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Friedrich Balke und Hanna Engelmeier MIMESIS UND FIGURA

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Friedrich Balke und Hanna Engelmeier MIMES IS UND F IGURA

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medien und mimesis

Herausgegeben von Friedrich Balke und Bernhard Siegert

Band 1

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WILHELM FINK

FRIEDRIC

H BALKE

HANNA ENGELMEIE

R

MIMES

IS

UND FIGURA

Mit einer Neuausgabe

des »Figura«-Aufsatzes

von Erich Auerbach

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Eine Schriftenreihe der Forschergruppe »Medien und Mimesis«

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2016 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.fink.de

Reihengestaltung und Satz: Martin Mellen und Peter Zickermann, Bielefeld

Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, PaderbornPrinted in Germany

ISBN 978-3-7705-6096-7

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INHALT

Friedrich Balke und Hanna Engelmeier VORBEMERKUNG 7

Friedrich Balke MIMESIS UND FIGURA Erich Auerbachs niederer Materialismus 13

Hanna Engelmeier DIE WIRKLICHKEIT LESEN Figura und Lektüre bei Erich Auerbach 89

Erich Auerbach FIGURANeuedition des Textes von 1938 121

REGISTER 189Personenregister 189Begriffsregister 190

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VORBEMERKUNG

Am Anfang des vorliegenden Buches stand die Verwunderung darüber, dass Erich Auerbachs meisterliche Abhandlung Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (1946) ihren Titelbegriff an keiner Stelle definiert, ja nicht einmal vor dem Hintergrund der reichhaltigen Begriffs- und Kulturgeschich-te mimetischer Praktiken situiert oder verhandelt. Kursorische Hinweise auf die einschlägigen philosophischen Bestimmungen etwa bei Platon finden sich zwar am Ende des Buches, ohne dass jedoch der antike Hintergrund des Begriffs ausgelotet würde. Au-erbach verankert seinen titelgebenden Begriff stattdessen in der Szene christlicher passio. Damit verschiebt er die Problematik des Begriffs von der Nachahmung einer als vorbildlich verstandenen Natur auf die dargestellte Wirklichkeit einer alltäglichen Umwelt, in der der Religionsstifter »nicht als ein Held und König, sondern als ein Mensch niedrigster sozialer Stufe« (M, 73)1 erschienen war. In der minderen und niedrigen Mimesis kommt das ›sinn-lich Realistische‹ und Darstellungsunwürdige, eine häufig bis zur Formlosigkeit entstellte ›Materie‹, die Auerbach auch das Rohmaterial des Alltäglichen nennt, zur Darstellung.

Damit ist eine zentrale Bestimmung des berühmten Aufsatzes über Figura aufgerufen, in dessen Zentrum ein Konzept des an Tertullian abgelesenen ›energischen Realismus‹ steht, der Auer-bachs Literaturbegriff bestimmt, obwohl er sich ausdrücklich nicht dafür entschied, eine Geschichte des literarischen Realis-mus im Ganzen zu schreiben. Unsere Vermutung ist, dass Auer-bach die in Mimesis unterlassene Reflexion der konzeptuellen Voraussetzungen seiner Abhandlung in Figura vor(weg)genom-men hatte und dass es deshalb lohnenswert sein könnte, diesen

1 Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen und Basel 2001 [1946]. Auerbachs Abhandlung wird im Text mit Sigle (M) und Seitenzahl zitiert.

