer Personen wegen fehlender Prozessfähigkeit trotz von § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO vorausgesetzter Beteiligungsfähigkeit geboten: Großzügige Auslegung des Begriffs der „Vereinigung“ iSv § 62 III VwGO

> Vor diesem Hintergrund gleichfalls erfasst als „Vereinigung“ iSv § 62 III VwGO: Juristische Personen

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> Damit auch für juristische Personen gemäß § 62 III VwGO maßgeblich und gleichermaßen zu unterstellen: Vertretung der Beklagten durch seinerseits iSv § 62 I Nr. 1 VwGO nach bürgerlichem Recht geschäftsfähigen Vertreter

> Somit zu bejahen: Beteiligungs- und Prozessfähigkeit der Beteiligten

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IV) Statthafte Klageart > Maßgeblich gemäß § 88 VwGO: „Klagebegehren“ > Klagebegehren: „Durchsetzung seines ursprünglichen

Begehrens“, das auf die „Erstattung der Kosten für die Heilbehandlung und ein Hörgerät in einer Gesamthöhe von 4.500,00 €“ gerichtet ist

> Insoweit zu erwägen: Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage > Für Verpflichtungsklage gemäß § 42 I 2. Alt. VwGO

notwendig: Dass Kläger „Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes“ begehrt

> Damit maßgeblich: Ob die vom Kläger erstrebte Zahlung als bloß reale Leistungsbewirkung einen Verwaltungsakt voraussetzt

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> Erforderlich gemäß § 35 S. 1 VwVfG: „Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“

> Insoweit zu berücksichtigen: § 49 I 1 BeamtVG > Aufgabe der obersten Dienstbehörde nach § 49 I 1 BeamtVG:

Festsetzung von Versorgungsbezügen > Insoweit Grundlage der begehrten Zahlung, weil zweistufige

Rechtsbeziehung, bei der realen Leistungsbewirtung eine Festsetzung vorausgeht: Festsetzung der Versorgungsbezüge

> Rechtsnatur der Festsetzung: Verwaltungsakt iSv § 35 S. 1 VwVfG

> Somit statthafte Klageart: Verpflichtungsklage (iFd Versagungsgegenklage)

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V) Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage

1) Passive Prozessführungsbefugnis > (Allgemeine) Sachentscheidungsvoraussetzung einer jeden

verwaltungsgerichtlichem Klage gemäß § 82 I 1 VwGO: Ordnungsgemäße Klageerhebung unter Bezeichnung des „Beklagten“

> Ferner besondere Sachentscheidungsvoraussetzung der Verpflichtungsklage (hM): Zutreffende Bezeichnung des „Klagegegners“ („passive Prozessführungsbefugnis“)

> Insoweit heranzuziehen: § 78 VwGO („Klagegegner“) > Mangels Ausführungsvorschrift zu § 78 I Nr. 2 VwGO in

Hamburg abzulehnen: Prozessführungsbefugnis von Behörden

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> Demnach Klagegegner gemäß § 78 I Nr. 1 VwGO: Rechtsträger der den beantragten Verwaltungsakt unterlassenden Behörde („Rechtsträgerprinzip“)

> Jedenfalls ausreichend gemäß § 78 I Nr. 1 aE VwGO: „Angabe der Behörde“

> Zu unterstellen: Angabe der „Bundesrepublik Deutschland“ als Klagegegner

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2) Klagebefugnis > Voraussetzung für Zulässigkeit der Verpflichtungsklage

gemäß § 42 II VwGO: Klagebefugnis > Klagebefugnis gemäß § 42 II VwGO: (+), „wenn der Kläger

geltend macht, durch (…) Ablehnung oder Unterlassung (des Verwaltungsakts) in seinen Rechten verletzt zu sein“

> Dafür zu prüfen: Ob nicht zu rechtfertigender Eingriff in den Schutzbereich von subjektiven öffentlichen Rechten des Klägers (= „Rechten verletzt“) möglich erscheint (= „geltend macht“)

> Klagebefugnis demnach: (+), wenn Anspruch des Klägers auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts zumindest möglich erscheint

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> Somit maßgeblich: Ob Anspruchsgrundlage für Klagebegehren zur Verfügung steht und das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zumindest nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann

> Maßstab für Anspruchsgrundlage („Schutznormtheorie“): Rechtsgrundlage für den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes, die zumindest auch dem Schutz der Interessen des Klägers derart zu dienen bestimmt ist, dass dieser die Einhaltung des Rechtssatzes verlangen kann

> (Nach zuvor entwickelten Maßstäben) Rechtsgrundlage für „Unfallfürsorge“ bei „Dienstunfällen“: § 30 I 1 BeamtVG

