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01 weltmusik SONNABEND/SONNTAG, 9./10. MAI 2009 www.taz.de | [email protected] | fax 030 . 251 06 94 gibt es den „Karneval der Kultu- ren“ in Berlin, der sich zu einem Riesenspektakel ausgewachsen hat. Es gibt den Weltmusik-Wett- bewerb „Creole“, an dem sich die- ses Jahr über 500 Bands aus der ganzen Republik beteiligt ha- ben. In Köln sendet das Funk- haus Europa bereits im zehnten Jahr rund um die Uhr globali- sierte Klänge aus aller Welt. Und überhaupt ist die deutsche Mu- sikszene dank Namen wie Seeed und Shantel, Patrice und Culcha Candela bunter und irgendwie tropischer geworden. Sound der Einwanderung Deutschland hat sich damit an- deren Einwanderungsländern wie Frankreich und Großbritan- nien angenähert – und das, ob- wohl es auf keine vergleichbare koloniale Vergangenheit zurück- blickt. Die multikulturelle Ge- sellschaft, politisch totgesagt – in Weltmusik als Wille und Vorstellung IDEENGESCHICHTE „Weltmusik“ war mal eine deutsche Utopie. Heute ist sie eine Realität VON DANIEL BAX chon 1905 schrieb der deutsche Musikologe Ge- org Capellen: „Durch die Vermählung von Orient und Okzident gelangen wir () zur Weltmusik, die je nach der na- tionalen und individuellen Ver- anlagung des Schaffenden in den verschiedensten Nuancen schil- lern wird.“ In der Begegnung westlicher Komponisten mit tra- ditionellen und außereuropäi- schen Musikstilen sah der Musik- S und allem, was damit zusam- menhängt, in Deutschland noch immer entgegengebracht wird. Ginge es dabei nur um Worte, die abgelehnt werden, weil darin ei- ne falsche Romantik anklingt, dann wäre das nicht der Rede wert. Doch die Ablehnung trifft Musiker und ganze Genres. Verkannte Pioniere Die Missachtung, mit der Musik „mit Migrationshintergrund“ in der hiesigen Musikpresse ge- straft wird, ist nicht neu. Dass der Weltmusik-Prophet im eigenen Land eher wenig gilt, hat hier Tra- dition. „Die Dissidenten“ etwa, die einst aus der Krautrock-Com- bo Embryo hervorgingen, zählen zweifellos zu den Pionieren mo- derner Mischmusik. Als sie in den Achtzigerjahren mit ihrem Album „Electric Sahara“ im Ma- ghreb, Spanien und sogar Brasili- en große Erfolge feierten, nahm man das in ihrer Heimat nur ach- selzuckend zur Kenntnis. Und selbst heute ist hierzulande kaum bekannt, welchen Beitrag sie damit zur musikalischen Ent- wicklung – etwa des algerischen Rai – geleistet haben. Ähnlich erging es den 17 Hip- pies, als sie noch am Anfang standen. Erst durch den Film „Halbe Treppe“ von Andreas Dresen wurde ihnen auch hier- zulande jene mediale Aufmerk- samkeit zuteil, die sie – mittler- weile eine der wichtigsten deut- schen Bands – längst verdient haben. Und auch der Frankfurter DJ Shantel wird mit seinem Bal- kan-Pop von vielen noch immer als Exot belächelt. Dabei war sein Album „Disco Partizani“ etwa in der Türkei ein Bestseller, dort ist er ein unbestrittener Star. Warum „Weltmusik“, selbst wenn sie von hier stammt, auf so viel Ignoranz stößt, lässt sich nicht allein mit Provinzialität und Sektierertum erklären, die große Teile des deutschen Musi- kjournalismus auszeichnen wer sich über die Musiken der Welt informieren will, muss den Guardian, die Libération, El País oder Fachzeitschriften lesen. Die Vorbehalte gegen jede Form der „Weltmusik“ mögen deren Geburt aus dem Geist des deutschen Idealismus geschul- det sein. Möglicherweise ist es aber auch nur ein alter xenopho- ber Reflex. Botschafter des guten Geschmacks aus deutschen Landen: die weltgereisten 17 Hippies Foto: Picture Alliance/dpa um dann auf eine türkische Hochzeit, ein brasilianisches Konzert oder zur „Russendisco“ ins Kaffee Burger zu gehen. Manche tun sich mit dieser neuen Realität noch schwer. Das erkennt man schon an der Skep- sis, die dem Wort „Weltmusik“ Dass der Weltmusik-Prophet im eigenen Lande nichts gilt, hat in Deutschland eine lange und schlechte Tradition sie sich doch gerade in Deutsch- land nicht erfüllt. Doch der Ge- danke war seitdem in der Welt und fiel immer wieder auf fruchtbaren Boden. Nicht nur, aber auch in Deutschland. Vom Jazz zum Krautrock Schwer beeindruckt von John Coltrane, der mit indischen und afrikanischen Rhythmen experi- mentierte, erblickte etwa der deutsche Musikjournalist Joa- chim-Ernst Berendt im Jazz eine „Weltmusik“ avant la lettre. Be- reits in den Sechzigerjahren brachte der einflussreiche Im- presario und „Jazzpapst“ deshalb deutsche Jazzer mit indonesi- schen Gamelan-Musikern zu- sammen und warb dafür, den Jazz als offene und multikultu- relle Sprache zu begreifen, wo- mit er natürlich alle Jazz-Puris- ten für immer gegen sich auf- brachte – zum Teil bis heute. Es waren Krautrock-Bands wie Can, Amon Düül und Kraan, die diesen Gedanken später in die Rockmusik trugen, indem sie orientalische und asiatische Klänge in ihre psychedelische und experimentelle Improvisa- tionsmusik mischten. Damit verband sich bei ihnen ein anti- rassistischer und antinationalis- tischer Impuls, mit dem sie sich gegen all jene Bands abgrenzten, die diesen Anspruch zwar auch auf den Lippen trugen, aber for- mal lediglich angloamerikani- sche Rockmuster kopierten und in deutsche Sprache übersetzten – so wie zum Beispiel die Polit- Band TonSteineScherben. Heute ist die „Weltmusik“ nicht zuletzt dank Einwande- rung und Globalisierung in Deutschland gut etabliert. Da der Musikszene ist sie heute eine Realität. Nirgendwo ist das so au- genfällig wie in der Hauptstadt Berlin, wo man an einem einzi- gen Abend zwischen verschiede- nen Welten wechseln kann, wenn man ihn in der Strandbar des Reggae-Clubs „Yaam“ beginnt, kundler ein neues Genre entste- hen – und hoffte, darin ein Anti- dot zu den grassierenden Natio- nalismen seiner Zeit zu finden. Weltmusik als Utopie, in der sich alle nationalen und kultu- rellen Unterschiede in Wohlge- fallen auflösen? Diese Hoffnung erscheint im Rückblick naiv, hat Impressum Verlag: taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin Internet: www.taz.de Verantwortliche i.S. des Pressegesetzes: Bascha Mika Redaktion: Daniel Bax, Zonya Dengi, Stefan Franzen Anzeigen: Kaspar Zucker

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weltmusik

SONNABEND/SONNTAG, 9./10. MAI 2009www.taz.de | [email protected] | fax 030 . 251 06 94

gibt es den „Karneval der Kultu-ren“ in Berlin, der sich zu einemRiesenspektakel ausgewachsenhat. Es gibt den Weltmusik-Wett-bewerb „Creole“, an dem sich die-ses Jahr über 500 Bands aus derganzen Republik beteiligt ha-ben. In Köln sendet das Funk-haus Europa bereits im zehntenJahr rund um die Uhr globali-sierte Klänge aus aller Welt. Undüberhaupt ist die deutsche Mu-sikszene dank Namen wie Seeedund Shantel, Patrice und CulchaCandela bunter und irgendwietropischer geworden.

Sound der Einwanderung

Deutschland hat sich damit an-deren Einwanderungsländernwie Frankreich und Großbritan-nien angenähert – und das, ob-wohl es auf keine vergleichbarekoloniale Vergangenheit zurück-blickt. Die multikulturelle Ge-sellschaft,politischtotgesagt–in

Weltmusikals Wille undVorstellungIDEENGESCHICHTE „Weltmusik“ war mal einedeutsche Utopie. Heute ist sie eine Realität

VON DANIEL BAX

chon 1905 schrieb derdeutsche Musikologe Ge-org Capellen: „Durch dieVermählung von Orient

und Okzident gelangen wir (…)zurWeltmusik,diejenachderna-tionalen und individuellen Ver-anlagungdesSchaffendenindenverschiedensten Nuancen schil-lern wird.“ In der Begegnungwestlicher Komponisten mit tra-ditionellen und außereuropäi-schenMusikstilensahderMusik-

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und allem, was damit zusam-menhängt, in Deutschland nochimmer entgegengebracht wird.Ginge es dabei nur um Worte, dieabgelehnt werden, weil darin ei-ne falsche Romantik anklingt,dann wäre das nicht der Redewert. Doch die Ablehnung trifftMusiker und ganze Genres.

Verkannte Pioniere

Die Missachtung, mit der Musik„mit Migrationshintergrund“ inder hiesigen Musikpresse ge-straft wird, ist nicht neu. Dass derWeltmusik-Prophet im eigenenLandeherweniggilt,hathierTra-dition. „Die Dissidenten“ etwa,die einst aus der Krautrock-Com-bo Embryo hervorgingen, zählenzweifellos zu den Pionieren mo-derner Mischmusik. Als sie inden Achtzigerjahren mit ihremAlbum „Electric Sahara“ im Ma-ghreb,SpanienundsogarBrasili-en große Erfolge feierten, nahmman das in ihrer Heimat nur ach-selzuckend zur Kenntnis. Undselbst heute ist hierzulandekaum bekannt, welchen Beitragsie damit zur musikalischen Ent-wicklung – etwa des algerischenRai – geleistet haben.

Ähnlich erging es den 17 Hip-pies, als sie noch am Anfangstanden. Erst durch den Film„Halbe Treppe“ von AndreasDresen wurde ihnen auch hier-zulande jene mediale Aufmerk-samkeit zuteil, die sie – mittler-weile eine der wichtigsten deut-schen Bands – längst verdienthaben.UndauchderFrankfurterDJ Shantel wird mit seinem Bal-kan-Pop von vielen noch immeralsExotbelächelt.Dabeiwar seinAlbum „Disco Partizani“ etwa inder Türkei ein Bestseller, dort ister ein unbestrittener Star.

