28
für die Praxis aus der Praxis März 1999 Anregungen, Materialien und Beispiele für Mitarbeitende Evangelische Kirche von Westfalen Das Volksmissionarische Amt Röhrchenstraße 10 58452 Witten Telefon (0 23 02) 9 10 10-0 Telefax (0 23 02) 9 10 10 10 Zeitenwende – Zeitenende Werner Küstenmacher, Himmlische Bilderbögen S. 30, Claudius Verlag Zeichnung: Jals – © LCS Zeichnung: unbekannt

für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

für die Praxis

aus

derP

raxi

s

März 1999

Anregungen,Materialien undBeispiele für Mitarbeitende

Evangelische Kirche von WestfalenDas VolksmissionarischeAmtRöhrchenstraße 1058452 WittenTelefon (02302)91010-0Telefax (02302) 910 1010

Zeitenwende –Zeitenende

Werner Küstenmacher, Himmlische Bilderbögen S. 30, Claudius Verlag

Zeichnung: Jals – © LCS

Zeichnung: unbekannt

Page 2: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Editorial

Es ist eigenartig: Obwohl die äußerenZeitläufe keineswegs Anlaß geben,dem bevorstehenden Jahreswechselbesonders erwartungsvoll oder garängstlich entgegenzufiebern – dasStichwort „Jahrtausendwende“ und diemagische Zahl „2000“ lösen dennochdie unterschiedlichsten Emotionen aus.Man mag es so locker sehen wie derholländische Schriftsteller Cees Noote-boom, der „bei diesem ...Tausender diegleiche kichernde Aufregung verspürt,wie wenn der Kilometerzähler im Autoauf die 100.000 zugeht: Schuld daransind all die Nullen.“ Andere leben dembevorstehenden Jahreswechsel keines-wegs so entspannt entgegen: Für sie istdieses Datum ein Fanal für Krisen undKatastrophen kosmischen Ausmaßes.Hat nicht schon der französische SeherNostradamus vor mehreren hundertJahren für die zweite Hälfte 1999vorausgesehen, „daß vom Himmel der große König des Terrors kommenwerde?“

Für Christen besteht kein Anlaß, we-der mit kichernder Erwartung noch mitEndzeitfieber ins neue Jahr 2000 zugehen. Abgesehen davon, daß der run-de Geburtstag Jesu eh’ schon vorüberist – Jesus kam bekanntlich zwischen3 und 6 Jahren vor unserer Zeitrech-nung zur Welt – dürfen wir auch dasneue Jahr dankbar und gelassen alsannus Domini, als ein Jahr des Herrn,aus Gottes Hand nehmen.

Freilich bietet gerade dieses Jahr 1999für die christliche Gemeinde eine be-sondere Gelegenheit, über die uns vonGott geschenkte Zeit nachzudenken,sie in guter Weise zu nutzen und da-nach zu fragen, was uns als Christenjenseits von Kichern und Angst be-

gründete Hoffnung für die Zukunftgibt. Diesem Anliegen ist die vorlie-gende Praxishilfe gewidmet. Siemöchte das Thema Zeit auf vielfältigeWeise variieren und etliche – hoffent-lich hilfreiche – Anstöße für die prak-tische Gemeindearbeit vermitteln.

Die Praxishilfe gliedert sich in dreiTeile. Der erste – Annäherungen – ent-hält zumeist recht kurze Texte, die sichz.B. zum Abdruck im Gemeindebrief,als Einstieg in ein Gruppengespräch,als Anstoß zur persönlichen Besinnungoder als Zitat für Predigt und Andachtverwenden lassen. Der zweite Teil um-faßt Bibelarbeiten zu alt- und neutesta-mentlichen Texten, die dem biblischenZeitverständnis nachspüren. Die ein-zelnen Texte können über das Jahr ver-streut in Bibel- oder Hauskreisen mit-einander bedacht werden; sie könntenaber auch Grundlage für eine zusam-menhängende Gemeinde-Bibelwochesein. Die jeweiligen Bibelarbeiten ent-halten darum jeweils auch Vorschlägefür eine Gestaltung in der Gemeinde.Der dritte Teil – Konkretionen – ist zu-gleich der umfänglichste. Hier möch-ten wir für vielfältige Anlässe undunterschiedliche Zielgruppen in derGemeinde praktische Entwürfe undModelle anbieten. Natürlich eignensich nicht alle Texte für jede Gemein-desituation. Wir wünschen Ihnen, denHaupt- und Ehrenamtlichen in unsererKirche, daß Sie in diesem Heft hilf-reiche Anregungen, Beispiele undMaterialien entdecken und sie sich fürdie eigene Praxis zunutze machen.

Wir freuen uns, daß wir nach längererUnterbrechung wieder ein Heft „Ausder Praxis für die Praxis“ herausgebenkönnen. Neben der Kollegin und denKollegen des Amtes haben Pfarrerin-nen und Pfarrer aus dem Rheinlandund aus Westfalen sowie Haupt- undEhrenamtliche aus der Arbeit desCVJM-Westbundes an der Erstellungdieser Praxishilfe mitgewirkt. Ihnenallen danke ich herzlich für ihre Mitar-beit.

Witten, im Februar 1999

Pfarrer Klaus Jürgen Diehl

Leiter des Volksmissionarischen Amtesder Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW)

3

ANNÄHERUNGENZeit-Anekdoten ............................... 5Bedenkenswertes und Beherzigenswertes

Zeiten-Ende ..................................... 6 Szenarien des Weltuntergangs

Zeit-Gewinn ..................................... 7 Wie gehen wir mit gewonnener Zeit um Eine Geschichte

Zeit-Messung ................................... 8 Wie es zu unserer Zeitrechnung kam

Zeit-Verrinnen ................................ 9 Innehalten im Fluge der ZeitEine Meditation

Zeiten-Wende ................................ 10 New Age – und was daraus wurde

Zeit-Zitate ...................................... 11 Gesammelte Redensarten, Sprichwörter, Pointen, Geistesblitze, Definitionen, Aphorismen undBonmotsVon Augenblick bis Zukunft

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

B IBELARBEITENVom Rhythmus der Zeit ............... 15 Genesis 1,1.2.4a

Von der Unterschiedlichkeit der Zeit ........................................... 18 Prediger 3

Von der Vergänglichkeit der Zeit 23 Psalm 90

Von der Erfüllung der Zeit .......... 26 Markus 1, 14.15

Von der End-Zeit .......................... 28 Lukas 25, 25–33

Vom Ziel der Zeit .......................... 32 Offenbarung 20, 11–22,6

KONKRETIONEN Heute .............................................. 37Predigt über ein biblisches Wort

Erwartungsvoll leben ................... 40Wenn Hoffnungen das Leben der Christen bestimmtEntwurf für einen Gemeindekreis

Gott gab uns Atem, damit wir leben ............................. 42Was bewahrt uns vor der Falle, keine Zeit zu haben?Ratschläge für gestreßte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Mit der eigenen Zeit auskommen 44Überlegungen zum verantwortlichen Umgang mit der ZeitEntwurf für einen Gemeindekreis

Ewigkeit in die Zeit leuchte hell herein ...................................... 45Wie das Sterben von MenschenPerspektiven verändern kannEine sehr persönliche Geschichte

Ist es fünf vor zwölf? ..................... 47Wider die apokalyptische AngstmachereiEin Aufruf zur Nüchternheit

Der Globus quietscht und eiert ruhig weiter ................... 49Das magische Jahr 2000 – Endzeitängste und kichernde ErwartungMutmaßungen eines Journalisten

Jesus kommt wieder – und was dann? .............................. 51Die biblische Grundlage christlicherZukunftshoffnungEine knappe Zusammenfassungzentraler Texte des Neuen Testaments

Meine Zeit steht in Gottes Händen ................. 53Ein Gottesdienstentwurf mit kreativen Gestaltungselementen

2

für die Praxis

aus

derP

raxi

s

wird herausgegeben vom Volksmissionarischen Amt der Evangelischen Kirche von WestfalenRöhrchenstraße 10, 58452 Witten

Redaktion: Klaus Jürgen Diehl (verantwortlich), Helmut Meile

Gestaltung: WerbeDienst Westfalen

Prepress: sign:um, Witten

Druck: Steinbeck-Druck, Sprockhövel

Bildnachweis: Titelillustration: Andreas Junge; Seiten 22 und 56 oben: Werner Küstenmacher; Seite 23 und 56 unten links: Jals (Fundscheibe); Seite 31: Mort Walker.Nicht alle Rechteinhaber konnten festgestellt werden, wir bitten sie,mit uns Kontakt aufzunehmen.

Page 3: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Zeit-Anekdoten

Bedenkenswertes undBeherzigenswertes

Ein in Meditation erfahrener Mannwurde einmal gefragt, warum er trotzseiner vielen Beschäftigungen immerso gesammelt sein könne. Er sagte: „Wenn ich stehe, dann steheich. Wenn ich gehe, dann gehe ich.Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wennich esse, dann esse ich. Wenn ichspreche, dann spreche ich.“Da fielen ihm die Fragesteller insWort und sagten: „Das tun wir dochauch.“ Er aber sagte zu ihnen: „Nein,wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon;wenn ihr steht, dann lauft ihr schon;wenn ihr lauft, dann seid ihr schon amZiel.“

Der NarrEin Mann hatte einen großen Termin-kalender und sagte zu sich selbst:Nun sind alle Termine eingeschrie-ben, aber noch sind die Tagung X und die Tagung Y, die Sitzungen derSynode und des Gemeinderates nichteingeplant. Wo soll ich sie alle unter-bringen?Und er kaufte sich einen größeren Ter-minkalender mit Einteilungsmöglich-keiten der Nachtstunden, disponiertenoch einmal, schrieb alle Tagungenund Sitzungen ein und sagte zu sichselbst: Nun sei ruhig, liebe Seele, duhast alles gut eingeplant. Versäume nurnichts!Aber je weniger er versäumte, um somehr stieg er im Ansehen und wurdein den Ausschuß Q und in den Aus-schuß K gewählt, zweiter und ersterVorsitzender, Präsident, und einesTages war es dann so weit, und Gottsagte: Du Narr, diese Nacht stehst duauf meinem Terminkalender!Gottfried Hänisch

„Sie haben eine Karte für den Bum-melzug, und Sie sitzen im Expreß. Siemüssen nachzahlen!“ „Nein. Wozu?Fahren Sie langsamer, ich habe Zeit.“Jüdischer Witz

Zu allem lasse man sich Zeit, nur nichtzu den ewigen Dingen. Vertraut aufdie bayerische Volksweisheit: „Desmeiste da’ hockt ma und des wenigsteda’ rennt ma“, zu hochdeutsch: „DenNarren packt die Reisewut, indes imBett der Weise ruht“.Zu guter Letzt ein Ratschlag aus derSchweiz: Plant Eure Tage wie einStück Emmentaler Käse: Viel Festesund große Löcher für all das, was mannicht planen kann und will. Wenn Ihrdas tut, dann müßt Ihr nicht immer dieZeit suchen, sondern könnt Euch auchmal von der Zeit suchen lassen.Versucht es bitte, sonst wird’s nichtanders – und wenn’s nicht anders wird,warum dann die vielen Gedanken überdie Zeit?Karl Kraus

Eine entfernte Cousine schüttet Casa-nova ihr Herz über die Verwirrungenaus, die in Parma entstanden, als dortMitte des 18. Jahrhunderts die franzö-sische Stundenzählung eingeführt wur-de: „Wir sind unglaublich durcheinan-dergeraten. Seit drei Monaten gibt esin Parma niemanden mehr, der wüßte,wie spät es ist. Seit Gott die Welt er-schaffen hat, ist die Sonne immer einehalbe Stunde nach der dreiundzwan-zigsten untergegangen, und um dievierundzwanzigste betete man immerdas Angelus; jeder ehrbare Menschwußte, daß man zu dieser Zeit dieKerze anzündete. Jetzt kennt man sichnicht mehr aus. Die Sonne ist verrücktgeworden; jeden Tag geht sie zu eineranderen Zeit unter. Unsere Bauernwissen nicht mehr, wann sie zumMarkt kommen sollen. Man nennt daseine Regelung, aber wissen Sie wozu?Weil jetzt jedermann weiß, daß manum 12 Uhr zu Mittag ißt. SchöneRegelung! Zur Zeit der Farnese aßman, wenn man Hunger hatte, und daswar viel gescheiter.“Aus den Memoiren Casanovas

Die Chassidim, die Anhänger einer im18. Jahrhundert entstandenen religi-ösen Bewegung des osteuropäischen

Judentums, die ihre Überzeugungenbevorzugt in lebendigen Geschichtenzum Ausdruck brachten, erzählten fol-gende Episode:„Der Rabbi sah einen auf der Straßeeilen, ohne rechts und links zu schau-en. ‚Warum rennst du so?’ fragte erihn. – ‚Ich gehe meinem Erwerbnach’, antwortete der Mann. – ‚Undwoher weißt du’, fuhr der Rabbi fortzu fragen, ‚dein Erwerb laufe vor dirher, daß du ihm nachjagen mußt?Vielleicht ist er dir im Rücken, und dubrauchst nur innezuhalten, um ihm zubegegnen, du aber fliehst vor ihm.’“

„Es gab einmal eine Welt, wo allesganz langsam zuging. Eine angeneh-me, und ich möchte sagen, gesundeTrägheit beherrschte das Menschen-leben. Die Menschen gingen gewisser-maßen müßig. Was sie taten, das tatensie nachdenklich und langsam. Sie ta-ten nicht so unmenschlich viel, fühltensich auf keine Weise bewogen undverpflichtet, sich aufzureiben undabzuarbeiten. Hast und Unruhe oderübermäßige Eilfertigkeit gab es unterdiesen Menschen keine. Niemandstrengte sich sonderlich an, und ebendarum war das Leben so freundlich.Wer hart arbeiten muß oder überhauptin einem hohen Grad tätig ist, der istfür die Freude verdorben, der machtein mürrisches Gesicht, und alles, waser denkt, ist einfach und traurig.Müßiggang sei aller Laster Anfang,sagt ein altes abgegriffenes Sprich-wort. Die Menschen, von denen hierdie Rede ist, machten den Sinn diesesetwas vorlauten Sprichwortes in keinerHinsicht wahr, im Gegenteil, siewiderlegten es und entkleideten esjeglicher Bedeutung. Indem sie es sichwohl sein ließen auf einer harmlosenund zutraulichen Erde, genossen siestill ihr Sein in traumhaft schönerRuhe, und dem Laster blieben sie inso-weit gänzlich fern, als ihnen gar keinGedanke darnach kam.“Robert Walser

Die wunderbareZeitvermehrungUnd er sah eine große Menge Volkes,die Menschen taten ihm leid, und erredete zu ihnen von der unwidersteh-lichen Liebe Gottes.

54

AN

HER

UN

GEN

Page 4: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Sören Kierkegaard, der große däni-sche Theologe und Philosoph, stelltsich den Weltuntergang so vor:

In einem Theater hat der Bajazzo die Leute unterhalten, die sich köst-lich über seine Späße amüsierthaben. Der Applaus ist verklungen, da stürzt der Bajazzo noch einmalauf die Bühne zurück: „Es brennt!Es brennt! Verlaßt schleunigst dasTheater!“ ruft er in höchster Erre-gung ins Publikum. Einen Augen-blick atemlose Stille. Dann ein be-freites Gelächter. „Was hat er uns für einen Schrecken eingejagt, wodoch alles nur ein Scherz war.“

So stelle ich mir vor, daß die Weltunter dem lauten Gelächter derer untergehen wird, die das Ganze füreinen gelungenen Scherz halten.

(freie Übersetzung)

O

Zeit-Gewinn

Wie gehen wir mit gewonnener Zeit um?

Eine Geschichte

Besorgt meldeten die Engel demSchöpfer, daß die Menschen fast gänz-lich aufgehört hätten zu beten. Darauf-hin beschloß der himmlische Rat, dieUrsachen durch eine Schar von Engelnuntersuchen zu lassen.

Diese berichteten folgendes: Die Men-schen wissen um das Fehlen ihrer Ge-bete und beklagen es. Aber leider hät-ten sie trotz ihres guten Willens ein-fach keine Zeit zum Beten. Im Him-mel war man verblüfft und erleichtert:Statt des befürchteten Abfalls handeltees sich also nur um ein Zeitproblem!

Die himmlischen Räte überlegten hinund her, was zu tun sei. Einige mein-ten, man solle durch entsprechendeMaßnahmen das moderne, hektischeLeben abschaffen. Eine Gruppe schlugsogar eine Bestrafung des Menschen-geschlechtes vor: „Das wird schonseine Wirkung tun“, sagten sie undverwiesen auf die Sintflut.

Das Ei des Kolumbus aber fand einjunger Engel: Gott solle den Tag ver-längern! Zur Überraschung aller wardieser einverstanden. Er schuf eine 25. Tages-Stunde.

Im Himmel herrschte Freude: „So istGott eben“, sagte man, „er hat Ver-ständnis für seine Geschöpfe“.

Als man auf der Erde zu merken be-gann, daß der Tag eine Stunde längerdauerte, waren die Menschen verblüfftund, als sie den Grund erfuhren, vonDankbarkeit erfüllt. Erste Reaktionenwaren vielversprechend. Es werdezwar einige Zeit dauern, so hörte manaus informierten Kreisen, bis die An-passung vollzogen sei, aber dann wer-

de sich alles einspielen. Nach einerZeit vorsichtiger Zurückhaltung ließendie Bischöfe verlauten, die 25. Stundewerde als „Stunde Gottes“ in dasLeben der Menschen eingehen.

Im Himmel wich die anfängliche Freu-de bald der Ernüchterung. Wider alleErwartung kamen im Himmel nichtmehr Gebete an als bisher, und sosandte man wiederum Boten zur Erde.Diese berichteten:

Die Geschäftsleute ließen sagen, die25. Stunde – für die man sich durchauszu Dank verpflichtet sehe – habedurch die Umstellung der OrganisationKosten verursacht. Durch erhöhtenEinsatz müßten diese Kosten eingear-beitet werden. Man bitte um Verständ-nis für diese Sachzwänge.

Ein anderer Engel war bei der Ge-werkschaft. Erstaunt, aber doch höf-lich wurde er angehört. Dann erklärteman ihm, die neue Stunde entsprecheeigentlich einer längst überfälligenForderung der Gewerkschaft. Im Inter-esse der Arbeitnehmer müsse sie fürdie Erholung freigehalten werden.

In Kreisen der Intellektuellen wurdeüber die neue Stunde viel diskutiert. Ineiner viel beachteten Gesprächsrundeim Fernsehen wurde vor allem daraufhingewiesen, daß dem mündigen Bür-ger niemand vorschreiben könne, waser mit dieser Stunde zu tun habe. DieIdee der Bischöfe, sie als „StundeGottes“ im Bewußtsein der Menschenzu verankern, müsse als autoritäre Be-vormundung zurückgewiesen werden.Im übrigen sei die Untersuchung darü-ber, wie die neue Zeiteinheit entstan-den sei, nicht abgeschlossen. Naivreli-giöse Deutungen aber könnten demMenschen auf keinen Fall zugemutetwerden.

Dem Engel aber, der zu den kirch-lichen Kreisen gesandt worden war,wurde bedeutet, daß man ohnehinbete. Der Eingriff des Himmels, sosagte man, dürfe auf jeden Fall nur als ein Angebot verstanden werden, als ein Baustein der persönlichenGewissensentscheidung.

Einige gingen noch weiter und sagten,aus der Sicht der kirchlichen Basis seidie ganze Angelegenheit kritisch zu

7

Als es dann Abend wurde, sagten seineJünger: Herr, schicke diese Leute fort,es ist schon spät, sie haben keine Zeit.

Gebt ihnen doch davon, so sagte er,gebt ihnen doch von eurer Zeit!

Wir haben selber keine, fanden sie,und was wir haben, dieses wenige, wie soll das reichen für so viele?

Doch war da einer unter ihnen, derhatte wohl noch fünf Termine frei,mehr nicht, zur Not, dazu zwei Viertel-stunden.

Und Jesus nahm, mit einem Lächeln,die fünf Termine, die sie hatten, diebeiden Viertelstunden in die Hand.

Er blickte auf zum Himmel, sprach dasDankgebet und Lob, dann ließ er aus-teilen die kostbare Zeit durch seineJünger an die vielen Menschen.

Und siehe da: Es reichte nun das weni-ge für alle. Am Ende füllten sie sogarzwölf Tage voll mit dem, was übrigwar an Zeit, das war nicht wenig.

Es wird berichtet, daß sie staunten.Denn möglich ist, das sahen sie,Unmögliches bei ihm.

Lothar Zenetti

Pfarrer Hartmut Griewatz (-HG-) ist im Volksmissionarischen Amt derEKvW unter anderem verantwortlichfür die „Werkstatt Bibel“ und hat die-se Texte aufgelesen und ausgewählt.

O

Zeiten-Ende

Szenarien des Weltuntergangs

Es gibt viele Szenarien für einen künf-tigen Weltuntergang bzw. das Ende derZeit, darunter solche, die sich angeheimnisvollen Vorgängen unseresSolarsystems orientieren – wie diefolgende Geschichte zeigt.

Über das Ende dieser Welt erfahrenwir im 2. Petrusbrief (Kap. 3,12), daßam Tag Gottes „die Himmel vomFeuer zergehen und die Elemente vorHitze zerschmelzen werden“.

Charles Swindoll bemerkt dazu: Ichhabe genau dasselbe gehört wie Sieüber die superatomaren Gefechtsköpfeund die Wasserstoffbombe im drittenWeltkrieg. Aber irgendwie erklärt dasniemals, wie „die Himmel zergehen“werden, wie die Atmosphäre und dieStratosphäre vom Feuer ausgelöschtwerden!

Da dies in „den Tag des Herrn“ führensoll, hatte ich immer Vorbehalte, zuglauben, daß er das Feuerwerk desMenschen gebrauchen würde, um sei-ne Ankunft vorzubereiten. Wenn ichdiese Verse genau lese, dann beschrei-ben sie eine solche phänomenale de-struktive Kraft, daß sie unsere gesamteRüstung wie einen Feuerwerkskörperin einer Büchse erscheinen läßt. Es istunmöglich, sich den Weltuntergangauszumalen.

Doch vor kurzem stolperte ich beimLesen über einen möglichen Durch-blick. Es mag ein Hinweis dafür sein,wie der Herr diesen endgültigen Trom-petenstoß plant.

Am 9. März 1979 berichteten neun anverschiedenen Punkten des Solar-systems stationierte Satelliten simultan

ein bizarres Ereignis tief im Weltraum.Es war in der Tat die stärkste Energie-explosion, von der je berichtet wordenist.

Das Brechen der Gammastrahlen dau-erte nur ein Zehntel einer Sekunde; indiesem Moment jedoch strahlten sie soviel Energie aus wie die Sonne in3.000 Jahren. Ein Astrophysiker sagte,die erzeugte Energie war auf der Skala100 milliardenmal größer als die Ener-gieausstrahlungsnorm der Sonne.Wenn die Gamma-Ausstrahlung imMilchstraßensystem erfolgt wäre, hättesie unsere gesamte Atmosphäre in Glutgesetzt und unsere Erde wäre ver-dampft – sofort.

Aber es geht noch weiter. Die Satelli-ten waren in der Lage, den Ort der Ex-plosion festzuhalten, und zwar in einerMilchstraße, die als Nr. 49 bekanntund mit den Überresten einer SuperNova verbunden ist, von der manglaubt, daß sie vor über zehntausendJahren explodierte. Wenn ein Stern ineiner Super Nova explodiert, wird dieäußere Hülle fortgeblasen, und der in-nere Kern verdichtet sich aus eigenerSchwerkraft zu einem über 170.000mal verkleinerten „Ball“ von enormemGewicht.

So ungebildet und unwissend wir aufdiesem Gebiet auch sein mögen, wirftdies doch etwas Licht auf die Bemer-kung des Petrus, für mich viel ein-drücklicher als die Vorstellungen vomatomaren Feuerwerk durch Men-schenhand. Statt Atomkriege werdenes eher Sternenkriege sein.

aus: Heinz Schäfer (Hg), Wie in einemSpiegel, Christl. Verlagshaus Stuttgart

-HG-

6

Page 5: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

wieder auf den 1. Januar und ein Papstsetzte erst 1691 dem allgemeinenVerwirrspiel ein Ende, indem er den 1. Januar für alle festsetzte.

Auch unsere Zeitrechnung „nachChristi Geburt“ ist noch nicht so alt,wie sie erscheint. Sie wurde erst im 6. Jahrhundert „erfunden“. Dabei hatsich der römische Abt Dionysius imJahr des Herrn 532 ein wenig vertan.Die Geburt Jesu ereignete sich nichtim Jahr null – ein Jahr, das es ohnehinnicht gibt –, sondern drei bis sechsJahre zuvor. Die Jahrtausendwendeliegt also schon hinter uns.

Bernd Kreh ist Bundessekretär im CVJM-Westbundund dort für gesellschaftsbezogeneArbeit verantwortlich.

O

Zeit-Verrinnen

Innehalten im Fluge der Zeit

Eine Meditation

„Es muß ja nicht gleich sein, es hatnoch Zeit“ – wie oft sagen wir diesenSatz und schieben damit Vorhaben undPläne auf die lange Bank, die bekannt-lich „des Teufels liebstes Möbelstück“ist. Und dann wird uns mit einemMale schlagartig klar, daß die verrin-nende Zeit unwiederholbar ist, daßalles im Leben seine Zeit hat, seinenKairos. Plötzlich werden wir gewahr,wir haben Entscheidendes verpaßt;diese Gelegenheit kehrt nicht wieder,sie war einmalig. Aus und vorbei.

„Einszweidrei im Sauseschritt läuft dieZeit...“ so sagt der Volksmund, undder Psalmbeter erschrickt, wie schnellunser Leben vergeht, „als flögen wirdavon“ (Psalm 90,10). Wir können dieZeit nicht einhalten. Sie tut, was sieimmer tat: Sie verrinnt. Aber wir selbstkönnen in der Hektik unserer Tageeinhalten. So wie die Zwei auf unsererZeichnung. Erschrocken starren sie aufden immer kleiner werdenden Restihres Lebens. Was bleibt?

Solches Erschrecken kann heilsamsein. Es kann uns zu den wesentlichenFragen unseres Lebens führen: Habenwir den Boden unter den Füßen ver-loren? Zerrinnt uns unser Leben wieSand zwischen den Fingern? Was hältuns, wo sind wir geborgen, wenn wirbei all unseren Plänen nicht einmal mitSicherheit sagen können, ob wir dennächsten Tag erleben?

Ich will nicht verschweigen, daß ge-rade auch der plötzliche Tod einesnahestehenden Freundes diese Fragenneu in mir wachgerufen hat. Spontandrängte sich die Frage auf: „Warumschon jetzt? Warum so plötzlich?“.Dabei weiß ich, daß es darauf keine

Antwort gibt, die mich trösten könnte.Jedenfalls jetzt in diesem Augenblicknoch nicht.

Aber ich kann angesichts eines sol-chen Todes innehalten, mein eigenesSterbenmüssen bedenken und lernen,jeden Tag neu bewußt aus Gottes Handzu nehmen. Die Zeit, die Gott uns inseinem Erbarmen läßt, muß nicht zurvergeudeten oder vertanen Zeit ver-kommen. In der vertrauenden Hingabean den Schöpfer unseres Lebens kön-nen wir jeden Tag neu dankbar ausseiner Hand nehmen. Und wir dürfenihn bitten, daß er ihn zu einer erfülltenZeit werden läßt. Im Tun wie imLassen.

„Dieser Tag ist der erste Tag vom Restdeines Lebens“. Wohl wahr. Aber Gottkann aus diesem Rest eine gesegneteZeit werden lassen, wenn wir nuraufhören, gedankenlos durchs Lebenzu hetzen und uns vom Diktat derTermine bestimmen zu lassen.

Pfarrer Klaus Jürgen Diehl (-KJD-) ist Leiter des VolksmissionarischenAmtes der EKvW

O

9

bewerten: Die Zweckbindung der 25.Stunde zugunsten des Gebets sei engund könnte auf gar keinen Fall „vonoben“ verfügt werden, d.h. ohne ent-sprechende Meinungsbildung „vonunten“. Manche Pfarrer betonten, wiedankbar sie für die zusätzliche Zeitseien, deren sie dringend für ihre pa-storale Arbeit bedürften. Und so hatteneigentlich fast alle einen Grund, war-um die dazugewonnene Tagesstundenicht dem Gebet gewidmet sein könne.

Einige Engel aber berichteten vonMenschen, die die geschenkte Zeit wiejede andere Stunde ihres Lebens ausden Händen Gottes annahmen: für ihreAufgaben, für den Dienst an die Mit-menschen, für die Teilnahme an derheiligen Messe und – für das Gebet,für das sie jetzt noch leichter Zeitfanden als bisher.

Darüber waren die Engel freilich auchverwundert: Diejenigen, die die 25.Stunde tatsächlich in den Dienst Got-tes stellten, waren dieselben, die schonbisher genügend Zeit zum Beten ge-habt hatten.

So erkannte der himmlische Rat: DasGebet ist eine Frage der Liebe. Zeit al-lein bringt keinen Beter hervor. Dieje-nigen, die nicht beten wollen, werdenauch mit einem längeren Tag „keineZeit“ zum Beten finden. Zeit haben,genau besehen, immer nur die Lieben-den.

Daraufhin wurde beschlossen, Gott zubitten, die 25. Stunde wieder abzu-schaffen und auch die Erinnerung dar-an aus den Köpfen der Menschen zulöschen. Und so geschah es.

Andreas Laun

aus: Willi Hoffsümmer, „Geschichtenals Predigten“, Grünewald-Verlag

-HG-

O

Zeit-Messung

Wie es zu unsererZeitrechnung kam

Die alten Ägypter stellten vor mehr als sechs Jahrtausenden den ersten Kalender auf. Sie unterschieden dabeiein Sonnen- und ein Mondjahr: DieZeiträume des damals umgekehrtaufgefaßten Umlaufs der Erde um die Sonne und des zwölfmonatigenPhasenwechsels des Mondes.

Unsere heutige Zeitrechnung läßt sichauf die Römer zurückführen. Im ach-ten vorchristlichen Jahrhundert wurdevon Numa, dem Nachfolger desRomulus, das Mondjahr mit 255 Tagenzugrunde gelegt. Zur Angleichung andas Sonnenjahr (365 1/4 Tage) wurdealle zwei Jahre ein Schaltmonat von22 bzw. 23 Tagen eingefügt. Um letz-teres kümmerten sich die Priester. We-gen ihrer Willkür – gelegentlich wurdeso am Steuerjahr manipuliert – richte-ten sie eine heillose Verwirrung an.

Zu Julius Cäsars Zeit klaffte die Zeit-rechnung schon 67 Tage auseinander.Er fügte dem nächsten Jahr zweiMonate an, um die Differenz auszu-gleichen und führte den JulianischenKalender ein, der die Grundlage fürden heutigen Kalender ist.

Aber schon 50 Jahre danach war eineneue Korrektur nötig: man hatte dieSchalttage falsch angeordnet.Augustus – richtig: der von der Volks-zählung – ließ die Sache beheben.

Aber auch der Julianische Kalender ist nicht einhundertprozentig genau:das Jahr weicht 11 Minuten und 14Sekunden vom Sonnenjahr ab. Das istein Tag in jeweils 128 Jahren.

Papst Gregor ließ dies 1582 korrigie-ren, indem dem 4. Oktober der 15.

Oktober folgte. Außerdem wurde be-schlossen, daß im letzten Jahr eines je-den Jahrhunderts die Einschiebung ei-nes sogenannten Schalttages fortfällt,außer wenn das Schaltjahr des Jahr-hunderts sich durch vierhundert teilenläßt. Aber keine Sorge: Im Jahr 2000gibt es wieder den gewohnten 29.Februar!

Das Ganze nennt sich bis heute derGregorianische Kalender und ist soexakt, daß erst in 3000 Jahren einegeringfügige Korrektur nötig ist.Darüber mögen sich dann andere denKopf zerbrechen.

Nun wurde der neue Kalender nachdem Papst genannt – ein Problem fürdie Protestanten. Die stimmten erst imJahr 1700 der Sache zu. Sie warenlängst nicht die letzten. Der KantonGraubünden mußte mit Waffengewaltzur Annahme des Kalenders gezwun-gen werden – die Russen wurden erstvon Lenin mit dem gregorianischenKalender beglückt.

Auch um den Jahresanfang ging es inder Geschichte heiß her. Die altenÄgypter feierten ihn am 21. Juli, demAufgang des Sirius, die Römer am 1. März – daher auch unsere seltsamenMonatsnamen (September – der sieb-te). Im Jahr 153 v.Chr. gingen dieRömer – nicht ganz freiwillig – aufden ersten Januar, fanden aber keinebesseren Monatsnamen. Naja, wirhaben uns auch schon dran gewöhnt.

Die christliche Kirche bestand aberzunächst darauf, den Jahresbeginn anJesu Geburtstag zu begehen. Daherwurde er bis zum Jahr 354 am 6. Janu-ar gefeiert. Aber so genau wußte manes auch nicht... Der Streit ging weiter.Bis sich ein Kompromiß fand: manakzeptierte den 1. Januar und bezeich-nete ihn als Tag der BeschneidungChristi. Na also!

