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Elmar Treptow

Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern

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Treptow Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern

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Elmar Treptow

Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern

Habilitationsschrift, von der Philosophischen Fakultt der Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen angenommen im Jahr 1971

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Paul Treptow, meinem Vater, gewidmet

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Inha1tsverzeichnis

Vorwort......................................................................................................6 I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von Theorie und Praxis ..........................................................................7 1. Das Verhltnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von Geist und Willen.........................................................................7 2. Die Mangelhaftigkeit, Einseitigkeit und Unfreiheit der Theorie und Praxis im Bereich der Endlichkeit ...............................19 3. Die dialektische Einheit von Teleologie und Kausalitt in der Praxis der Naturaneignung .................................................27 4. Theorie und Praxis als gesellschaftlich-geschichtlicher Prozess ..........................................................................................31 5. Die Konzeption der Praxis als konkreter Sittlichkeit .................36 6. Der scheinbare Vorrang der Praxis gegenber der Theorie........55 7. Die Praxis und die endliche Theorie als Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Subjekt-Objekt-Einheit in der absoluten Theorie.........................................................................65 8. Die Wirklichkeit der Vernunft in der politisch-historischen Praxis .......................................................................................74 II. III. IV. Heines Ableitung der revolutionren politisch-sozialen Praxis aus der philosophischen Theorie ...................................................83 Cieszkowskis historiosophische Konzeption der Praxis als hchster Stufe des absoluten Geistes ............................................89 Strau Umbildung der dialektischen Methode zur analytischen Kritik der religisen Entfremdung......................................101

5 V. Ruges radikaldemokratische Konzeption der bersetzung der philosophischen Theorie in die politische Praxis vermittels der Kritik ....................................................................................113 Bauers skeptizistische Konzeption der philosophischen Theorie als Funktion des menschlichen Selbstbewusstseins und Negation seiner Objektivationen ..................................................127 Stirners anarchistische Konzeption der egoistischen Revolte und des willkrlichen Denkens ...................................................145

VI.

VII.

VIII. Feuerbachs sensualistische Konzeption der Praxis als Liebe und der Theorie als unmittelbarer Anschauung auf der Basis der Ich-Du-Beziehung .................................................................161 IX. Marx bergang von der kritischen Philosophie zur Konzeption der Aufhebung der Philosophie durch ihre Verwirklichung......186

Zusammenfassung ...............................................................................221 Anmerkungen.......................................................................................245 Literaturverzeichnis ..............................................................................335 Personenverzeichnis Text (Seitenzahlen) ...............................................362 Personenverzeichnis Anmerkungen (Endnotenzahlen) ...........................368

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VorwortGegenstand der Untersuchung ist das Verhltnis von Theorie und Praxis im Denken Hegels und der Junghegelianer. Als Junghegelianer" seien hier im weitesten Sinn des Wortes nicht nur D. F. Strau, B. Bauer, Stirner und Ruge, sondern auch Heine, Cieszkowski, Feuerbach und der junge Marx bezeichnet, insofern sie alle den Auflsungsprozess des Hegelianismus reprsentieren. Die Analyse soll so weit wie mglich Hegels Grundsatz des Eingehens auf die Sache selbst und des Fernhaltens beliebiger von auen genommener Gesichtspunkte befolgen, ohne dass aber die Verwicklung mit der Sache die Vershnung mit ihr ist.

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I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von Theorie und Praxis Der zentrale Aspekt bei der Untersuchung des Verhltnisses von Theorie und Praxis im Denken Hegels muss der Begriff der Freiheit sein. Er ist der Schlssel, der den Zugang zur Hegelschen Konzeption von Theorie und Praxis ffnet. Es ist im einzelnen zu zeigen, wie fr Hegel die verschiedenen Formen der Theorie und Praxis die stufenweise Verwirklichung der Freiheit als berwindung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes und damit als Aufhebung der Entfremdung zum Zweck haben, und wie die theoretischen und praktischen Vereinigungen von Subjekt und Objekt mit dem Vollbringen der Freiheit zugleich das Wahre und Gute realisieren. In Hinblick darauf ist zunchst zu klren (ohne dass auf eine vorliegende Abhandlung verwiesen werden knnte1a): wie verhalten sich grundstzlich fr Hegel Theorie und Praxis zueinander?

