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FU Berlin Constanze Donner / Ludwig Pohlmann 2013/2014 1 Marcus-Theorie des Elektronentransfers Elektronentransfer zwischen Ionen und an der Grenzfläche Metall-Elektrolyt 1. Elektronentransfer Eine elektrochemische Reaktion besteht aus Ladungstransferreaktion en innerhalb der elektrochemischen Doppelschicht. Analoges gilt für Ionenreaktionen in Lösung.

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Marcus-Theorie des Elektronentransfers

Elektronentransfer zwischen Ionen und an der Grenzfläche Metall-Elektrolyt

1. Elektronentransfer

Eine elektrochemische Reaktion besteht aus Ladungstransferreaktionen innerhalb der elektrochemischen Doppelschicht.

Analoges gilt für Ionenreaktionen in Lösung.

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Ladungstransfer:

Der Ladungstransfer erfolgt über den quantenmechanischen

Tunnelprozess:

strahlungsloser Übergang durch eine Energiebarriere zwischen

Energieniveaus gleicher Höhe (= gleicher Energie)

Tunnelwahrscheinlichkeit für Elektronen P 1, da:

de-Broglie-Wellenlänge des Elektrons bei einer Austrittsarbeit

von 5 10-12 erg/atom: e 10-3 cm =105 Å >> dOHP !

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Ladungstransfer:

Tunnelwahrscheinlichkeit:

EUm

h

LPT 0

2

2exp

U0: energetische Höhe der Barriere, L: Breite der Barriere

E, m: Energie und Masse des tunnelnden Teilchens

der Elektronentransfer an der Elektrode und bei Redoxreaktionen in der Lösung sollte unmessbar schnell ablaufen!!

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Problem: die Realität!

(a) Die gemessenen Geschwindigkeitskonstanten überdecken

einen Bereich von mehr als 10 Zehnerpotenzen!!

(b) ET-Raten für kleine Ionen (z.B. Fe3+) sind sehr viel kleiner

als jene für große Ionen (z.B. Fe(CN)63-)! (Das

Umgekehrte

hätten wir erwartet!)

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Erste Idee zur Lösung:

Je kleiner die Ionenradien sind,

desto größer ist die elektrostatische Wechselwirkung,

desto größer und fester gebunden ist die Solvathülle

--> größere Energien sind zur Umorientierung notwendig!

Libby 1952: unterschiedliche Solvatisierungsenergien

(„dielektrische Reorganisierungsenergien“) für unterschiedliche

Ionenkomplexe:

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Marcus:

Marcus ließ sich, nach eigenen Angaben, von Libbys Arbeit

inspirieren, traf diesen selbst aber erst viele Jahre später. Von

Libby übernahm der die Verwendung des Frank-Condon-Prinzips

und die Erkenntnis über die Schlüsselrolle der Solvatisierungsenergien.

Er stellte aber auch fest, dass Libbys theoretische Ableitung

fehlerbehaftet war, da sie den Energieerhaltungssatz verletzte.

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Marcus Theorie

Marcus 1956: erste quantitative Formulierung durch folgende Ableitung:

Zwei Ausgangsprinzipien:

1. Der Elektronentransfer erfolgt (als Tunnelprozess) zwingend isoenergetisch

2. Franck-Condon-Prinzip: da der Elektronenübergang selbst sehr viel schneller abläuft (10-15 s), als die Bewegung der Atomkerne (10-13 s), ändern sich die Kernkoordinaten während des Übergangs selbst faktisch nicht

Schlußfolgerung:

Der Elektronentransfer ist ein strahlungsloser FC-Übergang, der erst dann abläuft, wenn die geeignete Konfiguration der Polarisations- und Schwingungskoordinaten in der Solvenshülle durch die Fluktuationen erreicht worden ist!

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Marcus Theorie

Wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit solch einer Fluktuation?

Eine dritte geniale Idee aber war vonnöten, um das Problem

so weit zu vereinfachen, dass es berechenbar wurde:

Im hochdimensionalen Raum aller Bewegungsfreiheitsgrade

der Solvensmoleküle stellt der Reaktionsweg eine Kurve minimalen

Energieunterschieds über eine Sattelpunkt (auf der Fläche

der potentiellen Energie) dar.

Diese Reaktionskurve interpretierte Marcus als eine verallgemeinerte

globale Reaktionskoordinate!

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Ableitung der Marcus-Formel

G

RP

G

G140

*

y

y

*

140

Verallgemeinerte

Reaktionskoordinate

Schwingungsenergien

beider Solvathüllen

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Ableitung der Marcus-Formel

Schwingungsenergien beider Solvathüllen:

02

02 )y-a(yf(y) :P und )(:R Gayyf

Forderung: beide Prinzipien müssen gleichzeitig erfüllt sein:

--> kann nur im Schnittpunkt der Parabeln stattfinden!

G

RP

G

G140

*

y

y

*

140

02

02* )y-a(y :y Gay

0020

* 2ayGayy

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Ableitung der Marcus-Formel

Dann ist die Aktivierungsenergie im Schnittpunkt gleich:

mit 4 20

20

* ayGG

- Reorganisierungsenergie

Daraus folgt für die Geschwindigkeitskonstante entsprechend der Theorie des Übergangszustandes:

RT

Gk ET

4

exp2

0

- Transmissionskoeffizient ( 0 .. 1 )

- Frequenz der Bewegung durch den Übergangszustand entlang der Reaktionskoordinate („Stoßzahl“) (1012 - 1013 s-1)

DG

RP

DG

DG140

*

y

y

*

140

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Reorganiserungsenergie

outin

Reorganisierungsenergie: Energie, die nötig ist, um alle Atome vom Ausgangszustand in den Produktzustand umzuorientieren.