Bleiben noch die alten Germanen. Sie feierten den Jahresanfang mit ihrenFeinden auf der anderen Seite desLimes – also auch am 1. März. Erst765 übernahmen sie den „christlichen“Jahresbeginn. Weiter geht es mit denChristen, die 1310 die Geburt Christiauf die Wintersonnenwende verlegtenund den Tag als deutschen Neujahres-tag feierten. Die Reformation ging

8

Page 6: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Zeit-Zitate

Gesammelte Redensarten,Sprichwörter, Pointen,Geistesblitze, Definitionen,Aphorismen und Bonmots.

Von Augenblick bis Zukunft.

Das ist heute ihr Tag!Es war seine Sternstunde

Das ist nur eine Frage der ZeitMit der Zeit (nach und nach)Im Laufe der ZeitAlles zu seiner Zeit

Dem Gebot der Stunde gehorchenDer Zeit den Puls fühlenDie Zeichen der Zeit verstehenWissen, was die Uhr geschlagen hatJetzt oder nie!Zur rechten Zeit am rechten Ort seinMit der Zeit gehenSeiner Zeit voraus seinIm Wettlauf mit der Zeit

Es wird langsam ZeitDas dauert ewig und drei Tagekeine Minute verlierenZeit ist GeldIn letzter MinuteEs ist fünf Minuten vor ZwölfDas wurde aber auch ZeitZeit (nicht) abnehmen, brauchen,finden, geben, gewinnen, gönnen,haben, lassen, nehmen, nützen, rauben,überschreiten, verbringen,vergleichen, vertreiben, vertrödeln,totschlagen

Sein letztes Stündlein hat geschlagenSeine Stunde ist gekommenDas Zeitliche segnenewiger Schlafewige Ruhe

In Ängsten findet manches statt,was sonst nicht stattgefunden hat.Wilhelm Busch

Auch der Zeitgeist spukt.Volker Erhardt

Während die Weisen nachgrübeln,erobern die Dummen die Festung.Serbien

Ein Rennläufer stoppte vor dem Ziel,er war seiner Zeit voraus.Werner Schneider

Ein Kind der Zeitist keine Jungfernzeugung.Volker Erhardt

Auch eine stehengebliebene Uhrkann noch zweimal am Tagdie richtige Zeit anzeigen;es kommt nur darauf an, daß manim richtigen Augenblick hinschaut.Alfred Polgar

Wenn du den Hahn einsperrst,geht die Sonne doch auf.Indien

Zeit ist eine verspielte Katze.Sie umschmeichelt einenund schlabbert die Zeit auf,wie eine Schale Milch.unbekannt

So geht die Zeit zur Ewigkeit.Inschrift auf einer Uhr

Die Zeit eilt, heilt, teilt.Inschrift an einem Haus in Augsburg

Wer Zeit hat und die Zeit läßt gleiten,der findet keine Zeit zu allen Zeiten.Sprichwort

Es ist nicht wenig Zeit, die wirzur Verfügung haben, sondern es istviel Zeit, die wir nicht nützen.Seneca

Als Gott die Zeit schuf,hat er von Eile nichts gesagt.volkstümlich

Man verliert die meiste Zeit damit,daß man Zeit gewinnen will.John Steinbeck

Wer keine Zeit für andere hat,ist ärmer als ein Bettler.Nepal

Von Zeit zu Zeit ein Haar;so wird das Haupt kahl.Sprichwort

Der Bruchteil einer Sekunde ist dieZeitspanne zwischen dem Aufleuchtendes grünen Lichtes und dem Beginndes Hupkonzertes hinter dir.unbekannt

Ewig hält der Himmel die Kokosnußnicht am Baum.Afrika

Man kann in einem Augenblick mehrzerstücken, als man in einem Jahrkann flicken.Sprichwort

Der Irrtum eines Augenblicks kann zurSorge eines ganzen Lebens werden.China

Einen versäumten Augenblick bringt kein Wunsch zurück.Sprichwort

Nimm dir Zeitund nicht mein Leben.Slogan zur Verkehrssicherheit(Anzeige in Verbindung mit einemKinderfoto)

Es kommt auf die Sekunde an ...Schlagertext

Minuten braucht man, um auf einenTurm zu steigen, aber nur Sekunden,um herabzufallen.Sprichwort

Ein Jetzt ist besser als zwei Dann.Sprichwort

Frage nicht, was das Geschick Morgen will beschließen; Unser ist der Augenblick,laß uns den genießen.Friedrich Rückert

Minder lang manchmalErschien mir ein Monat,Als die halbe NachtHeißen Begehrens.Wilhelm Jordan

11

Zeiten-Wende

New Age – und was daraus wurde

„Harmonie und Recht und Klarheit,Sympathie und Licht und Wahrheit.Niemand wird die Freiheit knebeln,niemand mehr den Geist umnebeln.Mystik wird uns Einsicht schenken undder Mensch lernt wieder denken, dankdem Wassermann ...“

Dieser Song aus dem Musical „Hair“war der erste Lautsprecher der New-Age-Bewegung. Er drückt Grundge-danken aus: Im Zeitalter des Wasser-manns gewinnt der menschliche Geisteine neue Freiheit. Das Musical Hairverortete das Neue Zeitalter in derHippie-Bewegung der 60er Jahre. Auf-stand gegen etablierte Bürgerlichkeitin Verbindung mit Selbsterfahrungdurch bewußtseinserweiternde Drogensowie kommunitäre Lebensstile warenElemente eines gelebten New Age derersten Generation.

New Age war eine Bewegung, die inreligiöser, naturwissenschaftlicher,psychologischer und musikalischerAusprägung unser Leben bis heuteberührt. Diese Bewegung hat keineklaren Strukturen entwickelt, sondernGedankengebäude hinterlassen mitdem verlockenden Begriffsangebot der„Harmonie mit dem Kosmos“.

Fritjof Capra, der bekannteste Schrift-steller des New Age, bezog sich aufden griechischen Philosophen Plato,nach dessen astrologischem Kalender– laut Capra – am 5. Februar 1962 dasZeitalter des Fisches endete und dasZeitalter des Wassermanns begann.War das alte Zeitalter von Krisen undGegensätzen geprägt – wie Krieg,Hunger, Umweltzerstörung undVereinsamung, so versprach das neue Zeitalter die Aufhebung der

Gegensätze hin zu einer friedlichen,gerechten und im Einklang mit derNatur lebenden Welt. New Age brach-te mit sich ein „New Thinking“, einneues Denken, das sich vom reinenRationalismus und Materialismusabwendet und einer ganzheitlichenbzw. vernetzten Sicht der WirklichkeitRaum gab, in der auch Mystik, Eso-terik und Magie ihren Platz fanden.

In religiöser Hinsicht war New Ageein synkretistischer Ansatz, der leichtdie verschiedensten religiösen Vorstel-lungen vereinnahmen konnte. Deshalbist die New-Age-Bewegung oft alsGnosis des zwanzigsten Jahrhundertsbezeichnet worden. Zum Beispiel wardas biblische Symbol des Regen-bogens (1. Mose 9) auch in der New-Age-Bewegung beliebt, jedoch nichtals Zeichen des Bundes Gottes mit derSchöpfung, sondern als Zeichen derVerbundenheit des Menschen mit derNatur. Das religiöse Ziel des New Agewar Erleuchtung im Sinne eines inne-ren Verstehens des Kosmos („MutterErde“). Gott war für Capra „dieSelbstorganisations-Dynamik desganzen Universums“. Unter demMantel der Selbstfindung sollte derMensch zu beständiger Erweiterungdes eigenen Bewußtseins streben, umhöhere Stufen der Erkenntnis zu errei-chen. Das Individuum war auf demWeg zur vollkommenen Emanzipation.Erlösung wurde verstanden als Lebenim Einklang mit dem Kosmos.

Es liegt auf der Hand, daß – bei allemSynkretismus – eine auf das Erlö-sungswerk Christi am Kreuz fußendeLehre der christlichen Kirchen hier nuram Rande eine Rolle spielen konnte.Auch störte ein transzendenter, derSchöpfung gegenüberstehender Gott,wie ihn die Bibel bezeugt, im Weltbilddes New Age mehr, als es eine imma-nente Gottesvorstellung tat. Leichterzu integrieren waren hingegen Medi-tationstechniken aller Art, die natur-verbundene Spiritualität indianischenUrsprungs oder das bekannte Yin-Yang-Zeichen.

Tatsächlich redet heute kaum noch je-mand von New Age. Die Welt aber hatsich trotzdem sehr verändert seit 1962– und vieles scheint den New-Age-Propheten recht zu geben. Kein Zwei-fel, daß unser ökologisches Bewußt-

sein in den letzten 30 Jahren Quanten-sprünge vollzogen hat. Kein Zweifel,daß unsere rationale Weltsicht inzwi-schen durch Engel und Teufel, Baum-geister und Schamanen merklich bun-ter geworden ist. Kein Zweifel, daßGanzheitlichkeit unser Denken prägt.Kein Zweifel, daß Spiritualität undMeditationstechniken unser Lebenbereichern – und es auch der Kirchegut tut, sich auf die eigenen geistlichenQuellen zu besinnen. Kein Zweifelschließlich, daß die meisten Menschenauf dieser Welt ein Leben in Harmoniemit dem Kosmos als ein erstrebens-wertes Ziel bezeichnen würden.

Nur mit dem New Age bringt daskaum noch jemand in Beziehung.

Aber vielleicht ist das neue Zeitalter jadoch angebrochen? Nicht in den Ster-nen, wohl aber in unseren Herzen, alsFolge der „guten Botschaft“, daß einLeben in Harmonie mit dem Schöpferund dem Geschenk seiner Versöhnungin Jesus Christus ermöglicht.

Pfarrer z.A. Michael Brandt arbeitet im Volksmissionarischen Amtder EKvW und ist dort unter anderemfür die Glaubenskursarbeit verant-wortlich.

O

10

Page 7: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Was für die Ewigkeit sein soll,das darf man nichtmit Wasserfarbe schreiben.Sprichwort

Die Unendlichkeit und das Ewigeist das einzig Gewisse.Sören Kierkegaard

Ein Tag der sagt dem andern,Mein Leben sei ein WandernZur großen Ewigkeit.O Ewigkeit, so schöne,Mein Herz an dich gewöhne!Mein Heim ist nicht in dieser Zeit.Gerhard Tersteegen

Es ist nur einer ewigund an allen Enden.Und wir in seinen Händen.Matthias Claudius

Pfarrer Helmut Meile ist im Volksmissionarischen Amt derEKvW für den WerbeDienst Westfalenverantwortlich.

O

13

Manche Menschen könnenin einer Stunde länger dableibenals andere in einer Woche.Willian Dean Howells

Man kann in einer Stunde mehr Guteswünschen als in hundert Jahren tun.Sprichwort

Heile, heile Segen, morgengibt es Regen, übermorgen Schnee,da tuts nicht mehr weh.Kinderreim

Drum prüfe ewig, wer sich bindet,ob sich nicht doch was Bessres findet.volkstümliche Vewrballhornung eines Zitates aus „Die Glocke“ von Friedrich Schiller

Impotente Dichter haben mehr Zeit,Liebeslyrik zu schreiben.Gabriel Laub

Die Sitten haben sich verfeinert:Zeit wird nicht mehr totgeschlagen,sie wird vermarktet.Volker Erhardt

Erst als es dunkel wurde,ging ihnen ein Licht auf.Wolfgang Eschker

Wenn die Stunde hin,weiß man ihren Sinn.Sprichwort

Es ist das Vorrecht der JugendFehler zu begehen,denn sie hat genug Zeitsie zu korrigieren.Ernst Barlach

Es ist bezeichnend,daß es Zeitnehmer gibt,aber keine Zeitgeber.Hellmut Walters

Man muß der Zeit auf die Finger sehen,damit sie nicht wieder blutig werden.Friedrich Sieburg

Die Zeit ist schlecht?Du bist da,sie besser zu machen.Thomas Carlyle

Die Zeit ist nicht schlecht, aber die Leute.Sprichwort

Je ärmer die Zeit, je leichtsinniger die Leute.Sprichwort.

Andere Zeit – andere Leute.Sprichwort

Manche wollen diese ZeitenWie den Winter überstehnDoch wir müssen SchwierigkeitenBestehn! Bestehn! Bestehn!Wolf Biermann

Viele Gedenkminutenwären zu verhinderndurch Denkminuten.Hoimar von Ditfurth

Die Zeit entstelltAlle Lebewesen.Ein Hund bellt,Er kann nicht lesen.Joachim Ringelnatz

Wer mit der Zeit geht,ist rasch zu Ende.Elazar Benyoetz

Es ist Winter,aber die Knospen wissen mehr.unbekannt

Die Zeit ist Gottes Art,Kredit zu geben.Ralf Boller

Zukunft stellt sich ein,wo immer Abschied genommen wird.Elazar Benyoetz

Der beste Prediger ist die Zeit.Sprichwort

Laß dir Zeit und iß Brot dazu.Sprichwort

Wer nicht kommt zur rechten Zeit,der muß sehn, was übrigbleibt.volkstümlich

Zur richtigen Zeitein Schluck Wasserist besser als ein Glas Weinzur falschen Zeit.Sprichwort

Ihn, der aus jeglichem Tagsein Glück holt,ihn allein nurpreis’ ich glücklich.Euripides

Verbringe nicht die Zeit mit der Suchenach einem Hindernis,vielleicht ist keines da.Franz Kafka

Sie suchen früh und spatdas Bittere im Kelche:Wer keine Plage hat, der macht sich welche!August von Kotzebue

Oh Menschenherz, was ist deinGlück?Ein rätselhaft geborner,kaum gegrüßt, verlorner, undunwiederholter Augenblick!Nikolaus Lenau

Stunden geben immer Stunden,Wer hat doch die Qual erfunden?Hans Cornelius

Die Welt zerdacht.Und was die Menschheit wob undwog,Funktion nur von Unendlichkeiten -die Mythe log.Gottfried Benn

Unser Gott, der ist lebendig,und in seiner Himmelshalleexistieret er drauflosdurch die Ewigkeit alle.Heinrich Heine

Die Zeit ist grau gewordenDie Zeit ist fahl und wild,Angstnot will überborden,es winkt kein Gottesbild.Gertrud von le Fort

Nichts, das mich verdroß!Nichts, das mich freute!Niederrinntein schmerzloses Heute!Conrad Ferdinand Meyer

Die Zeit ist die Larve der Ewigkeit.Jean Paul

Zeit ist wie Ewigkeitund Ewigkeit wie Zeit,wo du nur selber nichtmachst einen Unterschied.Angelus Silesius

Selbst ein leises Augenzwinkernzuckt durch alle Ewigkeit.Wilhelm Busch

12

Page 8: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Vom Rhythmusder Zeit

Genesis 1,1–2,4a

„Zeit ist Geld“ – das war der Satz, denich als ersten zu hören bekam, wennich die Menschen in meiner Umge-bung ansprach und sie aufforderte, ein-mal spontan zu sagen, was ihnen beimWort „Zeit“ einfällt.

Immer wieder fiel dieser Satz, dermich dann auch mehr und mehr auf-merken ließ.

Was hat es wohl damit auf sich? Was soll durch ihn zum Ausdruckkommen? Steht hinter dieser Aussagevielleicht etwas, was uns und unsereZeit prägt, eine Aussage über unserVerhältnis zur „Lebens-Zeit“?

Wenn Zeit Geld ist, dann ist sie auchverfügbar, dann können wir damit um-gehen. Wenn Zeit Geld ist, dann ist sieauch produzierbar, so wie das Geldherstellbar und machbar ist. Mir fälltein: Ist das nicht ein Merkmal unsererZeit: Alles ist machbar und verfüg-bar!? Wir Menschen haben Macht,auch über die Zeit!?

In der Geschichte vom „KleinenPrinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry finden wir das folgendeGespräch:

„Guten Tag“, sagte der kleine Prinz,„Guten Tag“, sagte der Händler. Erhandelte mit höchst wirksamen, durst-stillenden Pillen.

Man schluckt jede Woche eine undspürt überhaupt kein Bedürfnis mehrzu trinken. „Warum verkaufst dudas?“ sagte der kleine Prinz. „Das isteine große Zeitersparnis“, sagte derHändler. „Die Sachverständigen ha-ben Berechnungen angestellt. Man

erspart dreiundfünfzig Minuten in derWoche.“

„Und was macht man mit diesen drei-undfünfzig Minuten?“ „Man machtdamit, was man will ...“ „Wenn ichdreiundfünfzig Minuten übrig hätte“,sagte der kleine Prinz, „würde ichganz gemächlich zu einem Brunnenlaufen ...“

Werfen wir einen Blick in ein Buch,das immer noch großen Anklang beijungen Menschen findet – die Ge-schichte von „Momo“. Graue Gestal-ten reden den Menschen ein, ihnenihre Zeit zu sparen, damit sie mehrZeit haben.

Doch das Gegenteil geschieht. Men-schen erheben sich zu den Herrn derZeit, aber Unmenschlichkeit ernten sieals Früchte. Haben wir vergessen, wases mit der Zeit auf sich hat, woher siekommt, wozu sie da ist und welchesihre Bestimmung ist?

Exegetische BeobachtungenDas Wort „Zeit“ kommt in demganzen Text des ersten Schöpfungsbe-richtes nicht vor, und doch spielt dieZeit in ihm eine wesentliche Rolle.Schon mit dem ersten Wort kommt siezur Sprache „Am Anfang“ (Gen. 1,1).Es gibt einen Beginn, einen Gott ge-wollten Anfang und damit einen Be-ginn aller Geschichte. Und wer dieAnfänge von Schöpfungsgeschichtenanderer Völker mit diesem ersten Satzin unserer Bibel vergleicht, wird fest-stellen, daß er einmalig ist.“ (ClausWestermann in seinem Genesis-Kom-mentar)

Er hat keine Parallelen. „Mit der Schöp-fung geht Gottes Handeln in die Zeitein; so muß die Zeit Ausdruck des Wir-kens Gottes werden. So wird hier dieSchöpfung von vornherein einer derGanzheit einer Zeit zugeordnet, die inihrem Ende auf Gott zugeht, wie sie inihrem Anfang aus Gottes Wort ersteht:die Reihe der Tage, die auf den TagGottes zugehen“ (derselbe). Somit istdie Schöpfungsgeschichte kein Mythosmehr, der außerhalb aller Zeit steht. Und damit bringt der Text zum Ausdruck:In der Schöpfung von Himmel undErde liegt der Beginn aller Geschichte.

Das erste, was Gott erschafft, ist dasLicht (Gen. 1,3), und aus dieserSchöpfung des Lichtes heraus wird dieFolge von Tagen ermöglicht. Licht undFinsternis werden geschieden, einezeitliche Scheidung also und keine vonRäumlichkeiten (Gen. 1,4+5). EinGrundrhythmus, in den alles weitereeingebettet ist, entsteht. Dieser Rhyth-mus besteht aus zwei Polen: Tag undNacht – Anfang und Ende; ein Rhyth-mus, der Gottes Schöpfung kennzeich-net und der seinen Anfang mit der Er-schaffung des Lichtes nimmt, dem hiereine besondere Position zukommt.

Die Folge sind der Rhythmus vonTag und Nacht. Bevor also die räum-lichen Gegebenheiten zum Tragenkommen, ist die Zeit da. Sie ist dieGrundordnung, die der räumlichenWelt vorangeht. Ohne Zeit keinenRaum und das Licht ist der „Stoff“,aus dem die Zeit gemacht ist. „Gotthat die Welt so geschaffen, daß dasLicht einen Vorrang hat. Gott hat dieWelt so geschaffen, daß die Finster-nis, von der nicht gesagt wird, daßsie gut sei, als Nacht eingegrenzt einnotwendiger Bestandteil des Heilswerden kann, daß Licht dem Leben,Finsternis aber dem Tod zugeordnetwird“ (Claus Westermann) Die Zeitbleibt also trotz dieser Polarität aufunerklärliche Weise an das Lichtgebunden.

Am 4. Tag – in der Mitte der Schöp-fungszeit – wird die Zeit wieder zumThema, nämlich durch die Erschaffungder Gestirne: Sonne, Mond und Sterne(Gen. 1,14-19). Drei Aufgaben sollensie erfüllen:

Sie sollen trennen zwischen Tag undNacht, Zeit einteilen im Rhythmus vonTag und Nacht, sie somit zählbar ma-chen und der Zeit eine qualitativeStruktur geben.

Sie sollen Zeichen sein für besondereZeiten, Zeiten, die aus der „normalen“Zeitordnung herausragen; Zeichen fürTage und Jahre.

Sie sollen als Lampen ihre Aufgabe er-füllen, zu leuchten über die Erde.„Zwischenträger eines Lichtes zu sein,das auch ohne sie und vor ihnen dawar (Claus Westermann); darin bestehtihre Aufgabe.

1514

BIB

ELA

RB

EITE

N

Page 9: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

d) Schreiben Sie einen Brief an dieAutorin des Gedichtes und sagen ihr,wie das Gedicht auf Sie gewirkt hat.

e) Unterhalten Sie sich über den letz-ten Satz des Gedichts.

Sie können nach dem Lesen des Bibel-textes und einer kurzen Einführung dieunten wiedergegebene Skizze („DieZeit als ordnendes Element im erstenSchöpfungsbericht“) für ein Gruppen-gespräch zugrunde legen, das sich anfolgenden Fragen orientiert:

a) Wo liegen unsere Probleme hin-sichtlich unseres Umgangs mit derZeit, wenn wir bedenken, wie Gott dieZeit geordnet hat?

b) Wie erklären Sie es sich, daß wirMenschen immer wieder aus demRhythmus der von Gott vorgegebenenSpannungsbögen der Zeit ausbrechen?

c) Suchen Sie nach Argumenten bzw.Erfahrungen, die unterstreichen, daßdie von Gott für uns vorgesehene Ord-nung der Zeit gut und hilfreich ist.

Als dritten, möglichen Einstieg könnteder aus der Feder des früheren bayeri-schen Landesbischofs Johannes Han-selmann stammende Text dienen:

Es gibt den Sonntag. Gott sei Dank!

Der Sonntag mit seiner Arbeitsruhe,aber auch andere Fest- und Feierzei-ten, sind die gegebenen Gelegenhei-ten, um zu erfahren und zu feiern, daßnicht wir zuerst den Bestand und denGang der Welt und allen Lebens be-wirken und aufrechterhalten müssen.

Gepflanzt und gebaut wurde schon voruns. Gemeinsam ruhen und genießenkönnen und dürfen, entlastet und er-mutigt und zum Leben.

Verletzungen des Sonntags und Angrif-fe auf die Sonntagsruhe gefährden undverletzen deshalb die Menschlichkeit.

Der Gottesdienst am Sonntag verbin-det uns mit dem, der für uns pflanztund baut, der all unserer MitarbeitGrund und Sinn gibt.

Feiern kann, wer sich freuen kann. Im Gottesdienst erfahren wir davon,

warum wir getrost ruhen und feiernund dann auch wieder getröstet arbei-ten und schaffen dürfen.

„Dem Lob Gottes ist nichts vorzuzie-hen“ (altkirchlicher Grundsatz).

Lothar Lippert ist Pädagoge und arbeitet als wissen-schaftlicher Mitarbeiter an der Uni-versität Gießen.

O

17

Eine eigene Macht besitzen diese Ge-stirne aus der Sicht der Bibel nicht; imGegensatz zum Glauben der babyloni-schen Völker. Sie sind Geschöpfe undbleiben es auch und haben somit ledig-lich dienende Funktionen. Wie Lam-pen sind sie von Gott am Himmels-gewölbe aufgehängt.

Am Ende der Schöpfung entdeckenwir eine weitere Steigerung der The-matik Zeit im ersten Schöpfungsbe-richt: Der siebte Schöpfungstag (Gen.2,2+3). Er hebt sich von allen anderenab, in der Form und auch vom Inhalther. Der Gott, der die Welt erschaffenhat, ruht. Es gibt eine Unterscheidungzwischen der Zeit des Alltags, derArbeit und der Zeit der Ruhe. Mit ihrfindet die Schöpfung ihre Vollendungund kommt zum Ziel. Die Ruhe desSchöpfers will uns mit hineinnehmenin eine „neue“ Zeit! Eine Zeit, die un-ter seinem besonderen Segen steht,geheiligte Zeit, die „ausgesondert“ istaus der „Sechs-Tage-Zeit“. Das Zielvon Gottes Schöpfung liegt somit inder Besonderheit des siebten Tages. Erist Gottes Geschenk und Gabe an seineMenschen. Er ist ein Tag, in dem alleTage ihr Ziel haben: „Geheiligte Zeit“.Er ist der Abschluß einer Zeitganzheitvon sieben Tagen, die zusammen-gehören. In ihm kommen die Tage derArbeit zur Ruhe.

Bei unseren Beobachtungen am Textder ersten Schöpfungsgeschichte kön-nen wir sehen, daß, obwohl das WortZeit nicht ausdrücklich vorkommt, dieZeit ein grundlegendes und ordnendesElement in ihr ist. Sie bildet gewisser-maßen den Rahmen, in den die Werkeder Schöpfung eingebettet sind. DieTage 1-4-7 nehmen alle das ThemaZeit auf und sind dadurch von allenanderen Tagen unterschieden und her-vorgehoben (vgl. Skizze Seite 17).

Zur BesinnungDas zyklische Zeitdenken der damali-gen orientalischen Menschen hatte sei-nen Anhalt im immer wiederkehren-den Lauf der Gestirne. Im Gegensatzzum Denken der hebräischen Bevölke-rung. Für den biblischen Menschengibt es ein Leben in der Zeit, in Zeiten,die wechseln und die auf ein Ziel zu-gehen. Zeit ist also hier nicht in einem

Zyklus, sondern in einem Fortschrei-ten gedacht. Es gibt einen Anfang undein Ziel! Das Ziel der Schöpfungsge-schichte ist der siebte Tag, auf denoben schon kurz eingegangen wurde.

Bei genauem Hinsehen fällt auf, daßhier Gott mit seiner Arbeit aufhört, daßer den Tag segnet und aussondert. DasSchöpfungswerk segnet er hier nicht.Weiterhin fällt auf, daß der Satz: „So ward Abend und Morgen ...“ fehlt.Dieser Tag bleibt nach vorne hin offen.Ein Tag, der keinen Abschluß hat, derals Tag der Lebensfülle und im Lob-preis Gottes zum Ziel kommt. Zeit be-kommt hier plötzlich eine andere Qua-lität. Dahin ist das Volk, die GemeindeGottes unterwegs. Hier kommt siezum Ziel, und alle Zeiten gehen daraufzu. Es ist von Gott geheiligte Zeit, ander wir in unserer Lebenszeit schonAnteil haben dürfen.

Ich möchte den jüdischen Religions-philosophen Abraham J. Heschel zudiesem Thema zu Gehör bringen, derwie alle Menschen jüdischen Glaubensin dem siebten Tag den Sabbat siehtund von ihm sagt: „Der Sabbat isteine Braut und die Sabbatfeier wieeine Hochzeit“ (aus seinem Buch„Sabbat“). Danach folgt sein Blicknach vorne, der uns einen Türspalt zuGottes Reich hin öffnen soll: „DasWesen zukünftiger Welt ist ewigerSabbat, und der siebte Tag in der Zeitist eine Probe der Ewigkeit. Der siebteTag hat die Atmosphäre des siebtenHimmels und wurde als Vorgeschmackder zukünftigen Welt gegeben“ (eben-da) Er ist somit ein Zeichen der Ewig-keit.

Neben dem zielgerichteten – im Unter-schied zum zyklischen – Zeitverständ-nis bleibt für den an der Bibel orien-tierten Menschen der vom Schöpfervorgegebene Rhythmus der Zeitenverbindlich. Dabei ist der erste Span-nungsbogen der von Gott geschaffenenZeit durch den Wechsel von Licht undFinsternis bzw. Tag und Nacht vorge-geben. Der zweite Spannungsbogender Zeit ist durch die beiden PoleArbeit und Ruhe markiert. Darausfolgt, daß in dem Rhythmus von Tagund Nacht von Arbeit und Ruhe dieentscheidenden Vorgaben für einenverantwortlichen Umgang mit der Zeitliegen. Neben ausreichendem Schlaf

gehört die Zeit der Muße (Sabbat) zudem uns Menschen von Gott vorgege-benen Lebensrhythmus. So wenig wirpausenlos wach sein können, so wenigsollen wir pausenlos aktiv sein. Wassich so selbstverständlich anhört, wirdin der Lebensgestaltung doch allzuhäufig übergangen – etwa, in dem wir„die Nacht zum Tag machen“ undunausgeschlafen einen neuen Tag be-ginnen oder in dem unser Leben einGefälle zum übertriebenen Tun hinbekommt.

GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

In einem Buch, in dem hessischeSchüler ihre Gedanken niedergeschrie-ben haben, entdecke ich das nachfol-gende Gedicht der Schülerin PetraHoppe, 13. Klasse, zum Thema Zeit.Es könnte ein Einstieg in die Thematikvon Genesis 1 sein:

Die Zeit,Sie ist eine Ruine,Mit Steinen,Strotzend vor Macht.Gebälk,Sich biegend vor Trauer,Weil esSo selten gelacht.Im AugeDer steinalten MauernLiegt Hunger,Sie dürsten nach Saft,Der sie mit Leben bedecketUnd füttert mit sterbender Kraft.Sie sahen schon häufig den WechselVon Sein, von Leben und Tod;Und haben doch niemals gefürchtetDas Alte, das Neue, die Zeit.Sie ist eine Ruine,Nicht lebend und doch niemals tot.

a) Wenn Sie das Gedicht der Schülerinzum Thema Zeit lesen, was fällt Ihnenspontan dazu ein?

Nennen Sie Aussagen, die Sie nach-vollziehen können und die Ihnen etwassagen. Was ist Ihnen „frag-würdig“?

b) Welche Bilder werden mit Zeit inVerbindung gebracht?

c) Die Bilder bringen eine Sehnsuchtzum Ausdruck. Worin liegt sie nachIhrer Meinung?

16

DIE ZEIT ALS ORDNENDES ELEMENT IM ERSTEN SCHÖPFUNGSBERICHT

1. TAGErschaffung des LichtsScheidung von Licht und Finsternis

Tag Nacht

Grundlage für das Leben im „Lebenshaus“ Erde

Erschaffung der Lebewesen undÜbergabe des Lebensraumes Erdean die Lebewesen, an deren Spitze der Mensch steht

2. UND 3. TAGHimmelsfeste, Teilung des WassersEntstehung van Land und MeerEntstehung der Pflanzen

4. TAGErschaffung der Gestirne (Sonne, Mond und Sterne) als Leuchtkörper am Himmel über der Erde

5. UND 6. TAGErschaffung der Wasser-und FlugtiereErschaffung der LandtiereErschaffung der Menschen

7. TAG

Ruhetag Gottes als Vollendung der Schöpfung

AM ANFANG

IN DER

MITTE

AM ENDE

Page 10: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

nehmen“, kann dann nur heißen:erkennen, daß jetzt die Zeit da ist,etwas Bestimmtes zu tun. Immerdann, wenn man sich die geschenkteZeit nicht nimmt, weil man Zeitgewinnen möchte, geht diese Zeitverloren. Und verlorene Zeit holtniemand zurück.

Fragen:

Gott hat uns „genug“ Zeit ge-schenkt. Worin liegen die Ursachen,daß wir ständig über Zeitmangelklagen?

Gott erlaubt uns, im Heute zu leben.Was macht mir eine solche Haltungschwer? Was kann mir helfen, „gei-stesgegenwärtig“ zu leben?

Die geschenkte Zeit ist immer auchdie begrenzte Zeit. Was ändert sichdurch diese Einsicht im Umgang mitder Zeit?

Die gefüllte ZeitIm hebräischen Denken ist „Zeit“nicht ein Ding an sich. Sie geht nichteinfach wie ein eigenständiges Wesenins Land, wie wenn man einen Fadenvon einer Spule abwickelt. SondernZeit wird immer verstanden als Zeit„für etwas“. So gibt es gute Zeitenund böse Zeiten – aber so etwas wie„leere“ Zeiten sind dem alttestament-lichen Menschen undenkbar. Zeit istimmer Gelegenheit, Zeit ist dafür da,daß sich etwas ereignet! Zeit istHandlungsspielraum – für Gott undMensch!

Darum verbindet der Prediger in Ka-pitel 3 immer das Wort Zeit mit einemAspekt gelebten Lebens. Zeit will ge-lebt werden! Und nicht totgeschlagenund vertrödelt. Wer Langeweile hat,hat zwar Zeit, viel zu viel Zeit, wie ermeint, aber es ist nicht gelebte, son-dern tote Zeit, wüst und leer, verdor-bene Zeit, verpaßte Gelegenheit.Langeweile ist immer das Ergebnisvon Blindheit dem Leben gegenüber,das Gottes Geschenk an uns ist: unsereständig von Gott erneuerte Chance.Wer in der Langeweile die Zeit tot-schlägt, bringt die Zeit ums Leben, ermißhandelt die Zeit, anstatt in ihr zuhandeln.

Gott möchte uns gefüllte Zeit ge-währen. Darum ergeht der Befehl:„Kaufet die Zeit aus!“ (Eph. 5,16).Damit ist nicht gesagt, daß alle gefüll-te Zeit angenehme Zeit ist. In denvielen Gegensatzpaaren in Prediger 3wird vielmehr immer ein positivesEreignis mit einem negativen verbun-den. Das Leben verläuft gleichsamzwischen Plus und Minus. Das ist dieGrundspannung, von der es bewegtist. So gibt es im Leben den Abbruch,die Klage, das Wegwerfen, das Verlie-ren und Loslassen. In all dem übt derMensch nur ein, daß auch das Sterbeneinmal für ihn an der Zeit ist. In derschweren Zeit übt der Mensch denletzten Abbruch seines Zeltes, dasletzte Verlieren und Loslassen. Sogesehen gehört das Sterben ins Lebenhinein.

