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OPEN AIR & FREI! globale Musik aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz weltmusik in südwest dokumentation und arbeitsbuch

Grup LiMAN...Grup LiMAN Oriental Rock Fusion Freitag 18.09.09 ab 19.30 Uhr Quartiersplatz, Mannheim-Jungbusch AIR & FREI! ale Musik lz weltmusik in südwest dokumentation und arbeitsbuch

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  • Grup LiMANOriental Rock Fusion

    Freitag 18.09.09 ab 19.30 UhrQuartiersplatz, Mannheim-Jungbusch

    OPEN AIR & FREI!globale Musikaus Baden-Württemberg und Rhe

    inland-Pfalz

    weltmusik in südwestdokumentation und arbeitsbuch

  • Das Symposium im März 2013 im Ernst-Bloch-Zentrum, Ludwigshafen und in der Popakademie Baden Württemberg in Mannheim wurde gefördert von

    Antragsschluss:

    1. Oktober 2011

    Antrag bitte mailen an [email protected]

    und per Post in einfacher Ausfertigung

    Kulturbüro Rheinland-Pfalz der LAG Soziokultur & Kulturpädagogik e.V. Mayer-Alberti-Str. 11 56070 Koblenz

    Datum

    »Auf- und Ausbau von

    Jugendkunstschulen in Rheinland-Pfalz« Antrag auf Projektförderung

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    wir beabsichtigen, folgendes Vorhaben zum Programm »Jugendkunstschulen in Rheinland-Pfalz« einzubringen:

    Projekttitel:

    Für dieses Vorhaben benötigen wir einen Zuschuss in Höhe von (Zahlen werden automatisch vom Kostenplan übertragen)

    Die weiteren Einzelheiten entnehmen Sie bitte der Projektbeschreibung und dem Kosten- und Finanzierungsplan.

    Mit freundlichen Grüßen

    Unterschrift

    Antragsteller: Antragsteller (Zusatz):

    Ansprechpartner/in:

    Straße/Nr.:

    PLZ/Ort:

  • 3

    Vorwort

    creole spiegelt musikalisch die Gesellschaft Deutschlands im 21. Jahrhundert. In der multikulturellen Bevölkerung treffen unterschiedliche kultureller Tradi-tionen aufeinander, aus diesem musikalischen Reichtum entwickeln sich neue, innovative Musikstile.

    Sich mehr und mehr ausdifferenzierende gesellschaftliche Milieus lassen gera-de auch für Kulturveranstalter Selbstverständlichkeiten zunehmend verblassen. Die Anforderungen wachsen, Audience Development ist das Gebot der Stunde. Neben intensivierter Zielgruppenerforschung und verstärkter Vermittlungsar-beit wird die reflektierte Bestimmung von Sinn und Ziel öffentlicher Kulturför-derung zur permanenten Herausforderung. Sie birgt viele Chancen und führt zum Beispiel auch zu Zusammenschlüssen wie creole südwest. Als teils kommu-nale, teils unabhängige Kulturveranstalter und Kulturförderer stehen die Träger von creole südwest in unterschiedlichen Verantwortungsgefügen und haben unterschiedliche Positionen und Ziele, das Anliegen von creole, die Förderung der neuen Musik, die im Migrationsprozess entsteht, eint sie.

    2013 hat die Trägergemeinschaft von creole südwest ins Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen und die Pop-Akademie Mannheim zum Symposium Weltmusik in Südwest eingeladen, um sich mit Fragen der musikalischen Produktion in der Einwanderungsgesellschaft auseinanderzusetzen. Der vorliegende Band doku-mentiert dieses Symposium und markiert anstehende Aufgabenfelder.

    Dank für Förderung und Unterstützung geht an den Innovationsfonds des Minis-teriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg und an das Ministeri-um für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz, an die Städte Ludwigshafen und Mannheim, das Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen und die Pop-Akademie Baden-Württemberg in Mannheim.

    Wir danken den Referenten und Podiumsteilnehmern Daniel Bax (taz, Berlin), Theresa Beyer (norient, Bern), Udo Dahmen (Popakademie Baden-Württem-berg, Mannheim), Viviane de Farias (Musikerin, Karlsruhe), Berti Hahn (Café Hahn, Koblenz) und Mehmet Ungan (Orientalische Musikschule, Mannheim) sowie allen Teilnehmern, die zum Erfolg des Symposiums beigetragen haben. „Keiner ist alleine schlau genug!“

    Bernd Belschner, Rolf Graser, tollhaus Karlsruhe e.V. Forum der Kulturen e.V. Stuttgart

    Eleonore Hefner, Clementine Herzog, Kultur Rhein-Neckar e.V. Kulturamt Freiburg

    Sabine Schirra, Kulturamt Mannheim

  • 4 Papaul creole südwest 2011

  • 5

    7

    Grußworte der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

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    creole - Wettbewerb für globale Musik aus Deutschland

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    Die creole Bundespreisträger

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    creole südwest - Der Regionalwettbewerb

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    Symposium Weltmusik in Südwest

    14

    Musik in der Einwanderungsgesellschaft

    Eröffnungsvortrag von Daniel Bax

    20

    Ergebnisse aus dem World Café - Was ist zu tun?

    Nachgefragt

    24

    Handan Akkaya-Kapan - Familie als Quelle und Musik als Brücke

    28

    Etienne Emard - Zugang zu kultureller Bildung für alle

    30

    Rüdiger Oppermann - Plädoyer für den Begriff der Weltmusik

    32

    Zaza Miminoshvili - Die Musik unseres Jahrhunderts

    34

    Uli Krug - Musik als universelle Sprache

    38

    Mehmet Ungan und Johannes Kieffer

    Auf dem Weg zu einer akademischen Ausbildungsstätte

    für orientalische Musik

    40

    Katrin Wilke - Multikulti im Rundfunk

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    Impressum

    Inhalt

  • 6 Liv. creole südwest 2013

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    Grußworte der Länder Rheinland-Pfalz und

    Baden-Württemberg

    Kulturelle Vielfalt zu ermöglichen, gehört zu den großen kulturpolitischen Her-ausfor-derungen unserer Zeit. Und das nicht nur, weil die 2007 in Kraft getretene „Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksfor-men“ der UNESCO dies von der Bundesrepublik Deutschland als einem der Unter-zeichner-Staaten verlangt. Ein gelungenes Beispiel für diese kulturelle Diversität ist der Welt-musikwettbewerb creole. Er lebt von der besonderen künstlerischen Kreativität, die bei der Begegnung und Vermischung unterschiedlicher kultureller Einflüsse entsteht. Er zeigt überdies auf, was Kunst im Allgemeinen, Musik im Be-sonderen zur Integration von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in unsere angestammte Gesellschaft leisten kann.

    Wie kaum eine andere Kunstform erleichtert Musik Begegnungen und verstärkt wechselseitige Akzeptanz. Der offene Dialog ist jedoch, ebenso wie die Bereit-schaft, sich auf fremd anmutende Klangwelten einzulassen, auch keine ganz einfache Auf-gabe: für die Musikerinnen und Musiker ebenso wenig wie für ein musikbegeistertes Publikum. Creole zeigt beides auf: wie anstrengend dieser Weg ist, aber auch wie zielführend. Auf diesem Weg Unterstützung zu leisten, ist dem Land Rheinland-Pfalz ein wichtiges Anliegen. Die Dokumentation des Sym-posiums „Weltmusik in Südwest“ zeigt dies auf.

    Walter Schumacher Kulturstaatssekretär des Landes Rheinland-Pfalz

    In unserer multiethnischen und multikulturellen Welt sind Toleranz, Akzeptanz und wechselseitiger Respekt unabdingbar. Für Baden-Württemberg, in dem jeder vierte Einwohner einen Migrationshintergrund hat, gilt dies in besonders hohem Maße. Voraussetzung dafür ist, fremde Kulturen erst einmal kennen und verste-hen zu lernen.

    Es war deshalb nur folgerichtig, dass das Symposium zur Weltmusik 2013 in Mannheim stattfand und eine Möglichkeit zum Bilanz ziehen bot. Die Weltmusik ist ein Appell an das Publikum, über den Horizont der eigenen Kultur hinauszu-sehen. Sie richtet den Blick auf die Vielfalt unserer Welt. Wir begegnen anhand von verschiedensten Formen der Musik unterschiedlichen kulturellen Sichtweisen auf Grundfragen des menschlichen Lebens, das was Menschen aller Kulturen be-schäftigt und interessiert. Und bei allen Unterschieden können wir viel Gemeinsa-mes entdecken. Die Bedeutung der Weltmusik wird auch daran deutlich, dass sie Gegenstand eines Symposiums im Rahmen des Zukunftskongresses Musikhoch-schulen ist.

    Wenn wir fremde Kulturen verstehen, aber auch unseren Blick auf die eigene Kul-tur schärfen wollen, sind wir in den Konzerten und Veranstaltungen der Weltmu-sik bestens aufgehoben.

    Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst war deshalb bei der Durchführung des Weltmusikwettbewerbs creole von Anfang an dabei und hat diesen Wettbewerb gerne gefördert.

    Jürgen Walter MdL Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg

  • 8 LebiDerya creole südwest 2011

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    creole - Wettbewerb für globale Musik aus Deutschland

    Migration und Globalisierung haben die Musikweltkarte unüberhörbar verän-dert. Neue Impulse aus unterschiedlichen Kulturkreisen bereichern nachhaltig die Musikszenen in Einwanderungsgesellschaften wie Deutschland. Neue Stile und Genres sind in den vergangenen Jahren entstanden, die sich nur noch unzu-reichend mit dem Begriff der Weltmusik fassen lassen. Doch bei allem Reichtum, der durch die Begegnung und Durchdringung verschiedener Musiktraditionen und -szenen gerade auch in Deutschland entstand, führt diese neue globale Musik eher ein Schattendasein. Von den Medien wird sie noch vergleichsweise wenig beachtet, von vielen Musikverbänden und -institutionen stiefmütterlich behandelt. Dies zu verändern ist eines der Hauptziele des Weltmusikwettbe-werb creole – globale Musik aus Deutschland.

    Seit 2006 kürt der Weltmusikwettbewerb creole – globale Musik aus Deutsch-land alle zwei Jahre die besten Global-Music-Bands der Republik. In bislang vier Auflagen haben etwa 370 Bands und ihre rund 2000 MusikerInnen auf 66 Konzerten in mittlerweile sieben Regionen ihre durch Migration beeinflusste musikalische Vielfalt erklingen lassen. Gekrönt werden diese regionalen Vorent-scheide durch Finalrunden auf Bundesebene.

    Im Herbst 2013 traten in Bayern, Berlin und Brandenburg, Hessen, Mitteldeutsch-land, Nordrhein-Westfalen, der von Schleswig-Holstein bis Mecklenburg-Vor-pommern reichenden creole-Region Nord sowie in Südwestdeutschland ins-gesamt 74 Bands an, um sich für das im Mai 2014 in Hannover stattfindende Bundesfinale zu qualifizieren. Diese waren im Vorfeld durch Fachjurys aus weit über 250 Formationen mit rund 1500 MusikerInnen nach intensiven Beratungen ausgewählt worden. Die für Berlin und Brandenburg federführende Werkstatt der Kulturen Berlin, die den creole Wettbewerb 2006 gegründet hatte, regist-rierte stellvertretend eine „enorm hohe Qualität aller Bewerber“ und eine sehr harte Konkurrenz, was die Vielschichtigkeit und spannende Attraktivität der gegenwärtigen Musikszene belege: „creole ist DAS musikalische Spiegelbild Deutschlands im 21. Jahrhundert“.

    Die Musik von creole steht für die lebendige Vielfalt verschiedener Kulturen. Musikalisch passiert hier modellhaft, was gesellschaftlich ganz oben auf der Tagesordnung steht. Hier ist zu erleben, wie scheinbar „Fremdes“ miteinan-der harmonieren kann, und wie daraus faszinierende neue Klänge entstehen können. Im „Ersten periodischen Bericht der Bundesrepublik Deutschland über Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucks-formen zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens von 2005“ wird betont, dass der creole-Wettbewerb „exemplarisch für die vielfältigen Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen, die in besonderem Maße die kulturelle Vielfalt för-dern ...“ steht. Die deutsche UNESCO-Kommission e.V hat die Schirmherrschaft für den creole-Wettbewerb übernommen.