1. Das Verhltnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von Geist und Willen Theorie und Praxis bilden eine Einheit, die darin besteht, dass der Geist mit seiner Substanz, der Freiheit1, nur in die Existenz gelangt und sich durchsetzt im Willen und in dessen Realisierung. Der Wille ist der praktische Geist.2 Das heit: der Wille und seine Ausfhrung in der Handlung sind das im dialektischen Sinne andere des Geistes, die Entuerung oder Objektivation des Geistes. Geist und Wille bedingen sich wechselseitig wie Inneres und ueres.3 In formaler Hinsicht sind somit Geist und Wille fundamentum und terminus einer Relation, die die Struktur eines in sich zurckkehrenden bergangs oder einer reflexiven Transzendenz hat. Das innere Geistige ist das allgemeine Mgliche, das erst durch den Willen und die praktische Ttigkeit des Menschen ins Wirkliche bersetzt wird: Prinzip, so auch Grundsatz, Gesetz ist ein Allgemeines, Inneres, das als solches, so wahr es auch an ihm sei, nicht vollstndig wirklich ist... was an sich erst ist, ist eine Mglichkeit, ein Vermgen, aber noch nicht aus seinem Innern zur Existenz gekommen. Es muss ein zweites Moment fr ihre Wirklichkeit hinzukommen, und dies ist die Bettigung, Verwirkli-

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chung, und deren Prinzip ist der Wille, die Ttigkeit der Menschen berhaupt.4 Dieses dialektische Verhltnis von Geist und Willen ist nach Hegel im subjektiven, objektiven und absoluten Sinne zu verstehen: durch die individuellen Willenshandlungen verwirklicht sich sowohl die Freiheit des subjektiven, individuellen Geistes (im Lebenslauf des einzelnen Menschen) als auch des objektiven Volksgeistes (im Hervorbringen einer epochalen Stufe der Geschichte) sowie des absoluten Weltgeistes (im Vollbringen der Weltgeschichte), der wiederum wenn auch verborgenerweise vermittels des Volksgeistes und dessen Werken das substantielle, wesentliche Terrain der Realisierung der Freiheit des individuellen Geistes ist. Geist und Wille bilden also keine getrennten Vermgen; und Hegel fasst ihre Wechselbeziehung nicht statisch, sondern dynamisch auf. Das heit: die Bewegung des Geistes luft nicht selbstndig neben dem Prozess der praktischen Ttigkeit her, baut sich auch nicht uerlich hierarchisch ber ihm auf, sondern ist in ihn einbezogen. Zunchst durchdringen sich theoretische und praktische Ttigkeit auf der Stufe und im Wirkungskreis des subjektiven, individuellen Geistes. Isoliert betrachtet, richtet sich die individuelle theoretische Ttigkeit, sofern sie von der Anschauung und Vorstellung zum Denken aufsteigt, auf das Innere, Rationale, Allgemeine und Unendliche; dagegen bleibt die individuelle praktische Ttigkeit als solche, die sich nicht zum allgemeinen objektiven Willen erhoben hat, auf das uere, Sinnliche, Besondere und Endliche der Wirklichkeit beschrnkt. Aber in Wahrheit stehen die individuelle theoretische und praktische Ttigkeit in untrennbarer Einheit. Es gibt nmlich keine Intelligenz ohne Willen; denn indem wir denken, sind wir eben ttig. Der Inhalt des Gedachten erhlt wohl die Form des Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermitteltes, durch unsere Ttigkeit Gesetztes 5 Auf welche Weise die theoretischen Erkenntnisse praktisch vermittelt werden, ist unten in Verbindung mit dem Problem der Vergegenstndlichung darzustellen. Dass erst auf der Grundlage des Willens die theoretische Distanz zu den Objekten mglich ist, wird deutlich werden aus der Charakterisierung des Willens als Triebhemmung. Wenn Hegel sagt, in der Ttigkeit des Denkens finde sich das Moment des Willens, so sei dieser