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> In diesem Zusammenhang für Ermittlung des notwendigen Zwecks iFe subjektiven öffentlichen Rechts zu Gunsten des Klägers mitunter erforderlich: Auslegung der Rechtsgrundlage

> Nach Wortlaut von § 30 I 1 BeamtVG („Beamter … ihm … gewährt“) vermittelt: Subjektives öffentliches Recht des Beamten auf Unfallfürsorge

> Somit - durch Auslegung ermittelte - Rechtsnatur des - ein subjektives öffentliches Recht gewährenden - § 30 I 1 BeamtVG: Anspruchsgrundlage für Unfallfürsorge

> Unproblematisch zu Gunsten des Klägers („Beamter“) eröffnet: Persönlicher Schutzbereich der Vorschrift

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Verwaltungsrecht Fall 9

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> Jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen: Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage

> Deshalb zumindest möglich: Anspruch des Klägers auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts

> Somit erfolgt: „Geltendmachung“ einer „Rechtsverletzung“ durch Ablehnung des Verwaltungsaktes iSv § 42 II VwGO

> Klagebefugnis: (+)

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3) Vorverfahren > Grundsätzlich vor Erhebung der Versagungsgegenklage

notwendig gemäß § 68 II VwGO iVm § 68 I 1 VwGO, „wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist“: Erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens

> Insoweit bei „Klagen aus dem Beamtenverhältnis“ gemäß § 126 II 1 BBG stets erforderlich: Widerspruchsverfahren

> Unerheblich gemäß § 126 II 2 BBG, wenn „Maßnahme von der obersten Dienstbehörde getroffen wurde“: In § 68 I 2 Nr. 1 VwGO vorgesehene Ausnahme

> Notwendig gemäß § 70 I 1 VwGO: „Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat“ 38

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> Somit ausreichend für Widerspruchserhebung: Einlegung bei der Ausgangsbehörde iSv § 70 I 1 VwGO

> Gleichfalls möglich gemäß § 70 I 2 VwGO: „Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat“

> Einschlägige Frist: „Innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt Beschwerten bekanntgegeben worden ist“

> Insoweit in § 41 I 1 VwVfG vorgesehen: Dass „ein Verwaltungsakt (…) demjenigen Beteiligten bekannt zu geben“ ist, „für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird“

> Voraussetzung für Bekanntgabe: Dass die zuständige Behörde in amtlicher Eigenschaft den Adressaten des Verwaltungsaktes bzw. dem davon Betroffenen wissentlich und willentlich dessen Inhalt eröffnet

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> Insoweit unerheblich: Tatsächliche Kenntnisnahme > Vielmehr maßgeblich: Zeitpunkt, zu dem bei dem

gewöhnlichen Verlauf mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist

> In diesem Zusammenhang hilfreich: § 41 II 1 VwVfG, demzufolge ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, (…) am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben“ gilt

> Nach der „Zugangsfiktion“ in § 41 II 1 VwVfG zu unterstellen: Dass der am 10. September bei der Post aufgegebene Bescheid am 13. September (= dritter Tag nach der Aufgabe zur Post) als bekannt gegeben gilt

> Ausgehend von Bekanntgabe am 13. September an nunmehr erforderlich: Berechnung der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 70 I 1 VwGO

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> Nicht unumstritten: Maßgebliche Vorschriften für Berechnung der Widerspruchsfrist

> Ausgangspunkt: § 79 VwVfG, demzufolge für Widerspruchsverfahren „Verwaltungsgerichtsordnung“ gilt, „soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist“

> Insoweit denkbar: Anderweitige - und somit vorrangige - Bestimmung gemäß § 31 VwVfG

> Andernfalls möglich: Anwendung des § 57 II VwGO, der auf § 222 ZPO verweist

> Mangels Entscheidungserheblichkeit indes nicht erforderlich: Vertiefte Ausführungen zu für Berechnung der Widerspruchsfrist heranzuziehenden Vorschriften

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> Jedenfalls gemäß § 31 I VwVfG und § 57 II VwGO iVm § 222 I ZPO anzuwenden: § 187 BGB - § 193 BGB

> Somit Beginn der Widerspruchsfrist gemäß § 187 I BGB, wonach bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet wird, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt: 14. September um 0.00 Uhr

> Sodann Ablauf der Widerspruchsfrist gemäß § 188 II BGB: „desjenigen Tages der (…) des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt“

> Demnach Fristende: 13. Oktober um 24.00 Uhr > In jedem Fall - gemäß § 31 III 1 VwVfG oder § 57 II VwGO

iVm § 222 II ZPO - Konsequenz der Tatsache, dass der 13. Oktober ein Samstag ist: Fristende mit Ablauf des nächsten Werktags

