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Institute of History, Research Centre for the Humanities, Hungarian Academy of Sciences Friedrich Adlers Prozess und die sozialdemokratische Parteileitung (Mai 1917) Author(s): János Jemnitz Source: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae, T. 25, No. 3/4 (1979), pp. 317-325 Published by: Institute of History, Research Centre for the Humanities, Hungarian Academy of Sciences Stable URL: http://www.jstor.org/stable/42555265 . Accessed: 16/06/2014 09:54 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Institute of History, Research Centre for the Humanities, Hungarian Academy of Sciences is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.34.79.208 on Mon, 16 Jun 2014 09:54:57 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Friedrich Adlers Prozess und die sozialdemokratische Parteileitung (Mai 1917)

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Friedrich Adlers Prozess und die sozialdemokratische Parteileitung (Mai 1917)Author(s): János JemnitzSource: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae, T. 25, No. 3/4 (1979), pp. 317-325Published by: Institute of History, Research Centre for the Humanities, Hungarian Academy ofSciencesStable URL: http://www.jstor.org/stable/42555265 .

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Jánoš Jemnitz

Friedrich Adlers Prozess

und die sozialdemokratische Parteileitung

(Mai 1917)

Das Attentat im Oktober 1916, als Friedrich Adler den österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh abgeschossen hat, erschütterte die gesamte österreichische Arbeiterbewegung. Bis es dann zum Prozesse Friedrich Adlers kam, änderte sich die Stimmung des Landes, die politische Situation wesent- lich, und die Bereitschaft zum Frieden wuchs genauso im Kreis der Massen, wie in den höchsten Instanzen, beim neuen Herrscher, Karl dem IV. Diese Neigungen -zum Frieden waren aber zu passiv und eventuell. Auf diese Weise, wenn Adlers Tat im Frühjahr 1917 schon weniger überraschend wirkte, und sich seine Worte der Welle der Stockholmer Friedensappelle vom Mai anpaß- ten, war der Prozeß doch ein Zusammenstoß zwischen den Kräften des Krie- ges und des Friedens.

Der Prozeß fand am 18 - 19. Mai statt. Der Kampf brach in den ersten Minuten des Prozesses aus. Die Sozialdemokraten betonten, daß das Gericht verfassungswidrig und inkompetent sei, und forderten die Wiederherstellung der Schwurgerichte - ohne Erfolg. Adler hob seinerseits vor dem Gericht den politischen Charakter des Prozesses hervor, übernahm die völlige Verantwor- tung für seine Tat, und lenkte den von der Anklage und Verteidigung glei- chermaßen vorgebrachten Vorwand ab, daß die Tat durch eine augenblickliche Bewußtseinsstörung ausgelöst worden wäre. Aus Verteidigung ging er bald selbst in Anklage über, als er unterstrich: es sei wahr, daß der Mord unter normalen Umständen keine politische Waffe sein darf - nun leben sie aber unter keinen geregelten Verhältnissen. Einerseits berief er sich auf den Krieg, andererseits auf die Aufhebung der Verfassungsmäßigkeit und die zwischen den Staatsrahmen der Monarchie weiterlebende anachronistische Einrichtung. Neben den staatlichen Organen griff Adler die sozialdemokratische Partei scharf an. Persönlich tadelte er zwar den einstigen "austro-marxistischen" Renner mit härteren Worten, als den rechtsgerichteten Leuthner, doch sowohl im Zusammenhang mit Renner, der auf die These über die österreichische Staatlichkeit bestand, als auch mit Leuthner und Pernerstorfer, die die groß- deutsche Auffassung unterstützten, hat er erörtert: es sei unhaltbar, daß sie an der Spitze einer solchen sozialdemokratischen Partei stünden, die ihrem

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Programm nach international, und deren Mitgliedschaft zum Großteil inter- nationalistisch sei.1