Man unterscheidet einen inneren und einen äußeren Anteil:

„inner sphere“ und „outer sphere“

Innere Schale: Änderung der Bindungslängen und manchmal auch des Spinzustandes der Liganden

Äußere Schale: Änderung der Orientierung der Solvensdipole, betrachtet in der Kontinuumsnäherung

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Reorganiserungsenergie

„outer sphere“:(Libby 1952, Marcus 1956, dielektrische Reorganisationsenergie):jeder Komplex behält seine Koordinationsschale während des Elektronentransfers, nur die äußeren Solvent-Moleküle werden umorientiert (Bornsche Kontinuumsnäherung der Polarisationsenergie) Anregung durch Polarisationsfluktuationen:

sopBAAout drreN

111

2

1

2

12

: Dielektrizitätskonstanten im statischen und hochfrequenten Grenzfall,

Donor und Akzeptor sind kugelförmige Körper mit den Radien r, d ist der Abstand

outin

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Reorganiserungsenergie

„inner sphere“(George und Griffith 1959, Marcus 1960, 1965):zwei Komplexe bilden ein Intermediat, wobei mindestens ein Ligand während des Elektronentransfers beiden gemeinsam ist Vibrationsanregung        

--> Berechnung über die Summe der Kraftkonstanten der relevanten Schwingungen der Ion-Solvent-Bindungen:

i

iPi

Ri

Pi

Ri

in qff

ff

outin

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Marcus-Theorie: Folgerungen I

1. Erhöhung der Triebkraft -G0 : k erhöht sich folgerichtig

ABER: Maximum von k bei -G0 =, danach verkleinert sich k bei weiterer Erhöhung der Triebkraft -G0 ! (= "invertierte Region" )

(a) (b) (c)

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Marcus-Theorie: Invertierte Region

1956 bis 1986:

Jahre des Zweifels an der Richtigkeit der Theorie!!

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Marcus-Theorie: Folgerungen II

Anwendung auf die Elektrochemie:

In der Elektrochemie gilt für die freie Reaktionsenthalpie:

G0 = F (E – E0) = F

RT

Fkkred

4

exp2

0

Analog für die Oxidation:

RT

Fkkox

4

exp2

0

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Marcus-Theorie: Folgerungen II

RT

Fkkred

4

exp2

0

die Tafel-Auftragung liefert:

RT

Fii

4)ln()ln(

2

0

Wo bleibt die lineare Tafel-"Gerade"??

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Marcus-Theorie: Elektrochemie

Die Lösung des Paradoxons liegt in den relativen Größenverhältnissen der Energiebeiträge:

1. Wie groß ist die maximal mögliche Überspannung, bevor die Diffusionslimitierung einsetzt (Grenzpotential der Diffusionsüberspannung)?

di

FDc

F

RTDL

0

0ln

2. in der Regel ist das äquivalente Potential der Reorganisationsenergie größer als das Grenzpotential:

DLF

Für viele Hexaquo-Komplexe: = 2 .. 4 eV

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Marcus-Theorie: Elektrochemische Kinetik

Dann gilt im ansteigenden Bereich der Strom-Spannungs-Kurve:

RTRT

F

RT

F

RT

F

42

1

4

2

4

22

D.h.:

RTRT

Fii

42

1)ln()ln( 0

 lineare Abhängigkeit, Anstieg: 0.5 F/RT

d.h. Butler-Volmer mit Transferkoeffizient = 0.5 !!

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Marcus-Theorie: Jenseits der Linearität

Aber:

Gibt es Abweichungen von der Geraden, wenn die obige Ungleichung nicht erfüllt ist?

Warum werden diese Abweichungen kaum beobachtet?

DLF

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Marcus-Theorie: Jenseits der Linearität

C.Miller, P.Cuendet, M.Grätzel:

J.Phys.Chem. 1991,

95, 877-886For all these data, the diffusion-limited rate of mass transfer of the redox species to the electrode measured at a bare electrode was at least 20 times higher than the maximum measured rate so that diffusion limitations were avoided.Trick: Thiol-Monolayer als ET-Barriere

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Marcus-Theorie: Jenseits der Linearität

RT

F

RT

Fii

4exp

4exp

22

0

Wie also sieht dann die „Butler-Volmer“-Gleichung unter Einbeziehung der Marcus-Theorie aus?

Butler-Volmer-Marcus-Gleichung der elektrochemischen Kinetik des Ladungstransfers!

RT

F

RT

Fii

5.0exp

5.0exp0

Dabei wurde berücksichtigt, dass der Markus-Term für die Rückreaktion folgendermaßen aussieht:

RT

Gk ET

4

exp2

0

Mit der Näherung für kleine Überspannungen folgt daraus die klassische Butler-Volmer-Gleichung:

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Marcus-Theorie: Jenseits der Linearität

RT

F

RT

Fii

4exp

4exp

22

0

Umformung in eine vertrautere Form (keine Näherung):

RT

F

RT

Fii

21'0 expexp

Mit den beiden Transferkoeffizienten:

21

2

11

Fund

21

2

12

F

Die Koeffizienten sind schwach von der Überspannung abhängig! Die Summe ist trotzdem exakt gleich Eins!

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Marcus-Theorie: Universalität

Redoxreaktionen in Lösungen Elektrochemische Reaktionen Elektronentransferprozesse innerhalb von Biomolekülen -->

intramolekulare Konfigurationsänderungen!