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Zusammenhang zunchst erlutert durch den Hinweis darauf, dass wir unverkennbar unseren Willen auf theoretische berlegungen konzentrieren und absichtlich allgemeine gedankliche Inhalte einprgen und lernen sowie reproduzieren knnen. Ebenso ist nach Hegels Einsicht umgekehrt die Praxis untrennbar von der theoretischen Ttigkeit: wesentlich fr den Willen und jede Willenshandlung ist die Zielstrebigkeit, das bewusste Innehaben des Zweckes der Handlung: ... der Wille hlt das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich; diese Bestimmung ist zunchst ein Inneres: was ich will, stelle ich mir vor, ist Gegenstand fr mich.6 Hierbei ist das Vorstellen im weitesten Wortsinne zu verstehen; das geistig antizipierte Resultat kann nmlich auer in der Form der Vorstellung im engeren Sinne der sinnlichen Vorstellung - auch in der Form des Gedankens auftreten. Mehrere Bewusstseinsmomente und differenzierte Operationen wie Abwgen der Konsequenzen der Handlung, Kollidieren der Motive, Treffen einer Wahl, Hegen einer Absicht und Fassen eines Vorsatzes und Entschlusses sind innere, intellektuelle Bestandteile einer komplizierten Willenshandlung vor ihrer Durchfhrung. Die Willenshandlung ist die spezifisch menschliche Handlung. Im Gegensatz zu ihr sind in der unwillkrlichen Trieb- oder Impulshandlung, die ebenfalls wie die Willenshandlung einen Zustand des Bedrfnisses und Mangels zu negieren sucht, die angestrebten Gegenstnde nicht als Ziel bewusst geworden: das Gefhl hat berhaupt noch keine Gegenstndlichkeit, ist ein bestimmter Zustand des Subjekts, der Trieb dagegen ist zwar gegenstndlich, aber bewusstlos, der Wille schlielich ist sowohl gegenstndlich als auch bewusst. Das Tier bleibt in seiner reaktiven situationsbedingten Lebensttigkeit dem Trieb verhaftet; der Mensch wei im Trieb nicht, was er will. Aber durch die Reflexion auf den Trieb erkennt er ihn als beschrnkt, hebt sich von ihm ab und geht ber ihn hinaus. Die Reflexion vergleicht den Trieb mit den Mitteln seiner Befriedigung, die Mittel und Triebe untereinander und die Triebe mit den Hauptzwecken des menschlichen Wesens.7 Auf Grund der Hemmung der Triebe, der zielgerichteten Willenshaltung und der Mglichkeit, von allem gegebenen Inhalt willentlich zu abstrahie-

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ren, gewinnt der Mensch freie Distanz (Weltoffenheit) gegenber den Gegenstnden der Natur und Gesellschaft und vermag infolgedessen auf sie mit berlegung und Auswahl einzuwirken. Die willenlosen, trieb- und instinktgeleiteten Tiere dagegen sind mit der Natur nicht entzweit und somit von der Umwelt unmittelbar abhngig und determiniert Sie passen sich der Natur, ohne sie entsprechend ihren Bedrfnissen zu verndern, an und assimilieren sie direkt. Sie sind, wie Hegel sagt, nicht ausgeschlossen von den Eleusischen Mysterien der Ceres und des Bacchus ber die Nichtigkeit der sinnlichen Dinge; denn sie langen... ohne weiteres zu und zehren sie auf.8 Grundlegend ist Hegels Einsicht, dass der Mensch nicht unmittelbar von Natur selbstndiges freies Subjekt ist, sondern dies erst in einem praktisch-theoretischen Vermittlungs- und Bildungsprozess werden kann. Das Tier kann zwischen seinen Trieb und dessen Befriedigung nichts einschieben; es hat keinen Willen, kann die Hemmung nicht vornehmen. Das Erregende fngt bei ihm im Innern an und setzt eine immanente Ausfhrung voraus. Der Mensch aber ist nicht darum selbstndig, weil die Bewegung in ihm anfngt, sondern weil er die Bewegung hemmen kann und also seine Unmittelbarkeit und Natrlichkeit bricht. - Denken, dass er Ich ist, macht die Wurzel der Natur des Menschen aus. Der Mensch ist als Geist nicht ein Unmittelbares, sondern wesentlich ein in sich Zurckgekehrtes... er ist also das, wozu er sich durch seine Ttigkeit macht. Erst das in sich Zurckgekehrte ist das Subjekt...9 Die praktische Selbstndigkeit und Selbstbestimmung des Menschen sind also bedingt durch die theoretische Selbsterkenntnis, indem die Beherrschung und Regulierung der Triebe zur Voraussetzung hat das Bewusstsein und Selbstbewusstsein, d. h. das Bewusstsein des Menschen als Ich oder Subjekt, wie auch umgekehrt die selbstbewusste theoretische Ttigkeit bedingt ist durch die Hemmung der Triebe und die willentliche Selbstbestimmung. Wie Hegel hervorhebt, sind die natrlichen Bedrfnisse, die Weisen ihrer willentlich-praktischen Befriedigung und die Mittel hierfr beim Menschen im Gegensatz zum Tier nicht konstant und einfach, sondern sie differenzieren, multiplizieren, komplizieren und spezialisieren sich in einem unendlichen Prozess.10 In dessen Verlauf geraten die Menschen im Sys-