Adler vermochte die vor sich gegangenen Änderungen gut einzu- schätzen, und versuchte unter den neuen Umständen die Demokratisierung der Monarchie, und damit zusammen den Frieden zu beschleunigen; "wenn ich die Oktoberlage rekonstruieren will, ist es einerseits schwer, weil seit den vergangenen sieben Monaten sehr vieles geschehen ist. Andererseits ist es aber leicht, weil die Dinge sich in vieler Hinsicht zu meinen Standpunkt näherten. Vieles, was damals als Absurdität aufgefaßt wurde, gilt heute als öffentliche Meinung." Adler berief sich hier darauf, daß der Anwalt in seiner früheren Abhandlung über die Internationale noch mit Verachtung sprach, heutzu- tage wurde sie aber "zur wahrhaften Hoffnung der herrschende Schichten Österreichs", und hier nannte er Czernin und betonte, daß auch die Wiener Regierungskreise gerade von der russischen Revolution die Verwirklichbarkeit des Friedens erwarten.

Adler befriedigte sich aber nicht damit, daß er den Anwalt auf die Pranger stellte, die Anklage verunsicherte und die eingetretenen Änderungen registrierte. Er brachte seinen Prozeß mit Stockholm in unmittelbaren Zu- sammenhang, und unterstrich, daß die "friedensparteiliche" Minderheit in Österreich zu schwach dazu wäre, daß sie auf Beispiel der Deutschen einen eigenen Vertreter nach Stockholm hätte schicken können. "Aber daß man von ihr in Stockholm sprechen wird, dafür wird Ihr Urteil sorgen." Adler fügte hinzu: er wollte für den Frieden ohne Annexion demonstrieren, vor sieben Monaten wäre dies eine große Sache, nun begönne aber auch schon die Regierung mit der Idee zu sympathisieren. Und an diesem Punkt geriet Adler in Verwirrung, er nahm die Wiener Friedensabsichten einerseits allzu ernst, andererseits sah er dem Widerspruch nicht genügend entgegen, was in Wien bedeute, auf dem Prinzip des status quo ante zu bestehen, wenn dies bei ihm auch durch die Demokratisierung der Staatsrahmen begleitet wurde. Adler und die ungarischen Sozialdemokraten, zusammen mit den Antimili- taristen wie Ervin Szabo legten auf diese innere Demokratisierung den Nach- druck, die - wie sie betonten - die Verhandlungen mit den Entente-Mächten erleichtern würde. Er geißelte nicht nur wiederholt die österreichischen in-

nenpolitischen Verhältnisse, sondern auch die österreichische Parteileitung, die sich damit abgefunden habe, womit sie sich nicht hätte abfinden dürfen, würde zynisch und nähme weder sich, noch die von ihm betonten Prinzipien ernst. Adler hob hervor, daß er gerade durch diese unhaltbare Situation, das Schamgefühl zur Verübung des Attentates geleitet wurde, weil er in der Partei, wenn er zur zweckdienlichen gewaltigen revolutionären Handlung aufgerufen hätte - einfach ausgelacht worden wäre. Das revolutionäre

1 Adler Frigyes pöre. (Friedrich Adlers Prozeß) Budapest, 1917. p. 30 - 44.

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Gefühl ginge also in der Partei völlig verloren, und deshalb konnte er die Parteimitgliedschaft nur auf diese Weise aufrütteln. Adler machte auf die Wertbeständigkeit der Moral, des Geistes und der menschlichen, internationa- listischen Prinzipien aufmerksam, die über den partikularen Interessen stehen, für die er gelebt habe, und wie er selbst gesagt hat, für die er auch bereit wäre, zu sterben. Der Prozeß rief auf diese Weise wieder einen politischen Sturm hervor, - und lenkte die Aufmerksamkeit darauf, was Friedrich Adler wollte: auf das unselige Wesen der österreichischen politischen Umstände, und das kleinliche, opportunistische, nationalistische Verhalten der Mehrheit der sozialdemokratischen Leiter, und auf die Notwendigkeit der wurzelhaften Änderung auf allen Gebieten.