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> Demnach in jedem Fall maßgebliches Fristende: Montag, 15. Oktober, um 24.00 Uhr

> Da für „Erhebung“ des Widerspruchs iSv § 70 I 1 VwGO der am 17. Oktober stattfindende Eingang bei der Behörde maßgeblich ist, nicht gewahrt: Widerspruchsfrist des § 70 I 1 VwGO

> Hintergrund: § 130 III BGB, der die Vorschrift des § 130 I 1 BGB auch auf gegenüber Behörden abzugebenden Willenserklärungen anwendbar macht, so dass die Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie der Behörde zugeht

> Daher festzuhalten: Bestandskraft des Verwaltungsaktes > Somit nach § 68 II VwGO iVm § 68 I 1 VwGO grundsätzlich

unzulässig mangels ordnungsgemäßer Durchführung eines Vorverfahrens: Versagungsgegenklage

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> Gleichwohl zu bedenken: Dass die Behörde den Widerspruch nicht als unzulässig, sondern als unbegründet zurückgewiesen hat

> Daher zu erwägen: Heilung der vom Kläger verschuldeten Fristversäumnis als bloßem Verfahrensmangel dadurch, dass über Widerspruch in der Sache entschieden wurde

> Insoweit nicht vorhanden: Gesetzliche Regelung zur Heilung des Verfahrensmangels

> Vielmehr mit Ablauf der Widerspruchsfrist des § 70 I 1 VwGO eingetreten und somit grundsätzlich nicht in Frage zu stellen: Bestandskraft des Verwaltungsaktes

> Hintergrund: Umkehrschluss zu § 70 II VwGO iVm § 60 I VwGO, wonach nur bei unverschuldeter Fristversäumnis ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erlaubt wird („argumentum e contrario“)

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> Demgegenüber zu bedenken: Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde, die „Herrin des Vorverfahrens“ ist

> Solange kein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gegeben ist, deshalb von Widerspruchsfrist des § 70 I 1 VwGO einzig bezweckt: Schutz der Widerspruchsbehörde, die sich trotz Verfristung zur Sache einlassen kann

> Gleichfalls bei Aufhebung von Verwaltungsakten gemäß § 48 VwVfG / § 49 VwVfG vorgesehen: Dass Behörde sich über Bestandskraft hinwegsetzen kann

> Da vollziehende Gewalt gemäß Art. 20 III GG an Gesetz und Recht gebunden ist („Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“), geboten: Sachlich richtige Entscheidung der Widerspruchsbehörde ohne Rücksicht auf den Ablauf einer zur ihrer Disposition stehenden Frist

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> Deshalb in zweipoligen Rechtsbeziehungen möglich: Heilung der vom Kläger verschuldeten Fristversäumnis

> Dazu BVerwG (BVerwGE 57, 342): „Denn eine sachliche Bescheidung des Widerspruchs durch die Widerspruchsbehörde eröffnet unabhängig davon, ob die Widerspruchsbehörde dazu verpflichtet war oder nicht, die Klagemöglichkeit“

> Demgegenüber in dreipoligen Rechtsbeziehungen ausgeschlossen: Heilung der vom Kläger verschuldeten Versäumung der Widerspruchsfrist (BVerwG)

> Dazu BVerwG (NJW 2010, 1686): „Danach ist die Widerspruchsbehörde bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung nicht befugt, über einen Widerspruch, der erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegt worden ist, sachlich zu entscheiden.“

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> Ferner BVerwG (aaO): „Die mit Ablauf der Widerspruchsfrist eingetretene Bestandskraft vermittelt dem dadurch Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition, die diesem nur dann entzogen werden darf, wenn hierfür eine Rechtsgrundlage besteht. Die Vorschriften der VwGO über das Vorverfahren enthalten eine solche (…) nicht. Darf die Widerspruchsbehörde wegen der zugunsten des begünstigten Dritten eingetretenen Bestandskraft des Verwaltungsakts über den verspäteten Widerspruch sachlich nicht entscheiden, so kommt einer gleichwohl ergehenden Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde nicht die Wirkung zu, dass die versäumte Frist geheilt ist.“

> Nach alledem in zweipoliger Rechtsbeziehung möglich: Heilung der versäumten Widerspruchsfrist (hM)

> Damit ordnungsgemäß durchgeführt: Vorverfahren

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4) Klagefrist > Voraussetzung für Zulässigkeit der Versagungsgegenklage:

Einhaltung der in § 74 VwGO normierten Klagefrist > Gemäß § 74 II VwGO iVm § 74 I 1 VwGO grundsätzlich

maßgeblich, „wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist“: Einmonatige Klagefrist ab Zustellung des Widerspruchsbescheids