Dann aber wird erst recht begriffen,was Leben heißt: ständig umgriffenvon der gottgesetzten Grenze, vomNichtigen, von der Nicht-Existenz,kommt es jetzt erst zum Wunder desLebens! Zum Leben als Abenteuer(„Suchen hat seine Zeit“ V. 6), alsLiebesleben („Herzen hat seine Zeit“V. 5), als Kunstwerk („Bauen hat seineZeit“ V. 3), als Reichtum („Behaltenhat seine Zeit“ V. 6). Im Wechsel vonSchicksal und Schenkung webt derSchöpfer sein unbegreifliches Musterin die Lebenszeit des Menschen.(„Das alles tut Gott, daß man sich vor ihm fürchten soll“ V. 14). DieFurcht Gottes aber ehrt auch das Le-ben, das Gott gibt. Furcht Gottes undLebenskunst werden entweder mit-einander erlernt oder sie werden garnicht erlernt.

Schließlich gehört zur gefüllten Zeitauch die zukunftsträchtige Zeit: („Erhat alles schön gemacht zu seiner Zeit,auch hat er die Ewigkeit in ihr Herzgelegt“, V. 11). Was Luther hier mit„Ewigkeit“ übersetzt, meint zunächsteinmal nur die „fernste Zeit“: dasWissen um Vergangenheit und Zukunft.Weil der Zeit ihre eigene Zukunft folgt,darum leben wir nicht nur in zusam-menhanglosen Augenblicken. Darumbesteht das Leben nicht nur aus Erleb-nis-Episoden ohne Sinn und Ziel. DieZeit läuft dem entgegen, der ihr denLauf gab. Wenn sie uns dahin bringt,daß wir Gott erkennen, dann war siewirklich gefüllte Zeit.

Fragen:

Gott gibt mir mit der Zeit Gelegen-heiten, die ich ergreifen soll. Worinbesteht dabei die Freiheit, worinliegt die Verantwortung?

Inwiefern ragt das Sterben immerschon ins Leben hinein, und welcheKonsequenzen hat der Umgang mit dem Sterben für den Lebens-vollzug?

Wodurch kommt eine Linie in meinLeben, so daß mein Leben nicht nurin Episoden zerfällt?

Die unterschiedene ZeitAlles hat seine Zeit – das bedeutet: dieZeit kennt Zeiten. In der Verschieden-heit dessen, womit Gott unser Lebenfüllt, kommt die Zeit zu ihrem Plural,vermehrt sie sich. In der Vielfalt desLebens vervielfältigt sich auch dieZeit. Vielfalt wird so zur Verheißung,die Gott dem Leben mitgibt.

Der Prediger meditiert zum Beispielübers Jungsein und Altwerden (11,9-12,8). Sehr unbefangen kann er dieJugendzeit glücklich nennen und dasAlter beschwerlich – und raten, dieJugend zu genießen! Überhaupt liegtihm am Lebensgenuß! Das ist typischalttestamentlich: diese ungehemmteFreude daran, wenn Gott uns Gutesgönnt! In „gepflegter Sinnlichkeit“dankt das Geschöpf dem Schöpferdadurch, daß es die Gaben unbefangengenießt und nicht schlecht werden läßtoder (in frommer Weltverneinung)schlecht macht!

Umgekehrt wird ans Altwerden erin-nert. Genauso klar und ungeschminkt.Zum Leben gehört die Kunst, alt zuwerden. Wie soll das gemeint sein?Wird man das nicht wirklich vonselbst? Was nicht von selbst kommt,ist das Alter als Kunstwerk, als einge-brachte Ernte, als gebundenes Buch.Wer nicht früh die Jahreszeiten desLebens lernt, verpaßt die Zeit zumSäen, Reifen-lassen, Ernten und Ein-bringen der Garben. Am Ende stehteine Bauruine für das beabsichtigteKunstwerk, faules Stroh für die volleScheune, Zettelwirtschaft für das ge-bundene Buch.

19

Von der Unterschied-lichkeit der Zeit

Prediger 3

Als der alttestamentliche Weisheits-lehrer, den wir den Prediger (Kohe-let) nennen, dieses großartige Stücküber die Zeit komponierte – einStück Weltliteratur so gut wie eineseelsorgerliche Sprechstunde untervier Augen – da kannte er unsere Zeitnicht. Aber hätte er sie gekannt, dannhätte er dieses Kapitel sicher erstrecht geschrieben. Zwar weiß auch er– in der Spätzeit Israels – schon et-was von all dem eitlen, oft sinnlosen,aber um so verbissenerem Treibender Menschen auf der Jagd nachGlück. „Ich sah alles Mühen an undalles geschickte Tun: da ist nur Eifer-sucht des einen auf den anderen. Das ist eitel und Haschen nachWind“ (4,4); „Je mehr der Menschsich müht, zu suchen, desto wenigerfindet er“ (8,17); „Wer Geld liebt,wird niemals satt“ (5,9); „Er fährtdahin, wie er gekommen ist. Washilft’s ihm, daß er in den Wind ge-arbeitet hat?“ (5,15)

Aber keine Zeit der Antike, nein,wohl keine bisherige Zeit in irgend-einer Kultur überhaupt, kennt denZeit-Fetischismus, den wir in unsererüberzüchteten westlichen Zivilisa-tion pflegen. „Ich will alles, ich willalles, und zwar sofort, eh’ in mir derletzte Traum zu Staub verdorrt“,singt Gitte Henning. Das „Sofort“wird hier selber zum Konsumgegen-stand. Wo wir alles wollen, und zwarsofort, ist für nichts mehr Zeit, kannnichts mehr wachsen, nichts mehrreifen. Die seelenlose Plastik-Gesell-schaft siegt, das Leben wird zumSchnellbaukasten. Je mehr man zurgleichen Zeit erledigen will, um dieZeit zu nutzen, desto mehr läuft sieeinem weg. Je mehr Zeit man spart,

desto weniger hat man. Aber unserhektisches Bemühen um Gleichzei-tigkeit macht alle Zeiten gleich. Vor-freude wird zur sinnlosen Wartezeitund Erinnerung zur Zeitverschwen-dung.

Die Zeit läuft uns davon, wir laufenhinterher und verlieren uns dabeiselbst. Wir kennen zwar die Bestür-zung darüber, sind aber gleichzeitigauf nichts so stolz wie auf unseregaloppierende Zeit. Wer was auf sichhält, präsentiert seinen Zeitmangel.Streß wird zum Statussymbol. Zeit zu haben indes bedeutet Prestige-Verlust. Alles, was lange dauert, wirdzum Alptraum: lange Reisen, langeWartezeiten – und demnächst viel-leicht: lange dauernde Beziehungen.Wir haben aus Zeitmangel die Jeder-zeit-Zeit erfunden: Weihnachten gibt’s Osterglocken, im SommerGletscherski.

„Auch weiß der Mensch seine Zeitnicht, sondern wie Fische gefangenwerden mit dem verderblichen Netzund wie die Vögel mit dem Garn ge-fangen werden, so werden auch dieMenschen verstrickt zur bösen Zeit,wenn sie plötzlich über sie fällt“(9,12).

Die geschenkte ZeitWas wollen wir nun eigentlich sein?Zeitgemäß oder auf der Höhe der Zeit(und das vor allem rechtzeitig!) oder –zeitlos? Das wär’s eigentlich: der Zeitentnommen sein, um gerade so jeder-zeit Zeit zu haben. Indem wir aber aufdiese Weise zu etwas kommen wollen,was uns nicht zukommt, nämlich zeit-los, geschieht das Gegenteil: die Zeitläßt uns nicht mehr los, hat uns imGriff und macht uns zu Sklaven.Immer wenn wir die Grenzen unseresGeschöpfseins mißachten, fallen wir inSklaverei und werden zu Opfern un-serer Maßlosigkeit. Weil die Zeit unshat, haben wir die Zeit nicht mehr.

Dabei nimmt uns der weise Mann ausIsrael aber nun jede Entschuldigung.Er sagt zunächst einmal, daß die Zeitda ist. Sie ist einfach vorhanden. Sowie Bäume und Tiere, Berge undFlüsse, Tag und Nacht vorhanden sind:als Schöpfungswerke und Schöpfungs-

gaben Gottes. So auch die Zeit: zuallem, was auf Erden geschieht undgeschehen soll, hat Gott die Zeit dazu-gegeben. Die Zeit ist Mitgift desSchöpfers. Wenn er das Leben gibt,dann gibt er dem Leben auch Zeit.

Aber der Satz „Ein jegliches hat seineZeit“ meint noch mehr: Gott räumtallem eine bestimmte Zeit ein! Es istbegrenzte, aber darin gerade echte underlaubte Zeit. Wenn etwas an der Zeitist, dann darf es Vorrang haben vordem Unzeitgemäßen, das sich dazwi-schenschieben will. Hier hören wir diegöttliche Erlaubnis, „heute“ zu sagen!Weil alles seine bestimmte und des-halb auch endende Zeit hat, darumsollen wir die Gegenwart nicht an dieVergangenheit oder Zukunft verratenund verkaufen. Geistesgegenwärtigwäre, wenn wir dem, was an der Zeitist, seine Zeit gönnen.

Wenn alles seine bestimmte, begrenz-te, einmalige und darum nötige Zeitvom Schöpfer zugedacht bekommt,dann heißt das ferner, daß es hier umdie erlaubte Zeit geht. Um das, wasnun wirklich dran ist. Das gilt, meintder Prediger, sogar für Haß und Liebe,Streit und Frieden. Es gibt einen Streit,der jetzt sein muß, damit die kommen-de Zeit dem Frieden zukommt. Undder Zorn, der nicht seine Zeit be-kommt, wird zum unbegrenzten, nichtendenden Haß.

Die geschenkte Zeit ist aber auch dieunverfügbare Zeit. Das macht derPrediger schon gleich am Anfang deut-lich, wenn er sagt: „Geboren werdenhat seine Zeit, sterben hat seine Zeit“(V. 2). Beides steht außerhalb der Ver-fügungsgewalt des Menschen. Er emp-fängt seine Zeit. Und so kommt auchalle Lebensplanung an eine Grenze.Diese Grenze ist Gottes schöpferlicheFreiheit. Im voraus kann ich nicht be-stimmen, was morgen und übermorgenund in zehn Jahren an der Zeit ist. Ichkann es nur empfangen. Und ich kannlernen, es anzunehmen, wenn eskommt.

Schließlich gehört zur geschenktenZeit, daß man sie sich nur nehmenkann, weil und sofern sie uns gegebenist. „Wer ist unter euch, der seinesLebens Länge eine Spanne zusetzenkönnte?“ (Mt. 6,27). „Sich Zeit

18

Page 11: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Alles hat seine Zeit,für alles, was geschieht in der

Welt,in unserem Leben,gibt es eine bestimmte Stunde.

Wir wurden nicht gefragt,ob wir geboren werden wollten.Es ist uns aufgegeben,uns hineinzuleben in die Welt,in unser Leben und die uns eigene

Bestimmung immer wiederneu zu suchen,

zu geben, was wir können,zu nehmen, was wir dürfen,zu werden, der wir sind, -um eines Tages,wenn die letzte Stunde naht,in der wir alle Lust und Last des Lebens lassen,im Rückblick auf erfüllte Jahreals leisen Trost im wunden

Herzenzu verspüren:Mein Lebenhabe ich gelebt.

Doch wirft der Todauch schon in unser Lebenseine Schatten:Mit jedem Abschied lassen wirein Stück von uns zurück;die Nacht der Trauer und der

Tränenund das Gefühl nie endenderVerlassenheitbleibt uns bisweilen nicht erspart.

Und dennoch ahnt es in uns leise,daß auch auf diese Nachtein Morgen folgt,der uns mit Licht umfängtund neuem Leben,daß Tränen trocknenund die Klagelieder wiederheiteren Gesängen weichen,daß frohe Feste unsals Gäste wiedersehenund Sinnenfreude uns zum Tanz

belebt.

Das Schönste,das es wohl in unserem Leben

gibt,sind Zeiten voller Zärtlichkeit,die Lust und Freude,in den Armen des geliebten

Menschenfür eine Weile zu versinkenund einen Hauch von Ewigkeit zuspüren,der für die Augenblickeder Verschmelzungdie Ketten der Begrenztheit

sprengt.

Und doch, wir ahnen es vollSchmerz,

daß die Nacht kühl wirdnach glückseligem Liebestaumel,daß unser Weg zurückführtin die Einsamkeit.Sie ist der Preisfür alles Liebesglück. -Die Trennung will ertragen,die Sehnsucht ausgehalten sein,das Eigene muß sich wieder sam-

meln,damit erfüllte Nähe wieder neu erlebbar werden kann.

Es gibt in unserem Lebenimmer wieder Zeiten,in denen Schweigendas Gebot der Stunde ist,um nicht mit lauten Wortenleise Töne in uns zu ersticken,und um ganz wachsam hin-

zuhören,auf das, was uns ein anderer sagt.

Wer wirklich still sein kann,spürt auch genau, wann er gefragt

ist,seine Stimme zu erheben;er weiß das rechte Wortzur rechten Zeit zu finden,das wirklich Trost und Hilfe

schenktund das wahrhaftig istim Blick auch auf sich selbst.

Es ist die bittere Wahrheit,daß kein Tag und keine Nachtvergehen,in der Krieg und Gewaltin dieser Welt zum Schweigen

kommen.Und manchmal stellt sich- im Verborgenen -die beängstigende Frage,ob wir das Grauen brauchen,weil die zerstörerischen Kräfteals dunkle Machtauch in uns selbst lebendig sind.

Doch träumt zugleich in unsdie tiefe Sehnsucht vor sich hin,daß eines TagesFrieden und Gerechtigkeitdie Welt durchdringen,daß Lieder von versöhntem Lebenin uns klingen,von Liebe und von Menschlichkeit

Christa Spilling-Nöher aus: „Jeder Augenblick zählt“, Eschbach-Verlag

21

Die unterschiedene Zeit kann manaber nicht nur als Jahreszeiten lesen,sondern auch als Gezeiten. DasGeheimnis von Prediger 3 ist dasGeheimnis von Ebbe und Flut.

Wer die Gezeiten nicht beachtet, watetim Schlamm, wo er schwimmen sollte– und treibt ab, wo er Boden unter denFüßen brauchte. Wer das Leben nichtdem Rhythmus der Gezeiten aussetzt,lebt im stehenden Gewässer, sauer-stoffarm, lagunenmodrig.

Darum ist es auch so verhängnisvoll,wenn wir immer alles gleichzeitighaben wollen, wenn es keine Unter-schiede mehr gibt, wenn Alltag Sonn-tag ist und Sonntag Alltag, wennFasten zum Feiern wird, bis das Fest schal wird, wenn nichts mehr verwahrt, sondern alles nur noch verbraucht wird, wenn es keine Vor-bereitungszeit gibt und keine Nach-besinnung. Zum Schluß sehen dannJunge schon alt aus, und Alte sindzwar runzelig, aber nicht reif. Verlobteleben ohne Vorfreude, und Scheidentut nicht mehr weh. Die Zeit, wo dieKinder klein sind, stört die Selbstent-faltung, und am Eintritt in den Ruhe-stand wird man krank. Und was dieLebensmitte ist, bleibt einem verbor-gen: zuerst lag sie noch vor einem,dann auf einmal ist sie vorbei ... DasLeben hat seine Mitte verpaßt. Dennweil man immer Angst hatte, etwas zuverpassen, hat man immer nur vor-läufig und vorbehaltlich gelebt: „Wennich erst einmal ...“ Und je vorläufigerman gelebt hat, desto mehr läuft mannachher dem Leben nach.

Die unterschiedene Zeit ist es, die demLeben Farbe gibt und Tiefe. Ton in Tonhieße hier: grau in grau. Und wer im-mer auf das Eigentliche wartet, vergißteigentlich, zu leben. Jetzt ist die ange-nehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.

Fragen:

Welche Zeiten im Leben sind unsbesonders wichtig, welche möchtenwir gerne schnell „hinter uns brin-gen“? Worin liegt dabei die eigent-liche Gefahr?

Wodurch wird das Leben zumEinerlei und wodurch bekommt dasLeben Farbe?

Wie kann ich lernen, den verschie-denen Phasen meines Lebens eineeigene Bedeutungzu geben und michin ihnen „zeitgemäß“ zu verhalten?

Pfarrer Wolfgang Vorländer ist Gemeindepfarrer in der Evangeli-schen Kirchengemeinde Denklingen/EKiR. Diese Bibelarbeit erschienzuerst in Mitarbeiterhilfe 2/88.

OGESTALTUNGSVORSCHLÄGE

Für die Erarbeitung von Prediger 3bzw. das Gespräch über diesen Bibel-text bieten sich folgende Gestaltungs-möglichkeiten an:

1. Der Text der Bibelarbeit von Wolf-gang Vorländer könnte abschnittsweisevorgelesen und die jeweils am Schlußformulierten Fragen Anstoß für dasGespräch sein.

2. Man könnte von dem sehr anschau-lichen Bild Vorländers aus demSchlußabschnitt („Das Geheimnis vonPrediger 3 ist das Geheimnis von Ebbeund Flut“) ausgehen und gemeinsamden Fragen nachspüren:

Warum wollen wir immer allesgleichzeitig haben?Warum fällt es uns so schwer, die inPrediger 3 aufgezählten Unterschied-lichkeiten des Lebens zu akzeptieren?

Wie kommt Farbe in unser Leben?3. Als Einstieg in ein gemeinsamesGespräch könnte der Bilderbogen vonTiki Küstenmacher „Alles hat seineZeit:“ (vgl. Seite 22) sein. Man könntedie Bilderfolge als Textvorlage neh-men und zunächst den Text aus demBilderbogen verlesen. Das Gesprächkönnte sich dann an einzelnen Bildernfestmachen:

Welches Bild aus dem Bilderbogenhalte ich als Veranschaulichung desTextes für besonders gelungen?Warum?

Welches Bild ärgert mich? Warum?

Allerdings eignet sich diese Vorge-hensweise eher bei jüngeren als älterenGemeindegliedern.

4. Abschluß des Gespräches überPrediger 3 könnte das Verlesen dermeditativen Gedanken von ChristaSpilling zu Prediger 3,1-8 „Alles hatseine Zeit“ (siehe nächste Seite) sein.

–KJD–

20

Alles hat seine ZeitGedanken zu Prediger 3,1-8

Page 12: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Von der Vergänglich-keit der Zeit

Psalm 90

In jüngster Zeit erleben wir eineüberraschende Renaissance von Rein-karnationslehren, die uns die Optioneiner Wiederkehr zu anderer Zeit, inanderer menschlicher Gestalt, an an-derem Ort offenhalten. Doch solchenSehnsüchten und Spekulationen zumTrotz: Wir haben nur ein einzigesLeben – ja ernster noch: wir habenjeden Augenblick unseres Lebens nurein einziges Mal. Die Zeit nimmtunser Leben unaufhörlich und unwie-derbringlich auf ihrer Bahn mit, ohneein Anhalten zu erlauben. Auf unsererLebensbahn gilt das absolute Halte-verbot; sie ist zudem eine Einbahn-straße, in der Umkehr oder Wieder-holung unmöglich sind. Kein Tag, dervergeht, wird je zurückkehren. Wirmüssen aufpassen, daß wir die Chan-cen nicht verpassen, die uns mitjedem neuen Tag gegeben sind. Denndie Zeit tut, was sie schon immer tat:sie verstreicht (Siegfried Lenz). Wiraber sind mittendrin im Strom derZeit. Nein, wir stehen nicht am Uferder Zeit, um uns aus unangreifbarerDistanz heraus ihr Dahinfließen zubeobachten und zu kommentieren.Wir fließen mit im Strom der Zeitund werden so der Unbeständigkeitund Flüchtigkeit unseres Lebens ge-wahr.

Ja, es hat den Anschein, als ob derFluß der Zeit zu einem reißendenStrom geworden ist, der die mit sichreißenden Menschen immer ruhe- undrastloser werden läßt. Wir haben keineZeit, weil uns offensichtlich kaumnoch Zeit bleibt. Von diesem Lebens-gefühl der immer schneller verfliegen-den Zeit und des unaufhaltsam nahen-den Endes her erscheinen die Aus-sagen des 90. Psalms von der Flüchtig-

keit und Vergänglichkeit unseresLebens ausgesprochen aktuell: DasLeben wie ein flüchtiger Hauch; derMensch wie eine rasch verwelkendeBlume; der Tod wie ein unbarmherzi-ges Hingemähtwerden – paßt das nichthaargenau zur Beschreibung des rast-losen, gehetzten Menschen unsererTage, der heute alles haben muß, weiles ein Morgen möglicherweise schonnicht mehr gibt?

Doch geben wir acht: Zwischen demLebensgefühl des Psalmbeters in alterZeit und dem ruhe- und rastlosenZeitgenossen unserer Tage besteht einfundamentaler Unterschied: Psalm 90ist ein Gebet, d.h. ein Mensch be-denkt sein Leben vor dem AngesichtGottes. Seine Lebensspanne von 70,80 Jahren verdampft wie ein TropfenWasser auf einem heißen Stein ange-sichts dessen, daß Gott „von Ewigkeitzu Ewigkeit“ ist. Das Bewußtsein der Todverfallenheit und die Klageüber die Vergänglichkeit und Ohn-macht des Menschen entstammennicht einer pessimistischen Weltsicht,sondern der Erkenntnis Gottes als desEwigen.

Exegetische BeobachtungenUnser Psalm läßt sich in vier Ab-schnitte gliedern, die jeweils eine auf-fallende Veränderung der Blickrich-tung markieren:

V. 1 / 2 Das zuversichtliche Bekennt-nis zum ewigen Gott

V. 3-6 Das in die Bilder seiner Zeitgefaßte Erschrecken über die Flüchtig-keit menschlichen Lebens

V. 7-12 Der Zorn Gottes über dieSchuld des Menschen als Ursache fürseine Vergänglichkeit

V. 13-17 Die Bitte um gnädige Zu-wendung Gottes als Voraussetzung füreine neue Freude am Dasein

Dreh- und Angelpunkt des gesamtenPsalms ist Vers 7: Das macht deinZorn, daß wir so vergehen und deinGrimm, daß wir so plötzlich dahinmüssen. Damit wird ein direkter Zu-sammenhang zwischen dem Todeslosdes Menschen und seiner Schuld vor

Gott hergestellt. Der Tod ist alles an-dere als das selbstverständliche Endeunseres Lebens: Er ist vielmehr diebittere Quittung für ein Leben, das denErwartungen des Schöpfers nicht ent-sprochen hat und dadurch seinen stra-fenden Zorn hervorrief. Wir würdenalso den Tod verharmlosen, wenn wirin ihm nicht auch das Gericht Gottesüber die Verkehrtheit menschlicherLebenswege erkennen und annehmenwürden. (Paulus wird später dieselbeErkenntnis mit den Worten aus-drücken: Der Tod ist der Sünde Sold –Römer 6,23). Am Widerstand Gottesgegen unsere Sünde zerbricht unseraller Leben“ (Helmut Lamparter).Allerdings äußert sich dieser ZornGottes nicht allein in der Tatsache derBegrenztheit menschlichen Lebens,sondern zugleich in seiner Vergeblich-keit: Was an diesem Leben köstlichscheint, ist doch nur vergebliche Mühe(Vers 10) Luthers vertraute Über-setzung klingt zwar versöhnlicher,entspricht aber nicht dem harten bibli-schen Wortlaut.

Menschliches Leben – nur „vergeb-liche Mühe“? Wir könnten dem unse-re menschlichen Kriterien von Glück,Erfolg und Unsterblichkeit entgegen-setzen. Zu bedenken bleibt: DerPsalmbeter legt andere als die unsvertrauten Kriterien an: Bei ihm wirddas Leben sub specie aeternitatis,also unter dem Blickwinkel der Ewig-keit Gottes bilanziert. Und da kannauch der Tüchtigste und Erfolgreich-ste in Gottes Augen nicht bestehen.Dabei ist der Beter des 90. Psalmsalles andere als nur Kulturpessimist,der das Leben schwarz in schwarzmalt und nur das Schlechte daran

2322

Page 13: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

b) in eine andere Gruppe, die Gegenar-gumente zu der These ins Feld führt;

c) und schließlich in die Zuhörer, diesich das Pro und Contra anhören, umsich anschließend ihre eigene Meinungzu bilden bzw. im Plenum erläutern,welche Argumente sie am meistenüberzeugt haben.

Um nicht zu viel Zeit zu verlieren,könnten die Pro- und Contra-Vertretersich schon frühzeitig (d.h. eine Zusam-menkunft zuvor) auf ihre Rolle vor-bereiten.

Im Anschluß an die Pro- und Contra-Diskussion könnte Psalm 90 verlesenund anhand folgender Fragen gemein-sam bedacht werden:

Teilen wir das Lebensgefühl desPsalmbeters, das unser Leben dahin-fährt wie ein Strom?

Wie beurteilen wir die Aussage desBeters, daß unser Leben vergeblicheMühe und unser vergängliches LebenAusdruck für den Zorn Gottes ist?

Wie interpretieren wir die Bitte: „Herr, lehre uns bedenken, daß wirsterben müssen, auf daß wir klugwerden? (Vers 12) Worin erweist sichdiese Klugheit?

2. Die Teilnehmerinnen und Teilneh-mer werden gebeten, einige Wochenlang in der Tageszeitung aufmerksamdie Todesanzeigen zu studieren unddabei auffallende Sprüche bzw. For-mulierungen als Resümee eines zuEnde gegangenen Lebens zu sammeln.

Natürlich kann der oder die Verant-wortliche in der Vorbereitung auf dieBibelarbeit solche Anzeigen auch sel-ber sammeln und die interessantestenbzw. auffälligsten Texte ausschneidenund auf einem Blatt zusammenstellen.

Das Gespräch darüber könnte mit derFrage eingeleitet werden:

> Welchen der hier gezogenenLebensbilanzen könnte ich aus vollemHerzen zustimmen? Welchen möchteich kräftig widersprechen?

> Was sollte einmal über meinereigenen Todesanzeige stehen?

Anschließend könnte dann Psalm 90vorgelesen und anhand der obenbereits formulierten Fragen bedachtwerden.

-KJD-

O

25

wahrnimmt (vgl. Verse 13ff). Ihnzeichnet vielmehr der Mut aus, seinLeben ins rechte Licht zu rücken unddabei vor seiner Schuld als derKrankheit zum Tode (S. Kierkegaard)nicht halt zu machen. Die Vergäng-lichkeit menschlichen Lebens ist fürihn nicht einfach der Lauf der Zeit;sie ist vielmehr ein Alarmsignal, dasuns auf die heimtückische, verbor-gene Krankheit unserer Schuld vorGott aufmerksam macht. Hier ziehteiner selbstkritisch und gründlichBilanz. Hier will einer wissen, wasam Ende bleibt. Ob es trotz nieder-schmetternder Diagnose noch Grundzur Hoffnung, zu einem zuversicht-lichen Leben gibt.

So markiert Vers 13 einen auffälligenWechsel – und das nicht nur im Blickauf die Beurteilung menschlichenLebens. Sieht sich der Beter zunächstdem zornigen Gott und seinem überden Menschen verhängten Todesurteilhilflos ausgeliefert, so überrascht dieKühnheit, mit der er jetzt eine UmkehrGottes erhofft: „Herr, kehre dich dochendlich wieder zu uns und sei deinenKnechten gnädig! Die Klage über dieFlüchtigkeit und Vergeblichkeit desLebens hatte ihren Grund in der Ab-kehr Gottes als Folge der Sünde desMenschen. Hat Gott sich aber ersteinmal vom Menschen abgewandt,dann muß sein Leben mißlingen (undwenn es äußerlich noch so glanzvollverliefe).

„Fülle uns frühe mit deiner Gnade, sowollen wir rühmen und fröhlich seinunser Leben lang (Vers 14). Gnade istdas, was dem Menschen unverdienter-maßen von Gott als Geschenk in denSchoß fällt: Gottes Zuwendung undLiebe, seine Freundlichkeit und Ge-duld können das Leben von Menschenerfüllen und sie zu neuer Zuversichtanstiften. Zwar kennt der Beter des90. Psalmes noch nicht die Hoffnungauf eine Auferstehung, auf ein gänz-lich neues Leben jenseits der Todes-grenze. Aber so viel kann er voller Zu-versicht bekennen: Unser Leben wirdBestand haben, sofern und so langeGott ihm Bestand gibt. Der Schnell-lebigkeit unserer Tage wird die Er-fahrung der durchtragenden Güte und Barmherzigkeit Gottes entgegen-gesetzt. Sie allein zählt. Sie allein istvon Dauer.

Zur Besinnung

Das Leben fliegt davon

Die Aussagen aus den Versen 3-6vom rasch verfliegenden Lebenscheint beim ersten Bedenken demLebensgefühl vieler Menschen exaktzu entsprechen. Empfinden wir esnicht auch, daß das Leben dahin rastund uns kaum noch Zeit bleibt: „Ichhabe keine Zeit?!“ Doch beim nähe-ren Hinsehen spüren wir: Der Beterdes 90. Psalms bedenkt menschlichesLeben in ganz anderen Relationen:Sein Bezugspunkt ist der ewige Gott.Sub specie aeternitatis schnurrt einmenschliches Leben auf einenAugenblick, einen Wimpernschlagzusammen. Aber können und wollenwir unser Leben überhaupt unterdiesem Blickwinkel bedenken? Oderversuchen wir nicht statt dessen, derBegrenztheit und Knappheit unsererZeit, ja, selbst der Vergänglichkeitund Vergeblichkeit unseres Leben zu entkommen? Wir geben uns alleMühe, das Leben zu verlängern undzu dehnen, sein definitives Endenicht gewahr zu werden. Etwa in demwir die Fiktion der „ewigen Jugend“vorgaukeln und uns gerne das Bilddes Alten, der mit 70, 80 Jahren im-mer noch „fit wie ein Turnschuh“ ist, suggerieren. Dazu paßt exakt der Werbespot einer internationalenSportartikelfirma: „Accept nolimits“.

Dazu gehört, daß wir den Tod ver-harmlosen, verdrängen oder verklären– keinesfalls aber bereit sind, ihn inseiner Unerbittlichkeit als Ausdruckdes Gerichtes Gottes über unser Lebenzu akzeptieren. Es ist ja offensichtlich,daß wir das Sterben der Menschen ausder Mitte des Lebens verbannt haben.Gestorben wird heute nicht mehr Zu-hause – es sei denn, der Tod tritt ganzplötzlich ein -, sondern in der Anony-mität und Einsamkeit eines Sterbezim-mers in der Klinik, wo technischeApparate menschliche Nähe ersetzenmüssen. Der Tod – oder genauer ge-sagt: das eigene Sterben – ist zum letz-ten Tabu einer ansonsten an ständigeTabubrüche gewohnten Gesellschaftgeworden. Darum haben die meistenMenschen vor einem richtig Angst:vorm eigenen Sterben. „Am bestenerwischt’s einen im Schlaf. Dann ist

man kurz und schmerzlos von der Büh-ne abgetreten“. In dieser Einstellungfinden sich viele wieder. Unsere Vor-fahren hingegen beteten: „Und be-wahre uns vor bösem, schnellen Tod!“Sie wollten im Sterben noch ihr Lebenordnen können, um entlastet vor Gotttreten zu können.

Was dem Leben Bestand gibt

Die Klage unseres Beters über dieFlüchtigkeit und Vergeblichkeitmenschlichen Lebens hat ihren Grundin der zornigen Abkehr Gottes vomMenschen. Hat sich Gott aber erst ein-mal vom Menschen abgewandt, dannmuß sein Leben mißlingen. Die Arbeitwird zur Plackerei. Alles, was derMensch tut oder läßt, bleibt dann letzt-lich sinnlos und hat keinen Bestand.Zweifellos sehen viele Menschen dasganz anders: „Man kann auch ohneGott ein glückliches und beständigesLeben führen.“ Ist das zu bezweifeln?Es kommt eben auf den Blickwinkelbzw. den Bezugspunkt an. Der Beterdes 90. Psalms hat in seinem Leben dieErfahrung gemacht, daß das Lebenohne Gott ständig von Frust und Flüch-tigkeit bedroht ist. Darum der Ent-schluß (Verse 13ff), sein Leben in je-dem Fall mit Gott leben zu wollen undsich seiner Zuwendung, seines Segensunbedingt vergewissern zu müssen.Ein solcher Entschluß ist die beste Vor-aussetzung dafür, daß das eigene Le-ben gelingt und dann auch durch tiefeLebenskrisen hindurch Bestand hat.Allein das Festhalten an Gottes un-verdienter Güte kann unserem LebenBeständigkeit verleihen. Das setztallerdings die Abkehr von einem Le-bensstil voraus, der ein erfülltes Lebendurch Wohlstand und Konsum bzw. einbeständiges Leben durch Leistung undErfolg zu erlangen versucht.

GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

1. Hinführung zum Thema bzw. denAussagen des 90. Psalms durch einePro und Contra-Diskussion.Die Ausgangsthese lautet: Der eigeneTod ist das letzte große Tabu in unse-rer Gesellschaft.