  • creole 2011 KavpersazNew Anatolian Traditionals www.kavpersaz.com - Vorentscheid NRW

    CyminologyKammermusikalischer Jazz & persische Lyrik www.cyminology.de Vorentscheid Berlin-Brandenburg & Mecklenburg-Vorpommern

    KellerkommandoFränkische Volksmusik mit russischem Gangster-Rap - www.kellerkommando.de Vorentscheid Bayern

    creole 2009Aly Keita & The Magic BalafonBalafon Afro-Groove - www.contrejour.com Vorentscheid Berlin & Brandenburg

    East AffairCymbalon Jazz - www.eastaffair.de Vorentscheid NRW

    The ShinGeorgische Polyphonie und World Jazz www.the-shin.com - Vorentscheid Südwest

    creole 2007AhoarWorld Jazz mit Maqam Musik aus dem Irak www.ahoar.de - Vorentscheid NRW

    Äl Jawala Balkan Big Beatz - www.jawala.de Vorentscheid Südwest

    UlmanAlternative Folk - www.ulman.info Vorentscheid Mitteldeutschland

    Bundesgewinner

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    creole südwest

    Im deutschen Südwesten war das Stuttgarter Forum der Kulturen von Anbeginn Vorreiter beim creole Weltmusikwettbewerb. Seit 2009 hat es sich mit den Kul-turämtern der Städte Freiburg und Mannheim, dem Karlsruher Kulturzentrum Tollhaus sowie dem Verein Kultur Rhein-Neckar zum Trägerkreis creole südwest zusammengeschlossen. Nach dem ersten creole südwest-Finale in Stuttgart wa-ren Mannheim/Ludwigshafen, Freiburg und zuletzt Karlsruhe Austragungsorte. 2014 wird sich der die Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verbin-dende Zusammenschluss um das Kulturzentrum Tufa Trier und das Café Hahn in Koblenz als Mitglieder des Trägerkreises erweitern. Zu den Unterstützern von creole südwest zählen neben den jeweiligen Kommunen die Länder, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württem-berg und den Kultursommer Rheinland-Pfalz.

    Preisträger creole südwest 2013

    VolxtanzInternational World Beat - www.volxtanz.com

    Pari SanBeatbox-Vocal-Experimental-Pop - www.paulbrenning.com

    Preisträger creole südwest 2011

    PapaulDeutsch-afrikanisches Beatbox-Percussion-Duo www.paulbrenning.com/papaul.php

    LebiDeryaOriental Jazz Quartett - www.ensemblelebiderya.de

    Preisträger creole südwest 2009

    The ShinGeorgische Polyphonie und World Jazz - www.the-shin.com

    Russudan Meipariani & EnsembleGeorgia Goes Global - www.russudan-meipariani.com

    Preisträger creole südwest 2007

    Äl Jawala Balkan Big Beatz - www.jawala.de

    Enkh JargalLieder der mongolischen Steppe - http://epi_de.beepworld.de

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    Symposium: Weltmusik in Südwest

    creole südwest versteht sich als eine Plattform des Austausches, der Vernetzung und der Vermarktung von Bands und Musikprojekten, die mit regionalen und lokalen Musikstilen europäischer und außereuropäischer Herkunft arbeiten. Mit der Durchführung der Wettbewerbe, aber auch über weitere Konzerte mit creole-Bands will der Trägerkreis das künstlerische und auch das kulturpoliti-sche Anliegen von creole lebendig halten. Diesem Ziel diente auch das im März 2013 in Mannheim und Ludwigshafen abgehaltene Symposium „Weltmusik in Südwest“, das sich an Experten und ein interessiertes Publikum richtete. Partner des Trägerkreises creole südwest waren die Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim und das Ernst-Bloch-Zentrum, Ludwigshafen. Gefördert wurde das Symposium aus dem Innovationsfonds des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg, vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz und den Städten Ludwigshafen und Mannheim.

    Zum Auftakt der Bewerbungsphase des vierten creole-Wettbewerbs trafen sich am 19. März 2013 im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum Musiker, Kulturpo-litiker, Musikjournalisten- und Wissenschaftler sowie Veranstalter aus Südwest-deutschland. Eingeleitet von einem Vortrag des Berliner Weltmusik-Spezialisten Daniel Bax diskutierten die 80 Teilnehmer die Zukunft von Wettbewerben im Bereich Weltmusik, die Förderpolitik der öffentlichen Hand, erfolgversprechen-des Marketing und das Erschließen von neuen Publikumsschichten. Der Begriff Weltmusik, Fragen der Interkulturalität, die Forderung nach Anerkennung nichtwestlicher Musikinstrumente in Nachwuchswettbewerben wie „Jugend

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    musiziert“, die Rolle der Medien und erfolgreiche Beispiele kulturenübergrei-fenden Musizierens wurden von den zahlreichen Experten diskutiert.

    Auf der Tagesordnung des Symposiums standen • die Auseinandersetzung mit den Folgen der Veränderung in der Musik-

    produktion, von Publikumsbedürfnissen und -erwartungen im Bereich der Weltmusik

    • die Vorstellung konzeptioneller Neuorientierungen und Strategien von Musikveranstaltern

    • die Weiterentwicklung der interkulturellen Musikpraxis, Entwicklung transkultureller Zukunftsperspektiven für den Bereich Musik

    • die Diskussion von Förderkonzepten auf kommunaler und Landesebene

    • das Initiieren von Kooperationen

    • der Aufbau und die Stärkung von Netzwerken

    • die Reflexion der bisherigen Aktivitäten rund um den Weltmusikwettbe-werb creole.

    Das Symposium ermöglichte vor allem im nachmittäglichen World Café den Er-fahrungsaustausch und das gemeinsame Nachdenken über die interkulturelle Öffnung der Kulturarbeit und das Verstärken von transkulturellen Ansätze in der Kulturvermittlung. Dabei wurden konkrete Fragen aufgeworfen, die praxisnah diskutiert wurden: Welche Herausforderungen bedeuten diese Entwicklungen für die Kulturförderung und die kulturelle Bildung? Was verändert sich in der Praxis für die „Macherinnen und Macher“? Wie reagieren die Medien? Wie öff-nen sich Musikszenen? Welche interkulturellen Öffnungsprozesse sind bei tra-ditionellen Musikverbänden und -institutionen auszumachen oder angestrebt? Bedarf es einer besonderen Förderung von „migrantischen“ Musikkulturen?

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    Musik in der Einwanderungsgesellschaft

    Eröffnungsvortrag von Daniel Bax

    Ich hasse Weltmusik. Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von David Byrne. So lautete der Titel eines berühmten Artikels, den der amerikanische Rockstar vor 14 Jahren - so lange ist das schon her - in der New York Times ver-öffentlichte. Ich komme darauf zurück, weil dieser Artikel - und die Debatte, die er auslöste - symptomatisch ist für das Thema, über das ich heute hier spreche.

    Die Kritik, die David Byrne vor 14 Jahren formulierte, richtete sich weniger ge-gen die Musik und die Musiker, die gemeinhin unter der Bezeichnung Weltmusik rubriziert werden. Im Gegenteil: der Witz an seiner Hasspredigt war gerade, dass David Byrne selbst in den USA und darüber hinaus weithin als Mister Weltmusik bekannt war und ist. Mit seinem Label Luaka Bop hat er viel dafür getan, dass insbesondere lateinamerikanische Künstler und Bands über ihren Kontinent hi-naus Gehör finden konnten. Die afro-peruanische Sängerin Susana Baca und der brasilianische Avantgardist Tom Zé, aber auch Mestizo-Bands wie Los de Abajo und King Changó hat er mit seinem Label bekannt gemacht. Man findet sie in den meisten Plattenläden der Welt in der Abteilung Weltmusik.

    Die Kritik von David Byrne richtete sich in erster Linie gegen den Begriff Welt-musik und die Art und Weise, von der er meinte, wie dieses Genre von einem westlichen Publikum rezipiert wird. Er beklagte, durch diesen Begriff werde eine künstliche Trennung der Welt in „wir“ und „sie“ zementiert. Nicht-westli-che Musikstile und Künstler würden ghettoisiert. Das Moderne, Subversive und Originelle an dieser Musik werde ausgeblendet und auf eine regionale Folklore reduziert. Am Ende würden damit oft genug nur nationale Klischees bedient, fürchtete er. So weit David Byrne.

    Sein Artikel provozierte eine ironisch gespickte, aber auch etwas säuerliche Replik durch Ian Anderson, den Herausgeber des britischen Magazins Folkroots.

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    Ian Anderson verteidigte den Begriff Weltmusik. Dieser sei wichtig gewesen, um neue, nicht-westliche Stile überhaupt erst in die Regale der westlichen Platten-läden und auf westliche Konzertbühnen zu bringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ian Anderson, muss man wissen, gehört selbst zu denen, die den Be-griff Weltmusik wenn schon nicht erfunden, so doch als Genrebegriff in die Welt gesetzt haben. Mehr als 25 Jahre ist es her, dass er und eine Handvoll Musik- enthusiasten sich im Sommer 1987 in einem Londoner Pub trafen. Diese Leute machten sich Gedanken darüber, wie sie diese exotischen Klänge aus aller Welt, für die sie sich damals begeisterten - sei es Soukous aus dem Kongo, Mbalax aus dem Senegal oder die seltsamen Gesänge bulgarischer Frauenchöre - besser unter die Leute bringen könnten. Schnell waren sie sich einig: Ein Oberbegriff müsste her, um eine neue Schublade zu schaffen, unter der all diese Stile im Plattenladen zu finden sein sollten. So kamen die anwesenden Labelchefs, Promoter und Musikjournalisten auf das Wort von der Weltmusik. Der Rest ist Geschichte.

    Warum ich das alles erzähle: weil diese Debatte um Sinn und Unsinn der Be-zeichnung Weltmusik exemplarisch für die Schwierigkeiten im Umgang mit der Musik aus fernen Ländern und fremden Kulturen steht. Und damit auch für den Umgang mit der Musik vieler Einwanderergruppen in Europa, die in den Ohren der Mehrheit oft genug noch immer fremd und exotisch klingt. Es ist ja auch nicht so, dass sich diese Musik einem westlichen Publikum immer ganz von selbst erschließt. Sie muss oft genug erst erklärt, eingeordnet und verständlich gemacht werden. Es hat sich deshalb herausgestellt, dass Stile und Stars aus entfernten Regionen sich nur in den seltensten Fällen einfach so, eins zu eins, in einen anderen kulturellen Kontext exportieren lassen. Für den einzelnen Hörer mag das unwichtig sein. Er mag die Musik oder er mag sie nicht. Wer aber solche Musik exportieren, verkaufen und einem breiten Publikum näher bringen will, für den sind solche Überlegungen essenziell.

    Es gab von Anfang an eine Menge Dinge, die einem weltweiten Massenappeal von Künstlern aus der sogenannten Peripherie im Wege standen. Nicht nur die Sprache, in der gesungen wurde - ein Argument, das in den USA und Großbri-tannien übrigens viel schwerer wog als hierzulande, wo man es gewohnt ist, nicht immer alle Texte zu verstehen. Selbst Nick Gold, der britische Produzent des weltweit erfolgreichen Buena Vista Social Club, musste sich in seinem Hei-matland fragen lassen, ob seine alten Herren aus Kuba nicht auch auf Englisch singen könnten. Er wies dieses Ansinnen erfolgreich zurück. In Großbritannien aber hielt sich der Erfolg des Buena Vista Social Club auch aus diesem Grund wohl in Grenzen.

    Ein weiteres Problem stellten Geschmacksunterschiede dar, die sich manchmal nur in Nuancen zeigen. Was den einen der letzte Schrei ist, wird von anderen als kitschig empfunden. Um ein intellektuelles Publikum anzusprechen, muss eine allzu grelle Ästhetik oft genug herunter gedimmt werden. Hinzu kam, dass man sich nicht überall auf der Welt auf dem gleichen Stand der Technik und der Mode befindet und befand. Oft genug benutzten Musiker ein veraltetes Equipment oder standen auf musikalische Effekte wie Hall und Beats vom Drumcomputer, die in westlichen Ohren altbacken oder gar trashig klangen.