Warum „Weltmusik“, selbstwenn sie von hier stammt, auf soviel Ignoranz stößt, lässt sichnicht allein mit Provinzialitätund Sektierertum erklären, diegroße Teile des deutschen Musi-kjournalismus auszeichnen –wer sich über die Musiken derWelt informieren will, muss denGuardian, die Libération, El País

oder Fachzeitschriften lesen.Die Vorbehalte gegen jede

Form der „Weltmusik“ mögenderen Geburt aus dem Geist desdeutschen Idealismus geschul-det sein. Möglicherweise ist esaber auch nur ein alter xenopho-ber Reflex.

Botschafter des guten Geschmacks aus deutschen Landen: die weltgereisten 17 Hippies Foto: Picture Alliance/dpa

um dann auf eine türkischeHochzeit, ein brasilianischesKonzert oder zur „Russendisco“ins Kaffee Burger zu gehen.

Manche tun sich mit dieserneuen Realität noch schwer. Daserkennt man schon an der Skep-sis, die dem Wort „Weltmusik“

Dass der Weltmusik-Prophetim eigenen Lande nichts gilt,hat in Deutschland eine langeund schlechte Tradition

sie sich doch gerade in Deutsch-land nicht erfüllt. Doch der Ge-danke war seitdem in der Weltund fiel immer wieder auffruchtbaren Boden. Nicht nur,aber auch in Deutschland.

Vom Jazz zum Krautrock

Schwer beeindruckt von JohnColtrane, der mit indischen undafrikanischenRhythmenexperi-mentierte, erblickte etwa derdeutsche Musikjournalist Joa-chim-Ernst Berendt im Jazz eine„Weltmusik“ avant la lettre. Be-reits in den Sechzigerjahrenbrachte der einflussreiche Im-presariound„Jazzpapst“deshalbdeutsche Jazzer mit indonesi-schen Gamelan-Musikern zu-sammen und warb dafür, denJazz als offene und multikultu-relle Sprache zu begreifen, wo-mit er natürlich alle Jazz-Puris-ten für immer gegen sich auf-brachte – zum Teil bis heute.

Es waren Krautrock-Bandswie Can, Amon Düül und Kraan,die diesen Gedanken später indieRockmusiktrugen, indemsieorientalische und asiatischeKlänge in ihre psychedelischeund experimentelle Improvisa-tionsmusik mischten. Damitverband sich bei ihnen ein anti-rassistischer und antinationalis-tischer Impuls, mit dem sie sichgegen all jene Bands abgrenzten,die diesen Anspruch zwar auchauf den Lippen trugen, aber for-mal lediglich angloamerikani-sche Rockmuster kopierten undin deutsche Sprache übersetzten– so wie zum Beispiel die Polit-Band TonSteineScherben.

Heute ist die „Weltmusik“nicht zuletzt dank Einwande-rung und Globalisierung inDeutschland gut etabliert. Da

der Musikszene ist sie heute eineRealität. Nirgendwo ist das so au-genfällig wie in der HauptstadtBerlin, wo man an einem einzi-gen Abend zwischen verschiede-nenWeltenwechselnkann,wennman ihn in der Strandbar desReggae-Clubs „Yaam“ beginnt,

kundler ein neues Genre entste-hen – und hoffte, darin ein Anti-dot zu den grassierenden Natio-nalismen seiner Zeit zu finden.

Weltmusik als Utopie, in dersich alle nationalen und kultu-rellen Unterschiede in Wohlge-fallen auflösen? Diese Hoffnungerscheint im Rückblick naiv, hat

ImpressumVerlag: taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 BerlinInternet: www.taz.deVerantwortliche i.S. des Pressegesetzes: Bascha MikaRedaktion: Daniel Bax, Zonya Dengi, Stefan FranzenAnzeigen: Kaspar Zucker

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außerhalb seines kulturellenCodesetwasErnsthaftesgeschaf-fen hat. Auch bei Bijelo Dugmewar alles, das etwas taugte, vonregionaler Folklore beeinflusst.

Im Sommer 2005 gab es ein Re-vival von Bijelo Dugme mitKonzerten vor 300.000 Zu-schauern in Sarajevo, Zagrebund Belgrad. Seitdem sind diedrei Exsänger der Band ständigauf Tour – ohne Sie. Wird es einweiteresRevivalgeben?Nein. Das hat mich nur für diesedrei Konzerte interessiert.

Was ist denn anders, wenn Sieheute mit einem Romaorches-terumdieWelt reisen?Zum Beispiel gebe ich mittler-weile wirklich gerne Interviews,weil ich nicht mehr mit so vielenIdiotenredenmuss.InJugoslawi-

en habensichnichtvieleintelligenteLeutemit Rockmusik beschäftigt, diemeisten waren Analphabeten.

Die Folklore des Balkans iststark von Roma geprägt. Seitwann interessieren Sie sich für

dieseKultur?Schon immer. Als ich

das erste Geld, dasich mit meinerMusik verdient

habe, nach Hausebrachte, meinte mein Vater, derein Oberst in der jugoslawischen

Volksarmee war, zu mir: Du wirstdoch nicht mit diesem Zigeuner-geschäft anfangen?! So sagt manbei uns, wenn du in KneipenVolkslieder spielst: Zigeunerge-schäfte. Ich mache diese Zigeun-ergeschäfte im Grunde schon,seit ich fünfzehn bin.

Manche Kritiker werfen Ihnenvor,dieRoma-Kulturauszubeu-ten.WasantwortenSiedenen?Dass Kunst überhaupt ein sehrunmoralisches Geschäft ist. AlleKünstler stehlen. Aber sie sindwie Robin Hood: Sie geben ande-ren etwas, wovon diese sich wie-der bedienen. Vor Kurzem fandin Paris eine große Picasso-Aus-stellung statt. Dort wurden seineBilder gezeigt – und Vorbilder,die ihn direkt beeinflusst haben.DieParallelenwarenaugenfällig.

VorallemdieBlaskapellenvomBalkanhabenesIhnenangetan.Warumgeradedie?Weil diese Blasmusik die letztewirklich lebendige Musik dieserArt ist. Und wissen Sie, warum?Weil die Musiker beim Spielenständig spucken. Und man kannnicht im Restaurant essen, wennman von spuckenden Zigeunernumgeben ist. Alles andere istlängst zu Restaurantmusik ge-worden.NurdieBlasmusiknicht.

Sie haben in den letzten JahrenvorallemmitStarsausIhrerRe-giongearbeitet.Warum?Wenn du mit jemandem wieŠaban Bajramović, dem kürzlichverstorbenen König der Zigeu-nermusik, arbeitest, dannmerkst du, dass du es mit einemgenau so talentierten Typen zutun hast wie mit Iggy Pop. Nurdass bei uns auf dem Balkan dietalentiertesten Typen nicht ingroßen Hallen spielen, sondernauf Hochzeiten. Und wenn dumit einer Pop-Sängerin wie Se-zen Aksu arbeitest, dann stehendir die besten Musiker Istanbulszur Verfügung. Mit Giorgos Dala-ras ist es in Griechenlandebenso,und mit der Sängerin Kaya ka-men diese wunderbaren Sängeraus den Bergen von Zakopane inPolen. Letztlich habe ich diesePlattenabernurgemacht,umZu-gang zu den besten Musikern derRegion zu haben. Ansonsten pro-duziere ich nicht gerne Musik,das ist nicht mein Beruf.

FürdenRegisseurEmirKusturi-ca haben Sie Ihre ersten Sound-tracksgeschrieben, einstwarenSie auch privat eng befreundet.Was halten Sie davon, dass ersich serbisch-orthodox taufenließ und seinen muslimischenVornamen gegen den serbi-schen Namen „Nemanja“ ge-tauschthat?Wissen Sie, die Leute erwartenvon einem guten Künstler, dasser auch ein guter Mensch ist.Aber dazu ist ein Künstler nichtverpflichtet.AufderanderenSei-te muss man sehen, dass es ausunserer ganzen Region kaumzwei, drei Namen gibt, die welt-bekanntsind.Undeinerdavonistund bleibt Kusturica.

„Alle Künstler sind Diebe“BALKANBLASMUSIK Goran Bregović über seinen Werdegang vom Rockstar zum Weltmusiker,sein neues Album „Alkohol“ – und was er am Sound von spuckenden Zigeunern schätzt

„Die meisten Musik-journalisten, mitdenen ich als Rockstarfrüher reden musste,waren Idioten“

INTERVIEW RÜDIGER ROSSIG

taz:HerrBregović, IhrneuesAl-bumheißt„Alkohol“undist imserbischen Guča entstanden,wo Sie im vergangenen Jahrerstmals beim berühmtestenBlasmusikfestival derWelt auf-getretensind.WarumderTitel?AlsichmirnachmeinemAuftrittdie Fernsehaufnahmen davonansah, merkte ich, dass ich echtganz schön getrunken hatte. Ichhabe auf der Bühne immer eineFlasche Jack Daniel’s Whisky da-bei und trinke daraus wäh-rend des ganzen Konzertsnormalerweise ein Glas.Aber in Guča war ich amEnde richtig voll. Ich ver-teile auf der Bühne auchimmer Geld an meineMusiker – aber dorthabe ich das gleich drei-, vier-mal getan, weil ich mich so gutgefühlt habe und alles so toll lief.

WieerklärtsichdieAuswahlderSongs? Sie umspannen vierJahrzehnte und spiegeln IhrehalbemusikalischeBiografie.Esistso:GučaisteinkleinesWun-der. Es gibt dort keine Stars undkeineBühnen–allesfindetinZel-ten statt. Für Trinkgeld. Für Gučaschien es mir irgendwie, wie sollich sagen, unpassend, mein Pro-fiprogramm abzuziehen. Alsohabeichbeschlossen,dasswiret-was spielen, was wir sonst nichtauf der Bühne spielen, sondernnur in der Garderobe. Das sindvor allem meine alten Lieder undein paar traditionelle Sachen.

Fast alle Stücke auf „Alkohol“sind, wenngleich in anderenVersionen, schon einmal aufPlatteerschienen.BetreibenSie„Versioning“, so wie die jamai-kanischenReggaemusiker?Wir machen doch alle das ganzeLeben lang im Grunde das Glei-che.NichtsaufdieserWeltändertsich, und es wird auch nichtsNeues geschaffen. Was sich än-dert, sind nur die Formen.