Adlers Prozeß wirkte dem einstimmigen Urteil aller Zeitgenossen zu- folge auf die Sozialisten der Monarchie begeisternd.2 Die pazifistische Opposi- tion ließ in diesen Wochen ihre Stimme genauso hören, wie die linksgerich- teten Radikalen, die im Kreis der Prozeßzuhörer Flugblätter verbreiteten.3 Sie schlössen sich im Frühjahr 1917 den Streikkämpfen an, und hielten die ersten oppositionellen sozialistischen Jugendkonferenzen ab.4 Während die Linksradikalen die Beziehungen zu den Massen der Parteileitung entgegen suchten, versuchte die pazifistische Opposition ihren Einfluß auf die Parteilei- tung zu erweitern. Der Prozeß wandte die Stimmung der Parteimitglied- schaft auf jeden Fall noch mehr gegen den Krieg. Die Parteileitung hat darauf so reagiert, daß sie die Sehnsucht nach dem Frieden zur Kenntnis nahm, die revolutionäre Schärfe hingegen gebrochen wurde. Renner, aber auch Auster- litz haben gleichermaßen mit gewisser Achtung Zimmerwald verwiesen, und versuchten die vorherige Politik der Partei zu verteidigen, erklären, während sie alle Hoffnung auf das Stockholmer Treffen setzten.5

Der Prozeß fand in der österreichischen Arbeiterbewegung einen sofor-

tigen und noch dazu stürmischen Widerhall. Bei der Sitzung der österreichi- schen Parteileitung am 10. Mai wurde schon festgelegt, daß die linken Jugend- organisationen ein solches Flugblatt herausgegeben haben, das einerseits

2 Julius Deutsch: Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung. Wien, 1947. p. 63-64. 3 Im Laufe des Prozesses brachten die linksgerichteten radikalen Jugendlichen im Sitz- ungssaal mehrmals ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck, und einige von ihnen wurden noch während des Prozesses verhaftet. (H. Hautmann: Die Anfänge der Linksradikalen und der kommunistischen Partei Deutschösterreichs. 1916 - 1919. Wien, 1970. p. 12.) Die Linken hoben in ihrem Flugblatt hervor: »Genossen, Freidrich Adler wird zu 18 Jahre Gefängnis verurteilt. Friedrich Adler war der erste, der die Arbeiter zum Kampf aufrief, zum Kampf gegen den Verrat der Parteimehrheit. Wir fordern seine Befreiung, und werden dafür kämpfen. Weil der Kampf für ihn gleichzeitig mit dem Kampf für die Lebensinteressen des Proletariats identisch ist ... Nieder mit dem imperialistischen Krieg ... Es lebe der Klassenkampf ! (Z. W. p. 12-13.) 4 Leopold Horník: Die Zimmerwalder Linke . Weg und Ziel, September 1955.

6 F. Austerlitz: Friedrich Adler und die Partei ; K. Renner: Stockholm . Der Kampf, Mai - Juni 1917.

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Solidarität mit Adler übernahm, andererseits die Parteileitung verurteilte, weil diese die kriegsführende Regierung unterstützt habe.®

Mit dem Nahen des Zeitpunktes des Prozesses hat sich die Situation weiter verschärft. Die Leiter der Partei hatten im voraus davor Angst, daß Adler eventuell die einzelnen Leiter der Partei kritisieren werde, andererseits entschlossen sie sich doch für die Veröffentlichung des Prozeßmaterials. Bei dieser Entscheidung wurden sie nicht zuletzt davon geleitet, daß sie sich fürchteten, wenn sie das nicht tun würden, würden sie durch die bürger- lichen Verlage einfach überholt werden, was die Leiter der sozialistischen Partei in noch ungünstigerer Farbe hinstellen würde.

