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Professur für Volkswirtschaftslehre insbesondere Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik Professurvertreter PD Dr. Karl Morasch Grundzüge der Wirtschaftspolitik Volkswirtschaftslehre 4. Trimester Skript (zu Kapitel 1 und 2) Herbsttrimester 2002 PD Dr. Karl Morasch

Grundzüge der Wirtschaftspolitik · 1.1.2.1 Abgrenzungen zwischen Ordnungs- und Prozeßpolitik 5 1.1.2.2 Ordnungs-, System-, Markt- und Zielkonformität 8 1.2 Veranschaulichung der

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Professur für Volkswirtschaftslehre insbesondere Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik

Professurvertreter PD Dr. Karl Morasch

Grundzüge der Wirtschaftspolitik

Volkswirtschaftslehre 4. Trimester

Skript (zu Kapitel 1 und 2)

Herbsttrimester 2002

PD Dr. Karl Morasch

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Inhalt und Vorbemerkungen

© K. Morasch, 2002 - ii -

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung 1

1.1 Wirtschaftspolitik - Definition und Klassifikation 1

1.1.1 Definition 1 1.1.1.1 Vorverständnis und Definitionsbedarf 1 1.1.1.2 Anforderungen an eine Definition 2 1.1.1.3 Wirtschaft und Politik 2 1.1.1.4 Definition der Wirtschaftspolitik 3 1.1.1.5 Definition der Wirtschaftspolitiklehre 4

1.1.2 Klassifikation 4 1.1.2.1 Abgrenzungen zwischen Ordnungs- und Prozeßpolitik 5 1.1.2.2 Ordnungs-, System-, Markt- und Zielkonformität 8

1.2 Veranschaulichung der zentralen Fragestellungen 10

1.2.1 Grundüberlegungen 10

1.2.2 Hintergrund: Theorie der Außenhandelspolitik 13 1.2.2.1 Auswirkung von Zöllen 13 1.2.2.2 Vergleich mit Produktionssubvention 15 1.2.2.3 Andere handelspolitische Instrumente 16 1.2.2.4 Die politische Ökonomie der Zölle 17

2 Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe 20

2.1 Gestaltung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln 20

2.2 Vollständige Konkurrenz als Referenzmodell 23 2.2.1.1 Partialmarktanalyse 24 2.2.1.2 Preisbildung auf interdependenten Märkten 26 2.2.1.3 Paretoeffizienz in einer einfachen Tauschwirtschaft 29 2.2.1.4 Paretoeffizienz in einer Volkswirtschaft mit Produktion 33

2.3 Markversagen und Wirtschaftspolitik 38

2.3.1 Allokatives Marktversagen 38 2.3.1.1 Marktmacht 38 2.3.1.2 Öffentliche Güter 40 2.3.1.3 Externe Effekte 44 2.3.1.4 Informationsasymmetrien 47

2.3.2 Distributives Marktversagen 52

2.3.3 Konjunkturelles Marktversagen 53

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Inhalt und Vorbemerkungen

© K. Morasch, 2002 - iii -

Vorbemerkungen

Das vorliegende Skript zur Veranstaltung „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“ im Herbsttrimester 2002 soll Ihnen das die Nachbereitung der Veranstaltung erleichtern. Bitte beachten Sie: Die Lektüre des Skripts kann den Besuch der Vorlesung nicht er-setzen! Prüfungsrelevant ist das, was in der Veranstaltung behandelt wird. Das Skript ist als Leitfaden gedacht, den Sie auf Grundlage der Vorlesung kommentieren und er-gänzen sollten. Die meisten Folien zur Veranstaltung sind, zumindest soweit es sich um Abbildungen handelt, im Skript abgedruckt oder die entsprechende Information ist dem Text zu entnehmen. Die Übungsaufgaben zur Veranstaltung sind im Skript nicht enthal-ten, sondern werden ebenso wie der vollständige Foliensatz auf den Web-Seiten des Lehrstuhls bereitgestellt.

Das Skript ist auf Basis von Vorlesungsunterlagen und Skripten zu Veranstaltungen an der Universität Augsburg entstanden. An diesen Unterlagen haben Tina Emslander, Hans-Helmut Bünning, Günter Lang und Peter Welzel mitgewirkt. Ohne diese Vorar-beit gäbe es das Skript in der gegenwärtigen Form wohl nicht. Für verbleibende Mängel und Fehler bin ich jedoch allein verantwortlich. Es ist zu betonen, daß es sich um ein Skript und kein voll ausgearbeitetes Lehrbuch handelt. So werden manche Dinge nur recht knapp angesprochen und erschließen sich Ihnen darum vielleicht nur im Zusam-menhang mit den Erläuterung in der Veranstaltung. Zudem wird mit Quellenangaben recht nachlässig umgegangen. Für Kritik und Verbesserungsvorschläge wäre ich Ihnen dankbar.

München, im November 2002

Karl Morasch

Grundlegende Fragestellungen

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen vier grundlegende Fragestellungen: (i) Warum sind wirtschaftspolitische Eingriffe in einer Marktwirtschaft nötig? (ii) Wie lassen sich die Präferenzen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder zu einer gemeinsamen Ziel-vorstellung zusammenfassen, auf deren Grundlage dann wirtschaftspolitische Entschei-dungen getroffen werden können? (iii) Welche Probleme sind bei der Auswahl wirt-schaftspolitischer Instrumente und bei der Zuordnung von Kompetenzen auf wirt-schaftspolitische Träger zu beachten? (iv) Wie lässt sich die in der Realität beobachtba-re Politik aus der Interaktion der einzelnen wirtschaftspolitischen Akteure erklären? Um

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Inhalt und Vorbemerkungen

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auch einen Einblick in die praktische Wirtschaftspolitik zu geben, werden diese Frage-stellung meist nicht abstrakt behandelt, sondern möglichst durch konkrete Beispiele, z.B. aus der Außenhandels- oder der Umweltpolitik, veranschaulicht.

Hinweise zur Literatur

Die hier angegebene grundlegende Literatur ist neben dem Ihnen vorliegenden Skript zur vorlesungsbegleitenden Lektüre und - zusammen mit Ihrer Vorlesungsmitschrift und den Übungen - zur Prüfungsvorbereitung gedacht. Eine genauere Abgrenzung erfolgt im Verlauf des Trimesters in der Vorlesung.

Engelkamp, P., Sell, F.L. (2003), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., Ber-lin: Springer, Kapitel IV und V.

Pindyck, R.S., Rubinfeld, D.L. (2001), Microeconomics, 5th ed., New York: Prentice Hall, Chapters 16-18.

Weimann, J. (2001), Wirtschaftspolitik. Allokation und kollektive Entscheidung, 2. Aufl., Berlin: Springer.

In der Gliederung zur Veranstaltung finden Sie zusätzlich zu den drei hier angegebenen Literaturstellen noch weitere Quellen für das vertiefende Studium.

Beziehung zu anderen Veranstaltungen

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik stehen in enger Beziehung zu anderen volkswirt-schaftlichen Veranstaltungen im Grund- und Hauptstudium: Zum einen baut die Veran-staltung auf der Mikroökonomie im zweiten Trimester auf, in der Sie wichtige konzep-tionellen Grundlagen kennen lernten (z.B. methodologischer Individualismus, Wohl-fahrtsmessung) und Ihnen zudem auch bereits Beispiele für Wirtschaftspolitik im Rah-men einer Marktwirtschaft präsentiert wurden. Zum anderen werden wirtschaftspoliti-sche Fragestellungen in einer ganzen Reihe von anderen Vorlesungen thematisiert: – z.B. Geld- und Fiskalpolitik in „Volkseinkommen und Beschäftigung“, Geldpolitik und Währungspolitik in „Geld, Kredit, Währung“, Sozial- und Verteilungspolitik in „Sozial-politik“, Wettbewerbspolitik und Regulierung in „Mikroökonomie II: Allokationstheo-rie und Wettbewerbspolitik“ sowie Konjunktur- und Wachstumspolitik in „Konjunktur und Wachstum“. Schließlich wird in den „Anwendungen der Spieltheorie in den Wirt-schaftswissenschaften“ die Interaktion bei bewusster Interdependenz und Informati-onsasymmetrien vertieft behandelt, Themen die für eine realistische Situationsbeschrei-bung der praktischen Wirtschaftspolitik von zentraler Bedeutung sind.

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Einführung

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1 Einführung

1.1 Wirtschaftspolitik - Definition und Klassifikation

Am Beginn einer Veranstaltung „Einführung in die Wirtschaftspolitik“ muß geklärt werden, was man unter dem zu untersuchenden Gegenstand verstehen will. Diese For-derung entspringt sowohl dem gesunden Menschenverstand als auch den Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens. Neben dem Begriff der Wirtschaftspolitik wird auch der der Wirtschaftspolitiklehre definiert.

1.1.1 Definition

1.1.1.1 Vorverständnis und Definitionsbedarf

Wir alle bringen zumindest ein Vorverständnis darüber mit, welche Maßnahmen wir der Wirtschaftspolitik zurechnen wollen. So erreichen wir sicherlich Einvernehmen dar-über, daß die folgende Liste wirtschaftspolitische Maßnahmen enthält (vgl. Folie 10):

• Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht zur Bekämpfung der Inflationsgefahr den Leitzins.

• Der Deutsche Bundestag verabschiedet eine Novellierung des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen mit dem Ziel, die Nachfragemacht großer Einzelhandels-ketten zu beschneiden.

• Das Bundeskartellamt untersagt auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbe-werbsbeschränkungen die Fusion von EON und Ruhrgas, um die Entstehung von Marktmacht zu verhindern.

• Die Bundesregierung beschließt zur Verbesserung der Investitionsbedingungen eine Unternehmenssteuerreform.

• Die Stadt München senkt den Gewerbesteuersatz, um das Stadtgebiet für bereits be-stehende und zukünftig anzusiedelnde Unternehmen attraktiver zu machen.

Bei diesen Beispielen scheinen Akteur, Zielsetzung und Eingriffsinstrument ohne Zwei-fel dem Bereich der Wirtschaftspolitik anzugehören. Wie aber sind die folgenden Bei-spiele einzuordnen (vgl. Folie 11):

• Die Bundesregierung beschließt eine Erhöhung des Kindergeldes, um das deutsche Volk vor dem Aussterben zu bewahren.

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Einführung

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• Der Bundesverband der Industrie empfiehlt seinen Mitgliedern, Mitarbeiter in IT-Weiterbildungsprogramme zu entsenden, statt auf eine wirksame „Greencard“-Regelung der Bundesregierung zu hoffen.

• Die Bundesregierung gewährt Bosnien-Herzegowina einen Kredit für den Wieder-aufbau zerstörter Häuser, um die Rückkehrwilligkeit von Bürgerkriegsflüchtlingen zu erhöhen.

• BMW beschließt aus Rücksicht auf die regionale Arbeitsmarktsituation, sein neues Werk in einem ostdeutschen Bundesland anzusiedeln.

Hier stellt sich die Frage, wer überhaupt Wirtschaftspolitik betreiben kann und welche Zielsetzungen zur Wirtschaftspolitik gehören. Anhand der Beispiele sollte klar sein, daß für den Begriff der Wirtschaftspolitik durchaus Klärungsbedarf besteht. Wir benötigen eine Definition von Wirtschaftspolitik.

1.1.1.2 Anforderungen an eine Definition (vgl. Folie 12)

Dabei sollte Einigkeit darüber bestehen, welche Aufgaben eine Definition für unsere weitere Arbeit zu erfüllen hat. Es geht bei einer Begriffsbestimmung nicht darum, das Wesen einer Sache im Sinne einer Realdefinition zu bestimmen. Vielmehr muß es in den Erfahrungswissenschaften unser Interesse sein, im Sinne einer Vereinbarung festzu-legen, welche Erkenntnisgegenstände wir zweckmäßigerweise dem zu definierenden Begriff zurechnen wollen. Man nennt dies eine Nominal-Definition.

Unsere (Nominal-) Definition von Wirtschaftspolitik kann deshalb auch nicht falsch oder wahr sein. Wir wollen nicht mit Wahrheitsanspruch festlegen, was Wirtschaftspoli-tik ist, sondern wir wollen uns im Sinne einer Konvention darauf einigen, was wir für unsere Zwecke sinnvollerweise unter Wirtschaftspolitik verstehen wollen. Wir beurtei-len deshalb eine Definition einzig und allein anhand ihrer Zweckmäßigkeit. Man könnte überspitzt sagen, daß der Zweck die Definition heiligt ...

1.1.1.3 Wirtschaft und Politik (vgl. Folie 13)

Wenn wir uns vor diesem Hintergrund fragen, was wir unter Wirtschaftspolitik verste-hen wollen, dann könnten wir zunächst damit beginnen, den Begriff anhand seiner zwei Teile „Politik“ und „Wirtschaft“ zu definieren. Genügt es zu sagen, „Wirtschaftspolitik ist Politik, die sich mit der Wirtschaft befaßt“?

Dies löst unser Problem nicht, sondern verlagert es nur auf die Teilbegriffe. Sowohl für „Politik“ als auch für „Wirtschaft“ gibt es durchaus unterschiedliche Begriffsinhalte. Politik wird vielfach mit dem Auftreten von Macht, mit Aktivitäten des Staates und mit

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der Berücksichtigung von Wertungen verbunden. Bei Wirtschaft denkt man an die Ver-fügung über knappe Ressourcen und Handlungen nach dem ökonomischen Prinzip, d.h. an ein Streben nach Effizienz.

1.1.1.4 Definition der Wirtschaftspolitik

Gängige Definitionen von Wirtschaftspolitik beinhalten vielfach

• eine Abgrenzung der Personen oder Institutionen, die Wirtschaftspolitik betreiben,

• unterschiedliche Eingriffsintensitäten,

• eine Aussage über die Festlegung der wirtschaftspolitischen Ziele.

Dies kommt in folgenden Beispielen aus der Literatur zum Ausdruck (vgl. Folie 14):

• Wirtschaftspolitik ist die Gesamtheit aller Bestrebungen, Handlungen und Maß-nahmen, die darauf abzielen, den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens in einem Gebiet zu ordnen, zu beeinflussen oder unmittelbar festzulegen. (Giersch)

• Wirtschaftspolitik ist jeder intentionale Einfluß, den öffentliche Institutionen auf das ökonomische Geschehen und seine Rahmenbedingungen ausüben. (Luckenbach)

• Wirtschaftspolitik ist die Gestaltung der Wirtschaftsordnung sowie die Einflußnah-me auf die Struktur, den Ablauf und die Ergebnisse gesellschaftlichen Wirtschaftens durch staatliche Instanzen nach politisch bestimmten Zielen. (Streit)

• Wirtschaftspolitik ist die Summe hoheitlicher, zweckorientierter, leitender Hand-lungen, die sich aus der politischen Gestaltungsbedürftigkeit gesellschaftlichen Wirtschaftens ergeben und darauf abzielen, die Wirtschaftsgrundlagen, die Wirt-schaftsordnung, den Wirtschaftsprozeß oder die Wirtschaftsstruktur nach bestimm-ten Zielvorstellungen zu beeinflussen. (Lampert)

Für unsere Zwecke wollen wir aus diesen Formulierungen einige Elemente zusammen-führen und von jetzt ab die folgenden Arbeitsbegriff für Wirtschaftspolitik verwenden (vgl. Folie 15):

• Handeln nach politisch bestimmten Zielen

• Sowohl Gestaltung der Wirtschaftsordnung als auch Einflussnahme auf Ablauf und Ergebnis

• Träger sind hoheitlich befugte Instanzen

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1.1.1.5 Definition der Wirtschaftspolitiklehre (vgl. Folie 16)

Unsere bisherigen Definitionsbemühungen galten dem Begriff der (praktischen) Wirt-schaftspolitik. Wirtschaftspolitik ist jedoch nicht nur Gegenstand der Bemühungen von Politikern, sie ist auch für die Wissenschaft von Interesse. Wir wollen von der Lehre von der Wirtschaftspolitik oder einfach von Wirtschaftspolitiklehre sprechen, wenn wir Wirtschaftspolitik als Gegenstand wissenschaftlichen Arbeitens im Rahmen der Wirt-schaftswissenschaft - spezieller: der Volkswirtschaftslehre - meinen.

Für die Wirtschaftspolitiklehre werden häufig auch die Begriffe theoretische Wirt-schaftspolitik oder Theorie der Wirtschaftspolitik gebraucht. Wir wollen uns dem nicht anschließen, da, mit „Theorie der Wirtschaftspolitik“ auch ein ganz spezieller Teil der (formalen) Wirtschaftstheorie bezeichnet wird, dessen Anliegen es ist, optimale Wirt-schaftspolitik in theoretischen Modellen zu bestimmen. Um hier keine Mißverständnis-se entstehen zu lassen, sprechen wir von „Wirtschaftspolitiklehre“.

Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt einer eigenständigen, von der Wirtschaftstheo-rie getrennten Wirtschaftspolitiklehre bedarf. Werden nicht die Probleme, mit denen sich die Wirtschaftspolitiklehre befassen soll - wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wirtschaftspolitik - voll von der Wirtschaftstheorie abgedeckt? So überlegt man sich beispielsweise in der makroökonomischen Theorie, wie Veränderungen bei den Staatsausgaben oder bei der Geldmenge auf die gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung wirken. Ein Anwendungsbereich der mikroökonomischen Theorie unter-sucht, wie z.B. mit Hilfe von Steuern auf Inputs oder Outputs Umweltbelastungen in optimaler Weise verringert werden können. Ist demnach Wirtschaftspolitik nicht an-deres als eine Anwendung wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse? Wenn dem so wäre, dann bräuchten wir in der Tat keine eigenständige Wirtschaftspolitiklehre (und viel-leicht auch keine eigene Lehrveranstaltung zur Wirtschaftspolitik). Es genügte dann eine Vorlesung unter der Bezeichnung Wirtschaftstheorie und (wirtschaftspolitische) Anwendungen. Wir werden auf diese Frage später noch einmal zurückkommen.

1.1.2 Klassifikation

Nach einer Klärung der Begriffe Wirtschaftspolitik und der Wirtschaftspolitiklehre wenden wir uns nun den Möglichkeiten einer Untergliederung der Wirtschaftspolitik zu. Folie 17 stellt beispielhaft drei gebräuchliche Klassifikationen dar:

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Mögliche Klassifikationen:

• Ziele – Mittel – Träger als Klassifikationskriterien- Stabilitäts- vs. Wachstumspolitik [Ziele] - Geld- vs. Fiskalpolitik [Mittel, (Träger)] - nationale vs. europäische Wettbewerbspolitik [Träger])→ grundlegende Klassifikation, auch für diese Veranstaltung

• Reformpolitik, qualitative und quantitative Wirtschaftspolitik

• Ordnungs- vs. Prozesspolitik→ kurze Darstellung, da eine Reihe interessanter Aspekte

#17

Eine gängige Klassifikation der Wirtschaftspolitik ist die nach Zielen, Mitteln und Trä-gern. Wir werden in unserer späteren Diskussion der praktischen Wirtschaftspolitik gerade diese Unterteilung zu Grunde legen. Eine weitere in der wirtschaftspolitischen Diskussion wichtige Unterscheidung ist diejenige zwischen ordnungs- und prozesspoli-tischen Eingriffen, die im weiteren kurz thematisiert werden soll.