Sie selbst haben sich doch imLaufe Ihres Lebens ganz neu er-funden. Einst zählten Sie mitder BandBijeloDugme (WeißerKnopf) zu den größtenRockstars Jugoslawiens, späterwandten Sie sich der FolkloredesBalkanszu.Warum?Wenn man den Rock ’n’ Roll ausder kommunistischen Zeit be-trachtet, dann merkt man, dassdie Musik meist nicht besondersgut war. Sie hatte ihre gesell-schaftliche Bedeutung, weil dieRocker die Dinge klarer beimNamen genannt haben als ir-gendwer sonst. Aber von ihrerMusik wird nicht viel übrig blei-ben. Übrig bleibt, was du von dei-nemGroßvater,UrgroßvaterundUrurgroßvater übernommenhast.

Dasklingtkonservativ.Es gibt nur wenige Schriftsteller,die in einer fremden Sprachenschreiben,undauchinderMusikist das schwer. Ich jedenfalls ken-ne niemanden, der in der Musik

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Goran Bregović

n hat zu mehr als 20 Filmen dieMusik beigesteuert, darunter zu„Time of the Gypsies“, „ArizonaDream“ und „Underground“ vonEmir Kusturica und „Zug des Le-bens“ von Radu Mihaileanu.n Seine Karriere begann Bregovićin der bedeutendsten RockbandExjugoslawiens, Bijelo Dugme(1974–1988), deren 16 Alben sichallesamt millionenfach verkauf-ten. Während des Balkankriegssetzte sich der Sohn eines kroati-schen Vaters und einer serbischenMutter nach Frankreich ab, wo erauf Soundtracks umsattelte.n Mitte der 90er-Jahre begann er,seine stark von balkanischer Folk-lore geprägten Komposition mitgroßem Orchester auf die Bühne

zu bringen, seitdem tourt der 59-Jährige mit seiner Wedding andFuneral Band um die Welt. Seinneues Album, „Alkohol“ (Mercu-ry/Universal) wurde bei seinemGig beim Blasmusikfestival im ser-bischen Guca aufgenommen.n Wer Bregović sehen möchte,kann das am 9. 5. in Potsdam. Esfolgen: 2. 7. München, 3. 7. Ham-burg, 4. 7. Mainz, 5. 7. Duisburg,6. 7. Freiburg und 7. 7. Berlin.n Wer Karten für das Konzert beimZeltmusik-Festival in Freiburg ge-winnen will, schreibt eine E-Mailan [email protected] und beant-wortet die Frage, in welcher StadtGoran Bregović geboren wurde.Die ersten drei richtigliegendenEinsender erhalten je zwei Karten.

Darf’s noch ein Schlückchen sein? Bregovic in Champagnerlaune Foto: Promo

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Neuer Klang ausalten Knochen

EssindnichtdieZähneeinerGift-schlange, die einem vom Coverdes Albums von Radiokijada ent-gegenblitzen, auch wenn das dieerste Assoziation sein könnte.Nein, die Erklärung ist noch einbisschen morbider: In der afro-peruanischenMusikwardieQui-jada – ein Eselskiefer, von Haut-fetzen abgelaugt und getrocknet– seit je ein beliebtes Perkussi-onsinstrument.

„Es geht einem kalt den Rü-cken runter, wenn man diesenschnarrenden Laut der Zähnehört“, bekennt der Musiker undProduzent Christoph H. Müller.„IchliebedieseDualität:Manhatda etwas Totes in der Hand. An-dererseits erzeugt man damitRhythmen, und Rhythmus be-deutet ja Leben!“

Der Mann, der seine Wurzelnursprünglich in Basel und Dort-

CYBER-FOLKLORE II Neben dem Gotan Project wendetsich Christoph H. Müller dem schwarzen Peru zu

mund hat, treibt seine Elektro-niktüftelei, die dem Tango desGotan Project die besondere Raf-finesse verlieh, nun mit Elemen-ten von der pazifischen Seite Sü-damerikas weiter. Die Vorliebefür diese Tradition datiert aller-dings schon aus der Zeit vor denGotans. Seit nahezu 20 Jahrenpflegt Müller die Freundschaftzu dem Peruaner Rodolfo Moñozaus Lima, einem Perkussionis-ten, der über eine profundeKenntnis afroperuanischer undkubanischer Musik verfügt.

„Im Grunde hat alles im Pari-ser Club New Morning begon-nen, als die Grande Dame derafroperuanischen Musik, Susa-na Baca, dort gastierte. Wir ha-ben es geschafft, ein paar ihrerMusiker ins Studio zu schleppenund mit ihnen die Basis für denTrack ‚Tumba y Cajón‘ zu legen“,erinnert sich Müller. Danachging es zirka fünfmal hin undher zwischen Pazifik und Paris:Moñoz versammelte vieleschwarze Künstler vorm Mikro,allen voran die des Ballumbro-sio-Clans, um das Album „Nue-vos Sonidos Afro Peruanos“ zuproduzieren.

Die Musik der Schwarzen Pe-rus, so Müller, hat vor allem da-durch überlebt, dass sie von ein-zelnen Familien weitergegebenwurde. Erst jetzt trete sie lang-sam aus diesen Strukturen her-aus und öffne sich der Welt. UndsiehtsichzurzeitdesÖfterenmitElectronica konfrontiert: Radio-kijada ist nur eine der Gruppen,die sie kompatibel mit demDancefloor machen, ein kleinerWeltmusiktrend steht da in denStartlöchern. „Die Komplexitätder Rhythmen ist einfach fantas-tisch, und bei der Beschäftigungdamit merkte ich, dass da aucheine gewisse Verwandtschaftmit den nichtbinären MusternArgentiniens herrscht, mit de-nen ich beim Gotan Project zutun hatte. Da ist wohl einigesüber die Anden geschwappt.“

Wie man diese Patterns zeit-gemäß weiterbearbeiten kann,diese Frage habe ihn nicht mehrlosgelassen, so Müller. Das Aus-gangsmaterialseijasehrrauundspröde: Die Perkussionsinstru-mente haben keine Felle, be-stehen lediglich aus Holz undKnochen. Dazu kommt die Tra-dition der decima, der gespro-chenen Poesie, die für unsereOhren durch die vermeintlicheNähe zum Rap schon etwas ur-ban klingt. Moñoz bereichert dieArrangements dann noch durcheine rituelle Note, die er aus derkubanischen Santería-Religiontransferierte.VielleichttrageRa-diokijada ja dazu bei, unter daspanflötenverschuldete „Marke-tingproblem“ der peruanischenMusik in Europa einen Schluss-strich zu ziehen, meint Müllerverschmitzt. Zu gönnen wäre esdem Land ja mal. STEFAN FRANZEN

n Radiokijada: „Nuevos SonidosAfro Peruanos“ (Wrasse/H. Mundi)

Kunstszene verankert sind. Bas-sist Carlos Li-Carrillo hatte esnach Hongkong verschlagen,den Gitarristen Rafael Moralesnach London, nur KeyboarderRamón Pérez hielt daheim in Li-ma die Stellung. So entstand daserste Album, laut SoundmasterGrimaldo eher „ein experimen-tellesFusion-Album“,dasinPeruallerdings ausgesprochen gutankam.

Für den zweiten Streich ludensich Grimaldo, Li-Carrillo undCo.dieCremederschwarzenMu-sikszene Limas ins Studio, undlangsam wuchs sich das Projektder vier peruanischen Kosmo-politen zu einer richtigen, der-zeit neunköpfigen Band aus. De-ren Hauptquartier befindet sich

in Lima, denn dahin kehrten diedrei Weltenbummler inzwi-schen zurück, um tiefer in dieWelt des souligen landó, des aus-gelassenen festejo und der za-macueca einzutauchen.

Susana Baca, die Diva desschwarzen Peru, ist so etwas wiedie geistige Schirmherrin desProjekts. Die charismatischeSängerin gilt als inoffizielle Bot-schafterin der afroperuani-schen Kultur; nicht nur als Wis-senschaftlerin, sondern auch alsSängerin hat sie sich einen Na-men gemacht. In ihrer Bandspielten einst der PercussionistJuan „Cotito“ Medano und dieSängerin Milagros Guerrero, dieheute zu den treibenden Kräftenvon Novalima gehören.

In Peru ist die Band heute einegroße Nummer. Nicht nur weilsie die afroperuanische Tradi-tionmitDub,Salsa,SonundElec-tro Beats in die Zukunft führt,sondern auch weil sie Teil einergrößeren Bewegung ist, derenSelbstbewusstsein sich aus süd-amerikanischen Traditionenspeist. Ihr neues Album, „CobaCoba“,isteinManifestderGleich-berechtigung von Weiß undSchwarz.Beispielhaft istdastrei-bende „Libertá“, dessen Texteinst für die Sängerin ChabucaGranda, eine Nationalheilige Pe-rus,geschriebenwurde:Esisteinklingendes Plädoyer für das En-de aller Vorurteile. Die sind zwarimmer noch präsent, aber in denletzten Jahren haben viele Peru-aner aufgehört, nur gen Nordenzu schielen, und sich mehr undmehr auf das kulturelle Erbe ih-rer indigenen wie schwarzen Be-völkerung besonnen. „Von denzehn meistverkauften CDs in Li-ma stammen heute acht von pe-ruanischen Künstlern“, fasst Gri-maldodasneuenationaleSelbst-wertgefühl in Zahlen.

IndemsiedenspanischenUn-dergroundstar Gecko Turneroder das kubanische Hiphop-Duo Obsesión ins Studio laden,zeigen sich Novalima für alleRichtungen offen, und aus Trini-dad leihen sie sich für „Yo Voy“einen fetten Soca-Beat aus, umihn mit dem Gesang von SalseroCarlos Uribe zu kreuzen. Sowandeln sie auf den musikali-schen Spuren der schwarzen Di-aspora. Des Segens von Don Por-firio können sie sich dabei sichersein. Der spielt ihr Album „CobaCoba“ auch schon mal in seinerPeña.

Das Schnarren des EselskiefersCYBER-FOLKLORE Anfangs war Novalima ein transkontinentales DJ-Projekt. Inzwischen ist eseine neunköpfige Band, die afroperuanisches Kulturerbe mit Club-Elektronik verlötet

Novalima sind Teileiner Bewegung, derenSelbstbewusstseinsich aus TraditionenSüdamerikas speist

VON KNUT HENKEL

so!“, ruft ein Mann aus demPublikum anerkennendund spendet spontan Bei-fall. Andere fallen ein, und

so lässt der Tänzer den ohnehinschon schwierigen Tanzschrit-ten noch waghalsigere folgen,wobei er die Hände rhythmischauf die Oberschenkel klatschenlässt. Beifallsstürme sind demschlaksigenTänzer,dervoneinerGitarre begleitet wird, sicher,denn in der Peña von Don Porfi-rio schätzt man echte Könner.