Das Bedenken erwies sich real, denn Adler sprach wirklich kritisch über die Parteileiter. Der Dammbruch erfolgte aber erst danach, und überstieg weit die ersten Erscheinungen, die Herausgabe und Veröffentlichung der Flugblätter. Mitte Mai 1917 entfesselte sich trotz der Gewerkschaftsleiter ein spontaner Solidaritätsstreik, an dem 40 - 60 000 Arbeiter teilnahmen. Die Gewerkschaftsleitung eröffnete gleich eine Untersuchung und bei der folgenden Sitzung der Parteileitung, am 1. Juni 1917 referierte Hanusch über die Er- fahrungen. Im Zusammenhang mit dem Referat brach der Sturm, und zwar mit dem Prozeß am engsten verbunden aus. Hanusch verurteilte nämlich den Streik kategorisch, forderte aber gleichzeitig Untersuchung gegen die Jugend- organisation und die Unterrichtskommission, und machte für die Ereignisse die linke Opposition verantwortlich. Und genauso wie 1915, als Legien Schei- demann und Ebert damit bedrohte-erpreßte, wenn die pazifistische Opposi- tion (Haase und seine Gruppe) nicht abgebrochen werde, dann die zur Auf- lockerung der Beziehung der Partei zu den Gewerkschaften führen könnte, nahm nun auch die österreichische Gewerkschaftsleitung dieses Argument hervor.7

Wenn möglich, noch weiter als Hanusch ging Domes, der andere zentrale Gewerkschaftsleiter, Sekretär der Eisenarbeiter, der die verantwortungslosen Jugendlichen, Studenten und Frauen angriff, die mit ihren Flugblättern die Leiter der Partei und der Gewerkschaften um ihr Ansehen bringen. Domes verdammte sogar Friedrich Adler, weil er im Zuge des Prozesses solche Stim- mung machte, und auch die Intellektuellen, die sich beeilten, das Prozeß- material drucken zu lassen. Schließlich bedrohte er wieder die Leiter der Partei, wenn "sie nicht Ordnung machen", werden die Vertrauensleute der Eisenarbeiter einberufen und gegen die Wiener Parteiorganisationen ein- gesetzt, und obwohl sie dies nicht wünschen, würde sich dann das Verhältnis der Partei und Gewerkschaften unvermeidlich verschlechtern.

6 Sitzungsprotokolle . . . des Parteivorstands. Verein für Geschichte der Arbeiterbeweg- ung. Wien. 7 Ebenda

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Communication 321

Dem Druck der Rechte ließ eine der Zentralfiguren des Zentrums, Seitz nach, und er hielt die Bestrafung der Jugendlichen auch selbst für er- wünschenswert. In der Parteileitung war die markanteste Gestalt der Linke G. Proft, der diesmal für den Karl Marx Verein einstand, und dagegen protes- tierte, daß innerhalb der Partei die freie Diskussion unterdrückt werde.

Die Worte Profts wurden aber durch die Mehrheit zurückgewiesen, und der Angriff der Rechte nahm bei dieser Sitzung der Leitung wirklich beängs- tigende Ausmasse an. Ellenbogen erforderte auch die Maßregelung der jungen, verantwortungslosen Elemente, ging aber noch weiter, und er war es, der hinsichtlich der Grundfrage festellte: "wir müssen auch festlegen, daß die Revolution im gegenwärtigen Ausgenblick ein großes Unglück darstellen würde."8

Der Angriff der Rechte wurde fortgesetzt. Es gab welche, die bereits den Karl Marx Verein, unter der Führung von Danneberg, Proft, Max Adler angegriffen haben, und Pölzer hat gerade erklärt: "Der Prozeß Friedrich Adlers wird uns noch lange Zeit hindurch schaden. Auf alle Vertrauten wird man so blicken, als ob sie durch die Regierung gekauft wurden." Der ein- flußreiche und mit den rechtsgerichteten. "Ultras" sympathisierende Per- nerstorfer sprach wie folgt: "Man muß aussagen, was die Wahrheit ist. Fritz Adler ist ein heroischer Charakter, setzte sich aber automatisch außerhalb der Partei. Er hat der Partei schwere Wunden beigebracht". Er knüpfte sich an die anderen und drängte auf die Festigung der inneren Parteidisziplin - d. h. auf die Verstummung der linken Opposition.