Die Gruppe kann sich unterteilen:a) in solche, die Argumente sammelnund vorstellen, die für die Thesesprechen;

24

Ach, wie war so reich Dein ganzes Leben

an Müh und Arbeit, Sorg und Last,

wer Dich gekannt, kann Zeugnis geben,

wie treu Du stets gewirket hast.

Schlicht und einfach war Dein Leben,

treu und fleißig Deine Hand,Ruhe hat Dir Gott gegeben,ruhe sanft und habe Dank.

Page 14: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

hat: Der Stärkere bezwingt den Star-ken. Vor Jesus muß selbst der Teufelweichen. Die Zeit des Aufatmens istgekommen.

Aber ist sie das denn wirklich? Müß-ten wir nicht an dieser Stelle unsereaus der Verkündigung Jesu gewonne-nen Überlegungen zum Kommen desReiches Gottes unterbrechen, um auf-merksam die kritischen Einwände zuregistrieren: „Ja, wo zeigt sich denndie Wirklichkeit des von Jesus ver-heißenen Reiches? Woran ist diesesReich eindeutig zu identifizieren?“

Wenn wir den Anbruch des ReichesGottes, wie Jesus ihn verkündet hat,verstehen wollen, müssen wir Ab-schied nehmen von unseren Maßstäbenvon Reich, Macht, Herrlichkeit undDurchsetzungsvermögen. Jesus möchteMenschen von Anfang an auf die totaleAndersartigkeit seines Reiches auf-merksam machen. Sein Reich beginnteben nicht mit einem großen Pauken-schlag und nicht mit einer Siegespara-de nach gewonnener Schlacht. SeinReich kommt eher auf leisen Sohlen;man muß schon genau hinhören undhinsehen, um die Zeichen dieses Rei-ches mitten in den alten Machtverhält-nissen zu entdecken. Als JohannesJesus nach dem Anbruch des ReichesGottes fragt, da bekommt er zur Ant-wort: Das Reich Gottes ist da hand-greiflich zu spüren, wo Blinde sehen,Lahme gehen, wo Zerbrochene geheilt,am Boden Zerstörte wieder aufgerich-tet und wo den Armen das Evangeliumverkündet wird (Matthäus 11,2-6).Keine spektakuläre Weltenwende also– aber doch mitten im Alten deutlicheZeichen von Gottes Herrschaft, vonseiner neuen Welt. Ob wir sie auchheute in unserer Welt zu erkennen ver-mögen? Oder sind unsere Sinne viel zusehr fixiert auf die Herrschaften undMächte der vergehenden Welt?

GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

Beim Schopf gefaßte – oder verpaßte Gelegenheiten

Das Gespräch in der Gruppe könntesich am Begriff des Kairos bzw. einesdavon abgeleiteten Bewußtseins orien-tieren. Eingeleitet werden könnte dasGespräch mit folgenden Fragen:

Wo erkenne ich Spuren Gottes in mei-nem Leben? Habe ich Momente erlebt,von denen ich heute sagen kann: Dahat Gott mich gemeint; da hat er inmein Leben eingegriffen? Was war deräußere Anstoß? Was ist dadurch andersin meinem Leben geworden?

Wo habe ich den Kairos verpaßt undwichtige Momente in meinem Lebenverstreichen lassen, ohne die sich mirbietende Möglichkeiten beim Schopfzu packen? Wann und wie ist mir be-wußt geworden, daß ich einen wich-tigen Augenblick in meinem Lebenverpaßt habe?

Wie können wir als Christinnen undChristen wach sein für den KairosGottes in unserem Leben?

Drei Aussagen für das Reich GottesDie folgenden Zitate können Anstoßfür ein Gespräch über Markus 1,14fsein. Welches dieser Zitate gibt dieeigene Einstellung über das ReichGottes am ehesten wider?

Gottesherrschaft ... meint das Regi-ment Gottes, das dem bisherigen Welt-lauf ein Ende setzt, das alles Wider-göttliche, Satanische, unter dem dieWelt jetzt seufzt, vernichtet und damit,alle Not und alles Leid beendend, dasHeil heraufführt für das Volk Gottes,das auf die Erfüllung der propheti-schen Verheißungen wartet. Das Kom-men der Gottesherrschaft ist ein wun-derbares Geschehen, das sich ohneZutun der Menschen allein von Gotther ereignet.Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1984, S. 3

Nur ja die Ohren nicht hängen lassen!Nie! Es wird regiert, nicht nur inMoskau oder in Washington oder inPeking, sondern es wird regiert, undzwar hier auf Erden, aber ganz vonoben, vom Himmel her! Gott sitzt imRegimente! Darum fürchte ich michnicht. Bleiben wir doch zuversichtlichauch in den dunkelsten Augenblicken!Lassen wir die Hoffnung nicht sinken,die Hoffnung für alle Menschen, fürdie ganze Völkerwelt! Gott läßt unsnicht fallen, keinen einzigen von unsund uns alle miteinander nicht!

Karl Barth, zitiert nach BurghardKrause, Auszug aus dem Schnecken-haus, Neukirchen-Vluyn 1996, S. 99.In diesem Buch finden sich auf denSeiten 99-105 weitere Vorschläge zumThema.

Ja, lacht nur, ihr Privilegierten undWohlbehäbigen, über den Gedankeneiner allgemeinen Reformation dermenschlichen Gesellschaft. ... Diearbeitende Klasse verachtet nicht dasChristentum, aber sie will es fürdernicht zum Monopol der Fürsten undPfaffen erniedrigt sehen, sondern er-hoben zu seiner wahren und ursprüng-lichen Bestimmung, zur Gleichheits-urkunde der Menschheit. Die arbei-tende Klasse hat das große Wort desPropheten von Nazareth: „Ich bingekommen, um den Gefangenen ihreBefreiung zu verkünden und zu erlösendie, welche unter ihren Ketten erdrücktsind!“ in einem anderen Sinn verstan-den und gewiß in einem bessern, alsall die Silbenklauber, die sich auf deut-schen Hochschulen mit der Exegeseabquälen. Oh, was haben diese Leuteaus dem Christentum und seinem Stif-ter gemacht?Johannes Scherr, 1843, zitiert ausBrigitte und Volker Kahl (Hg): Auf-gestanden gegen den Tod, Berlin 1984,S. 218

Pfarrer z.A. Michael Brandt arbeitet im Volksmissionarischen Amtder EKvW, wo er unter anderem fürdie Glaubenskurs-Arbeit verantwort-lich ist.

O

27

Von der Erfüllung der Zeit

Markus 1,14.15

Für die Auswahl des Textes warzunächst der Begriff der „erfülltenZeit“ ausschlaggebend. Im griechi-schen Text begegnet uns der BegriffKairos. Meint Kairos im Griechischenso viel wie das rechte Maß, das Ent-scheidende, den rechten Ort bzw. rich-tigen Moment, so erhält der Begriff imNeuen Testament eine theologischeFüllung: Kairos meint die entscheiden-de Stunde Gottes, der durch GottesHandeln qualifizierte Augenblick, aberauch die von Gott dem Menscheneröffnete und vom Menschen zu er-greifende Chance zum Handeln. DerKairos unterscheidet sich dabei vomChronos als der von Gott geschaffe-nen, gleichförmig dahinlaufenden Zeit,auf die der Mensch keinen Einfluß hat.

Kairos

Chronos

Wenn Jesus in Markus 1,14f den Be-ginn seiner öffentlichen Wirksamkeitals „Erfüllung der Zeit“ qualifiziert,will er damit sagen: Jetzt ist die Zeitdes Heils! Jetzt ist der Kairos Gottesfür den Anbruch von etwas totalNeuem, dem Reich Gottes, gekom-men. Jetzt heißt es aber auch: Diesevon Gott geschenkte und erfüllteHeilszeit nur ja nicht verpassen!

Exegetische BeobachtungenErst nach der Auslieferung des Johan-nes beginnt Jesu Wirksamkeit, an an-derem Ort, zu anderer Zeit, in andererWeise. Wenn Johannes der Vorbereiter

war, so ist Jesus der Vollender. Galiläaist die Heimat Jesu, Ort seines Wir-kens und Verkündigens.

Beide Verse sind Jesu Antrittsrede undProgramm. Die Ankündigung desReiches Gottes drängt auf Verwirk-lichung: Jesu Ziel ist, daß Menschendieses Reich empfangen. Jesus ver-kündet nicht sich selbst, und doch istdas Reich Gottes unauflösbar mitseiner eigenen Person verbunden. InJesus selbst – in seiner Person, seinemWort, Werk, Weg – ist das Reich Got-tes da. So wie die Spitze eines Keilssich in die Erde bohrt, so bricht mitJesus das Reich Gottes in dieser Weltein: Er macht den Anfang, doch mitihm wird zugleich einmal das Ganzefolgen. allerdings ließe es sich auchandersherum formulieren: Nicht Jesusbringt das Reich ... sondern das Reichbringt ihn mit (R. Otto).

Die Erfüllung der Zeit bedeutet einAnhalten der Zeit bzw. ein Zu-Ende-Kommen zeitlicher Abläufe (W.Grundmann). Erfüllung der Zeit istEinbruch der Ewigkeit in die Zeit(Chronos). Der Kairos ist dabei jenerZeitpunkt, an dem das Alte endet unddas Neue gilt, nämlich das ReichGottes. „Die Zeit ist erfüllt“ wäredemnach besser mit „Jetzt ist derZeitpunkt“ übersetzt.

„Das Reich Gottes ist nahegekom-men“ bedeutet: es ist da (Perfekt), alsowird nicht ein Prozeß des Kommensbeschrieben, sondern eine vollendeteTatsache. Es liegt bereit, es steht vorder Tür, es wartet um die Ecke.

Trotzdem ist das „Gekommen-Sein“von hoher Bedeutung. Nicht wir müs-sen uns auf den Weg zum Reich Gottesmachen, sondern es kommt zu uns.Wie Jesus, der seine Reden oftmalsmit „Ich bin gekommen, um ...“ ein-leitet (z.B. Mk 2,17) „Gott ist in ersterLinie der, der kommt“ (Frére John,Taizé).

Erst erfolgt die Frohe Botschaft, dann– als Folge – die Aufforderung, denSinn zu ändern. Anders als bei Johan-nes dem Täufer ist bei Jesus nicht derSinneswandel Voraussetzung für denEmpfang des Reiches, sondern derGlaube in das Gehörte. Umkehr ge-schieht im Vertrauen auf die Wahrheit

dessen, was Jesus sagt. „Ändert eurenSinn und glaubt“, das ist eine Bewe-gung, nicht ein Nacheinander ver-schiedener Schritte. Anders als Johan-nes verlangt Jesus keinen Ortswech-sel, wie die Wanderung in die Wüste,und bietet keine Taufe als Zeichendes Neuanfangs an. Er verlangt (odererbittet): Glaube. Wer nicht glaubt,wird das Reich Gottes nicht erkennen,selbst wenn es nahe ist. Anders alsJohannes sieht Jesus im Anbruch desReiches Gottes ein freudiges Ereig-nis, kein drohendes Gericht (Man ver-gleiche Markus 1,14f mit Matthäus3,2ff).

Zur BesinnungWenn wir mit den Ohren der Men-schen aus jener Zeit, als das Markus-evangelium verfaßt und im Gottes-dienst verlesen wurde, hören, sospricht hier nicht in erster Linie derhistorische Jesus. Vielmehr spricht derAuferstandene zu seiner Gemeindeund verkündigt die bleibende Nähe des Reiches Gottes.

Glaube kommt aus dem Hören derFrohen Botschaft bzw. aus dem Ver-trauen zu dem, der spricht. Bis heutegilt: Wenn wir diesen Text lesen oderpredigen, ist das Reich Gottes nochimmer nahe und wartet darauf, imGlauben von uns entdeckt zu werden.Verkündigung in der Nachfolge Jesubedeutet deshalb, Menschen in dasReich Gottes einzuladen.

Der angemessene Ausdruck des Glau-bens an dieses Reich ist die Feier, wiebei einer Hochzeit (Mk. 2,18f). DasFestmahl ist Bild und Zeichen desgöttlichen Reiches (Mk. 14,25). Weraus den Worten Jesu über das Kom-men des Reiches Gottes nicht den ju-bilierenden Klang heraushört, der hatJesus nicht wirklich verstanden: DasFest mit den Hochzeitsglocken unddem großen Festschmaus wird zumgleichnishaften Symbol für die Voll-endung des Reiches Gottes. Ebenso istdie Sündenvergebung, die Jesus zumEntsetzen der Schriftgelehrten undPharisäer praktiziert, ein freudigesAnzeichen des im Kommen begriffe-nen Reiches. Schließlich beweisenKrankenheilungen und Dämonenaus-treibungen, was die Stunde geschlagen

26

Page 15: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Bäumen im Frühling angefügt. An den aufbrechenden Knospen kann manerkennen, daß der Sommer kommt.Die Zeichen sind also wie die Knos-pen des Frühlings, die den kommen-den Sommer der Vollendung des Rei-ches Gottes ankündigen. Ein fast zupoetisches Bild, so will uns scheinen,wenn wir an die überwiegend furcht-baren Ereignisse denken, die als Zei-chen genannt werden. Und doch klingtes mit dem Ganzen zusammen. Jesusdeutet die Wirkung der Zeichen für diehoffende Gemeinde so: „Wenn aberdieses anfängt zu geschehen, so sehetauf und erhebet eure Häupter, darumdaß sich eure Erlösung naht“(Vers 28).

Kein eschatologischerFahrplanIch will an dieser Stelle die Reihe der„Zeichen“ nicht einzeln bedenken.Wichtig aber scheint mir jetzt zu sein,daß wir ihre grundsätzliche Bedeutungerkennen.

Die Worte und Bilder, die Jesus hiergebraucht, waren damals wohl be-kannt. Es gab viele der sogenanntenApokalypsen (Enthüllungen), kleineSchriften, die im Volke umliefen undeifrig gelesen und diskutiert wurden.Es handelte sich um bildreiche Schil-derungen und Berechnungen kom-mender Ereignisse. Jesus nimmt dieseBilder auf, aber indem er es tut,verändert er sie bereits in Freiheitund Vollmacht. Er nennt kommendeEreignisse, aber er gibt seiner Ge-meinde damit keinen Kalender derAbfolge und keinen Termin seinerWiederkunft an die Hand. Er gehtalso ganz anders mit diesen Bildernund Worten um. Die angekündigtenEreignisse haben nie ihre Bedeutungin sich, sondern sollen die Gemeindewachrufen zum Warten auf seinKommen und zu einem Leben, dasdieser Hoffnung entspricht. Für sichgenommen können uns die ang-ekündigten Ereignisse nur entsetzenund wohl auch in Verzweiflungtreiben. Sie bieten ja keine Zeitana-lyse an sich, sondern sollen hindeutenauf den wiederkommenden Herrn;mehr können sie nicht leisten. Wirsollen ja nicht auf sie starren, wie die Maus auf die Schlange, sondern

unsere Häupter in gewisser Hoffnungerheben.

Mit Nachdruck warnt Jesus vor demVerfahren des Berechnens. Wir sagenes uns oft, aber es ist nicht unnütz, esimmer wieder zu hören: „Von dem Tagaber und der Stunde weiß niemand,auch die Engel im Himmel nicht, auchder Sohn nicht, sondern allein derVater“ (Mk. 13,32).

So radikal ist also die Menschlichkeitdes Sohnes, daß er in den Bildern sei-ner Zeit spricht und selbst nicht Stun-de und Tag seiner Parusie kennt. Wiedemütig steht Jesus in diesem Wortvor uns und wie hochmütig sind wir inunserer Neugier immer wieder ge-wesen, wenn wir in die GeheimnisseGottes eindringen wollten. Wir wolltenklüger sein als unser Herr und mehrwissen, als er uns sagen konnte. ImGrunde haben wir uns dabei über seinKreuz geärgert – wie Petrus – undwollten ihm im voraus schon denMantel des himmlischen Königsumhängen.

Die Zeichen der Zeit also sind Signale.Sie lassen sich nicht in eine zeitlicheAbfolge bringen, die man nachrech-nen kann wie einen Fahrplan. Auchdas positive Zeichen der Verkündi-gung des Reiches zu einem Zeichenfür alle Völker dürfte sich nicht fürBerechnungen eignen. Offenbar giltder Auftrag, das Evangelium allenVölkern zu verkündigen und die Ver-heißung, daß dies ein Zeichen ist aufsEnde, für alle Zeiten der christlichenGemeinde. Diese Sendung ist einständiges Stimulans für das Leben derchristlichen Gemeinde. Wir werdenkaum analysieren können, wann derlebendige Gott dieses Ziel der Völker-mission für erreicht hält. Wir könnendie Wiederkunft Jesu nicht herbei-zwingen. Wir bleiben ständig unterder Spannung, von der Paulus bereitssprach: „Ich bin ein Schuldner derGriechen und Nichtgriechen, der Wei-sen und Nichtweisen“ (Röm. 1,14).

Naherwartung bleibt aktuellWach sollen wir sein! In jedem Augen-blick! Niemals darf der Moment ein-treten, daß wir sagen: „Unser Herrkommt noch lange nicht“, weil er nach

unserem Katalog eigentlich noch garnicht dran ist. Unser Herr kann zujeder Stunde kommen, wie wir es auchin jedem Augenblick im HeiligenGeist mit ihm zu tun haben. Die vielverspottete Naherwartung der erstenChristen war doch keine Glaubens-panne, die in bitterer Enttäuschung en-dete und darum nun nicht mehr gilt. Ge-wiß hat es in der damaligen GemeindeEnttäuschte gegeben, weil Glieder derGemeinde starben und der Herr immernoch nicht gekommen war. Sie wurdenaber durch apostolische Unterweisungund Seelsorge getröstet und zur blei-benden Hoffnung aufgerufen.

Naherwartung war immer aktuell. Ja,die Naherwartung entspricht der Bot-schaft von der Wiederkunft Jesu. Siegeht notwendig aus ihr hervor. Dieinnerste Quelle christlicher Naherwar-tung liegt ja nicht in der Berechnungvon Zeichen. Die Spannung der Na-herwartung ist begründet in der stän-digen Gemeinschaft der Christen mitihrem Herrn im Heiligen Geist. Ausdieser Freude und Erfahrung der Ge-meinschaft mit dem lebendigen Herrnist zu allen Zeiten – auch heute – dieErwartung seiner unmittelbar nahenWiederkunft erwachsen.

Keine düstere SchadenfreudeSo merkwürdig es klingt, und es sollteuns zum Staunen bringen: Unter denHänden Gottes werden aus den Dun-kelheiten, Katastrophen und Ängstendieser Erde aufgerichtete Hinweise aufden Herrn, der da kommt. Wir könnenmitten drin sein in diesen Ängsten undSchrecken, und doch dürfen sie unsnicht von Gott trennen und uns nichtin bodenlose Verzweiflung treiben. Sie sind in dieser Hinsicht entmachtet,denn „nichts kann uns scheiden vonder Liebe Gottes, die in Christus Jesusist, unserem Herrn“ (Röm. 8,39).

Das aber darf für uns keine arroganteFeststellung sein, sondern nur Dank.Hüten wir uns vor einer schier dämo-nischen Versuchung, die in der christ-lichen Gemeinde immer wieder eineRolle gespielt hat. Ich meine diesedüstere Schadenfreude am Vergehender Welt. Dieser Ton: „Da habt ihr es. Wir haben euch ja schon immer

29

Von der End-Zeit

Lukas 21,25-33

Die Krise beginnt heuteFangen wir bei der einfachen, aberwichtigen Beobachtung an, daß dieParusiereden der ersten drei Evange-lien jeweils mit einem Wort Jesu überdie Zerstörung des Tempels beginnen.Die Jünger sprechen voller Begeiste-rung von der Größe und Schönheit desTempels. Sie sind fasziniert von die-sem Bauwerk. Religiöser und nationa-ler Enthusiasmus mögen sich dabeimischen, wie es immer wieder ge-schah. Nach Lukas wollen sie Jesuszur Mitfreude an den „feinen Steinenund Kleinodien“ veranlassen. Manspürt förmlich den Spott des Evange-listen über dieses Unterfangen. Wiebetroffen muß sie da die Antwort Jesumachen: „Es wird die Zeit kommen, inder von dem allen, was ihr seht, nichtein Stein auf dem anderen gelassenwird, der nicht zerbrochen werde“(Vers 6). Daran knüpft sich dann dieAusgangsfrage der Reden von derWiederkunft Jesu an: „Meister, wannwird das sein und welches ist dasZeichen, wann das geschehen wird?“(Vers 7). Gewiß geht es hier zuerst umden Tempel in Jerusalem und umIsrael. Der ganze Jammer Gottes übersein geliebtes Volk steckt mit in die-sem Wort, und die Tränen Jesu überJerusalem sind mit in diesem Wort,und die Rettung Israels durch Gerichtund Gnade hindurch (Röm. 9,11) kün-digt sich an.

Aber die Krise, die hier angekündigtwird, reicht weit über Ort und Zeit,weit über Tempel und Jerusalem hin-aus. In Matthäus 24 fragen die Jüngernach dem Zeichen deines Kommensund gleichzeitig in einer parallelen

Formulierung nach dem Ende derWelt. Die Wiederkunft Christi und dasEnde der Welt fallen offenbar zusam-men. Die ganze gottlose und frommeWelt kommt zu ihrem Ende in derWiederkunft Christi. Alles irdischeGemäuer, ob aus Steinen oder Gedan-ken, aus frommer oder gottloserSelbstgerechtigkeit jeder Couleurkommt zum Ende. Alles, was hier„festgemauert in der Erden“ steht,auch womit wir unser Kirchesein undChristsein hier auf Erden absichernwollen, kommt zum Ende. Die ganzeirdische Gestalt unserer Theologienund Liturgien, unserer Frömmigkeits-formen, unserer politischen Prägungenund Bedingtheiten, derer wir uns jahäufig gar nicht bewußt sind, kommtzum Ende.

Halten wir diese Entdeckung fest: Mitder Ansage des Gerichtes am HauseGottes fangen die drei großen Parusie-reden an. Aber damit ist nicht nur be-schrieben, was am Tag Jesu Christisein wird, sondern die Wirkung diesesWortes beginnt schon heute. Das wirdübrigens häufig übersehen bei derAuslegung dieser großen Reden. JedesWort, das hier in der Welt von derZukunft Christi gesagt wird, hat schonjetzt seine Wirkung, wenn auch seineErfüllung noch ausstehen mag. Im 1. Petrusbrief lesen wir in diesemSinne: „Es ist Zeit, daß anfange dasGericht am Hause Gottes“ (4,17), und dieser Satz ist dort auch auf dieWiederkunft Christi bezogen.

Die Erwartung der Wiederkunft Jesuwill uns hier also schon in die heilendeKrise der Buße führen und die habenwir als einzelne Christen und als Ge-meinde Jesu Christi wahrlich nötig. Da ist keine Gruppierung innerhalbdes Protestantismus ausgenommen.

Der Ruf in die NachfolgeSo wird der Sinn dieser Reden deut-lich: Sie wollen unsere Herzen undSinne ausrichten auf den kommendenChristus, der in der Macht und Herr-lichkeit Gottes vor allen Menschensichtbar erscheinen wird. Aber dieseAnkündigung geschieht vor allem, da-mit wir nicht vom Weg der Nachfolgedes Gekreuzigten abkommen, damitwir hier im Wachen und Warten das in

Treue tun, was er uns aufgetragen hat.Alle Hoffnung auf die WiederkunftJesu, auf die neue Welt, auf das voll-endete Reich Gottes, alle Eschatologie,die nicht zum Gehorsam des Glaubensund zur Liebe hier führt, ist frommeSchwärmerei und in jeder Weise nutz-los. Darum erzählte Jesus zum Bei-spiel das Gleichnis vom treuen undklugen Haushalter in Lukas 12 mitdem Schluß: „Selig ist jener Knecht,den sein Herr in solchem Tun findet,wenn er kommt“.

Das immer wiederkehrende wachetund wartet und betet meint eben nichtein passives Dahocken und schon garnicht ein unverbindliches Rechnen undRätseln, an welchen Stationen der Zei-chen der Zeit wir nun wohl angekom-men sein könnten. Wachen und wartenheißt in Kurzfassung: Mission undDiakonie, Evangelisation und das Tunder Liebe, und beides spielt sich sehrkonkret auf dieser alten Erde ab.

Die Zeichen der ZeitAber nun die Frage nach den „Zeichender Zeit“, wie wir sie oft nennen. Ge-nauer sollten wir sagen: die Zeichen,die auf die Wiederkunft Jesu hinwei-sen. Wir nennen sie auch die Zeichender Endzeit, und manche meinen, dieEndzeit sei erst in den allerletztenZeiten vor der Wiederkunft des Herrn.Endzeit aber ist bereits seit dem erstenKommen Christi und ganz gewiß seitseiner Himmelfahrt und nicht erst amEnde vor seinem Kommen.

In den ersten drei Evangelien werdeneine Fülle dieser Zeichen genannt; inunserem Text sind nur einige aufge-führt. Lesen wir sie noch einmal, da-mit sie uns in ihrer ganzen Dramatikim Ohr klingen: „Und es werden Zei-chen geschehen an Sonne und Mondund Sternen und auf Erden wird denLeuten bange sein, und sie werdenzagen, denn das Meer und die Wasser-wogen werden brausen, und die Men-schen werden sterben vor Furcht undErwartung der Dinge, die über dieganze Erde kommen sollen, denn auchder Himmel Kräfte werden ins Wankenkommen“ (Verse 25 und 26).

Und dann wird für diese und alle ande-ren Zeichen das Gleichnis von den

28

Page 16: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

nicht zur Weltflucht und Weltverach-tung. Wer das ganze Evangelium imBlick hat, kann eigentlich nicht aufdiesen Weg geraten. Er wird seineFormulierungen, Gefühle und Hand-lungen sehr kritisch kontrollierenmüssen. Daß wir ja nicht die Art jenerJünger haben, die Feuer vom Himmelfallen lassen wollten! Hier geht es umeine wichtige Aufgabe der Heiligunggerade für den Prediger und Mitarbei-ter in der christlichen Gemeinde.Unsere Hoffnung will in Liebe sicht-bar und spürbar werden. „Das lieben-de Leiden an dieser geliebten Erde,Menschheit, Welt, ist ein Ur-Impulschristlichen Daseins!“, sagt PaulSchütz. In der Liebe bleibt die Hoff-nung der Erde treu.

Das aber ist konkret zu verstehen.Wachen und warten und handeln bis erkommt, muß in der Nachfolge desGekreuzigten bewährt werden, dieNachfolge ist die konkrete Gestalt derHoffnung! Die Hoffnung auf die Zu-kunft Jesu Christi ist vor Gott nur soviel wert, wie wir ihm hier vor Ort aufdem harten Boden der Wirklichkeitgehorsam sind und ihm an seinenMenschen dienen. Jeder von unsnehme seinen Alltag im Kleinen undGroßen, seine persönliche und öffent-liche Verantwortung, konfrontiere siemit dieser Botschaft und tue dann, wasihm aufgetragen ist.

An die Arbeit!Im Parlament eines amerikanischenBundesstaates des vorigen Jahrhun-derts geschah es: Während einer Sit-zung trat eine Sonnenfinsternis ein.Als eine Panik ausbrechen wollte, sag-te der gerade sprechende Delegierte:„Meine Herren Abgeordneten! Es gibtjetzt nur zwei Fragen mit gleichem Re-sultat in der Antwort. Entweder derHerr kommt, dann soll er uns bei derArbeit finden, oder er kommt nicht,dann besteht kein Grund, unsereArbeit zu unterbrechen.“

Es bleibt auch für uns viel zu tun!

Pfarrer Johannes Hansen war vieleJahre der Leiter des Volksmissionari-schen Amtes der EKvW.

O

GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

1. Der vorgegebene Bibeltext Lukas21,25ff. kann anhand von Fragen auf-geschlossen und miteinander bedachtwerden:

Der Text beginnt mit der Schilderungeine den Menschen Furcht einflößen-den kosmischen Katastrophe (Verse25/26). – Für wie aktuell halten wirdiese Schilderung bzw. wie schätzenwir die Zukunft des Universums ein?

Wenn alle große Angst überfällt, sollendie von Jesus angesprochenen Jüngerihre Häupter erheben (Vers 28). Stattden Kopf einzuziehen, sich zu ver-kriechen, dürften sie den Kopf obentragen. Wieso naht für Christen dieErlösung, wenn doch die Welt unter-geht und wieso konnte M. Luther vom„lieben Jüngsten Tag“ sprechen, wennJesus doch auch kommt, „zu richtendie Lebenden und die Toten“ (Credo)?

Wie kann man noch mit der nahenWiederkunft Jesu rechnen, nachdemChristen 2000 Jahre vergeblich daraufgewartet haben? Wie bleibt solcheErwartung vor Schwärmerei und Spe-kulation bewahrt?

Als Abschluß des gemeinsamenGespräches kann die Bibelarbeit vonJohannes Hansen gelesen werden.

2. Insbesondere wenn es sich um eineGruppe Jüngerer bzw. junger Erwach-sener handelt, könnte man mit demfolgenden Comic von Mort Walker dasGespräch eröffnen.

Trifft dieser Comic nicht die Situationauf den Kopf: Die Nachricht vom be-vorstehenden Weltende beunruhigtdoch niemanden. Oder erleben wir an-deres?

Wie erklären wir uns die Tatsache, daßseit Jahren Filme mit apokalyptischenEndzeit-Szenarien (wie z.B. zuletzt„Armaggedon“) stets ein Millionen-Publikum anzieht?

In einem Lied von Manfred Siebaldheißt es: Wir beten: Komm, Herr Je-sus! – und denken im stillen: Nur nichtso bald!. Warum haben auch die mei-sten Christen wenig Sehnsucht nachdem wiederkommenden Herrn? Undwie könnte sich das ändern?

Auch hier könnte zum Abschluß dieBibelarbeit von Johannes Hansen vor-gelesen werden

-KJD-

31

angedroht, wohin man kommt ohneGott“. Diese Versuchung gibt es seitdamals, als die Jünger Jesu Feuervom Himmel fallen lassen wolltenüber die Stadt der Samaritaner, die ihnen die Gastfreundschaft ver-weigerte, und Jesus wehrte sie ab: „Wisset ihr nicht, welches GeistesKinder ihr seid? Des Menschen Sohnist nicht gekommen, der MenschenSeelen zu verderben, sondern zuerhalten“ (Lk. 9,55-56).

Es gibt eine gottlose Lust am Unter-gang der Welt, die sich darin zeigenkann, daß man nicht mehr weint mitden Weinenden und sich für dieseErde nur so weit einsetzt, wie eseinem selbst nützt. Kriege, Hungers-nöte und Ängste werden von Jesusnicht als notwendiges Übel verstan-den und wir dürfen sie nicht einfachwie Naturereignisse hinnehmen, andenen wir keine Aufgabe der Liebemehr haben. „Ihr seid das Salz derErde, Ihr seid das Licht der Welt.“Dies Wort dürfte doch wohl dagegensprechen.

Unser Auftrag gilt bis in die letztenKatastrophen hinein und wenn wirdabei mit verbrennen sollten: dasEvangelium zu verkündigen und Liebezu üben. Es sind unsere Menschen-brüder und -schwestern, und die Angstdieser Welt ist eben auch das ängst-liche Harren der Kreatur, das sich mituns sehnt und wartet auf die Offen-barung der herrlichen Freiheit derKinder Gottes. Man muß Paulus inRömer 8 parallel lesen, wenn manüber die Zeichen der Zeit nachdenkt.Dann verliert man alle unchristlicheLust am Untergang und wird ein Mis-sionar und Diakon Jesu.

Die Vollendung des Reiches GottesUnd nun geschieht in unserem Text eindramatischer Umbruch, wie wenn eingewaltiger Vorhang weggezogen wird:„Und dann wird das Ende kommen“,heißt es bei Matthäus. Bei Lukas:„Und dann werden sie den Menschen-sohn kommen sehen in einer Wolke mitgroßer Kraft und Herrlichkeit“ (Vers27). Sichtbar für alle auf Erden undausgerüstet mit aller Vollmacht deslebendigen Gottes wird er den Völkern

begegnen und es werden „im NamenJesu sich beugen aller derer Knie, dieim Himmel und auf Erden und unterder Erden sind und alle Zungen beken-nen, daß Jesus Christus der Herr sei,zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2, 10.11).

Nicht das „Wie“ seiner Wiederkunft isthier entscheidend, sondern daß Er esselbst ist, der da kommt. Von ihm herinterpretieren sich die Bilder. Der „TagJesu Christi“ ist ja kein Kalendertagdieser irdischen Geschichte, sonderndie ganz neue Wirklichkeit des voll-endeten Reiches Gottes. Auch unserealten Uhren werden mit hineingerissenin den „Weltuntergang“. Was hier an-gekündigt wird, ist kosmisch weit, um-schließt die ganze vorherige Geschich-te, alle Menschen, die waren, die Totenund die Lebenden.

Vor dieser Wirklichkeit zerplatzenunsere Zeitvorstellungen und Bilder.Auch die Bilder der Bibel werdendann überboten von der Macht undHerrlichkeit Gottes, denn wie sollteirdische Sprache fassen können, waskein Auge gesehen und kein Ohrgehört hat. Es ist keine Denkfaulheit,wenn wir hier vom Geheimnis reden,sondern diese Redeweise entsprichtdem Inhalt dieser Botschaft.

