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Gamssymposium vom 5. April 2014 in Garmisch-Partenkirchen

Dr. Christine Miller

Wildbiologin und Autorin in Bayern

Gams oder Leben? Warum es in Bayern keinen Platz mehr für Gams gibt.

Bei genauerer Betrachtung auch über die Landesgrenzen hinaus zerbröselte ein scheinbar

geschlossenes Argumentationsgebäude über Naturverjüngung, Klimawald und die das alles

bedrohende Gams. Es ist an der Zeit, gefühlte Wahrheiten und harte Fakten zu trennen, eine Bilanz

zu ziehen über wirkliches Wissen, alt Bewährtes, erwiesene Tatsachen und Hypothesen.

Fünf Kernargumente für den Umgang mit dem Gamswild werden immer wieder genannt:

1. Gams gehören nicht in den Wald (sagt vornehmlich die Forstpartie)

2. Gams verhindern die Waldverjüngung

3. Der Schutzwald schützt uns und unser Hab und Gut

4. Schutzwaldsanierung ist gut für die Natur

5. Alles legal!

Zu 1: Gams gehören nicht in den Wald

Gams sind eine Wildart steiler Lagen, aber kein ausgesprochenes Bergwild, sagen auch ausgewiesene

Experten. Sie brauchen steile Einstände, Felsbänder als Rückzugsgebiete, offene Flächen und

Waldbereiche, wo sie ebenfalls hingehören. Das alles sind wildbiologische Fakten.

Die hochsoziale und anpassungsfähige Wildart Gams wählt seinen Lebensraum nach Witterung,

Jahreszeit und Sozialverhalten. Junge Böcke meiden alte Böcke, bei Hitze werden Nordlagen

aufgesucht. Sind Grundbedürfnisse nach Äsung, Deckung und Sozialkontakt nicht erfüllt, resultieren

Stressreaktionen. Wer als Wildtiermanager die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse willkürlich oder

mutwillig verhindert, macht sich nach dem Tierschutzgesetz strafbar.

Es ist erwiesen und erforscht, dass Gamswild bei zu vielen Geißen und zu wenig alten Böcken unter

Dauerstress leidet. Es herrschen vor allem in der Brunft dann die Halbstarken, die ihre Kondition

überschätzen und deutlich geschwächter in den Winter gehen. Stimmt das Geschlechterverhältnis

auch Mangels alter Böcke nicht, werden die verbliebenen jungen Böcke mit Rangordnungskämpfen

beschäftigt sein. Die alten Geißen werden zwar noch beschlagen, die Brunft zieht sich u. U. durch

Nachbrunften unbeschlagener jüngerer Geißen bis in den Januar. Spät beschlagene Geißen setzen

später im Jahr mit der Folge schwacher Kitze im Herbst.

Die Überlebensstrategie ist bei territorialen und nicht-territorialen Böcken recht unterschiedlich.

Platzböcke stehen in der Regel in tieferen Lagen für ein besseres Äsungsangebot vor der Brunft, in

der sie dann kaum noch Nahrung aufnehmen.

Für die optimale physische Kondition der Böcke ist die richtige Einstandswahl zur jeweiligen

Jahreszeit ganz entscheidend. Besonders in den Wintermonaten ist das passende Habitat die

Achillesferse für das gesamte Gamswild. Bevorzugt werden dann südseitige, steile Hanglagen. Und

genau hier kollidieren die unterschiedlichen Interessen von Tier und Mensch, da für diese Bereiche

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sehr häufig Sanierungsflächen definiert werden. Um praktisch jede Sanierungsfläche liegt ein

Sanierungsgebiet von unterschiedlicher Prioritätsstufe und Prioritätsgrad. Lage und Ausmaß der

eigentlichen Sanierungsflächen können sich außerdem ständig ändern.

Sanierungsflächen sind ungefähr zwischen ein bis fünfzig Hektar groß. Für diese Sanierungsflächen

werden Sanierungsziele benannt. Selbst bei erreichtem Sanierungsziel und abgeschlossener

Sanierungsmaßnahme kann eine neue Maßnahme auf derselben Fläche geplant werden.

Zusätzlich werden dazu gesondert Verordnungsgebiete ausgewiesen, in denen eine ganzjährige

Schonzeitaufhebung und Aufhebung des Nachtjagdverbots gilt. Hier will man grundsätzlich kein

Gamswild oder anderes Schalenwild haben.