Friedrich Balke und Hanna EngelmeierVorbemerkung

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Zusammenhang einer intensiven Reflexion zu unterziehen. An-ders als in seinem Hauptwerk, in dem Auerbach teilweise eigene Übersetzungen der von ihm ausgewählten und kommentierten Passagen anfertigte, verzichtete er auf eine derartige Hilfestellung für den Figura-Aufsatz. Dieser war exklusiv an ein Fachpublikum adressiert. Er erschien erstmals 1938 in der Zeitschrift Archivum Romanicum. 1967 wurde er unkommentiert zwischen vielen an-deren Arbeiten in Auerbachs Gesammelten Aufsätzen zur romani-schen Philologie noch einmal abgedruckt. Die Scharnierfunktion, die dieser Aufsatz für Auerbach zwischen seiner Habilitation über Dante als Dichter der irdischen Welt (1929) und seinem be-kanntesten Werk Mimesis einnimmt, wurde so bislang übersehen. Während es in der Habilitationsschrift um das Konzept der Dar-stellung der Wirklichkeit im Werk eines einzelnen Autors geht und Mimesis die Geschichte dieses Konzepts von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entfaltet, klärt Figura die Be-dingungen, unter denen die Wirklichkeitsauffassung Auerbachs entstand. Figura wurde unter äußerst schwierigen Bedingungen verfasst: Seine Professur in Marburg hatte Auerbach bereits 1935 aufgeben müssen, war nach Istanbul emigriert und lehrte dort seit 1936 als Nachfolger Leo Spitzers europäische Literatur. Um die Auseinandersetzung mit Auerbachs Argumenten in Figura über den Kreis der altphilologisch versierten Spezialisten hinaus zu erleichtern, haben wir uns entschlossen, den Aufsatz zum ersten Mal mit der deutschen Übersetzung der zahlreichen lateinischen und altgriechischen Belegstellen verfügbar zu machen. Damit fol-gen wir dem Vorbild der kürzlich erschienenen amerikanischen Ausgabe ausgewählter Aufsätze Auerbachs.2

Unsere eigene Auseinandersetzung mit der Figura-Mimesis- Konstellation bei Auerbach schlägt unterschiedliche Wege ein, die sich aber an entscheidenden Stellen berühren. Friedrich Balke

2 Erich Auerbach: »Figura«, in: Ders.: Time, History, and Literature. Selected Essays of Erich Auerbach. Edited and with an introduction by James I. Porter. Translated by Jane O. Newman, Princeton und Oxford 2014, S. 65 – 113.

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entfaltet in seinem Beitrag das für Auerbachs Ansatz konstitutive Spannungsverhältnis zwischen Figura und Figuraldeutung, das auch der Mimesis-Studie ihre spezifische Prägung verleiht. Im Aufsatz von 1938 übergreift Figura sehr verschiedene Sachverhalte und Medien, bevor sie im Verlauf der Argumentation in einen weitumspannenden Deutungsrahmen eingefügt wird, den Auer-bach als Figuraldeutung bezeichnet. Während Figura zunächst die sinnliche Prägnanz einer architektonischen, optischen, akus-tischen oder rhetorischen Erscheinung bezeichnet, wächst das Wort im weiteren Verlauf der Argumentation unvermutet »in eine weltgeschichtliche Lage« hinein, woraus sich »Strukturen entwickeln, die für viele Jahrhunderte wirksam werden« (F, 188)3. Diese weltgeschichtliche Lage ist, kurz gesagt, durch das Chris-tentum und die Umstände seiner kulturellen Durchsetzung be-stimmt. Die christliche Mission traf auf ein Publikum, das mit der rhetorischen Höhenlage der antiken Literatur und Historiografie eben so wenig vertraut war, wie es mit dem Alten Testament als Gesetzesbuch und »Volksgeschichte Israels« (F, 167) gewonnen werden konnte. Ohne die Figuraldeutung dieses heiligen Textes, die ihn als Präfiguration des Zukünftigen liest, wäre die ›mindere Geschichte‹ eines Religionsstifters, die die Evangelien erzählen, niemals zu einer weltgeschichtlichen Antriebskraft geworden.