1.1.2.1 Abgrenzungen zwischen Ordnungs- und Prozeßpolitik

Ordnungspolitik kann definiert werden als „Beeinflussung aller rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer der Wirtschaftsprozeß ab-läuft“, Prozeßpolitik (auch als Ablaufpolitik bezeichnet) demgegenüber als „Beeinflus-sung des Wirtschaftsprozesses, d.h. des wirtschaftlichen Geschehens im Bereich der Erzeugung und des Tausches von Gütern und Dienstleistungen“ (vgl. Folie 18).

Diesen Definitionen liegt die Vorstellung von Sachverhalten (Rahmenbedingungen) zugrunde, die den einzelnen ökonomischen Transaktionen (Produktion, Tausch) einen Rahmen setzen, das heißt sie beeinflussen, ohne (direkt) von ihnen beeinflußt zu wer-den. Das impliziert im allgemeinen auch eine größere Stabilität (Konstanz) im Zeitab-lauf: Die Wirtschaftsordnung ist von einer gewissen Dauer, ändert sich jedenfalls selte-ner als die Größen des Wirtschaftsprozesses. Schließlich gelten ordnungspolitische Maßnahmen in einer gewissen Allgemeinheit für eine bestimmte Kategorie von Wirt-schaftssubjekten und Sachverhalten, d.h. sie beziehen sich nicht nur auf eine bestimmte Person oder einen spezifischen Sachverhalt.

Allgemein lässt sich der Begriff „Wirtschaftsordnung“ definieren als Gesamtheit aller für den organisatorischen Aufbau der Volkswirtschaft und für die wirtschaftlichen Ab-läufe geltenden Regeln sowie die Gesamtheit der für die Verwaltung, Steuerung und Gestaltung der Wirtschaft zuständigen Einrichtungen.

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Verwendet man den Begriff der Wirtschaftsordnung im Sinne einer Ordnungsidee, d.h. einer angestrebten Ordnung, dann spricht man auch von einem ordnungspolitischen Leitbild, einer Ordnungsidee oder einer ordnungspolitischen Konzeption. Wir wollen demgegenüber den Begriff der Wirtschaftsordnung im Sinne der verwirklichten Ord-nung einer Volkswirtschaft verwenden. In der Bundesrepublik Deutschland orientiert sich die Wirtschaftsordnung am Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft.

Eine Wirtschaftsordnung dient der Erfüllung der folgenden Aufgaben (vgl. Folie 19):

• Herstellung und Sicherung der Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft

Die Schaffung einer Wirtschaftsordnung kann als Schritt zur Komplexitätsreduktion bei der Lösung der interdependenten Grundfragen der Produktion, Verwendung und Verteilung von Gütern für eine durch Arbeitsteilung und Spezialisierung charakteri-sierten Volkswirtschaft angesehen werden. Die laufenden Entscheidungen der Wirt-schaftssubjekte, d.h. der Wirtschaftsprozeß, werden einfacher und sicherer, wenn zu-vor ein Rahmen, d.h. die Wirtschaftsordnung, zu der Märkte, Geld, Rechtsgrundsätze des wirtschaftlichen Verkehrs usw. gehören, festgelegt ist. Für die Schaffung dieses Rahmens bleibt jedoch das Problem der hohen Komplexität bestehen, da bei der Ent-scheidung über eine Wirtschaftsordnung deren Auswirkungen auf den nach-gelagerten Wirtschaftsprozeß berücksichtigt werden müssen.

• Zielgerichtete Koordination der wirtschaftlichen Aktivitäten

Zu beantworten ist die aus der Kreislaufdarstellung einer Volkswirtschaft bekannte Frage, was wird wie für wen produziert? Hierzu bedarf es in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft der Koordination der Entscheidungen von unzähligen Unternehmen und Haushalten. Als prinzipielle Koordinationsmechanismen sind hierarchische Ko-ordinierung, marktwirtschaftliche Koordinierung und eine Koordinierung durch Ab-stimmungsverfahren denkbar. In der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland kommt, wie in vielen Ländern, der marktwirtschaftlichen Koordinie-rung große Bedeutung zu, die geringere Informationserfordernisse als die hierarchi-sche Koordinierung aufweist. Es ist jedoch zu betonen, daß auch hierarchische Ko-ordinierung - z.B. bei regulierten Branchen - und demokratische Koordinierung - z.B. in der betrieblichen Mitbestimmung - eine Rolle spielen.

• Verwirklichung gesellschaftspolitischer Grundziele

Eine Wirtschaftsordnung beinhaltet bzw. beeinflußt die Verteilung wirtschaftlicher Handlungsspielräume zwischen dem Staat und den Individuen sowie zwischen den

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Individuen. Dies hat unmittelbar Konsequenzen für die Verteilung politischer Ent-scheidungs- und Handlungsspielräume. So ist es in einer Marktwirtschaft typisch, daß die Individuen weitreichende wirtschaftliche Freiheiten besitzen und Eigentümer des größten Teils der Produktionsmittel sind. Am Beispiel der Medien wird klar, daß politische und wirtschaftliche Ordnung sich gegenseitig bedingen. Die Verwirkli-chung des Rechts auf Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung wäre kaum denk-bar, wenn sich alle Medien in staatlicher Hand befänden. Ebenso stellt die Konzent-ration des Eigentums an Medien eine Gefahr für die Pressefreiheit und die freie Mei-nungsäußerung dar, der durch die Wirtschaftsordnung begegnet werden kann. Eine Gesellschaft setzt die Wirtschaftsordnung demnach auch dafür ein, um gesellschafts-politische Ziele, insbesondere die Verwirklichung von Grundrechten, zu unterstüt-zen.

Entsteht eine Wirtschaftsordnung von selbst? Man könnte sagen: Im Prinzip ja, aber was für eine? Deshalb gilt: Eine Wirtschaftsordnung ist aufgrund politischen Wollens bewußt auszugestalten. Es bedarf der gesellschaftlichen Entscheidung für die Bewer-tungs- und Steuerungssysteme. Weiterhin müssen soziale Normvorstellungen verwirk-licht werden. Von einer gleichsam von selbst gewachsenen Wirtschaftsordnung kann nicht erwartet werden, daß sie das für eine Gesellschaft bestmögliche Bewertungs- und Lenkungssystem hervorbringt und Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft in hin-reichender Weise genügt.

Ordnungspolitik umfaßt dann die von einem politischen Gestaltungswillen getragenen Bestrebungen, Handlungen und Maßnahmen, die primär auf eine Beeinflussung der Wirtschafts- und Sozialordnung abzielen, d.h. auf eine Beeinflussung aller rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer der Wirt-schaftsprozeß abläuft.

Beispiele für Ordnungspolitik sind:

• das Kartellverbot des § 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen)

• das Eigentumsrecht

• das Mitbestimmungsrecht

• die Einführung eines Systems der sozialen Sicherung

Unter Wirtschaftsprozeß verstehen wir jede Art wirtschaftlichen Geschehens im Be-reich der Erzeugung und des Tausches von Gütern und Leistungen.

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Prozeßpolitik sind die von einem politischen Gestaltungswillen getragenen Bestrebun-gen, Handlungen und Maßnahmen, die primär auf eine Beeinflussung dieses wirtschaft-lichen Geschehens abzielen (vgl. Folie 20).

Bei Prozesspolitik ist u.a. zu denken an:

• eine Leitzinsänderung durch die Europäische Zentralbank

• eine Verbesserung der Abschreibungserleichterungen zur Investitionsförderung

• eine Senkung der Einkommensteuer zur Stärkung der Binnennachfrage

Gelegentlich wird die Forderung erhoben, weitestgehend auf eine direkte Beeinflussung des Wirtschaftsprozesses zu verzichten und sich statt dessen auf die indirekte Gestal-tung durch die Wirtschaftsordnungspolitik zu beschränken. Hinter dieser Forderung steht die (Wunsch-) Vorstellung, daß Marktkräfte zu einem optimalen wirtschaftlichen Gleichgewicht führen, wenn ihnen geeignete Rahmenbedingungen geboten werden. Die Mehrheitsmeinung in der Bundesrepublik zumindest seit den sechziger Jahren dürfte jedoch sein, daß trotz einer prinzipiellen Anerkennung der Selbststeuerungskraft von Märkten auch prozesspolitische Eingriffe notwendig sind.

1.1.2.2 Ordnungs-, System-, Markt- und Zielkonformität

In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion werden einzelne wirt-schaftspolitische Maßnahmen nicht selten als ordnungskonform bzw. nicht ordnungs-konform bezeichnet. Zum Teil werden jedoch in ähnlichem Kontext die Begriffe „sys-temkonform“, „marktkonform“ und „zielkonform“ verwendet. In dieser Lehrveranstal-tung gelten - im Anschluß an einen großen Teil der Literatur - die folgenden Definitio-nen (vgl. Folie 21):

• Zielkonform sind solche wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die grundsätzlich ge-eignet sind, die angestrebten Ziele zu realisieren, d.h. das Instrument ist prinzipiell wirksam.

• Marktkonform sind solche Maßnahmen, die nicht zu einer Störung des Marktme-chanismus führen, d.h. die Räumungsfunktion der Preise bleibt erhalten, Markträu-mung wird erreicht.

• Ordnungskonform sind solche Maßnahmen, die der geltenden Wirtschaftsordnung gemäß sind. Der Terminus systemkonform wird als synonym zu ordnungskonform angesehen.

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© K. Morasch, 2002 - 9 -

Die Charakterisierung einzelner wirtschaftspolitischer Maßnahmen im Hinblick auf ihre Konformität ist mitunter unklar bzw. umstritten, weil die Definitionen in wesentlichen Aspekten nicht trennscharf genug sind:

• Was als grundlegend für ein bestimmtes Wirtschaftssystem bzw. eine bestimmte Wirtschaftsordnung anzusehen ist, ist häufig nicht ausreichend klar formuliert. Ent-sprechend ist auch die Konkretisierung des Begriffs Ordnungs- bzw. Systemkon-formität umstritten.

• Als Störung des Marktmechanismus wird mitunter auch etwas angesehen, was des-sen erwarteter und gewollter Wirkungsweise widerspricht (diese begriffliche Modi-fizierung wird hier nicht weiterverfolgt, es bleibt bei der oben gegebenen Definiti-on).

Beispiel: Einkommenssicherung im Agrarsektor - Mindestpreise vs. Subventionen

Die Unterschiede zwischen den drei Begriffe sollen nun an einem Beispiel verdeutlicht werden. Es wird von einem Markt für Agrargüter ausgegangen, wobei der Einfachheit halber vollständige Konkurrenz unterstellt wird. Der Absatz von Agrarprodukten, deren Preise und das Einkommen der Unternehmen verringern sich infolge eines dauerhaften Rückgangs der Nachfrage von D1 nach D2. Ziel der Wirtschaftspolitik ist eine Erhöhung der Einkommen der Landwirte (evt. sogar auf das ursprüngliche Niveau). Es kommen die folgenden beiden wirtschaftspolitischen Maßnahmen infrage:

(1) Mindestpreise für Agrargüter beim alten Preis (p2M). Die Angebotsseite muß dabei

kontingentiert werden (keine Markträumung!).

(2) Subventionen an die Landwirte in einer festen Höhe pro Produktionseinheit (S), die den Marktpreis gerade wieder auf p1 = (p2

M) bringen. Dies entspricht einer Ver-schiebung der Angebotskurve um S nach unten.

D1

p1 = p2M= p2

S+S

x

S

D2

x1=x2S

p2W

x2

SS

p2S

x2M

a b

c

d

e

f

a' b'

abc: Einkommen im Ausgangsfall undbei Subvention

a'b'c: Einkommen ohneWirtschaftspolitik

adfc: Einkommen beiMindestpreis

p

#22

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© K. Morasch, 2002 - 10 -

Die Grafik in Folie 22 verdeutlicht die Problemstellung und die Auswirkung der beiden wirtschaftspolitischen Maßnahmen: Zielkonform sind beide Maßnahmen, da das Ein-kommen erhöht wird (a’b’c wird übertroffen). Allerdings wird nur bei Subventionen das ursprüngliche Niveau wieder erreicht. Durch eine staatliche Abnahmengarantie für die Überschußmenge könnte dies jedoch auch im Fall der Mindestpreise erreicht werden. Marktkonform sind dagegen nur Subventionen, da im Fall von Mindestpreisen der Marktmechanismus elementar gestört wird: Durch die Festlegung des Preises kommt es nicht zur Markträumung. Ordnungskonform ist unter dem Paradigma „reiner Marktwirt-schaft“ keiner der beiden Eingriffe, da das Ergebnis des Marktes nicht akzeptiert wird. Hat man dagegen die Idee der „sozialen Marktwirtschaft“ als Orientierungspunkt, so ist ein Eingriff wegen der Akzeptanz sozialer Ziele erlaubt (allerdings sollte dann der marktkonforme Eingriff - also Subventionen - gewählt werden).

Beispiel: Umweltpolitik - Förderung alternativer Energien

Gerade im Bereich der Umweltpolitik spielt der Aspekt der Marktkonformität bei der Instrumentenwahl eine wichtige Rolle. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß bei der Förderung alternativer Energien (Windkraft, Photovoltaik) im Prinzip ein sehr ähnliches Problem wie im Agrarbeispiel besteht: Die Förderung dieser Energiequellen mittels staatlich garantierter Mindestpreise bei der Einspeisung ins elektrische Leitungsnetz entspricht der Mindestpreisregelung im Agrarmarkt (mit Abnahmegarantie). Ziel ist hier allerdings nicht die Einkommenssicherung; vielmehr geht es darum, die Investition in Wind- oder Sonnenenergieanlagen attraktiv zu machen (bei Marktpreisen wären die Investitionen nicht rentabel). Die wirtschaftspolitische Maßnahme ist somit zwar ziel-konform, aber im Gegensatz zur Alternative, einer direkten Subvention der Produktion, nicht marktkonform.

1.2 Veranschaulichung der zentralen Fragestellungen

Zur Veranschaulichung der zentralen Fragestellung wird in der Veranstaltung die staat-liche Förderung einer heimischen Branche durch Subventionen oder protektionistische Maßnahmen thematisiert. In diesem Abschnitt des Skripts werden eine Reihe von Hin-tergrundinformationen zur Außenhandelspolitik geliefert, die Ihnen das Verständnis dieses Teils der Veranstaltung erleichtern sollen. Für eine ausführliche Diskussion der einzelnen Fragestellungen seien Sie auf Kapitel 2 – 4 der Veranstaltung verwiesen – hier werden nur nochmals kurz die verwendeten Folien präsentiert und kommentiert.

1.2.1 Grundüberlegungen

Zunächst erfolgt ein knappe Präsentation der Fragestellungen im Kontext des konkreten Beispiels mit einigen kleineren Hinweisen zu den Lösungsansätzen.

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© K. Morasch, 2002 - 11 -

Frage 1: Warum sind wirtschaftspolitische Eingriffe in einer Marktwirtschaft nötig?

Warum Wirtschaftspolitik?

• Markt mit vollständigem Wettbewerb führt zu pareto-effizientem Ergebnis→ zunächst kein Ansatzpunkt für Wirtschaftspolitik

• in der Realität Bedingungen für vollständigen Wettbewerb meist verletzt→ hier: möglicherweise positive externe Effekte der Produktion

(Produktionsmenge bei Wettbewerb zu gering)

• Effizienz ist nur eines von mehreren gesellschaftlichen Zielen→ Eingriff kann z.B. durch Verteilungsziel gerechtfertigt sein

vorläufiges Fazit – potentielle Gründe für Wirtschaftspolitik

Korrektur von Marktversagen oder Erreichung eines gesellschaftlichen Ziels#25

Hinweise: Das erste Argument für Wirtschaftspolitik kann bei der Förderung von Hoch-technologiebranchen (z.B. Luft- und Raumfahrttechnik) relevant sein, das zweite bei schrumpfenden Branchen (z.B. Landwirtschaft).

Frage 2: Wie lassen sich die Präferenzen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder zu einer gemeinsamen Zielvorstellung zusammenfassen, auf deren Grundlage dann wirtschafts-politische Entscheidungen getroffen werden können?

Beurteilung der Auswirkungen

• Politik sinnvoll, wenn dadurch Wohlfahrt erhöht

• Problem- unterschiedliche Wirkungen für die Individuen (positiv/negativ)- interpersoneller Nutzenvergleich bei ordinalem Nutzen unzulässig

• Lösungsansätze- Pareto-Kriterium: Politik nur dann, wenn keiner schlechter gestellt- Kompensation: durch Umverteilung Pareto-Kriterium erfüllbar- soziale Wohlfahrtsfunktion: Aggregationsproblem ignorieren

(z.B. sozialer Überschuss als Wohlfahrtsmaß)#26

Hinweise: Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass es bei der Zielbestimmung grundsätzlich keine „richtige“ Lösung gibt, da immer Bewertungen einfließen. Wir können jedoch klären, welche Probleme bei der Zielbildung auftreten und welche Ei-genschaften unterschiedliche Lösungsansätze haben. Da wir das konkrete Beispiel in einem Partialmarkt analysieren, sind die betroffenen Gruppen zum einen die Konsu-menten und zum anderen die Produzenten des Gutes (Anteilseigner und Arbeitnehmer). Da gegenläufige Effekte für die beiden Gruppen auftreten (Produzenten profitieren, Konsumenten schlechter gestellt), liefert das Pareto-Kriterim die Empfehlung „keine Politik“. Das Kompensationskriterium könnte bei tatsächlichem Vorliegen von positi-ven externen Effekten in ausreichendem Umfang die politische Intervention vorteilhaft

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machen. Ein Eingriff wegen Verteilungsüberlegungen lässt sich demgegenüber nur rechtfertigen, wenn eine soziale Wohlfahrtsfunktion unterstellt wird, bei der der Nutzen der durch die Politik Begünstigten höher gewichtet wird als derjenige der anderen Ge-sellschaftsmitglieder.

Frage 3: Welche Probleme sind bei der Auswahl wirtschaftspolitischer Instrumente und bei der Zuordnung von Kompetenzen auf wirtschaftspolitische Träger zu beachten?

Kriterien für Instrumentenwahl

• Instrumente auswählen, die Ziel prinzipiell erreichen können(wodurch kann inländische Produktion erhöht werden?)