Vollständige Verwirrung wird dadurch erreicht, dass es Sanierungsflächen ohne Sanierungsgebiete

gibt und Verordnungsgebiete keine Sanierungsflächen oder -gebiete beinhalten müssen.

Zwischenfazit:

Gams haben sich ihren natürlichen Waldlebensraum wieder erobert. Sie waren lange Zeit

kaum noch dort, sind es heute aber wieder vermehrt. Die Gründe dafür sollten untersucht

werden.

Auf den Freiflächen sind sie einem zunehmenden Druck durch Freizeitnutzung ausgesetzt.

Veränderungen in der Almwirtschaft haben Auswirkungen auf das Äsungsangebot für Gams.

In Sanierungsgebieten werden hohe Jagdstrecken angestrebt, ohne auf die natürliche

Sozialstruktur Rücksicht zu nehmen.

Der natürliche Winterlebensraum wurde als „No-Go-Area“ definiert.

Diese Punkte sind ein starkes Indiz dafür, dass man eher wildleere Räume haben möchte anstatt

natürliche Wildbestände in natürlichen Lebensräumen. So sieht Ausrottungspolitik aus!

Zu 2. Gams verhindern die Waldverjüngung

Weitere Behauptungen gegen Gamswild als Naturgefahr sind:

Gamswild verhindert die Waldverjüngung?

Gamswild verhindert die Rückkehrt der Tanne?

Gams verhindern den sofortigen Aufbau des Klimawaldes?

Gams sind verantwortlich für großflächige Überschwemmungen in den Tälern?

In diesem Zusammenhang ein paar Zitate renommierter Wissenschaftler aus den entsprechenden

Fachdisziplinen:

„Wir wissen effektiv nicht, was ein bestimmtes Verbissprozent für die Waldentwicklung

tatsächlich bedeutet.“ (Dr. Marco Heurig, Nationalpark Bayerischer Wald, Luchstagung 2013)

„Auf lange Sicht verändert der Klimawandel die Waldzusammensetzung um ein Vielfaches

von dem, was Verbiss bewirken würde.“ (Dr. M. Cailleret, NP Bayerischer Wald, Luchstagung

2013)

„Die forstliche Herangehensweise bei ökologischen Fragestellungen ist nicht mehr

zeitgemäß.“ (Prof. Dr. H. Hofer, IZW, Berli , anlässlich der Diskussion bei der Luchstagung 2013)

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Wissenschaft muss ihre Theorien und Hypothesen immer wieder auf den Prüfstand stellen. Heute ist

erwiesen, dass Verbissprozente keinen direkten Vorhersagewert über Baum- und Waldentwicklung

haben. Bestimmte Szenarien über die Entwicklung von Wäldern treffen nicht zu, wenn sich die

angenommenen Ausgangsbedingungen und Grunddaten auch nur gering verschieben. In historischen

Bildern können wir die dramatische Veränderung des Landschafts- und Waldbilds der Alpen in den

letzten 200 Jahren sehen. Die Waldfläche und der Dichtegrad der Wälder haben zurzeit einen

Höchststand seit mindestens 1000 Jahren erreicht.

„Die Landnutzung der Alpen war bis ins 19. Jahrhundert extensiv landwirtschaftlich, dann änderte sie

sich zu intensiv forstlich.“ (Dr. Klaus Pukall, Vortrag 2012 VWJD, Lehrstuhl für Forstpolitik, TUM). Bis dahin

war die Waldweide über 1.000 Jahre ganz natürlich. Die Waldverteilung der Alpen war vor 200

Jahren auf ihrem historischen Minimum angelangt.

Zu dieser Zeit begann man den Wald zu verdichten und Waldflächen auszuweiten. Großflächige

Jagdexzesse in ganz Europa brachten Wildarten um die Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum

Aussterben. Dennoch kann der Einfluss des Wilds als nur ein Mosaiksteinchen für das Aufkommen

der Tannen zur damaligen Zeit betrachtet werden. Gleichzeitig wurde auch wesentlich weniger

Biosubstanz durch weniger Streurechen und weniger Waldweide entnommen. Hinzu kamen eine

andere Energieversorgung der Waldböden, eine andere Bodenentwicklung, kaum noch

Nebennutzungen und auch die gezielte und großflächige Nadelholzförderung.