Von ihm her, dem Kommenden selbst,dürfen wir zu verstehen suchen, wasdann geschieht. Eines wollen diegroßen Bilder sagen: Er kommt in derAllmacht und Herrlichkeit Gottes.Nun trägt er nicht mehr die Uniformdes menschlichen Elends (MatthiasClaudius), sondern die Krone desHerrschers. Aber er ist auch dannnoch der, der unsere Schuld trug. Der Kommende ist der gekreuzigteund auferstandene Heiland und Herr.Wie könnten wir uns sonst freuen aufsein Kommen?

Ein herrlicher WeltuntergangAber nun werden sie ihn alle sehenund anerkennen als den Herrn derWelt. Auch seine Verächter und dieGleichgültigen aller Zeiten stehendann vor ihrem Richter. Er wird alsder Herr seiner Gemeinde in Erschei-nung treten und wird sie kennen undgrüßen als ihr Heiland. Er wird der

Richter sein, auch unser Richter. Aber der Heiland wird der Richtersein, und der Richter wird der Heilandsein. Alles wird er klären. Auch unseregroßen und kleinen Worte kommen aufGottes Waage. Wohl dem, der ihn hierschon kannte und hier schon seineKnie vor ihm beugte. Gewiß werdenwir staunen, daß er Leute kennt, diewir hier nicht zu ihm rechneten underschrecken, weil unser Hochmut undunsere Erbärmlichkeiten an den Tagkommen. Von diesem Staunen undErschrecken spricht das große KapitelMatthäus 25. Hier wird Gottes Krite-rium für sein Gericht genannt. Es istdie Liebe und immer neu die Liebe.Warum eigentlich vergessen wir beiden Diskussionen über das zukünftigeGericht Gottes so leichtfertig, was inden Versen 31-46 über das Tun desGerechten und die Liebe geschriebensteht? Angesichts dieser Maßstäbe desGerichtes sehen wir wohl alle nichtbesonders gut aus, auch wenn wirnoch so korrekt glauben und unsereTheologie noch so richtig ist. Gott seiDank dürfen wir aber hier schon denGott anbeten, der die Gottlosen ge-recht macht und durch den HeiligenGeist wissen, daß Furcht nicht ist inder Liebe, sondern die völlige Liebetreibt die Furcht aus. So können wirmit Freuden auf ihn zugehen. Gewißnicht mit starrem Nacken, aber den-noch mit erhobenem Haupt, weil sichunsere Erlösung naht.

Das wird ein herrlicher Weltunter-gang sein! Der Weltuntergang vonAuschwitz, Stalingrad und Hiroshi-ma; der Weltuntergang von Hunger,Rassenhaß, Terror und allem Gemei-nen, was wir Menschen uns auf Erdezufügen. Aber dieses Ende ist zu-gleich das Ziel, der ganz neue Anfangdessen, das kein Auge gesehen undkein Ohr gehört hat. Das wird dannwirklich die neue Gesellschaft sein,in der keine Polizei mehr nötig istund keinerlei Armeen aufgestelltwerden müssen: der neue Himmelund die neue Erde.

Hoffnung ist keine WeltfluchtSo kehren wir zum Schluß ganz not-wendig in den Alltag unserer Weltzurück. Von ihm aber war schon stän-dig die Rede, Hoffnung verführt eben

30

Page 17: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

von Angesicht zu Angesicht begegnet.Konnten die irdischen Menschen dasAngesicht Gottes nicht schauen, weilsie vor seinem Lichtglanz schier ver-gangen wären, so leuchtet er ihnenjetzt in wohltuender Klarheit undWärme, daß sogar Sonne und Mondüberflüssig werden.

In 21,5-8 geschieht für das Buch derOffenbarung etwas ganz Ungewöhn-liches und Einmaliges: Gott selbstnimmt das Wort, um zu bestätigen, daßjenes Bild der neuen Welt wahr ist,und er gibt Johannes den Befehl, dieseWorte, die unerschütterlich und gewißsind, aufzuschreiben als Botschaft fürdie Gemeinden, die noch in Not undVerfolgung stehen. Gott gibt zu Proto-koll, worauf Menschen ihn zu allenZeiten befragen bzw. festlegen kön-nen. Er selbst verbürgt sich dafür, daßhier nicht apokalyptische Träumereien,sondern verläßliche Aussagen weiter-gegeben werden. Gerade von Offen-barung 21, 5-7 (ähnlich 1,11) erhaltendie Visionen des Sehers Johannes undihre Deutung noch einmal ein beson-deres Gewicht.

Auf die Erläuterung der Vision vomneuen Jerusalem (20,10-27) soll andieser Stelle verzichtet werden. Nursoviel an dieser Stelle: Die vollendeteGemeinde wird nicht „zurück zurNatur“ gerufen, d.h. der Weg in dieneue Welt Gottes geht nicht zurück indas ländliche Idyll eines paradiesi-schen Gartens Eden, sondern ist aus-gerichtet an dem Gemeinwesen Stadtals Inbegriff des Reichtums an Gebor-genheit und Frieden, an Gütern undKultur, an Frohsinn und Leben: DieStadt als Ziel menschlicher Sehnsucht– nicht als menschenverschlingenderMoloch Babylon.

Offenbarung 22,1-5: Mit dem himm-lischen Jerusalem ist das einst ver-lorene Paradies wiedergekehrt. Einkristallklarer Strom entspringt beimThron Gottes und des Lammes. SeinWasser spendet Leben, aus dem herr-liches Wachstum und reicher Segenentspringen. Die neue Heilszeit stehtder Urzeit gegenüber. Der Lebensbaum,der in der Mitte des Paradieses seinenPlatz gehabt hatte (Genesis 2,9; 3,22),grünt nun auch in der neuen Welt Got-tes und trägt in schier unversiegenderFülle zwölfmal im Jahr Frucht.

Zur BesinnungEine ernste Frage: Wie können wireinmal im Gericht Gottes bestehen?Wir Menschen können ein Leben lang„Gott einen guten Mann sein lassen“;wir können ihm die kalte Schulter zei-gen, ihn links liegen lassen – oder ihnauch gelegentlich als willkommendenNothelfer in Anspruch nehmen. Nureins werden wir gewiß nicht hinbe-kommen: Ihm am Tage des letztenGerichts aus dem Wege zu gehen.Johannes schildert in lapidarer Kürze,daß Gott einmal die Menschen allerZeiten vor seinen Richtstuhl zitierenwird – und davor wird sich niemanddrücken können. Für dieses letzte Ge-richt gibt es nur die eine Alternative:Entweder werde ich nach meinen Ta-ten (den guten, wie den bösen) gerich-tet. Oder ich kann mich darauf beru-fen, daß mein Name im „Buch desLebens“ festgehalten ist. Im erstenFall wird sich meine Selbsteinschät-zung, ich sei doch ein anständigerMensch und Gott könne mit mir zu-frieden sein, angesichts der belasten-den Lebensprotokolle vor dem un-bestechlichen Richter als tragischeSelbsttäuschung herausstellen.Nein, wir alle haben nur eine Chance:uns mit unserer Existenz an JesusChristus zu hängen; uns seine Gerech-tigkeit zusprechen zu lassen und ihnzu bitten, uns für die kommenden Lei-denszeiten standfest und glaubenstreuzu machen. Unsere Chance heißt: Wirsetzen alles auf Gottes Gnade, die sichein für allemal in Jesus manifestierthat.

Was macht das neue Jerusalem zu einem verlockenden Ziel?

Noch immer argwöhnen viele hinterder Verheißung der goldenen Gasseneines himmlischen Jerusalems einebillige Jenseits-Vertröstung. Wennschon – dann bitte ein Paradies aufErden, und das möglichst rasch. Dochmit dieser Einstellung sind schon all-zuviele Versuche, ein irdisches Para-dies zu schaffen, alsbald wieder ge-scheitert. Wir müssen begreifen: Nichtwir schaffen den neuen Himmel unddie neue Erde – sie werden vielmehrals Gottes gnädige Herablassung zuseiner Zeit zu uns kommen. Allerdingsführt der Weg dahin – auch das machtdie Offenbarung unmißverständlich

klar – durch Zeiten der Bedrängnisund der Bewährung. – Doch wasmacht das neue Jerusalem heute füruns verlockend? Ich möchte es persön-lich sagen: Es sind für mich nicht dieSchilderungen goldener Gassen undperlenbesetzter Stadttore. Weil wir immateriellen Überfluß leben, hat für unsverwöhnte Wohlstandsbürger das Bildvom 12fach tragenden Lebensbaumkeinen verlockenden Reiz (wer sichjeden Abend mit hungerndem Magenschlafen legen muß, wird das aller-dings mit ganz anderen Augen lesen!).Aber wonach ich mich sehne, ist dasendgültige Heilwerden meines Lebensin der unmittelbaren Gemeinschaft mitGott. Darum berührt es mich tief, daßich dann – endlich! – Gott in seinerHerrlichkeit schauen darf; die Frustra-tionen täglicher Arbeit und Mühe mitspielerischem Gelingen vertauschenkann; die Sorgen und Ängste vor dem,was kommen mag, für immer hintermich lassen darf ...

Es mag sein, daß uns heute mehr dienegativen Aussagen vom neuen Jeru-salem verlocken: Kein Tod, kein Leid,kein Geschrei, keine Tränen, keineSchmerzen, keine Versuchung etc.Denn von alledem ist heute unserLeben Tag für Tag leidvoll geprägt –auch wenn wir uns nach außen wie„Strahlemänner“ geben. Der Blick aufdas neue Jerusalem bewahrt mich da-vor, angesichts der Wirklichkeit dieserWelt und der ständig schmerzhaft erlit-tenen Unzulänglichkeit zu resignieren.Ich weiß: Er wird einmal ein großesAufatmen, einen unbeschreiblichenJubel der für alle Zeit Erlösten geben.

Es gibt bei Gott eine ausgleichende Gerechtigkeit

Für mich ist das Zeugnis der Offenba-rung vom letzten Gericht und derschönen neuen Welt auch noch um derMillionen und Abermillionen armerLazarusse in dieser Welt wichtig: Eserscheint mir schier unerträglich, daßmit dem Ende dieser Weltzeit für im-mer Schluß sein soll. Das hieße ja, daßalle die, die z.B. im Hunger und Elend,in Krankheit und Leid kümmerlich ihrirdisches Leben fristen mußten, end-gültig die Zukurzgekommenen blei-ben. Und es hieße andererseits, daßalle Tyrannen und Menschenverächter,die ihr Leben auf Kosten anderer

33

Vom Ziel der Zeit

Offenbarung 20,11-22,6

„Siehe, ich mache alles neu!“ (Offen-barung 21,5) – Das ist das Ziel derWege Gottes. So wie er am Anfang ausdem Nichts heraus diese Welt geschaf-fen hat, so wird er am Ende der Zeiteinen völlig neuen Himmel und eineneue Erde in Erscheinung treten lassen.Nicht der Mensch wird sich das Para-dies erobern können; das neue Jeru-salem als Sinnbild für die neue WeltGottes wird vielmehr aus dem Himmelherabfahren, d.h. sie wird Gottes gnä-dige Herablassung sein. Nicht von un-ten nach oben wird diese paradiesischeWelt gebaut werden, denn solches Bau-en führte immer nur zu Babel (vgl.Genesis 11) oder zu Babylon (vgl.Offenbarung 17/18), zu menschlicherAnmaßung und Überheblichkeit. Nein,Gott selbst ist der Baumeister undSchöpfer (Hebräer 11,10) des neuenJerusalem, das – obwohl es für unsjetzt erst Verheißungscharakter hat -,schon eine gegenwärtige Größe ist undseit der Erlösungstat Jesu bereits fertigist (Johannes 14,2). Die umfassendeErneuerung des Ganzen ist das Ziel derWege Gottes: Totalerneuerung – nichtReparatur des Alten.

Eine wesentliche Frage dabei lautet:Wer wird Eingang finden in diese neueWelt Gottes? Wer darf dazugehören?Die Antwort des Sehers Johannes isteindeutig: Nur wer im letzten Gerichtvor Gott bestehen kann; wessen Nameim Buch des Lebens geschrieben istund wer zu den Überwindern gehört,hat Bürgerrecht im neuen Jerusalem.So werden die Aussagen vom Welt-gericht zu einer dringenden Warnung,sich nur ja nicht auf die eigene Ge-rechtigkeit zu verlassen oder die emp-fangene Gnade durch feiges Verleug-nen Christi zu verscherzen.

Exegetische BeobachtungenDas Weltgericht nach Offenbarung 20,11-15

Himmel und Erde fliehen vor demAngesicht Gottes: So schaut Johannesden Untergang der alten Schöpfung.Vor dem unbestechlichen Weltenrich-ter kann sie nun keine Sekunde längerbestehen. Doch dann stehen die Totenauf, denn die Menschen aller Zeitenmüssen nun vor dem Richtstuhl Gotteserscheinen. Dieses Gericht wird nur inknappen Worten beschrieben: Bücherwerden aufgetan, aus denen die Tatender Menschen abgelesen werden. DasUrteil wird nach den Werken der Men-schen gesprochen: Gutes wird gegenBöses aufgewogen. Doch am Ende istdie Lebensbilanz bei jedem negativ:Gewogen und zu leicht befunden. Werdarauf besteht, von Gott nach seinenTaten beurteilt zu werden (d.h. werden Weg der Selbstrechtfertigungwählt), hat keine Chance: Nach Gottesunbestechlichem Urteil wird er ver-dammt zum feurigen Pfuhl, d.h. zumendgültigen Tod. Wer hat dann über-haupt eine Chance? Nur dessen Nameim Buch des Lebens gefunden wird. Indiesem Buch sind unverlierbar alle die festgehalten, die Kraft göttlicherErwählung zum Volk Gottes berufensind; die nicht auf ihrer Selbstrechtfer-tigung bestanden, sondern sich durchdas Opfer Christi gerecht machenließen – und die sich in der Bedrängnisder letzten Zeit nicht von Jesus abbrin-gen ließen . – Der Tod und die Ver-dammten verfallen dem zweiten Tod,aus dem es keine Hoffnung und keineAuferstehung mehr gibt. Die Visiondes Sehers läßt hier keinen Raum fürdie Hoffnung auf Allversöhnung. ImGegenteil: In Offenbarung 21,8 wirdausdrücklich noch einmal aufgezählt,wer von der neuen Welt Gottes ge-schieden sein wird.

Gottes schöne neue Welt: Offenbarung 21,1-22,6

Der Weg zurück ins Paradies führtnach der Offenbarung des Johannesnur über das Gericht: Darum könnendie letzten beiden Kapitel der Offenba-rung nur im Zusammenhang mit derSchilderung des Weltgerichtes in Of-fenbarung 20,11-15 recht verstandenund vor oberflächlicher Auslegung im

Sinne einer billigen Gnade bewahrtwerden.

In Offenbarung 21,1 wird nochmalserwähnt, daß der alte Himmel und diealte Erde vergangen sind. Ausdrück-lich wird hinzugefügt, daß das Meernicht mehr sein wird. Die chaotische,unheimliche Macht, der das satanischeTier entstiegen war (13,1), wird ver-schwinden. Das bedeutet: Die Machtder Finsternis, aus der das Dämoni-sche in die Welt eindrang, wird nichtmehr vorhanden sein: Fortan wird eskeine Versuchung, keine Verführung,keine Bosheit mehr geben.

Vom Himmel her wird sich dann aufdie neue Erde das neue Jerusalem her-absenken, das das Gegenbild zur gott-losen Stadt Babylon (Offenbarung17/18) darstellt und den Platz der zer-störten heiligen Stadt einnehmen wird.War das alte Babylon eine Hure, weilsie zum Abfall gegenüber Gott ver-führte, so erscheint das neue Jerusalemwie eine geschmückte Braut, die demBräutigam (= der vollendeten Gemein-de) entgegengeführt wird. – An diesemBild zeigt sich übrigens auch noch ein-mal, daß das Endziel der Heils-geschichte nicht in einer rein perso-nalen Begegnung des einzelnen mitseinem Gott besteht. Der Menschbegegnet Gott vielmehr innerhalb ei-ner Menschengemeinschaft – das neueJerusalem erscheint als geordnetesGemeinwesen – in der alle Gemein-schaftsprobleme gelöst und alle Welt-nöte behoben sind: Gottes Erlösung istnicht nur personal, sondern ebensoauch universal. Es werden nun end-gültig auch die Folgen des Sündenfallsbeseitigt sein: Keine Mühsal, keineSchmerzen wird es mehr geben. DerFluch ist aufgehoben. Die neue Weltwird bestimmt sein durch die unmittel-bare Gemeinschaft Gottes mit seinenMenschen. Das wird in Offenbarung21,3.4 zunächst damit veranschaulicht,daß Gott mitten unter den Menschenseine Zelte aufschlagen wird und daßer – so wie eine Mutter die Tränenihrer Kinder abwischt – fürsorglich fürjeden einzelnen da sein wird. Später(21,22-24; 22,5) wird der Seher Johan-nes noch erzählen, daß im neuen Jeru-salem kein Tempel mehr vonnöten seinwird, weil Gott nicht mehr in einemihm geweihten Haus gesucht werdenmuß, sondern fortan den Menschen

32

Page 18: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

35

gelebt haben, für immer ungeschorenblieben. Schon Jesus macht deutlich:Im letzten Gericht wird es eine aus-gleichende Gerechtigkeit geben: DieErsten werden die Letzten sein – unddie Letzten die Ersten (Matthäus19,30). Dabei macht solches Wissenum den künftigen Platz des Lazarus inAbrahams Schoß nicht gleichgültigoder gar träge gegenüber seiner jetzi-gen Not; vielmehr bleibt die Hoffnungin der Liebe der Erde treu (PaulSchütz), d.h. wollen wir als Christenheute schon damit anfangen, wenig-stens da und dort Tränen abzuwischen,Wunden zu verbinden und Hungerndesatt zu machen.

GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

Letztes Gericht und/oder Allversöhnung

Es ist ja auffällig, daß in der Verkündi-gung unserer Tage Aussagen über dasWeltgericht so gut wie gar nicht mehrvorkommen. Entsprechende apokalyp-tische Texte des Alten wie NeuenTestaments sind im Laufe der letztenJahrzehnte fast vollständig aus derPredigttext-Ordnung unserer Kirche„ausgemerzt“ worden. Die Tendenzder Verkündigung in unserer Kirchegeht eindeutig in Richtung Allversöh-nung (wenn denn überhaupt noch eineeschatologische Perspektive im Sinneder Wiederkunft Jesu und der endgül-tigen Durchsetzung seines Reiches zuerkennen ist).

Indem bewußt auch Offenbarung20,12-15 (Weltgericht) in die Textaus-wahl aufgenommen ist, legt es sichnahe, in der Gemeinde bei der Ausle-gung die Frage „Weltgericht und/oderAllversöhnung“ zu thematisieren. Dieskönnte so geschehen, daß auf einemBlatt jeweils die Bibeltexte abgedrucktwerden, die jeweils für das eine oderandere sprechen.

Pro Allversöhnung z.B.: 1. Timotheus2,4 (Gottes universaler Heilswille); 2.Kor. 5,19 und Kol. 1,19.20 (die ganzeWelt durch Jesus versöhnt); Römer11,25-30 (Israels endzeitliche An-nahme als Modell für Gottes Erbarmenüber alle Menschen); 1. Kor. 15,28(Am Ende ist Gott alles in allem).

Pro Weltgericht z.B.: Matthäus 25,31-46 (Jesu Rede vom Weltgericht);Lukas 16,19-31 (Die Geschichte vomreichen Mann und armen Lazarus);Offenbarung 20,11-15 (Vom Weltge-richt). Dazu zahlreiche Einzelstellenwie z.B. Hebr. 6,2 (Die Lehre vom„ewigen Gericht“ gehört danach zuden Essentials des christlichen Glau-bens); Johannes 5,28.29 (Von derAuferstehung des Lebens und derAuferstehung des Gerichts).

Jeweils könnte ein(e) entsprechendvorbereitete (r) Mitarbeiter(in) anhandder ausgewählten Bibeltexte ihre bzw.seine Position pro oder contra All-versöhnung vortragen, woran sich derAustausch anschließen kann.

Aus meiner Sicht erscheint es hilf-reich, das Gericht Gottes nicht als dasbedrohlich über dem Menschen hän-gende „Fallbeil“ darzustellen. Mirerscheinen die Aussagen aus demJohannes-Evangelium naheliegender:Das Gericht Gottes wird nur auf-decken und für immer bestätigen (dasist allerdings das Unheimliche!), wozuMenschen sich zu ihren Lebzeiten ent-schieden haben: Wer aber nicht glaubt,der ist schon gerichtet (Joh. 3,18), d.h.er hat sich selber durch seinen Nicht-glauben disqualifiziert. – Im übrigengilt: Das Gericht liegt nicht in unserer,sondern Gottes Hand. Gott sei Dankhaben wir nicht das Jüngste Gerichtmit seiner Entscheidung vorwegzu-nehmen ...

Vom endgültigen NachhausekommenVon Karl Valentin, dem tiefgründigenbayerischen Komiker, wird folgenderSketch überliefert:„Ein Münchner will partout nicht inden Himmel. Er stellt sich bockig undverspürt nicht die geringste Lust aufden Himmel. ‚Ja’, so wird er gefragt,‚warum freust du dich denn nicht aufden Himmel?’ – Bedächtig antworteter: ‚Meinst, das wär’a Freud’, denlieben langen Tag mit den himmlischenHeerscharen vor Gottes Thron strammzu stehen, sich zu bekreuzigen undfortwährend Hosianna und Hallelujazu jauchzen ...“

Der Himmel – ein Ausbund an Lange-weile und Gleichförmigkeit, wo einemder Spaß vergeht und man nichts mehrzu lachen hat?! – Wie sehen wir den

Himmel, das endzeitliche Paradies?Was läßt uns darauf freuen?

Bei dem Gespräch zu Offenbarung 21-22,6 sollten die Teilnehmer aus-sprechen, welche Passagen diesesTextes sie am unmittelbarsten berüh-ren und ihrer Sehnsucht nach einemendgültigen NachhausekommenNahrung geben.

-KJD-

O

34

Page 19: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Heute

Predigt über ein biblisches Wort

Liebe Gemeinde, ich möchte heutemorgen über ein einziges Wort predi-gen. Dieses Wort lautet: Heute. VomHeute ist in der Bibel in den verschie-densten Zusammenhängen die Rede.

Dem will ich nachgehen unter derLeitfrage: Was bedeutet es, den heu-tigen Tag vor Gott zu leben?

I

Ich beginne mit einer Stelle aus derSchöpfungsgeschichte. In 1. Mose 1,3-4 hören wir: Und Gott sprach: Eswerde Licht! Und es ward Licht. UndGott sah, daß das Licht gut war. Daschied Gott das Licht von der Finster-nis und nannte das Licht Tag und dieFinsternis Nacht. Da ward aus Abendund Morgen der erste Tag.

Die Bibel erzählt uns, daß das ersteWerk Gottes, des Schöpfers die Er-schaffung des Tages ist. Wo Gott, derEwige schöpferisch in die Zeit tritt, dagliedert er sie in Tage, in den Rhyth-mus von Abend und Morgen. UndGott, der Ewige selbst wird fortan seinschöpferisches Tun in diesem Rhyth-mus vollziehen. Deshalb heißt es imFortgang der Schöpfungsgeschichteimmer wieder: Da ward aus Abendund Morgen der zweite, der dritte ...Tag.

Es ist übrigens nicht von ungefähr, daßnach jüdischem Verständnis der Tagmit dem Abend beginnt (Da ward ausAbend und Morgen ...) und nicht wiebei uns mit dem Morgen. Das hateinen tiefen und tröstlichen Sinn: An jedem neuen Tag gehen wir nichtder Finsternis, sondern dem Licht entgegen.

Und so ist jeder Tag ein Zeichen derHoffnung, daß wir allemal unterwegssind – zum Licht. Der in der Schöp-fung der Zeit eingestiftete Rhythmusvon Abend und Morgen, von Tag undNacht gilt auch jenseits von Eden.Ausdrücklich bestätigt Gott ihn amEnde der Sintflutgeschichte. Da ver-spricht Gott, daß so wie der Wechselvon Saat und Ernte, Frost und Hitze,Sommer und Winter auch dies nichtaufhören wird: der Rhythmus von Tag und Nacht (1. Mose 8,22).

Gott hat den Tag geschaffen, undfortan wird auch seine segnende undrettende Zuwendung zu uns tageweisegeschehen. Deshalb heißt es in Klage-lieder 3,22f: Die Güte des HERRN ...ist alle Morgen neu.

II

Und so bedeutet für uns Menschen,aus der Güte Gottes zu leben: je heuteleben!

Im ursprünglichen Sinne: in den Taghinein leben! Denn das ist das Ge-heimnis des Lebens vor Gott, daß,weil Gottes Liebe in Ewigkeit währt,alles Ding seine Zeit hat (Prediger 3,1-11).

Gottes Güte ist alle Morgen neu – dasschönste Zeichen dieser Zusage ist dieGeschichte von der Wanderung Israelsdurch die Wüste, wo Gott den Seinenalle Tage neu zuteilt, was sie zum Le-ben brauchen: das Manna (2. Mose16,13ff). Und jeder bekommt, soviel erbraucht. Nicht weniger! Aber auchnicht mehr!

Das aber genügt den Menschen nicht.Und so beginnen sie zu sammeln,wollen selbst Vorsorge treffen für dennächsten Tag. Doch das geht nicht.Gottes Güte läßt sich nicht ‚auf Halde‘legen. Wer hortet und stapelt, muß er-fahren, daß da der Wurm drin ist unddie ganze Sache fault. Mensch bleibenheißt: Gottes Güte täglich neu emp-fangen, heißt – mit den Worten Jesu (Matthäus 6,34): jeden Tag seine eige-ne Sorge haben lassen, denn er sorgtfür uns.

Und es ist ja schon dies Gottes liebe-volle Fürsorge, daß er es so eingerich-tet hat:

so überschaubar, so unserem mensch-lichen Maß angemessen, denn so weitmag unser Blick gerade reichen kön-nen: von Abend bis Morgen und vonMorgen bis Abend.

Und wir ahnen vielleicht auch schon,wie wohltuend das für uns wäre: heutedas Heute zu leben.

Also das Gestern vergangen sein zulassen, es nicht immer noch einmalzurückzuholen, alte Geschichten nichtneu aufzuwärmen, am Vergangenennicht zu kleben ...

Und wie wohltuend es wäre, dasMorgen getrost abzuwarten, es inGottes Hand zu legen, weil seine Gütemorgen neu sein wird. Daß ich nichtmißverstanden werde! Nicht darumgeht es, Vergangenheit zu verdrängenoder Zukunft auszublenden. Es istwohl wahr: Wir kommen von gesternher und gehen auf morgen zu. Aberdoch gilt es, zwischen gestern undmorgen das Heute zu leben, heute zutun, was uns in der Spanne diesesTages möglich ist. Und heute zu er-fahren, wie Gottes Güte neu ist.

III

Doch genau das fällt uns schwer.Immer wieder drohen wir, das Heutezu verpassen, weil wir ins Gesternzurückfallen oder uns im Morgen ver-lieren. Die Bibel weiß um diese Ge-fahr, und sie malt sie uns in exempla-rischen Geschichten vor Augen. Dieeine Geschichte steht (bezeichnender-weise) am Beginn der Wüstenwande-rung, die andere an deren Ende.

Gott sei’s geklagt, es gibt sie, die ‚Gestrigkeit‘, also das Verpassen des Heute durch Rückfall in dieVergangenheit.

Ihr Grundzug ist das Murren (vgl. 2. Mose 16,11): Da ist das Volk alsoauf seinem Weg durch die Wüste. Einneuer Tag bricht an, ein schwerer Tag.Die Sonne brennt heiß, der Weg wirdnoch weit sein, ein Tag so richtig zumVerzagen. Und was geschieht? DasVolk fängt an zu murren, sich zubeklagen. Und dann wendet sich derBlick wehmütig zurück. Und es bildensich Gedanken und Sätze, die wir auchvon uns kennen.

3736

KON

KR

ETIO

NEN

Page 20: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

rufen, vielleicht nur noch ihn anklagenkann; aber dies doch tun kann in derGewißheit, daß er mich hört und mir –auch wenn ich’s heute nicht verstehe –doch die Treue hält.

Was ist Gottes Güte heute? Indem wirdiese Frage stellen, werden wir daranerinnert, daß wir – auch wenn uns dieAntwort verborgen bleiben sollte –keinen unserer Tage ohne Gottes Güteleben müssen.

Was kann ich heute tun?Was soll, was kann ich in der über-schaubaren Spanne vom Morgen biszum Abend schaffen? Denn mehr mußich nicht schaffen.

Manche merken gar nicht, daß sie sichimmer mehr vornehmen, als an einemTag ‚drin’ ist. Sie überdenken nicht dasheilsame Maß eines Tages, legen sichdie Hürden immer ein wenig (oderviel) zu hoch und fühlen sich dann amAbend wie Versager. Laßt uns im Maßdes Tages bleiben. Wir müssen amAbend nicht wie Gott sagen können:„Siehe, es war sehr gut“, aber wirsollten doch sagen dürfen: „Das war’s.Das war’s, was mir vom Morgen biszum Abend möglich war.“ Und nocheins: Vielleicht kennt ihr das auch, daß sich einem plötzlich all das auf dieSeele legt, was man in der nächstenZukunft zu tun hat. Alle Termine, alleVorhaben und alle in Zukunft anfallen-den Aufgaben türmen sich mit einemMal im Kopf und legen sich dann wieein schwerer Stein auf die Brust, dereinen fast zu erdrücken droht.

Gebt acht und denkt daran: Dadurch,daß ihr alle zukünftigen Aufgaben insHeute hereinlaßt, bekommt ihr keineweggeschafft, aber sie schaffen euch.Deshalb, wenn sie euch anzufallendrohen, kehrt zurück zu der Frage:„Was kann ich heute tun?“ – oder mitden Worten des Predigers: Besser eineHand voll mit Ruhe, als beide Fäustevoll mit Mühe und Haschen nach demWind (Prediger 4,6).

Was kann ich vergangen sein lassen?Heute ist heute und gestern ist vorbei.Also seht zu, was ihr abschließen bzw.abgeschlossen sein lassen könnt.

Hört auf, alte Geschichten immer nocheinmal aufzuwärmen, sondern denktdaran, daß heute ein neuer Tag ist.

Um es am Beispiel von Beziehungendeutlich zu machen: Man verpaßt dasNeue des heutigen Tages, wenn manimmer wieder Händchen aus demGrab alter Geschichten herauswachsenläßt, immer noch einmal nachhakt undnachkartet. Nicht umsonst lehrt Jesusuns beten: ... wie auch wir vergebenunseren Schuldigern (Matthäus 6,12b).

Was kann ich abwarten?Heute ist heute und noch nicht mor-gen. Also hütet euch vor den furcht-samen Phantasien der Zukunft. Es magschon sein, daß ihr vor dem, was eucherwartet, auf der Hut sein müßt. Unddoch ist die Angst ein schlechter Rat-geber. Und sich im bangen Erwägender Zukunft gleich das Schlimmstevorzustellen, lähmt für das Heute undsetzt unter Umständen das Gefürchteteallererst in Gang. Oft wissen wir nicht,was kommen wird, und haben erstrecht keine Ahnung von den Möglich-keiten, die uns in Zukunft zuwachsenwerden.

Deshalb laßt uns die Zukunft abwar-ten, denn was immer morgen seinwird, gewiß ist, daß morgen GottesGüte neu sein wird.

V

Zum Schluß möchte ich ausdrücklichbetonen: Mit diesen vier Leitfragenwollte ich die Chancen des Heute alseines Tages vor Gott ansprechen. Ver-steht sie bitte nicht als abzuleistendesArbeitspensum und als Verpflichtung,im Blick auf das Heute fortan nur jaalles ‚richtig’ zu machen.

Wer zu allen Mühen des Tages nunauch noch krampfhaft versuchen woll-te, ‚entspannt im Hier und Jetzt’ zuleben, wäre arm dran.

Laßt euch statt dessen sagen: Ihrbraucht um Gottes Willen keine Angstzu haben, etwas falsch zu machen.

Zwar weist Gott uns ein, den heil-samen Rhythmus des Tages zu leben,aber er, der Ewige, bleibt uns auch

dann treu, wenn wir das Heute ver-passen.

Davon redet ganz tröstlich der 139.Psalm.

Die beiden Typen, von denen eben(III) die Rede war (und die wir jaauch immer wieder sind), werden danoch einmal genannt: Da ist der, dervor dem neuen Tag ins Gestern fliehtund spricht: Finsternis möge michdecken und Nacht statt Licht um michsein (V. 11). Aber gerade für ihn wirdgesagt: Auch dort findet der Ewigedich, und bei ihm kann die Finsternisnicht finster bleiben: Die Nacht wirdhell, er macht deine Finsternis zumLicht.

Und da ist der andere, der sich gerndie „Flügel der Morgenröte“ (V. 9)anschnallen und seiner Zeit voraus-eilen möchte. Aber Gottes Hand wirdihm doch Halt bieten und ihn führen.Gott liebt sie ja beide: den Versumpf-ten und den Luftikus! Habt deshalbkeine Angst. Und sei’s, daß ihr denTag verpaßt, so wird der Ewige euchdoch die Treue halten. Er wird eucheinholen und euch helfen, daß ihrwieder auftaucht und wieder festenBoden unter die Füße bekommt. Und dann werdet ihr neu lernen zubeten, was Jesus uns gelehrt hat: Unser täglich Brot gib uns – heute.Amen.