Peña, so heißen in Peru jenekleinenClubs,indenengegessenund getanzt wird, aber auch Ge-dichte zum Vortrag kommen.„Bei Don Porfirio geht es beson-ders authentisch zu“, meint Gri-maldo del Solar. Der DJ undMusikproduzent aus Lima mitdem raspelkurz gemähten Haar-kranz lässt sich in dem kleinenClub inspirieren. Sein Bandkol-lege Mangüe Vásquez hat ihnhierhergeschleppt. DessenGroßvater hat den angesagtenClub in Limas Künstler- und Aus-gehviertel Barranco vor etlichenJahren ins Leben gerufen. Bisheute wissen die Gäste hier einsattes Solo auf dem cajón, derHolzkiste, zu würdigen – genauso wie das markante Rasseln derquijada, des von wackligen Zäh-nengesäumtenEselskiefers.Bei-de sind Markenzeichen der afro-peruanischen Musik, die vonden Nachfahren schwarzer Skla-ven im südafrikanischen An-denstaat gepflegt wird.

DieseKlängeprägenauchdenSoundvonNovalima,daseinmalals transkontinentales DJ-Pro-jekt begann. „Ein purer Zufall“,lacht Grimaldo del Solar undreibt sich über die hohe Stirn.Der DJ lebte mehrere Jahre langin Barcelona, und zunächst ein-mal war Novalima nicht mehrals ein privates Hobby, das ihnmit ein paar alten Schulfreun-den aus Peru verband, deren Fa-milien allesamt fest in Limas

E

Alle neune: Grimaldo del Solar (3. v. r.) mit Team Foto: Guillermo Figueroa

Tod und Tango: Rodolfo Moñoz und Müller (l.) alias Radiokijada Foto: PR

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6/105 Afrika

Zion am Rhein

„Rootdown hat es geschafft, sichdurch Professionalität und Hin-gabe an die Spitze zu arbeiten“,schwärmt Nosliw von seinem La-bel und legt noch eins drauf. „Ichwüsste nicht, wo die deutscheReggae-Szene heute ohne Root-down wäre. Wahrscheinlichnicht so weit.“

Nosliw gehört neben Seeed,Patrice und Gentleman zu denGroßen der deutschen Reggae-Szene. Nach einem Aus-flug zu einem Major,wo sein Albumde-büt „Mittendrin“erschien, ist erjetzt wieder beimKölner Szene-Domizil gelan-det,woeinstseineReggae-Karrierebegann. „Heiß undLaut“ ist bereits seindrittes Album – und seinerstes Dancehall-Opus. Für diemeisten Riddims zeichnet Root-down-Hausproduzent Teka ver-antwortlich, während Nosliwden Partyanheizer gibt.

Nosliw ist das Zugpferd desLabels, das mit Maxim, den Koa-las Desperados und dem fabel-haften Duo Mono & Nikitamanaber noch über weitere Asse ver-fügt. Seit drei Jahren wohnt dergebürtige Rheinländer in Berlin,ist mit der Schauspielerin Rebec-ca Lina verheiratet und hat mitihr eine kleine Tochter namensLaéna. „Berlin ist auf jeden Fallsehr fruchtbar, weil ich hier aufsehr viele kreative Menschen

treffe, mit denen ich etwas ent-wickeln kann.“

Dass der Hype um den deut-schen Reggae etwas abgeebbt ist,lässt ihn kalt: „Klar sind vielewieder abgewandert, die da malreingeschnuppert hatten. Aberdie harten Reggae-Fans sind im-mer noch geblieben. Es habensichjetztnurvieleSubszenenge-bildet – aber das ist doch eineganz gesunde Angelegenheit.“

Was ihm vielmehr Sor-gen macht, ist, dass sich

die Kids ganze Albenaus dem Netz run-

ter laden. „Wennauf den Festivals25.000 Leute mei-ne Texte mitsin-gen, dann ist das

für mich als Künst-ler natürlich geil.

Aber wenn sich dannnur ein Bruchteil der Platten

verkaufen, ist das nicht mehr sowitzig. Dann ist irgendwann Fei-erabend“, fürchtet er.

Auf „Heiß und laut“ gibt ersich dennoch unbeschwert.Manchem Fan dürfte das Albumzu unpolitisch ausgefallen sein,aber Nosliw wollte etwas Neuesprobieren. „Ich könnte mir auchvorstellen, mal ein R-’n’-B-Soul-Album zu machen“, kündigt eran. „Aber mir ist schon bewusst,dass ich gegenüber der Reggae-Szene eine gewisse Verantwor-tung habe. Da muss ich weiterMaterial liefern.“ ZD

n Nosliw: Heiß & Laut (Rootdown)

GERMAN DANCEHALL Das Kölner Rootdown-Label ist zurersten Adresse für deutschen Reggae geworden

chen Tod ihrer Mutter schmisssie die Schule und widmete sich,sehr zum Verdruss ihres Vaters,ganz der Musik.

Dass sie lieber ihrer innerenStimme folgte, sollte sich aus-zahlen. Von ersten Demo-Tapes,die sie auf der Straße verkaufte,über diverse Rap-Compilationsund Filmdokumentationen, andenen sie beteiligt war, schafftesie es 2005 als erste Frau, beimHiphop-Festival in Dakar als„bestes Nachwuchstalent“ aus-gezeichnet zu werden. Kurz dar-auf folgte ihr Solodebüt „Hip-Hop Yaw La Fal“ – zu Deutsch:„Der Hiphop hat dich ausge-wählt“ – sowie Einladungen indiverse Radio- und Fernsehsen-dungen. So stieg sie vor etwa vierJahren zur bekanntesten Rappe-rin des Landes auf.

Seit zwei Jahren lebt Sister Fanun mit ihrem Ehemann, einemÖsterreicher, den sie im Senegal

kennen lernte, und ihrer ge-meinsamen Tochter in Berlin.Hier hat sie auch ihr neues Al-bum „Sarabah“ produziert, mitdem ihr jetzt internationale Auf-merksamkeit gewiss sein dürfte.Denntrotzderernstenundenga-gierten Themen, die sie daraufanspricht, besticht das Albumdurch seine elegante Machartund seine entspannte, zuweilenfast melancholische Stimmung.

Auf „Sarabah“ redet Sister Faüber das Los senegalesischerDorffrauen oder über junge Sol-daten, die allein gelassen wer-den, wenn sie als Invalide ausdem Kampf zurückkehren. Siewarnt vor der Ansteckung mitAids („Life Am“) oder davor, sichvon der eigenen Familie die Frei-heit nehmen zu lassen – etwadurch eine arrangierte Ehe mit

Emanzipation durch RapAFROHIPHOP Im Senegal bereits ein Star,bereitet Sister Fa jetzt von Berlin aus denBoden für ihre internationale Karriere

In ihrer Heimat setztsich Sister Fa gegen dieGenitalbeschneidungvon Mädchen ein

VON ZONYA DENGI

ls Frau im Hiphop hatman es nirgendwoleicht. Im Senegal hatman es aber wohl noch

einbisschenschwereralsanders-wo. „In unserer Gesellschaft hatdieFraueinenfestenPlatz–näm-lich zu Hause“, ätzt Sister Fa.„Wenn du stattdessen alles ste-hen und liegen lässt, um auf ei-nem Konzert zu spielen und oh-ne einen Pfennig nach Hause zukommen,dannkannstduaufwe-nig Verständnis hoffen.“ Dabeilächelt sie milde.

Die Rapperin hat sich trotz-demdurchgesetzt,gegenalleWi-derstände. Aufgewachsen in derHauptstadt Dakar, machte sichdie heute 27-Jährige, die offiziellFatou Mandiang Diatta heißt,schon als Teenager in Senegalsumtriebiger Hiphop-Szene ei-nen Namen. Nach dem plötzli-

A

einem Mann im Ausland („BouSouba Si Ngone“). „Du musst dieLeute, die deine Musik hören,aufklären und sensibilisieren“,formuliert die „geborene Rebel-lin“ ihr Credo. Als Einflüssenennt sie französische Hiphop-Helden wie MC Solaar und IAM,undtatsächlicherinnertderwei-che, melodische flow ihres Rapsan französische Vorbilder. IhreSongs aber weisen, nicht zuletztdurch den Einsatz von Instru-menten wie der Kora-Harfe, Bal-laphon und Djembe-Percussion,einen spezifisch westafrikani-schen flavour auf.

An US-Musikerinnen wie Ma-ry J. Blige und Missy Elliott wie-derum beeindruckt sie derenselbstbewusstes Auftreten. Aber„wirsprechennichtüberdieglei-chen Sachen“, stellt sie mit BlickaufdenUS-Hiphopfest.„Wirrap-pennichtüberdasschöneLeben,sondern über unseren Alltagund die Armut.“

Nach wie vor pendelt Sister Fazwischen Europa und Afrika hinund her – einerseits, um denKontakt mit ihren dortigen Fanszu halten, andererseits, um sichin Kampagnen gegen Genital-verstümmelung zu engagieren.Obschon offiziell verboten, istdie Praxis der Beschneidung vonFrauen undMädchen imSenegalnochimmerweitverbreitet–vorallem auf dem Land.

„Erst seit ich hier lebe, kannich offen darüber reden“, gestehtdie Musikerin. „Im Senegal istdas ein Tabu. Viele dort haltenunbeschnittene Frauen für un-sauber und finden, dass man sienicht heiraten oder an Dorfzere-monien teilnehmen lassen soll-te.“ Gegen solche Vorurteile an-zukämpfen hat sich Sister Fa zurAufgabe gemacht. „Ich sehemich als Sprachrohr für diejeni-gen, die keine Stimme haben“,meint Sister Fa. Und fügt hinzu:„Hiphop ist die einzige Musik,mit der ich ausdrücken kann,was ich in mir habe.“ Emanzipa-tion durch Rap.

Mit ihrem Sendungsbewusst-sein und ihrem moralischen An-spruch sieht sich die Musikeringanz im Einklang mit ihrer Reli-gion. Denn auch wenn beson-ders strenge Muslimen jede Mu-sik ablehnen – in Westafrika se-hendiemeistenMenschendarinkeinen Gegensatz. „Du wirst imSenegal eine Menge Rapper fin-den,dieimStudioallesfallenlas-sen, wenn es an der Zeit zum Be-ten ist“, erklärt Sister Fa. „Und duwirst dort niemals einen Rapperfinden, der den Islam kritisiert.“Rap und Religion passten gut zu-sammen, rappt sie in ihremSong„SelebouYoon“:schließlichseien beides Kräfte, die Positivesin der Welt bewirken könnten.Wenn man nur will.