• Nebenwirkungen im Rahmen einer Detailanalyse mit Hilfe von Konsumenten- und Produzentenrente herausarbeiten(welche Anreize verzerrt? welche Wirkung entsteht dadurch?)

• realisierbare Politik mit den geringsten Nebenwirkungen ist optimal

Konkret: Produktionssubvention und Zoll vergleichen

beide Maßnahmen zur Zielerreichung geeignet und marktkonform→ Unterschiedliche Wirkungen auf das Marktgleichgewicht?

#27

Hinweis: In der Veranstaltung wurde insbesondere der Vergleich zwischen Zöllen und Produktionssubventionen thematisiert. Quoten und Exportselbstbeschränkungen waren Thema einer Übungsaufgabe. Die Zuordnung von Kompetenzen auf wirtschaftspoliti-sche Träger wird in diesem einführenden Kapitel nicht behandelt.

Frage 4: Wie lässt sich die in der Realität beobachtbare Politik aus der Interaktion der einzelnen wirtschaftspolitischen Akteure erklären?

Politische Ökonomie der Protektion

• BeobachtungProtektion von Branchen ohne positive externe Effekte undohne erkennbare gesellschaftliche Zielvorstellungen→ warum?

• Erklärungsversuch- durchaus positive Wirkungen der Protektion für einzelne Gruppen- konzentrierte Gruppen setzen sich im politischen Prozess durch- auch Instrumentenwahl von Politökonomie determiniert

#30

Hinweis: Die Fragestellungen 3 und 4 werden im Rahmen der folgenden Darstellung der Handelspolitik ausführlich diskutiert – dort finden Sie auch die in der Veranstaltung verwendeten Abbildungen wieder.

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1.2.2 Hintergrund: Theorie der Außenhandelspolitik

1.2.2.1 Auswirkung von Zöllen

Unter einem (Einfuhr-)Zoll versteht man eine Abgabe, die bei grenzüberschreitenden Warenverkehr erhoben wird. Der Importeur muss dabei im allgemeinen einen be-stimmten Prozentsatz des Importpreises an den Staat entrichten (man spricht in diesem Fall auch von einem Wertzoll im Unterschied zum spezifischen Zoll [= Stückzoll], bei dem die Abgabe auf die Anzahl der importierten Produkteinheiten bezogen ist). Dies kann am Beispiel des Automobilmarktes erläutert werden: Wenn ein 20%iger Zoll auf ein Automobil der unteren Mittelklasse (Weltmarktpreis € 20.000) erhoben wird, so ent-stehen für den Importeur Kosten in Höhe von € 4.000. Der Preis im Importland erhöht sich damit auf € 24.000. Die wesentlichen Auswirkungen eines Zolls lassen sich in ei-nem partialanalytischen Angebots-Nachfrage-Schema gut darstellen (vgl. Folie 28):

p

x

S

D

pZ=pW+Z

pWA B C D

xDxDZxS xS

Z

p

x

S

D

pZ=pW+Z

pWA B C D

xDxDZxS xS

Z

Konsu- Produ- Staat Gesamtmenten zenten

–A +A–B –B–C +C–D –D

Transfer: A (Rente)C (Zoll)

Verlust: B (Produktionseffizienz)D (Konsumeffizienz)

Wirkung eines Zolls bei Partialmarktbetrachtung

# 8

Wir gehen davon aus, dass im Ausgangsfall ein Teil der Automobile aus dem Ausland importiert wird. Es wird angenommen, dass ausländische und heimische Produkte per-fekte Substitute sind. Die heimischen Konsumenten können bei Freihandel jede beliebi-ge Menge zum Weltmarktpreis erwerben - damit wird ein „kleines Land“ unterstellt, bei dem Nachfrageänderungen keine Auswirkungen auf den Weltmarktpreis haben. Die Menge der Importe ergibt sich dann als Differenz zwischen der im Inland zum Welt-marktpreis angebotenen Menge und der zu diesem Preis nachgefragten Menge.

Wird jetzt ein Zoll auf ausländische Produkte erhoben, so ist für die inländischen Kon-sumenten und Produzenten als neuer Preis die Summe aus Weltmarktpreis und Zoll relevant. Dadurch können auch heimische Hersteller, die zu höheren Grenzkosten als dem Weltmarktpreis produzieren, ihre Produkte auf dem Inlandsmarkt absetzen. Die Nachfrage nach dem Gut geht aufgrund des höheren Preises zurück. Die Importe ver-

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ringern sich. Die Auswirkungen auf die Wohlfahrt lassen sich mit Hilfe des Konzeptes der Konsumenten- und Produzentenrente verdeutlichen:

• Für die Konsumenten ergibt sich ein Rückgang der Konsumentenrente in Höhe der Gesamtfläche ABCD.

• Die Flächen A und C stellen dabei einen Transfer von den Konsumenten an die inländischen Produzenten (Fläche A: höhere Produzentenrente aufgrund des höhe-ren Preises) und Staat (Fläche C: Zolleinnahmen in Höhe der importierten Menge multipliziert mit dem Zollsatz) dar.

• Die Flächen B und D stellen jedoch einen Nettowohlfahrtsverlust für das Land dar: Der Verlust in Höhe von B ergibt sich dadurch, dass ein Teil der inländischen Pro-duktion nun durch Produzenten erfolgt, deren Grenzkosten höher sind als der Weltmarktpreis - es wäre in diesem Fall für das Land effizienter, die entsprechen-den Produkte auf dem Weltmarkt zu erwerben, anstatt sie selbst zu produzieren. Die Fläche D stellt deswegen einen Nettowohlfahrtsverlust dar, weil die Bewertung der Konsumenten (die in der Nachfragekurve zum Ausdruck kommt) für diese nicht abgesetzten Produkteinheiten höher ist als die gesellschaftlichen Kosten (der Welt-marktpreis).

Ein Zoll hat somit zwei Effekte: Zum einen ergibt sich eine Umverteilung des Nutzens innerhalb des Landes - dies macht es möglicherweise für bestimmte Gruppen vorteil-haft, Handelsbeschränkungen zu fordern. Für das Land als Ganzes ergibt sich jedoch durch den Zoll eine Verminderung der Wohlfahrt. Theoretisch könnten die Verlierer des Zolls (im Partialmodell: die Konsumenten) die Gewinner vollständig kompensieren, so dass sich am Ende alle besser stellen würden. Das Problem in der Realität besteht darin, dass eine solche Kompensation normalerweise nicht stattfindet.

Nach der bisherigen Analyse führen Zölle zu einer Verringerung der Wohlfahrt eines Landes. Die Empfehlung für die Politik lautet damit, auf die Erhebung von Zöllen zu verzichten. Gegen diese Aussage werden jedoch die folgenden beiden Einwände erho-ben:

• Die verwendeten Zollwirkungsmodelle sind zu unrealistisch. Um Zollwirkungen wirklich beurteilen zu können, seien komplexere, dynamische Modelle notwendig.

• Effizienz ist nicht das einzige Ziel einer Gesellschaft. Die Erhebung von Zöllen kann z.B. auch aus Verteilungsgründen gerechtfertigt sein.

Vor dem Hintergrund dieser beiden Einwände werden im folgenden die wichtigsten Argumente analysiert, die im einzelnen für die Erhebung von Zöllen angeführt werden. Im Zusammenhang mit dem zweiten Einwand spielt folgende grundsätzliche Überle-

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gung eine wichtige Rolle: Die Erhebung eines Zolles ist dann sinnvoll, wenn er erstens geeignet ist, ein bestimmtes gesellschaftliches Ziel zu erreichen, und zum zweiten die-ses Ziel mit den geringst möglichen Kosten erreicht. Viele Argumente für Zölle schei-tern an dieser zweiten Forderung: Ein Zoll ist dann nur eine zweitbeste Lösung zur Er-reichung eines bestimmten Ziels.

1.2.2.2 Vergleich mit Produktionssubvention

Häufig wird der Erhalt einer bestimmten Lebensart (z.B. Erhalt des bäuerlichen Famili-enbetriebs) als Begründung für den Zollschutz angeführt. Der Zoll soll dabei einen Schutz gegen die überlegene ausländische Konkurrenz darstellen, die diese erwünschte Lebensart unmöglich machen würde. Aus ökonomischer Perspektive bedeutet dies letztendlich meist, dass als politisches Ziel ein bestimmtes inländisches Produktionsni-veau in einem Sektor angestrebt wird. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses Ziel sinn-vollerweise mit Hilfe eines Zolls realisiert werden sollte. Dazu werden die beiden In-strumente Zoll und Produktionssubvention miteinander verglichen (vgl. Folie 29).

S

D

p

x

pW=pSub

pZ

SSub

A B C D

Produktionssubvention:

Produzenten +A (Rente)

Staat –AB (Subvention)

Konsumenten: kein Effekt!

Summe –B(statt –BD beim Zoll)

Vergleich von Zoll und Produktionssubvention

xDZxS

Sub=xSZ xD

Sub # 29

Die Analyse erfolgt im Partialmodell, wobei der Zoll mit einer Subvention an die inlän-dischen Produzenten verglichen wird, die zur gleichen inländischen Produktionsmenge führt wie der Zoll. Eine solche Produktionssubvention verschiebt die Angebotskurve der inländischen Produzenten nach rechts unten: Durch die Produktionssubvention müs-sen sie nicht mehr die vollständigen Kosten der Produktion tragen und können somit das Gut zu einem geringeren Preis auf dem Markt anbieten. Während durch den Zoll der Preis im Inland erhöht wird, ergibt sich durch die Subvention keine Veränderung des Inlandspreisniveaus. Aus diesem Grund werden die Konsumenten die gleiche Menge konsumieren wie bei Freihandel. Während sich beim Zoll ein Verlust an Konsumenten-rente in Höhe der Fläche ABCD ergibt (Produzenten plus A, Staat plus C; Verlust B plus D), führt die Subventionslösung zu einem Subventionsbedarf in Höhe der Flächen

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AB (Produktionsmenge multipliziert mit Subventionshöhe) und dieser Subvention steht auf der Seite der Produzenten eine Zunahme der Produzentenrente in Höhe von A ge-genüber. Bei der Subventionslösung kommt es somit nur zum Verlust an Produktionsef-fizienz in Höhe von B, während der Konsum wie bei Freihandel effizient erfolgt.

Als Fazit lässt sich somit festhalten: Wenn eine Regierung die Höhe der inländischen Produktion in einem Sektor beeinflussen will - sei es aus gesellschaftlichen Gründen oder aufgrund von Marktunvollkommenheiten (z.B. positiven externen Effekten), so ist eine Produktionssubvention einem Zoll überlegen, weil dadurch unerwünschte Effekte beim Konsum (hier: Nahrungsmittel werden durch den Zoll verteuert) vermieden wer-den.

1.2.2.3 Andere handelspolitische Instrumente

In der praktischen Handelspolitik spielen neben Zöllen auch andere Instrumente eine wichtige Rolle. Im folgenden wird kurz die Funktionsweise von Kontingenten und den damit eng verwandten „freiwilligen Exportselbstbeschränkungen“ beschrieben und die Unterschiede zwischen diesen Instrumenten und Zöllen werden herausgearbeitet.

Unter einem Kontingent versteht man die mengenmäßige (eventuell auch wertmäßige) Beschränkung der Importe. Im Rahmen einer statischen Analyse haben Kontingente prinzipiell die gleiche Wirkung wie Zölle (Äquivalenz von Kontingent und Zoll): Durch das Kontingent geht die Importmenge zurück und aus diesem Grund steigt der Preis im Inland, und die heimische Produktion wird ausgeweitet, während die insgesamt konsu-mierte Menge aufgrund der Preiserhöhung zurückgeht. (Achtung: Abbildung liegt nicht als Folie vor – darum auch etwas andere Notation!)

A

N

p

x

pW

pZ=pK

A B D

AK

C

Kontingent = IMZ

KwKK=KZPZ

Die Äquivalenz von Kontingent und Zoll lässt sich im Partialmodell verdeutlichen: Wird das Kontingent so festgelegt, dass es der Importmenge beim Zoll Z entspricht, so

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führt dies auf die „Gesamtangebotskurve“ AK (inländisches Angebot + Kontingentmen-ge zum Weltmarktpreis). Die Preis- und Mengeneffekte entsprechen dann denen beim Zoll.

Kontingente haben jedoch gegenüber Zöllen die folgenden beiden Nachteile:

• Wenn die Kontingente, wie häufig der Fall, auf Basis der bisherigen Marktanteile der Importeure vergeben werden, so ergeben sich im Gegensatz zu Zöllen keine Staatseinnahmen - die Fläche C stellt dann einen Transfer an die Importunterneh-men dar. Dieser Nachteil könnte jedoch vermieden werden, wenn die Kontingente im Rahmen einer Auktion versteigert werden.

• Noch problematischer ist der Nachteil von Kontingenten in dynamischer Hinsicht: Im Gegensatz zum Zoll hat der Wettbewerb auf den Weltmärkten keinerlei Einfluß auf die heimischen Preise. Die Drohung ausländischen Wettbewerbs für die inlän-dische Industrie wird vollständig eliminiert, da die Importmenge ja exakt festgelegt ist. Eine Senkung des Weltmarktpreises (z.B. aufgrund technischen Fortschritts) führt bei Kontingenten zu keinem Effekt auf dem Inlandsmarkt, während die inlän-dischen Konsumenten bei Zöllen von den niedrigeren Weltmarktpreisen profitieren.

Bei freiwilligen Exportselbstbeschränkungen handelt es sich im Prinzip um ein Kontin-gent, das die ausländische Regierung auf ihre Exporte anwendet. Der negative Effekt ist dann für die benachteiligten Konsumenten häufig noch weniger offensichtlich als bei Zöllen oder Kontingenten. Die ausländischen Unternehmen werden für die Selbstbe-schränkung durch höhere Preise zumindest teilweise entschädigt - dies wäre bei einem Zoll oder einer Auktion der Kontingente nicht der Fall. Im Extremfall führt eine freiwil-lige Exportselbstbeschränkung dazu, dass sich die ausländischen Unternehmen wie ein Kartell verhalten und somit den gemeinsamen Gewinn maximieren. Zum Begriff ist zu beachten, dass solche Selbstbeschränkungen meist nicht vollständig „freiwillig“ sind: So reagierte die USA auf den Bruch eines solchen Exportbeschränkungsabkommens durch Japan mit Zöllen auf eine ganze Reihe von japanischen Produkten.

1.2.2.4 Die politische Ökonomie der Zölle

Seit dem zweiten Weltkrieg sind die Zölle zwar weltweit zurückgegangen (Durch-schnittszoll in Deutschland gegenwärtig etwa 3,5 %), in einigen Branchen blieb die Pro-tektion jedoch bestehen und hat zum Teil sogar eher zugenommen. Dies gilt z.B für alle Industrieländer im Textilbereich (hier betragen z.B. die Zölle in den USA zwischen

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12% und 20%). In anderen Bereichen, z.B. Automobilindustrie und Informationstech-nologie, werden anstatt von Zöllen häufig freiwillige Exportselbstbeschränkungen oder andere nicht-tarifäre Handelshemmnisse eingesetzt - d.h. Maßnahmen, die nach unserer bisherigen Analyse noch ungünstiger sind als Zölle. Solche protektionistische Maßnah-men sind im allgemeinen aus Sicht der Gesamtwohlfahrt nicht vorteilhaft. Der Schutz von Arbeitsplätzen in bestimmten Branchen ist meist sehr teuer: Für die USA existieren empirische Schätzungen, die besagen, dass der Arbeitsplatz jedes Textilarbeiters im Jahr $ 169.000, der eines Stahlarbeiters $ 71.000 und der eines Automobilarbeiters $ 47.000 kostet. In diesem Abschnitt soll erklärt werden, warum es trotz Einbußen bei der Gesamtwohl-fahrt zu protektionistischen Maßnahmen kommt und warum dabei zudem häufig In-strumente gewählt werden, die unter ökonomischer Perspektive besonders ungünstig sind. Die Grundidee besteht darin, dass bestimmte Gruppen ihre Interessen im politi-schen Prozess leichter durchsetzen können als andere Gruppen.

Vor dem Hintergrund der oben angestellten Überlegungen lassen sich die beobachteten protektionistischen Maßnahmen folgendermaßen erklären.

• Die Gewinne protektionistischer Maßnahmen sind im allgemeinen konzentriert, während sich die Kosten auf die ganze Volkswirtschaft verteilen. So hat z.B. die US-Automobilindustrie erhebliche Vorteile aus Importbeschränkungen. Dadurch bestehen auch entsprechende Anreize zu Lobbyaktivitäten - sowohl die Automobil-arbeitergewerkschaft als auch die Produzentenvereinigung stellen in den USA eine äußerst potente Lobby dar. Demgegenüber haben die Konsumenten nur geringe Anreize eine Lobby zu bilden, da die Auswirkungen auf den einzelnen Konsumen-ten (höherer Preis für Automobile) weniger ausgeprägt sind als die Auswirkung auf den einzelnen Arbeitnehmer (Sicherung des Arbeitsplatzes und des Einkommens).

• Die Durchsetzung von Protektion wird den Lobbys dadurch erleichtert, dass viele Konsumenten die Auswirkungen von Protektion nicht verstehen. So antworteten z.B. bei einer Umfrage in den USA auf die Frage: „Sollen die USA Automobilim-porte aus Japan zum Schutz der US-Automobilindustrie abwehren?“ 70% der be-fragten Personen mit „Ja“. Plausibel ist eine solche Antwort nur für Personen, die z.B. in der Automobilindustrie beschäftigt sind. Viele Konsumenten sind sich je-doch nicht darüber im klaren, dass Protektion insgesamt zu einem Nachteil für sie führt - stattdessen nehmen sie an, dass es nur um einen Verteilungskampf zwischen inländischen und ausländischen Produzenten geht.

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Einführung

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• Mit Argumenten aus der Politischen Ökonomie kann man auch erklären, warum häufig das weniger effiziente Instrument (z.B. Zoll statt Produktionssubvention o-der freiwillige Exportselbstbeschränkung statt Zoll) gewählt wird.

Zum einen scheinen sich Zölle bei Problemen im Zusammenhang mit Außenhandel anzubieten: Wenn der ausländische Wettbewerb für Probleme in heimischen Bran-chen sorgt, so erscheint es nur plausibel, gegen diese ausländischen Wettbewerber mit Hilfe von Zöllen oder Kontingenten vorzugehen.

Zum anderen ist es bei Zöllen weniger klar, wer die Kosten dieser Maßnahme trägt. Bei Subventionen wissen die Steuerzahler, dass sie einen Transfer an die Unter-nehmen leisten. Ein Zoll scheint zunächst nur den Ausländern zu schaden und uns zusätzlich Zolleinnahmen zu bringen. Der indirekte Effekt über die erhöhten Preise im Inland ist den meisten Konsumenten nicht ausreichend bewusst. Noch weniger klar ist die Auswirkung z.B. bei freiwilligen Exportselbstbeschränkungsabkommen. Die weniger effizienten Instrumente werden dann deswegen präferiert, weil sie im politischen Prozess leichter durchgesetzt werden können. Hier sei ebenfalls an die ablehnende Haltung der Bauernverbände gegen die EU-Agrarreform erinnert, die ihren Ursprung in der Befürchtung hat, dass Direktsubventionen politisch nicht für lange Zeit durchsetzbar sind.