Die Waldbilder veränderten sich daher seit 150 Jahren entscheidend, z.B. durch Aufforstung von

Offenflächen. Rotwildansammlungen können lokal eine Rolle spielen, nicht aber großflächig. Die

einfache, lineare Beziehung zwischen Wild- und vor allem Gamsdichten, bestimmten Waldbildern

und der Verjüngung einzelner Baumarten existiert nicht.

zu 3: Der Schutzwald schützt unser Hab und Gut

Geht es wirklich um den großflächigen Objektschutz bei der Schutzwaldsanierung? Der heute

definierte Schutzwald soll laut Paul Höglmüller, (Vortrag bei der 20. Kägertagung in Aigen) BaySF

Ruhpolding, 2014, der Wasserspeicherung dienen. Er bestätigt:

„Im Zentrum der Schutzwaldsanierung steht…nicht die Schutzfunktion für einzelne Projekte,

sondern die enorme Wasserspeicherkapazität intakter Waldflächen in ihrer Bedeutung beim

Hochwasserschutz.“

Andererseits stellt Dr. L. Zimmermann et al, LWF, 2013, fest:

„Bei langanhaltenden Regenereignissen….spielt dann auch die Landnutzung kaum noch eine

Rolle für die Abwassermenge.“

C. Hegg, Schutzwald und Naturgefahren, Birmensdorf, 2004, sagt:

„Es wurde keine eindeutige zusammenhängende Beziehung zwischen dem Grad der

Bewaldung und den Hochwasserspitzen gefunden.“

Die Auswertungen der Wald-Klima-Station in Kreuth, veröffentlicht in der Reihe LWF-Wissen,

unterstreicht zwar, dass der Wald eine gewisse Schwammfunktion hat, zeigt aber auch anhand der

Untersuchungen, dass bei anhaltendem Dauerregen oder Starkregenereignissen die

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Bodenspeicherfunktion aber sehr bald erschöpft ist, unabhängig von der darüber befindlichen

Vegetation.

Weitere Zitate in diesem Zusammenhang sind sehr interessant:

„…im Gegensatz weisen Böden mit hoher Untergrunddurchlässigkeit…hohe

Wasserrückhalteräume auf…Der Wald hat weder bei gut durchlässigen noch bei praktisch

undurchlässigen Böden eine effektive Wirkung auf den Hochwasserabfluss.“ (C. Hegg et al,

Schutzwald und Naturgefahren, Birmensdorf, 2004)

„der Abflussbeitrag von Forstwegen beruht darin, dass…der Oberflächenabfluss durch den

hangseitigen Wegeeinschnitt…konzentriert wird.“ (LWF-Wissen 44, S. 18, 2004)

„Neuerdings finden sich zur Erosionsproblematik in Wildbacheinhängen auch Strategien, die

dort die Erosion nicht bremsen, sondern…den Geschiebeeintrag fördern.“ (LfW und LfU,

zitiert im LWF-Wissen Nr. 44, 2004)

Der Boden am Berg ist für den Wasserspeicher entscheidend, die Vegetation zweitrangig, die

Bodenbildung wiederum von Grundgestein und mikroklimatischen Verhältnissen in der Hauptsache

abhängig. Wirklichen Hochwasserschutz können nur intakte Auwälder bieten, die u.U. saniert werden

müssten. . Hier sollte auch entsprechend investiert werden.

Prof. Dr. M. Suda vom Lehrstuhl für Forstpolitik in Weihenstephan analysiert die heute übliche

eindimensionale Betrachtungsweise von Schutz- und Bergwald in seinem Artikel „Der Schutzwald-

Mythos“:

„Der Schutzwald-Mythos und die mit ihm verbundene Vereinfachung haben sich

offensichtlich in der politischen und gesellschaftlichen Vorstellung bewährt und ein

unüberwindbares Schutzschild um sich gebildet.“

„Die Änderung im Budeswaldgesetz von 2010, lichte Weidewälder aus der Walddefinition zu

eliminieren hat gezeigt, dass dieses semantische Bollwerk Bergwald - Schutzwald an

manchen Stellen nicht (mehr) greift.“

Zu 4: Schutzwaldsanierung ist gut für die Natur

Im Zusammenhang mit dem Schutzwaldmythos geht es aber nicht nur um die Gams, vielmehr sind

viele weitere Arten betroffen. Die Aufforstung von Freiflächen in lichten Waldstrukturen, z.T. auch

mit Standort fremden Baumarten, die Hubschraubereinsätze im Bereich von Adlerhorsten und

Balzplätzen, bei der Düngung, zur Birkhahnbalz, die Aufdüngung armer Standorte, die zum Beispiel

für das Auerwild wichtige Flächen sind, die Bepflanzung von Lebensräumen des Birkwildes und

einiges mehr sind als Kollateralschäden zu nennen.