Islam und Hiphop passen für Sister Fa gut zusammen. Ihr Kopftuch ist aber nur ein Modeaccessoire Foto: Piranha

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lang ungefähr 40 Mitgliederkommen und gehen sehen. Dieaktuelle, nun recht stabile Beset-zung stammt aus Ungarn undder Ukraine, aus Australien, denUSA,ausDeutschlandund–ganzneu – aus Kanada.

Wenn aber der kanadische Po-saunist osteuropäische Folklorespielt,bedeutetdasfürihnetwasanderes als für Gurzhy, der als

Diese bisweilen miteinanderim Konflikt liegenden Perspekti-ven finden in der mal euphori-schen, mal sentimentalen, aberimmer vorwärtsgaloppieren-denMusikvonRotfrontfriedlichzueinander. Der mannigfaltigeEinwandererchor erklingt in sei-nen vielen Muttersprachen, dieverschiedenen Genres werdenstolz nebeneinander ausgestellt.Im gemeinsamen Feiern, so ba-nal das klingen mag, lösen sichalle Widersprüche auf. So wirddie Musik, wie Wahorn hofft,„endgültig zu einer internatio-nalen Sprache“.

Diese Hoppelmusik aufhöchstem Niveau trägt oft ironi-scheZüge,dieTextespiegelndenAlltag der Bandmitglieder wi-der.„IchsingeeinfachübermeinLeben hier in Berlin“, sagt der inUngarn aufgewachsene 32-jähri-ge Wahorn. Das mag auf den ers-ten Blick keine politische Di-

Völker, hört den Sovietoblaster!RUSSENDISCO À GOGO Rotfront sind mehr als nur die Hausband des Berliner Kaffee Burger.Mit ihrem Album „Emigrantski Raggamuffin“ blasen sie den Monokulturen den Marsch

VON THOMAS WINKLER

Für die einen ist es der Name ei-nes paramilitärischen Kampf-verbandes. Für die anderen diesüßeste Versuchung, die die So-wjetunion zu bieten hatte. Rot-front, das steht hierzulande für

Wut in der Sahara

In Tanger fing alles an. Als sichUve Müllrich, Friedo Josch undMarlon Klein alias Die Dissiden-ten 1983 in der nordafrikani-schen Hafenstadt niederließen,um mit der marokkanischenKultband Lem Chaheb ihr Hit-album „Sahara Elektrik“ aufzu-nehmen, schufen sie einen frü-hen Meilenstein der Weltmusik.

Als die deutschen Weltbeat-Pioniere ein Vierteljahrhundertspäter, 2008, an ihre einstigeWirkungsstätte zurückkehren,ist die Welt nicht mehr dieselbe.Mit Jil Jilala, einem Urgestein dermarokkanischen Musikszene,spielten sie ein Album ein, dasdurch seine zornige Härte über-rascht. Diese „Tanger Sessions“

(Exil/Indigo) sind ein Manifestgegen politische Intoleranz, er-teilen mit metallisch knirschen-den E-Gitarren, düster pumpen-den Basslinien, mittelalterli-chen Drehleiern und archai-schen Gnawa-Gesängen jeder„Eine Welt“-Romantik eine kra-chende Absage. So klingt, nach9/11 und „Krieg gegen den Ter-ror“, die Wut in der Sahara.

Wer ein Exemplar der „TangerSessions“ gewinnen möchte,schreibt eine Mail mit demKennwort „Tanger“ an [email protected]. Wer das Album „Co-ba Coba“ von Novalima begehrt(siehe Seite 3), das bei dem Labelder Dissidenten erscheint, wähltdas Kennwort „Lima“. ZD

WELTBEAT-PIONIERE „Tanger-Sessions“ der Dissidenten

„Egal wie schräg“, sagt Gurzhy,„wir wollten alle unsere Vorlie-ben zusammenbringen.“ Denn:„Purismus ist das Böse.“

DasbeständigseineFormundGröße wechselnde Kollektiv,dem Gurzhy und der Bassist Si-mon Wahorn vorstehen, hat bis-

Jude in der Ukraine damit aufge-wachsen ist. Denn dort lief sieim offiziellen Radioprogramm,während Rockmusik im Unter-grund noch ein rebellisches Po-tential entfaltete – in Kanadadürfte es eher umgekehrt gewe-sen sein.

Die süßeste Versuchung, die Berlin zu bieten hat: Frontmann Yuriy Gurzhy (l.) und seine Crew Foto: Essay

Die Rückkehr der Jedi-Ritter: U. Müllrich, F. Josch und M. Klein Foto: Exil

In Gedanken an eine Flöte

Nein, eine Ney-Flöte ist gar nichtzu hören. Der Titel „As Ney“ stehteher stellvertretend für das Ori-entalische an sich – und verweistauf das „Lied der Schilfrohrflöte“,jenes jahrhundertealte Gedichtvon Jalaleddin Rumi, mit dessenVertonung das Album eröffnet.

Das Quartett um Sängerin Cy-min Samawatie, längst keinGeheimtipp mehr, strukturiert

ORIENT-JAZZ Cyminology lauschen persischer Poesie

seine mäandernden und stim-mungsvollen Kompositionenam Klang der persischen Spra-che und dem Rhythmus persi-scher Poesie, von Rumi und Ha-fis bis Omar Khayyam. Nun-mehr bei ECM zu Hause, ist insKlangbild eine gewisse sakraleNote gekommen.

n Cyminology: As Ney (ECM)

Blue Rondo alla Persia: Cyminology Foto: ECM

den von Ernst Thälmann geführ-ten Frontkämpferbund der KPD.Weiter im Osten, in Russland,verbindet man damit allerdingseher die dort einstmals belieb-teste Schokoladenmarke.

Ähnlich verhält es sich mitder Band, die Yuriy Gurzhy vorsechs Jahren auf diesen Namengetauft hat, denn auch derenMusik löst ganz unterschiedli-che Assoziationen aus. Das liegtdaran, dass Rotfront eine unver-schämt große Vielfalt an Stilenaus jeder denkbaren Himmels-richtung in ihre jederzeit party-taugliche Musik integrieren:polnische Polka und jiddischenKlezmer, Rap aus dem NordenundReggaeausdemSüden,Rockaus dem Westen und Balkanpopaus dem Osten. Könnte die Post-modernetanzen,dannwürdesiewohl am liebsten „EmigrantskiRaggamuffin“ auflegen, das De-bütalbum von Rotfront.

mension haben. „Aber das, waswir machen, in dieser Stadt, mitdiesen Leuten“, ergänzt Gurzhy,„das ist schon eine politischeAussage.“ Oder, staatstragenderformuliert: Rotfront vertonendie Völkerverständigung.

In gewisser Weise setzen Rot-front die Idee hinter der „Rus-sendisko“ fort. Die längst legen-dären, mittlerweile zur Institu-tion gewordenen Tanzabendeim Berliner Kaffee Burger unddie dazugehörigen CD-Kompila-tionen verantwortet der 34-jäh-rige Gurzhy bis heute zusam-men mit dem Schriftsteller Wla-dimir Kaminer. Und so gehört essich, dass Rotfront vom 30. Maibis zum 5. Juni eine ganze Wochelang live im Kaffee Burger auf-treten, um ihren CD-Release zufeiern, und an jedem der siebenAbende das Nebenprojekt einesBandmitglieds porträtieren.

Doch auch wenn Rotfront alsHausband im Kaffee Burger be-gannen, eines unterscheidet sievon der Russendisko: Als DJs im-portieren Kaminer und GurzhyMusik aus Osteuropa nachDeutschland. Das steht, wennauch nicht absichtlich, für dietraditionelleIdeevonWeltmusikals wohlwollendes Interesse anfremden Kulturen. Rotfront da-gegen adaptieren diese Musi-ken, um daraus eine neue Spra-che zu formen, in der sich, soWahorn, „ein neues Volk“ aus-drückt: die aus verwirrend vie-len Ethnien, Religionen und so-zialen Milieus gemischte Mi-grantengemeinde, wiesie sichinden Metropolen des Westenspräsentiert – nicht zuletzt in Ab-grenzung von national homoge-nen Einwanderergettos inKreuzberg und anderswo.

Deren Musik ist keine Welt-musik mehr, sondern der urba-ne Sound aus den Schaltstellender Ersten Welt. „Unsere Musik“,sagt Gurzhy, „sollte im Idealfallein Modell für eine moderne Ge-sellschaft werden: Irgendwannspielen die Nationalitäten keineRolle mehr.“

Letztlich inszenieren Rot-front den Soundtrack zu einerGlobalisierungsparty, die nichtnur in der deutschen Hauptstadtgefeiert wird. Denn längst gilt:„Berlin ist keine Stadt“, wie eineder vielen verschiedenen Stim-men im Rotfront-Chor singt:„Berlin ist ein Heimatland.“

n Rotfront: „Emigrantski Ragga-muffin“ (Essay/Indigo)

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Class Heroes – alles passt perfektzur Musik und in die Zeit, als derFilm noch schwarz-weiß undstumm war. Mit dieser Epochefing das Abenteuer CaravanPalace auch an: Delaporte, Payenund de Bosredon sollten für denTV-Sender Canal+ die Musik füreinen Pornofilm aus den Zwan-zigerjahren produzieren. Dabeikreierten sie ihren „ElectroSwing“ – eine Musik, die sich soanhört, als sei sie aus Gummi.

Auf Originalsamples aus denZwanziger- und Dreißigerjah-ren, die sie verwenden, spielensie mit Geige, Kontrabass, Klari-nette, Perkussion und natürlichGitarre, ganz wie das großeVorbild Reinhardt. In ihremDancefloor-Charleston bringensie Chanson, Klassik, Jazz, Hip-hop, House unter, überlassenden Rhythmus einem Stepptän-zer oder spielen unter Wasserweiter – blub, blub.