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

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2 Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

In diesem Abschnitt wird die Begründung wirtschaftspolitischen Handelns thematisiert. Der Analyse liegt der Gedanke zugrunde, daß die meisten Staatseingriffe ihren Grund in Marktunvollkommenheiten haben, d.h. im teilweisen Versagen der Marktkoordinierung, deren Effizienz durch staatliche Politik wiederhergestellt werden muß bzw. deren Unzu-länglichkeiten kompensiert werden sollen. Wirtschaftspolitik ist jedoch nicht nur des-wegen notwendig, weil die Bedingungen optimaler Marktkoordination in der Praxis meist nur unvollständig erfüllt sind: Ohne einen entsprechenden ordnungspolitischen Rahmen ist die Funktion von Märkten grundsätzlich nicht gewährleistet.

Neben den Rahmenbedingungen, die für ein Funktionieren von Märkten unabdingbar sind (vgl. 2.1), lassen sich prinzipiell drei Marktversagenstatbestände unterscheiden, mit denen wirtschaftspolitische Eingriffe gerechtfertigt werden: Allokatives Marktversagen 2.3.1, distributives Marktversagen (2.3.2) und konjunkturelles Marktversagen (2.3.3). Bevor diese Gründe für Marktversagen im einzelnen thematisiert werden, wird das Re-ferenzmodell „Vollständige Konkurrenz“ vorgestellt (2.2), wobei zusätzlich zum bereits aus dem Grundstudium vertrauten Partialmarkt auch das Allgemeine Gleichgewicht analysiert wird. Ausführlich diskutiert werden dann in 2.3.1 insbesondere die Markt-verssagenstatbestände öffentliche Güter, externe Effekte und Informationsasymmetrien, da sie für die in der Veranstaltung behandelten Politikfelder von zentraler Bedeutung sind. Grundidee ist dabei, daß einzelne Voraussetzungen der vollständigen Konkurrenz nicht erfüllt sind und somit eine effiziente Allokation durch den Marktmechanismus nicht mehr sichergestellt ist.

2.1 Gestaltung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln

Voraussetzung für die Funktion von Märkten ist die eindeutige Zuordnung von Verfü-gungs- oder Eigentumsrechten („property rights“) und deren Durchsetzung mit mög-lichst geringen Kosten. Damit sind zivil- und gesellschaftsrechtliche Regelungen (aber auch private Verträge) angesprochen, die klarstellen, wer - z.B. der Eigentümer, Mieter, Besitzer, Manager - bestimmte Transaktionen - z.B. Kauf/Verkauf, Produktionsprozesse etc. - durchführen darf. Im Konfliktfalle muß es dann möglich sein diese Verfügungs-rechte, z.B. mit Hilfe von Gerichten und Exekutivorganen (Polizei), auch tatsächlich durchzusetzen. Ist dies nicht der Fall, so unterbleiben vorteilhafte Transaktionen, weil sich die Vertragspartner nicht sicher sein können, ob eine entsprechende Leistung der Gegenseite letztendlich tatsächlich erbracht wird.

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

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Sind staatliche Aktivitäten in Form eines Zivil- und Strafrechtes, das ökonomische Fol-gen hat, sowie eines Durchsetzungsapparates unbedingt nötig? Bei vollständiger Ver-tragsfreiheit würden alle Vertragsinhalte von den Beteiligten selbst festgelegt. Die Durchsetzung der Verfügungsrechte kann denkbarerweise auch durch das private An-gebot entsprechender Dienstleistungen erfolgen (Selbsthilfe, private Sicherheitsdienste). Selbst die Schlichtungsfunktion der Gerichte, d.h. im Streitfall festzustellen, wem wel-cher Anspruch zusteht kann durch private Schlichtungsgremien vorgenommen werden (vgl. z.B. die Schlichtung bei Tarifkonflikten). Unabdingbar ist somit allenfalls die staatliche Zuordnung der Eigentums- und Verfügungsrechte im Ausgangsfall, d.h. bevor irgendwelche Transaktionen vorgenommen werden. Ohne die Frage hier abschließend zu beantworten, in welchem Umfang staatliche Aktivitäten bei der Sicherung und Durchsetzung von Eigentums- und Verfügungsrechten unerläßlich sind, sei jedoch dar-auf hingewiesen, daß die Existenz einer staatlichen Rechtsordnung den einzelnen Wirt-schaftssubjekten die Ausarbeitung von Verträgen erleichtert, also Transaktionskosten sparen hilft, und dass eine staatliche Exekutive vermutlich die Sicherungskosten niedrig hält, auch wenn private Sicherungseinrichtungen ökonomisch für manche Wirtschafts-subjekte vorteilhaft sind.

Festlegung und Durchsetzung von Eigentumsrechten

Staat Privat

Festlegung Zivilrecht, vollständige Vertragsfreiheit Gesellschaftsrecht (aber: Ausgangssituation?)und Strafrecht

Durchsetzung Gerichte und private Schlichtungsgremien, Exekutivorgane Selbsthilfe bzw. private

Sicherheitsdienste

# 32

Nachdem in Folie 32 ein Überblick über staatliche vs. private Festlegung und Durchset-zung von Eigentums- und Verfügungsrechten gegeben wurde, soll nun die wirtschafts-politische Dimension der Schaffung und klaren Definition von Eigentumsrechten an drei Fällen verdeutlicht werden (vgl. Folie 33).

(a) Verschmutzungsrechte für das Umweltgut „Luft“

Viele Güter, die Bestandteil der Umwelt sind - z.B. Luft - und zum Überleben unerläß-lich sind, waren ursprünglich freie Güter (eine Zuordnung von Eigentumsrechten war somit nicht notwendig), wurden aber insbesondere im Zusammenhang mit der Industria-lisierung knapp: Wenn Abgase in großem Umfang an die Luft abgegeben werden, so

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ergeben sich durch die Verschlechterung der Luftqualität Nutzeneinbußen für die Be-völkerung.

Eine Möglichkeit, dieses Problem anzugehen, ist die Vergabe von Verschmutzungs-rechten: Der Betrieb von Industrieanlagen, die Abgase in die Luft abgeben ist nur zuläs-sig, wenn ein Unternehmen im Besitz entsprechender Verschmutzungsrechte ist. Diese Verschmutzungsrechte können z.B. vom Staat im Rahmen einer Auktion an die Unter-nehmen verkauft werden. Anschließend ist Handel zwischen den Besitzern der Ver-schmutzungsrechte möglich: Unternehmen, die Technologien einsetzten, die weniger Abgase emittieren, können die Verschmutzungsrechte an andere Unternehmen verkau-fen, die zusätzliche Betriebe einrichten wollen; der Staat kann auf dem Markt für Ver-schmutzungsrechte ebenfalls aktiv werden und durch Kauf von Verschmutzungsrechten die zulässigen Gesamtemissionen verringern.

(b) Eigentumsrechte in den neuen Bundesländern

Ein ebenfalls recht aktuelles Beispiel sind die Eigentumsrechte in den neuen Bundes-ländern. Die Bundesregierung verfolgte nach der deutschen Einigung zwei eigentums-politische Zielsetzungen: Zum einen sollten Eigentumsrechte wiederhergestellt werden, die in der Vergangenheit zu Unrecht durch Enteignung entfallen waren. Zum anderen sollten Betriebe aus dem Staatsbesitz der früheren DDR privatisiert werden, um eine möglichst effiziente Nutzung des Betriebskapitals zu erreichen.

Es besteht nun folgendes Problem: Im Einzelfall ist es schwierig festzustellen, ob die Enteignung in einem konkreten Fall tatsächlich unrechtmäßig war (z.B. Mauer-grundstücke) und wem die Eigentumsrechte tatsächlich zustehen (z.B. Erben). Dies führt zu langwierigen gerichtlichen Überprüfungen, die häufig erst nach einigen Jahren abgeschlossen sind. Betriebe, bei denen Unklarheit über die Eigentumsrechte besteht, lassen sich kaum veräußern, weil private Investoren in diesem Fall nicht bereit sind zu investieren. Es wurde darum die Regelung getroffen, daß bei produktiven Investitionen der Rückgabeanspruch entfällt und dem rechtmäßigen Eigentümer stattdessen nur eine Entschädigung gezahlt wird.

(c) Patente und andere Rechte an geistigem Eigentum

Ein drittes Beispiel für die wirtschaftspolitische Dimension von Eigentumsrechten sind Rechte an geistigem Eigentum (Patente, Gebrauchsmuster, Warenzeichen, Urheberrech-te). Sinn dieser Eigentumsrechte ist es, dem Erfinder bzw. Urheber einen Schutz gegen Nachahmer zu gewähren. Bestände ein solcher Schutz nicht, so hätte ein Innovator kei-

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

© K. Morasch, 2002 - 23 -

nen ausreichender Anreiz, für die Erfindung und Entwicklung Kosten aufzuwenden, da er mit rascher Nachahmung durch Konkurrenten rechnen müßte.

Die Gewährung eines Patentes bedeutet nun, daß der Erfinder seine Leistung, die mit Hilfe des Patentes geschützte Innovation, verkaufen bzw. vermieten kann (durch Ertei-lung einer Lizenz) und die Nachahmung für eine längere Zeit verbieten kann. Während dieses Zeitraums erlangt er ein Monopol für die Innovation, so daß konkurrierende An-bieter auf Produktionsverfahren mit höheren Kosten ausweichen müssen oder ein ande-res Verfahren entwickeln müssen, das durch den Patentschutz nicht erfaßt ist.

Da eine Monopolsituation gesamtwirtschaftlich zu Wohlfahrtseinbußen führt, muß im Rahmen der Patentpolitik eine Abwägung zwischen den Vorteilen der Patenteinräu-mung (Anreize zu technischem Fortschritt) und deren Nachteilen (Monopolstellung des Patentinhabers) erfolgen - in der Regel wird dabei das Patent nur für eine bestimmte Frist erteilt.

Die genannten Beispiele zeigen, daß die Festlegung von Verfügungsrechten nicht allein juristischen Zielsetzungen verpflichtet ist, sondern auch - was in den genannten Fällen besonders deutlich wird - wirtschaftspolitischen.

2.2 Vollständige Konkurrenz als Referenzmodell

Es kann gezeigt werden, daß sich unter bestimmten Voraussetzungen durch den Markt-mechanismus ein pareto-optimaler Zustand ergibt. Abweichungen von den zentralen Voraussetzungen des Modells führen dazu, daß dieses Optimum durch die Marktlösung nicht mehr realisiert werden kann. Dieses sogenannte Marktversagen ist ein wichtiger Ansatzpunkt für Wirtschaftspolitik. Durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen soll das Optimum erreicht oder zumindest eine Annäherung an den effizienten Zustand erzielt werden. Referenzmodell für dieses Marktversagen ist die Funktionsweise eines Marktes mit vollständiger Konkurrenz. Dazu müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:

• Das Angebot auf dem Markt (für ein homogenes Gut!) erfolgt durch eine Vielzahl von Unternehmen, für die der Marktpreis eine vorgegebene Größe ist - sie verhal-ten sich als Preisnehmer bzw. Mengenanpasser; analog muß das Mengenanpasser-verhalten auch für die Nachfrageseite gelten (keine Marktmacht).

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

© K. Morasch, 2002 - 24 -

• Beim betrachteten Gut handelt es sich um ein privates Gut, d.h. es liegt Rivalität im Konsum vor und andere Konsumenten können vom Konsum des Gutes ausge-schlossen werden.

• Es liegen keine externen Effekte beim Konsum oder der Produktion vor, d.h. alle Nutzen bzw. Kosten, die sich bei der Produktion oder beim Konsum des Gutes er-geben, fallen ausschließlich bei den Produzenten bzw. den Konsumenten an.

• Es besteht vollständige Information über alle Preise und die Qualität der Güter.

• Güter- und Faktorpreise sind vollkommen flexibel, d.h. sie passen sich bei Ange-bots- bzw. Nachfrageänderungen ohne Verzögerung an.

In diesem Abschnitt wird zunächst die Pareto-Optimalität der Marktlösung für einen Partialmarkt aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Einführung in die „Allgemeine Gleichgewichtstheorie“, bei der Interaktionen zwischen den einzelnen Märkten berück-sichtigt werden und das Gleichgewicht für alle Märkte einer Volkswirtschaft simultan bestimmt wird. Die Ergebnisse für das Allgemeine Gleichgewicht bilden die zentrale Grundlage für die Marktversagensdiskussion in den folgenden Abschnitten; zudem spielt das Allgemeine Gleichgewicht auch bei der Analyse des Außenhandels in Kapitel 4 eine wichtige Rolle.

2.2.1.1 Partialmarktanalyse

Die deutsche Volkswirtschaft kann durch die Dominanz marktwirtschaftlicher Organi-sationsprinzipien charakterisiert werden. Dies bedeutet, daß die Koordination einzel-wirtschaftlicher Aktivitäten über Märkte erfolgt: Sich nach Angebot und Nachfrage bildende Preise sorgen für Markträumung. Die Nachfrage in Abhängigkeit vom Markt-preis ist dabei das Ergebnis der Nutzenmaximierung der privaten Haushalte, während sich das Angebot in Abhängigkeit vom Marktpreis als Resultat der Gewinnma-ximierung der Unternehmen einstellt. Wie Sie bereits im Grundstudium gelernt haben, führt der Marktprozeß auf einem einzelnen Markt unter idealen Voraussetzungen zu einer Maximierung des sozialen Überschusses, d.h. der Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente. Da die Analyse mit Hilfe dieser partialanalytischen Wohlfahrtsmaße in der Veranstaltung eine wichtige Rolle spielt und die Effizienz von Märkten im Parti-almodell besonders einfach dargestellt werden kann, sollen diese Aspekte hier nochmals kurz angesprochen werden.

Die Angebotskurve entspricht bei Preisnehmerverhalten der Unternehmen deren Grenz-kostenkurve: Die Unternehmen sind bereit, eine zusätzliche Einheit anzubieten, solange

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der Preis höher ist als die Grenzkosten. Analog steht hinter der Nachfragekurve der Grenznutzen der Konsumenten: Der Konsum einer weiteren Einheit des Gutes ist vor-teilhaft, wenn der dafür zu entrichtende Preis geringer ist, als der aus dem Konsum re-sultierende zusätzliche (in Geldeinheiten bewertete) Nutzen. Das Marktgleichgewicht auf einem Partialmarkt ergibt sich im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage. Da hier der Grenznutzen der Konsumenten den Grenzkosten der Unternehmen entspricht, wird der gesamtwirtschaftliche Überschuß maximiert. Dieses Ergebnis wird in Folie 35 gra-phisch mit Hilfe der Konzepte Konsumenten- und Produzentenrente verdeutlicht:

CS

PS

S

D

X ′′

p

*X

*p

X ′ X

CS

PS

S

D

X ′′

p

*X

*p

X ′ X # 35

Die Konsumentenrente läßt sich graphisch als Fläche zwischen Nachfragekurve und Preisgerade darstellen. Da die Nachfragekurve zu jeder Mengeneinheit den entspre-chenden in Geld ausgedrückten Grenznutzen angibt, stellt die Fläche unter der Nachfra-gekurve den resultierenden (Brutto-)Nutzen dar. Zieht man davon den Gesamtpreis für die entsprechende Menge ab - graphisch ist das die Fläche unter der Preisgerade -, so erhält man den Nettonutzen der Konsumenten, der sich bei dieser Preis-Mengen-Kombination einstellt. Die Rente entsteht, weil alle Konsumenten einen einheitlichen Preis entrichten müssen - also auch diejenigen, die eine höhere Zahlungsbereitschaft für das Gut haben.

Analog ist die Produzentenrente als Fläche zwischen Preisgerade und Grenzkosten bzw. Nachfragekurve gegeben: Die Fläche unter der Preisgerade gibt den Umsatz an während die Fläche unter der Grenzkostenkurve die Summe der (variablen) Stückkosten wider-spiegelt. Im langfristigen Gleichgewicht bei vollkommenem Wettbewerb entspricht die Produzentenrente gerade den Fixkosten, d.h. es treten keine ökonomischen Gewinne oder Verluste auf. Die Summe aus Produzenten- und Konsumentenrente stellt das Wohlfahrtsmaß „Sozialer Überschuß“ dar. Durch den Vergleich dieser Größe für ver-

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schiedene Situationen, läßt sich dann eine Aussage darüber treffen, welche davon unter Wohlfahrtsaspekten vorzuziehen wäre. Der soziale Überschuß ist jedoch nur dann ein sinnvoller Indikator, wenn die Fixkosten jeweils identisch sind - ansonsten ist es sinn-voller, statt der Produzentenrente die Gewinne zu berücksichtigen, d.h. die Summe aus Gewinnen und Konsumentenrente als Wohlfahrtsmaß zu verwenden.

In der Abbildung in Folie 35 lässt sich nun unschwer erkennen, daß das Marktgleich-gewicht den sozialen Überschuß maximiert: Ausgehend von einer Menge X´ < X* ist es offensichtlich, daß eine Mengenausweitung die Summe aus Konsumenten- und Produ-zentenrente erhöht. Eine weitere Erhöhung der Menge über X* hinaus ist nicht vorteil-haft, wie das Beispiel X´´ zeigt: Die schraffierte Dreiecksfläche zwischen X* und X´´ stellt einen Rückgang der Wohlfahrt dar, da hier die Angebotskurve über der Nachfra-gekurve liegt und somit die Grenzkosten höher sind als der Grenznutzen.

Beachten Sie, daß die allokative Effizienz einzelner Märkte an der Maximierung des sozialen Überschusses, also der Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente, ge-messen wird. Die Verteilung des Wohlstandes auf die Marktteilnehmer, also die Auftei-lung des sozialen Überschusses nach Konsumenten und Produzenten, wird somit bei einer rein allokativer Betrachtung nicht bewertet. Diese Aspekt Verteilung ist eine sepa-rate wirtschaftspolitische Aufgabe - der Markt führt zwar zu einem effizienten, aber nicht notwendigerweise zu einem gerechten Ergebnis.