Wertvolle, geschützte Lebensräume werden zum Teil von der Schutzwaldsanierung „geschluckt“ und

in zu sanierende Flächen umgewandelt. Dabei gehen oftmals bereits kartierte Offenflächen und

lichte Waldstrukturen verlustig, die explizit in der FFH Richtlinie aufgeführt sind oder Lebensräume

für Tiere und Pflanzen aus den FFH- und SPA-Richtlinien sind. Die Bejagung in den

Verordnungsgebieten, die großräumig um die Sanierungsflächen herum stattfinden, führen gerade in

den empfindlichen Wintermonaten bei allen Wildarten dieser Lebensräume zu Stress. Raufußhühner

vertragen zur Balzzeit keine zusätzliche Beunruhigung. Höhere Mortalität ist dadurch

vorprogrammiert und billigend in Kauf genommen.

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Zu 5: Alles legal?

Die überaus teure Schutzwaldsanierung scheint zur heiligen Kuh mutiert zu sein, deren tatsächliche

Sinnhaftigkeit und Effektivität offensichtlich nicht wirklich hinterfragt wird, auch nicht von externen

Experten. Andererseits werden durch die übliche Praxis rechtliche Einschränkungen in nationalem

und internationalem Naturschutzrecht, in Tierschutz- und Jagdrecht in großem Stil übertreten.

So ist zum Beispiel Gamswild eine Art, die im Anhang 5 der FFH-Richtlinie geführt wird. Um solche

Arten überhaupt bejagen zu dürfen, muss das Land nachweisen, dass die jagdlichen Eingriffe

nachhaltig sind. Ohne Monitoring, großflächige Zählungen oder andere fachlich fundierte

Schätzmethoden, ist das allerdings ausgeschlossen. Darüber hinaus dürften sich weder

Verbreitungsgebiet noch Populationszustand der Gams in Bayern im Vergleich zu 1994, dem Jahr des

in Kraft Tretens der FFH Richtlinie verschlechtert haben. Seit dieser Zeit wurde der Jagddruck auf

Gams ständig erhöht. Die Populationsstrukturen, auf die auf der Grundlage von Abschussmeldungen

geschlossen werden kann, weisen auf ein unnatürliches und Populations-gefährdendes Maß hin.

Trotzdem meldete das Land Bayern 2013 an das Bundesamt für Naturschutz – das die Meldung nach

Brüssel weiter leitet – „Erhaltungszustand günstig“. Eine nachvollziehbare und seriöse

Datengrundlage wird für diese Meldung nicht angegeben.

Wir wollen deshalb wissen:

Welcher Lebensraum steht den Gams in Bayern zur Verfügung?

Wie wird ein artgerechter Sozialaufbau sichergestellt?

Werden bei der Schutzwaldsanierung naturschutzfachliche Belange prioritär berücksichtigt?

Wie kommt Bayern seiner Monitoring-und Berichtspflicht für FFH-Arten nach?

Fazit:

Die Schutzwaldsanierung kostet Millionen Steuergelder ohne offensichtlich je den

vorgegebenen Erfolg erbracht zu haben oder erbringen zu können.

Wertvolle Lebensräume geschützter und seltener Arten werden vorsätzlich zerstört.

Geschützte Tierarten werden während sensibler Brut- und Aufzuchtzeiten gestört, vertrieben

und Nahrungsgrundlagen vernichtet.

Nationale und internationale Gesetze werden vorsätzlich gebrochen.

Der Markenkern der Bayerischen Forstpolitik ist die Schutzwaldsanierung und genau die gehört

dringend saniert!

Das Kulturgut unserer Alpenlandschaft und all ihre Bewohner dürfen einseitigen

Bewirtschaftungsinteressen nicht geopfert werden. Auch der gesamten Alpenfauna, nicht nur der

Gams, musst ein entsprechender Lebensraum zugestanden werden.

Zusammenfassung des Vortrags im April 2014

HvS