Mit dem Eintritt von Figura in die Ordnung einer derartigen Figuraldeutung erweist sich ein darstellungs- und literaturbe-zogener Begriff zugleich als eine eminente kulturelle und po-litische Kategorie, die eine longue durée organisiert. Weil diese weltgeschichtliche Lage mit dem Ende des Mittelalters entfällt, stellt sich die Frage, welcher Begriff die neue bzw. neuzeitliche weltgeschichtliche Lage zu ›tragen‹ vermag. Auerbach, so die These, unternimmt mit der weitausgreifenden Studie zur abend-ländischen Mimesis einen Anlauf zur Reaktivierung der Figura, die jetzt allerdings in ein neues Bezugssystem eingebaut wird. Die geschichtstheologische Figuraldeutung, die sich im Bezugs-

3 Auerbachs Aufsatz wird im Text mit Sigle (F) und Seitenzahl der vor-liegenden Ausgabe zitiert.

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system der Realprophetie und, literarisch gesehen, zwischen den beiden Offenbarungsbüchern des Alten und des Neuen Testa-ments vollzog, wird durch eine geschichtsphilosophische Figu-raldeutung abgelöst. Für ihre Durchsetzung nimmt Auerbach eine anthropologisch verankerte und entgrenzte (auf heterogene kulturelle Zeugnisse und Dokumente abstellende) Philologie in Anspruch, wie sie durch Vico, den Auerbach übersetzt hat4, in-auguriert wurde. In Mimesis wird dieses Programm umgesetzt – Lektüren bestimmter Schlüsselstellen des Buches zeigen, dass Auerbach seine Beschreibungen dessen, was er den mimetischen »Einbruch« (M, 516) in das überkommene System der rhetori-schen Höhenlagen nennt, in eine weltgeschichtliche Perspektive einrückt, die es erlaubt, in der ernsten Nachahmung des Alltäg-lichen zugleich die Ankündigung einer Vereinheitlichung des Lebens der Menschen auf der ganzen Erde zu entziffern und damit Vicos Programm einer gemeinschaftlichen Natur der Völ-ker auch politisch zu lesen. Auerbachs Methode beschränkt sich nicht nur auf die Lektüre von literarischen Schlüsselstellen, die er »nach zufälliger Begegnung und Neigung« (M, 517) ausgewählt hat; er verwendet diese Passagen, die er seinen Analysen vorgibt, zugleich als ein »Ansatzphänomen«, das ihn in den Stand setzt, von der Mikroebene der literaturwissenschaftlichen Beschrei-bung auf die Makroebene der Weltgeschichte zu wechseln, deren politische, ökonomische und kulturelle Rahmungen er in seinen Lektüren markiert und reflektiert. Deshalb beziehen sich seine Analysen auf die dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Dieses Spannungsverhältnis zwischen einer Mimesis des Alltäglichen und ihrer geschichtsphilosophischen Deutung verdient auch deshalb Aufmerksamkeit, weil es Konsequenzen weit über die Literaturgeschichte hinaus hat, wie das Beispiel Sieg-fried Kracauers zeigt. Kracauer nämlich wies in ausdrücklicher Anknüpfung an Auerbach dem Film keine geringere Aufgabe als

4 Giambattista Vico: Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Na-tur der Völker. Nach der Ausgabe von 1744 übersetzt von Erich Auerbach, Reinbek 1966.

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die Errettung der äußeren [physical] Wirklichkeit zu. Kracauer verknüpft diese mimetische Qualität des Films ebenfalls mit der Konstruktion einer politischen und weltgeschichtlichen Mission dieses Mediums, das in der genealogischen Fiktion einer Family of Man seine maßgebliche Figuraldeutung erfährt, mit der die Theorie des Films schließt.

Der niedere Materialismus, den Auerbach wie Kracauer zum Dreh- und Angelpunkt ihrer konkreten Literatur- und Filmana-lysen machen, buchstabiert sich, wie der Beitrag Hanna Engel-meiers zeigt, in einer spezifischen Bezogenheit auf die alltägliche Wirklichkeit aus, die nicht zugunsten vorgegebener Schemata übersprungen werden soll. Wie seine Rezeption insbesondere im New Historicism zeigt, wird Auerbach für eine Geschichts-schreibung der longue durée in Anspruch genommen, die in exempla rischen Mikrogeschichten erzählt werden kann. Stephen Greenblatt hat sich intensiv mit Auerbachs Verfahren der dichten Beschreibung von Literatur auseinandergesetzt und besonderes Augenmerk darauf gelegt, auf welche Weise dabei Wirklichkeit und Alltag zur Deckung gebracht werden. Als vertraute Begrif-fe sind sie in besonderer Weise erklärungsbedürftig: Dies ge-schieht bei Auerbach dadurch, dass er anhand des Schritts von der energischen Figura zur Figuraldeutung nachzeichnet, wie beide Begriffe uns auf eine Weise affizieren können, die lange als transzendente Mächte beschrieben wurden.