> Gewahrt: Klagefrist > Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen: (+) > Sachentscheidungsvoraussetzungen: (+)

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B) Begründetheit > Gesetzlicher Maßstab für Begründetheit der Verpflichtungsklage:

§ 113 V 1 / 2 VwGO > Voraussetzung für Begründetheit der Verpflichtungsklage in

Fällen der Spruchreife der Sache gemäß § 113 V 1 VwGO: Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes und Verletzung des Klägers in seinen Rechten

> Voraussetzung für Begründetheit der Bescheidungsklage in Fällen fehlender Spruchreife gemäß § 113 V 2 VwGO: Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes und Verletzung des Klägers in seinen Rechten

> Daraus folgender Obersatz: Die Verpflichtungsklage ist begründet, soweit dem Kläger ein Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes oder zumindest auf Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zusteht 49

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> Somit sinnvoll: Prüfung der Begründetheit der Verpflichtungsklage im „Anspruchsaufbau“ (Anspruchsgrundlage / Anspruchsvoraussetzungen / Anspruchsinhalt)

I) Anspruchsgrundlage > (Bereits herausgearbeitete) Anspruchsgrundlage für

Gewährung von Unfallfürsorge bei Dienstunfällen: § 30 I 1 BeamtVG

> Anspruchsgrundlage: (+)

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II) Anspruchsvoraussetzungen > Vorausgesetzt von § 30 I 1 BeamtVG: Verletzung eines

Beamten durch einen Dienstunfall > Einzig fraglich: „Dienstunfall“ > Insoweit hilfreich: Legaldefinition des § 31 I 1 BeamtVG,

wonach „Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis“ ist, „das in Ausübung des Dienstes eingetreten ist“

> Insbesondere fraglich iRv § 31 I 1 BeamtVG: Ob Ereignis „in Ausübung des Dienstes eingetreten ist“

> Insoweit „als Dienst“ ebenfalls erfasst gemäß § 31 II 1 BeamtVG: „Das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle“

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> Gleichwohl in § 31 II 2 BeamtVG vorausgesetzt: Ursächlicher „Zusammenhang mit dem Dienst“

> Dazu BVerwG (NVwZ 2010, 708): „Ursächlich sind nur solche Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Nicht als Ursachen gelten deshalb sogenannte Gelegenheitsursachen, d. h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Dies ist in Fällen anzunehmen, in denen die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden des Beamten so leicht aktualisierbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte.“ 52

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> Ferner BVerwG (aaO): „Ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Regelung und dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn kommt dem konkreten Dienstort des Beamten eine herausgehobene Rolle zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich zählt der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind dem Dienstherrn zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, dienstlich geprägt ist.“ 53

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> Zumindest klausurtaktisch naheliegend: Ereignis als bloße Gelegenheitsursache einzustufen

> Dazu BayVGH (Beschluss vom 08.07.2008 - 3 B 04.1164): „Daran gemessen zeigt sich der Anflug des Insekts als eine ‚Allerweltssituation‘, die durch ein Tier heraufbeschworen worden ist, das herrenlos und frei beweglich gewissermaßen überall auftauchen kann, ohne dass die Wahrscheinlichkeit durch die Besonderheiten von Ort, Zeit oder Art der Dienstausübung sonderlich beeinflusst worden wäre. Das Exemplar (oder jedes vergleichbare) hätte den Beamten auch zeitlich vor- oder nachher an jeder anderen Aufenthaltsstelle - etwa im Freien, in Gebäuden bei geöffneten Fenstern (einem durchaus sozialadäquaten Zustand), in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an anderen Orten - attackieren können.“

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> Nach diesen Maßstäben zumindest gut vertretbar: Dass Ereignis nicht iSv § 31 I 1 BeamtVG „in Ausübung des Dienstes eingetreten ist“

> Mangels „Dienstunfall“ nicht erfüllt: Voraussetzungen des § 30 I 1 BeamtVG

> Anspruchsvoraussetzungen: (-) > Begründetheit: (-)

C) Ergebnis > Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben, aber Klage

unbegründet

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Zweiter Teil: Objektive Klagehäufung

> Da mehrere Klagebegehren in einer Klage verfolgt, sodann zu prüfen: Zulässigkeit der objektiven Klagehäufung

> Andernfalls: Trennungsbeschluss gemäß § 93 S. 2 VwGO > Unproblematisch erfüllt, weil Begehren „sich gegen denselben

Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist“: Voraussetzungen des § 44 VwGO

> Damit zulässig: Objektive Klagehäufung („eventuelle Klagehäufung“)