Pfarrer Dr. Peter Bukowski ist Dozent am Predigerseminar inWuppertal-Elberfeld und Moderatordes Reformierten Bundes

OMETHODISCHER HINWEISDie vorliegende Predigt könnte einer-seits als Anregung für Predigerinnenund Prediger verstanden werden, ein-mal selbst die Predigt im Gemeinde-gottesdienst unter das Thema „Heute“zu stellen.

Sie könnte aber auch Grundlage fürdas Gespräch in einem Gemeindekreissein. Dabei könnte die Predigt vorgele-sen werden und sich das anschließendeGespräch an den vier Leitfragen derPredigt orientieren:

39

Ihre Anfänge sind bezeichnend:„Hätten wir doch ...“ – „Wären wirdoch ...“ Und dann wird die Vergan-genheit kräftig verklärt: „Wären wirdoch in Ägypten geblieben, wo wirFleisch die Fülle hatten ...“ Dasägyptische Essen fällt ihnen ein. Und auf einmal erscheint Ägypten alsetwas ganz Schönes. Das ist natürlichUnsinn. Nichts war da schön. Grau-sam war’s da: ein elendes Sklaven-leben, eine endlose Plackerei. Aberdem verklärten Rückblick entgehtdas.

Und so schwelgt er im „Ja, damals ...“.Und auch dies gehört dazu, daß für dieLast des Tages Schuldige gesucht undgefunden werden: „Ihr (Mose und Aa-ron) seid schuld! Hätten wir doch bloßnicht auf euch gehört? Wir armen Op-fer ...“. Und eben dieses Zurückfallenins Gestern lähmt für das Heute. Imschlimmsten Fall läßt einen der Blickzurück erstarren wie Lots Frau, die zurSalzsäule wurde (1. Mose 19,26). Under macht blind für das Manna, dasGott heute spendet.

Das andere ist das Sich-Verlieren ins Morgen, die ‚Morgigkeit’. Sie tritt in zwei Grundgestalten auf:

a) Die eine ist die Furcht.

Am Ende seiner Wüstenwanderungsteht Israel an der Grenze zum gelob-ten Land (vgl. 4. Mose 13 und 14).Jetzt gilt es, den ersten Schritt hineinzu wagen. Doch das Volk hält inne.Kundschafter, die vorgeschickt wor-den waren, hatten erzählt, daß dasLand bewohnt sei, daß dort mög-licherweise Gefahren lauerten. Undschon meldet sich die Furcht: „Wassoll bloß werden, wenn ...?!“ „Undwas erst in drei Wochen oder in dreiMonaten?!“

Vergessen sind die Zusagen Gottes,der doch gelobt hatte, sein Volk inseine Zukunft zu begleiten. Vergessenauch die vielen Zeichen von Gottesbisheriger Treue! Statt dessen jetzt dasfurchtsame: „Was soll bloß werden...?“ Und einmal gefangen im bangenBlick auf morgen, gebiert und poten-ziert die Furcht sich ständig neu: Hor-rorphantasien greifen Raum. Und ausden strammen Kerls im Lande Kanaansind in der Phantasie der Angst am

Ende unüberwindbare Riesen gewor-den. Und gefesselt in der Furcht vormorgen verharrt das Volk, unfähig, dieSchritte zu wagen, die heute gegangenwerden müßten.

b) Neben der furchtsamen gibt es aberauch die faule ‚Morgigkeit’.

Die Raucher unter uns (und Gott sei’s geklagt, gehöre ich ja dazu)werden wissen, wovon ich rede.

Das Schlüsselwort der faulen ‚Mor-gigkeit‘ lautet „Ab ...“: „Ab morgen“– oder: „Ab nächsten Monat“ – oder: „Ab Neujahr werde ich ...“Kurz: Das Heute wird auf morgen,übermorgen und dann eben allzu-oft auf den St. Nimmerleinstag ver-schoben.

Eine andere Wendung lautet: „Wennerst einmal ...“: „Wenn erst einmal dieKinder aus dem Haus sind, dann ...“ – oder: „Wenn erst einmal die Rentedurch ist, dann ...“ Diese ‚Morgigkeit’ist verführerisch: Sie suggeriert einem,man hätte doch heute immerhin schoneinmal einen Anfang gemacht, eben inForm eines Entschlusses.

Aber Vorsicht: Man kann auf dieseWeise das, was man eigentlich heuteleben möchte, immer wieder auf mor-gen verschieben und schließlich – ver-passen. Auch um diese Gefahr weißdie Bibel. Deshalb verweist sie unsgerade da, wo Entscheidung von unsgefordert ist, in das Heute: Heute, soihr seine Stimme hört, verstockt euerHerz nicht!

Also nicht: „Ab morgen hören wir auf mit dem Verstocken ...“ – sondern„heute“!

Und in 2. Korinther 6,2 sagt Paulus:Jetzt ist der Tag des Heils!

IV

Das also ist die biblische Bedeutungdes Heute: daß wir jeden neuen Tagaus Gottes Hand nehmen und ihn le-ben in der Gewißheit, daß Gottes Gütealle Morgen neu ist.

Laßt mich dazu vier Leitfragen nen-nen, die uns helfen mögen, das Heuteals Tag der Güte Gottes zu leben.

Was ist Gottes Güte heute?

Ich weiß wohl, daß Gottes Güte nichtaufweisbar und nachzurechnen ist wieandere Dinge im Leben. Aber dochwird es keinen Tag ohne Zeichen derGüte Gottes geben. Und die erste Fra-ge soll uns anleiten, ihrer gewahr zuwerden.

Also: Was sind Zeichen der Güte Got-tes in meinem heutigen Tag? Da mages Tage geben, da fällt uns die Antwortganz leicht, Tage, wo wir sagen: „Dasist heute mein Tag“, wo uns alles ge-lingt, wo wir etwas besonders Schöneserleben, wo wir, einfach gesagt, gutdran sind. Gerade für solche Tage istdie Frage aber wichtig, denn das Gutedes Tages als Zeichen der Güte ausGottes Hand zu nehmen, stärkt unserVertrauen, gibt unserem Glauben Nah-rung. Nicht umsonst heißt es im 103.Psalm: Lobe den HERRN, meine Seele,und vergiß nicht, was er dir Gutes ge-tan hat.

Es kann aber auch Tage geben, wo unsauf Anhieb gar nichts Gutes einfällt,Tage, von denen wir geneigt sind zusagen: „Den kannst du vergessen!“Aber stellt euch die Frage dann trotz-dem. Und achtet einmal auf die fälsch-licherweise sogenannten Selbst-verständlichkeiten: daß ihr aufstehenkonntet, Luft zum Atmen bekommt, zu essen habt und verdauen könnt. Ich sage bewußt: „fälschlicherweisesogenannte Selbstverständlichkeiten“.Denn nichts davon ist in Wahrheitselbstverständlich. Und wieviel ge-stärkter und getrösteter könnten wirauch die schweren Tage leben, wennwir in den ganz elementaren Lebens-vollzügen Zeichen der Güte Gotteserkennen würden. Und wenn wir nungerade an diesen elementaren Lebens-vollzügen Mangel leiden – wenn nichteinmal das mehr ‚klappt’? Es magsein, daß dann Gottes Güte heute nurdarin aufleuchtet (aber war heißt hiereigentlich „nur“?), daß ich in meinerNot, in meiner Krankheit nicht alleinbin, daß jemand an meiner Seite ist,der zu mir steht, meine Hand hält undmich tröstet.

Und wenn dieser Jemand fehlt? Viel-leicht entdecke ich Gottes Güte danndarin, daß ich meinen ganzen Kummervor ihm ausschütten kann, zu ihm

38

Page 21: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

1. Petrusbriefes formuliert es so:„Christen sind wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung!“ DieseLebenseinstellung führt zu einemLebensstil, der von Zuversicht, Mutund Erwartungen geprägt ist. Wiesieht das konkret aus?

Zum einen:

Ich kann hoffnungsvoll mitmir selber umgehen!Es gibt viel hoffnungslosen Umgangmit sich selbst. Die Hoffnung, dieJesus schenkt, ist eine Gegenwehrgegen alle Wegwerfstimmung undgegen den persönlichen Nihilismus,in dem wir uns für unwichtig undunnötig halten. Hoffnungsvoll mit mir selber umgehen kann ich, weil ich ein geliebtes Geschöpf Gottes bin.Leider haben manche Christen diePredigt von der Selbstverleugnung zufrüh gehört. Sie haben es nie gelernt,sich als kostbare Söhne und TöchterGottes zu sehen. Sie haben nie gehört,daß sie vor dem Vater ehrlich ihreWünsche und Hoffnungen äußerndürfen.

Die neue Identität als Kinder Gottesmuß gekräftigt sein, wenn man hoff-nungsvoll mit sich selbst umgehenwill. Prüfen Sie doch einmal IhreSelbstgespräche, also jene Gespräche,die keiner mithört. Was sagen Sie da?Vielleicht: Warum muß mir immer so etwas passieren? Oder: Allen gehtes gut – nur mir geht es schlecht! Ich bin immer auf der Verliererseite.Welchen Inhalt haben Ihre Selbstge-spräche? Einen negativen? Einenpositiven? Es wäre schön, wenn insolchen Selbstgesprächen deutlich ein ehrlicher Dank Gott gegenüberausgedrückt würde.

Sie können miteinander in derGruppe oder allein überlegen, wiedieser Dank aussehen kann.

Einige Beispiele:Danke, daß die Arbeit gut gelungenist.Danke für das gute Gespräch.Danke, daß Du, Gott, hoffnungsvollmit mir umgehst und mich nicht auf-gibst.

Wenn das nicht Grund ist, hoffnungs-voll mit sich selbst umzugehen!

Das nächste:

Hoffnungsvoll mit anderen Menschen umgehen.Wer einen Menschen aufgibt, tut Gottweh. Ich mag diesen Satz sehr, denn ererinnert mich daran, daß ich andereMenschen mit den Augen Gottes sehenkann. Wie Gott mir Raum und Zeit zurUmkehr gab, so soll ich andern auchZeit geben. Ich wünsche mir, daß wirendlich aufhören, über andere Men-schen Jüngstes Gericht zu spielen.Mutmacher sind nötig – keine Mies-macher! Christen also, die eine großeHoffnung für andere haben und diesich in ihrer Beurteilung nicht von denständigen Negativschlagzeilen prägenlassen. Christen sind nötig, die mutiggegen den Strom schwimmen. Wirwerden tagaus, tagein mit Negativ-nachrichten bombardiert. Allzu oft übernehmen wir unkritisch dendestruktiven Pessimismus. Durch diepessimistische Brille beurteilen wirMenschen und ganze Menschen-gruppen, z.B. die Jugendlichen, dieAusländer, die Alten, die Kirche oderdie Gemeinde.

Es gibt soviel hoffnungslosen Umgangin Familien, am Arbeitsplatz und lei-der auch in den christlichen Gemein-den bzw. zwischen Christen unter-schiedlicher Prägung.

Wir wissen immer schon, wie derandere reagieren muß, wie er sich ent-wickeln wird, was er denkt und tut.Dabei erliegen wir immer wieder rie-sigen Täuschungsmanövern. Die Für-bitte für einen Menschen ist eine guteMöglichkeit gegen den Pessimismus,das Gespräch miteinander und nichtübereinander eine andere.

Schließlich:

Hoffnungsvoll mit GottesWelt umgehen!Es gibt eine fromme Utopie, die meint,am Ende aller Tage würden alle Men-schen friedlich auf einer wunderbargeordneten Welt zusammenleben. Das hat Jesus nicht für diese alte Erde,sondern für die neue Welt Gottes ver-sprochen.

Daneben gibt es auch einen frommenPessimismus. Man setzt sich an den ge-deckten Tisch. Der eigenen Familie

geht es gut. Im Beruf gibt es Fortschrit-te. Alles läuft so weit, so gut. Aber dieWelt als ganze wird immer schlechter –wie auch nicht anders zu erwarten war.Da läßt man am besten alles laufen undkonzentriert sich auf sein eigenes, klei-nes bequemes Leben und macht sichdie Hände nicht schmutzig.

Allerdings fällt jenen Menschen ganzgenau auf, wie viele Fehler die ande-ren bei ihrem Engagement machen.Aus dem Lehnstuhl heraus geben sie„kluge“ Ratschläge – immer garniertmit einem besserwisserischen Unter-ton. Natürlich bleiben sie den Beweisschuldig, daß ihr Rat realistisch undhilfreich ist. Konkret an bestimmtenStellen mitarbeiten – das wollen sienicht. „Wer schweigt, fördert, was imGange ist“ hat der ehemalige Bundes-präsident Gustav Heinemann gesagt.

Ich habe die große Hoffnung, daßChristen sich im neuen Jahrtausend anunterschiedlichen Stellen in Gemeindeund Gesellschaft einmischen, daß sieihren Mund auftun und handeln unddaß sie nicht bei den ersten Widerstän-den aufgeben.

Ich habe die große Hoffnung, daß Chri-sten unterschiedlicher Prägung in einerStadt fragen: Wie können wir gemein-sam in unserer Stadt Jesus Christus undsein Evangelium bekannt machen? Was können wir tun, um Menschen ein-zuladen in die Nachfolge Jesu?

Unser Auftraggeber, Jesus Christus,möchte, daß wir Hoffnungsträger sind.Hoffnungsträger leben gegen denTrend der gängigen Stammtischparo-len. Sie finden sich nicht mit den Zu-ständen ab und kapitulieren nicht vorden Mächten der Zeit – auch nicht vordem, was angeblich nicht geht.

Hoffnungsträger sein – das heißt nicht:Ich muß die ganze Welt auf einmalverändern. Das ist mir einige Schuh-nummern zu groß. Wer sich zuviel aufeinmal vornimmt, rutscht ab in dieDepression, wenn er es nicht schafft.

Aber Christus wird uns die Menschenund Aufgaben zeigen, für die wirbeten, reden, handeln und abgebensollen. Jesus selbst beruft in die Mit-arbeit. Wer wiedergeboren ist zulebendiger Hoffnung, der wird auch

41

Was ist Gottes Güte heute?Was kann ich heute tun?Was kann ich vergangen sein lassen?Was kann ich abwarten?

Denkbar wäre auch, den ersten Teil derPredigt vorzulesen und dann über dievier Fragen Bukowskis ins Gesprächzu kommen, ohne dabei den Textzunächst vorzulesen. Vielmehr könn-ten die Antworten aus der PredigtBukowskis am Schluß des Gesprächsals seelsorgerliche Zusammenfassunggelesen werden.

-KJD-

Erwartungsvollleben

Wenn Hoffnung das Lebender Christen bestimmt

Entwurf für einenGemeindekreis

Erwartung – Hoffnung – Zukunft –diese drei Worte werden vor Beginndes Gruppenabends von der Mitar-beiterin/dem Mitarbeiter auf je einengrößeren Bogen Papier geschrieben. In einer ersten Runde schreiben dieTeilnehmerinnen und Teilnehmer ihreAssoziationen zu den Begriffen auf.Durch dieses Brainstorming gewin-nen sie einen ersten Zugang zumThema.

Input: Menschen leben von der Hoff-nung. Der Satz: „Es ist alles hoff-nungslos!“ kommt einem Todesurteilgleich. Wer keine Hoffnung mehr hat,der hat aufgehört zu leben. In unter-schiedlichen Lebensphasen gibt esunterschiedliche Hoffnungen.

Mit 14 Jahren hoffen viele Jugend-liche, endlich selber über ihr Lebenbestimmen zu können. Weg von derBevormundung durch andere.Mit 24 hoffen Menschen, endlich diegroße Liebe zu finden.Mit 34 möchten sie noch einige Stufen auf der Karriereleiter nach obenklettern.Mit 44, daß sich die Kinder gutentwickeln.Mit 54, daß sie trotz des Stressesgesund bleiben.Und mit 64 hoffen sie auf einen sor-genfreien, gesunden Lebensabend.

Aber wir erleben auch das andere:Hoffnungen können platzen wieSeifenblasen. Der Dichter TheodorFontane hat geschrieben: „Leben heißtHoffnungen begraben!“ In unsererZeit steigt die Angst vor Krisen undKatastrophen. Die Zukunftsaussichtenerscheinen vielen Menschen nichtrosig. Die Zukunftsunsicherheit hat

zu einer Gegenwartsbesessenheit ge-führt. Unser Denken ist diesseitsfi-xiert, ja geradezu diesseitssüchtiggeworden. Die gegenwärtige, sicht-bare, materielle Welt bestimmt unserDenken, Reden und Empfinden sostark, daß wir sie für die einzig realeWelt halten.

Überlegen Sie in der Gruppe:

Was läßt Menschen im ausgehendenzweiten Jahrtausend hoffnungslossein? Und: Worauf hoffen Menschen?Was erwarten sie? Eine(r) kann die Stichworte sammeln und notieren unter den Überschriften: Persön-liche Hoffnungen / Hoffnungen fürMenschen / Hoffnungen für dieseWelt / ...

Input: Das Wort „Hoffnung“ klingt fürviele nach billiger Vertröstung. DieKonsequenz der Gegenwartsbesessen-heit: Nur nichts verpassen! Bloß allesmitnehmen, was das Leben zu bietenhat.

Weltuntergangspropheten haben imausgehenden 2. Jahrtausend Hochkon-junktur. Sie überbieten sich an apoka-lyptischen Schreckensvisionen. Einigsind sie darin, daß der große Knallunmittelbar bevorsteht. Wenn es schonso kommt, dann gilt die alte Devise:„Laßt uns essen und trinken, dennmorgen sind wir tot!“.

Überlegen Sie miteinander: Fallen Ihnen dazu Beispiele ausIhrer Umgebung ein?

Input: Christen haben dieser Lebens-einstellung eine große Hoffnung ent-gegenzusetzen. Sie wissen, dazu istUmdenken und Neuorientierung nötigund ein Überprüfen der Prioritäten.Vor gut 100 Jahren dichtete MarieSchmalenbach: „Ewigkeit, in die Zeitleuchte hell hinein, daß uns werdeklein das Kleine und das Große großerscheine!.“

Unser Leben unter dem Blickwinkelder Ewigkeit sehen. Wichtiges vomUnwichtigen unterscheiden. Dazumuß ein Perspektivwechsel erfolgen.Perspektive heißt bekanntlich: Durchblick, Weitblick. Christen sindzur Weitsichtigkeit des Glaubens herausgefordert. Der Schreiber des

40

Page 22: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Der dritte Ratschlag ergibt sich aus derTatsache, daß wir in unserem Lebenimmer wieder meinen, den uns von derSchöpfung vorgegebenen Rhythmusder Zeiten meinen, übergehen zukönnen. Etwa dadurch, daß wir unsnicht mehr ausreichend Zeit zumSchlafen nehmen und als Folge davonunausgeschlafen und mürrisch in denTag starten. Oder daß unser Lebenhäufig ein Gefälle hin zum übertriebe-nem Tun bzw. Aktivsein bekommt und wir uns kaum noch Zeit zur Mußenehmen.

Darum ergibt sich als dritterRatschlag:

Wir müssen lernen,den vom Schöpfervorgegebenen Rhythmus der Zeiten zu respektieren.Gott hat uns mit der Schöpfung einendoppelten Zeit-Rhythmus vorgegeben.Der erste ist durch den Wechsel vonLicht und Finsternis bzw. Tag undNacht vorgegeben. (1. Mose 1,3-5).Der andere Spannungsbogen ist da-durch gesetzt, daß Gott nach sechsTagen Arbeit am siebten Tag von allenseinen Werken ruhte, die er gemachthatte! (1. Mose 2,3). Daraus folgt, daßin diesem doppelten Rhythmus vonTag und Nacht, von Arbeit und Ruhedie entscheidenden Vorgaben Gottesfür unseren verantwortlichen Umgangmit der Zeit liegen.

Es bleibt nicht folgenlos, wenn wirden Rhythmus unterschiedlicher Zei-ten zugunsten einer Seite auflösen.Etwa, indem wir „die Nacht zum Tagemachen“ und zu wenig Schlaf finden.Oder indem wir uns selbst am Sonntagunter das Diktat des Aktivseins bege-ben, statt bei einem guten Buch oderunterm Sonnenschirm einfach dieSeele baumeln zu lassen. So wenig wirpausenlos wach sein sollen, so wenigsollen wir pausenlos aktiv und fit sein.Denn: Gott gibt uns Atem, damit wirleben.

METHODISCHE HINWEISEDer vorliegende Text – eine Mischungaus Diagnose und Therapie – ist fürdas Gespräch, den Austausch ingemeindlichen Mitarbeiterkreisen bzw.Presbyterien gedacht. Meine Beob-

achtung: Gerade unter den in denKirchengemeinden verantwortlichMitarbeitenden finden sich häufigMenschen, die in ihrer Hilfsbereit-schaft und ihrem Engagement amEnde über die Maßen belastet sind undsich damit selber überfordern. AlsPfarrerinnen und Pfarrer stehen wirnicht selten in der Versuchung, geradesolchen einsatzfreudigen und begabtenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern im-mer noch mehr zuzumuten, statt mitihnen über notwendige bzw. sinnvolleEntlastung zu sprechen.

Zur Vorgehensweise

Im ersten Teil des Mitarbeiterge-spräches könnte gemeinsam über denSatz „Ich habe keine Zeit!“ nachge-dacht werden: Wie kommt es, daßdieser Satz so häufig auch von in derKirche Mitarbeitenden zu hören ist?Was steckt an objektiven Gegeben-heiten – und was an subjektivenLebensgefühl hinter diesem Satz?

Im zweiten Teil könnten nach Auswe-gen aus dem Dilemma der „Zeitfalle“gesucht werden. Dabei können die dreian dieser Stelle vorgestellten „Rat-schläge“ zunächst ohne jede weitereKommentierung vorgestellt und dieGesprächsteilnehmer um ihre Reaktiondarauf gebeten werden. Den Einwän-den wie z.B. „Das hört sich zwar gutan, aber ist ja doch nicht praktikabel!“oder „Und wer übernimmt die Arbeit,wenn ich aussteige, weil ich anderePrioritäten gesetzt habe?“ kann amkonstruktivsten so begegnet werden,daß andere Teilnehmerinnen und Teil-nehmer von positiven Erfahrungen der Beherzigung solcher Ratschlägeerzählen.

Es wäre für ein Gespräch zu diesemThema schon viel gewonnen, wenn diedaran Beteiligten erkennen würden:Das sie begleitende Lebensgefühl,ständig gestreßt und überfordert zusein, ist keineswegs eine ihnen vonGott auferlegte Last, sondern eherselbstverschuldet, vielleicht auchfremdbestimmt. Gott gönnt uns in al-len täglichen Belastungen und Pflich-ten die Atempausen, das Aufatmen.

Noch mehr wäre allerdings gewonnen,wenn in einzelnen Gesprächsteil-nehmerinnen und -teilnehmern der

Entschluß reifen würde, den einenoder anderen Ratschlag zu beherzigenund sich darüber mit anderen aus derGemeinde zu verständigen bzw. zuverabreden – etwa zu einem wöchent-lichen gemeinsamen Gebet bzw. einerZeit der Stille und Besinnung (vgl.dazu den persönlichen Bericht vonPfarrerin M. Deitenbeck-Goseberg„Ewigkeit in die Zeit ...“ auf Seite 45dieser Praxishilfe).

-KJD-

O

43

befähigt, mutige, unkonventionelleund effektive Schritte zu tun.

Es wäre schön, wenn die Gruppe zum Abschluß ein ABC der Hoffnungformulieren könnte.

Was können wir konkret tun bzw.sein, damit andere Menschen Anteilbekommen an der lebendigen Hoff-nung der Christen?

Wenn Ihnen zu einzelnen Buchstaben,z.B. Y oder X nichts einfällt, könnenSie ihn übergehen. Wichtig ist, daßsich jede(r ) eine Sache vornimmt, diein absehbarer Zeit in die Tat umgesetztwerden kann.

A Anteilnahme spüren lassen und konkret helfen: nach Auswegensuchen.

B Bereit sein, unkonventionelle Wegezu wagen.

C Christi Nähe auch durch die eigeneleibhaftige Nähe spüren lassen.

D Durchdenken helfen, wo die neuenMöglichkeiten im Leben dessenliegen, der gerade keinen Auswegsieht.

E Ermutigend arbeiten

F Fehler machen ist erlaubt. Wernichts tut, wird auch keine Fehlermachen.

G . . .

Pfarrerin Birgit Winterhoff ist Gemeindepfarrerin in Halle undVorsitzende der Arbeitsgemeinschaftfür Jugendevangelisation.

O

Gott gab unsAtem, damitwir leben

Was bewahrt uns vor der Falle, keine Zeit zu haben?

Ratschläge für gestreßte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Oft werden gerade wir verantwortlichin der Kirche Mitarbeitenden dasGefühl nicht los, mit unseren täglichenAufgaben und Pflichten übermäßigstrapaziert zu sein. Hektik und Unruhebestimmen unseren Tagesablauf. Wirwerden den Eindruck nicht los: Durennst durch das Leben, und das Le-ben läuft hinter dir her – doch nie seidihr euch begegnet (Michael Quoist).

Es gibt viele einleuchtenden Erklärun-gen für dieses Gefühl der Rastlosigkeitund permanenten Zeitknappheit: EineUrsache ist die schier unübersehbareFülle der Dinge, die täglich auf unseinstürmt, unsere Aufmerksamkeitbeansprucht und unsere Sinne reiztund überreizt. Eine andere sind dievielfältigen Aufgaben und Pflichten,die wir uns selbst auferlegt haben –oder uns von andern aufhalsen ließen.Doch wie finden wir einen Ausweg?

Ein erster Ratschlag:

Wir müssen lernen,einfältig zu werden.Wir haben uns häufig einen „additiven“Lebensstil angewöhnt, d.h. einen Le-bensstil, bei dem wir das Neue,Interessante, immer noch zu allem Bis-herigen versuchen hinzuzufügen (zu„addieren“) und in unser Tages-programm zu integrieren. Doch irgend-wann kommt der Punkt, wo zuviel ein-fach zu viel ist. Da hilft nur eins: Din-ge, die wirklich nicht so wesentlich undwichtig sind, loszulassen. Sich ihnenbewußt zu entziehen. Darauf zu ver-zichten. Im eigenen LebensprogrammTagesordnungspunkte zu streichen.

Einfältig werden – in früherenJahrhunderten übrigens schon ein

Gebetsanliegen von Christen „Laßmich einfältig werden ...“ – G. Terstee-gen – das heißt: Sich bewußt für dasentscheiden, was unbedingt Vorfahrtim eigenen Leben haben soll – und zu-gleich entschlossen auf Nebensäch-liches bzw. Zweitrangiges zu verzich-ten, das zur Verzettelung oder Überfor-derung verführt. Allerdings kann dasauch die u.U. schmerzhafte Trennungvon Liebgewordenen bedeuten.

Auch das ist ein wesentlicher Grund fürunsere Unruhe und Hektik: dieZunahme des Lärms, der pausenlosenakustischen Berieselung, die es unsimmer schwerer machen, inne zu haltenund zur Besinnung zu kommen. Schonvor über 150 Jahren hat der große DäneSören Kierkegaard das Anschwellendes Lärms als die bedrohlichste Krank-heit der Zeit erkannt: Wenn ich Arztwäre und man mich fragen würde, wasdas Wichtigste wäre, damit die Men-schen genesen, ich zögerte keinenAugenblick mit der Antwort: SchafftSchweigen! – so würde ich sagen.Schafft Schweigen, denn im Lärm kannman Gottes Stimme nicht mehr hören.

Daraus folgend ein zweiter Ratschlag:

Wir müssen lernen, Inseln der Stille im Meer des Lärmsanzusteuern.Auf unserer lauten, oft unruhigen Reisedurch den Alltag brauchen wir Halte-punkte: Inseln des Schweigens, derStille. Wir nehmen uns am Morgen, amAbend oder zu Zeiten, an denen es unsam leichtesten gelingt, einige MinutenZeit der Stille. Halten bewußt einmalinne. Kommen zur Besinnung. Breitendas, was uns bewegt und beschäftigt, er-freut oder belastet vor dem lebendigenGott aus und machen ein Gebet daraus.

Gott will uns in der Stille begegnen.Um solche Momente der Stille in un-serem persönlichen Tagesablauf müs-sen wir entschlossen kämpfen; sie fal-len uns nicht in den Schoß und stellensich nicht von selbst ein. Schon Paulusrät: Ringet danach, daß ihr stille seid!(1. Thess. 4,11). Gott will uns in derStille begegnen. Ohne zur Stille zu fin-den, werden wir kaum Begegnungenmit dem lebendigen Gott haben kön-nen, noch in Erfahrung bringen, wasGott mit unserem Leben vorhat.

42

Page 23: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

um mich Gott zuzuwenden (Zeit ohneVerpflichtung und Verantwortung)?Wieviel Zeit verbringe ich alleine,wieviel in Gemeinschaft mit anderen(Partnern, Kindern, Angehörigen,Freunden, Fremden)?

Zur Konkretisierung(Einzelarbeit):

Im Blick auf eine typische Woche dieAspekte des eigenen Umgangs mit derZeit, die im Gespräch bedeutsam ge-worden sind, graphisch darstellen (Ta-belle erstellen oder mehrere Zeitleistenim Vergleich anordnen oder Kreis inTortenstücke aufteilen und mit Schraf-fur oder Farbe die unterschiedlichenAspekte hervorheben).

Wo bin ich mit meiner Zeiteinteilungeinverstanden? In welchem Bereichmöchte ich etwas ändern?

Evtl. Reflexion im Plenum. Was neh-me ich wahr? Was nehme ich mit?

GebetDamals, als du uns ins Leben gerufenhast, Herr, da hast du uns auch dieZeit gegeben. Du hast jedem seineZeit geschenkt und gesagt: teile dirdeine Zeit ein, sie ist nicht unbe-grenzt. Herr, als ob es so leicht wäre,Zeit einzuteilen. Anfangs ist viel da-von da; wir bemerken kaum, wie sieverrinnt. Später aber fangen wir anzu jagen und zu klagen; denn so vie-les ist noch ungetan. / Herr, hilf uns,unsere Zeit richtig zu verwalten. Laß uns Zeit haben für unsere Mit-menschen, unsere Familien, unsereKinder, unsere Alten und Kranken.Lehre uns, Zeit zu verschenken an die,die uns brauchen und an die, die wirlieben, und laß uns immer auch nochZeit für dich haben. / Schenke uns dieGabe der Unterscheidung, damit wirunsere Zeit nicht vergeuden.(Inge Sternemann)

LiedvorschlägeMeine Zeit steht in deinen Händen(Text und Melodie Peter Strauch)

Gott gab uns Atem, damit wir leben(Evangelisches Gesangbuch Nr. 432)

Vertraut den neuen Wegen (Evangelisches Gesangbuch Nr. 395)

Bevor die Sonne sinkt (Evangelisches Gesangbuch Nr. 491)

Pfarrerin z.A. Kerstin Rödel arbeitet im Volksmissionarischen Amtder EKvW und ist dort unter anderemfür Hauskreisarbeit verantwortlich.Pfarrer Jürgen Dusza hat zuletzt sechs Jahre im Volksmis-sionarischen Amt der EKvW gearbeitetund ist seit Januar 1999 Gemeinde-pfarrer in Unna-Dellwig.

O

Ewigkeit, in dieZeit leuchte hellhinein ...

Wie das Sterben von MenschenPerspektiven verändern kann

Eine sehr persönlicheGeschichte

Kennen Sie das auch, daß Sie sichschwarz ärgern können über Dinge,Situationen, Menschen, Verhaltens-weisen ...?

Tragen Sie doch einmal für ein paarMomente Gründe zusammen, worüberSie sich in den letzten zwei Wochengeärgert haben, und das anhand des Wortes „Ärger“, geschrieben „A E R G E R“, nämlich Dinge, diemit den Buchstaben des Wortes Aerger:A, E, R, G, E, R anfangen. Also zurKostprobe: mein Ärger über: andereMenschen, Entmutigendes, Rohheit,Geltungsbedürfnis, eklige Art, Recht-haberei.

Sie werden noch viele andere Dingezusammentragen können. Und kennenSie das auch, daß Sie manchmal eintiefer Ärger über sich selbst erfaßt,weil Sie sich so geärgert haben? Oderweil Sie Ihrem Ärger so viel Raumeingeräumt haben und Sie sich imnachhinein sagen: „Wie ärgerlich, wieunangemessen ...“. Es gibt im Lebenviel Wichtigeres, als mich an dieserSache so zu ärgern. Es war gar nichtangemessen angesichts der vielen tie-fen Not und angesichts des wirklichWichtigen im Leben.

Ich mußte einmal einen Konflikt mitMitarbeitern in der Obdachlosenarbeitdurchstehen unmittelbar in der Zeit,als eine kostbare junge Mitarbeiterinunserer Gemeinde im Sterben lag undich täglich an ihrem Bett saß. DiesesSterbebett hat mich verändert. DerKonflikt bekam plötzlich einen gerin-geren Stellenwert. Das, was michnormalerweise mit jeder Faser meinesHerzens beschäftigt und zermürbthätte, war auf einmal ganz weit weg

45

Mit der eigenen Zeit auskommen

Überlegungen zum verantwortlichen Umgang mitder Zeit

Entwurf für einenGemeindekreis

Gedanken zur Hinführung auf das ThemaMein Leben. Womit soll ich es verglei-chen? Mit einer Kerze, die angezündetworden ist und nun herunterbrennt, bissie erlischt? Mit einer Sanduhr, dieSekunde für Sekunde kleine Körnchenin ihre untere Hälfte durchläßt und so oben immer leerer wird, bis irgend-wann einmal das letzte Körnchendurchgelaufen und damit die Zeit ab-gelaufen ist?