Das pulsierende Herz aber istSonia Fernandez Velasco, Künst-lername Colotis Zoé, Schauspie-lerin, Musikerin, Sängerin undkampferprobt in improvisier-tem Theater. Colotis Zoé, das istein Schmetterling auf Madagas-kar, den sie auf der Briefmarkeeiner alten Postkarte sah. DiesesPseudonym entspricht der voka-len Beweglichkeit der Sängerin:MalklingtsiewiedieAndrewSis-ters im Durchlauferhitzer, dannmeint man eine Kreuzung ausShirley Bassey und Billie Holi-day zu hören, anschließend mu-tiert sie zu einem leicht hysteri-schen weiblichen Satchmo und

scattet über einem Beat-Bett. DieGeschichte, wie sie bei CaravanPalace ans Mikrofon kam, klingterfunden, ist aber wahr: Als dieBand damit anfing, erste Tracksauf ihre My-Space-Seite zu stel-len, war sie die erste, die einenKommentar hinterließ. Seitdemwaren mehr als eine Million Be-sucher aufder Seite – und ColotisZoé ist vom Fan zum Bandmit-glied avanciert.

Auf dem Cover der CD sitzt einRoboter neben einem Trichter-grammofon und schaut sich ei-ne Plattenhülle an. Ein bisschenso fühlt man sich mit der Musikvon Caravan Palace: unterwegsvom Vorgestern ins Übermor-gen.

n Caravan Palace: „CaravanPalace“ (Café de la Danse/Ministryof Sound). 20. 5. Lörrach, 26. 5.Frankfurt, 27. 5. Köln, 28. 5. Berlin,29. 5. Hamburg, 30. 5. München

Zazous in der MetroELECTRO SWING Caravan Palace aus Paris sind die Swing Kids für das neue Jahrtausend.Sie paaren den Gypsy-Swing eines Django Reinhardt mit House-Beats à la Daft Punk

VON ANNA-BIANCA KRAUSE

an könnte die Krisedafür verantwortlichmachen, dass er wie-der da ist, der Swing.

Schon in den ZwanzigerjahrenwarerderSoundtrackzurgroßenDepression – und auch jetzt,nach dem globalen Finanz-marktcrash tanzt man beispiels-weise bei den mondänen „Bo-hème Sauvage“-Partys in Berlinim – wie der Spiegel es nannte –„Depression Chic“ zu Swing. DieRenaissance hat jedoch wenigermitderUntergangsstimmungzutun als vielmehr damit, dassSwingnureinZielhatte:dieMen-schen in Bewegung zu bringen.DasmachtihnzueinemdirektenVorfahren der Clubmusik, dieauch nur will, dass der Dance-floor kracht.

Caravan Palace sind nicht dieErsten, die den Swing mit Elek-tronik kreuzen, ihm House undHiphopunterjubelnundihnmitBeats und Samples aufmotzen.Doch Charles Delaporte, HuguesPayen und Arnaud de Bosredon,die drei Gründer von CaravanPalace, sind auf einem eigenenmusikalischen Breitengrad un-terwegs. Schon als Jungs verehr-ten sie Django Reinhardt, denschnellsten Gitarristen der Welt.Der emotional-fulminante Gyp-sy-Swing des „Manouche“, wieman die französischen Sintinennt, beeindruckte die Teen-ager genauso wie das House-Duo Daft Punk. Also suchten sieeineTür,dievoneinem30er-Jah-re-Café in Paris auf einen Dance-floor im 21. Jahrhundert führt.Vom HotClub deFrance zum HotClub de Dance.

Auf der Bühne sieht das dannso aus, dass der DJ ein Trichter-grammofon dabeihat und diegesamte Truppe im Stil der Za-zous, der Pariser Swingkids derDreißigerjahre,gekleidetist.Ho-sen und Hosenträger breit,Schiebermützen wie Working

M

ten Stimme der Band entwickelthat, zerrte den Freund nur dreiMonate nach dem Unfall – gegendenRatderÄrzte–aufdieBühne.Er kennt David seit 17 Jahren, ge-meinsam haben sie Babylon Cir-cus aus der Taufe gehoben. „Wirhatten ein Konzert im CentralPark in New York und ich habegesagt: Auf, das war’s, kommwieder auf die Bühne!“ David tat,was Manu verlangte, der Rest istGeschichte.

Nun ist das Narrenschiff, wiemanaufdemCoverderCDsehenkann, wieder unterwegs. DasNahtoderlebnis hat jedoch eini-ges verändert. Früher war Baby-lon Circus eher eine Live-Band,berühmt für ihre tumultartigenBühnenshows, die diese Ska-Reggae-Gaukler mit den dickenBläsersätzen durch 25 Länderführte. Auf „La belle étoile“ zei-gen sie nun, dass sie auch auf Al-bumlänge überzeugen können.Die musikalischen Zutaten sindzwar immer noch Rock, Ska,Chanson, Reggae. Doch das Mi-schungsverhältnis hat sich ver-ändert – vom Indie-Rock zum In-die-Chanson, vom Ska zur Mu-

sette.Manchmalklingt dassogar„très Piaf“, wie etwa bei „Mari-ons-nous au soleil“ oder „La ciga-rette“. Letzteres ist eine Hom-mage an Davids Onkel, den Poe-ten Jean Claude Brumaud, derihmden Vater ersetzte,denndie-ser war ein Kleinkrimineller, derdie meiste Zeit im Knast ver-brachte. „Jeder Song auf diesemAlbum ist ein Song, der uns insLeben zurückgeholt hat. Wirmussten Songs schreiben, um zuüberleben. Deshalb sind es auchviele Liebeslieder geworden.“

Die Texte, früher oft eindeu-tigpolitisch,erzählenheutevomAlltag, von Zwischenmenschli-chem und Zwischen-Mann-Fraulichem. Statt eines „grèvegénérale“ (Generalstreik) for-dert David jetzt einen „rêve gé-néral“, einen „gemeinsamenTraum“. Er hat die Arme weit ge-öffnet und viele Kollegen einge-

Wem der Himmel aufden Kopf gefallen istINDIE-MUSETTE Babylon Circus aus Lyon feiert mitder CD „La belle étoile“ seine Rückkehr ins Leben

VON ANNA-BIANCA KRAUSE

einahe wäre Babylon Cir-cus, die Band aus Lyon,nach zwölf Jahren nurnoch eine Erinnerung ge-

wesen. Am 13. April 2007 rutsch-te David Baruchel, einer der bei-den Gründer und Sänger, nacheinem Auftritt in Moskau auf ei-ner Metalltreppe aus. Er wolltesich Zigaretten aus der Gardero-be holen und landete dabei zu-erst auf dem Kopf, und dann miteinem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation.

Als er nach zwölf Tagen im Ko-ma endlich wieder aufwachte,konnte er nicht mehr Franzö-sischsprechenundlittunterepi-leptischen Anfällen. „Ich binnicht abergläubisch, aber an die-sem Freitag, dem 13., werde ichmich mein ganzes Leben lang er-innern. Ichwar ineiner völlig an-deren Welt und wurde etwas ver-rückt, weil auch die Region mei-nes Gehirns, die für das Gefühls-lebenzuständigist,verletztwar.“

Manuel Nectoux holte ihn zu-rück ins Leben. Der frühereSchlagzeuger, der sich zur zwei-

Bladen, darunter R-Wan, den Rap-per der französischen Band Java(„L’envol“), die Sängerin KarinaZevianioderMickaelFurnonvonder Rockband Mickey 3D. Davidsingt die französischen Parts,Manu die englischsprachigenZeilen, und nur selten liegen sichdie beiden Sprachen so selig inden Armen wie bei Babylon Cir-cus. Noch seltener sind Stim-mungen und Zustände so greif-und fühlbar wie in den zwölfneuen Chansons und den wun-derbar surrealen Bildern, die da-rin mit Worten gemalt werden:„Der Himmel ist mir auf denKopf gefallen, jetzt dient er mirals Mütze.“

Mit „La belle étoile“ ist Baby-lon Circus auf dem Weg zumganz großen Publikum.

n Babylon Circus: „La belle étoile“(Skycap/Rough Trade)

Das Abenteuer begannmit der Musik füreinen Pornofilm ausden Zwanzigerjahren

Auf der Flucht vor der Finanzkrise? Nein, Caravan Palace wollen nur in Bewegung bleiben Foto: MoS

Die Hand ausgestreckt: David Baruchel Foto: Vanessa Filhat

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Gipsy-Rockabilly vom Balkan„Rock ’n’ Roma“ oder „GipsyRockabilly“ nennt Dragan Ristić,der glatzköpfige Chef der serbi-schen Band Kal, den Stil seinerKapelle: aufgedrehterHigh-Speed-Polka undkrachende Balkan-Tänze wechseln sichmit sentimentalen Ca-baret-Stücken und Bal-laden ab, und DraganRistić singt wütendeZeilen über die Selbstbehaup-tung der Roma – und über ihreSehnsucht nach einem fiktiven„Romanistan“, dem gelobtenLand aller Heimatlosen.

Ristić inszeniert die Auftritteund das Image seiner Band, ei-ner siebenköpfigen Ansamm-

lung von „angry young gipsys“aus der Belgrader Vorstadt. Mansieht sieben Männer in schwar-zen Anzügen und Schlapphüten,

die wie Mafiosi ausse-hen, aber in ihren In-strumentenkoffernkeine Maschinenge-wehre, sondern Akkor-deon, Schlagzeug, Kon-trabass,GeigeundE-Gi-tarre mit sich herum-

tragen. Ein Faible für alte Punk-Singles schimmert durch: KeinSong dauert viel länger als drei-einhalbMinuten,undmeistgehtes gleich in die Vollen. DB

n Kal: „Radio Romanista“(Asphalt Tango)

FÜR JUNGE WILDE

Folk der Altai-SteppeEs klingt wie Türkisch, ist aberKasachisch – die Sprache, in derder Songwriter Mamer aus Chi-nas nordwestlicher Provinz Xin-jiang singt. Das Grenzgebiet zurMongolei und Ka-sachstan ist eine dünnbesiedelte Steppen-landschaft von sprö-der Schönheit, undentsprechend kargund einlullend klingtdie Musik von Mamer.

Der Sänger ist eineGalionsfigur der neuen chinesi-schen Folk-Szene, er mischt ka-sachische Hirtenlieder mit eige-nen Kompositionen und spieltdie Gitarre wie eine Dombra, dieLanghalslaute seiner Region.

„Eagle“ wurde in Peking undin Xinjiang aufgenommen undfügt einen reduzierten Soundhinzu: Mal tritt eine Flöte, eineMaultrommel oder ein dezenter

Kehlkopfgesang hinzu,wie man ihn aus Tuvavon Bands wie Huun-Huur-Tu kennt.