    Manche Weltmusik-Produzenten griffen deshalb zu einem kleinen Trick: Sie nahmen ihren Musikern - ob aus Mali, Mazedonien oder von den Kapverden - einfach ihre Keyboards und Drum-Computer weg. Dieser „acoustic turn“ machte diese Musik in westlichen Ohren oft ansprechender und gefälliger. Er erweckte aber auch den falschen Eindruck, als wären die Entwicklungen der Pop-Moderne an manchen Regionen der Welt völlig spurlos vorbeigegangen. Als hätten solche Musiker wie Cesaria Evora, Oumou Sangaré oder Esma Redzepova all die Zeit, bevor sie von einem westlichen Publikum entdeckt wurden, auf einer Insel der

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    Seligen gelebt, ohne Steckdosen, Fernsehen und andere schädliche Einflüsse. Das ist mit ein Grund, warum Weltmusik gerne mit bestimmtem Klischees wie Heile Welt, Urlaubsträume und Exotismus assoziiert wird.

    Andere Förderer der Weltmusik gingen genau den entgegen gesetzten Weg. Sie kombinierten die Klänge aus aller Welt mit moderner Ambient-Elektronik oder aktuellen Club-Beats oder motzten sie zu Pop-Produktionen nach westlichem Muster auf, um ein westliches Publikum zu überzeugen.

    Die eine Methode kommt den Erwartungen und Sehnsüchten eines westlichen Publikums entgegen, indem sie an Klischee- und Wunschbilder von Ursprüng-lichkeit, Authentizität und vermeintlich paradiesischer Unberührtheit anknüpft. Die andere Methode dimmt die kulturell-ästhetischen Unterschiede möglichst weit herunter, damit sie kein Hindernis mehr bilden - und oft genug kaum noch zu hören sind. Beide Methoden haben für sich genommen funktioniert, auch wenn das Ergebnis manchmal etwas von Mimikri hatte. Etwa, wenn afrikanische Musiker auf der Bühne in ihre Trachtenkostüme schlüpfen um ihre westlichen Sweater und Sneaker zu verbergen. Oder, wenn sie etwas Djembe-Percussion in ihre HipHop-Beats einstreuen, um bloß keinen reinen Abklatsch westlicher Rap-Vorbilder zu produzieren, denen sie im Grunde nacheifern.

    Allerdings ist die Welt in den letzten 25 Jahren tatsächlich enger zusammen ge-wachsen, und das hat manche Unterschiede aufgehoben. Die Globalisierung hat uns alle ein bisschen gleicher gemacht, die Grenzen sind fließender geworden. Es gibt immer mehr popkulturelle Trends, die über Kontinente hinweg funktio-nieren, und Künstler, die mühelos Grenzen überwinden. Die Musikszenen haben sich angenähert. Und dabei ist nicht immer klar, was ernst gemeinte Tradition, Ironie, Vermarktung und freies Spiel mit popkulturellen Zeichen ist.

    Der Mestizo-Rock eines Manu Chao und der vielen Bands, die in seinem Fahr-wasser folgten, ist so ein Phänomen. Das gilt auch für die neuen musikalischen Hybride vom Balkan, die in Mexiko genauso gut ankommen wie in Japan oder Berlin. Aber auch der Mainstream ist bunter geworden: das zeigen globale Chart-Erfolge wie der einer hawaiianischen Version von „Over the Rainbow“, der brasilianische Country-Schlager eines Michel Telo oder der Gangnam Style aus Korea.

    Gerade der letzte Fall zeigt, dass es immer noch weiße Flecken auf der Landkarte gibt - vor allem in Asien. Ganze Länder und Archipele wie Indonesien kommen darin kaum vor. Die Landkarte der Weltmusik entspricht nicht der Landkarte der Welt. Aber Weltmusik, was immer man darunter versteht und wie breit man den Begriff auch fassen mag, ist eine Erfolgsgeschichte.

    Zwar ist die Krise der Musikindustrie auch an den meisten Weltmusik-Labels nicht spurlos vorbei gegangen. Insgesamt steckt die Plattenproduktion in ei-ner Krise, das Konzertgeschäft ist wichtiger geworden, und das Internet bietet Gefahren und Chancen zugleich. Zwar können Künstler, egal wo sie sind, dank Youtube und Spotify per Mausklick ein weltweites Publikum erreichen, und Amazon und andere Dienste liefern einem fast jede gewünschte CD überall hin. Aber gerade weil jetzt alles ständig verfügbar ist, gehen die Einnahmen stetig zurück. Während Major-Labels pleite gemacht haben und viele kleine Labels schwächeln, ist Weltmusik aber noch immer ein halbwegs solides Geschäfts-feld. Aufgrund seiner Nachhaltigkeit könnte man sagen: weil hier keine schnel-lebigen Trends produziert werden, sondern weil viele Labels und Festivals für künstlerische Qualität bürgen. Dass das so ist, erkennt man zum Beispiel daran, dass die große Musikmesse Popkomm schon vor langer Zeit ihre Pforten schlie-ßen musste, während die kleine, unabhängige Weltmusik-Messe WOMEX noch immer munter weiter macht. Es gibt viele Versuche, Weltmusik zu definieren. Mir gefällt die von Christoph Borkowsky, dem Chef des Berliner Labels Piranha

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    und ein Mitbegründer der Weltmusik-Messe WOMEX, am besten: Er sieht Welt-musik, analog zum Begriff Weltliteratur, als einen Qualitätsbegriff. Nur das, was sich außerhalb der lokalen Märkte und Publikumskreise bewähre, fällt für ihn darunter.

    Was hat das jetzt alles mit der Einwanderungsgesellschaft zu tun? Eine Menge. Denn der Erfolg der Weltmusik spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung wie-der. Auch Deutschland ist ja, wie viele Länder in Europa, in den letzten Jahrzehn-ten deutlich bunter und vielfältiger geworden - durch die Globalisierung, aber auch durch die Einwanderung. Ein Fünftel aller Menschen in Deutschland besit-zen einen Einwanderungshintergrund - betrachtet man nur die Jugendlichen, sind es noch deutlich mehr. Allerdings beginnen Einwanderer erst langsam, an Einfluss zu gewinnen. So hat vieles von dem, was hierzulande unter „Multikul-ti“ und „Weltmusik“ verstanden wurde und wird, mehr mit den Wünschen und Sehnsüchten eines herkunftsdeutschen Publikums zu tun, als dass es die Reali-täten der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland spiegelt.

    Ein Beispiel dafür ist der Karneval der Kulturen, der in Berlin längst zu einem Mega-Event und einer Touristenattraktion geworden ist. Die Idee, einen multi-kulturellen Karneval durch den bunten Einwandererbezirk Kreuzberg ziehen zu lassen, lag nahe. Sie ging aber an den größten Einwanderergruppen der Stadt zunächst vorbei. Denn den kurdischen, türkischen und arabischen Einwande-rern, aber auch den Ex-Jugoslawen und Polen ist die Tradition des Karnevals eher fremd. Nicht anders als den eingeborenen Berlinern übrigens, die sich für den rheinischen Frohsinn bis heute nur schwer erwärmen können. Kubaner und Brasilianer aber, die es für einen solchen multikulturellen Karneval deshalb un-bedingt braucht, bilden in Berlin nur eine verschwindend kleine Minderheit. Aus der Karnevalsidee sprach letztlich der Wunsch, solche Gegensätze ließen sich in einer farbenfrohen Parade einfach auflösen.

    Auf der anderen Seite gibt es in ganz Deutschland immer noch kein einziges Festival für türkische Musik. Das ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dies die mit Abstand größte Einwanderergruppe hierzulande ist. Statt dessen gibt es Afrika-Festivals, Jazz-Festivals und eben verschiedene Formen des Kar-nevals. Aber ich will das nicht gegeneinander ausspielen. Migrantenszenen und Weltmusikkreise vermischen sich. Auch das, was Musiker mit Migrationshinter-grund hierzulande produzieren, wenn sie sich auf lokale und regionale Einflüsse beziehen, wird oft genug unter Weltmusik rubriziert. Es gibt da einen regen Austausch zwischen den diversen Szenen, so dass auch hier Neues entsteht. Ei-ner der erfolgreichsten Sänger türkischer Chansons hierzulande ist derzeit etwa ein Deutsch-Italiener, der Sänger Mario Rispo. Er hat diese Musik in Deutschland kennen und lieben gelernt.

    Auch sollte man sich vor Verallgemeinerungen hüten: Nicht jeder Einwanderer pflegt die Kultur seines Herkunftslands. Und gerade Jugendliche, egal welcher Herkunft, sind sich oft ähnlicher, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Zwar gibt es zum Beispiel den türkischsprachigen Radiosender Metropol, der aus Berlin und bundesweit den ganzen Tag über türkische Popmusik sendet, und der bei allen Generationen türkischer Einwanderer beliebt ist. Aber der Sen-der, der bundesweit von den meisten Jugendlichen mit Migrationshintergrund gehört wird, ist laut Umfragen die WDR-Pop-Welle Eins Live. Die Lage ist also unübersichtlich geworden.

    Anderswo in Europa ist das nicht anders. Unser Nachbarland Frankreich war lan-ge ein Vorreiter, was die Vermischung angeht. Viele große Weltmusikstars, ara-bische Sänger wie Khaled und Cheb Mami und afrikanische Musiker wie Youssou N‘Dour und Salif Keita, waren oder sind bei französischen Plattenfirmen unter Vertrag. Und es ist kein Zufall, dass der Electrotango des Gotan Project in Pa-

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    ris seinen Ausgang nahm. Der Umgang mit unterschiedlichen Musikstilen und Kulturen ist in Frankreich, nicht zuletzt aufgrund der viel größeren kolonialen Vergangenheit, selbstverständlicher als bei uns. Die Trendscouts und die Ent-scheider in der Musikindustrie sind offen gegenüber Klängen und Künstlern aus aller Welt. Auch die Förderstrukturen sind offener und schließen die musiques du monde, wie sie genannt werden, mit ein. Aber manche Blütenträume, die damit verbunden waren, haben sich nicht erfüllt. Die eben genannten Musiker haben bis heute eine Ausnahmestellung inne. Andere arabische oder afrika-nische Musiker bewegen sich auch dort, von einigen Ausnahmen abgesehen, immer noch in einer Nische. Und insgesamt wirkt die französische Musikszene heute sogar weniger vielfältig als vor zwanzig Jahren, als in dieser Hinsicht noch eine regelrechte Aufbruchstimmung herrschte.

    Ähnlich sieht es in Großbritannien mit der Musik der jungen Asians - wie die Nachkommen der Einwanderer vom indischen Subkontinent genannt werden - und in den USA mit der Musik der Latinos aus. Eine Shakira aus Kolumbien, eine Jennifer Lopez und ein Ricky Martin aus Puerto Rico gehören dort inzwi-schen zwar auch zum Mainstream. So gesehen sind die USA noch immer ein Schmelztiegel. Aber die große und reiche Latin-Szene mit ihren Verbindungen nach Lateinamerika, mit ihren Latin Grammys und Latin-Charts, ist eine Paral-lelgesellschaft zum schwarzen und weißen Mainstream geblieben.

    Daneben gibt es prominente Pioniere und Trendsetter, die ausländischen Mu-sikstilen und Klängen eine Bresche geschlagen haben - Ry Cooder zum Beispiel, der unermüdliche Handlungsreisende in Sachen Roots-Musik, der Songwriter Paul Simon und der genannte David Byrne. In Großbritannien haben Peter Gab-riel und zuletzt Damon Albarn die Rolle von Entwicklungshelfern gespielt, die Musikern aus Afrika und aller Welt eine Brücke zu einem hiesigen Publikum ge-baut haben. Auch britische DJs wie John Peel, Charlie Gillet und Gilles Peterson haben in dieser Hinsicht die Geschmäcker geprägt. Das ist vielleicht der größte Unterschied: dass es hier, in Deutschland, keine solchen stilprägenden Vorreiter und Advokaten der Vielfalt gibt. Polemisch könnte man sagen: Die Briten haben Damon Albarn, wir haben nur Peter Maffay, der für mehr Vielfalt wirbt. Und das spricht nicht gegen Peter Maffay.