2.2.1.2 Preisbildung auf interdependenten Märkten

Die Diskussion im vorigen Abschnitt beschränkte sich auf die Analyse eines einzelnen Marktes. Damit wurde implizit unterstellt, daß das Geschehen auf dem betrachteten Markt im Prinzip unabhängig von den anderen Märkten ist. In Wirklichkeit stehen Märkte jedoch miteinander in Beziehung, so daß sie sich gegenseitig beeinflussen. Im Rahmen der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie werden Preise und Mengen auf allen Märkten simultan bestimmt. Dadurch werden entsprechende Rückkoppelungseffekte berücksichtigt: Preis- und Mengenänderung in einem Markt verursachen Preis- und Mengenänderungen in einem zweiten Markt, der mit dem ersten in Beziehung steht - so führt die Preissteigerung bei einem Substitut zu einer Ausweitung der Nachfrage nach dem betrachteten Gut. Im folgenden wird zunächst dargestellt, wie Preise und Mengen auf zwei miteinander in Beziehung stehenden (interdependenten) Märkten determiniert werden. In einem zweiten Schritt wird das Allgemeine Gleichgewicht in einer reinen Tauschwirtschaft bestimmt. Schließlich wird das Allgemeine Gleichgewicht mit Pro-duktion abgeleitet.

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Die Darstellung der Preisbildung auf interdependenten Märkten und des allgemeinen Gleichgewichts basiert weitgehend auf Pindyck, R.S., Rubinfeld, D.L. (2001), Microe-conomics, 5ed, chapter16. Eine Lektüre dieser Literaturstelle wird empfohlen, da die doch relativ anspruchsvollen Konzepte dort sehr verständlich und vor allem ausführli-cher erklärt werden, als dies im Skript möglich ist.

Die Rückkoppelungseffekte zwischen Märkten werden im folgenden am Beispiel der Märkte für Kinokarten und Videokassetten-Verleih diskutiert. Diese beiden Märkte sind eng miteinander verbunden: Da die meisten Konsumenten Fernseher und Videorecorder besitzen, haben sie die Möglichkeit einen Film im Kino oder daheim auf Video anzuse-hen. Verändert sich - z.B. durch einen wirtschaftspolitischen Eingriff - die Situation in einem Markt, so werden sich auch entsprechende Rückwirkungen auf den anderen Markt ergeben. In Folie 36 wird diese Situation graphisch mit Hilfe von zwei Angebots-Nachfrage-Diagrammen dargestellt. Das Ausgangsgleichgewicht auf dem Kinomarkt ergibt sich dabei im Schnittpunkt der Angebotskurve SK° mit der Nachfragekurve DK°; dabei werden X° Kinokarten zum Preis von € 6.00 abgesetzt. Auf dem Videomarkt er-gibt sich das Ausgangsgleichgewicht entsprechend im Schnittpunkt von SV und DV°, wobei Y° Videokassetten zu einem Preis von € 3.00 pro Kassette verliehen werden.

Kino-Eintrittskarten Videokasetten-Verleih

6.00

6.506.75

6.82

p

X0X' X"

3.003.503.58

Y0 Y' Y*

SK0

DK*

DK'DK

0

SV

DV°

SK*

DV'DV

*

X*

p

a a

dcb

ee

X Y

Kino-Eintrittskarten Videokasetten-Verleih

6.00

6.506.75

6.82

p

X0X' X"

3.003.503.58

Y0 Y' Y*

SK0

DK*

DK'DK

0

SV

DV°

SK*

DV'DV

*

X*

p

a a

dcb

ee

X Y

# 35

Nun wird davon ausgegangen, daß der Staat eine Steuer in Höhe von € 1.- auf jede ver-kaufte Kinokarte erhebt. Im Rahmen einer Partialanalyse wird die Auswirkung der Steuer dadurch ermittelt, daß die Angebotskurve in Höhe der Steuer nach links ver-schoben wird - dies führt auf SK*. Es ergibt sich dann bei partialanalytischer Betrach-tung folgendes neue Gleichgewicht auf dem Markt für Kinokarten: Zum Preis von € 6.50 werden X´ Kinokarten abgesetzt.

Im Rahmen einer allgemeinen Gleichgewichtsanalyse werden zusätzlich die folgenden beiden Effekte mitberücksichtigt: (i) Die Steuer auf die Kinokarten wirkt sich auf den

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Videoverleih aus. (ii) Die Anpassungsreaktion auf dem Videomarkt führt wiederum zu einer Rückwirkung auf den Kinomarkt.

ad (i): Diese Auswirkung auf den Videomarkt ergibt sich, weil Kinokarten und Videos Substitute sind. Der höhere Preis für Kinokarten verschiebt somit die Nachfrage nach Videokassetten von Dv° auf DV´, was dort zu einem neuen (Partial-)Gleichgewicht führt, wobei Y´ Videos zu einem Preis in Höhe von € 3.50 verliehen werden. Wichtige Folgerung: Eine Steuer auf ein Gut kann somit auch Preise und Mengen auf einem an-deren Markt beeinflussen - diese Überlegung ist z.B. bei der Analyse von Zollwirkun-gen von Interesse.

ad (ii): Durch die Preiserhöhung auf dem Videomarkt wird sich die Nachfrage nach Kinokarten erhöhen: Die Nachfragekurve verschiebt sich von DK° nach DK´ und im Schnittpunkt von DK´ und SK´ ergibt sich das neue Gleichgewicht mit einem Preis von 6.75 und einer Menge X´´. Im Rahmen einer Partialanalyse wäre also die Auswirkung der Steuer auf den Preis im Kinomarkt unterschätzt worden.

Da die neuerliche Preisänderung auf dem Markt für Kinokarten sich wieder auf den Videomarkt auswirkt sind wir noch nicht am Ende des Prozesses angelangt - über eine unendliche Rückkoppelung zwischen den beiden Märkten würden wir uns dem neuen Gleichgewicht annähern. Im Prinzip geht es dabei darum, die Gleichgewichtspreise und -mengen auf beiden Märkten simultan zu bestimmen. Dieses Gleichgewicht wird im Beispiel durch die Schnittpunkte zwischen SK* und DK* sowie SV* und DV* bestimmt: Dabei wurden die Angebots- und Nachfragekurven im Kinomarkt unter der Annahme gezeichnet, daß im Videomarkt ein Preis von € 3.58 herrscht und umgekehrt die Ange-bots- und Nachfragekurven im Videomarkt unter der Annahme, daß im Kinomarkt ein Preis von € 6.82 gegeben ist - damit sind die Kurven jeweils konsistent mit dem Preis im anderen Markt und es besteht kein Grund für weitere Anpassungsreaktionen - das endgültige Gleichgewicht ist erreicht.

Eine Anmerkung: Um die Preise (und Mengen) im Allgemeinen Gleichgewicht zu bestimmen, müssen wir simultan die beiden Preise finden, bei denen sich in den mitein-ander verbundenen Märkten die angebotene mit der nachgefragten Menge jeweils entsprechen. Formal muß die numerische Lösung von vier Gleichungen (beide Angebots- und Nachfragegleichungen) mit vier Unbekannten (Preise und Mengen in beiden Märkten) bestimmt werden.

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2.2.1.3 Paretoeffizienz in einer einfachen Tauschwirtschaft

Im folgenden soll geklärt werden, welche Eigenschaften das Marktergebnis einer idea-len Marktwirtschaft besitzt. Dabei gilt das Interesse zum einen der Frage, ob ideale Märkte Paretoeffizienz erzeugen, d.h. einen Zustand hervorbringen, in dem es nicht mehr möglich ist, ein Individuum besser zu stellen, ohne einem anderen eine Nutzen-einbuße auferlegen zu müssen. Zum anderen ist zu untersuchen, ob der Marktmecha-nismus in der Lage ist, ein Wohlfahrtsmaximum zu liefern.

Wir betrachten zunächst den denkbar einfachsten Fall einer Tauschwirtschaft ohne Pro-duktion, in der zwei Konsumenten über Anfangsausstattungen von zwei Gütern verfü-gen, die sie untereinander tauschen. Eine derartige Konstellation läßt sich in einer Ed-geworth-Box darstellen:

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

Edgeworth-Box: Tauschwirtschaft mit zwei Haushalten

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

Edgeworth-Box: Tauschwirtschaft mit zwei Haushalten

# 37

Zunächst einige Anmerkungen zur Edgeworth-Box:

• Es liegt eine Tauschwirtschaft mit zwei Gütern, zwei Konsumenten und ohne Pro-duktion vor. Die Größe der Box ergibt sich dann aus den vorhandenen Gütermengen, d.h. aus der Summe der Anfangsausstattungen von Gut 1 und Gut 2.

• Punkt A charakterisiere die Anfangsausstattungen der Individuen. Die durch A ver-laufenden Indifferenzkurven geben das Nutzenniveau für den ersten und den zweiten Konsumenten an, wenn jeder gerade seine Ausstattung verbraucht.

• Da im Rahmen einer Marktwirtschaft Freiwilligkeit des Tauschs vorauszusetzen ist, sind nur pareto-verbessernde Tauschakte relevant.

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Offensichtlich existiert zwischen den beiden durch A verlaufenden Indifferenzkurven eine Menge von Punkten, die für beide Konsumenten mindestens so gut wie der Punkt A ist. Dies verdeutlicht die Analyse in Folie 38:

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

B

C

Freiwilliger Tausch führt zu einer Pareto-Verbesserung

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

B

C

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

B

C

Freiwilliger Tausch führt zu einer Pareto-Verbesserung

# 38

Denkbar ist ein Tauschakt, der zu einem Übergang von A nach B führt. Konsument 1 gibt von seiner reichlichen Ausstattung an Gut 1 ab und erhält dafür zusätzliche Men-gen des Gutes 2. Der Tausch ist pareto-verbessernd, da Individuum 2 ein höheres Nut-zenniveau erreicht und Individuum 1 auf seinem alten Niveau verbleibt. Ein anschlie-ßender Tauschakt mit Übergang von B nach C stellt 1 besser und läßt den Nutzen von 2 unverändert.

Punkt C ist zwar aus Sicht beider Konsumenten dem Ausgangspunkt A vorzuziehen (beide Konsumenten befinden sich auf einer höheren Indifferenzkurve), aber auch von C aus sind weitere pareto-verbesserende Tauschakte möglich. Wo endet der Tauschpro-zeß bei rationalem Verhalten der Individuen? Mögliche Endpunkte des Tauschprozesses werden in Folie 39 dargestellt:

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

G2

G1

Pareto-Effizienz im Tausch: Mögliche Endpunkte des Tauschprozesses

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

G2

G1

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

G2

G1

Pareto-Effizienz im Tausch: Mögliche Endpunkte des Tauschprozesses

# 39

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Das Tauschgleichgewichts G ist pareto-optimal. Ausgehend von G muß die Nut-zenerhöhung eines Konsumenten mit einer Nutzenverringerung für den anderen einher-gehen. Formal ist ein effizienter Punkt dadurch gegeben, daß die Grenzraten der Substi-tution zwischen den beiden Gütern für beide Konsumenten identisch sind (die Indiffe-renzkurven weisen die gleiche Steigung auf). Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so be-wertet der eine Konsument das eine Gut relativ höher als der andere, und durch Tausch können beide bessergestellt werden.

Zu überlegen ist, ob G eindeutiger Endpunkt des Tauschprozesses zwischen den beiden Konsumenten ist. Dies ist offensichtlich nicht der Fall, da in der Abbildung beliebig viele Punkte existieren, die die Pareto-Optimalitätsbedingung (Tangentialbedingung) erfüllen - die Verbindung all dieser Punkte bezeichnet man als „Kontraktkurve“. Selbst nach Berücksichtigung der Freiwilligkeit des Tausches, d.h. der Forderung, daß nur Pareto-Verbesserungen gegenüber dem Ausgangszustand A von Interesse sind, verblei-ben unendlich viele Lösungspunkte zwischen den Extremen G1 und G2.

Welcher der pareto-optimalen Punkte realisiert wird, hängt im dargestellten Fall eines bilateralen Tausches von der Verhandlungsmacht der beiden Teilnehmer ab. G1 reprä-sentiert die Lösung, bei der Konsument 1 über absolute Verhandlungsmacht in dem Sinne verfügt, daß er seinem Partner 2 keinerlei Verbesserung gegenüber dem Aus-gangszustand A einräumen muß. Entsprechend ist G2 der Punkt absoluter Verhand-lungsmacht des Konsumenten 2.

Im Kontext idealer Märkte gehen wir davon aus, daß niemand über Verhandlungs- oder Marktmacht verfügt. Im vorliegenden Modell einer Tauschwirtschaft könnte dies z.B. bedeuten, daß die beiden Konsumenten für zwei sehr große Gruppen von identischen Haushalten stehen. In diesem Fall muß jeder der Marktteilnehmer das Tauschverhältnis zwischen Gut 1 und Gut 2 - den relativen Marktpreis - als gegeben hinnehmen und sich optimal an diesen anpassen. Das zu gegebenen Anfangsausstattungen und gegebenen Präferenzen eindeutige Marktgleichgewicht G ergibt sich dann in dem Punkt, in dem die Relativpreisgerade p von zwei Indifferenzkurven tangiert wird. Man erinnere sich an die Haushaltstheorie: Grenzrate der Substitution ist gleich dem umgekehrten Preisver-hältnis (

1 2 2 1 1 2MRSx x dx dx p p= − = ). Im Marktgleichgewicht gilt dies für alle Kon-

sumenten (vgl. Folie 40).

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© K. Morasch, 2002 - 32 -

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

p

Marktgleichgewicht zu gegebener Ausgangssituation

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

p

A

O1

O2

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 1

Konsum vonGut 2durch

Haushalt 2

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 1

Konsum von Gut 1 durch Haushalt 2

U2

U1

G

p

Marktgleichgewicht zu gegebener Ausgangssituation

# 40

Was passiert in einer Marktwirtschaft, wenn die ursprüngliche Preisgerade bei gegebe-nen Anfangsausstattungen A nicht in der „Linse“ liegt, die von den beiden durch A ge-henden Indifferenzkurven abgegrenzt ist? Ein solches Preisverhältnis kann kein Gleich-gewicht darstellen, da eine Gruppe von Konsumenten in diesem Fall nicht zum Tausch bereit ist (z.B. bei zu „steilem“ Verlauf Konsumentengruppe 2). Damit ergibt sich ein Überschußangebot nach einem Gut (im Bsp. Gut 1) und eine Überschußnachfrage nach dem anderen Gut (im Bsp. Gut 2); dies führt zu einer Anpassung der Preise (im Bsp. p1 sinkt und p2 steigt ⇒ Relativpreis p1/p2 sinkt).

Angenommen, G wird aus Gründen der Gerechtigkeit für nicht akzeptabel angesehen. Wie könnte ein anderer, als gerechter empfundener Konsumpunkt erreicht werden?

• Ein übergeordneter sozialer Planer könnte den Haushalten die zu diesem Punkt ge-hörenden Gütermengen zuteilen.

• Denkbar ist jedoch auch, daß lediglich die Anfangsausstattungen der Individuen so umverteilt werden, daß der anschließend ablaufende Tauschprozeß gerade den ge-sellschaftlich präferierten Konsumpunkt liefert. Dieser ist nach unseren vorherigen Überlegungen wiederum ein Pareto-Optimum.

Ein wichtiges Resultat deutet sich an dieser Stelle an: Allokation und Verteilung, d.h. Effizienz und Gerechtigkeit sind bei idealen Märkten trennbar. Jedes Pareto-Optimum kann dezentral als Marktgleichgewicht realisiert werden, wenn die Anfangsausstattun-gen geeignet umverteilt werden. Verzichtbar ist für die Erreichung eines als gerecht empfundenen Zustandes der allmächtige Planer, der die gesamte Ökonomie zentralver-waltungswirtschaftlich organisiert. Mit dem folgenden detaillierteren Modell läßt sich dieser Gedankengang noch klarer herausarbeiten.

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2.2.1.4 Paretoeffizienz in einer Volkswirtschaft mit Produktion

Wir wollen nun die Analyse insofern realistischer machen, als wir die Produktion und damit die effiziente Verwendung von Produktionsfaktoren mitberücksichtigen. Wir ge-hen von einer Volkswirtschaft aus, in der zwei Güter mir Hilfe von zwei Produktions-faktoren (z.B. Arbeit und Kapital) hergestellt werden. Die Faktoren sind homogen und werden unelastisch in den Mengen v1 und v2 angeboten (d.h. eine Änderung der Faktor-preise führt nicht zu einer Veränderung des gesamten Faktorangebots).

Die Produktionsmöglichkeiten sind durch zwei Produktionsfunktionen mit konstanten Skalenerträgen charakterisiert:

( ) ( )x F v v x F v v11

11

21

22

12

22= =, , ,

Superskripte bei den Faktoren vk bezeichnet das Gut j, für dessen Produktion Faktor k eingesetzt wird. Zur Produktion jedes Gutes ist also der Einsatz beider Faktoren not-wendig.

Wir gehen von einer Vielzahl von Konsumenten aus, denen die Faktoren gehören und die ihr Einkommen über den Verkauf der Faktorleistungen erzielen. Dieses Einkommen benutzen sie dann, um die beiden Güter zu kaufen. Ihre Konsumentscheidung treffen sie auf Basis der ordinalen Nutzenfunktionen

( )u U x xii i i= 1 2, ,

wobei Superskripte bei den Konsummengen xj den Konsumenten i bezeichnen, der die betrachtete Menge konsumiert - damit ergeben sich wie bei der Analyse der Tausch-wirtschaft Indifferenzkurven im Güterraum.

In diesem Modell werden die verschiedenen Märkte einer Volkswirtschaft im Zusam-menhang betrachtet (die Analyse kann im Prinzip auf eine beliebige Anzahl von Gütern und Faktoren erweitert werden, eine graphische Darstellung ist jedoch dann nicht mehr möglich): Wenn der Preis eines Faktors ansteigt, so erzielen die Faktoreigner ein höhe-res Einkommen und werden von (zumindest) einem Gut mehr nachfragen. Dies wieder-um führt zu einer Erhöhung der Nachfrage nach den Produktionsfaktoren, die für dieses Gut benötigt werden, und wirkt somit auf die Faktormärkte zurück. Die neuen Gleich-gewichtspreise und -mengen müssen somit simultan (d.h. im Rahmen einer Totalanaly-se) bestimmt werden.

Um dieses Problem graphisch zu lösen, betrachten wir zunächst die Bedingungen für eine effiziente Produktion. Im folgenden Schaubild (Folie 41) sind in einer Box Iso-quanten für beide Sektoren angetragen - analog zur Indifferenzkurve gibt eine Isoquante alle Faktoreinsatzkombinationen an, mit denen eine bestimmte Absatzmenge produziert

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

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werden kann. Die Größe der Box ergibt sich aus den insgesamt verfügbaren Faktormen-gen v1 und v2.