Die damit verbundene Erwartung an die Kraft der Literatur, Wirklichkeit auf besondere Weise zu erschließen, bestimmt nicht zuletzt auch Auer bachs Lektürebegriff und Lektürepraxis. Es lässt sich hier ein Lektüremodus identifizieren, der die Affizie-rungschancen der Literatur in den Vordergrund rückt und sich dazu eines pointillistischen Zugriffs auf eigensinnig ausgewählte Stellen bedient. Dieser voraussetzungslose Lektüremodus steht einem anderen gegenüber, der in hohem Maße von Vorausset-zungen und Deutungsperspektiven abhängt, deren theologische Parameter (»Realprophetie«) im Figura-Aufsatz entfaltet werden und deren geschichtsphilosophische Potenziale dann in Mimesis zum Tragen kommen. Das Spannungsverhältnis zwischen Figura

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und Figuraldeutung, das beide Beiträge ins Zentrum ihrer Be-trachtungen stellen, lässt sich an der vorchristlichen Semantik von Figu ra besonders gut erkennen, mit der Auerbachs Aufsatz einsetzt. Hier gerät Figura als ein ›multimedial‹ adressierbares Phänomen in den Blick, das konkrete Medienbereiche wie Plastik, Optik, Akustik und Rhetorik gleichermaßen abdeckt. Der von Auerbach an Lukrez so bewunderte freie Umgang mit Figura ist für seine eigenen literarischen Analysen vorbildlich, denn die-se vermögen Leser auch heute noch zu berühren, weil sie nicht restlos mit den geschichtlichen Deutungsschemata in Einklang zu bringen sind, die sein Begriff einer abendländischen Literatur reklamiert.

Die vorliegende Publikation ist aus der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten, an der Bauhaus-Univer-sität Weimar und der Ruhr-Universität Bochum angesiedelten Forschergruppe Medien und Mimesis hervorgegangen, in deren Rahmen wir unsere Überlegungen mehrfach zur Diskussion ge-stellt haben. Wir danken den Mitgliedern der Forschergruppe für wichtige Hinweise und Anregungen. Wir bedanken uns außer-dem bei Judith Weiß, die die lateinischen und griechischen Zitate des Figura-Aufsatzes recherchiert und uns bei der Redaktion der Texte für dieses Buch unterstützt hat. Schließlich gilt unser Dank Nina Ogrowsky, die die vorliegenden Übersetzungen geprüft und, wo keine deutsche Übersetzung existiert, eigene Übertragungen angefertigt hat.

Bochum, im Juni 2016Friedrich Balke / Hanna Engelmeier

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MIMESIS UND FIGURA. ERICH AUERBACHS NIEDERER MATERIALISMUS Friedrich Balke

»Etwas geringfügiges schwebt um seine gestalt, und eigentlich ist er nur eine Figur, keine gestalt, nur ein menschliches Etwas, keine Erscheinung.« Robert Walser, »Das Büebli«

»Etwas wie eine geschichte des europäischen realismus hätte ich niemals schreiben können«. Erich Auerbach, Mimesis

Zwei Einbrüche

Um die Bedeutung und Reichweite von Auerbachs epochalem Werk Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur abzuschätzen, kann man sich nicht mit einer strikt immanenten Lektüre oder einer sogenannten Rekonstruktion des Weges bescheiden, den Auerbachs ungewöhnliche Literatur-geschichte zurücklegt. Weil Auerbach seinen eigenen Lektüren nicht die Interpretation von Werken zugrunde legt, sondern sich auf klug ausgewählte Passagen bezieht, die er seinen Analysen (mit oder ohne eigene Übersetzung) voranstellt, verfasst er ei-nen seriell organisierten Text. Die abendländische Literatur mit Homer und dem Alten Testament beginnen zu lassen, ist zwei-fellos eine einigermaßen kanonische Geste; sie aber mit einem Roman Virginia Woolfs zu beenden, ist nicht in gleichem Maße zwangsläufig und wirft beim Leser die Frage auf: what’s next? Mimesis ist deshalb kein literaturgeschichtliches ›Werk‹, sondern ein Text, der fortzusetzen wäre1 – und zwar nicht nur aus dem