A. Popp versuchte in dieser Diskussion zu befriedigen, er kritisierte Proft vorsichtiger und erkannte seine Verdienste, seine Agilität an. Inmitten der zugespitzten Gegensätze konnte aber diese Methode zu keinem Ergebnis füren. Kühneren Ton schlug Austerlitz an, der sich bei dieser Sitzung eigent- lich allein meritorisch der Rechte entgegensetzte, und Austerlitzs Worte hatten - in seiner Eigenschaft als Generalsekretär des Tageblattes der Partei - Gewicht. Austerlitz betonte, daß im Kreis der Arbeiter die Unzufrieden- heit tatsächlich zunehme, dies bewiesen bereits die Erfahrungen des 1. Mais. Eben deshalb beanstande er, daß die Streikenden einfach verurteilt werden. Und was die Situation innerhalb der Partei anbelange, müsse man zugeben, daß in der Partei zwei Richtungen zur Geltung kommen. Er selbst gebe in der Zeitung beiden Raum, solange, bis sie eine Partei bilden. Und solange seien auch die Diskussionen unvermeidlich. Und wenn nur eine Meinung geduldet werde - setzte er fort - würde die Trennung unausweichbar werden. "Das brutale Ordnungmachen sei keine kluge Taktik" unterstrich er, und mahnte darauf, sollte Friedrich Adler auch Parteimitglieder angegriffen haben, fühlen zweifelsohne viele Arbeiter mit ihm - womit sie zu rechnen haben.

8 Ebenda

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Austerlitzs Beitrag hat den Angriff der Rechte zwar etwas gemäßigt, konnte ihn aber nicht endgültig halten. Selbst Seitz bemerkte kritisch, daß die Arbeiter Zeitung kein Diskussionsforum sein könne, denn sie müsse die Meinung der Partei vermitteln - als Diskussionsblatt stehe die theoretische Zeitschrift, Der Kampf da. Seitz wiederholte: im Kreis der Jugend müsse eine größere Aktivität entfaltet werden. Schließlich schloß er sich jenen an, die Friedrich Adler wegen seiner, im Prozeß vorgetragenen Rede verurteilt haben.

Renner hat natürlich ebenfalls die Rechte unterstützt. Er stellte fest, daß die Streiks das Land stark gefährden, was zu vermeiden sei, hauptsäch- lich vor Stockholm. Und über Friedrich Adler erklärte er: sein ganzes Auf- treten spiegele eigentlich Mißtrauen gegenüber der Parteileitung wider und schade der Partei. Er unterstützte jene Forderung, daß die Partei dringendst eine offizielle Würdigung über den Adler-Prozeß, genauer die Worte Friedrich Adlers, die im Prozeß verlautbart wurden und die Leiter der Partei kriti- sierten.

Damit ging der Sturm langsam zu Ende. Domes rief zwar noch einmal zur Maßregelung auf, später wurde aber ein etwas gelinderter Kompromißbe- schluß gefaßt, daß der Standpunkt der Partei durch einen Ausschuß for- miert werden müsse, in den von der einen Seite Domes und Renner, von der anderen Seite Austerlitz kandidiert wurden.9

Durch den Adler-Prozeß herausgelöste Sturm, der einerseits durch die brüske Kritik Friedrich Adlers, andererseits durch die Streikbewegung und die linksgerichtete Gärung entstand, hat sich vorübergehend beruhigt. Aber nur vorübergehend, denn es wurde klar, wie tiefgreifend die Gegensätze inner- halb der Partei seien, die auf Spuren der jüngeren Ereignisse wieder zum Vor- schein kommen müßten. Im Laufe des Adler-Prozesses kam zum Ausdruck, wie agressiv die Rechte innerhalb der Partei sei, wie einflußreich diese sei, und daß die Gewerkschaftsleiter gerade diese Rechte unterstützen.10

Der Prozeß hatte auch diesmal bedeutendes ausländisches Echo. In der Neuen Zeit ergriff wieder Kautsky das Wort. Er betonte, daß nach dem Prozeß, in Kenntnis der Erklärungen Friedrich Adlers das Attentat "völlig verständlich wurde", Friedrich Adler wiese nämlich - erläuterrte Kautsky - darauf hin, daß er nicht beabsichtigte, irgendeine neue Taktik in der Bewe- gung einzubürgern. An die Methode des individuellen Terrors habe er selbst nicht geglaubt, er wollte bloß unter den außerordentlichen Umständen, aus- schließlich mit einer einmaligen Aktion, durch individuelle Opferbereit-