O1

O2

v21

Produktionvon x1

v22

v12

v11

Produktionvon x2

x1 = 600

x2 = 200

x1 = 200

x1 = 400x2 = 550

x2 = 400

Produktion in der Edgworth-Box: zwei Güter, zwei Produktionsfaktoren

O1

O2

v21

Produktionvon x1

v22

v12

v11

Produktionvon x2

x1 = 600

x2 = 200

x1 = 200

x1 = 400x2 = 550

x2 = 400

Produktion in der Edgworth-Box: zwei Güter, zwei Produktionsfaktoren

# 41

Aus den Tangentialpunkten der Isoquanten resultiert eine Menge von (technisch) effizi-enten Produktionspunkten. Dies sind Outputkombinationen ( )x x1 2, , bei denen die Fak-toren so auf die beiden Sektoren verteilt sind, daß es nicht mehr möglich ist, die Pro-duktion eines Sektors zu erhöhen, ohne die Produktion im anderen Sektor reduzieren zu müssen. Man erkennt eine erste Effizienzbedingung: Es muß zum Ausgleich der Grenz-raten der (technischen) Substitution (TRS – technological rate of substitution) in der Produktion kommen, d.h.

1 2 1 2

1 21 22 2

1 21 1

TRS TRSv v v vdv dvdv dv

= = = .

Bei vollkommenem Wettbewerb auf den Faktormärkten wird technisch effizient produ-ziert: In diesem Fall werden die Faktorpreise (Lohnsatz w und Zins r) in beiden Produk-tionssektoren identisch sein (sonst ergäbe sich eine Abwanderung in den Sektor, in dem höhere Faktorpreise erzielt werden können). Die Unternehmen minimieren die Kosten, wenn sie bei gegebenen Faktorpreisen die Kombination der beiden Faktoren so wählen, daß das Verhältnis der Grenzprodukte der Faktoren den Faktorpreisen entspricht. Das Verhältnis der Grenzprodukte der beiden Faktoren ist aber gerade gleich der Grenzrate der technischen Substitution zwischen den beiden Faktoren. Somit ist sichergestellt, daß das Wettbewerbsgleichgewicht technisch effizient ist.

In einem nächsten Schritt werden die zu den Isoquanten gehörenden Produktions-mengen in ein ( )x x1 2, -Schaubild übertragen (man beachte dazu, daß aufgrund der An-nahme konstanter Skalenerträge die Isoquantenabstände interpretierbar sind). Es ergibt sich eine Transformationskurve (Produktionsmöglichkeitenkurve), die die Menge der (technisch) effizienten ( )x x1 2, -Kombinationen abbildet (Folie 42).

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

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x1

x2

C

MRS = MRT

Produktionsmöglichkeitenkurve

Indifferenzkurve

Pareto-Effizienz bei Konsum und Produktion

x1

x2

C

MRS = MRT

Produktionsmöglichkeitenkurve

Indifferenzkurve

Pareto-Effizienz bei Konsum und Produktion

# 42

Die Steigung dieser Transformationskurve mißt die Grenzrate der Transformation (mar-ginal rate of transformation) 2 1MRT dx dx= − (dabei ist unterstellt, daß eine optimale Reallokation der Faktoren im Hintergrund stattfindet). Die Produktionsmöglichkeiten-kurve verläuft fallend, weil bei technisch effizienter Produktion nur dann mehr von ei-nem Gut hergestellt werden kann, wenn dafür auf einen Teil der Produktion des anderen Gutes verzichtet wird. Die Produktionsmöglichkeitenkurve ist konkav (nach außen ge-wölbt), weil die Produktivität der einzelnen Faktoren sich zwischen den Sektoren unter-scheidet und somit die weitgehende Spezialisierung auf ein Gut bedingt, daß auch der weniger produktive Faktor in großem Umfang eingesetzt werden muß. Die Grenzrate der Transformation kann auch auf Basis der Produktionskosten bestimmt werden. Sie ergibt sich dann als Verhältnis der Grenzkosten der beiden Güter:

1 2 1 2MRT MC MCx x x x=

Es handelt sich also um eine Anwendung des Opportunitätskostenprinzips: Wieviel vom einen Gut muß aufgegeben werden, um eine Einheit des anderen Gutes zu erhalten?

Damit insgesamt ein effizientes Ergebnis erzielt wird, muß zusätzlich zur technischen Effizienz auch die Effizienz im Konsum erfüllt sein, d.h. die produzierte Gütermengen-kombination muß der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten entsprechen. Diese Zah-lungsbereitschaft wird durch die Grenzrate der Substitution determiniert, die im Tauschgleichgewicht auf den Gütermärkten für alle Konsumenten identisch ist. Wir erhalten damit als zusammengefaßtes Effizienzkriterium von Produktion und Konsum:

1 2 1 2

12 2 211 1 1

MRS MRTn

x x x xndx dx dxdx dx dx

= = = = =

Dieses Effizienzkriterium ist in Folie 42 graphisch verdeutlicht, wobei beispielhaft die Indifferenzkurve eines Konsumenten herangezogen wurde. Punkt C stellt den einzigen

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Punkt auf der Produktionsmöglichkeitenkurve dar, der den Nutzen der Konsumenten maximiert - die anderen Punkte sind nur technisch effizient.

Ein sozialer Planer, der diesen pareto-optimalen Punkt C realisieren will, müßte nicht nur die Produktionsfunktionen für alle Güter kennen, sondern auch die Präferenzord-nung jedes einzelnen Konsumenten. Außerdem müßte er jeden Konsumenten explizit anweisen, wo er seine Produktionsfaktoren zur Verfügung stellen soll und im anschlie-ßend die Güter zum Konsum zuteilen. Diese Aufgabe verursacht derart hohe Informati-ons- und Logistikkosten, daß sie unter realistischen Bedingungen nicht lösbar ist - die praktischen Probleme mit der Planwirtschaft verdeutlichen dies.

Es läßt sich jedoch zeigen, daß das Pareto-Optimum über eine Marktwirtschaft mit voll-ständigem Wettbewerb realisiert werden kann - in diesem Fall muß jeder Konsument nur die eigenen Präferenzen und die Marktpreise kennen und jedes Unternehmen die eigene Produktionstechnologie und die Marktpreise: Bei vollkommenem Wettbewerb wird jeder Konsument sein Einkommen so auf die beiden Güter aufteilen, daß die Grenzrate der Substitution dem umgekehrten Faktorpreisverhältnis entspricht:

1 2 1 2MRSx x p p=

Gleichzeitig wird jedes gewinnmaximierende Unternehmen seine Outputentscheidung gemäß der Regel „Preis gleich Grenzkosten“ treffen ( MCi ip = ). Da die Grenzrate der Transformation dem Verhältnis der Grenzkosten entspricht ergibt sich:

1

1 2 1 2

2

1

2

MCMRT MRS

MCx

x x x xx

pp

= = =

Die Überlegung zur Effizienz des Marktsystems wird nun anhand von Folie 43 auch graphisch verdeutlicht.

x1

x2

C

A

B

U*

U0

p1*/p2

*p10/p2

0

x2*

x2N

x1A x1

* x1N

x2A

Vollständiger Wettbewerb führt zu Pareto-Optimum

x1

x2

C

A

B

U*

U0

p1*/p2

*p10/p2

0

x2*

x2N

x1A x1

* x1N

x2A

Vollständiger Wettbewerb führt zu Pareto-Optimum

# 43

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Angenommen es ergäbe sich ursprünglich ein Relativpreis in Höhe von p1°/p2°. Wenn die Unternehmen effizient produzieren und versuchen ihre Gewinne zu maximieren, so werden sie in Punkt A produzieren. Die Konsumenten werden ihrerseits in Punkt B kon-sumieren, wenn sie sich dieser Preisgerade als Budgetbedingung gegenübersehen. Dies führt jedoch zu einem Nachfrageüberschuß in Höhe von x1

N - x1A bei Gut 1 und zu ei-

nem Angebotsüberschuß in Höhe von x2A - x2

N bei Gut 2. Die Preise werden sich dann anpassen - der Preis von Gut 1 wird steigen und der Preis von Gut 2 wird sinken. Ein Gleichgewicht wird sich schließlich zum Preisverhältnis p1*/p2* einstellen, wo das An-gebot an beiden Gütern der Nachfrage nach diesen Gütern entspricht. In diesem Gleich-gewicht (Punkt C) entspricht die Grenzrate der Transformation der Grenzrate der Sub-stitution und wir haben somit einen effizienten Punkt erreicht.

Wie wir gesehen haben, liefert ein Marktsystem bei vollkommenem Wettbewerb eine pareto-optimale Allokation - dies Aussage wird auch als „Erstes Wohlfahrtstheorem“ bezeichnet. Der resultierende Zustand kann jedoch unter distributiven Gesichtspunkten unerwünscht sein. Es läßt sich jedoch zeigen, daß jede beliebige pareto-optimale Allo-kation durch eine geeignete Umverteilung der Anfangsausstattungen dezentral erreicht werden („Zweites Wohlfahrtstheorem“). Effizienz und Verteilung sind somit bei idealen Märkten trennbar: Eine Intervention in die Märkte aus Verteilungsüberlegungen heraus ist nicht notwendig - es genügt die Anfangsausstattungen umzuverteilen („Start-gerechtigkeit“).

In der Außenwirtschaftslehre wird häufig ein allgemeines Gleichgewichtsmodell zug-rundegelegt, um die Auswirkungen handelspolitischer Maßnahmen auf die Wohlfahrt eines Landes zu analysieren. Da in diesem Fall Güter nicht nur über Produktion, son-dern auch über Außenhandel erlangt werden können, müssen sich die Konsum- und Produktionsmengen in der Volkswirtschaft nicht mehr entsprechen. Im folgenden Ab-schnitt werden nun ausgehend von den Ergebnissen der Marktwirtschaft bei vollkom-menem Wettbewerb mögliche Begründungen wirtschaftspolitischer Eingriffe in prinzi-piell marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften thematisiert

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2.3 Markversagen und Wirtschaftspolitik

Im weiteren werden drei Arten von Begründungen der Wirtschaftspolitik unterschieden:

• Wenn die Bedingungen für vollkommenen Wettbewerb nicht erfüllt sind, erzeugt der Marktmechanismus keinen pareto-optimalen Zustand und durch geeignete wirt-schaftspolitische Maßnahmen kann eine Pareto-Verbesserung realisiert werden („al-lokatives Markversagen“).

• Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Ergebnis des Marktpro-zesses unter Verteilungsgesichtspunkten unerwünscht sein („distributives Marktver-sagen“).

• Sind in der Realität Preise zumindest kurzfristig starr, so ergibt sich daraus eine weiterer Ansatzpunkt für wirtschaftspolitische Interventionen („konjunkturelles Marktversagen“).

2.3.1 Allokatives Marktversagen

Im folgenden wird gezeigt, daß bei einer Verletzung der Annahmen der vollständigen Konkurrenz die allokative Effizienz des Marktmechanismus nicht mehr sichergestellt ist. Dieses allokative Marktversagen stellt eine zentrale Begründung der Wirtschaftspo-litik dar und wird darum im weiteren etwas ausführlicher angesprochen.

2.3.1.1 Marktmacht

In der Realität gibt es viele Märkte mit unvollkommenem Wettbewerb, d.h. die Unter-nehmen können die Preise beeinflussen. Dies kann daran liegen, daß nur wenige Anbie-ter (Oligopol) vorhanden sind, oder daß differenzierte Produkte (monopolistische Kon-kurrenz) hergestellt werden. Der Extremfall unvollkommenen Wettbewerbs ist das Mo-nopol, bei dem auf einem Markt nur ein einziges Unternehmen aktiv ist. Monopole können sich sowohl durch die Kostenstruktur (natürliches Monopol - näheres siehe un-ten), als auch durch Markteintrittsbarrieren (z.B. Patente, staatliche Konzessionierung etc.) ergeben. Im Monopolfall resultiert im Vergleich zum vollkommenen Wettbewerb eine geringere Gütermenge, die zu einem höheren Preis abgesetzt wird. Wie in Folie 46 deutlich wird, kommt es durch Monopole gegenüber der Situation bei vollkommenem Wettbewerb sowohl zu einer Umverteilung als auch zu einem Effizienzverlust.

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MR

p

x

MCD

xWxM

pW

pMEffizienzverlust

("deadweight-loss")

Umverteilungzum Anbieter

MR

p

x

MCD

xWxM

pW

pMEffizienzverlust

("deadweight-loss")

Umverteilungzum Anbieter

# 46

Dabei ist die Umverteilung von den Konsumenten zum Produzenten von geringerer Bedeutung: Theoretisch kann dieser Gewinn einfach durch eine Steuer abgeschöpft und wieder den Konsumenten zugeleitet werden. Problematisch ist jedoch der Rückgang des sozialen Überschusses, also die Entstehung allokativer Ineffizienz: Die Produktions-menge des betrachteten Gutes sinkt unter die volkswirtschaftlich optimale Menge ab - im Bereich zwischen xM und xW liegt die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten über den Grenzkosten des Monopolisten. Es entsteht ein sogenannter deadweight-loss, der selbst bei vollständiger Abschöpfung des Monopolgewinns nicht vermieden werden kann. Zumindest im einfachen Monopolmodell wird dieses (suboptimale) Outputniveau jedoch auch durch einen Monopolisten technisch effizient produziert: Da er an einer Maximierung seines Gewinnes interessiert ist, werden die Produktionsfaktoren optimal eingesetzt. In der Realität zeigt sich jedoch häufig, daß bei Monopolen aufgrund fehlen-den Wettbewerbsdrucks langfristig auch die Kosteneffizienz leidet („X-Ineffizienz“).

Im Rahmen der staatlichen Regulierung spielen sogenannte „natürliche Monopole“ eine zentrale Rolle (z.B. bei der leitungsgebundenen Energieversorgung). In diesem Fall ist aufgrund der Kosten- und Nachfragestruktur die Produktion durch ein einziges Unter-nehmen am kostengünstigsten. Die Existenz des Monopols muß dann akzeptiert wer-den, durch staatliche Regulierung versucht man jedoch die negativen Effizienzeffekte möglichst zu vermeiden . Oligopolmärkte ergeben sich ebenso wie Monopolmärkte häu-fig aufgrund der Kostenstruktur: Die mindestoptimale Betriebsgröße (Grenzkosten sin-ken nicht mehr) ist im Verhältnis zur Nachfrage so groß, daß nur einige wenige Unter-nehmen kosteneffizient produzieren können. Solche Oligopolmärkte sind dadurch ge-kennzeichnet, daß sich die Unternehmen der zwischen ihnen bestehenden Interdepen-denz bewußt sind. In Oligopolmärkten (z.B. Kraftfahrzeugbau, Stahlindustrie) versucht der Staat durch Wettbewerbspolitik zu verhindern, daß die Oligopolisten durch Kartelle eine Quasi-Monopolstellung erlangen bzw. durch Fusionen einzelne Unternehmen mit zu großer Marktmacht entstehen.

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Da natürliche Monopole, Wettbewerb auf Oligopolmärkten und die sich daraus erge-benden wirtschaftspolitischen Implikationen in der Veranstaltung „Mikroökonomie II: Allokationstheorie und Wettbewerbpolitik“ ausführlich behandelt werden, soll an dieser Stelle auf diesen Themenkomplex nicht weiter eingegangen werden.

2.3.1.2 Öffentliche Güter

Nicht alle Güter werden vom Markt bereitgestellt. Folie 47 zählt einige wichtige Bei-spiele auf: Landesverteidigung und innere Sicherheit, Verkehrs- und Bildungsinfra-struktur, Kulturgüter, Grundlagenforschung. In diesen Fällen sorgt der öffentliche Sek-tor für die Bereitstellung, wobei dies jedoch nicht automatisch Eigenproduktion bedeu-tet, sondern nur die Finanzierung aus allgemeinen Steuermitteln: Die Güter können auch durch Vergabe von Aufträgen an private Unternehmen bereitgestellt werden.

Wir wollen nun der Frage nachgehen, warum diese Güter bei rein marktwirtschaftlicher Koordination überhaupt nicht oder zumindest nicht im gewünschten Umfang hergestellt werden. Im Normalfall der Marktkoordination geht man davon aus, daß sie über Pro-duktion und Austausch sogenannter privater Güter erfolgt. Für diese gelten zwei Prinzi-pien, das Ausschlußprinzip und die Rivalität im Verbrauch.

• Unter dem Ausschlussprinzip versteht man den Sachverhalt, daß Individuen von der Nutzung eines Gutes ausgeschlossen werden können, die hierfür keinen Preis oder Beitrag entrichtet haben. Das Ausschlußprinzip findet bei privaten Gütern (z.B. Nah-rungsmittel) problemlos Anwendung, da jeder Nachfrager, der den Marktpreis nicht entrichtet, von der Nutzung des Gutes durch Nicht-Belieferung ausgeschlossen wird.

• Unter Rivalität versteht man, daß nicht mehrere Wirtschaftssubjekte ein Gut nützen können, ohne daß ihr Grenznutzen im Vergleich zur Situation individueller Nutzung sinkt. Dies ist bei einem privaten Gut wie z.B. Nahrungsmitteln ebenfalls gegeben: Durch den Konsum geht das Gut unter und kann nicht mehr durch andere Konsu-menten genutzt werden.

Im folgenden wird begründet, daß insbesondere die Gültigkeit des Ausschlußprinzips Voraussetzung einer normalen Marktkoordination ist. Wenn es nicht gilt, kommen auch Nichtzahler in den Genuß eines bestimmten Gutes, z.B. alle Anwohner eines Gebietes in den Genuß eines Hochwasserschutzes. Auch wenn diese ökonomische Transaktion (Errichtung des Schutzes) insgesamt vorteilhaft ist (Gesamtnutzen größer als Kosten), kommt er rein marktmäßig vermutlich nicht zustande: Wenn die Anwohner individuell rational handeln, gehen sie davon aus, daß ihr Beitrag für die Errichtung des Hochwas-

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serschutzes letztendlich nicht entscheidend ist, und sie sich somit besserstellen, wenn sie nicht dafür bezahlen. Dies gilt insbesondere bei einer Vielzahl von Betroffenen. Bei individuell rationalem Verhalten aller Individuen kommt der Hochwasserschutz dann aufgrund dieses „Trittbrettfahrer“-Problems trotz ökonomischer Vorteile nicht zustande.

Das zugrundeliegende Trittbrettfahrer- oder „Free-Rider“-Problem kann bereits im Zwei-Personen-Fall verdeutlicht werden: Angenommen in einer ländlichen Gegend müßte zum Schutz vor Hochwasser ein Damm errichtet werden, der zwei Bauernhöfen zugute käme. Der Nutzen eines solchen Damms betrage für jeden Bauer 110 GE, die Gesamtkosten des Dammes 120 GE. Bei privater Bereitstellung besteht nun das Prob-lem, daß keiner der Bauern einen ausreichenden Anreiz hat, alleine den Damm zu er-richten, obwohl der Gesamtnutzen (220 GE) die Gesamtkosten (120 GE) übersteigt. Folie 48 veranschaulicht die Situation anhand einer Auszahlungsmatrix: Jeder Bauer kann entweder einen Beitrag zum Damm leisten oder darauf verzichten. Beteiligen sich beide Bauern, so trägt jeder die Hälfte der Gesamtkosten (also 60 GE); beteiligt sich nur einer, so muß er die gesamten Kosten tragen. Die Aktion „kein Beitrag“ stellt dann eine dominante Strategie dar - unabhängig von der Entscheidung des anderen wird dadurch ein höherer Nettonutzen (Nutzen abzüglich Kostenanteil) realisiert.