    Fest zu halten aber bleibt: die Grenzen lösen sich immer mehr auf. Auch die hiesige Kulturszene spiegelt das wieder. Was früher in Weltmusik-Nischen eine kleine Öffentlichkeit fand, findet heute in der Philharmonie, an der Deutschen Oper und sogar in Techno-Clubs statt. Die großen Konzerthäuser entdecken die Einwanderer immer mehr als potenzielles Publikum. Die deutsche Techno-Sze-ne - oder das, was davon übrig ist - entdeckt gerade die elektronischen Sze-nen in Afrika und Lateinamerika für sich. Interessanterweise begeistern sich manche dort gerade für das antiquierte Equipment und die altmodischen Key-board-Sounds, die von Weltmusik-Connaisseuren lange Zeit verschmäht wur-den. So ändern sich die Zeiten und die Geschmäcker.

    Erlauben Sie mir an dieser Stelle als Journalist einen selbstkritischen Einschub: denn der Ort, an dem sich diese Entwicklungen noch am wenigsten wieder-spiegeln, das sind meiner Meinung nach die Medien. Vor allem im Feuilleton der großen Zeitungen wird ein Verständnis von Popkultur gepflegt, das mit den realen Veränderungen in der Gesellschaft nicht mehr viel gemein hat. In Frankreich und Großbritannien ist das in der Tat besser: in der Libération, in Le Monde oder einem Musikmagazin wie Les Inrockuptibles finden die Musiques du Monde selbstverständlich ihren Platz und die gebührende Anerkennung. Das ist auch eine Frage des Respekts. Auch in Großbritannien berichten Tages-zeitungen wie der Guardian und der Independent oder Magazine wie TimeOut regelmäßig über diese Bereiche. Die BBC hat sogar ein paar Jahre lang, von 2002 bis 2008, einen Weltmusik-Preis ausgelobt, der jedes Jahr vergeben wurde. In

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    Deutschland sieht es dagegen mau aus. Selbst deutsche Weltmusik-Stars wie die Dissidenten, Shantel, die 17 Hippies, La Brass Banda bekommen hier nicht die Anerkennung, die sie anderswo erfahren. Ich kann mich an kein deutsches Musikmagazin erinnern, dass auch nur eine dieser Bands schon mal auf dem Cover gehabt hat. Hierzulande haben sie oft genug immer noch den Rang von Insider-Tipps.

    Dafür schlägt sich die wachsende Vielfalt inzwischen auch in der Kulturförde-rung nieder. Beim letzten Integrationsgipfel stand auch die interkulturelle Öff-nung der Kultur auf der Agenda. Denn eine Kulturnation, die ihre immer noch beachtliche staatliche Kulturförderung auch in Zukunft mit mehr legitimieren will als damit, das überkommene kulturelle Erbe zu pflegen, muss sich auf die gesellschaftlichen Veränderungen einstellen. Vorbildlich scheint mir etwa die Initiative des Landesmusikrats Berlin, der nach Kontrabass, Posaune und Fagott in diesem Jahr die Bağlama, die türkische Langhalslaute, auch Saz genannt, zu seinem „Instrument des Jahres“ erkoren hat. In einigen Bundesländern ist das Instrument bereits ein fester Bestandteil des Wettbewerbs „Jugend musiziert“.

    Wegweisend ist aber auch das musikpädagogische Programm „Jedem Kind ein Instrument“, das vor fünf Jahren an Grundschulen im Ruhrgebiet eingeführt wurde und mittlerweile im ganzen Bundesgebiet Nachahmer findet. Neben Gitarre, Akkordeon, Keyboard, Klavier und Schlagzeug können Kinder dort auch Djembé, Cajón oder Bağlama lernen. Damit werden diese Instrumente schon an der Basis vom Ruch des Exotischen befreit. Für die nächste Generation deutscher Musiker wird es dann vielleicht eine Selbstverständlichkeit sein, die türkische Saz mit Rock oder elektronischen Klängen zusammen zu bringen, wie das in der Türkei schon lange passiert. Ich warte noch auf die erste deutsche Band, die aus dieser Kombination etwas ganz Neues schafft - vielleicht mit deutschen Texten?

    Angesichts dieser Entwicklung stellt sich diese Frage, ob sich der Begriff Welt-musik nicht überlebt hat. Ist irgendwann nicht alles irgendwie Weltmusik? Si-cher hat der Begriff seine historische Berechtigung, und ganz verzichten kann man noch nicht auf ihn. Aber der Begriff stößt auf große Widerstände. Viele Mu-siker haben den Begriff ohnehin nie recht gemocht, weil sie nicht in eine Schub-lade gesteckt werden möchten. Viele Plattenlabels und selbst die WDR-Welle Funkhaus Europa verwenden ihn nicht mehr und sprechen lieber von „Global Pop“, um sich nach allen Seiten hin offen zu halten. Ich bin davon überzeugt, das sich hinter so mancher Ablehnung des Terminus Weltmusik nur die alten Abwehrreflexe einer Gesellschaft verbergen, die sich mit Vielfalt grundsätzlich schwer tut. Wichtig finde ich aber nur, dass diese Vielfalt Platz findet und gehört wird. Ob man das dann Weltmusik, Local Folk oder Postfolklore oder ganz anders nennt, ist zweitrangig.

    Daniel BaxRedakteur für Integration und Migration bei der tageszeitung (taz) in Berlin. Seit den 90er Jahren beschäftigt er sich als Journalist mit Themen im Grenzbereich von Popkultur, Globalisierung und Migration. Bei der taz verantwortet er seit über zehn Jahren eine regelmäßige Weltmusik-Beilage, die jedes Frühjahr zum Start der Festivalsaison erscheint. Als Autor arbeitet er darüber hinaus zu Musikthemen u.a. für die Zeit, das WDR-Funkhaus Europa (FHE) und das Journal von Amnesty International.

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    Ergebnisse aus dem World Café

    Was ist zu tun?Im World Café des Symposiums wurden Defizite und Chancen erörtert und Handlungsfelder zu den Komplexen „Akteure“, „Förderungsstrategien“, „Ein-wanderer als Publikum - Audience Development“, „Medien und Weltmusik“ und „Vermarktungsstrategien“ erarbeitet.

    Der Begriff der Weltmusik wurde von vielen als Hemmschuh der Popularisie-rung globaler Musik aus Deutschlands angesehen, er sei bei Musikern, Kritikern und Publikum vielfach nur eingeschränkt positiv besetzt. Seine Unschärfe, seine mangelnde Aussage über den konkreten Klang und der Verdacht des rein kom-merziellen Vermischens westlichen Pops mit verkaufsfördernden Exotismen machen den Begriff problematisch.

    Eine unklare Begrifflichkeit bietet der erfolgreichen Vermarktung keine gute Grundlage. Doch ist es nicht einfach, den Begriff ohne weiteres zu ersetzen, ohne in die pure Diversifizierung etwa in Balkan Beatz, Afropop, Desert Rock, Roma Tango oder ähnliches zu flüchten. Letztlich handelt es sich bei von den creole-Protagonisten geförderten Künstlern um gute, zeitgenössische Musik und Musikstile, die mit Migrationsgeschichte verbunden sind, auch mit der Si-tuation der Diaspora, dem Exil.

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    Nach wie vor wird diese Musik als Minderheitenmusik wahrgenommen, die es jedoch durchaus verdient hätte, von breiteren Bevölkerungsschichten gehört zu werden. Und dies nicht nur, weil sie dem Zusammenwachsen einer multi-kulturellen Gesellschaft dient. Sie bringt Musiker mit unterschiedlichen Migra-tionsgeschichten zusammen und vermag das Interesse an anderen kulturellen Traditionen zu fördern.

    Mangelnde Marketingkompetenz von creole-Musikern ist sicher nicht der ein-zige Grund für den überschaubaren Erfolg. Dennoch wären eine Unterstützung durch Marketing-Fortbildungsmaßnahmen und die Einrichtung von Musikerda-tenbanken und Internetplattformen wünschenswert.

    Ein anderes Erfolgshemmnis wurde in der Unkenntnis und dem mangelnden Verständnis von Kritikern ausgemacht. Die schier unübersichtliche Vielfalt der Stile und Kulturen, die creole-Musiker auf die Bühnen bringen, überfordert oft selbst in großen Städten die Journalisten. Ein Weltmusikkonzert adäquat und kompetent beurteilen und rezensieren zu können, erfordert Kompetenzen, die sich in vielen Feuilletons nicht finden. In der Folge finden Themen der Weltmu-sik und Konzertbesprechungen in den Feuilletons nur selten Niederschlag. Hier wären Musikologen, Bildung und Forschung in der Pflicht, für eine geeignete Ausbildung zu sorgen. Aber in der musikalischen und musikwissenschaftlichen Bildung spielt Weltmusik bislang noch so gut wie keine Rolle. Zaghafte Ansätze von Musikschulen, die allmählich auch außereuropäische Instrumente in ihren Unterrichtskanon integrieren, sind erste positive Ansätze und sollten dringend unterstützt und erweitert werden. Auch soziologische und soziohistorische Hin-tergründe bedürfen der wissenschaftlichen Aufarbeitung für eine kompetente Musikwissenschaft, die die Geschichte der Migration als Musikgeschichte - und umgekehrt - darstellen kann.

    Doch nicht nur mangelhaft ausgebildete Zeitungs- und Internetjournalisten hemmen eine breitere Akzeptanz von Musik globalen Charakters. So findet selbst in den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen abgesehen vom in West-deutschland, Bremen und Berlin ausgestrahlten Funkhaus Europa Weltmusik praktisch nicht statt. Gerade im Bereich von creole südwest hat der Südwestrund-funk in seinem zweiten Programm neben Mischformaten wie dem „Dschungel“ wöchentlich gerade einmal eine Stunde für „Musik der Welt“ vorgesehen. Auch die Fernsehprogramme, die mit Magazinen und Konzertmitschnitten Weltmusik einem breiteren Publikum näher bringen könnten, verweigern sich hier einem kulturpolitischen Auftrag, der sich aus dem demografischen Wandel ergibt. Die Symposiumsteilnehmer unterstrichen die Notwendigkeit der kulturpolitischen Weichenstellung für eine Anpassung des öffentlich-rechtlichen Kulturauftrags an die demografische Veränderung durch Migration.

    Ein weiteres Glied in der Kette der Vermittlung sind geeignete und engagierte Plattenfirmen und Agenturen, die sich etwa der creole-Gewinner annehmen und die Nachhaltigkeit ihres Wettbewerbsgewinns sichern helfen. Allerdings sind Agenturen von unmittelbarem kommerziellem Erfolg abhängig.

    Dafür spielt der mediale Erfolg eine gewichtige Rolle. Die Stärkung kleinerer, lokaler und regionaler Kulturmagazine sowie freier Radiostationen, die sich dem Thema gegenüber interessierter zeigen, und die verstärkte Nutzung so-zialer Medien kann hier ein weiterer Baustein sein. Die bessere Positionierung von Weltmusik bei öffentlich-rechtlichen Sendern ist daneben jedoch weiter ein wichtiges Anliegen.

    Auf Veranstalterseite bedarf es der Geduld und des langen Atems für ein Audience Development zur Gewinnung eines Publikums, das sich weiten Horizonten öff-net, Sachverstand entwickelt und sich für creole-Musik begeistern lässt. Dass dies gelingen kann, zeigen Beispiele wie das Weltmusikfestival Horizonte in

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    Koblenz, der Inselsommer in Ludwigshafen oder das Sommerfest der Kulturen in Stuttgart.

    Kulturellen Bildungsinstitutionen wie Kindertagesstätten, Schulen, Volks-hochschulen und Musikschulen kommt gerade hier auch die große Chance zu, über musikalische Bildung die gesellschaftspolitische Relevanz der Vielfalt der Kulturen zu unterstreichen. Kommunale Kulturverwaltungen könnten hierzu Rahmenbedingungen schaffen, aber auch an anderer Stelle darauf achten, dass zum Beispiel Straßenmusik nicht administrativer Reglementierung zum Opfer fällt. Insgesamt gilt es in Politik und Gesellschaft Fürsprecher zu finden, die sich für den transkulturellen musikalischen Austausch einsetzen und sich dem creo-le-Gedanken öffnen.