9 Ebenda 10 In Klammern möchten wir bemerken, daß die österreichische sozialdemokratische Geschichtsschreibung die Diskussion, die in der Parteileitung im Zusammenhang mit dem Prozeß ausbrach, nicht berührt. Nicht einmal J. Braunthal tut das, der dem damaligen Ver- halten Friedrich Adlers längeren Abschnitt widmete. (Julius Braunthal: Auf der Suche nach • dem Millenium. Wien 1964)

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schaft die Sozialisten aus der Abfindung ausschütteln, sie den Möglichkeiten der revolutionären Massenbewegung bewußt werden lassen. Und in diesen Zusammenhängen sprach Kautsky mit großem Mitgefühl über Adler. Der Adlerschen Aktion verlieh er aber schließlich wieder keine revolutionäre, sondern pazifistische Deutung. Er führte Adlers Worte an: in Stockholm werde die österreichische pazifistische Minderheit, die viel schwächer als die deutsche sei, nicht vertreten sein - der Prozeß werde aber im Kreis der nach Stock- holm Kommenden bewußt machen: auch in der österreichischen Bewegung lebe die antimilitaristische Opposition. Und in dieser Frage gab Kautsky Adler recht.11

Den pazifistischen Deutungen entgegen betrachteten die radikaleren, linksgerichteten Zimmerwal disten Friedrich Adler als ihren Anhänger. Dies stellte sich bereits heraus, als die radikalen Jugendlichen die Verhandlungen besuchten, und dort Flugblätter verbreiteten. Und später begrüßten bei der III., in Stockholm gehaltenen Konferenz der Zimmerwalder Bewegung, im September 1917 die Zimmerwalder Friedrich Adler in demselben Satz mit Liebknecht, Luxemburg und Zetkin.12

Auch die ungarische sozialdemokratische Bewegung war mit Friedrich Adler solidarisch. Die Zeitung Népszava meldete sich gleichzeitig mit dem Prozeß mit einem Redaktionsartikel, in dem festgestellt wurde: "Die Auf- merksamkeit der Sozialisten der Welt wird nun für ein-zwei Tage von der russischen Revolution und der Stockholmer Fridenskonferenz etwas abge- lenkt." Zurückblickend auf Adlers Tat hat die Zeitung veranschaulicht, daß Adler "durch die edelste Absicht geleitet wurde", daß er das Leben von Hunderttausenden retten könnte. Vom Attentat, von der Tat hat sie sich abgegrentzt. Dem Märtyrer der Idee forderte sie hingegen Achtung.13 Die Zensur hat von diesem Redaktions artikel, wie in den folgenden drei Tagen aus den Berichten über den Prozeß viel gestrichen. József Pogány hat ein paar Tage später das Prozeßmaterial übersetzt, und in seiner Einleitung hob er die Änderung zwischen Oktober 1916 und Mai 1917 hervor: "Wenn damals, zur Zeit des Wiener Attentats die vier Schüsse Friedrich Adlers ohne Echo knallten, dann genügen nun, Mitte Mai, während des Wiener Prozesses, nicht einmal vier Pistolenschüsse, sondern nur vier vorlaute Worte, und schon schlägt das Herz der Massen mit ihm. Friedrich Adler schrie schon geister- reich, mit Martertum belastet an die Zuhörer der Hauptverhandlung: Es lebe die internationale Sozialdemokratie ! und schon hallte es wider: Es lebe die Internationale ! ... Wunderbare und wunderschöne Persönlichkeit war Friedrich Adler, wie er sich zwei Tage hindurch den Richtern des Ausnahme-

11 K. Kautsky: Friedrich Adler. Die Neue Zeit, d. 8. Juni 1917. 12 Olga H. Gankin and H. H. Fisher: The Bolsheviks and the World War. Stanford, 1940. p. 673; H. Lademacher: Die Zimmerwalder Bewegung. Protokolle und Korrespondenz . The Hague - Paris, 1967, B. I., p. 481. 13 „ A bécsi vádlott " (Der Wiener Angeklagte). Népszava, d. 19. Mai 1917.