Person A

Person B

Beitrag

kein Beitrag

Beitrag kein Beitrag

(50,50) (-10,110)

(110,-10) (0,0)

Person A

Person B

Beitrag

kein Beitrag

Beitrag kein Beitrag

(50,50) (-10,110)

(110,-10) (0,0)

Kosten Gesamtprojekt: 120 Nutzen je Person: 110

# 48

Bei zwei Personen und bekannten Nutzen läßt sich dieses Problem vermutlich noch durch einen privatrechtlichen Vertrag lösen. Dies dürfte jedoch nicht mehr praktikabel sein, wenn es sich z.B. um den Hochwasserschutz für eine ganze Stadt handelt. Bei Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips werden dann gesamtwirtschaftlich vorteil-hafte Projekte möglicherweise nicht realisiert.

Nicht ganz so problematisch ist fehlende Rivalität im Konsum, z.B. bei Nutzung einer nur wenig befahrenen Straße. Wenn das Ausschlußprinzip anwendbar ist, könnte eine Person das Nutzungsrecht für die Straße erwerben und anderen Personen die Nutzung nur gegen Bezahlung einer entsprechenden Gebühr erlauben. Hier wird das Gut zwar

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bereitgestellt, jedoch nicht unbedingt effizient: Zum einen führt die Monopolstellung des Inhabers des Nutzungsrechts zu den im letzten Abschnitt diskutierten allokativen Verzerrungen. Zum anderen treten häufig relativ hohe Ausschlußkosten (im konkreten Fall durch die notwendigen Mautstellen) auf. Eine staatliche Bereitstellung könnte diese Probleme vermeiden.

Die politischen Folgen öffentlicher Güter unterscheiden sich, je nachdem ob beide oder nur eines der Prinzipien verletzt ist. Aus diesem Grund sollen die öffentlichen Güter nun entsprechend dieser Prinzipien folgendermaßen klassifiziert werden (vgl. Folie 49):

Ausschluss möglich?

Rivalität

ja

nein

ja nein

privates Gut

öffentliches Gut

Allmendegut

Clubgut(reines)

Ausschluss möglich?

Rivalität

ja

nein

ja nein

privates Gut

öffentliches Gut

Allmendegut

Clubgut(reines)

Klassifikationsschema

#49

• Private Güter liegen dann vor, wenn sowohl das Ausschlußprinzip wie auch die Ri-valität im Verbrauch gilt (Beispiel: Nahrungsmittel, Wohnung).

• Als reine öffentliche Güter werden solche bezeichnet, bei denen weder das Aus-schlußprinzip noch die Rivalität im Verbrauch gegeben ist. Ein Beispiel hierfür ist die bereits erwähnte äußere Sicherheit. Diese wird mit entsprechendem Personal, Militärgütern etc. erzeugt und kann von jedem Einwohner eines Staates ohne Beein-trächtigung der anderen genutzt werden. Ein Ausschluß von der Nutzung ist (außer durch Verbannung aus dem Staatsgebiet) auch dann nicht möglich, wenn ein Ein-wohner dafür keinen Beitrag leistet. Andere Beispiele für reine öffentliche Güter sind innere Sicherheit und öffentliche Kunstdenkmäler.

• Von Allmendegütern spricht man, wenn Rivalität der Nutzung besteht, ein Ausschluß jedoch nicht oder nur zu unangemessen hohen Kosten möglich ist. Als Beispiel dafür werden häufig Innenstadtstraßen genannt.

• Die vierte denkbare Kombination, ein sogenanntes Clubgut (teilweise auch „Maut-gut“ genannt), liegt vor, wenn der Ausschluß zwar möglich ist, jedoch keine Rivalität im Konsum besteht. Dieser Sachverhalt gilt z.B. für Autobahnen innerhalb der Kapa-

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zitätsgrenze: Solange die Autobahn nicht überfüllt ist, verringert die Zulassung eines weiteren Nutzers nicht den Nutzen der bereits vorhandenen. Mautstellen an den Au-tobahneinfahrten ermöglichen zudem den Ausschluß zu vertretbaren Kosten.

Die wirtschaftspolitischen Folgen der Existenz dieser verschiedenen Varianten von öf-fentlichen Gütern werden im Rahmen der finanzwissenschaftlichen Veranstaltungen ausführlich behandelt. An dieser Stelle sollen darum nur einige grundlegenden Aspekte angesprochen werden.

• Im Falle des reinen öffentlichen Gutes erscheint es vorteilhaft, daß der Staat die Bereitstellung (nicht notwendigerweise die Produktion) des öffentlichen Gutes ü-bernimmt. Die Ausgaben müssen aufgrund der mangelnden Zahlungsbereitschaft durch Pflichtbeiträge der Nutznießer aufgebracht werden: Entweder deckt der Staat das Defizit aus allgemeinen Steuermitteln oder von den Nutznießern wird ein Bei-trag erhoben, der sich an der Intensität der Nutzung der vom Staat bereitgestellten Dienstleistung orientiert. Insbesondere bei regional begrenzten Gütern können auch spezielle Institutionen geschaffen werden, bei denen die direkt Betroffenen über das Angebot des öffentlichen Gutes mitentscheiden und so ihre Präferenzen ein-bringen können: So schließen sich auf kommunaler Ebene häufig mehrere Gemein-den zu Zweckverbänden (Abwasser, Abfall, Krankenhaus) zusammen, die dann entsprechende Dienstleistung erbringen.

• Bei Clubgütern bieten sich als Alternative zur staatlichen Bereitstellung auch ande-re Koordinationsverfahren an. Da hier das Ausschlußprinzip angewendet werden kann, ist prinzipiell auch die Güterbereitstellung (und nicht nur die Produktion) durch einen privaten Anbieter durchführbar. In der gegenwärtigen Verkehrspolitik wird z.B. die Frage diskutiert, ob die Vergabe von Lizenzen an Private zum Betrei-ben einer Mautautobahn Vorteile gegenüber dem bisherigen Verfahren (Finanzie-rung aus allgemeinen Steuermitteln) aufweist. Zur Umsetzung besteht beispielswei-se die Möglichkeit der Versteigerung: den Zuschlag erhält derjenige Anbieter, der die geringste Mautgebühr erhebt.

• Im Fall des Allmendegutes besteht die Gefahr übermäßiger Nutzung. Dieses Prob-lem läßt sich auch durch staatliche Bereitstellung nicht lösen. Die Nutzung von In-nenstadtstraßen war als ein Beispiel genannt worden, der durch CO2 verursachte Treibhauseffekt stellt ein anderes dar. Die Lösung des CO2-Problem wird dadurch zusätzlich erschwert, daß es keine supranationale Regierung mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten gibt. Zwar versucht man durch internationale Abkommen (analog zum privaten Vertrag beim Dammbau) die Abgabe von Treibhausgasen in die Atmosphäre zu regeln, bei der Vielzahl der (potentiellen) Vertragspartner

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kommt es hier jedoch zwangsläufig zu Trittbrettfahrer-Verhalten. Die dynamische Struktur von Nutzen und Kosten erhöht die Schwierigkeiten noch: Während die Kosten einer Verringerung der CO2-Emissionen sofort anfallen, wird der (unsiche-re) Nutzen durch die Verhinderung von Klimaänderungen erst in relativ ferner Zu-kunft realisiert. Bei der Nutzung der Innenstadtstraßen zeigt sich ein anderer dyna-mischer Effekt: Durch technologische Entwicklungen wird in Zukunft der Ausschluß möglicherweise praktikabel - aus dem Allmendegut wird dann ein priva-tes Gut.

2.3.1.3 Externe Effekte

Ein positiver (negativer) externer Effekt liegt dann vor, wenn bei der Produktion bzw. beim Konsum eines Gutes für andere Wirtschaftssubjekte Nutzen (Kosten) verursacht werden, ohne daß diese durch die Verursacher abgegolten werden. Beispiel für einen positiven externen Effekt ist die Grundlagenforschung, für einen negativen die Um-weltverschmutzung. Kosten bzw. Nutzen werden hier nicht über den Markt abgegolten; dadurch ergibt sich ein ineffizientes Verhalten der Verursacher externer Effekte. So werden z.B. im Falle der Umweltverschmutzung die negativen Auswirkungen auf ande-re Personen vom Umweltverschmutzer nicht berücksichtigt. Es wird aus diesem Grund zu viel von dem umweltverschmutzenden Gut produziert bzw. konsumiert.

Bei externen Effekten fallen die privaten und externen Nutzen bzw. Kosten auseinan-der. Im folgenden werden Beispiele für die verschiedenen Arten externer Effekte gege-ben und die jeweiligen Auswirkungen auf die Allokation werden im Marktdiagramm in Folie 50 verdeutlicht.

p

x

Dp

Ss+

Sp

Ds– Ds

+

Ss–

Indizes:

p = private Nutzen/Kosten

s = soziale Nutzen/Kosten

+ = positiver externer Effekt

– = negativer externer Effekt

p

x

Dp

Ss+

Sp

Ds– Ds

+

Ss–

Indizes:

p = private Nutzen/Kosten

s = soziale Nutzen/Kosten

+ = positiver externer Effekt

– = negativer externer Effekt

# 50

Negative externe Effekte bei der Produktion ergeben sich z.B. durch Abgase bei der Stromproduktion in Kohlekraftwerken (SS-). Es wird dann zuviel produziert, weil die Unternehmen nur die privaten Kosten tragen müssen.

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Ein Beispiel für negative externe Effekte beim Konsum stellen die Abgase beim Auto-fahren dar (DS-). Die negativen Auswirkungen der Emissionen werden im Nutzenkalkül nicht berücksichtigt; das Konsumniveau ist deshalb zu hoch.

Positive externe Effekte bei der Produktion treten z.B. im Bereich der Grundlagenfor-schung auf (SS

+). Die Forschungsanreize sind hier zu gering, da auch andere Forscher und Unternehmen von grundlegenden Innovationen profitieren („Spillover-Effekte“).

Positive externe Effekte beim Konsum können z.B. beim Besuch eines Fußball- oder Eishockeyspiels auftreten: Wenn mehr Fans kommen, steigt die Stimmung und der Nut-zen jedes einzelnen Zuschauers erhöht sich (DS

+).

Wie wir gesehen haben, ist die Konsequenz externer Effekte das Auseinanderfallen der gesellschaftlich effizienten Lösung und der Marktlösung. Das Beispiel der Umweltver-schmutzung bei der Produktion in Folie 51 soll nun herangezogen werden, um zum ei-nen die Auswirkung des externen Effekts nochmals im Detail zu untersuchen und zum anderen Vor- und Nachteile verschiedener staatlicher und privater Lösungsansätze auf-zuzeigen.

p

x

D

xs x*

ps

p*

EffizienteLösung

Marktlösung

MCs-

MCp

p

x

D

xs x*

ps

p*

EffizienteLösung

Marktlösung

MCs-

MCp

# 51

Der Produzent berücksichtigt hier nicht alle relevanten Kosten (z.B. geringerer Fische-reiertrag wegen Wasserverschmutzung) - dies würde auf MCS- führen, sondern nur die-jenigen von Inputfaktoren, für die er bezahlen muß (z.B. Kosten für Brennmittel). Er orientiert sich darum bei seiner Absatzentscheidung an MCP und als Marktlösung resul-tiert folglich (p*, x*). Effizient wäre jedoch die Lösung im Schnittpunkt zwischen den sozialen Grenzkosten MCS- und der Nachfragekurve: Bei Produktion von xs entspricht der Grenznutzen des Konsums gerade den sozialen Grenzkosten der Produktion. Im Ergebnis wird bei einer reinen Marktlösung zuviel produziert.

Welche Möglichkeiten gibt es zur Lösung des Externalitätenproblems? Solange die Ex-ternalität nur einen oder einige wenige andere Wirtschaftssubjekte betrifft, kann durch

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rein private Lösungen prinzipiell eine effiziente Lösung erreicht werden (Voraussetzung hierfür ist allerdings die klare Zuordnung von Eigentumsrechten - vgl. die Diskussion in 2.1). Alternativ lässt sich die gesellschaftlich optimale Produktion durch geeignete wirt-schaftspolitische Maßnahmen realisieren.

Zur Diskussion der privaten Lösung soll das Beispiel nun etwas konkretisiert werden: Angenommen eine an einem Fluß gelegene Papierfabrik läßt in der Ausgangssituation ihr Abwasser ungeklärt abfließen. Dadurch ergeben sich geringere Erträge für die Fi-scher an diesem Fluß. Der Bau einer Kläranlage durch die Papierfabrik kostet € 500.000; durch die geringere Wasserverschmutzung würde der Fischereiertrag um € 550.000 ansteigen - der Bau der Kläranlage wäre also gesamtwirtschaftlich vorteil-haft. Die Eigner der Papierfabrik haben jedoch keinen Anreiz die Kosten aufzuwenden, da sie die Erträge durch Fischerei nicht selbst realisieren.

Eine, allerdings in den wenigsten Fällen praktikable, Lösung ist die Fusion zwischen Schädiger und Geschädigten: Wenn die Fischer gleichzeitig Eigner der Papierfabrik sind, so haben sie den externen Effekt internalisiert. Das sogenannte Coase-Theorem zeigt jedoch, daß eine Fusion gar nicht nötig ist, sondern bei klar definierten Eigentums-rechten eine effiziente Verhandlungslösung realisiert werden kann. Coase weist in die-sem Zusammenhang darauf hin, daß es gleichgültig ist, ob der Verschmutzer ein Emis-sionsrecht hat oder die Fischer ein Recht auf einen sauberen Fluß (Verhinderungsrecht). Im ersten Fall können die Fischer der Papierfabrik das Recht auf Verunreinigung des Flusses abkaufen: Wenn sie der Papierfabrik z.B. € 525.000 dafür bieten, so ist diese zum Bau der Kläranlage bereit - für jede Vertragspartei ergibt sich dann eine Nutzen-zuwachs in Höhe von € 25.000. Wenn umgekehrt die Fischer ein Recht auf einen saube-ren Fluß haben, so wäre die Papierfabrik bereit, maximal € 500.000 für das Verschmut-zungsrecht zu bezahlen; dieser Preis ist jedoch für die Fischer unattraktiv und die Pa-pierfabrik ist gezwungen, eine Kläranlage zu bauen. In beiden Fällen wird also das effi-ziente Ergebnis (Bau der Kläranlage) erreicht. Die Zuordnung der Nutzungsrechte für den Fluß ist somit für die allokative Entscheidung ohne Bedeutung, hat allerdings Ver-teilungswirkungen: Im ersten Fall bezahlen die Fischer die Kläranlage, im zweiten muß die Papierfabrik die Kosten tragen.

Bei Gültigkeit des Coase-Theorems hätte der Staat also lediglich die Aufgabe, die Um-weltnutzungsrechte zu definieren und durch die Rechtsordnung deren Transferierbarkeit möglich zu machen. Die Anwendbarkeit des Coase-Theorems ist jedoch an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft, die in der Realität häufig nicht gegeben sein dürften. Auf drei Probleme soll in diesem Zusammenhang hingewiesen werden:

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• Es dürfen keine Transaktionskosten anfallen. Wenn zum Abschluß eines gültigen Vertrags Transaktionskosten (z.B. Notargebühren etc.) in Höhe von € 75.000 aufge-wendet werden müssen, ist die Vertragslösung nicht mehr realisierbar, da der Ge-samtvorteil geringer ist als die Transaktionskosten - hat die Papierfabrik ein Emissi-onsrecht, so bleibt die ineffiziente Verschmutzung bestehen.

• Die Kosten bzw. Nutzen der Verhandlungspartner müssen bekannt sein. Bei asym-metrischer Information (vgl. Analyse in 2.3.1.4) ist eine effiziente Verhandlungslö-sung nicht mehr sichergestellt: Jeder der Verhandlungspartner hat einen Anreiz, die eigenen Kosten zu hoch anzugeben, um sich einen möglichst großen Anteil des Ge-samtvorteils (im Beispiel € 50.000) zu sichern.

• Bei mehreren Geschädigten kann es zu einem Trittbrettfahrer-Problem kommen. Die Reduzierung der Verschmutzung hat den Charakter eines öffentliches Gutes: Wenn ein Teil der Fischer durch entsprechende Zahlungen an die Papierfabrik den Bau der Kläranlage finanziert, so profitieren auch die anderen Fischer von der geringeren Verschmutzung. Da sich jeder Fischer als „Nichtzahler“ besserstellt, kommt es mög-licherweise gar nicht erst zu Verhandlungen.

Die Anwendbarkeit des Coase-Theorems dürfte in der Praxis somit häufig nicht gege-ben sein. Alternativ kann der Staat durch eine geeignete Wirtschaftspolitik versuchen, die effiziente Lösung zu implementieren. Am einfachsten erscheint zunächst eine direk-te Vorgabe des gewünschten Verhaltens - z.B. könnte der Bau von Kläranlagen für Pa-pierfabriken vorgeschrieben werden. Wie wir bei der Diskussion der optimalen Mit-teleinsatz in 4.2 noch sehen werden, hat eine solche Auflagenlösung jedoch einige Nachteile. Ökonomen empfehlen darum eher, mit Hilfe einer sogenannten „Pigou-Steuer“ die Differenz zwischen privaten und gesellschaftlichen Grenzkosten auszuglei-chen: Diese Steuer wird so festgelegt, daß die Summe aus privaten Grenzkosten und marginaler Steuerzahlung gerade den sozialen Grenzkosten entspricht. Da somit die externen Effekte vollständig internalisiert werden, wählt das Unternehmen die effiziente Produktionsmenge bzw. eine geeignete Vermeidungstechnologie.

2.3.1.4 Informationsasymmetrien

Die Annahme vollständiger Information ist in der Realität häufig nicht erfüllt. Welche Auswirkungen Informationsasymmetrien auf die Funktion von Märkten haben, wird im folgenden am Beispiel des sogenannten „Lemons-Problems“ auf dem Gebrauchtwa-genmarkt veranschaulicht. Anschließend werden die Probleme, die sich aufgrund von

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Informationsasymmetrien ergeben, und mögliche Lösungsansätze im Überblick darge-stellt. Im Rahmen der Sektorale Wirtschaftspolitik spielen Informationsasymmetrien zur Begründung der Regulierung von Banken und Versicherungen eine wichtige Rolle.