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Dritter Teil: Überleitung

> Unbedingt zu beachtende Besonderheiten: Stellung des Antrages auf Beseitigung des Widerspruchsbescheides nur „zumindest“

> Damit gegeben: Unter einer Bedingung stehender echter Hilfsantrag > Gemäß § 88 VwGO zwingend zu beachten: Bindung des Gerichts

an das Klagebegehren („ne ultra petita“) > Demnach Voraussetzung für Entscheidungsbefugnis des Gerichts

über echten Hilfsantrag: Erfolglosigkeit des Hauptantrages > Nach zuvor entwickelten Maßstäben eingetreten: Bedingung für

gerichtliche Entscheidung über Hilfsantrag > Vor diesem Hintergrund in der Folge zu prüfen: Erfolgsaussichten

des Hilfsantrages

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Verwaltungsrecht Fall 9

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Vierter Teil: Erfolgsaussichten der Klage auf Beseitigung des Widerspruchsbescheides

> Abermals zu prüfen: Erfolgsaussichten der Klage vor dem Verwaltungsgericht

> Damit erforderlich: Prüfung von Sachentscheidungsvoraussetzungen und Begründetheit der Klage

A) Sachentscheidungsvoraussetzungen > Einzig erwähnenswert: Abweichungen gegenüber dem ersten Teil > Insoweit unverändert: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs,

Zuständigkeit des Gerichts sowie Beteiligungs- und Prozessfähigkeit

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I) Statthafte Klageart > Erneut gemäß § 88 VwGO maßgeblich: „Klagebegehren“ > Klagebegehren: „Widerspruchsbescheid beseitigen“ > Dafür zu erwägen: Statthaftigkeit der Anfechtungsklage > Voraussetzung gemäß § 42 I 1. Alt. VwGO: Dass Kläger

„Aufhebung eines Verwaltungsaktes“ begehrt > Zunächst zu berücksichtigen: Dass mit Ausgangsbescheid

und Widerspruchsbescheid zwei Maßnahmen ergangen sind > Jeweils gegeben: Verwaltungsakt iSv § 35 S. 1 VwVfG > Indes klärungsbedürftig: Gegenstand der Anfechtungsklage

iSv § 79 VwGO > Grundsätzlich Gegenstand der Anfechtungsklage gemäß

§ 79 I Nr. 1 VwGO: „Der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat“

Verwaltungsrecht Fall 9

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> Gleichfalls denkbar gemäß § 79 II 1 VwGO, aber nicht einschlägig: Vorgehen gegen Widerspruchsbescheid, „wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält“

> Möglich gemäß § 79 I Nr. 2 VwGO: Klage gegen den „Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält“

> Da Kläger - lediglich - Beseitigung des Widerspruchsbescheides begehrt und durch den Widerspruchsbescheid erstmals beschwert ist, anzunehmen: Isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides gemäß § 79 I Nr. 2 VwGO

> Somit statthafte Klageart: Anfechtungsklage

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II) Ordnungsgemäße Klageerhebung > Ausnahmsweise unbedingt zu erörtern: Formell

ordnungsgemäße Klageerhebung > Notwendig gemäß § 82 I 1 VwGO: Dass „die Klage (…) den

Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet“ > Ferner verlangt von § 82 I 2 VwGO: „Bestimmter Antrag“ > Somit enthalten in § 82 I 1, 2 VwGO:

Verwaltungsprozessuales Bestimmtheitsgebot > Aus diesem Bestimmtheitsgebot folgend, das zur Festlegung

des - gemäß § 88 VwGO vom Gericht zu beachtenden - Klagebegehrens („ne ultra petita“) dient: Bedingungsfeindlichkeit von Klageanträgen

> Sinn und Zweck dieser Normen: Vermeidung von Rechtsunsicherheit

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> Indes nicht gefährdet durch bloße innerprozessuale Bedingung: Rechtssicherheit für andere Verfahrensbeteiligte

> Deshalb bei reinen Rechtsbedingungen notwendig, weil der Sinn und Zweck des Bestimmtheitsgebots nicht betroffen ist: Teleologische Reduktion des § 82 I 1, 2 VwGO

> In Ausnahme vom Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Klageanträgen zulässig: Kombination von Hauptantrag und - bedingtem - Hilfsantrag (hM)

> Damit trotz des bedingt gestellten Hilfsantrags zulässig: Eventuelle Klagehäufung

> Ordnungsgemäße Klageerhebung: (+)

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III) Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungsklage

1) Passive Prozessführungsbefugnis > Nunmehr zu berücksichtigen, da Widerspruchsbescheid

„erstmalig eine Beschwer enthält“: § 78 II VwGO, demzufolge „Behörde im Sinne des § 78 I VwGO die Widerspruchsbehörde" ist