    Vernetzung auf jeder Ebene scheint als Fazit die Schlüsselaufgabe, der sich der Trägerkreis creole südwest in Zukunft vor allem widmen sollte, um gesamt-gesellschaftlich sicht- und hörbarer zu machen, was in den Probekellern und Hinterräumen längst zu einer beachtlichen Blüte gebracht wurde - eine Musik, die - wie es jedes creole-Konzert eindrucksvoll belegt - bunter, schillernder, viel-fältiger und überraschender kaum sein könnte.

    Die creole-To-Do-Liste • Weltmusik in die kulturelle Bildung - von Kindesbeinen an

    • Weltmusik im Musikunterricht der Schulen, Musikschulen und Hochschu-len

    • Wissenschaftliche Aufarbeitung weltmusikalischer Entwicklungen

    • Ausbildung zum Weltmusik-Experten

    • Weltmusik als Dach? - Auf der Suche nach einem geeigneten Begriff

    • Heraus aus der Nische der Minderheitenmusik

    • Weltmusik in Feuilletons und Magazine

    • Globale Klänge auf allen (Radio-)Wellen

    • Weltmusik 2.0 - optimale Nutzung sozialer Medien

    • Stärkung von Weltmusik-Agenturen und -Labels

    • Spielstättenförderung

    • Audience Development

    • Fortbildung für Weltmusiker und Weltmusikveranstalter (Marketing)

    • Vernetzung als Hauptaufgabe

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    Nachgefragt: Handan Akkaya-Kapan

    Familie als Quelle und Musik als Brücke

    Handan Akkaya-Kapan ist die Sängerin von Meltem. Die Gruppe findet ihr Material im weiten Feld der anatolischen Kultur, bei Volksdichtern, deren Texte und Lieder fester Bestandteil der türkischen Volkskultur sind. Diesen gibt Meltem ein neues Gewand, indem sie die orientalischen Klänge mit virtuos gespielter Perkussion und modernen, westlichen Harmonien kontrastiert. Meltem, das sind die Landwinde des ägäischen Meeres. Wie diese hauchen die Musiker des Ensembles um die Sängerin Handan Akkaya-Kapan den alten Geschichten von Freundschaften und unerfüllter Liebe, aber auch von Trauer und Verlust neues Leben ein.

    Wie hat sich eure Gruppe Meltem gegründet und entwickelt?Die Band Meltem gründete sich im Frühjahr 2011. Selahattin Cetin und ich haben uns bereits 1990 beim Sazkurs im Mannheimer Forum der Jugend ken-nengelernt und seither in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet. Durch Zufall lernte er den Bassisten Holger Hentschke kennen und wir entschlossen uns, unser Projekt um einen Bassisten zu erweitern. Wir vermissten im Projekt noch eine perkussive Begleitung und fanden über ein Inserat unseren Perkussi-onisten Santino Scavelli.

    Welche Rolle spielt „kulturelle Herkunft“ für Meltem?Die Familie ist die Quelle für die wichtigsten Einflüsse im Leben. So auch in der Musik. Für uns spielt unsere familiäre Herkunft eine wichtige Rolle. Man könnte sogar sagen, das ist das, was unserem Projekt seine Besonderheit gibt, denn in unserer Musik fließen unterschiedliche musikalische Kulturelemente ineinan-der. Wir sehen unsere Musik als Brücke, auch als Mittler zwischen den Kulturen. Die Texte unserer Lieder sind in türkischer Sprache, doch der Zuhörer muss die Texte nicht unbedingt verstehen. Durch unsere Musik und den Titel dazu ahnt das Publikum, wovon unsere Lieder handeln. Wir erklären in unseren Konzerten den Inhalt gerne. In unserer Musik kann man sowohl europäische als auch ori-entalische Elemente wiederfinden, und dies ist zum großen Teil der Tatsache zu verdanken, dass wir alle unsere Wurzeln in verschiedenen Ecken Europas haben. Selahattin und meine Eltern stammen zwar beide aus der Türkei, aber aus unter-schiedlichen Regionen. Seine musikalischen Wurzeln sind in der traditionellen alevitischen Volksmusik. Ich bin seit meiner Kindheit stark von klassischer türki-scher Musik geprägt. Beide bringen wir verschiedene orientalische Elemente in unsere Band ein. Unser Bassist Holger hat in seiner musikalischen Laufbahn viel in Rock- und Ska-Bands gespielt, er ist aber auch von klassischer europäischer Musik stark beeinflusst worden, so bringt er vor allem westliche Kulturelemen-te ein. Santino Scavelli ist in Süd-Italien nicht nur mit westlicher Musik aufge-wachsen, sondern auch stark geprägt von der Volksmusik, die er die ersten 13 Lebensjahre in Kalabrien hörte. Er hat so auch kalabrische Volksmusikelemente aus seinem Herkunftsland mitgebracht, die in unsere Musik einfließen. Unsere kulturellen Unterschiede verleihen zusammen mit unseren Gemeinsamkeiten unserer Musik die entsprechenden Farben. Was uns besonders verbindet ist natürlich unser Lebensmittelpunkt im Rhein-Neckar-Raum und die Lust und Freude, gemeinsam Musik zu machen.

  • Wie stellt sich für Dich die Verbindung „Musik und Migrationshinter-grund“ dar?Alles ist in Bewegung. Dynamisch. Menschen sind in Bewegung, so auch die Musik. Sie verändert sich. Traditionelle und moderne Musik fließen ineinander, bedingen und ergänzen sich gegenseitig, schaffen neue Klangräume.

    Was bedeutet es, Musikerin und Migrantin zu sein?Unsere Band ist natürlich ein gutes Beispiel dafür! Unser eigener Migrations-hintergrund hat uns auf jeden Fall geprägt. Wie ich schon oben erwähnte, ob wir es Kultur oder Familie nennen, ist im Grunde egal. Herkunft prägt die Iden-tität, und man möchte als Musiker seine Identität in der Musik und auch in der Sprache weitertragen. Einige Stücke unseres Repertoires sind von uns vertonte Gedichte. Neben dieser kompositorischen Arbeit arrangieren wir gerne traditio-

    Meltem creole südwest 2013

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    nelle Stücke in moderner Art und Weise. Wir haben angefangen, Lieder in deut-scher Sprache zu schreiben, das ist die Sprache, die uns in der Band miteinander verbindet. Wenn man als Musiker offen ist und Interesse hat auszuprobieren, kann daraus etwas Neues und Interessantes entstehen.

    Ist es besonders, wenn das Publikum „migrantisch“ ist?Für uns macht das keinen Unterschied - Publikum ist Publikum! Wir haben bis jetzt fast immer vor gemischtem, noch nie vor einem rein türkisch-stämmigen Publikum gespielt. Dabei kann die Mischung sehr verschieden sein, bei Konzer-ten bei der Mannheimer Kulturloge war der Anteil von Migranten höher, auch beim Inselsommer in Ludwigshafen waren viele Einwanderer im Publikum, auch bei einer Ausstellungseröffnung in Limburgerhof war das Publikum bunt.

    Welches Publikum wünscht Ihr Euch?Wir möchten mit unserer Musik viele erreichen, nicht nur diejenigen, die unse-re traditionellen Stücke in ihrer ursprünglichen Version kennen, sondern auch Menschen, die am kulturellen Austausch, ja sogar an der Verschmelzung unter-schiedlicher Musikkulturen interessiert sind. Wir wollen durch unsere Musik zei-gen, dass es andere Wege der Begegnung gibt. Die Botschaft lautet: Neugierde wecken und ins Herz schließen.

    In welchem Rahmen tretet Ihr gerne auf?Am liebsten in ruhigem und seriösem Rahmen mit einem künstlerisch und kul-turell interessierten Publikum. Aber auch bei Stadtteil- und Bürgerfesten, wo es mal laut und hektisch zugeht, kann es uns gut gefallen. Wir hatten auch schon Spaß bei interkulturellen Veranstaltungen, Jubiläumsfeiern, in Künstlerateliers, bei Länderfreundschaftsfesten und ähnlichen Anlässen.

    Glaubst Du, dass es noch mehr potentielle creole-Bands gibt, als die, die sich für den Wettbewerb anmelden?Ich denke schon. Creole ist leider noch nicht so bekannt, viele können mit dem Begriff erst mal nichts anfangen, bräuchten mehr Erklärungen. Und die Anfor-derungen sind auch recht hoch. Viele der Bands, die vielleicht für den Wettbe-werb in Frage kommen, haben Schwierigkeiten etwa bei der Präsentation in Pressetexten. Um den Ansprüchen gerecht zu werden, bräuchten manche Bands vielleicht mehr Beratung.

    Welche Unterstützung wäre für creole-Bands besonders wünschens-wert?Nun ja, als Musiker ist man oder frau schon auf sich selbst gestellt, Unterstützung könnten wir uns auf vielen Ebenen wünschen. Bis jetzt haben wir einiges ohne große Unterstützung und aus eigener Kraft geschafft. Das ist auch gut so, denn dadurch können wir selbst entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen und mit welcher Intensität. Manche Kosten, die wir bisher hatten, konnten wir durch die Konzerthonorare decken. Empfehlungen von Freunden und Bekann-ten aus der Veranstalterszene haben uns bis jetzt durchaus auch geholfen. In Sachen Marketing, Website, Pressetexte haben wir Entwicklungspotenzial. Der Zeitmangel, wir haben ja alle Familie und einen Beruf, mangelndes Know-how und fehlendes Geld machen es uns nicht einfach. Also, wenn ich mir eine Un-terstützung wünschen dürfte, würde ich uns wohl am besten eine Art Agentur wünschen, die PR und Booking übernimmt und unserer Band Möglichkeiten eröffnet, an vielen Orten zu spielen. Damit wir uns vor allem auf unsere Kompo-sitionen und Arrangements konzentrieren können, um weiterhin unseren Weg gehen und dabei selbst die Richtung bestimmen zu können.

  • Etienne Emard wurde 1982 in Neustadt an der Weinstraße geboren und studierte in Görlitz, Salamanca (Spanien) und Kaiserslautern Kulturmanagement. Nach seiner Tätigkeit als Mitarbeiter in der Operndirektion der Sächsischen Staatsoper Dresden (Semperoper) übernahm er 2006 die Geschäftsführung des Internationalen Forums für Kultur und Wirtschaft in Dresden. Seit August 2009 ist er Geschäftsführer des Landesmusikrats Rheinland-Pfalz und engagiert sich ehrenamtlich als Generalsekretär der Hermann-Hildebrandt-Stiftung Mainz. Da-rüber hinaus ist er Stellvertretender Landesvorsitzender von „Jugend musiziert“ Rheinland-Pfalz sowie Vorsitzender des Landesausschusses zum 9. Landeschor-wettbewerb Rheinland-Pfalz.

    Wie steht der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz zum Thema „Musik – Migrationshintergrund“?Musik ist grundsätzlich aufgrund ihres großen Facettenreichtums ein „barriere-freies“ Medium, welches zur kulturellen Identitätsstiftung ebenso geeignet ist wie zur Öffnung eines interkulturellen Dialogs. So ist es wichtig, dass die Gesell-schaft Verantwortung für das Bewusstsein zur Stärkung kultureller Identitäts-findung und Öffnung interkultureller Dialoge übernimmt. Der Landesmusikrat kann als Multiplikator dienen und auch vermittelnd tätig sein. Die interkultu-rellen Handlungsfelder unserer Mitgliedsverbände sind hier noch auszubauen.

    Welche Rolle spielt kulturelle Herkunft? Was ändert sich durch den Einwanderungsprozess?Jedem Menschen muss Zugang zu kultureller Bildung ermöglicht werden - un-abhängig von Herkunft und finanziellen Möglichkeiten. Die UNESCO-Konventi-on zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt stellt die drei Grundsäulen kultureller Vielfalt in den Mittelpunkt: das kulturelle Erbe, die zeitgenössischen

    Nachgefragt: Etienne Emard

    Zugang zu kultureller Bildung für alle

    creole Jurysitzung 2013 - Etienne Emard (ganz links)

    Rüdiger Oppermann (ganz rechts)

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    Ausdrucksformen, aber auch die Kulturen anderer Länder in unserem Land. Dies bedeutet, dass musikalische Strömungen unterschiedlicher kultureller Herkunft, um den Begriff aufzunehmen, einer besonderen Förderung und eines besonderen Schutzes bedürfen.