Die meditative Ruheerinnert an AlternativeCountry oder atmo-sphärischen Ambient-spielereien. Wer die Au-

gen schließt, hört Pferdegetrap-pel oder sieht einen Adler in denHimmel aufsteigen. Hypno-tisch. DB

n Mamer: „Eagle“ (Real World)

FÜR FERNREISENDE

Roots des AfrobeatAuch wenn Fela Kutis Söhne jetztdas Afrobeat-Zepter schwingen –der eigentliche Erfinder des Gen-res ist der 69-jährige Tony Allen.Nach Ausflügen in dieDJ Culture, den Afro-Hop und gar den Rockmit Damon Albarnwird der Wahlparisernun wieder wur-zeltreuer: Mit interna-tionaler Band und vie-len neuen Stimmender exilnige-rianischen Szene, darunter auf-fällig vielen Frauen, huldigt erdem Afrobeat – nicht so sehr alspolitischer Waffe denn als spiri-tueller Kraft.

„Secret Agent“ offenbartnicht nur, wie verblüffend öko-

nomisch der Schlagzeuger seinePolyrhythmik einsetzt, sondernüberraschtauchdurcheinenfastsanften und raumgreifenden

Sound, der die funkypower des Afrobeat inmajestätische Bahnenlenkt. Und immer wie-der tritt Allen zurück,um die Jungstars amMikro zur Geltung zubringen – mit multilin-

gualen Chorsätzen zwischenYoruba und Broken English, die,kaum merklich, die Synthese zueinem R ’n’ B mit Ecken und Kan-ten schaffen. SF

n Tony Allen: „Secret Agent“(World Circuit/Indigo)

FÜR KENNER

Russischer GaunerswingMitten im Balkan-Hype, der mitelektronischen Club-Sounds un-terfüttert wird, eine akustischeInsel: Einen Bogen von St. Peters-burg bis nach Odessaspannt diese Band umSänger Slawa Schaly-gin, lässt den russi-schen Straßenchansonin der Nachfolge vonArkadi Severny wiederaufleben und berei-chert ihn mit Folk, Jazz und derOdessa-Variante des Klezmer.

Geschichten über tragischeLiebe und kleine Ganoven, überdie kleinen Helden der Hafenka-schemmen halten sich die Waa-ge in diesem „Gaunerswing“, derunvermittelt in den Cha-Cha-

Cha kippen kann oder sich einenkleinen Überwurf aus GypsySwing zulegt. Im Zentrum stehtneben der trinkseligen Stimme

die russische Quetsch-kommode Bajan, um-garnt auch mal von ei-ner verträumt dahin-schwebenden Sax-Phrase oder behäbigenAkkorden auf der Jazz-gitarre.Zwischendurch

ertönt ein pathetischer Chor, derdie Schwarzmeerflotte vor Rüh-rung in die Knie zwingen würde.Subkultur aus Sowjetzeiten, lie-bevoll und leidenschaftlich re-loaded. SF

n La Minor: „Oboroty“ (Eastblok)

FÜR ROMANTIKER

Spätes Debüt eines CroonersSeit dreißig Jahren ist er in derHeimat im Musikgeschäft, docherst jetzt erscheint sein Debüt. InEuropa war der Sohn einer Griot-Sängerin und einesSchneiders aus Burki-na Faso bislang unbe-kannt. Zu Unrecht.

Geschult durchlangjährige Erfahrun-gen in namhaften BigBands von Abidjanund Ouagadougou, setzt VictorDémé auf seinem Album eineneher transparenten Sound: Ge-schmeidig sind die Mandingo-Balladen, in denen seine Gitarreeinen Out-of-Tune-Charme ver-strömt und auch mal eine leisePosaune das Arrangement ver-

ziert. Im Wechsel zu diesen ruhi-gen Nummern spielt Démé auchmal den Afro-Salsa, der mit blit-zendem Piano und eleganter

Perkussion aufwartet,sowie zündende Tanz-nummern, die zuwei-len an eine stark ver-schlankte Rail Band er-innern. Mit flattern-dem Tenor preist er da-zu die Anmut der Frau-

enoderappelliertandenZusam-menhalt der Menschen. Beson-ders schön: die rein traditionelleZielkurvemitBalafon-undKora-Flechtwerk. SF

n Victor Démé: „Victor Démé“(Chapa Blues Records/outhere)

FÜR LIEBHABER

Retro-Lounge am BosporusDurch„Istanbul1:26a.m.“,denTi-teltrack zu Fatih Akins Hom-mage an die Musikszene derStadt, sind Orient Expressionsbekannt geworden. Ihrsuggestiver Großstadt-Groovehatgezeigt,dasssich das türkisch-ame-rikanische Quartett aufeine zeitgemäße Fusi-on von Ost und Westversteht.

Mit ihrem neuen Album ver-neigen sie sich nun vor der gol-denen Ära des türkischen Kinosin den 60er- und 70er-Jahre, dasnach dem Produktionsort in dergleichnamigen Straße „Yesil-cam“ genannt wurde – damals,als die Schnurrbärte noch groß

und die Leinwanddramen herz-zerreißend waren.

Auf „Records of BrokenHearts“ vermischen sich wie in

einem Traum Remi-niszenzen an alte Film-songs mit soulig-lei-denschaftlichen Ge-sangseinlagen, wäh-rend orientalische Per-cussion, das Klimperneiner Baglama und

Klarinettentupfer in coolen Bar-jazz und entrückte Saxofonsoliübergehen. Der nostalgischeSoundtrack für eine lauschigeRetro-Lounge am Bosporus. ZD

n Orient Expressions: „Record ofBroken Hearts“ (Double Moon)

FÜR HIPSTER

Kolumbiens Akkordeon-RaveNeu ist dieses Genre nicht, essorgt auf Dorffesten in Kolumbi-en seit jeher für Stimmung. Neuist nur, dass dazu jetzt auch inden Clubs von BuenosAires, Barcelona undLos Angeles getanztwird und der akkorde-ongetriebene Schun-kelsound inzwischenauch von internationa-len DJs entdeckt wird.

Auf dem Sampler „Arriba LaCumbia“ hat der britische DJRuss Jones, der schon für die ek-lektische „Future World Funk“-Reihe verantwortlich zeichnete,einen bunten Strauß an Cumbia-Trouvaillen ausgestellt. In demcleveren Mix finden sich, wild

durcheinander geworfen, akus-tische Klassiker von Cumbia-Ve-teranen wie Aniceto Molina oderAlberto Pacheca aus den 50er-

Jahren neben aktuellenRemixen von Mo’ Hori-zons, Basement Jaxxund Up, Butsle & Outsowie neuere Hybride,die diese aus afrikani-schen, europäischenund indigenen Einflüs-

sen hervorgegangene Tanz-musik mit Reggae, HipHop oderTechno-Rave kreuzen. Einebunte Wundertüte, fürEinsteiger und Aficionadosgleichermaßen. ZD

n „Arriba La Cumbia“ (Crammed)

FÜR TRENDSCOUTS

Kontrabass auf ReisenDie Grenzen zwischen Jazz undWeltmusik haben Renaud Gar-cia-Fons noch nie geschert, diekulturellen Grenzen zwischenLändern und Konti-nenten noch weniger.

Auf seinem neun-ten Album „La LineaDel Sur“ setzt der fran-zösisch-spanischeBassist seiner Reise ineinen „imaginären Sü-den“, die er auf früheren Albenbegonnen hat, eine weitere Etap-pe hinzu. Dabei wendet er sich,mit dem Gitarristen Antonio„Kiko“ Ruiz und der Sängerin Es-peranza Fernández, die auf dreiStücken zu hören ist, vor allemder Flamenco-Tradition zu, die

bei ihm eine leichthändige Ver-bindung mit anderen Mittel-meer-Stilen, lateinamerikani-schen Motiven und Jazz eingeht.

Mit seiner speziellenBogentechnik, mit derer seinen fünfsaitigenKontrabass mal singen,mal wie eine Laute odereine Gitarre klingenlassen kann, malt Gar-cia-Fons auf seinem In-

strument mediterrane Klang-landschaften, zu seinen TextenhatihnRumi,derpersisch-türki-sche Mystiker des Mittelalters,inspiriert. ZD

n Renaud Garcia-Fons: „La LineaDel Sur“ (Enja)

FÜR GENIESSER

Calypso in GoaWer bei Goa bislang nur an eineSpielart des Trance-Techno den-ken musste, der wird hier einesBesseren belehrt. Konkani, dasist zunächst einmal dieSprache, die in demsüdwestindischenBundesstaat gespro-chen wird, der 450 Jah-re lang eine portugiesi-sche Kolonie war.Konkani, das ist aberauch eine eigene Kultur, die starkvon europäischen und christli-chen Einflüssen geprägt wurdeund sich in der Diaspora der Me-tropole Bombay, wohin viele Go-aner auswanderten, in Abgren-zung zur Hindu-Mehrheit her-ausbildete.

Die HR-Tonmeisterin SigridPfeffer hat diese Musik auf ihrenReisen für sich entdeckt und inden Archiven indischer Radio-

sender gestöbert. Dorthat sie erstaunlicheAufnahmen aus den50er- und 60er-Jahrengefunden, die sich mitKuba- und Calypso-Rhythmen, mit Maria-chi-Bläsern und italie-

nischen Schlagermelodien zwardeutlich von den Moden der Un-terhaltungsmusik jener Zeit ge-färbtzeigen,abereineeigeneGe-schmacksnote besitzen. DB

n „Konkani: Music from Goa –made in Bombay“ (Trikont)

FÜR ENTDECKER

Page 8: weltmusik - Die Tageszeitungdownload.taz.de/weltmusik_2009.pdf 02 SONNABEND/SONNTAG, 9./10. MAI 2009 DIE TAGESZEITUNG anzeigen@taz.de WELTMUSIK außerhalb seines kulturellen CodesetwasErnsthaftesgeschaf-fen

www.taz.de

[email protected] SONNABEND/SONNTAG, 9./10. MAI 2009 b DIE TAGESZEITUNG WELTMUSIK

Der WDR-Sender ist damitnicht nur ein wichtiger Trend-scout,derheuteschonspielt,wasmorgen der neue Mainstreamist. Mit seiner Musikauswahlspiegelt er auch ein urbanes Le-bensgefühl, das Zugewanderteaus aller Welt und weltoffeneEinheimische verbindet. Denndie gesellschaftliche Integra-tion, von der heute so oft sorgen-voll die Rede ist, wird im hybri-den Sound der Metropolenschon lange vorweggenommen.