> Demnach Klagegegner gemäß § 78 II VwGO iVm § 78 I Nr. 1 VwGO: Rechtsträger der den Widerspruchsbescheid erlassenden Behörde („Rechtsträgerprinzip“)

> Jedenfalls ausreichend gemäß § 78 I Nr. 1 aE VwGO: „Angabe der Behörde“

> Nicht zu beanstanden: Angabe der „Bundesrepublik Deutschland“ als Klagegegner 63

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´ 2) Klagebefugnis > Voraussetzung für Zulässigkeit der Anfechtungsklage

gemäß § 42 II VwGO: Klagebefugnis > Klagebefugnis gemäß § 42 II VwGO: (+), „wenn der Kläger

geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein“

> Somit zu prüfen: Ob nicht zu rechtfertigender Eingriff in den Schutzbereich von subjektiven öffentlichen Rechten des Klägers (= „Rechten verletzt“) möglich erscheint (= „geltend macht“)

> Klagebefugnis demnach: (+), wenn Anspruch des Klägers auf - durch Widerspruchsbescheid entzogene - Begünstigung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann

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> Insoweit denkbar: Subjektives öffentliches Recht aus Sonderbeziehung, einfachgesetzlicher Vorschrift oder Grundrechten

> Nunmehr zu berücksichtigen: Vorheriger Erlass des - aufgehobenen - Subventionsbescheides, der einen begünstigenden Verwaltungsakt iSv § 48 I 2 VwVfG darstellt und ein subjektives öffentliches Recht auf darin gewährte Begünstigung vermittelt („Sonderbeziehung“)

> Jedenfalls nicht offensichtlich: Rechtmäßigkeit der Aufhebung

> Damit zumindest möglich: Anspruch des Klägers auf „Behaltendürfen“ der gewährten Begünstigung

> Somit erfolgt: „Geltendmachung“ einer „Rechtsverletzung“ durch den Verwaltungsakt iSv § 42 II VwGO

> Klagebefugnis: (+) 65

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3) Vorverfahren > Grundsätzlich vor Erhebung der Anfechtungsklage

notwendig gemäß § 68 I 1 VwGO: Erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens

> Insoweit bei „Klagen aus dem Beamtenverhältnis“ gemäß § 126 II 1 BBG stets erforderlich: Widerspruchsverfahren

> Indes zu bedenken: Ausnahme in § 68 I 2 Nr. 2 VwGO für den Fall, dass „der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält“

> Damit entbehrlich: Erneutes Vorverfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheides

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4) Klagefrist > Voraussetzung für Zulässigkeit der Anfechtungsklage:

Einhaltung der in § 74 VwGO normierten Klagefrist > Gemäß § 74 I 1 VwGO grundsätzlich maßgeblich:

Einmonatige Klagefrist ab Zustellung des Widerspruchsbescheids

> Gewahrt: Klagefrist > Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen: (+) > Sachentscheidungsvoraussetzungen: (+)

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B) Begründetheit > Hilfreich für Begründetheit der Anfechtungsklage gegen

Widerspruchsbescheid: § 115 VwGO iVm § 113 I 1 VwGO > Daraus folgender Obersatz: Die Anfechtungsklage ist begründet,

soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist

I) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes > Begründetheit der Anfechtungsklage: (-), soweit der

Widerspruchsbescheid sich als rechtmäßig erweist > Zu prüfen für Rechtmäßigkeit belastender Verwaltungsakte

(„Vorbehalt des Gesetzes“): Ob der Verwaltungsakt auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruht, die formellen wie materiellen Voraussetzungen für dessen Erlass gegeben sind und sich das behördliche Handeln innerhalb der von der Rechtsgrundlage vorgesehenen Rechtsfolge hält 68

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1) Rechtsgrundlage > Bereits fraglich in Fällen der Verböserung, wenn

Gegenstand der Anfechtungsklage ausschließlich der Widerspruchsbescheid ist: Rechtsgrundlage für Widerspruchsbescheid

> Insoweit zu erwägen, weil in dem Widerspruchsbescheid liegende Verböserung als - teilweise - Aufhebung des Ausgangsbescheides eingestuft werden könnte: Analoge Anwendung von § 48 VwVfG / § 49 VwVfG

> Voraussetzung für eine derartige Analogie: Planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage

> Bereits sehr zweifelhaft, weil in § 50 VwVfG unmittelbar Regelungen zur „Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren“ enthalten sind: Planwidrige Regelungslücke 69