1 Auerbach selbst hat das XIV. Kapitel, das den Don Quixote behandelt, erst drei Jahre nach der deutschen Erstausgabe für die spanische Über-setzung hinzugefügt (M, 317).

Friedrich BalkeMimesis und Figura

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schlichten Grund, dass die Literaturgeschichte seit seiner Veröf-fentlichung weitergegangen ist, sondern weil der fundamentale Ansatz, der Auerbachs Lektüren leitet, sich sogar über die Gren-zen der Literatur hinaus, etwa in den audiovisuellen Medien, als fruchtbar erwiesen hat.2

Den folgenden Überlegungen liegt die These zugrunde, dass es für die Bestimmung des Einsatzes, den Auerbachs Buch macht, notwendig ist, bestimmte seiner Einsichten zu radikalisieren und diese Einsichten gegen eine geschichtstheologische und geschichtsphilosophische Entschärfung in Schutz zu nehmen. Bekanntlich hat Auerbach auf zwei Einbrüche der Mimesis im Verlauf der abendländischen Literaturgeschichte hingewiesen. Zweimal hat sich in dieser Geschichte eine »Revolution gegen die klassische Lehre von den Höhenlagen« ereignet: einmal, den Lesern seines Buches einigermaßen nahe stehend, die Revolu-tion der »Romantiker und Realisten«, die die um 1700 »von den Anhängern einer strengen Nachahmung der antiken Literatur« aufgerichteten »Schranken« einrissen (M, 515). Von einem »Ein-bruch des existentiellen und tragischen Ernstes in den Realismus« (M, 448) spricht Auerbach im Hinblick auf Stendhal und Balzac, wobei das Kriterium dieses Ernstes in der literarischen Bezug-nahme auf die alltägliche Wirklichkeit liegt. Jahrhunderte zuvor gab es jedoch bereits einen »ersten Einbruch in die klassische Theorie«, den Auerbach mit der »Geschichte Christi« identifi-ziert, die auf ›rücksichtslose‹ Weise alltägliche Wirklichkeit mit höchster Tragik ›mischt‹ (M, 516). Liest man das »Nachwort« und die übrigen Stellen des Buches, an denen Auerbach die-se beiden Einbrüche behandelt, fällt auf, dass er durchweg ein Vokabular scharfer Konfrontation verwendet, um die Intensität dieser Abkehr von der ›klassischen Theorie‹ zu bezeichnen und dass es sich bei diesem Vokabular zugleich um Begriffe handelt, die einen weitreichenden, zugleich literarisch, politisch und his-torisch markierten Bruch bezeichnen. Der erste Einbruch wird

2 Vgl. dazu weiter unten, S. 76 – 88.

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bereits in einem Aufsatz von 1933 als die entscheidende Vor-zeichnung des zweiten begriffen. Die Geschichte Christi, heißt es dort, »ist gegenüber der Antike die radikalste Zerstörung des Stiltrennungsprinzips und überhaupt die radikalste Verwirkli-chung des tragischen Realismus«3.