Hast, Eile, Zeitnot und Betrieb prägenmeine Zeit. Dabei sagt man doch: Als Gott die Zeit schuf, hat er von Eilenichts gesagt!

In unserem Alltag entwickeln wir unszu Zeitsparern. Waschen, Spülen,Wäsche trocknen – alles maschinell,Telephonbanking, Internetshopping.Wir leben im Mikrowellenzeitalter. In-nerhalb von 5 Minuten Tiefgekühltesdampfend auf den Tisch! Autos wer-den schneller, Züge erreichen Hoch-geschwindigkeiten, Flugzeuge werdenfür den Inlandverkehr immer beliebter.Wir halten das für uns unverzichtbar.Zeit ist knapp, Zeit kostet Geld, sagenwir und beteuern: Die Zeit kann maneben nicht zurückdrehen. Aber tatsäch-lich kommen wir bei diesem Temponicht mit – im buchstäblichen Sinne.Die Zeit rast an uns vorbei. Jeden Tagkriegen wir das zu spüren. Am Endeeines Tages bleibt die Frage: Warumhat der Tag nur 24 Stunden?

Michael Ende in seinem Buch„Momo“ über die Zeitsparer: Niemandschien zu bemerken, daß er, indem erZeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz

anderes sparte. Keiner wollte wahr-haben, daß sein Leben immer ärmer,immer gleichförmiger und immer käl-ter wurde.

Wie kann ich mit meiner Zeit ver-antwortlich umgehen? Wo finde ichOrientierung?

Psalm 31,16: Meine Zeit steht indeinen Händen, meine Zeiten, meineZukunft, was aus mir wird.

1. Mose 2,15: Gott der Herr nahm denMenschen und setzte ihn in den GartenEden, daß er ihn bebaute und bewahrte.Die Arbeit und damit die Nutzung vonZeit zur täglichen Versorgung gehörtzur Bestimmung des Menschen.

5. Mose 5,13f: Sechs Tage sollst duarbeiten und alle deine Werke tun.Aber am siebenten Tag ist der Sabbatdes Herrn, deines Gottes. Da sollst dukeine Arbeit tun ... – Wir sollen Gottfürchten und lieben, daß wir diePredigt und sein Wort nicht verachten,sondern es heilig halten, gerne hörenund lernen (Kleiner KatechismusMartin Luthers). Wir brauchen Ruhe,Zeit und Besinnung, damit die Bot-schaft in unsere Herzen fallen undWurzeln schlagen kann.

Jesus zog sich immer wieder zurück,um alleine zu sein (Mk. 6,46; 14,33f).Die meiste Zeit aber verbrachte er mitanderen Menschen. Er sprach sie anund unterhielt sich mit ihnen (Joh. 4,1-26), aß und trank mit ihnen, feiertemit ihnen Feste (Mk. 2,15f; Joh. 2,1-12) und verkündete ihnen das ReichGottes. Alle Zeit, die er auf Erden hat-te, setzte er dafür ein, Gemeinschaft zustiften und Leben zu schützen und zufördern.

Keine Zeit für sich selber haben, d.h.,sich selbst verlieren. Keine Zeit fürden anderen haben, d.h. ihn verlieren.Nur noch Zeit haben, die keinerbraucht, die für nichts und niemandgut ist, d.h. den Sinn des eigenenLebens verlieren (Klaus Hemmerle).

Wer keine Zeit für andere hat, hat dasEvangelium nicht begriffen. Es gibtnicht nur eine wundersame Brot-vermehrung, sondern auch einewunderbare „Zeitvermehrung“ (siehe oben unter Zeit-Anekdoten

„Die wunderbare Zeitvermehrung von L. Zenetti; Seite ??). „Zeit verdoppeltsich, wenn man sie teilt“, wenn mansie gemeinsam mit anderen verbringt,d.h. sie verschenkt.

Mit dem anderen Zeit verbringen:Mitgehen, Teilhaben, Teilgeben, Mit-leiden, Zuhören – Gemeinschaft er-leben, bewahren und fördern.

Impulse für dieGruppenarbeitZum Einstieg

Stuhlkreis mit gestalteter Mitte. Auf einem Tuch in der Mitte liegenSymbole, die bestimmte Inhalte zumUmgang mit der eigenen Zeit trans-portieren (Zeit bemessen, Zeit ein-teilen, Zeitnot, Zeit sparen, mit derZeit nicht mitkommen): z.B. bren-nende Kerze, Eieruhr (s.o.), Termin-kalender, DB-Fahrplan, Werbe-prospekt für Telephonebanking,Modellflugzeug, usw. Was prägtmeinen Umgang mit der Zeit?Assoziationsrunde.

Zur Erarbeitung des Themas (im Plenum):

Die Unterscheidung zwischen Er-werbstätigkeit und sonstiger Arbeitzum Zweck der täglichen Versorgungund sogenannter zweckfreier Zeitge-staltung. Als „zweckfreie“ Zeit kanndie Zeit betrachtet werden, in der ichmich eben nicht um die tägliche Ver-sorgung kümmere. In diesem Sinn ist„zweckfreie“ Zeit aber durchaus auchdie Zeit, in der ich meinen selbstge-wählten Verpflichtungen im Freizeit-bereich nachgehe und in Ausübungfreiwillig übernommener Verantwor-tung dort tätig bin. Besteht in meinemAlltag zwischen zweckgebundenerund zweckfreier Zeitgestaltung eineBalance?

Betrachtung der Zeit, die nicht zurtäglichen Versorgung genutzt wird:Wieviel Stunden der zweckfreien Zeitverbringe ich im kirchlichen Bereich?Wieviel Zeit investiere ich in Sport,Theater- und Kinobesuch? WievielStunden davon nutze ich zur eigenenUnterhaltung, zur Ruhe und zum Ab-schalten, zur Stille und zur Besinnung,

44

Page 24: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Wo wird in unseren Gemeinden gezieltund namentlich für Kranke gebetet?Was haben wir für Gründe, es zuunterlassen?

Welche Rolle spielt das Gebet in un-serem persönlichen Leben – wie inunserer praktischen Gemeindearbeit?Ist die häufig anzutreffende Gebets-armut nicht ein wesentlicher Grund fürmanche Müdigkeit und manchemStillstand?

-KJD-

Ist es fünf vor zwölf?

Wider die apokalyptische Angstmacherei

Ein Aufruf zur Nüchternheit

Immer häufiger ist jetzt das Stichwort„Endzeitfieber“ zu hören oder zu lesen,wenn es um die magische Zahl „2000“und die damit verbundenen Erwartun-gen und Ängste geht. Überwiegend inder westlichen Welt wächst bei vielenMenschen eine innere Spannung unddas ‚kribbelige Gefühl’, im Zusammen-hang mit dem bevorstehenden Zeiten-wechsel könne oder besser müsse ir-gend etwas Außergewöhnliches gesche-hen. Die Anhänger verschiedener end-zeitlich ausgerichteter Gemeinschaften,unter anderem die Zeugen Jehovas undAdventisten, haben dabei in ersterLinie die biblische Apokalypse, d.h. dieBilder aus der Offenbarung des SehersJohannes vor Augen. Andere, mehrweltlich-politisch eingestellte Zeit-genossen beobachten die zukünftigeEntwicklung der Menschheit mit zu-nehmender Sorge und denken an Über-bevölkerung, knapper werdende Roh-stoffe (Öl, Trinkwasser) und den Ein-satz von Massenvernichtungswaffen.Wiederum andere erwarten mit demAnbruch des neuen Jahrtausends (dasrechnerisch korrekt ja erst am 1. Januar2001 beginnt) optimistisch die Lösungder genannten Probleme; einige rech-nen sogar mit der baldigen Überwin-dung von Krankheiten, Alter und Tod.Es gibt durchaus also auch Zukunfts-hoffnungen, die die Menschen mit demDatum „2000“ und der Zeit danach inVerbindung bringen.

Mit dem Hinweis, daß es nun aberdoch Fünf vor Zwölf sei und man mitdem Ende der Welt oder zumindest mitkosmischen Katastrophen zu rechnenhabe, machen sich seit einigen Jahrendie Führer obskurer Grüppchen, auf-geregte Astrologen und selbsternannte„Propheten“ lautstark bemerkbar.

So hatte etwa „Uriella“ (Erika Bert-schinger), „Sprachrohr Gottes“ undLeiterin der deutsch-schweizerischenSekte „Fiat Lux“, für den 9. August1998 (dieses Jahr enthält dreimal die„satanische Zahl 666“) den Beginn ei-nes Dritten Weltkrieges vorhergesagt,der drei Monate dauern sollte. DieSektenmitglieder glaubten, daß an-schließend ein Komet in die Nordseestürzen und ein großer Teil Deutsch-lands von einer Flutwelle über-schwemmt würde. Rettung wäre von„normalerweise unsichtbaren“, dannaber materialisierten Raumschiffengekommen, die die Überlebenden anBord geholt und später auf die Erdezurückgebracht hätten.

Für den 11. August 1999 (Tag einertotalen Sonnenfinsternis) sehen Astro-logen durch eine besondere Planeten-konstellation etwas „ganz Schlimmes“auf die Erde zukommen: Saturn, Mars,Uranus und Neptun bilden in den Tier-kreiszeichen Löwe, Skorpion, Wasser-mann und Stier ein Quadrat; eine, nachMeinung der Astrologen, sehr gefähr-liche kosmische Entwicklung mitKriegen, Naturkatastrophen und Ex-plosionen, etwas, „was es so noch niegab“. Auch der französische „Seher“Nostradamus (1503-1566) habe schonin einem Vierzeiler auf dieses Ereignishingewiesen: Im Jahre 1999 und sie-ben Monate [Julianischer Kalender!]wird vom Himmel der große König desTerrors kommen ...

Umfragen zufolge kümmert sich diegroße Mehrheit der Bevölkerung Mit-teleuropas jedoch nicht um solch end-zeitliche Vorstellungen und apokalyp-tisch-kosmischen Ängste. Die meisteninteressiert nur, wie und wo sie dieSilvesternacht 1999/2000 am bestenverbringen können.

47

von meinem Herzen. Die Dimensionenund die Proportionen des Lebens, dieGewichte und Gewichtungen verscho-ben sich. Die Lebensperspektiven wur-den für mich heilsam zurechtgerückt.

Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein,daß mir werde klein das Kleineund das Große groß erscheinesel’ge Ewigkeit.Marie Schmudenbach

Ich habe keine Vorstellung davon ge-habt, wie sehr Ewigkeit in die Zeit hellhinein leuchten, ja auch hineinreichenkönnte. Die Jahre 1996 bis 1998 wur-den die Jahre in meinem bisherigenLeben, wo die Ewigkeit eine neue Di-mension für mich bekam. Fast möchteich es so ausdrücken: Gott hat mir undmit mir unserer Gemeinde, die Ewig-keit auf’s Herz gelegt und hat damitzugleich ganz Neues beginnen lassen.Ich möchte davon erzählen, weil ichglaube, daß es nicht einfach nur unsereGeschichte ist, sondern daß Gott mitunserer Geschichte andere ermutigen,anrühren, stärken will, der Ewigkeit inihrem Leben Raum zu geben.

1996 erkrankte eine junge Presbyterinunserer Gemeinde an Krebs, und esbegann eine anderthalbjährige tiefe, sonoch nicht zuvor erlebte Zeit für unsalle. In ihrer Vitalität und ihrer ganzenArt gab sie uns in dem Wissen um ihrebegrenzte Zeit ihren Kräften entspre-chend alles, was sie geben konnte; gab uns Anstöße; prägte uns in einerunvergeßlichen Mitarbeiterfreizeit mithundert Leuten kurz nach Ausbruchihrer Krankheit. Es war für uns alleunvorstellbar, daß wir diese lebens-sprühende junge Frau nicht mehr beiuns haben würden. Die nächsten Mo-nate wurden Monate unendlich vielerGespräche. Woche für Woche saßenwir beiden beieinander, um langsammiteinander den Weg auf das Sterbenzuzugehen. Woche für Woche wurdeuns Zug um Zug eines immer kost-barer: das Gebet. Als die Wochen derabnehmenden Kräfte begannen, dawar es das Gebet, das uns miteinanderin einer so nie zuvor erlebten Inten-sität verband. Sie gehörte in unsereFürbittengebete im öffentlichen Gottesdienst mit Namensnennung mitSelbstverständlichkeit hinein. In allunseren Gruppen und Kreisen trugen

wir sie mit unseren Gebeten. Und sietrug uns. So sehr verband uns dasGebet, war sie bei uns, konnten wirbei ihr sein, daß ich immer wieder inunseren beidseitigen Gesprächengesagt habe: „Und Du wirst für uns inder Ewigkeit weiter beten“. Es wardas erste Mal, daß ich für mich selbstexistentiell und so intensiv wahr-genommen habe: diese Liebe zuein-ander, diese Fürsorge füreinander,diese Verbundenheit miteinander inJesus, stammt aus der Ewigkeit undkann nicht an der Schwelle zur Ewig-keit enden.

In den Kuppeln orthodoxer Kirchen istdie erlöste himmlische Welt aufgemalt.Und es herrscht die Vorstellung, daßjeder Gottesdienst nicht nur in der Ge-meinde gefeiert wird, sondern zugleichgemeinsam mit der erlösten himm-lischen Welt. Dieser Gedanke ist mirganz anders nahegerückt und zugäng-lich geworden durch dieses persön-liche Erleben.

Unsere junge Presbyterin hat vieleneue Gedanken und Bewegungen inunserer Gemeinde mit angestoßen undbegleitet. Eine neue Sehnsucht nachGebet, nach Anbetung und Lobpreis,nach Stille und danach, einladendeGemeinde zu sein, ist bei uns immerweiter gewachsen. Sie hat uns geprägtund alles mitbegleitet und sich anallem gefreut von ihrem Krankenlageraus. Wir brachten ihr Grüße, Blumen-sträuße und die Kassetten vom Gottes-dienst. Und die Nachricht, daß wirnun auch einen Flügel in der Kirchehätten und daß Flügel, Cello undGitarre ihren Platz im Gottesdiensthaben. Und wir gestalteten ihre Be-erdigung. Ihr letzter Wunsch war ge-wesen, daß statt Blumen und Kränzenfür unseren Raum der Stille gespendetwürde, eine Art Gebetskapelle, einRaum an unserer Kirche, der nun täg-lich von 7 bis 22 Uhr geöffnet ist undfür Gebet und Stille zur Verfügungsteht. Fast 10.000 DM kamen anläß-lich ihrer Beerdigung zusammen. Wirbegannen ein halbes Jahr nach ihremTod mit dem Umbau. Zur selben Zeiterkrankte meine Mutter an Krebs, undGott fügte wieder solch eine ewig-keitsgefüllte Zeit an, als ob es mitein-ander zusammenhinge: das, was er beiuns auslösen wollte und das, was eruns erleben ließ.

Wieder ein halbes Jahr später, dreiMonate nach dem Tod meiner Mutter,weihten wir unsere Gebetskapelle imGottesdienst am Pfingsttag 1998 ein.Mein Vater hielt für uns die Predigt.Unsere beiden, meine Mutter und un-sere Presbyterin, so war es in unseremBewußtsein, freuten sich aus derEwigkeit mit. Es war ein Gottesdienstvon besonderer Dankbarkeit undDichte.

Und nun wird bei uns gebetet in un-serer Gebetskapelle. Über die Mög-lichkeit hinaus, dort zu jeder Zeit sichselbst einzufinden, gibt es einen täg-lichen Gebetsdienst von montags –freitags, wo von neun Gebetsteamstäglich eines sich für 1-2 Stunden zumGebet zu zweit einfindet, um fürunsere Gemeinde und mit Menschenunserer Gemeinde zu beten.

Wir können es gewiß nicht „machen“,aber uns gemeinsam auf den Weg ma-chen, uns offenhalten für das, was Gottuns auf’s Herz legen will, das könnenwir alle in unseren Gemeinden undGemeinschaften. Und so kann derGedanke auch auf ganz anderenWegen und Weisen seinen Weg zu unsfinden: Ewigkeit in die Zeit leuchtehell herein ...

Pfarrerin Monika Deitenbeck-Gosebergist Gemeindepfarrerin in der Evangelischen KirchengemeindeOberrahmede im KirchenkreisLüdenscheid.

OAnmerkungDiese sehr persönliche Erfahrung einerPfarrerin unserer Kirche kann Mutmachen, das Leiden und Sterben vonChristinnen und Christen bewußter inunseren Gemeindealltag mit einzube-ziehen und dadurch noch einmal neuzu lernen, Wesentliches von Unwe-sentlichem zu unterscheiden. Gewißist diese Geschichte einmalig – unddarum weder wiederholbar noch ko-pierbar. Doch enthält sie unausgespro-chene Fragen an unseren persönlichenGlauben wie an unsere gemeindlichePraxis:

Wie steht es um die seelsorgerlicheBegleitung Leidender bzw. Sterbenderin unserer Gemeinde?

46

Page 25: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Der Globusquietscht undeiert ruhig weiterDas magische Jahr 2000 –Endzeitängste und kichernde Erwartung

Mutmaßungen eines Journalisten

Hoch auf dem Teide von Teneriffahaben unlängst angeblich mehr alsdreißig Mitglieder einer mutmaßlichwunderlichen Gruppe gemeinsam ihreKörper und diese akut vom Untergangbedrohte Welt verlassen wollen, umsich, ins Feinstoffliche verwandelt, perRaumschiff auf einen fernen heilenPlaneten beamen zu lassen. Niemandweiß, ob die Geschichte stimmt, Er-mittlungen der spanischen Behörden,die offenbar Anlaß haben, zu glauben,einen Massensuizid verhindert zuhaben, sind im Gange. Anwälte derFührerin jener Gruppe teilen mit, dasGanze gehe auf die Aussagen nur einereinzigen Frau zurück, und die seienhaltlos.

Wäre die geplante makabre Raumfahrtins Heil nur erfunden, wäre sie zeitge-recht erfunden. Das Jahr mit den dreiNullen steht vor der Tür. Endzeitangstund sogar Weltuntergangsstimmungmit mehr oder weniger üblen Folgensind zu spüren. Sie machen sich zwarnicht eben breit. Ein Fachmann derEvangelischen Zentralstelle für Welt-anschauungsfragen, Michael Nüch-tern, meint sogar, manches deutedarauf hin, daß jene Stimmung ab-nehme, je näher das magische Datumrücke. Nicht zuletzt wegen seiner „Eventfähigkeit“ werde die positiveDeutung der Wende zunehmen. Sowird es hoffentlich kommen.

Und doch – vorerst scheinen End-zeitängste und manchmal auch meta-physische Torschlußpanik, genährt vonwirklichen Bedrohungen und zusätz-lich angefacht von der Symbolkrafteiner unwiderstehlichen Zahl, rechtkräftige Ingredienzien unserer Zeit zu sein. Das machen sich Gurus,

„kosmoplanetäre“ Messiasse undandere dunkle Lichtgestalten zunutze.Geschickt oder auch plump (schadetder Wirkung nicht) rücken sie dasEnde des „erschöpften Millenniums“in ein noch düsteres Licht, als es man-chen ohnehin schon erscheint, undverstärken oft schon vorhandeneungute Entwicklungen in Seelenland-schaften.

Hochkonjunktur für skurrile Endzeit-SpekulantenSeitdem die 2000 spürbar naht, nichtlänger in unwirklicher Ferne schim-mert, seit einigen Jahren also, nimmtdie Zahl skurril-kultischer und okkul-ter Vereinigungen offenbar zu, jeden-falls machen sie mehr und mehr vonsich reden, eigenartige Problem-lösungsangebote nehmen überhand.Tausend Anbieter nutzen das durch dieMixtur aus begründeter Zukunftsangst,Sinnkrise und Zahlenmagie entstande-ne „günstige“ Klima und heizen esauf. Sie dealen mit ihrer vorgeblichenHeilsware auf den Seelenmärkten,selbst das Abstruseste findet Anhänger.Die Disposition, sich Irrationalemhinzugeben, radikale Scheinlösungenfreudig zu umarmen, Unsinn zuglauben, hat es schon immer gegeben.Doch es sieht so aus, als wüchse sieangesichts des zauberischen Datums.Und so erreichen uns denn von denFührern der „Wohnzimmerkirchen“und destruktiven Zirkel wieder undwieder seltsam-fürchterliche, blutig-lächerliche Droh-Botschaften diesesMusters: Die Zeit ist gekommen, denHeilsplan zu erfüllen und den Todohne Bedauern zu begrüßen. Oder:Mit der Jahrtausendwende naht dieZeit der Apokalypse. Oder: SchlußakteErde (detaillierter Ablauf). Oder: Fürdie Menschheit ist es eine Minute vorzwölf, ein neues Zeitalter steht bevor,nur noch wenige Wochen, bis derCountdown läuft. Oder: Aus verschie-denen Angaben ist zu schließen, daßdie Wende zügig kommt. (Es folgt eineDatierung.) Oder: (auch mit Termin):Weltgericht Gottes, Beginn mit 50Grad Kälte, Engelschutzabzug, Rachezurückkehrender Naturgeistwesen.Entrückung der Gläubigen untergehen-der Städte, Länder, Erdteile in Welt-raum-Mutterschiffen. Umpolung circaeine Sekunde. Äon-Beginn nur mitreinen Gottestreuen.

Wenn der diversen „Propheten“ mehroder weniger wendenahe Fristen fürdas Ende oder den „Final bang“ankündigende infernalische Ereignisseverstreichen – 75, 82, 88, 91, –, ver-künden sie eben andere – 96, 98, 00 –,aufgeschoben ist nicht aufgehoben.Dazu immer neue apokalyptischeBegleitmusik. Die fast schon mit denHänden zu fassende 2000 machtmanch einen offenbar wahnsinnig odergeschäftstüchtig oder beides, und nichtganz wenige Leute scheinen den „Er-leuchteten“ willig zu glauben, womög-lich gegen Entgelt rechtzeitig vor dem„Crash“ der jetzigen Misere und derdrohenden Vernichtung entfliehen zukönnen. Schöne Aussicht: Aus derAsche wird sich erheben die Schar derReinen, die mir geglaubt haben. Soheißt es ähnlich. Mit der christlichenLehre übrigens haben solche Zerr-bilder nichts zu tun, auch wenn nebenreligiösen oder pseudoreligiösen Mo-saiksteinchen aus aller Welt christlicheNamen und Begriffe – Jesus, Maria,Johannesapokalypse – eingebaut sind.

Locker vor dem großen EventDie meisten Menschen sehen gottloblocker, oft humorvoll-erwartungsfrohauf den großen Sprung. Je mehr siedavon zeigen, desto besser für diesenoder jenen, der gefährdet ist. Einbißchen ansteckend ist eben auch dasPositive. Runde Zahlen ziehen auchGelassene magisch an, haben auch fürsie eine unerklärliche Aura. Der 50.Geburtstag und das 100. Jubiläumbedeuten selbst für karge Verstandes-menschen mehr als krumme Daten.Das Jahrtausend wogt schneller undschneller seiner mathematischen Voll-endung entgegen, und wohl jeder istschon jetzt seltsam berührt von derrunden Zahl 2000. Schon jetzt wirdangemessen Sensationelles gedacht,geplant und gebaut, schon jetzt wissenzahllose Bürger, wie sie „die“ Silve-sternacht verbringen wollen. Von altenLeuten kann man immer wieder hören:„Das möchte ich noch erleben dürfen.“Und besonderes Glück hat der Jahr-gang 1900, wenn er seinen 100. Ge-burtstag feiert.Ein jeder also blickt auf das Ereignis.Die einen ängstlich, andere panisch,andere hoffnungsvoll. Wieder anderenergeht es wie Cees Nooteboom, der

49

Weltuntergang – ein Dauerthemader Religionen

Wer die Religions- und Kirchenge-schichte aufmerksam studiert, wirdfeststellen, daß vom altpersischenReligionsgründer Zarathustra (6. Jahr-hundert v.Chr.) bis zur gegenwärtigenNew-Age-Bewegung und von den alt-testamentlichen Propheten bis zu denSelbstmordsekten unserer Jahrzehnte(Volkstempel, Sonnentempler, Hea-ven’s Gate u.a.) der Gedanke von End-zeit oder Wendezeit immer eine wichti-ge Rolle gespielt hat. Es scheint so, alsob die Vorstellung vom Ende des als„böse“ empfundenen Gegenwärtigenund vom Beginn eines „viel besseren“Zukünftigen wesenmäßig zum Glau-bensgut der meisten Religionen dazu-gehört.

Allerdings gibt es hier große Unter-schiede im Hinblick auf den entspre-chenden Zeitplan. Naturgemäß stehendie nicht-christlichen Religionen dabeiaußerhalb der christlichen Zeitrech-nung, womit auch das Datum „2000“für sie keine Rolle spielt. Im Hinduis-mus etwa glaubt man, daß die jetzigedunkle Epoche Kali-Yuga noch427 000 Jahre dauert, bis wieder einGoldenes Zeitalter (Krita-Yuga)anbricht. Andere Religionen rechnenzwar allgemein mit dem großen Wech-sel, nennen jedoch keinen konkretenZeitpunkt. Im Judentum hofft man aufden verheißenen Messias, den jüdischeSekten zwischenzeitlich schon ganznahe wähnten (z.B. die Esséner/Qum-ran vor 2000 Jahren und die Anhängerdes Sabbatei Zwi im 17. Jahrhundert).Der schiitische Islam wartet auf dieWiederkunft des noch im Verborgenenlebenden Zwölften Imam; und derBuddhismus kennt als zukünftigeHeilsgestalt den Buddha Maitreya,der das Leiden der Welt beenden wird.

In der Geschichte des Christentumswar es dagegen schon sehr oft Fünfvor Zwölf: Angefangen von der Nah-erwartung der Urgemeinde über dieSekte der Montanisten (2. Jahrhun-dert), den italienischen Abt Joachimvon Fiore (1135-1202), der für 1260den Anbruch des Dritten Zeitalters(das des Heiligen Geistes) verkündete,bis hin zu Martin Luther, der 1521 denbevorstehenden „lieben Jüngsten Tag“predigte, und den Endzeitspekula-

tionen der Gegenwart, um nur einigeBeispiele zu nennen.

Wie läßt sich das Thema „Endzeit“nun aus biblisch-christlicher Sicht ein-schätzen?

Das Motto: „Seid nüchtern undwachet!“ (1. Petrus 5,8)

Das neutestamentliche Zeugnis ist ein-deutig: den Zeitpunkt des Welten-endes, besser der Weltvollendung,kennt gemäß Matthäus 24,36 niemand,auch der Sohn (Jesus Christus) nicht,sondern nur Gott, der Vater. Um soerstaunlicher ist es deshalb, daß sichChristen immer wieder verleitenlassen, zu rechnen, zu spekulieren undzu phantasieren. Sie begehen dabeigrundsätzliche Fehler, die stets zufalschen Prognosen und Terminberech-nungen führen müssen, wie die Ge-schichte zeigt. Die Fehler bestehen un-ter anderem darin, historische und pro-phetische Zahlenangaben der Bibel zuverwechseln oder miteinander zu ver-mischen; politische Entwicklungenund Ereignisse der Gegenwart als apo-kalyptische „Zeichen der Zeit“ zu deu-ten und „normale“ Naturkatastrophen,die es seit Anbeginn der Welt gegebenhat, mit biblischen Aussagen zu ver-knüpfen; die eigenen Vermutungenund Spekulationen als christlicheLehre auszugeben; und unverdrossenzu behaupten, die gerade lebendenMenschen seien die letzte Generation.

Was aber bedeutet nun eigentlichbiblische Apokalyptik? Das (aus demGriechischen stammende) Wort Apo-kalypse läßt sich mit Offenbarung oderEnthüllung übersetzen. Die beidengroßen apokalyptischen Texte derBibel, das alttestamentliche BuchDaniel und die neutestamentlicheOffenbarung des Johannes, wollen invisionärer Weise den Fortgang derWeltgeschichte enthüllen und derenLinien bis zum Ende ausziehen.

Mit dramatischen Bildern und mythi-schen Gestalten wird ein in kosmi-schen Dimensionen geführter Kampfzwischen Gut und Böse, Gott und demAntichristen (Satan) geschildert. Denim Glauben Treuen, aber an den Ver-hältnissen bzw. unter Verfolgung Lei-denden wird der Trost vermittelt, daßwidergöttliche Mächte zur Zeit zwar

noch die Herrschaft über die Welt unddie Menschen innehaben, daß amEnde jedoch Gott und Jesus ChristusSieger bleiben. Damit kommt dann dieGeschichte zur Vollendung, sie wirdnicht beendet.

Diese Vollendung ist in der PersonJesu Christi und in seinem Heilshan-deln schon deutlich erkennbar gewor-den, womit die Glaubenden zu jederZeit ein Pfand in der Hand hielten. Sogesehen leben Christen seit dem irdi-schen Wirken Jesu in der Endzeit, diealso kein bestimmtes Datum, sonderneine ‚Qualität‘, einen Zustand meint.Der kommende ist dabei immer auchschon der gegenwärtige Herr.

Das Motto kann deshalb für Christennur lauten: Seid nüchtern und wachet!Gefordert sind nicht ängstlicher Rück-zug und phantasievolle Spekulationen,sondern aufmerksame Teilnahme amAlltagsleben und die Erfüllung derAufgaben im Hier und Jetzt (Matthäus25, 35-46). Dazu ermutigt uns dieHoffnung auf die Zukunft Gottes, die uns gleichzeitig die Angst vor derGegenwart nimmt.

Dr. Rüdiger Hauth ist Pfarrer im VolksmissionarischenAmt der EKvW und Beauftragter fürSekten- und Weltanschauungsfragen

O

48

Page 26: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

Jesus kommtwieder – undwas dann?

Die biblische Grundlagechristlicher Zukunftshoffnung

Eine knappeZusammenfassung zentraler Texte des Neuen Testaments

1. Die Erwartung eines in Macht undHerrlichkeit wiederkommenden HerrnJesus Christus ist in biblischen Aus-sagen – und nicht zuletzt in Verheißun-gen Jesu selbst (vgl. Markus 14,62) –begründet.

2. Die in vielfältiger Weise in der Bibelbezeugte Wiederkunft Jesu als eininnergeschichtliches Ereignis ist trotz-dem immer wieder – selbst von Theolo-gen – abgeschwächt, bestritten – oderrundherum abgelehnt worden. ManfredMetzger: Jesus ist 2000 Jahre langnicht wiedergekommen, und er wird esauch in Zukunft nicht! An die Stelleeines personhaft wiederkommendenChristus tritt die Hoffnung, daß die SacheJesu Christi sich endgültig durchsetzt.

3. Der Glaube an die Wiederkunft istdadurch immer wieder angefochtenworden, daß sich die alsbald erhoffteWiederkunft – die ersten Christen leb-ten in leidenschaftlicher Naherwartung– nicht ereignete. Daß durch die Paru-sieverzögerung (d.h. das Ausbleibender rasch erhofften Wiederkunft Jesu)schon in urchristlicher Zeit seelsorger-liche Nöte in den Gemeinden entstan-den, belegen vor allem 1. Thessaloni-cher 4,13f und 2. Petrus 3,8ff.

4. Im Blick auf die biblische Erwar-tung der Wiederkunft Jesu spielt derText 1. Korinther 15,21ff eine zentraleRolle – und dies aus zwei Gründen:

a) Der Text stellt in einer ungemeinenDichte – auf wenige Verse zusammen-gedrängt – die entscheidenden Statio-nen christlicher Zukunftshoffnung dar.

b) Der Text gibt uns darüber hinauseine zeitliche Abfolge für den Gang

der Ereignisse im Zusammenhang mitder Wiederkunft Jesu an die Hand.

5. 1. Korinther 15 macht deutlich: DieHoffnung auf eine künftige Totenauf-erstehung wird an die Person JesusChristus gebunden: Seine Auferste-hung ist die Gewähr für eine umfas-sende Auferstehung der Menschheitam Ende der Zeiten. Mehr noch: In diekünftige Erlösung, für die Jesus bereitsden „Prototyp“ abbildet, ist die gesam-te Schöpfung mit einbezogen (Römer8,21ff). Von daher ist aller individuali-stisch verkürzter Zukunftshoffnungvon Christen kräftig zu widerstehen(Frage eines Frommen an Karl Barth:„Werden wir im Himmel unsere Lie-ben wiedersehen?“).

6. Nach dieser grundsätzlichenKlärung des unauflöslichen Zusam-menhangs von Auferstehung Jesu zuunserer Auferstehung (z.B. gegen dieplötzlich wieder so aktuell werdendenReinkarnations-Vorstellungen), ergibtsich die Frage nach dem wann und wie unserer Auferstehung bzw. derWiederkunft Jesu. – Paulus spricht in1. Korinther 15,23 von einer Ordnung(griechisch: TAGMA). Der Begriffstammt aus der Militärsprache undbezeichnet dort Truppenkörper ver-schiedener Größe. Paulus will sagen:Die Auferstehung der Toten vollziehtsich „abteilungsweise“ und in einemzeitlichen Nacheinander!