Beispiel: Lemons-Problem auf dem Gebrauchtwagenmarkt (Adverse Selektion)

Dem im weiteren diskutierten Modellbeispiel liegt folgende Idee zugrunde: Angenom-men Sie kaufen ein neues Auto - z.B. einen neuen 3er BMW für € 30.000. Nach zwei Monate bemerken Sie, daß sie eigentlich gar keinen Wagen brauchen, sondern ihr Geld lieber für andere Sachen ausgeben würden. Wieviel bekommen Sie für den gebrauchten Golf? Wenn man davon ausgeht, daß ein Auto im Durchschnitt etwa 10 Jahre alt wird, so sollte der Gebrauchtwagenpreis etwa € 29.500 betragen. In Wirklichkeit können Sie jedoch froh sein, wenn Sie für € 28.000.- einen Käufer finden. Wieso ist das so? Wenn jemand so schnell sein Auto wieder verkauft, dann besteht der begründete Verdacht, daß irgendetwas an dem Wagen faul ist (im Amerikanischen: it is a „lemon“). Dieses Problem besteht allgemein auf dem Gebrauchtwagenmarkt, weil der Verkäufer die Qua-lität des Fahrzeugs besser kennt als der Käufer.

Welche Folgen das hat, soll nun an einem stilisierten Modell verdeutlicht werden. Es gibt auf dem Gebrauchtwagenmarkt „gute“ und „schlechte“ Gebrauchtwagen. Zunächst wird von symmetrischer Information ausgegangen, d.h. die Käufer können gute von schlechten Fahrzeugen unterscheiden. Es gibt dann, wie in der Abbildung auf Folie 52 dargestellt, zwei Märkte: Auf dem Markt für gute Gebrauchtwagen ergibt sich ein Preis pG = 10.000 und auf dem Markt für schlechte Gebrauchtwagen ein Preis pS = 5000, wo-bei jeweils xG = xS = 50.000 Wagen abgesetzt werden.

pG pS

DS

DMS

DM

DG

DS

DMS

DM

50 000 50 000 75 000

5000

25 000

10 000

xSxG

"Gute" Gebrauchtwagen "Schlechte" Gebrauchtwagen

Indizes: G = "gut"S = "schlecht"M = "mittel"

MS = "mittel bis schlecht"

SS

SG

pG pS

DS

DMS

DM

DG

DS

DMS

DM

50 000 50 000 75 000

5000

25 000

10 000

xSxG

"Gute" Gebrauchtwagen "Schlechte" Gebrauchtwagen

Indizes: G = "gut"S = "schlecht"M = "mittel"

MS = "mittel bis schlecht"

SS

SG

# 52

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Realistischer ist die Annahme, daß der Verkäufer die Qualität des Wagens besser beur-teilen kann. Wir wollen als Extremfall asymmetrischer Information annehmen, daß der Käufer die Qualität des Wagens kennt, während der Käufer nur weiß, daß prinzipiell jeweils 50% der Gebrauchtwagen „gut“ bzw. „schlecht“ sind. In beiden Märkten ergibt sich damit die gleiche Nachfragekurve DM: Die Käufer gehen davon aus, daß ein Wagen im Durchschnitt von „mittlerer Qualität“ ist (50% Chance auf einen guten, 50% auf einen schlechten). Da die Anbieter die Qualität des Wagens kennen, gibt es weiterhin zwei Märkte. Auf dem Markt für gute Gebrauchtwagen wird sich jedoch ein niedrigerer Preis ergeben und eine geringere Menge abgesetzt werden (im Beispiel 25.000 Stück), während im Markt für schlechte Gebrauchtwagen gegenüber des Situation mit voll-kommener Information ein höherer Preis und eine höhere Menge (75.000 Stück) resul-tieren. Für die Anbieter schlechter Gebrauchtwagen hat sich durch die asymmetrischen Information die Situation verbessert, während es für Verkäufer guter Gebrauchtwagen weniger attraktiv ist, ihr Fahrzeug zu verkaufen.

Dies ist jedoch nicht die Endsituation: Die Käufer werden nach kurzer Zeit merken, daß 75% statt 50% der Wagen schlecht sind und ihre Nachfrage entsprechend revidieren; als neue Nachfragekurve ergibt sich DMS, weil die Käufer nun davon ausgehen, daß sie im Durchschnitt einen Wagen von „mittlerer bis schlechter“ Qualität erhalten. Dieser Ef-fekt führt dazu, daß jetzt in beiden Märkten weniger abgesetzt wird. Im vorliegenden Fall setzt sich dieser Prozeß fort, bis auf dem Markt nur noch schlechte Wagen angebo-ten werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Adverser Selektion“: Die schlechte Qualität vertreibt die gute vom Markt. Im allgemeinen kommt es nicht unbe-dingt dazu, daß der Markt für gute Qualität zusammenbricht, aber es wird immer weni-ger gehandelt, als bei vollständiger Information.

Informationsasymmetrien - Probleme und Lösungsansätze

Zwei Arten von Informationsasymmetrien lassen sich unterscheiden (vgl. Folie 53):

• Können bestimmte Eigenschaften eines Gutes oder der Transaktionspartners nicht beobachtet werden so liegt ein „Adverse Selection“-Problem vor. Ein Beispiel hier-für ist die private Krankenversicherung: Im allgemeinen kennt der Versicherungs-nehmer sein Krankheitsrisiko, während es der Versicherung unbekannt ist. Bei einer Durchschnittskalkulation durch die Versicherung ist diese dann für die „guten Risi-ken“ möglicherweise nicht mehr attraktiv - es ergibt sich dann das gleiche Problem wie auf dem Gebrauchtwagenmarkt.

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• Kann das Verhalten des Transaktionspartners nicht beobachtet werden, so spricht man von „Moral Hazard“. So kann z.B. eine Versicherung gegen Fahrraddiebstahl das Verhalten des Versicherungsnehmers nach Abschluß des Vertrages nicht oder nur unvollkommen beobachten. Da der Versicherungsnehmer im Schadensfall versi-chert ist, hat er einen geringeren Anreiz mit dem versicherten Objekt sorgfältig um-zugehen (z.B. Fahrrad immer abschließen), als dies ohne Abschluß des Vertrages der Fall wäre.

Wie im Fall des Monopols ergeben sich durch Informationsasymmetrien sowohl Effi-zienz- als auch Verteilungseffekte. Dies soll am Beispiel der „Adverse Selection“ auf dem Gebrauchtwagenmarkt verdeutlicht werden: Kommt es dazu, daß gute Gebraucht-wagen nicht mehr angeboten werden, obwohl bei symmetrischer Information eine kauf-kräftige Nachfrage dafür besteht, so ist das Ergebnis ineffizient. Wird demgegenüber die gute Qualität weiter angeboten, so erzielen die Anbieter der schlechten Qualität eine Informationsrente: Sie können einen höheren Preis erzielen, weil die Käufer davon aus-gehen, daß sie möglicherweise eine gute Qualität erhalten.

Zum Teil können Probleme, die durch asymmetrische Information entstehen, durch Ak-tivitäten der Marktteilnehmer verringert oder sogar eliminiert werden (vgl. Folie 54):

• Für die Markseite mit Information besteht ein Anreiz gute Qualität zu signalisieren („Signalling“). So kann z.B. die Ausbildung (Studium) als Signal für hohe Produk-tivität oder eine Garantie als Signal für gute Qualität eines Produkts dienen. Vor-aussetzung der Eignung als Signal ist, daß die Abgabe des Signals in Abhängigkeit der unbeobachtbaren Eigenschaften unterschiedlich kostspielig ist (z.B. Studium ist für relativ unproduktive Arbeitskräfte mit mehr Mühe verbunden).

• Für die uninformierte Seite besteht die Möglichkeit des „Screening“: Durch das Anbieten von unterschiedlichen Verträgen (z.B. Versicherungsverträge mit oder ohne Selbstbeteiligung) wird gewährleistet, daß die unterschiedlichen „Typen“ ver-schiedene Verträge wählen - ein Versicherungsnehmer mit geringem Krankheitsri-siko ist eher bereit, einen Vertrag mit Selbstbeteiligung (und geringeren Prämien) zu wählen. Durch Selbstbeteiligung wird auch das Moral-Hazard-Problem verrin-gert, da der Eintritt des Versicherungsfalls jetzt auch zu negativen Konsequenzen für den Versicherten führt.

• Zudem besteht natürlich die Möglichkeit, das eigene Informationsdefizit zu verrin-gern, z.B. durch eine obligatorische ärztliche Untersuchung vor Abschluß einer Le-

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bensversicherung. Dabei ist allerdings zu beachten, daß diese Informationsbeschaf-fung Kosten verursacht, die den zu erwarteten Erträgen gegenübergestellt werden müssen. Außerdem, dies gilt genauso für Signalling und Screening, sollte ein mög-lichst guter Zusammenhang zwischen der (unbeobachtbaren) relevanten Informati-on und dem beobachtbaren Signal (z.B. Ausbildung, Zahlungsbereitschaft, Unter-suchungsergebnis) gegeben sein.

Da die Probleme in den meisten Fällen durch die privaten Aktivitäten bestenfalls ver-ringert, aber nicht vollständig gelöst werden können, ergeben sich durchaus auch An-satzpunkte für wirtschaftspolitische Maßnahmen. Auf zwei Problemkreise soll kurz eingegangen werden (vgl. Folie 54) :

• Bei schweren Krankheiten oder Pflegebedürftigkeit reichen bei einem Großteil der Bevölkerung die finanziellen Möglichkeiten nicht aus, um Behandlung und Pflege aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Da in diesem Fall letztendlich der Staat (kon-kret: die Kommune) im Rahmen der Sozialhilfe für die Ausgaben aufkommt, be-steht ein zu geringer Anreiz sich privat dagegen zu versichern.

Dieses Moral-Hazard-Problem läßt sich nur mit einer Pflichtversicherung umgehen und kann somit als Begründung für die Existenz einer gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung dienen. Die mit Pflichtversicherungen dieser Art letztendlich verfolgte Zielsetzung besteht also nicht unbedingt in einer Einkommens- und Ver-mögensumverteilung (aufgrund der einkommensabhängigen Prämien in der gesetz-lichen Krankenversicherung spielt dieser Aspekt in der Praxis allerdings durchaus eine Rolle).

• Bei vielen ökonomischen Transaktionen werden komplexe Güter gehandelt, deren genaue Eigenschaften dem Nachfrager des Gutes nicht bekannt sind (z.B. bei vielen dauerhaften Konsumgüter, Hausbau). Es werden dabei häufig auch relativ kompli-zierte Verträge abgeschlossen, in denen viele Parameter festgelegt werden (neben dem Preis auch Qualität, Gewährleistungsbedingungen etc.). Im Hinblick auf diese Komplexitäten befinden sich Käufer und Verkäufer in einer unterschiedlichen La-ge. Der Konsument ist über die Eigenschaften der Güter schlechter informiert als der Produzent und wegen hohen Informationskosten (keine technische Sachkunde) kann das Informationsdefizit nicht nennenswert verringert werden. Zudem kann der Käufer im allgemeinen auf die Vertragsbedingungen nicht in gleicher Weise Einfluß nehmen wie der Verkäufer: Für diesen lohnt es sich, für ihn vorteilhafte Verträge durch Fachleute ausarbeiten zu lassen und den Konsumenten nur diesen

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Standardvertrag anzubieten. Ohne juristische Sachkenntnisse ist dann ein Konsu-ment häufig nicht einmal in der Lage, die Vertragsbedingungen vollständig zu ver-stehen.

Um dieses Ungleichgewicht zu verringern, gibt es eine ganze Reihe von gesetzli-chen Vorschriften zu Qualitätsstandards (DIN-Normen), zur Produkthaftung (ge-setzliche Gewährleistungspflicht) und zur Gestaltung von Vertragsbedingungen (z.B. AGB-Vorschriften, normierte Versicherungsverträge).

2.3.2 Distributives Marktversagen

Wie in 2.2 gezeigt, führt der Marktmechanismus unter idealen Bedingungen zwar zu einem pareto-optimalen Ergebnis, der resultierende Zustand kann jedoch unter Vertei-lungsgesichtspunkten aus gesellschaftlicher Sicht unerwünscht sein. Wie Folie 55 ver-deutlicht, ergibt sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen in einer Marktwirt-schaft insbesondere auf der Grundlage von Anfangsausstattungen (Erbe, Leistungsfä-higkeit) und Präferenzen (Leistungsbereitschaft, Risikobereitschaft):

• Höhe des ererbten Vermögens

• Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit

• Leistungsbereitschaft

• Bereitschaft zur Übernahme von Risiken

• Außerökonomische Zufälle (z.B. Krieg)

Determinanten der Verteilung in einer reinen Markwirtschaft

# 55

Unter dem Gesichtspunkt „Gerechtigkeit“ erscheinen nicht alle Faktoren gleichermaßen als angemessene Determinanten der Verteilung (vgl. dazu die Konkretisierung des Ziels Gerechtigkeit in der Veranstaltung „Einführung in die Wirtschaftspolitik“). Insbesonde-re außerökonomische Zufälle („Glück“), aber auch ererbtes Vermögen und Leistungsfä-higkeit werden hier häufig kritisch betrachtet. Eher akzeptiert sind wohl die Aspekte Leistungsbereitschaft und Bereitschaft zur Übernahme von Risiken. Ein weitgehend akzeptierter Mindeststandard der Verteilungspolitik die Schaffung der sogenannten Startgerechtigkeit: Unabhängig von der Vermögensposition der Familie soll jeder die Chance auf eine gute Ausbildung bekommen, um damit später über hohe Leistungsbe-reitschaft ein entsprechendes Einkommen erzielen zu können.

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Da also die Verteilung über den Markt vielfach als ungerecht angesehen wird, versucht der Staat mit Mitteln der Wirtschaftspolitik - z.B. über Steuerprogression, staatliche Transfers oder Subventionierung der Vermögensbildung - die Verteilung zu beeinflus-sen, um somit ein höheres Maß an Gerechtigkeit zu erzielen. Besonders deutlich wird dies in bestimmten historischen Situationen, in denen sich die Verteilung in einer Weise verändert, die mit Gerechtigkeitsvorstellungen des größten Teiles der Bevölkerung nicht vereinbar ist - z.B. Lastenausgleich nach dem 2. Weltkrieg, Rückerstattung früher zu Unrecht enteigneten Haus- und Grundbesitzes in den neuen Bundesländern. Vertei-lungsprobleme stehen nicht im Mittelpunkt dieser Vorlesung - sie werden ausführlich in sozialpolitischen Lehrveranstaltungen angesprochen.

2.3.3 Konjunkturelles Marktversagen

Makroökonomische Abläufe sind gekennzeichnet durch zyklische Schwankungen von Beschäftigungsgrad, der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts, der Inflationsrate und vom Problem der Erreichung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes. Ein gro-ßer Teil der staatlichen Wirtschaftspolitik bezieht sich auf diese Grundsituation (Stabili-sierungspolitik allgemein, Fiskalpolitik, Geld- und Währungspolitik) - vgl. für eine de-taillierte Analyse die makroökonomischen Veranstaltungen. Als ein Beispiel für diese Problematik verdeutlicht Folie 56 die relativ stetige Entwicklung des Produktions-potentials (Wachstum - stetige Entwicklung bei Produktionsfaktoren und beim tech-nischen Fortschritts) im Vergleich zur schwankenden Auslastung diese Potentials (Kon-junktur).

1500

2000

2500

1970 1975 1980 1985 1990

Mrd. DM(Preise von 1991)

BIP

[Quelle: Sachverständigenrat; Deutsche Bundesbank]

Produktions-potential

Konjunktur und Wachstum – Empirie für Westdeutschland (1970-1993)

1500

2000

2500

1970 1975 1980 1985 1990

Mrd. DM(Preise von 1991)

BIPBIP

[Quelle: Sachverständigenrat; Deutsche Bundesbank]

Produktions-potential

Produktions-potential

Konjunktur und Wachstum – Empirie für Westdeutschland (1970-1993)

# 56

Hier besteht ein direkter Zusammenhang zum Allgemeinen Gleichgewicht in 1.1.2: Wird das Produktionspotential nicht vollständig ausgelastet, so befinden wir uns nicht

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Grundzüge der Wirtschaftspolitik Begründung wirtschaftspolitischer Eingriffe

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auf sondern innerhalb der Produktionsmöglichkeitenkurve. Diese Ineffizienz kann bei-spielsweise durch starre Preise verursacht sein (Marktversagen), aber auch durch politi-sche Interventionen („Staatsversagen“). Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei grundlegende Orientierungen der Stabilisierungspolitik unterscheiden (vgl. Folie 57):

• Die monetaristische (neoklassische) Auffassung geht von flexiblen Preisen und einer grundsätzlichen Stabilität des privaten Sektors aus, so daß eine zielgerechte Stabili-sierungspolitik darin besteht, die Wirkung der Selbststabilisierung des privaten Sek-tors nicht zu stören und durch entsprechende Rahmensetzung zu einer Verstetigung von dessen Erwartungsbildung beizutragen, z.B. durch Vermeidung staatlicher Defi-zite, Inflationsbekämpfung, Regelbindung bei stabilisierungspolitischer Maßnahmen etc.. Der neoklassische Ansatz ist daher in erster Linie angebotsorientiert und damit langfristig angelegt (Wachstumspolitik).

• Die entgegengesetzte keynesianische Konzeption der Stabilisierungspolitik geht demgegenüber von starren Preisen (und damit einer verspäteten und unzulänglichen Reaktionen auf exogene Schocks) sowie einem, besonders in Bezug auf das Investi-tionsverhalten, instabilen privaten Sektor aus. Der private Sektor bedarf dann einer Korrektur durch den Staat, im besonderen einer antizyklische Geld- und Fiskalpoli-tik. Der keynesianische Ansatz ist also in erster Linie nachfrageorientiert und damit kurzfristig angelegt (Konjunkturpolitik).

Kritiker bezweifeln insbesondere die Fähigkeit des Staates zu einer keynesianischen Stabilisierungspolitik, da eine Nachfragereduktion politisch schwer durchsetzbar sei und die Regierung zudem in Abhängigkeit von Wahlterminen stehe: Da restriktive Sta-bilisierungspolitik wegen der Verminderung von Produktion und Beschäftigung nicht populär sei, könne sie lediglich kurz nach Wahlen realisiert werden und werde bei An-näherung an den nächsten Wahltermin durch eine wählerwirksame Expansion der Nach-frage abgelöst. Hierdurch kann sich sogar einen politisch induzierten Konjunkturzyklus, ergeben, dem nur durch Regelbindung und damit (weitgehenden) Verzicht auf Stabili-sierungspolitik begegnet werden könne. Die Probleme der Stabilisierungspolitik werden in anderen Lehrveranstaltungen ausführlich dargestellt („Volkseinkommen und Be-schäftigung“ und „Geld, Kredit, Währung“ sowie „Konjunktur und Wachstum“) und sollen darum hier nicht weiter thematisiert werden.