    Sind Musiker mit Migrationshintergrund selbstverständlicher Teil verschiedener Szenen? Wird ein migrantisches Publikum erreicht?Hier muss meines Erachtens eine deutliche Unterscheidung zwischen der pro-fessionellen Musik und der Laienmusikbewegung vorgenommen werden. Im Bereich der professionellen Musik stammen die ausübenden Musiker - insbe-sondere im Sektor der klassischen Musik - sehr oft aus dem europäischen und vielmehr noch außereuropäischen Ausland. Allerdings sind hier die klassischen Einwanderergruppen wenig repräsentiert. Die Diskussion um die Musikhoch-schulen in Baden-Württemberg zeigt dies deutlich, ebenso ein Blick auf die Opernbühnen und in die Orchestergräben. An dieser Stelle gibt es nach meiner Meinung keinen Unterschied. Auf der Publikumsseite hingegen sind im Bereich der Hochkultur, also Oper und Konzertwesen, Menschen mit Migrationshinter-grund wenig vertreten. Die großen Kulturbetriebe müssen sich hier noch weiter öffnen. Anders verhält es sich im Bereich der Laienmusik. Die Laienmusik kann in diesem Zusammenhang ein Ort interkultureller Begegnung sein, sowohl im Hinblick auf den ausübenden Musiker selbst als auch auf das Publikum. Dies muss stärker ausgebaut werden.

    In Rheinland-Pfalz haben relativ wenige Bands für den creole- Wettbewerb beworben. Woran liegt das? Gibt es dort weniger creole-Bands?Ich denke schon, dass es noch mehr Bands gibt, die sich bewerben könnten. Aber diese sind ganz anders strukturiert als etwa die Gesangs- und Musikver-eine. Jene sind in den landesweiten Verbänden seit Jahrzehnten organisiert, und man findet sie ganz einfach. Hier funktionieren über Kreis-, Regional-, Landes- bis hin zur Bundesebene entsprechende Strukturen und Kommunika-tionswege. Hier funktionieren über Kreis-, Regional-, Landes- bis hin zur Bun-desebene entsprechende Strukturen und Kommunikationswege. Der kreative Zusammenschluss einer Band, wie sie in der Regel beim creole-Wettbewerb teilnimmt, wird sich nur ungern mit Fragen des Vereinsrechts befassen wollen. Doch wir haben in Rheinland-Pfalz eine sehr aktive Landesarbeitsgemeinschaft Rock&Pop, die einen guten Überblick über die Szene hat. Aber auch hier sind die Kontaktwege sehr individualisiert und lassen sich auch nicht standardisieren.

    Sollten solche Bands eine besondere Unterstützung bekommen - und wenn ja, in welcher Form?Wie bereits angesprochen sieht die UNESCO-Konvention eine besondere För-derung und Unterstützung von Kulturen anderer Länder in unserem Land vor. Dies ist also auch ein Appell in Richtung Landesregierung, die ja durch eine sehr heterogene Kulturförderung, wie beispielsweise durch den Kultursommer Rheinland-Pfalz, bereits erste Akzente gesetzt hat, dies aber auch noch ausbau-en kann. Der Landesmusikrat übernimmt hier gerne die Rolle eines Vermittlers zwischen den Fachverbänden im Land und den Musikerinnen und Musikern.

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    Nachgefragt: Rüdiger Oppermann

    Plädoyer für den Begriff der Weltmusik

    Rüdiger Oppermann gilt als „Deutscher Meister der Keltischen Harfe“ und international als einer der bedeutendsten und innovativsten Harfenisten. Er hat die Keltische Harfe in Deutschland populär gemacht und als erster afrikanische und indische Muster und Strukturen der Minimal-Music auf sein Instrument übertragen. Auf jahrelangen Reisen durch Afrika und Asien hat er intensiv die Musik und das Leben vieler Völker studiert und mitgelebt. Der Weltmusikpionier erfand und organisiert unter anderem das Klangweltenfestival und ist Träger des Deutschen Weltmusikpreises RUTH.

    Was verbindest Du mit dem Begriff Weltmusik?1982 prägte ich die Begriffe Weltmusic und World Music auf meiner Veröffent-lichung „Der Fliegende Teppich“. Gemeint war eine Musik, die verschiedene Tra-ditionen der Welt zusammenbringt. Ich lebte zu jener Zeit in Kalifornien und beschäftigte mich genau damit. Dass der Begriff sich danach verselbständigte und eine rasante Karriere machte, war gar nicht abzusehen. Und auch nicht, dass eine riesige Geldmaschine angeworfen wurde. Der Begriff lag wohl in der Luft - ein paar Jahre später kam er dann in England auf. Nach drei Jahrzehn-ten ist der Begriff Weltmusik sehr ausufernd für alle möglichen Stilrichtungen verwendet worden, wobei mich die Variante „Popmusik mit Ethnoapplikation“ besonders stört. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es genügt, dass jemand spanisch singt, um schon unter Weltmusik zu fallen. Aber dieses Rad lässt sich nicht mehr zurück drehen.

    Möchtest Du dennoch an diesem Begriff festhalten? Es wird ihm häufig vorgeworfen, dass Weltmusik nichts darüber aussagt, wie eine Musik klingt.Es ist jedem klar, dass Weltmusik als stilistische Beschreibung sehr unscharf ist. Aber auch andere Musikstile leiden unter den ausufernden und ausfransenden Begrifflichkeiten. So gehört zur klassischen Musik alles von den gregorianischen Gesängen über Renaissance, Wagner, Operette bis hin zur Neuen und Elek- tronischen Musik, wenn sie von Stockhausen kommt. Dies ist eine gewaltige Spannbreite und beschreibt ein mindestens so weites Feld wie die Weltmusik. Bei Jazz und Pop ist das nicht anders. Musik ist mit vielen Facetten gesegnet und stilistische Abgrenzungen sind nun einmal schwierig. In anderen Ländern hat man damit weniger Schwierigkeiten und kümmert sich nicht so sehr um Grenzziehungen.

    Natürlich wäre es schön, einen Begriff zu finden, der genauer definiert und nicht von jedem mit einem anderen Sinn gefüllt wird. Doch macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, einen Wettbewerb wie creole, in dessen Zentrum eben die Musik steht, die seit einigen Jahrzehnten mit dem Begriff Weltmusik verbunden ist, ohne diesen Begriff auskommen zu lassen. Auch der Name creole ist ebenso un-scharf und schwer zu fassen. Aufschlussreich scheint mir ein Blick auf die Veran-stalter des Wettbewerbs. Sie zählen zum überwiegenden Teil zur alten Garde der Kulturzentren und Einrichtungen, die seit zehn, zwanzig Jahren oder darüber hinaus daran arbeiten, gute Musik auf die Bühne zu bringen, die nicht selten unter dem Label Weltmusik firmiert.

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    Häufig wird gegen Weltmusik aber gerade auch von Veranstaltern eingewendet, dass vor allem junge Menschen heute mit diesem Be-griff nichts anfangen könnten. Wie begegnest Du diesem Einwand?Dabei handelt es sich um ein generationentypisches Dilemma: Die Elterngene-ration möchte gerne etwas für die Jugend tun. Ein solches Vorgehen hat aber noch nie funktioniert. Junge Menschen, die ansonsten auch nicht in die Alte Feuerwache, ins Tollhaus oder ins Theaterhaus gehen, werden auch nicht des Wettbewerbs wegen kommen. Sie treffen sich an anderen Orten. Wollte man sie ernsthaft unterstützen, müsste man ihnen direkt Geld geben und sie selbst or-ganisieren lassen, nach ihrer eigenen Fasson, an den Orten ihrer eigenen Wahl, ohne die Alten. Hippere Begriffe werden daran nichts ändern.

    Wie beurteilst Du die Weltmusikszene im europäischen Kontext?In anderen europäischen Ländern gibt es ja eine lange Kolonialgeschichte, und daher auch eine große Zahl von Migranten aus den Ex-Kolonien. So entstand in Frankreich schon vor Jahrzehnten ein großer Markt für frankophone Weltmusik, und mancher Stil entstand durch das Zusammentreffen von Identitätsbestäti-gung und Exilantenleben. In London entstand dementsprechend eine starke Bollywood/Bangra-Szene, und es verwundert nicht, dass in Belgien viel Kon-gomusik gehört wird, während in Italien das Interesse an Äthiopien und Lybien stärker ist. In Deutschland ist die Kolonialzeit weitgehend in Vergessenheit ge-raten, und es ergab sich aus dieser kurzen Zeit auch keine Einwanderungsbe-wegung. Dies hat zur Folge, dass das Interesse des Deutschen Publikums viel weltoffener ist und stilistisch ungebundener erscheint als in Paris oder London. Viele traditionelle Stile fanden daher in Deutschland viel früher Aufmerksam-keit als anderswo, etwa die Musik der Mongolei, der Skandinavier, Irish Folk, Australisches, Klassisches aus aller Herren Länder sowie eine spezifische Balkan/Osteuropa-Orientierung, die nach dem Fall der Mauer auch mit der DDR-Folk- und Weltmusik-Geschichte zu tun hatte. Was dagegen praktisch fehlt, ist die Verbindung zu den Musikszenen der hier lebenden Migranten. So hat die Mu-sik der Serben, Kroaten, Italiener, Portugiesen und Türken bislang in den ein-schlägigen Folk- und Weltmusikkreisen kaum Widerhall gefunden. Andererseits entstand eine Parallelwelt von großen Migrantenmusik-Veranstaltungen ohne jedes deutsche Publikum. Zum Beispiel die größte Weltmusikveranstaltung, das Newroz-Fest der Kurden mit 50.000 bis 100.000 Besuchern. Es ist zu hoffen dass sich dies bald öffnet, im vergangenen Jahrzehnt gab es dafür immerhin Ansätze.

    Du sprichst von „länderspezifischen Unterschieden“ in der deutschen Weltmusikszene. Was meinst Du damit?Die soziale und wirtschaftliche Stellung der zugezogenen Neubürger scheint im Südwesten schon lange besser als im Ruhrgebiet oder in Berlin. Es gibt deshalb im Südwesten weniger Musiker, die, wie manche Rapper aus den nördlichen Großstädten das tun, ein Looser-Image kultivieren. Viele türkische Familien schämen sich für die Texte jener Leute und für das unkultivierte Macho-Brutal-Image und -Auftreten ihrer Landsmänner, die freilich besser wahrgenommen werden als die feinsinnigen, gebildeteren Musiker der neuen Generation. So sind im deutschen Südwesten viel mehr studierte Musiker aus Migrantenkreisen in den Wettbewerben zu finden, nicht nur bei creole sondern auch bei „Jugend musiziert“. Diese in Jazz, Klassik oder orientalischer Klassik ausgebildeten Mu-siker in einem Wettbewerb etwa mit Rappern zu vergleichen fällt schwer, weil dafür die Kategorien fehlen.

  • Nachgefragt: Zaza Miminoshvili

    Die Musik unseres Jahrhunderts

    Der aus Georgien stammende Gitarrist gewann mit The Shin und einem folkloristisch-weltmusikalischen Jazz den creole Bundeswettbewerb 2009. 1998 wurde die Gruppe in Deutschland von Zaza Miminoshvili und Zurab Gagnidze gegründet, die beide seit 1994 in Deutschland leben. Die in Stuttgart lebenden Musiker gehören zur künstlerischen Elite Georgiens. The Shin gilt momentan als die international bekannteste georgische Welt-Jazz-Band.

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    Zaza, Ihr habt 2009 zunächst den Regionalwettbewerb creole süd-west und dann den Bundeswettbewerb gewonnen. Was war das für eine Erfahrung für Euch?Bei creole haben wir zum ersten und vermutlich auch zum letzten Mal an einem Wettbewerb teilgenommen. Auch wenn ich glaube, dass man Kunst in einer Wettbewerbssituation nicht angemessen beurteilen kann, war es doch eine sehr wichtige Erfahrung, über die ich froh bin, dass ich sie gemacht habe. In dieser engen Form des 20-Minuten-Auftritts und in der Wettkampfatmosphäre etwas auf den Punkt zu bringen und ein Statement abzugeben ist eine große Herausforderung.

