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Glasgeländer für französische Fenster
Technische Innovationen überzeugend umgesetzt
Absturzsicherungen aus Glas für französische Fenster, oft auch als bodentiefe oder
raumhohe Fenster bezeichnet, werden immer häufiger nachgefragt. Der architektonische
Wunsch nach einer klaren Formensprache und nach Vermeidung eines unnötigen
Materialmixes steht oft im Einklang mit den subjektiven Wünschen der Eigentümer bzw. der
Nutzer nach einer möglichst transparenten Lösung. Offene, Licht durchflutete Räume und ein
Verschmelzen zwischen Innen- und Außenraum werden als Bereicherung des
Lebensgefühls verstanden und geschätzt. Glas statt Gitter ist die Devise. Dieser Wunsch
kann durch den Fenster- Metallbauer/Glaser einfach erfüllt werden, wenn er Fenster und
Absturzsicherung als eine Einheit versteht und auf Produkte vertraut, die alle erforderlichen
Sicherheitsstandards erfüllen.
Technisch gesehen, kann man sich der Aufgabenstellung „Absturzsicherung“ auf
unterschiedlichen Wegen nähern, denn es geht in erster Linie darum, die auftretenden
Impulskräfte in die angrenzenden Bauteile einzuleiten und die Funktion der Absturzsicherung
zu erfüllen. Das Kraftpotenzial ist in der Norm EN 12600 genau geregelt. Ein 50 kg schweres
Pendel trifft gegen die Verglasung. Diese muss dem Angriff standhalten und die
Absturzsicherheit gewährleisten. Die Energie, die bei einem Pendeltreffer eingeleitet wird,
kann als außerordentlich hoch eingestuft werden. Schon vor langer Zeit wurden
diesbezüglich Versuche mit Eishockeyspielern in voller Montur durchgeführt. Damals wurde
bewiesen, dass die Kräfte, die das Pendel erzeugt, durch die Athleten im praktischen Test
auf der Eisfläche kaum erreicht werden bzw. bei einem Sturzunfall derartige Szenarien
äußerst unwahrscheinlich sind.
Nichts desto trotz muss man wissen, dass Stolper- und Rutschunfälle als Sturzunfälle zu den
häufigsten und gefährlichsten Unfällen in Europa zählen. Auch bei Absturzsichernden
Geländern an französischen Fenstern werden jährlich sehr schwere Unfälle bekannt. Bei
genauer Betrachtung ist es in der Regel so, dass die in der Vergangenheit oft üblichen
Stangen oder Holme aus Metall oder Holz, die meistens nicht am Stockrahmen sondern an
der angrenzenden Isolierfassade oder anderen Materialen befestigt waren, den
Anforderungen einer Absturzsicherung nicht entsprochen haben.
Auf Grund der Sicherheitsanforderungen sind viele Lösungen entstanden, die mit dicken,
schweren Gläsern und Profilen arbeiten, da lange Zeit angenommen wurde, dass das Glas
selbst oder der Handlauf die entscheidende Rolle spielt. Auch die Befestigung am
Stockrahmen kann sehr massiv und aufwändig ausgeführt werden, denn es gilt den großen
Stoßkräften entsprechenden Widerstand zu bieten. Entgegen dem üblichem Trend, die
Konstruktionen, die Glasstärken, die Befestigungen entsprechend robust und massiv
auszuführen, hat sich Glas Marte entschlossen dem Problem mit „Nachgiebigkeit“ zu
begegnen. Sanftes Auffangen statt hartes Abblocken ist die Grundidee, denn dadurch
können nicht nur leichte, praktikable und günstige Produkte verbaut werden, sondern auch
die Befestigungsmittel bedürfen keiner vertieften Betrachtung, da das Kraftniveau konstruktiv
deutlich reduziert wird. Diese Nachgiebigkeit wird durch eine zweiteilige Halterung erreicht,
die bei hohen Impulskräften nach außen nachgibt und dabei gleichzeitig nach oben
schwenkt. In der klassischen Mechanik ist der Impuls eine physikalische Größe, die die
Bewegung eines massebehafteten Körpers beschreibt. Eben jener Zustand, wenn eine
Person stürzt und gegen das Glas fällt. Die Masse ist durch den Versuchsaufbau geregelt
und unveränderbar. Die Bewegung, in Wirklichkeit eine Beschleunigung, besteht aus
Wegänderung pro Zeiteinheit. Diese Zeitkomponente in welcher der Kraftstoß seine volle
Wirkung entfaltet, lässt sich jedoch beeinflussen. Durch den einfachen
Schwenkmechanismus wird diese Zeitkomponente konstruktiv deutlich verlängert.
Kraft-Zeit-Fläche ≙ p
F F
Kraft-Zeit-Fläche ≙ p
F
t t t
Dies bedeutet im praktischen Versucht, dass alle verwendeten Materialen wesentlich
geschont werden. Bei vielen Versuchen hat sich sogar gezeigt, dass die Absturzsicherung,
die Schrauben, die Befestigungen und die angrenzenden Konstruktionen, wie
Fensterrahmen etc. vollkommen unbeschadet bleiben. Während bei starren Systemen die
hohen Impulskräfte schnell zu einer Plastizität und dadurch zu bleibenden Verformungen und
Schäden führen. Offensichtlich hat bei diesen Lösungen der Endkunde in Kauf zu nehmen,
dass bei einem Versuchvorfall auch angrenzende Produkte ausgetauscht werden müssen.