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> Jedenfalls abzulehnen: Vergleichbare Interessenlage > Keinesfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, das

gemäß § 68 I 1 VwGO der Überprüfung des Ausgangsbescheids auf „Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ dient: Aufhebung von Verwaltungsakten

> Stattdessen beabsichtigt: Kontrolle der Entscheidung der Ausgangsbehörde durch eine im Verfahren hinzutretende Widerspruchsbehörde

> In Fällen der „reformatio in peius“ nicht gerechtfertigt: Rückgriff auf § 48 I 2 VwVfG, demzufolge ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der - Vertrauensschutz gewährenden - § 48 II VwVfG bis § 48 IV VwVfG zurückgenommen werden

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> Nicht gleichzustellen: Adressat eines begünstigenden Verwaltungsaktes, der diese Entscheidung der Verwaltung bestandskräftig werden lässt, und Widerspruchsführer, der gegen eine ihm zu gering erscheinende Begünstigung Rechtsbehelfe einlegt und so das Verwaltungsverfahren weiterhin offen hält

> Allenfalls zu berücksichtigen: „Rechtsgrundsätze über den Vertrauensschutz und über Treu und Glauben, soweit hier ihr revisibler bundesverfassungsrechtlicher Kernbestand in Betracht kommt“ (BVerwGE 51, 310)

> Somit mangels vergleichbarer Interessenlage nicht möglich: Analoge Anwendung von § 48 VwVfG / § 49 VwVfG (hM)

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> Andernfalls drohend: Wertungswiderspruch, weil die Anwendung der § 48 VwVfG / § 49 VwVfG dazu führen, dass die „reformatio in peius“ auf Fälle beschränkt wird, in denen die Behörde den Verwaltungsakt nach Maßgabe dieser Vorschriften ohnehin zurücknehmen oder widerrufen könnte

> Vielmehr bereits in § 68 I 1 VwGO („Rechtmäßigkeit“) enthalten: Hinweis auf das anzuwendende Recht

> Nach alledem heranzuziehen für Widerspruch: Vorschriften, nach denen sich der Erlass des Ausgangsbescheides beurteilte (hM)

> Demnach gleichfalls Rechtsgrundlage für Widerspruchsbescheid: § 30 I 1 BeamtVG

> Rechtsgrundlage: (+) 72

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2) Voraussetzungen > Nunmehr zu prüfen: Vereinbarkeit des

Widerspruchsbescheides mit Voraussetzungen der Rechtsgrundlage

a) Formelle Voraussetzungen > IRd formellen Voraussetzungen zu diskutieren:

Einhaltung von Zuständigkeit, Verfahren und Form

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aa) Zuständigkeit > Regelmäßig zuständige Widerspruchsbehörde

gemäß § 73 I 2 Nr. 1 VwGO: „Die nächsthöhere Behörde“

> Wegen der in § 68 I 1 VwGO vorgesehenen Nachprüfung des Verwaltungsaktes auf „Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ anzunehmen: Umfassende Kontrollbefugnis der Widerspruchsbehörde

> Insoweit für Abhilfe bei begründetem Widerspruch in § 72 VwGO vorausgesetzt: Befugnis der Widerspruchsbehörde, den Ausgangsbescheid aufzuheben

> Zuständigkeit: (+) 74

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bb) Verfahren > IRd Verfahrens zu berücksichtigen: § 71 VwGO > Gemäß § 71 VwGO vor Erlass des

Widerspruchsbescheides geboten („soll"), sofern „die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden“ ist: Vorherige Anhörung des Betroffenen

> Über den Wortlaut hinaus in allen Fällen der „reformatio in peius“ - also nicht nur bei erstmaliger, sondern auch bei zusätzlicher Beschwer - im Regelfall notwendig: Anhörung gemäß § 71 VwGO (hM)

> Damit aus § 71 VwGO folgend: Umfassende Anhörungspflicht vor einer „reformatio in peius“ 75

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> Dazu BVerwG (NVwZ 1999, 1218): „§ 71 VwGO begründet abgesehen von atypischen Sachverhalten mit der Anordnung, eine Unterrichtung des Betroffenen über die beabsichtigte Verböserung solle vor Erlaß des Widerspruchsbescheides erfolgen, eine Pflicht zur Anhörung. Dies gilt nach der Neufassung des § 71 VwGO nicht nur für den Fall der Heranziehung neuer Tatsachen, sondern auch für die aufgrund bekannter Tatsachen erfolgende rechtliche Neubewertung.“

> Durchgeführt: Anhörung gemäß § 71 VwGO > Verfahren: (+)

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cc) Form > Offenbar gewahrt: Form iSv § 39 I 1 VwVfG > Form: (+)