    Inwiefern habt Ihr vom Gewinn der creole profitiert?Wir haben diese große Erfahrung gemacht, können den Sieg in unsere Biografie schreiben und haben auf ein paar sehr guten Festivals spielen können. Ich finde aber, dass es dieser Wettbewerb und die riesige tolle Arbeit, die die Organisa-toren machen, verdient hätten, viel mehr gewürdigt zu werden. Weltmusik ist für mich die Musik unseres Jahrhunderts und unserer Zukunft. Daran gemessen, müsste da viel mehr passieren. Wenn man es mit dem Fußball vergleichen wür-de, wären wir ja so etwas wie Deutscher Meister geworden. Beim Finale in Berlin sind wir auf ein hervorragendes Feld von Bands getroffen, aber außer ein paar Spezialisten hat in Berlin von dem Wettbewerb kaum jemand Notiz genommen. 

    Was bedeutet für Dich Weltmusik?Jonas Hellborg hat sich vor Jahren einmal gewundert, warum es keine Weltmu-sik sein solle, wenn ein Amerikaner und ein Brite sich musikalisch austauschen, wenn aber ein Georgier, ein Pakistani und ein Russe dasselbe tun, das dann Weltmusik sei. Er hat damit den Begriff als imperialistisch gebrandmarkt. Im Grunde ist alles Weltmusik oder eben nichts. Nun hat man aber einen Begriff gebraucht, um sich von den bekannten Musikrichtungen abzugrenzen, und da gibt es bis heute leider nicht viel besseres als World Music. Wenn es aber so et-was wie Weltmusik gibt, dann ist das in meiner Vision die Musik dieses Jahrhun-derts, in der alle musikalischen Systeme aufeinander zugehen und gegenseitig voneinander lernen und etwas Neues entwickeln, Klassik, Jazz und die vielen ethnischen Traditionen ... Leider stelle ich aber in allen Bereichen, auch in der sogenannten Weltmusik-Szene, eine Stagnation fest, die dieses Sich-Öffnen und diese riesige gegenseitige Bereicherung gar nicht will und sucht.

    Gibt es etwas, was Du aus Teilnehmersicht und auch Jurymitglied am creole-Wettbewerb verändern würdest?Mit Humor gesagt, würde ich empfehlen, dass er etwas mehr von „Deutschland sucht den Superstar“ haben sollte. Das heißt er sollte mehr gesellschaftliche Interessen wecken, natürlich auch Sponsoren finden und darf nicht im Lokalen stecken bleiben. Wenn, wie es meine Vision ist, Weltmusik eben die Musik un-serer Zeit ist, dann müsste dieser Wettbewerb sehr viel bekannter werden, denn creole ist der einzige Wettbewerb, der diesen Gedanken fördert.

    Welches Publikum erreicht Ihr mit Eurer Musik?Die oben beschriebene Stagnation umfasst für mich leider auch das Publikum, das vielfach nur das hören will, was es schon kennt. Doch habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir, seit wir die Adresse geändert haben, ein sehr breites Publi-kum erreichen können. Früher haben wir kunstvoll für den Verstand musiziert. Seit wir begriffen haben, dass es nicht darauf ankommt, dass die Kritiker und der Musikwissenschaftler verstehen, was wir Tolles machen, sondern darauf, für die Herzen der Menschen zu spielen, können wir praktisch jedes Publikum berüh-ren, auch die Professoren, denn auch die haben ein Herz.

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    Der Musiker und Pädagoge Uli Krug ist vor allem als Gründer und Sousaphonist der Band Mardi Gras.BB bekannt, mit der er weltweit tourt. Uli Krugs künstleri-sche Auffassung ist von jeher dezidiert trans- und interkulturell geprägt. Erste Reisen nach New Orleans, Memphis, und Nashville später dann nach Ecuador gaben den Anstoß für internationale Kooperationsprojekte und schließlich im Jahr 2007 für die Gründung des Vereins „Proyecto Vision e.V.“ Dieser Verein hat den Aufbau eines Kulturzentrums im Regenwald der Provinz Esmeraldas (Ecuador) zum Ziel. Ein zweiter Schwerpunkt der Arbeit von Uli Krug als Musiker ist das Theater. Gemeinsam mit seiner Frau Gerburg Maria Müller ist er Begründer und künstlerischer Leiter des WIR!-Projekts, das gemeinsam mit dem Kulturamt Mannheim konzipiert wurde. Jugendliche und junge erwachsene Mannheimer aller Nationen mit künstlerischem Hintergrund haben zusammen ein neuartiges Gesamtkunstwerk entwickelt, das im Februar 2013 im Nationaltheater Mann-heim der Öffentlichkeit präsentiert wurde. www.wir-mannheim.de

    Wann bist Du erstmals mit Musik aus anderen Kulturen konfrontiert worden?Das war Mitte der 90er Jahre, bereits zu Zeiten von Mardi Gras.BB, als wir in Mannheim die Aktion „Take it to the Street“ gestartet haben, an der neben Bre-akdancern und Hip-Hoppern zwei Perkussionisten aus Afrika und Lateinamerika mitwirkten. Das war für mich eine erste wichtige Möglichkeit, die Erfahrungen von Musikern anderer Kontinente einzubeziehen.

    Eines Deiner jüngsten Projekte sind die Diamond Dogs, die unter anderem türkische Tangos spielen. Was macht es für Dich reizvoll, mit Musikern anderer Kulturen zusammenzuarbeiten?Ich habe Musik immer schon als eine universelle Sprache verstanden. Seit ich Musik mache, hatte ich immer wieder Ideen, Musiker aus größeren Zusammen-hängen zusammenzubringen. Als ich 1994 erstmals Ecuador bereiste und die dortigen Bandas de Pueblo kennenlernte, entwickelten sich in der Folge immer neue internationale Projekte. Wir haben inzwischen mit MGBB in Bulgarien, Tansania, Indien, Frankreich und im Jemen mit Brassbands zusammengearbei-tet. Die Musik nutzen wir, um andere Kulturen kennenzulernen. Das geht für mich nahtlos in die Möglichkeit über, als Musiker in soziokulturellen Projekten tätig zu werden. So wie aktuell im Mannheimer WIR!-Projekt, wo ich auch in-tensive Kontakte zur türkischen Kultur knüpfen konnte. Daraus entstanden die Diamond Dogs, die ich aber nicht auf das Thema Tango reduziert wissen möchte. Sie schlagen eine Brücke von Istanbul über Mannheim nach Buenos Aires. Ich finde es toll, dass man über Musik und Tanz einen ganz unmittelbaren Zugang zu anderen Kulturen bekommen und zeigen kann, wie nah sich eigentlich die fernen Kontinente sind. Ich habe dabei sehr viel gelernt.

    Welche Schwierigkeiten können sich in multikulturellen Gruppen im Zusammenspiel ergeben? Es gilt den Schritt von der Traditionspflege zu etwas Neuem zu machen. Dafür ist es wichtig, dass man sich gegenseitig die eigenen Traditionen möglichst im Originalzustand vorstellt. Dann aber braucht es auch eine gewisse Offenheit und die Bereitschaft, die Vorlage nicht nur im authentischen Zustand zu kopieren.

    Nachgefragt: Uli Krug Musik als universelle Sprache

  • Bei dieser Arbeit kann man Hemmungen begegnen, die es allerdings bei Rock-musikern, die möglichst originalgetreu die Charts covern, ebenso gibt.

    Hat man es als Multikulti-Band schwerer - oder ist es einfacher, weil man in unterschiedlichen Communities sein Publikum finden kann?Da gibt es keine Pauschalantwort. Schwieriger ist es vielleicht, weil die Leute in Deutschland gerne Schubladen suchen, also: Tango - Tanzlehrer - eine gewisse Akrobatik ... Ich sehe das aber ganz anders. Wenn man den Tango als 4/4-Takt begreift, kann man sich dazu bewegen, auch ohne die klassischen Grundschritte zu kennen. Das Spannende an den Diamond Dogs ist für mich die Möglichkeit, interkulturell unterwegs zu sein. Wir können heute auf einer türkischen Hoch-zeit, morgen auf einem Stadtteilfest spielen und übermorgen einen Tangoabend gestalten, zu dem jeder eingeladen ist.

    Was bedeutet Dir der Begriff Weltmusik?Ich tue mich als Musiker mit Etiketten grundsätzlich schwer. Weltmusik ist für mich dann spannend, wenn aus unterschiedlichen Traditionen etwas Neues entsteht. Dabei geht es nicht um einen Eintopf, sondern um das gegenseitige Verstehen und Respektieren. Das betrifft nicht nur die musikalischen Aspekte, auch die Philosophie und die Menschen mit ihren Biografien müssen dabei einbezogen werden. Ich halte es zum Beispiel für sehr problematisch, die zur Zeit immer noch sehr beliebte Balkanmusik kommerziell zu benutzen und dabei außer Acht zu lassen, dass die Menschen, deren Musik das im Grunde ja wirklich ist, bei uns in den Städten auf der Straße sitzen und betteln. Das große Ziel ist es, Kraft für gesellschaftliche Veränderungen aus der Diversität zu schöpfen. Wir brauchen die unterschiedlichen Traditionen für eine konkrete Utopie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

    Diamond Dogs creole südwest 2013

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    Du arbeitest auch mit Musikern zusammen, die in anderen Ländern leben. Wie beurteilst Du die deutsche Musikszene etwa im Vergleich zu Frankreich?Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Frankreich die Kultur mehr zum Leben gehört. Wir wurden mal auf einem Festival im südwestfranzösischen Pau ganz wunderbar aufgenommen und verpflegt. Irgendwann kam die Chefin des Gan-zen und sagte: „Den Künstlern muss es gut gehen, dann geht es uns allen gut.“ In Deutschland bist du als Musiker eher der Exot und wirst immer noch mit Fragen konfrontiert wie: „Und wovon lebst du eigentlich?“ Außerdem gibt es in Frank-reich nach meiner Erfahrung eher Offenheit statt Schubladen. So war es nichts Besonderes, dass wir mit MGBB beim Transmusicale Festival in Rennes mit der Soul-Pop-Diva Marcy Gray und den Rappern von Public Enemy auf einer Bühne standen und auf einer Nebenbühne pakistanische Sufimusik gespielt wurde.

    Welche Verbesserungen würdest Du Dir für deine Situation als Musiker wünschen? Ich habe die Befürchtung, dass durch die ganzen TV-Formate wie „Voice Of Ger-many“ oder DSDS, aber auch durch die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten zum Pop- oder Jazzmusiker die Bereitschaft verlorengeht, für eine künstlerische Idee Verantwortung zu übernehmen. Als wir anfingen, gab es all die modernen Formate nicht. Es gab noch Musikfernsehen und Schallplattenläden, in denen sich die Fans gesucht und gefunden haben. Wir waren eine Band. Ein Band ist kein Projekt. Sie ist eine soziale Gemeinschaft, etwas ganz Besonderes, wie eine Familie oder eben eine Bande, die man nicht einfach verlassen kann. Man ist stolz, fühlt sich den anderen überlegen. Es ist der Underground, der fasziniert und nicht der Mainstream. Heute haben Musiker viele meist schnelllebige Pro-jekte und suchen schon früh Kontakte zur Industrie. Es gibt im Wesentlichen kei-ne Vision von einer Gegengesellschaft mehr. Der Mainstream scheint die Vision zu sein - das reicht mir nicht!

  • Mehmet Ungan ist Soziologe, Musiker, Dozent und Gründer der Orientalischen Musikakademie Mannheim. Seit über 20 Jahren arbeitet er mit sozial benach-teiligten Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Zu den Stationen seiner sozial- und musikpädagogischen Arbeit gehören der Internationale Bund Mannheim, der Treff International Ludwigshafen sowie zahlreiche Integrations-projekte. Als Lehrbeauftragter der Goethe-Universität Frankfurt unterrichtet Ungan islamisch-mystische Musik. An der Hochschule Mannheim hat er einen Lehrauftrag für transkulturelle Musikangebote in der sozialen Arbeit.