Für viele Zugewanderte vorOrt ist der WDR-Sender da-rum längst eine Institu-tion geworden – sei es alsSprachrohr und Forumfür die diversen Einwan-derer-Communitys, sei esals Veranstalter von Kon-zerten und Events wie demBalkanfestival „Mi Plese-mo“, der Partyreihe „GlobalPlayer“ oder dem erstendeutschen Ramadanfest inder Kölner Philharmonie.Welcher andere Radio-sender kann vonsich behaupten,derartaufdieBe-dürfnisse dertürkisch-, grie-chisch- oderrussischstäm-migenGebüh-renzahler ein-zugehen wiedas Funk-haus Eu-ropa?

Aber auch für viele MusikerundBandsinDeutschlandistderSender längst eine unverzicht-bare Stütze geworden, weil er inviele Subszenen hinein wirkt,zur Popularisierung neuerTrends beiträgt und so mancheKarriere befördert hat. Wie sehrFunkhaus Europa die deutscheMusikszene mit geprägt hat, daszeigen Künstler wie Patrice,Seeed, Culcha Candela oder die17 Hippies, die allesamt zuerstdort zu hören waren.

Global hören, lokal handeln –so formuliert der umtriebi-

ge Musikredakteurund Tausendsas-

sa Francis Gaydas Mottoseines Sen-ders. In die-sem Sinne

sind dem einzigwahren Integra-tionssender noch

viele weitereJahrzehn-te zu wün-

schen.DB

Ein Radio von WeltWELTMUSIK-WELLE Das WDR-Funkhaus Europa feiert sein zehnjähriges Jubiläum.Es spiegelt ein Lebensgefühl, das Einheimische und Zugewanderte verbindet

Mit internationalen Stargästenwie der afrobelgischen Vokalar-tistin Zap Mama (Foto), der ja-maikanischen Dancehall-QueenCe’Cile, dem Elektro-Mambo vonSenor Coconut und Lokalmata-doren wie der Schäl Sick BrassBand feierte das WDR-FunkhausEuropa am vergangenen Wo-chenende in Mülheim an derRuhr standesgemäß ein rau-schendes Geburtstagsfest. Espräsentierte sich damit einmalmehr als Radio von Welt.

Seit der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) sein „RadioMultikulti“ zum Ende des ver-gangenen Jahres in einem Aktder Selbstamputation abge-schaltet hat, steht die WDR-Welleallein auf weiter Flur – einzig-artig nicht nur in Deutschland,sondern in ganz Europa. SeinMonopol konnte der Sendernoch ausbauen, ist er jetzt dochnicht nur, wie bisher, in Nord-rhein-Westfalen und Bremen,sondern auch in Berlin zu emp-fangen.

Eine Schlüsselrolle bei Funk-haus Europa spielt die Musik:vom Revival kubanischer Son-Klassiker bis zu geschmeidigemElectro-Tango,vonrumpelndemsüdafrikanischen Kwaito-Housebis zu pumpendem karibischenReggeaton, vom leichtfüßigenMestizo-Dub eines Manu Chaobis zu Bollywood-Filmsongs –was heute populär ist, war zuerstauf Funkhaus Europa zu ent-decken.

Ob die Saison mit Sonnenscheinstartet, hängt vom Wetter ab.Heiß wird’s auf den Welmusik-Festivals aber auf jeden Fall.

Am Pfingstwochenende ist inBerlin der Karneval der Kultu-ren(29.Maibis 1. Juni)angesagt,wo vier Tage lang die buntestenBands der Stadt aufspielen. DerStraßenumzug ziehtamPfingst-sonntag durch Kreuzberg.

Zeitgleich steigt in Würzburgdas Africa-Festival (29. Mai bis2. Juni), dessen Programm sichwie ein „Who’s who“ des Konti-nents liest. Neben Stars wie Ou-mou Sangaré und Salif Keita ausMali,TouréKundaausdemSene-gal und Khaled, dem „König desRai“, sind auch einige Newcomeraus Südafrika dabei, die einenVorgeschmackaufdaskulturelleRahmenprogramm zur Fußball-WM 2010 am Kap geben werden.

Ebenfalls am Pfingstwochen-endezelebriertMoersseinFesti-val für improvisierte Musik,das auch immer wieder gerneKünstler präsentiert, die eine lo-kaleKoloraturinihreImprovisa-tionen mischen – dieses Mal et-wa die Songwriterin Rokia Trao-ré aus Mali und den GitarristenTimucin Sahin mit seinembundlosen Saiteninstrument.

Schon dieses Wochenende be-ginnt das Weltnacht-Festival inBielefeld und Umgebung, dassich fast bis in den Herbst hineinerstreckt (8.Mai bis 16. Septem-ber). Zum Auftakt erscheint derSongwriterHabibKoitéausMali,es folgen u. a. der Watcha Clanaus Marseille und die SängerinVirgina Mukwesha aus Simbab-we. Höhepunkt ist der Carnivalder Kulturen, der am 6. Junidurch Bielefeld zieht.

Das Haus der Kulturen derWelt in Berlin ruft eine neue Ver-anstaltungsreihe namens „Le-benslinien“ ins, nun ja, Leben.Vom 14. bis 16. Mai widmet mansich hier der südafrikanischenSaxofon-Legende Hugh Mase-kela mit Filmen und Konzerten,etwa von Joy Denalane und JazzJamaica, am Ende gibt sich derMann dann selbst die Ehre.

Wer Hugh Masekela hörenund sehen möchte, kann dasaber auch beim Masala-Festivalin Hannover tun. Vom 6. bis 17.Mai sind dort u. a. auch das En-semble von Alim Qasimov ausAserbeidschan und der britisch-marokkanische Elektronik-Der-wisch U-Cef zu Gast – Letztererschmeißt eine Party mit demSoundfrickler Oojami aus Istan-bul und der DJane Gülbahar Kül-tür vom Funkhaus Europa.

Vom 5. Juni bis zum 30. Au-gust heißt es in Berlin wieder

einmal:Popdeurope!Die Veran-stalter haben u. a. die schwedi-schen Piano-Pop-Sängerin MissLi, den Bajofondo Tango Club ausBuenos Aires und den WatchaClan aus Marseilles in die Arenaam Spreeufer geladen.

Das rennomierte Stimmen-Festival in Lörrach lockt vom14. 6. bis 26. 7. u. a. mit der kap-verdischen Sängerin Sara Tava-res, der Fado-Interpretin Cristi-na Branco und dem Chanson-Folk von Rupa & the April Fishes.

DasKulturzelt lädtvom26. 6.bis zum 9. 8. nach Kassel. Es er-öffnet seine Saison mit der israe-lischen Sängerin Noa und ihrerpalästinensischen Kollegin Mira

dem kubanischen Jazzer Rober-to Fonseca auftrumpft.

Das Tanz- und Folkfest Ru-dolstadt blickt vom 3. bis 5. Julinach Osten und bietet in seinemRussland-Schwerpunkt u. a. dasDmitri Pokrovsky Vokalen-semblesowiedieBandHuunHu-ur-Tu mit Anti Materija auf, au-ßerdem trifft das Moskow ArtTrio auf die Thüringer Sympho-niker. Daneben haben sich etwaderslowenischeFun-PunkerMa-gnificio und die Klezmer-Kapel-le Brave Old World angesagt.

BeimReggae Summer Jam inKöln (3. bis 5. Juli) geben sichnichtnurdieStarsderdeutschenReggae-Szene ein Stelldichein,von Patrice über Martin JondoundNosliwbiszurdeutsch-nige-rianischen Funk-Sängerin Nne-ka. Auch Babylon Circus, Ozo-matli, die Tuareg-Rockband Ti-nariwen und der westafrikani-sche Griot-Sänger Baaba Maalwerden für einen ausgespro-chen polyglotten Sound sorgen.

In der Kulturarena Jena wer-den zwischen dem 9. Juli unddem 23. August u. a. der kölscheReggae-Star Gentleman, der Al-pen-Rocker Hubert van Goisernund die franko-algerische Sän-gerin Soha erwartet.

Das illustre Bardentreffen inNürbergglänzt,vom31.7.bis2.8.u.a. mit der tibetischen SängerinYunchen Lhamo sowie La BrassBanda, den Shooting-Stars derbayrischen Blasmusik-Szene.

Beim Chiemsee SummerReggae Jam (14. bis 16. 8.) stehenPeter Fox, die Ohrbooten und diefabelhafte La Brass Banda ausBayernaufdemProgramm,wäh-rend die SummerStage amTanzbrunnen in Köln (23. 8.)zehn Jahre Funkhaus Europa fei-ert und dazu einige Stars derdeutschen Szene aufbietet. Aberpssst! Der Rest ist noch geheim.

Weltmusik-Wettbewerb

Zum Schluss der Saisonsteigt,alsHöhepunkt, vom 24. bis 27. Sep-tember das Finale des Weltmu-sik-Wettbewerbs Creole. Rund500 Bands und Musiker habenan acht (!) regionalen Voraus-scheidungenteilgenommen.Die17 Gewinner stellen sich in Berlindem Urteil einer Fachjury, deru. a.dieSängerinSallyNyolo,Wo-mex-Chef Christoph BorkowskysowieFrancisGayvomFunkhausEuropa angehören. Zu den Fina-listen zählen die Band Safkanmit türkischem Rock, das Vokal-duo Fjarill mit skandinavischenWeisen, die Sängerin Yara Linssmit Bossa-Nova-Interpretatio-nen (Bayern) und das Trio TheShinmit kaukasischem Folkjazz.

Baden in der MengeWELTMUSIK-FESTIVALS Die musikalische Landkarte der Republik istbunt geworden. Ein Überblick über die Highlights der Saison

Im September treten inBerlin die 17 Finalistenbeim Weltmusik-Wett-bewerb „Creole“ an

Awad,diezusammenbeimEuro-vision Song Contest antreten,und beschließt seine Saison mitden 17 Hippies. Dazwischenwechseln sich die Volkslied-Chanteuse Tine Kindermann,das Salsa-Projekt Cubanissimo!und der Klezmer-DJ Socalled aufder Zeltbühne ab. Das Sommer-festival der Kulturen in Stutt-gart (30. h6. bis 5. 7.) versprichtviel Vergnügen mit der afrope-ruanischen Band Nova Lima, derOrient-Sängerin Natacha Atlasund dem Elektro-Balkan-CrewvonLaCherga,währenddasnahegelegene Zeltival in Karlsruhe(2. 7. bis 2. 8.) mit dem Multiin-strumentalisten Nitin Sawhney,dem Bajofondo Tango Club und

Da tanzen die Amigos del Folklore: beim „Karneval der Kulturen“ in Belin Foto: Hechtenberg/Caro