Auerbach ist jedoch nicht bereit, die Negativität des mimeti-schen Einbruchs, der sich als Vorgang einer ›Erniedrigung‹ bzw. eines bestimmten Niedergangs beschreiben lässt, ohne weiteres zu akzeptieren. Er belässt es keineswegs dabei die durch diesen Einbruch freigesetzten neuen Darstellungsformen in ihrem Ei-genrecht zu würdigen. Bei ihnen handelt es sich um zerbrochene Formen, die sich einem Dekompositionsvorgang verdanken, den Auerbach in seinen textuellen und rhetorischen Dimensionen minutiös zu beschreiben versucht. Der Analyse des literarisch Niedrigen, Bösen oder Zerstörerischen räumt er viel Platz ein. Dennoch ist die Genauigkeit, mit der er den rhetorischen Verhee-rungen in den Texten etwa spätrömischer oder frühchristlicher Historiographen nachspürt, kein Selbstzweck. Die Zerstörung der »Lehre von den Höhenlagen der literarischen Darstellung« ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie eine neue Darstellungstechnik ermöglicht, die einer »ständig sich verändernden und verbrei-ternden Wirklichkeit unseres Lebens« (M, 515) zum angemesse-nen Ausdruck verhilft. Der Realismus, um den es Auerbach geht, erschöpft sich denn auch unter den Vorzeichen eines Bündnis-ses von Literatur und Positivismus im 19. Jahrhundert nicht in der »Genauigkeit seiner Daten«; diese haben ihre Berechtigung nur, wenn die mit ihrer Hilfe erzeugte »Breite« der Alltäglichkeit nicht mit der geforderten »Tragik« der literarischen Gestalten in Widerspruch steht.4

3 Erich Auerbach: »Romantik und Realismus«, in: Martin Treml, Karl-heinz Barck (Hg.): Erich Auerbach. Geschichte und Aktualität eines euro-päischen Philologen, Berlin 2007, S.426 – 438, hier: S. 438.4 Ebd., S. 434 f.

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Zwei Figuraldeutungen und die Abwehr des figurativen Exzesses

Die Anforderungen der klassischen antiken Rhetorik und die Schranken, die eine strenge Nachahmung ihrer Regeln Jahrhun-derte später erneut aufzurichten versucht, haben für Auerbachs Literaturbegriff umso weniger Geltung, als er über ein anderes Großdispositiv verfügt, das den Skandal des mimetischen Ein-bruchs wiedergutzumachen verspricht. Genauer handelt es sich um zwei Dispositive, ein geschichtstheologisches und ein ge-schichtsphilosophisches: Das geschichtstheologische Dispositiv wird im Figura-Aufsatz als System der sogenannten Figuraldeu-tung entfaltet. Die Figuraldeutung unterschiebt der Wirklichkeit, die die Mimesis darzustellen erlaubt, wir können auch sagen: der Materie oder dem »Fleisch«5 einen höheren Sinn, da »ein auf Erden geschehener Vorgang, unbeschadet seiner konkreten Wirklichkeitskraft hier und jetzt, nicht nur sich selbst [bedeutet], sondern zugleich auch einen anderen, den er vorankündigt oder bestätigend wiederholt« (M, 516). Die konkreten Ereignisse, die das Neue Testament in allen Einzelheiten erzählt, erfahren, so unbedeutend sie auch an sich erscheinen mögen, eine Erhöhung durch die Fähigkeit des Interpreten, in ihnen Wiederholungen von Ereignissen des Alten Testaments zu erkennen, die als Vor-bilder bzw. Präfigurationen für die Evangelien fungieren. Das alltäglich Wirkliche der Evangelien, so sehr es auch aus sich he-raus erzählbar und verständlich ist, bedarf einer Einfügung in eine übergreifende Erlösungsgeschichte, für die Auerbach den Begriff der Realprophetie prägt. Nur als in diesem Sinne figuraler ist der erste Einbruch der Mimesis zu rechtfertigen. Wenn Gilles Deleuze an Francis Bacon zeigt, wie er Figurenpaare malt, die

5 Am Beispiel des Verhältnisses von Moses und Christus erläutert Auer-bach: »Die geschichtlich-wirklichen Figuren sind geistig zu deuten (spi-ritualiter interpretaris), aber die Deutung weist auf eine fleischliche, also geschichtliche Erfüllung (carmaliter adimpleri, de resurr. 20) – denn es ist eben die Wahrheit Geschichte oder Fleisch geworden.« (F, 145).