    Johannes Kieffer ist Mitbegründer der Orientalischen Musikakademie Mannheim. Mit seiner Firma, dem Spezialversand Kieffer’s Musik, liefert er seit über 25 Jahren Musikinstrumente für Musikpädagogik und Musiktherapie. In der Orientalischen Musikakademie ist er für Konzeption und Management zahlreicher Integrations- und Kulturprojekte verantwortlich. Seit 2011 studiert Johannes Kieffer Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

    Warum wurde die Orientalische Musikschule Mannheim (OMM ) gegründet und welche Schwerpunkte hat sie?Es war die Vision von Mehmet Ungan, einen Ort oder ein Zentrum der interkul-turellen Begegnung für Musik und Tanz zu gründen. Zusammen mit einer Grup-pe von Künstlern und Kulturschaffenden unterschiedlicher Herkunft entstand so vor fünf Jahren die Orientalische Musikakademie Mannheim im Stadtteil Jungbusch. Die interkulturelle Arbeit der OMM steht auf drei Säulen: Begonnen hat es mit soziokulturellen Projekten im Stadtteil in Form von niederschwelligen Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien. Dann kamen Konzerte mit den Künstlern der OMM und ihren Gästen und Workshops hinzu. Viele Facetten orientalischer Musikkultur konnten so auf hohem künst-lerischem Niveau vermittelt werden. Unsere Gastmusiker und Dozenten sind

    Nachgefragt: Mehmet Ungan und Johannes Kieffer

    Auf dem Weg zu einer akademischen

    Ausbildungsstätte für orientalische Musik

    Mehmet Ungan (Mitte)

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    international, kommen zum Beispiel aus der Türkei, dem Libanon oder aus In-dien. Als dritte Säule entwickelte sich parallel die Projektarbeit mit Schulen und anderen Institutionen in Mannheim und der Region Rhein-Neckar.

    Wie verändern sich die Musikwissenschaft und die Ausbildung von Musiklehrern in der Einwanderungsgesellschaft? Was bedeutet kulturelle Diversität für die musikalische Bildung? Deutschlandweit gibt es erste Ansätze in musikwissenschaftlichen Studienfä-chern, sich mit außereuropäischer Musik auseinander zu setzen, meist sind die-se aber noch theoretisch. Wir bemerken bei unseren Kooperationsprojekten mit Schulen einen sehr großen Bedarf an Kompetenz zum Thema außereuropäische Musik. Auch von Seiten der Lehrer gibt es hier eine steigende Nachfrage nach Wissen zu den Musikkulturen der Schüler.

    Müssen Musikschulen ihr Angebot anpassen und erweitern?In unserer Kooperation mit der Musikschule sehen wir ein großes Interesse an interkulturellem Austausch. Die türkische Laute, die Bağlama, wird 2014 erst-mals beim Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ in Mannheim als Kategorie aufgenommen. Zwei Dozenten der OMM werden in der Jury sein. Bei unserem Symposium Campus Oriental Music im Dezember 2013 haben wir diese Ent-wicklung zum Anlass genommen, um über den Bedarf einer akademischen Ausbildungsstätte für Weltmusik hier in Mannheim zu diskutieren. Es liegt nahe, dass die OMM Teil einer solchen Einrichtung sein könnte.

    Welche Rolle spielt die Musik, die beim creole-Wettbewerb eingela-den ist?In der OMM standen transkulturelle Musik-Projekte immer im Fokus. In den vergangenen fünf Jahren haben sich einige Ensembles gebildet, die kulturüber-greifend und transkulturell arbeiten, wie zum Beispiel LebiDerya, die ja dann auch zu den creole-Gewinnern in Südwest gehörten. Die Begegnung von ori-entalischer klassischer oder traditioneller Musik und europäischen Musikstilen lässt Neues entstehen - das ist sicher von besonderer gesellschaftlicher Bedeu-tung. Für die Entwicklung der Musik sind transkulturelle Band-Projekte eine große Bereicherung.

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    Die Berliner Musikjournalistin, Autorin und DJ Katrin Wilke arbeitet für verschiedene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sowie für Printmedien. Für mehrere Jahre war sie für Deutschlands größtes Folk-Roots-Weltmusikfestival, das TTF in Rudolstadt, tätig. Sie zählte zum Team des Berliner Radio Multikulti und ist eines der Gründungsmit-glieder des unabhängigen Radios multicult.fm, wo sie zwei Sendungen gestaltet. Ihr musikalischer Schwerpunkt liegt im spanisch- und portu-giesischsprachigen Kulturraum.

    Welche Rolle spielen globale Klänge und Weltmusik gegenwärtig im Rundfunk?Eine nach wie vor und leider noch zunehmend untergeordnete. International relevante Neuigkeiten, renommierte Weltmusik-Künstler, -Trends, -Veröffentli-chungen und -Events schaffen es zwar bisweilen sogar in allgemeiner orientier-te Medien wie Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk, wo sie gelegent-lich sogar auf einem größeren Sendeplatz präsentiert werden. Aber nach wie vor spürt man allenthalben, dass die Idee von Popularmusik hauptsächlich von der amerikanischen und britischen Anglo-Kultur und den westlichen, zentra-leuropäischen Musikkulturen dominiert wird. Vereinzelt finden Musikentwick-lungen „exotischerer“ Kulturkreise wie Mali-Blues und der Wüstenrock von Tu-areg-Musikern den ihnen angemessenen Eintritt in allgemeinere popkulturelle Kontexte. Dies sollte jedoch viel häufiger passieren. Denn viele Bereiche der so-genannten Weltmusik haben sich in den vergangenen Jahrzehnten emanzipiert und sind in den Clubs der Welt und den Ohren auch weltmusikfernerer, jüngerer Konsumenten gelandet.

    Nachgefragt: Katrin Wilke

    Multikulti im Rundfunk

    Indrajala im Radiointerviewcreole südwest 2013

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    Warum ist es schwierig, in einer zunehmend multikulturell gepräg-ten Gesellschaft auch eine entsprechende musikalische Vielfalt in Radioprogrammen abzubilden?Ich halte dies an sich nicht für schwierig, es findet bislang nur leider nicht ausreichend statt. Vielleicht ist das so, weil Angst davor herrscht, mit weniger mainstream-orientierten, „exotischeren“ Klängen keine „Quote“ zu machen und den Radiokonsumenten in seinen vermeintlichen Hörgewohnheiten zu überfor-dern. Andererseits scheint mir unsere Gesellschaft schon längst multikulturell geprägt, und einige der dazu gehörenden musikalischen Phänomene zumin-dest an einem Ort wie Berlin Normalität und Realität zu sein. Damit müsste ja eigentlich auch die Notwendigkeit entfallen, diesen multikulturellen Realitäten besondere Plätze im Radio zu reservieren, man könnte sie stattdessen in die allgemeinen Programme einfließen lassen. De facto aber wird der Weltmusik immer weniger Platz eingeräumt, fallen zahlreiche Weltmusikprogamme in ganz Europa ersatzlos weg, und man muss um jede Wahrnehmung ringen. Diese Entwicklung ist im Grunde absurd.

    Wie ist die Situation beim Fernsehen, dort finden ja volkstümliche, folkloristische Formate einen nach wie vor großen Zuspruch?Zwischen „volkstümlich“ und „folkloristisch“ können – zumindest im heutigen deutschen Volksmusikverständnis – Welten liegen … Dass man mit populisti-scher Musik zweifellos viel Quote machen kann, ist an den vielen Sendungen zu diesem Thema zu erkennen. Von meinem persönlichen Musikgeschmack und –verständnis her kann ich mir dieses Phänonem nicht erklären. Weltmusikalische Themen hingegen muss man im Fernsehen wohl mit der Lupe suchen, am ehes-ten bei arte oder 3sat ... Lediglich Themen mit Mainstream-Potenzial scheinen es in dieses Medium zu schaffen. Wie kürzlich Buika in die Anke-Engelke-Show, wo die afro-spanische Sängerin mit ihrem eher am Rande platzierten Kurzauf-tritt ein wenig wie ein bunter, exotischer Hund behandelt wurde.

    Welche Rolle spielen die freien Radios für die Weltmusikszene?Durch ihre Unabhängigkeit vom Quotendruck, den Freigeist und die entspre-chenden Leidenschaft ihrer zumeist ehrenamtlichen Macher haben sie die Mög-lichkeit, bereits beschriebene Themenlücken zu schließen und können sich im besten Falle den allerdings unbezahlten Luxus leisten, spezieller, detaillierter und ausgiebiger weltmusikalische Themen aufzugreifen, näher, persönlicher an der Szene dran zu sein und auch einmal einen Trend anzuschieben. Die großen Medien hängen in starkem Maße von den Aktualitäten wie Plattenveröffentli-chungen ab, weshalb sie im Grunde den schon bestehenden Trends und News hinterher hecheln, anstatt selber welche ans Licht zu bringen. Dabei lägen ge-rade darin Aufgabe und Qualität der Journalisten. Selbst für freie wie „gebun-dene“ Medien tätig, weiß ich es zu schätzen, dass ich für den Preis der Unent-geltlichkeit auch aufEntdeckungsreisen gehen, mit den Musikern und Szenerien persönlicher und informeller in Tuchfühlung kommen und so – wenngleich in einem weitaus begrenzteren Radius – die Weltmusikszene ein bisschen mitge-stalten und ihr eine Öffentlichkeit geben kann.

    Wäre es ausreichend, wenn etwa Funkhaus Europa (FHE) bundesweit ausgestrahlt würde?Zunächst einmal ist mir fast jeder Zentralismus suspekt und häufig auch unnö-tig, es sei denn, zur Vereinfachung und Ökonomisierung administrativer, logis-tischer Aspekte. Die Idee von FHE als bundesweites Medium würde ich zunächst analog zu Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur rein formal für möglich halten. Gerade da aber, wo es um Vielfalt von Stimmen, Kulturen und Traditio-nen geht, müsste ein solches bundesweites Medium aus meiner Sicht flächen-

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    deckend, vor Ort mit Hilfe der jeweiligen Journalisten, Musikschaffenden und anderen kompetenten Kräfte in die thematische Tiefe gehen. Dabei müssten in Zusammenarbeit mit den Beteiligten, den Experten und Organisatoren vor Ort regional gepflegte Volks- und Weltmusikkulturen innerhalb Deutschlands, aber auch urbane, moderne Weltmusik- und Globalpop-Entwicklungen aus aller Welt sowie ihre Ursprünge und Wurzeln aufgearbeitet werden. Im konkreten Inhalt und im Kontext der Diversität erscheint mir gegenwärtig ein solches einziges bundesweites Weltmusik-Radio als nicht ausreichend. So hat FHE, das vor fünf Jahren auch die Frequenz des Berliner Senders Radio Multikulti übernahm, kaum sämtliche in Deutschland stattfindenden weltmusikalischen Entwicklun-gen im Blick, und kann dies wohl auch von Köln aus allein mit Hilfe von Berliner und Bremer Kollegen nicht leisten. Auch die thematische Ausgewogenheit von neu und alt, urban-modern und traditionell, „hip“ und „unhip“ ist im Profil des selbsterklärten „Global Pop“-Senders immer weniger zu finden.

    Was ist multicult.fm und welches Publikum wird damit erreicht?Die Crew von Radio multicult.fm, darunter auch einige zuvor beim RBB-Sen-der Radio Multikulti tätige Journalisten, nahm ihre Arbeit als Reaktion auf die Schließung jenes deutschen Multikulti-Pioniersenders auf. In der Nacht vom 31.12.2008 zum 1.1.2009, in der FHE die Berliner Multikulti-Frequenz über-nahm, starteten wir als multicult2.0 in der Überzeugung, dass ein allseits als multikulturell gefeierter Ort wie Berlin nicht ohne ein solches, vor Ort mit den Akteuren des multikulturellen Berliner Geschehens agierendes Medium existie-ren kann und sollte. Mit dem Ziel, eine der überaus wenigen freien Frequenzen im absolut dichten Netz von Berlin/Brandenburg zu erlangen, begannen wir zunächst als reines Internetradio. Nach knapp anderthalb Jahren erlangten wir ein mehrstündiges, terrestrisches Sendefenster auf einer Frequenz, die sich ver-schiedene freie Lokalradios teilen. Als selbsterklärtes „WeltKulturRadio“ wollen wir von Berlin aus ein Fenster in die Welt öffnen und all diejenigen erreichen, die – egal, wo sie sich befinden – schwerpunktmäßig über Berlins multikulturelles Geschehen erfahren, Neuestes genauso wie Spezielleres, teils Unbekannteres aus der hi