> Formelle Voraussetzungen: (+) b) Materielle Voraussetzungen

> Nunmehr maßgeblich: Materielle Voraussetzungen > Nach § 68 I 1 VwGO Gegenstand der Prüfung:

„Rechtmäßigkeit“ des Ausgangsbescheides > Indes mangels „Dienstunfalls“ nach zuvor dargestellten

Maßstäben nicht erfüllt: Voraussetzungen des § 30 I 1 BeamtVG

> Damit zugleich auch belegt: Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides

> Materielle Voraussetzungen: (+) > Voraussetzungen: (+) 77

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3) Rechtsfolge > Gemäß § 68 I 1 VwGO gleichfalls von

Widerspruchsbehörde zu überprüfen: „Zweckmäßigkeit“ des Ausgangsbescheides

> Somit zulässig: Ermessensausübung durch Widerspruchsbehörde

> Folglich maßgeblich: Ermessensfehler bei Erlass des Widerspruchsbescheides

> Zu prüfen gemäß § 115 VwGO iVm § 114 S. 1 VwGO: Ermessensfehler der Behörde iSv § 40 VwVfG

> Insoweit denkbar: Ermessensausfall („hat“), Ermessensfehlgebrauch („entsprechend dem Zweck der Ermächtigung“) und Ermessensüberschreitung („gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten“)

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> An sich nicht zu beanstanden: Entscheidung zur Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes

> Bei Entzug einer zuvor gewährten Begünstigung durch Widerspruchsbehörde („reformatio in peius“) indes erwähnenswert: Ermessensüberschreitung („gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten“)

> Dafür notwendig: Verstoß gegen ermessensbegrenzenden Umstand

> Ermessensbegrenzender Umstand, weil sie gemäß Art. 1 III GG „als unmittelbar geltendes Recht“ die „vollziehende Gewalt“ binden: Grundrechte

> Gewährleistet von Art. 19 IV 1 GG, wenn „jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt“ wird: Rechtsweg („institutionelle Garantie des Rechtsschutzes“)

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> Womöglich mit Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 IV 1 GG nicht zu vereinbaren: Verböserung („reformatio in peius“)

> Insoweit zu bedenken: Dass Bürger von Einlegung seiner Rechtsbehelfe abgehalten werden kann, wenn im Widerspruchsverfahren Verböserung droht

> Ohne ausdrückliche Regelung nicht zulässig nach Dispositionsmaxime gemäß § 88 VwGO: Hinausgehen über das Klagebegehren („ne ultra petita“)

> Dem jedoch entgegenzuhalten: Dass „Rechtsweg“ iSv Art. 19 IV 1 GG den Zugang zu staatlichen Gerichten meint und damit im Widerspruchsverfahren nicht ohne Weiteres gilt

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> Vielmehr bezweckt durch Widerspruchsverfahren: Entlastung der Gerichte durch Selbstkontrolle der Verwaltung, so dass zu Gunsten anderer Rechtsschutzsuchender gerade dem Gebot effektiven Rechtsschutzes iSv Art. 19 IV 1 GG entsprochen wird

> Ferner zu beachten: Dass § 88 VwGO nur für das „Klagebegehren“ gilt, das Widerspruchsverfahren trotz seiner „Doppelnatur“ aber zunächst ein Verwaltungsverfahren darstellt

> Überdies von Bedeutung: Dass Rechtsschutzsuchender die Bestandskraft seines Verwaltungsaktes durch Einlegung des Widerspruchs selbst verhindert hat und deshalb in seinem Vertrauen nicht schutzwürdig ist

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> Da vollziehende Gewalt gemäß Art. 20 III GG an Gesetz und Recht gebunden ist („Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“), geboten: Sachlich richtige Entscheidung der Widerspruchsbehörde

> Schließlich zu berücksichtigen: Umkehrschluss („argumentum e contrario“) zu § 331 I StPO, § 358 II 1 StPO sowie § 373 II 1 StPO, nach denen eine Verböserung grundsätzlich ausgeschlossen ist, während in der VwGO in § 79 II 1 VwGO („Widerspruchsbescheid … gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer“) „reformatio in peius“ gleichsam als zulässig vorausgesetzt wird

> Nach alledem nicht als Verstoß gegen Art. 19 IV 1 GG einzustufen: Verböserung im Widerspruchsverfahren (hM)

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> Damit abzulehnen: Ermessensüberschreitung wegen Verböserung

> Nach alledem ebenfalls nicht zu beanstanden: Ermessensausübung

> Rechtmäßigkeit des Verwaltungaktes (iFd Widerspruchsbescheides): (+)

II) Ergebnis > Begründetheit: (-)

C) Ergebnis > Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben, aber Klage

unbegründet

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Zur häuslichen Nachbereitung!

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Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

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