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gerichts, dem sicheren Tod durch den Strang und der Anklage mit Mord gegenüber verhielt . . . Nur große historische Märtyrer können neben den sozialistischen Märtyrern gestellt werden."14

Pogány schrieb seine Zeilen noch am 8. Juni, nach der Verlautbarung des Todesurteils. Später vermehrten sich die internationalen Solidaritätser- klärungen, die niederländischen Sozialdemokraten hielten Versammlungen ab, der Petersburger Arbeiterrat wandte sich über das B. I. S.* mit einem Aufruf an die österreichischen Sozialdemokraten, damit sie die Hinrichtung Adlers verhindern. Für die neue österreichische Regierung von Kaiser Karl - Czernin hätte bei ihren Friedensannäherungen die Hinrichtung dieselbe außerordentliche Belastung bedeutet, wie für die österreichischen sozial- demokratischen Leiter. Auf diese Weise kam schlißelich die mildernde Modi- fizierung zustande, das Urteil wurde zum 18 Jahre Gefängnis verändert.15

Der Prozeß und das Todesurteil hatten auch ein anderes, eigenartiges Echo bei den Intellektuellen. In der Schweiz hat Guilbeaux in der "Demain" Adlers nicht einfach gedacht, sondern er wollte einen internationalen Protest der Intelligenz organisieren, dem er u. a. auch Romain Rolland gewinnen wollte.16 Rolland wies aber die Initiative mit sonderbarer Logik zurück. Er war der Meinung, nicht nur der Soldat übernehme die Möglichkeit des Todes, sondern auch der Revolutionär tue dasselbe.17 Über das Attentat Adlers selbst, über die "Tat" erklärte er: "Wer auf Adlers Weise denkt, der kann sich nur begeistern. Ich befriedige mich damit, daß ich ihn verstehe. Ich bejahe kei- nerlei Mord. Aber ich bewurdene den Heroismus der Nachfolger Brutus'."18

* Bureau Internationale Socialisme 14 Adler Frigyes pöre (Friedrich Adlers Prozeß) z. W. p. 12 - 13. 15 Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht . (Herausgegeben und eingeleitet von J. W. Brügel) Wien 1967, p. 12. 16 Romain Rolland: Napló a háborús évekbol. (Tagebuch von den Kriegsjahren) 1914 - 1918. Budapest, 1960. p. 185. 17 Ebenda p. 186. 18 Der Prozeß spiegelte sich auch im engeren Sinne genommen in der französischen Arbeiterbewegung wider. Wie auch gleich nach dem Attentat, so gedacten nun anläßlich des Prozesses die sozialistischen, Arbeiterzeitungen der Entente-Länder Friedrich Adlers mit tiefem Mitgefühl. Dies taten auch solche Zeitungen, die sonst ihre Regierung »in den Anstrengungen für den Sieg« unterstützten, sich also in der Grundfrage Friedrich Adler gegenüber auf nationali- stische Basis stellten. Zu diesen gehörte zum Beispiel die Tageszeitung des CGT, La Bataille. Das Blatt erklärte sich nicht nur mehrmals mit Adler solidarisch, sondern nach dem Urteil teilte die Nummer am 5. Juni den offenen Aufruf der Leitung des CGT mit, in dem die fran- zösische Regierung aufgefordert wurde, ihr bestes zu tun, damit das Todesurteil nicht durch- geführt wird. e

Der eigenartigen und widersprüchlichen Tonart der Zeitung Le Bataille gegenüber nahm die in der Redaktion der Wochenzeitung, Sebastien Faure der französischen interna- tionalistischen Anarchisten erschienene Ce qu'il faut dire ebenfalls für Friedrich Adler Stellung - was in ihrem Fall viel mehr natürlich war. Was hingegen viel charakteristischer ist, die Zeitung wollte die Worte Friedrich Adlers vor dem Gericht veröffentlichen, mit denen er den Krieg und den Sozialchauvinismus brandmarkte - dies wurde aber auch durch die fran- zösische Zensur zur Streichung bestimmt. Die Erinnerung erschien auf diese Weise am 26. Mai 1917 mit einem großen weißen Flecken, und der Zusammensteller des zur Frage stehenden Materials, Mauricius lenkte auf diesen Widerspruch auch die Aufmerksamkeit.