7. Als eine Art „Vorhut“ ist JesusChristus als erster und einziger auf-erstanden. Als nächste Abteilung fol-gen die Christen. Sie werden aufer-weckt bei der Wiederkunft Jesu Christi.Schließlich folgt der Rest (= die übrigeSchöpfung), wenn Christus in seinemReich alle widerstrebenden Mächteeinschließlich des Todes vernichtet hatund seinen Herrscherauftrag an Gott,den Vater zurückgeben wird. (Lutherhat das griechische TO TELOS mitdas Ende – Vers 24 – übersetzt; eskann aber auch ebenso der Restheißen).

8. Wir unterscheiden demnach dreiEtappen, in denen Gott mit seinerSchöpfung endgültig ans Ziel kommt:Erste Etappe: Jesus wird auferweckt.Zweite Etappe: Die Christen werdenauferweckt – und zwar bei der Wieder-kunft Jesu. Dritte Etappe: alle werden

auferweckt – am Ende der Zeiten. Die einzelnen Etappen werden jeweilsdurch ein danach (griechisch:EPEÌTA) markiert.

9. Mehr bzw. Näheres als in 1. Ko-rinther 15 erfahren wir in 1. Thessalo-nicher 4,15ff. Paulus geht dabei nochdavon aus, daß er selbst die Wieder-kunft Jesu zu seinen Lebzeiten erlebenwird. Er sieht darin aber keinen Vorteilgegenüber den verstorbenen Christen,weil bei der Wiederkunft Jesu zualler-erst die toten Christen (Vers 16) auf-erweckt werden.

10. 1. Thessalonicher 4,17 ist von dergläubigen Gemeinde häufig fehlinter-pretiert worden. Man meinte, dieGemeinde angesichts der bedrohlichenZeichen der Endzeit (Krieg, Verfol-gung, Katastrophen – vgl. die Endzeit-reden Jesu in Markus 13 par.) damittrösten zu können, daß sie aus demallen entrückt würde, um dann fürimmer mit Jesus im Himmel zu sein. –In Wirklichkeit ist der Text so zu ver-stehen: Die Christen werden dem wie-derkommenden Jesus entgegengerücktzur Abholung (griechisch: EIS APAN-TAÈSIN), d.h. sie sind sozusagen dasBegrüßungs-Komitee, das dem Herr-scher, der auf Staatsbesuch (grie-chisch: PAROUSIA) kommt, ein Stückentgegenkommt. – Die WiederkunftJesu macht schließlich nur dann Sinn,wenn Jesus wirklich auf die Erdezurückkehrt und sich nicht nur kurz inden Wolken zeigt, um anschließendmit seiner Gemeinde wieder in denunsichtbaren Himmel zurückzukehren.

11. Es bleibt zunächst die Frage: War-um treffen sich die Gemeinde, die demHerrn „entgegengerückt“ wird und derwiederkommende Christus in der Luft(Vers 17)? – Nach Epheser 2,2 und 6,2ist die Luft – der Zwischenraum zwi-schen Himmel und Erde – der Herr-schaftsbereich des Teufels und seinerDämonen. Das heißt: Die entrückteGemeinde und der wiederkommendeHerr treffen sich im Herrschaftsbe-reich des Teufels, um dort seine Machtendgültig zu brechen (vgl. auch Offen-barung 20,1ff).

12. Schließlich ist noch die Frageoffen: Was geschieht, wenn Christusnach der Entthronung des Teufels mitder Gemeinde auf diese Erde zurück-

51

schrieb, er verspüre bei diesem ...Tausender ... die gleiche kicherndeAufregung, wie wenn der Kilometer-zähler im Auto auf die 100 000 zugeht.Schuld daran sind all die Nullen. Wersich von solch kichernder Erwartunganstecken läßt, wird immun gegenschwarze Künste.

Nullen sind im Leben, in der Wirt-schaft und vermutlich auch in derMathematik runde Habenichtse, wennsie einsam bleiben. Nullen sind aberrundend und vielsagend und trächtig,wenn sie ein Ergebnis oder die Füllebeschreiben – oder ein Ende.

Die Magie der runden ZahlDer Anfang ist nicht Null, sondernEins. Das neue Jahrtausend beginntdenn auch am 1. Januar 2001. Un-bekümmert davon werden Millionenschon ein Jahr zuvor die Wendejubelnd begrüßen als Start ins dritteMillenium. Verständlich, denn werfeiert schon gerne besonders festlich,wenn die kleinen magischen Kreiseam Schluß der Zahl fehlen. Sie sindalso im Irrtum und haben doch recht.Denn besser ist es, im Ende fröhlichden Anfang zu sehen, als sich –logisch korrekt und abergläubischzugleich – ängstlich bannen zu lassenvon „all den Nullen“ als Zeichen desEndes.

Man sollte sich sogar sehnlichst wün-schen, daß sich möglichst viele demwohltätigen Irrtum hingeben. Zwarwird niemand glauben, es werde wie-der eine grassierende, angstbeladeneWeltuntergangsstimmung geben wievor 1000 Jahren. Doch ist nicht zuübersehen, daß auch heute die rundeZahl verheerende Wirkungen zeitigtauf Unglückliche, daß Leute sichfangen und unterkriegen lassen vonjenen bevorstehenden nur rechnerischbedeutsamen Nullen, die sie (verführt)als böse Endzeit-Zeichen betrachten.Oft bleibt die schlimme Faszination imHerzen verborgen, äußert sich allen-falls in Verzagtheit. Manchmal explo-diert sie. Seit nunmehr zwanzig Jahrenerfährt die Welt von tödlichen Kata-strophen, von Massentötungen undMassenselbstmorden, begangen vonMenschen in religiösem Wahn, vonMenschen, die zweifellos nicht zuletzt

infiziert und hypnotisiert waren vonder Magie der runden Zahl und ihrerVorläufer, die sie schon in ihr grau-fahles durch „Meister“ zusätzlichverdüstertes Licht getaucht wähnten.

Kaum jemand hat zunächst die Nach-richt aus Teneriffa als unwahrschein-lich empfunden. Vor allem wegen dervergangenen bösen Ereignisse. Aberauch, weil man selbst nicht ganz freiist von jenem seltsamen Gefühl ängst-licher oder auch kichernder Aufregungangesichts dreier Nullen, hält man dasAbstruseste für möglich – bei anderen.

Die Macht der runden Zahl. Die chan-giert zwischen Bedrohlichkeit und Kit-zel. Wer ist nicht von ihr beeinflußt?Ist nicht vielleicht doch „etwas dran“?Die Angst vor ihr oder auch nur einegewisse Beklommenheit gründen tiefin der Seele. Man muß die faszinieren-de Chiffre ins Optimistische wenden,wenigstens in die Nähe des Heiter-Gleichgültigen rücken, sonst wird siegefährlich, ein bißchen oder sehr.Möge jener Fachmann recht behalten,der nicht zuletzt auf den „Event-charakter“ setzt und eine wachsendepositive Deutung der magischen Zahlvoraussagt. Lieber also das Jahr 2000überschwenglich und irrtümlich alsBeginn des dritten Millenniums be-grüßen als wahrheitsgetreu, aber fata-listisch als Ende des zweiten. Und denVerwirrten, die fest glauben, daß spä-testens dann alles entzweigeht, möchteman (wenn es bloß hülfe) frivol zuprophezeien wagen: Der Globus wirdruhig und quietschend weitereiern. DieErdachse spränge nur, wäre tröstendhinzuzufügen, wenn der 1.1.00 aufeinen Freitag, den 13. fiele. Dreizehnist des Teufels Dutzend. Auch dieseRechnung geht nicht auf.

Michael Fritzen ist Journalist. Sein Artikel erschien am 30.01.98 in der Frankfurter All-gemeine.

OAnmerkungMeines Erachtens trifft der vorliegen-de Artikel die ambivalente Stim-mungslage angesichts der bevor-stehenden Jahrtausendwende rechtpräzise: Die Spannung zwischen apo-kalyptisch geschürten Endzeitängsten,

die Führer obskurer Propheten zuschüren wissen und einer freudig-erregten Erwartung, die vor allemdaran interessiert ist, den Silve-sterabend 1999 zum unvergeßlichenEvent werden zu lassen. Daß in den„Mutmaßungen“ eines säkularen Jour-nalisten zwischen diesen beiden Span-nungspolen kein Platz mehr für einebiblisch begründete Zukunftshoffnungund eine sich daraus ableitenden nüch-ternen Einschätzung des bevorstehen-den Jahreswechsels ist, darf nieman-den verwundern. Als Grundlage für ein Gespräch über säkulare Zu-kunftsängste und -erwartungenerscheint der Artikel aber bestens ge-eignet.

-KJD-

50

Page 27: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

neuer Himmel, neue Erde – für vieleChristen verbinden sich mit diesenBegriffen nur vage Vorstellungen, vorallem, was die zeitliche Abfolge dereinzelnen Ereignisse anbetrifft. „Fürmich ist das alles wie ein großer Knall– so als ob Gott auf den roten Knopfdrückt und alles ist aus, vorbei“,äußerte eine Gesprächsteilnehmerin.Und ein anderer fügte hinzu: „Gott hatsich doch viel Zeit gelassen, als er dieWelt erschuf. Warum geht es am Endemit Weltuntergang und neuer Schöp-fung so rasant schnell?“

Die bei dieser Zusammenstellung zu-grunde gelegte Synopse geht von dreizentralen Texten aus: 1. Korinther15,20-28; 1. Thessalonicher 4,13-18und Offenbarung 20,1-21,5. DieseTexte sollten auf einem Blatt über-sichtlich nebeneinander abgedrucktwerden, um für Gemeindeglieder dasVergleichen bzw. Kombinieren derTextstellen zu erleichtern. Danebenkönnten jeweils unter diese zentralenTexte auch noch einzelne andere Textstellen abgedruckt werden, auf dieBezug genommen wird, besondersMarkus 14,62 (wo Jesus direkt Bezugnimmt auf die in der Daniel-Apoka-lypse vorhergesagte machtvolleAnkunft des Menschensohns), Römer8,21-23 und 2. Petrus 3,8-13 (wo ganzoffensichtlich nicht mit einem Tau-sendjährigen Reich gerechnet wird:der Tag des Herrn ist zugleich mit demWeltuntergang verbunden: Vers 10).

Die vorgelegte Interpretation von Pau-lustexten bzw. der Johannes-Apoka-lypse versucht, exegetisch die Erwar-tung eines messianischen Friedens-reiches in der Folge der WiederkunftJesu nicht allein von der klassischenStelle Offenbarung 20,1-6 her zubegründen, sondern von allen drei alszentral eingestuften biblischen Textenher. Erfahrungsgemäß entstehen dabeidie lebhaftesten Diskussionen in derGemeinde. Obwohl selbst ein Anhän-ger der chiliastischen Hoffnung,möchte ich doch ausdrücklich beto-nen: Es ist keineswegs „heilsnotwen-dig“, an das Tausendjährige Reich zuglauben. Schließlich ist es auch nichtBestandteil unseres christlichen Glau-bensbekenntnisses. Und natürlich kannauch nicht übersehen werden, wiedieser Gedanke eines endzeitlichenAufatmens der Schöpfung in der

Geschichte durch menschliche An-maßung dutzendfach kompromittiertwurde (von den Wiedertäufern bis zuden Nazis).

Die andere Aussage, die in der Ge-meinde erfahrungsgemäß zu lebhaftenKontroversen führt, wird die vomWeltgericht (Offenbarung 20,11-15)sein. Hier ist die textliche Grundlageviel umfänglicher, als daß wir solcheAussagen über den doppelten Ausgangdes Weltgerichtes mit Hinweisen aufdie Allversöhnung rasch beiseiteschieben könnten. Doch wird hier jedeund jeder, der darüber das Gesprächmit der Gemeinde sucht, sich selbst –und dann auch der Gemeinde theolo-gisch Rechenschaft ablegen müssen,was sie bzw. ihn dazu veranlaßt, dasWeltgericht mit seinem doppelten Aus-gang als gerecht zu akzeptieren oderder Hoffnung auf Allversöhnung denVorzug zu geben.

-KJD-

O

Meine Zeitsteht in Gottes Händen

Ein Gottesdienstentwurf mitkreativenGestaltungselementen

Das Motto dieses Gottesdienstes läßtunterschiedliche Töne anklingen.

Meine Zeit in Gottes Händen:das läßt mich darauf vertrauen, daßGott mein Leben begleitet, daß er essieht und in allem, was kommt, mit-gestalten wird.das macht mir Mut, neue Schritte indie Zukunft zu gehen, die ER begleitetund dessen Ziel er ist und das stelltmich in die Verantwortung, die Zeit,die Gott mir schenkt, nun auch nachseinem Willen zu gestalten.

Im Folgen sind zwölf Elemente ab-gedruckt, von denen eine zusammen-gestellte Auswahl den Gottesdienstgestalten kann. Welche Elemente fürdie jeweilige Gruppe bzw. Gemeinde-situation in Frage kommen, ist von denVerantwortlichen selbst zu entschei-den. Am Schluß ist ein Gestaltungs-vorschlag angefügt.

Die Grundlage dieses Gottesdienstesbesteht darin, eine Form zu haben, diees erlaubt, möglichst viele Gottesdienst-teilnehmer in die Gestaltung mit einzu-beziehen. Da die einzelnen Elemente inbegrenzter Zeit vorzubereiten sind, istes möglich, die Aufgaben erst eineStunde vor dem Gottesdienst zu ver-teilen und (nach dieser „Einstimmung“)im Anschluß gleich gemeinsam mit derFeier zu beginnen. Etwa, wenn derGottesdienst zum Abschluß einer Ge-meindefreizeit gefeiert wird. Es ist aberauch durchaus möglich, diesen Gottes-dienst mit vielen kreativen Elementenund der Mitbeteiligung vieler als nor-malen Sonntagsgottesdienst zu feiern.

Eine verantwortliche Person – es mußnicht unbedingt die Pfarrerin oder der

53

kehrt? Von 1. Korinther 15,24 hergefragt: Wann wird der Rest (d.h. dieübrige Schöpfung) auferweckt? Wasgeschieht in der Zwischenzeit? Hierlegt sich von Offenbarung 20,5 dieAntwort nahe: Nach der Wiederkunftbeginnt das Tausendjährige Reich, diemessianische Heilszeit. Sie endet miteiner letzten dramatischen Auseinan-dersetzung mit dem noch einmal los-gelassenen Teufel, der schließlich zu-sammen mit dem letzten Feind, demTod, in den Feuersee geworfen wird.Offenbarung 20,14 ist in seinem Aussagegehalt wieder identisch mit 1. Korinther 15,25+26.

13. Im folgenden Text finden wir beiPaulus in 1. Korinther 15 wieder eineunterschiedliche Akzentsetzung ge-genüber der Offenbarung des Johan-nes: Während bei Paulus die Frage imVordergrund steht, was denn mit Chri-stus geschieht, wenn er den letztenFeind besiegt hat (1. Korinther 15,28),schildert Johannes, was denn nun mitder gesamten Menschheit geschieht,die nun inzwischen vollständig vonden Toten auferweckt wurde (Offen-barung 20,11-15). Für Paulus ist dasletzte Ziel die ungetrübte Gemein-schaft des Vaters mit dem Sohn. In derOffenbarung ist die erlöste und voll-endete Gemeinde in diese ungetrübteHarmonie mit einbezogen: Offenba-rung 21,3.4

14. Und was geschieht mit den Toten,die alle auferweckt wurden? Offen-barung 20,11-15 gibt als Antwort: Gott versammelt die Menschheit allerZeiten zum Gericht vor seinem Thron.Für die einen bleibt am Ende nur dieFinsternis – die andern, deren Nameim Buch des Lebens geschrieben sind,dürfen ins Licht Gottes.

15. Das Paradies bzw. der neue Him-mel und die neue Erde wird als städti-sches Gemeinwesen (himmlischesJerusalem) vorgestellt – also nicht wieder Garten Eden vom Anfang. Es gibtkeine Rückkehr in die parkähnlicheIdylle des Anfangs. Dem Moloch Ba-bylon – Ausdruck der Gottfeindlich-keit – wird das neue Jerusalem als Zielder Geschichte Gottes gegenüberge-stellt. Sind unsere Megastädte häufiggenug lebensfeindlich geworden, so wird das in seinen Ausmaßen rie-sige neue Jerusalem (ein Kubus von

2220 km Länge, Breite und Höhe; vgl. Offenbarung 2,16) nicht nur durchWohlstand und Üppigkeit, sondern vorallem durch die unmittelbare Gegen-wart Gottes und die Unbeschwertheitdes Lebens gekennzeichnet sein.

Seelsorgliche Überlegungenzu den biblischen Aussagenvon der Wiederkunft Jesu16. Die Erwartung des in Macht undHerrlichkeit wiederkommenden Herrnist nur dann eine lebendige Hoffnung,wenn ich innerhalb meines irdischenLebens mit dieser Wiederkunft rechne.Sie ist also immer Naherwartung –oder sie ist keine Erwartung, die meinLeben hier und heute mit prägt. DieFrage allerdings ist: Sind wir so sehran unsere gegenwärtige irdische Exi-stenz verhaftet, daß der Gedanke aufeine baldige Wiederkunft von uns alsstörend empfunden wird? (vgl. dasSiebald-Lied: Wir beten: Komm, HerrJesus! und denken im Stillen: Nurnicht so bald!) Ist die Erwartung derWiederkunft für uns nur dann tröstlich,wenn wir sie jenseits unserer Todes-grenze ansiedeln?

17. Daß Erwartung der WiederkunftJesu, wenn sie diesen Namen verdient,immer Naherwartung ist, liegt auchvon den Mahnungen Jesu und derApostel von der Plötzlichkeit undBerechenbarkeit seines Kommens hernahe (vgl. Markus 13,32-37; 1. Thes-salonicher 5,1-3). Die Aufforderungzum Wachen und Beten bedeutet indiesem Zusammenhang: Lebt so in derGegenwart Jesu, daß ihr ihm bei seinerplötzlichen Wiederkunft als die begeg-net, die eben noch nicht ihm gespro-chen und ihr Leben vor ihm bereinigthaben.

18. Daß Jesus von dem Zeichen derEndzeit wie Krieg, Verfolgung, Ver-führung, Katastrophen gesprochen hat,hat die gläubige Gemeinde zu allenZeiten in die Versuchung geführt, denSchleier des Geheimnisses um denZeitpunkt nun doch ein wenig zulüften – bis hin zu allerlei Terminspe-kulationen. Dem ist von Markus 13,32(den Zeitpunkt weiß allein der Vater,nicht einmal Jesus!) ein unmißver-ständlicher Riegel vorzuschieben. – In diesem Zusammenhang wird ein

Zeichen der Endzeit häufig übersehen:Das Evangelium muß zuvor verkündigtwerden allen Völkern (Markus 13,10).Die Zeit bis zur Wiederkunft Jesu istMissionszeit. Sich mit dem Hinweisauf die Zeichen der Endzeit aus derMissionsarbeit zurückzuziehen („Jetztkommt es nur noch darauf an, zu hal-ten, was man hat; es ist Sichtungszeit...“), wäre demnach purer Unglaube.

19. Wir haben aller individualistischenVerkürzung unserer Erwartung aufeinen rein privaten Hoffnungshorizontzu widerstehen. Jesus kommt nicht nurfür uns Christen wieder, damit wir ein-mal mit dem ewigen Leben „belohnt“werden. Wir werden im Himmel auchnicht nur „alte Bekannte“ wiederse-hen. Und: Jesus kommt als Sieger –nicht als der große Kaputtmacher aufdiese Erde zurück (J. Chr. Blumhardt).In diesem Zusammenhang ist dieErwartung eines zeitlich befristetenmessianischen Friedensreiches Jesuhier auf der Erde keine windige Spe-kulation, sondern Ausdruck dafür, daßJesus als Sieger zuerst auf diese Erdekommt, um ihr ein endzeitliches Auf-atmen zu gönnen, bevor er das Signalzu ihrem Vergehen gibt.

20. Der häufig erhobene Vorwurf, daßein Leben in der Erwartung der bal-digen Wiederkunft Jesu untüchtig ge-genüber den Herausforderungen undAufgaben der Gegenwart mache, trifftnicht zu. In der Kirchengeschichtehaben gerade Männer und Frauen miteiner starken WiederkunftserwartungErstaunliches geleistet und bewiesen,daß diese Hoffnung ihnen gerade Kraftund Ansporn gab, beherzt zu tun, wasihnen vor die Füße gelegt wurde (vgl. M. Luther, J. Chr. Blumhardt, M. J. King). – Es gibt das Wort vonPaul Schütz: In der Liebe bleibt dieHoffnung der Erde treu!.

Methodische HinweiseDie vorliegende Zusammenstellungund Interpretation wichtiger eschato-logischer bzw. apokalyptischer Texte des Neuen Testaments entstand aus der Bitte von Gemeindegliedern, mehrKlarheit über unsere Zukunftshoff-nung als Christen zu gewinnen. Wie-derkunft Jesu, Weltuntergang, Auf-erstehung der Toten, Jüngstes Gericht,

52

Page 28: für die Praxis d Zeitenwende– März 1999 Zeitenende ... · möchte das Thema Zeit auf vielfältige Weise variieren und etliche – hoffent- ... und was daraus wurde Zeit-Zitate

läßt Zeit, einen Moment zu überlegen,welche „Zeitgeister“ mich eigentlichstärker prägen.

9. Bewegungs-Tanz (2-4)

Das Wort „Bewegungstanz“ klingtetwas hochtrabend, soll aber nurandeuten, daß es um eine tänzerischeBewegung auf kleinstem Raum geht.„Getanzt“ wird vor allem mit denArmen und dem Oberkörper, um Tanz-muffel nicht zu überfordern und dieseArt des Ausdrucks auch auf kleinemRaum zu ermöglichen, ohne die ganzeSitzordnung zu sprengen. Das LiedGott gab uns Atem ... (EG 432) enthältBilder, die einfach in schlichte Be-wegungen umzusetzen sind. DieVorbereitungsgruppe gestaltet alsozunächst das Lied, um es anschließendim Gottesdienst mit allen 2 bis 3 maldurchzusingen und zu tanzen.

10. Zeit zum Loben (Liedersuche durch Gruppe 1)

Schön ist es, im Gottesdienst Zeit zuhaben, einmal nichts anderes zu tun,als Gott zu loben und ihm zu danken.Keine neuen Erkenntnisse, kein Pro-blembewußtsein und auch keine Bittengestalten darum diesen Lobteil. Esgeht schlicht darum, Gott anzuschauenund sich an ihm und seiner Güte zufreuen. Ein Block von drei Lobliedern,die einfach hintereinander gesungenwerden, kann helfen, unseren Blickganz auf Gott auszurichten.

Im Anschluß ist Zeit, in großer Ruheoder in kleinen Gruppen, im Gebet vorGott zu kommen und ihn gemeinsamzu loben und laut für alles zu danken,was uns aus der letzten Zeit dankbarsein läßt.

Fürbitte: Zeit, an Andere zu denken (2-6) Gott hat unserem Gebet vieleMöglichkeiten versprochen. Das soll-ten wir in jedem Gottesdienst ausnut-zen. In der Vorbereitung können einigeTeilnehmer zusammentragen, wofürman später gemeinsam im Gebet vorGott eintreten will.

Es ist möglich, diese Anliegen schoneinmal in einer Fürbitte zu formulieren,in welche man während des Gottes-dienstes die anderen Teilnehmer mit hineinnimmt. Ebenso kann im

Anschluß an die vorbereitete Fürbittedas Gebet in eine gemeinsame Gebets-zeit übergehen. So besteht die Möglich-keit, weitere Anliegen aufzunehmenund gemeinsam vor Gott zu bringen.

11. Aktion (3-6)

In der Vorbereitung ist die Kleingrup-pe damit beschäftigt, zweierlei Kartenherzustellen.

Zuerst ist es möglich, runde Pappkärt-chen mit einem Zifferblatt zu verse-hen, so daß (der Anzahl der Gottes-dienstteilnehmer entsprechend) kleine,unbeschriftete Pappuhren entstehen.Dann werden (ebenfalls in der Anzahlder Gottesdienstteilnehmer) weitereKärtchen benötigt, auf welchem je-weils ein (zusagender) Vers der Bibelzum Thema Zeit zu lesen ist (Konkor-danz zur Hilfe nehmen).

Im Gottesdienst ist es später möglich,daß die Teilnehmer auf einer der Papp-uhren persönlich etwas zu der Zeitnotieren, die sie noch einmal bewußtunter Gottes Herrschaft stellen wollen.Dabei kann es um einen konkretenSchritt gehen, den man sich für dienächste Zeit vorgenommen hat, umdas Abtreten einer bestimmten Zeit-planung, um eine ganz konkrete Bitte,oder, oder, oder. Die beschriftetenPappuhren können als symbolischeZeichen im Anschluß neben demKreuz bzw. auf dem Altartisch abge-legt werden. Selbst nimmt jeder Teil-nehmer „im Austausch“ dafür vomKreuz bzw. Altar eine der vorbereite-ten Zeitkarten mit. So bleibt unserBitten bei Gott und seine Zusage gehtmit in unseren Alltag.

Als Abschluß der Aktion ist es mög-lich, das folgende Gebet – es istInschrift auf einer alten Kirchenuhr – zu lesen.

Meine Zeit steht in deinen Händen.Psalm 31,16

Herr meiner Stunden und meinerJahre,du hast mir viel Zeit gegeben.Sie liegt hinter mir, und sie liegt vormir.Sie war mein und wird mein.Ich danke dir für jeden Schlag der Uhrund für jeden Morgen, den ich sehe.

Ich bitte dich nicht,mir mehr Zeit zu geben.Ich bitte dich aber,daß ich mit viel Gelassenheitjede Stunde füllen kann.

Ich bitte dich, daß ich ein wenig dieser Zeitfreihalten darf von Befehl und Pflicht,ein wenig für die Stille,ein wenig für die Menschenam Rande meines Lebens,die einen Tröster brauchen.

Ich bitte dich um Sorgfalt,daß ich meine Zeit nicht töte,nicht vertreibe, nicht verderbe.Jede Stunde sei ein Streifen Land.Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug.Ich möchte Liebe hineinwerfen,Gedanken und Gespräche,damit die Frucht wächst.Segne du meinen Tag.Amen.

Vorschlag für einenmöglichen Ablauf desGottesdienstes(In den Klammern stehen dieNummern der Elemente)

BegrüßungLied: „Meine Zeit steht in deinenHänden ...“ (Lebenslieder 213)GebetPantomime zum Predigttext (6)ChorLied: „Auf und macht die Herzen weit ...“ (EG 454)Psalmworte ins Bild gebracht (7)Tanz (9) zusammen mit dem Lied:„Gott gab uns Atem ...“ (EG 432)Kurzpredigt zu Psalm 31,16Lied: Von Guten Mächten ...“ (EG652)Aktion (12) mit Gebet abgeschlossenZeit zum Loben (10)Fürbitte (12)Lied/Chor „Bewahre uns Gott, behüteuns Gott ...“ (EG 171)Segen

Birgit Sowade war mehrere Jahre lang Bundes-sekretärin für Mädchenarbeit imCVJM-Westbund.

O

55

Pfarrer sein –, die auch den Ablauf zu-sammengestellt hat, leitet während desGottesdienstes zu den einzelnen Ele-menten über.

Hier nun also zwölf Vorschläge zurGestaltung (die Zahlen in den Klam-mern geben dabei Hilfen für die Größeder Vorbereitungsteams):

1. Dekogruppe (2-6)

Eine Gruppe sorgt für die Raumgestal-tung und bereitet alles vor. Vielleichtkann sie ein Kreuz gestalten, Natur-materialien einbeziehen oder mit„Zeitzeichen“ (Uhren, Kalenderblätter,Zeiger, Sanduhr ...) die Wände desGottesdienstraumes schmücken.

In die Planung dieser Gruppe ist miteinzubeziehen, welche technischenMöglichkeiten vorhanden sein müssen(Diaprojektor, Recorder ...) und ob dieKarikaturen später mit in die Raum-gestaltung integriert werden sollen.

2. Lieder (2-10)

Die Aufgabe dieser Gruppe kann(je nach Größe) in zweierlei be-

stehen: Einmal darin, Lieder heraus-zusuchen, die den Gottesdienstthematisch mitgestalten. Die Anzahlder Lieder erfahren sie vorher vonder leitenden Person. Eine weitereMöglichkeit besteht darin, ein oderzwei Lieder als „Kleinchor“ einzu-üben und im Verlauf des Gottesdien-stes einzubringen.

Liedvorschläge:

EG 395 Vertraut den neuen WegenEG 454 Auf und macht die Herzen

weitEG 432 Gott gab uns Atem, damit

wir lebenEG 652 Von guten Mächten treu

und still umgebenEG 690 Auf Seele, Gott zu lobenEG 171 Bewahre uns Gott, behüte

uns Gott

Das am besten zum Predigttext pas-sende Lied findet sich leider nicht im Evangelischen Gesangbuch, dafüraber z.B. in dem vom CVJM heraus-gegebenen Liederbuch Lebenslieder:Meine Zeit steht in deinen Händen(Nr. 219)

3. Gebet (1-2)

Für den Beginn des Gottesdienstes istein Gebet zu formulieren, das unshilft, die Bilder des Tages abzugebenund in diesem Gottesdienst auch inner-lich anzukommen. Gott wird um seineprägende Nähe und um seinen Geistgebeten.

4. Psalmparaphrase ( 2-3)

Der Psalm 139 ist ein Gebet, in wel-chem zwar das Wort „Zeit“ nichtausdrücklich vorkommt, der aber wie kein anderer beschreibt, was esbedeutet, die eigene Lebenszeit inGottes Händen zu wissen. Die Grup-pe wird gebeten, diesen Psalm ein-mal in eigene Worte zu übertragenund später im Gottesdienst vorzu-lesen.

5. Bildbetrachtung mit verteiltenRollen ( 2-3)

Jeder Teilnehmer sucht sich eine derfolgenden Karikaturen bzw. Zeichnun-gen heraus und versucht, sie zu deutenund in Verbindung zum Motto desGottesdienstes zu setzen. Hilfreich istes, wenn die jeweiligen Illustrationenfür alle sichtbar per Overheadprojekteran die Wand projiziert werden (Illust-rationen siehe Seite 56).

6. Pantomime (3-9)

In Prediger 3, 1-8 sind eine ganzeReihe von „Lebensdingen“ aufgezählt,die alle vor Gott ihre Zeit haben. DieseBilder sind gut in einfache pantomi-mische Bewegungen umzusetzen.Während ein Sprecher/eine Sprecherinden Text langsam und mit Unterbre-chungen zwischen den einzelnen Bil-dern liest, bilden je zwei Spieler/innenim Vordergrund die Gegensatzdarstel-lung.

Dabei wartet die jeweils zweite Spiele-rin die Darstellung des ersten Spielersab, bis dieser in seiner Schlußpose be-wegungslos „eingefroren“ ist. Erstdann wird der zweite Teil des Versesgelesen und die zweite Spielerin stelltihren Teil dar.

(Siehe hierzu auch die Karikaturseitevon Tiki Küstenmacher „Alles hatseine Zeit“, Seite 22).

7. Psalmworte ins Bild gebracht (2-10)

Die Psalmen beinhalten ohne Zweifeldie bilderreichste Sprache der Bibel.So finden wir auch zum Thema „Zeit“viele Bilder, die die „Zeitgestaltung“des Menschen vor Gott aufnehmen.

In der Vorbereitung sucht sich jederTeilnehmer einen der mit Hilfe derWortkonkordanz ausgewählten Psalm-verse heraus und versucht, ihn alleineoder mit einem weiteren Teilnehmer„ins Bild setzen“. Dazu stehen großePapierbögen und unterschiedlicheFarben zur Verfügung. Die Darstellungim Gottesdienst kann sich folgender-maßen gestalten: Zu instrumentalerHintergrundmusik (Hufeisen „Dieneue Flöte“ o.ä.) stellt sich der ersteTeilnehmer mit seinem gestaltetenBild für alle gut sichtbar hin und läßtZeit, das Bild zu betrachten.

Nach einer Weile sagt er nichts mehrals nur den Text des Psalmverses auf.Wer mag, kann noch eine kurze Erläu-terung des Bildes einfügen. Auf jedenFall sollte bis zur Darstellung desnächsten Bildes Zeit sein, um vor demHintergrund der Musik, Text und Bildauf sich wirken zu lassen.

8. „Zeitgeister“ ( 2-4)

Zunächst sammelt die Gruppe alles,was ihnen an Zitaten, Sprichwörternund Werbeslogans zur heutigen Zeit-gestaltung einfällt.

Beispiele:

Zeit ist GeldIch hab keine ZeitIch gehe mit der ZeitIch bin meiner Zeit vorausEs kommt auf die Sekunde an ...

Für den Gottesdienst läßt sie schließ-lich zwei „Zeitgeister“ gegeneinanderauftreten. Der eine (oder eine Gruppevon „Zeitgeiststimmen“ ruft nachein-ander die gesammelten Zitate in denRaum.

Anschließend steht ein zweiter „Zeit-geist“ auf, und liest einfach die Ge-schichte vom reichen Kornbauer ausLk. 12, 16-21 vor. Eingespielte oder„live“ vorgetragene Instrumentalmusik

54