Das wirkende System kann auch gut mit dem Beispiel des Newton Pendels, welches man
vielleicht noch aus den Spielzeugabteilungen kennt, erklärt werden. Vereinfacht kann man
sagen, die Masse trifft gegen das Glas, welches ausschwenkt und die Energie aufnimmt.
Dabei bleiben alle dazwischen liegenden Komponenten unberührt. Es ist jeder einzelnen
Kugel eine Funktion zuzuweisen. Kugel 1 ist „die Unglückliche“, die gegen die
Absturzsicherung fällt. Kugel 2 stellt den „Fensterrahmen“, Kugel 3 „die Verschraubung“ zum
„Halter“ (Kugel 4) dar. Am Ende befindet sich die Absturzsicherung (Kugel 5), die durch ihre
Nachgiebigkeit erreicht, dass die dazwischen liegenden Komponenten weitgehend unberührt
ihre Aufgabe erfüllen. Gleichzeitig wird erreicht, dass mit zunehmender Gewichtskraft (die
Absturzsicherung schwenkt nach oben) die Zeitkomponente verlängert und wie vorher
beschrieben, das Kraftniveau dadurch deutlich abgemindert wird.
Das Beispiel gilt nur zur Erklärung der Energieerhaltung und Kraftreduzierung als prinzipieller
Gedanke, denn in der praktischen Umsetzung sind Anpassungen erforderlich, da eine
Vielzahl weiterer Anforderungen und technische Voraussetzungen erfüllt werden müssen.
Die Erteilung der bauaufsichtlichen Zulassung ohne Handlauf und ohne Kantenschutz oder
sonstigen Schutzmaßnahmen ist unserem Wissensstand nach immer noch einzigartig.
Langwierige Abklärungen, Prüfungen und unzählige Versuche waren erforderlich um den
strengen Vorgaben des Deutschen Instituts für Bautechnik gerecht zu werden. Auf
Grundlage der bestehenden Richtlinien wurde das Prüf- und Nachweisprogramm wie folgt
verschärft und konsequent eingefordert:
1. Pendelfallhöhe
Die Pendelfallhöhe für den Pendelschlagversuch laut EN 12600 beträgt bei Glasfüllungen
in Geländer in Deutschland laut TRAV Kategorie C 450 mm. Wird kein Handlauf
ausgeführt, entspricht der Bauteil der Kategorie A, daher ist die Pendelfallhöhe auf das
Maß 900 mm zu erhöhen.
2. Kantenschutz
Das Element hat keinen Kantenschutz, daher könnte das Verbundssicherheitsglas
bereits zuvor oder durch einen Umstand, der mit der Sturzursache einhergeht, zerstört
werden. Aus diesem Grund hat die Prüfung alle sicherheitsrelevanten Kriterien mit einem
komplett zerbrochenen Glas (beiden Einzelgläser der Verbundssicherheitsscheibe)
vergleichbar mit einer unzerstörten Glasscheibe, zu erfüllen.
3. Extrembelastung
Der Pendelschlagversuch wird in der Regel in der Mitte der Glasfläche durchgeführt. Bei
der Framless-Ausführung wurde hoher Augenmerk darauf gelegt, dass das System auch
funktioniert, wenn ein Großteil der Energie in einen einzelnen Halter eingeleitet wird (trotz
erhöhter Fallhöhe und Bruch beider Glasscheiben). Daher wurden auch viele Versuche
durchgeführt, bei denen das Pendel möglichst nahe an einem einzelnen Glashalter
auftrifft.
4. Verklebung
Konstruktiv sind Halterteile auf dem Glas verklebt. Für diese Verklebung wurden
unerfüllbare Nachweise verlangt, sodass die Produkte dann soweit verändert werden
mussten, dass sie auch ohne Klebeverbindung funktionieren und die entsprechenden
Nachweise daher nicht mehr erforderlich sind. In der Serienproduktion werden die Halter
jedoch nach wie vor verklebt.
Zusammenfassung:
Um das Ergebnis all dieser verschärften Auflagen vereinfacht darzustellen, kann man
behaupten, dass das rahmenlose Ganzglasgeländer WINDOORAIL® ohne Handlauf und
ohne Kantenschutz selbst mit zerstörten Glasscheiben bei völligem Versagen der
Verklebung und bei außerordentlich hohem und sehr ungünstigem Lastszenarium tendenziell
mehr leistet, wie ein normales normgerechtes Glasgeländer.
Dieses außerordentlich hohe Maß an Sicherheit, belegt durch die umfangreichen
Untersuchungen und durch die Erteilung der allgemein bauaufsichtlichen Zulassung durch
das Deutsche Institut für Bautechnik, führen dazu, dass der Stand der Technik neu definiert
werden kann und man bedenkenlos derartige Produkte planen, ausführen und „erleben“
kann.
Autor:
Ing. Bernhard Feigl, Geschäftsführer Glas Marte
Glasmeister,
Innungsmeister für das Glashandwerk,
Geschäftsführer Glas Marte, Technik und Entwicklung,
Mitgliedschaft im FKG (Fachverband für konstruktiven Glasbau e.V., Köln)