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keinerlei Geschichte erzählen, dann wird hier die Figur von jeder Bezugnahme auf andere Figuren und damit auf einen Kompo-sitionszusammenhang oder ein Bildgefüge gelöst und entspre-chend auch das Fleisch einer neuen Deutung unterzogen, die ihm nicht länger die Aufgabe der Verkörperung zuweist.6 Inso-fern das Christentum »die Form – oder besser – die Figur einer grundlegenden Deformation unterworfen« hat, »waren Form und Figur nicht mehr exakt auf das Wesen bezogen, sondern auf sein prinzipielles Gegenteil, auf das Ereignis und sogar das Unbeständige, das Zufällige.«7 Genau diese Bewegung vollzieht Auerbach für die Literatur nach, allerdings in der Absicht, die Form, die begonnen hatte, »das Akzidentelle auszusagen«8, in den Dienst eines anderen Wesens oder Zwecks zu stellen. Auer-bachs hartnäckige Bemühungen, die Figuraldeutung von jeder allegorischen Auslegung zu unterscheiden, das Reale und die »sinnliche Wirklichkeit« (F, 175) also zulasten seiner Spiritualisie-rung zu betonen, sind von einer symptomatischen Vergeblichkeit gekennzeichnet: »figura ist nicht das einzige Wort, welches im Lateinischen für Realprophetie gebraucht wird; sehr oft findet man die aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücke alle-goria und besonders typus; allegoria bedeutet allgemein jede tie-fere Bedeutung, nicht nur die Realprophetie, doch ist die Grenze fließend, denn auch figura und figuraliter gehen oft über den Bezirk des Realprophetischen hinaus.« (F, 158)9

6 Vgl. Gilles Deleuze: Francis Bacon – Logik der Sensation, München 1995, S. 10. Mit Bezug auf Auerbach vgl. auch Jacques Rancière: Das Fleisch der Worte. Politik(en) der Schrift, Zürich, Berlin 2010, der die literarische Figura von der theologischen unterscheidet, »in der jede kleine Szene den Sinn der Wahrheit annimmt« (ebd., S. 113). 7 Ebd., S. 76.8 Ebd.9 Indem Auerbach die Figura gegen die Allegorie in Stellung zu bringen sucht – im Wissen darum, dass auch hier die Grenze eine subtile ist –, tritt er ein hegelianisches Erbe an. Denn Hegels Definition der Kunst als der »sinnliche[n] Darstellung des Absoluten selber« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I. Werke Bd. 13, Frankfurt/M. 1979, S. 100) verhält sich polemisch zur Allegorie: »Man sagt eben, die Allegorie

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Diese Vergeblichkeit könnte darauf verweisen, wie Deleuze glaubt, dass das religiöse Gefühl des Christentums »eine Befrei-ung der Figuren, ein Auftauchen der Figuren außerhalb jeder Fi-guration« ermöglichte10. Dieser ›avantgardistischen‹ Lesart steht eine Auffassung entgegen, die in Auerbachs energischem Rea-lismus ein Beharren darauf erkennt, dass ein Ereignis zunächst »noch nicht einer Abstraktion unterworfen wird, sondern als Fi-gur sinnliche Ähnlichkeitsbezüge produziert, die es topologisch mit anderen Ereignissen verbindet und die erst dann einer alle-gorischen Deutung im Blick auf die Heilsökonomie unterworfen werden können«11. Tatsächlich scheinen mir weder Deleuze noch Niklaus Largier die Rolle einer »figuristischen Exegese« zu be-denken, deren Struktur Georges Didi-Huberman herausgestellt hat.12 Sie ist für das Verständnis des Verhältnisses von Figura und Mimesis bei Auerbach entscheidend, weil sie eine fundamentale