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In Osterreich unterstrich bereits einen Tag nach der Beendigung des Prozesses Austerlitz, Generalsekretär der Arbeiterzeitung und Adlers Freund auf den Spalten des Organs, daß "seine Märtyrergestalt im Gedächtnis der Menscheit noch lange leben werde."19 Die österreichische Parteikonferenz, die fünf Monate später statfand, sprach ebenfalls anerkennend von ihm. Friedrich Adler wurde auch später nicht vergessen, wovon nicht nur die Grüsse der österreichischen und der Zimmerwalder Parteikonferenz zeugen. Aus den Tagen der Stockholmer Verhandlungen zeichnete Z. Höglund auf, daß Branting durch Friedrich Adlers Tat mit großer Begeisterung erfüllt wurde, und als er V. Adler traf, auch "durch das Schicksal des Sohnes be- schäftigt wurde."20

Nach der "Tat" übten auch der Prozeß, die "Worte", die Erklärungen große Wirkung aus. Davon zeugen nicht nur József Pogány, sondern auch die österreichischen bürgerlichen Augenzeugen, wie z. B. J. Redlich.21 Dieser Prozeß verlieh sowohl in der Monarchie, wie international der Entfaltung der kriegsfeindlichen Kräfte neuen Schwung. Ein Symptom dessen war, daß die österreichischen, deutschen, ungarischen Kriegsgefangenen aus den sibiri- schen Lagern Protesttelegramme gegen die Hinrichtung Friedrich Adlers geschickt haben.22

19 Arbeiter-Zeitung, d. 20. Mai 1917. Die anerkennenden Worte wiederholte Austerlitz in seinem zitierten Artikel in Dem Kampf. 20 Julius Braunthal: Victor und Freidrich Adler . Wien 1965, p. 243. Vgl. mit der Erklärung Höglunds: Victor Adler im Spiegel seiner Zeitgenossen. Wien 1968. p. 97. Zum inter- nationalen Echo gehört, daß im Zusammenhang mit dem Prozeß der Petersburger Arbeiterrat, die deutschen »unabhängigen« Sozialisten, die parlamentarische Fraktion der USPD, die parlamentarische Gruppe der niederländischen Sozialdemokraten, Kaclerovitsch - als serbi- scher sozialistischer Parlamentsabgeordnete mitfühlende, die Solidarität ausdrückende Tele- gramme an die österreichische Partei richteten. Ähnliches Telegramm traf von Racovski, einem der bekanntesten Leiter der rumänischen Partei ein. (Julius Braunthal: Auf der Suche , z. W. p. 188.) Ebenfalls zum internationalen Widerhall gehört, daß der tschechische F. Soukup, der sich sowohl in den Tagen des Attentats, wie später des Prozesses in Wien aufhielt, ebenfalls mit Anerkennung über die großartige Standhaftigkeit, die hervorragenden Repliken Friedrich Adlers sprach - wodurch er vom Angeklagten zum Ankläger wurde. (Victor Adler im Spiegel seiner Zeitgenossen . Wien, 1968, p. 199.) 21 Z. W. p. 242. Es ist interessant, daß A. Fuchs auch der Meinung ist, daß Friedrich Adlers »Tat« zu keiner revolutionären Massenbewegung führte. Ahnlich zu Lenin betonte er auch, daß sie eine, durch den Zweifel diktierte Aktion wäre. (Albert Fuchs: Geistige Ström- ungen in Österreich. 1867 - 1918. Wien 1949, p. 98.) 22 Julius Braunthal: Victor und Friedrich Adler. Z. W. p. 243.

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