sei etwas Frostiges, [und] das Frostige ist, daß nur so eine einzelne Allge-meinheit das Innere ist, nicht die lebendige Individualität. Der Frühling oder Religion, Gerechtigkeit als eine Person – so ist nur leeres Subjekt.« Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826, Frankfurt a. M. 2004, S. 138 f. Ganz im Sinne Hegels beharrt Auerbach auf der Plastizität der Figura und betont das Moment der »Erfüllung«, die er als »eine fleischliche, also geschichtliche Erfüllung« (F, 145 denkt.10 Deleuze: Francis Bacon – Logik der Sensation, S. 14.11 Niklaus Largier: »Zwischen Ereignis und Medium. Sinnlichkeit, Rhe-torik und Hermeneutik in Auerbachs Konzept der figura«, in: Christian Kiening, Katharina Mertens Fleury (Hg.): Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, Würzburg 2013, S.  51 – 70, hier: S. 65. Die Intention Auerbachs ist damit zweifellos gut getroffen, aber seine Texte sind doch durch einen bezeichnenden Widerstreit zwischen energischer Figura und Figuraldeutung gekennzeichnet, die ängstlich darum bemüht ist, die figural ausgelöste Wahrnehmungserschütterung sogleich wieder mit Bedeutungen, theologischen oder philosophisch-philologischen, zu überschreiben. Von Wahrnehmungserschütterung würde ich spreche, weil die ›energische‹ Signatur der Figura bei Auerbach zwischen der Figura-tionsart des sinnlichen Vermögens und der des Begehren bzw. Affekts liegt. Vgl. zur Problematik der Affektfiguren insbesondere: Rüdiger Campe: »Pathos cum Figura – Frage: Sprechakt«, in: Anselm Haverkamp (Hg.): Die paradoxe Metapher, Frankfurt a. M. 1998, S. 289 – 311, hier: S. 293.12 Georges Didi-Huberman: »Die mimetische Unbändigkeit«, in: Mirjam

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Ambivalenz der Figuraldeutung offenlegt. Diese Exegese erklärt die spezifische Nachdrücklichkeit, mit der sich Auerbach gegen eine allegorisch-akademische Lektüre wendet. Denn entweder reduziert die Figuraldeutung das ›Fleisch‹ der Figura, indem sie es einem theologisch handhabbaren Deutungszusammenhang unterwirft (Inkarnation); oder die Figuraldeutung bezieht sich, in den Worten eines Historikers der christlichen ›Konvulsio-nisten‹ des 18. Jahrhunderts, auf den Vorgang, dass »›Gott über die Körper Darstellungen schickt‹«13, indem er die verzückten Gläubigen allegorisch lesbare Körperstellungen, also Figuren an-nehmen lässt. Diese Figuraldeutung ist wesentlich ›praktischer‹ Natur: Sie besteht darin, die Schrift mit dem eigenen Körper auszulegen und das Ereignis der Kreuzigung Christi im eigenen Körper zu wiederholen. Die figura bezeichnet in dieser Traditi-on einen göttlichen Vertrag, »der das Verhältnis von Symptom (dem Körper) zum Zeichen (dem Anderen des Körpers: dem Text) bestimmte. Übertragen wurde in dieser Ansteckung also eine Figur, ein Vertragsknoten zwischen soma und dem, was ihn ansteckt (was ihn krank macht, was ihn verzückt): dem sema, dem Evangeliumszeichen der Passion.«14

In Mimesis wird es dann genau dieses Evangeliumszeichen der Passion sein, das Auerbach als ihr eigentliches Gründungsereig-nis in Anspruch nimmt – und das an die Stelle einer Definition oder Auseinandersetzung mit der philosophischen Theorie tritt, die Mimesis nicht länger im Horizont ihrer kultisch-theatralen Funktion verhandelt, sondern an den Vorgang einer (bildneri-schen) Nachahmung von Ideen bindet. Immer wieder analysiert Auerbach in Mimesis Szenen, die von der Virulenz des Zeichens zeugen, das den Körper ergreift und ihn noch vor jeder Deu-tungsanstrengung figurieren lässt. Dass Mimesis sich zweimal als Einbruch ereignet, der eine etablierte symbolische Ordnung

Schaub, Nicola Suthor, Erika Fischer-Lichte (Hg.): Ansteckung. Zur Körper-lichkeit eines ästhetischen Prinzips, München 2005, S. 153 – 166, hier: S. 158.13 Ebd.14 Ebd., S. 159.