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tem der Bedrfnisse der brgerlichen Gesellschaft in der Weise in wechselseitige Abhngigkeit, dass ihre Verhltnisse schlielich weiter bedingt durch die Ungleichheit des Vermgens und der Geschicklichkeiten der Individuen antagonistisch im bermae des Reichtums und bermae der Armut resultieren, wogegen Hegel Abhilfe erwartet von dem Welthandel, der Kolonisation und der Besteuerung der Reichen, aber vor allem von der durch den Bauern-, Handels- und Gewerbe- sowie Beamtenstand vermittelten Unterordnung der konkurrierenden selbstschtigen Privatinteressen der Gesellschaft unter den Staat als Vershnung des Individuellen und Allgemeinen.11 Durch die Auffassung von der gesellschaftlichgeschichtlichen Entwicklung der Bedrfnisse unterscheidet sich Hegel grundlegend von derjenigen zeitgenssischen philosophischen Anthropologie, die dahin tendiert, natrliche Konstanten und invariante Strukturen des Menschen aufzusuchen und ihn eher als biologisches denn als geschichtliches Wesen zu betrachten. Fr Hegel sind die Bedrfnisse des Menschen immer solche auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung, ebenso wie die Welt des Menschen, in der er denkt und handelt, immer eine konkrete Welt des objektiven Geistes ist. Mit der Fundierung der Praxis in dieser geschichtlich orientierten Anthropologie knpft Hegel unausgesprochen an Herder an. Fr Herder ist der Mensch der erste Freigelassene der Natur; das Tier ist mit seinen Trieben in einer beschrnkten artspezifischen Umwelt festgehalten; es hat seinen Kreis, in den es von der Geburt an gehrt. Der Mensch unterdrckt oder sublimiert seine Triebe und emanzipiert sich von ihnen, sein Organismus ist mit Mngeln ausgestattet und verhltnismig unspezialisiert. (Seine Sinne und seine Organisation sind nicht auf Eins geschrft...). Den Menschen leitet der knstliche Instinkt, die Vernunft. Statt in einer natrlichen Umwelt lebt er in einer nur relativ stabilen Kulturwelt. (Dies bedeutet, dass entgegen der Annahme von Verhaltensforschern speziell die menschliche Destruktivitt im wesentlichen nicht aus der tierischen Aggressivitt ableitbar ist.) Der Mensch ist von Natur wesentlich zur Vernunft, Freiheit und Humanitt organisiert. Dementsprechend darf er whlen, wenn er auch das Schlechteste whlte: er kann ber sich gebieten, wenn er sich auch zum Niedrigsten aus eigener Wahl bestimmte. Das Wesen oder die Natur des Menschen ist also nicht fertig und einfach vorgegeben, sondern geschichtlich aufgegeben und Resultat dessen, wozu der

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Mensch sich selbst verwirklicht und bestimmt, was aber objektive Mglichkeit bleibt und nicht im Belieben steht. Der Mensch ist der Bildungsprozess des Menschen. Die Vernunft ist kein fixes Vermgen, das der Mensch hat, sondern sie ist das fortgehende Werk der Bildung des menschlichen Lebens. Sie ist nicht angeboren...12 Unverkennbar ist die vielmals perhorreszierte Konzeption der Selbstverwirklichung des Menschen hier nicht entworfen aus prometheischer berhebung, sondern auf Grund einer begrndeten Analyse der geistigleiblichen Konstitution des Menschen. Diese Konzeption impliziert die Schlussfolgerung: die Ergrndung dessen, wer der Mensch ist, ist keine rein theoretische, sondern auch eine praktisch-geschichtliche Frage. Daraus muss sich ergeben, dass die philosophischen Aussagen ber den Menschen nicht in der Weise von wissenschaftlichen unbeteiligten Feststellungen ber unmittelbar seiende Naturgegenstnde, Dinge oder positive Fakten nur beinhalten, was der Mensch als Objekt ist, sondern zugleich auch, was der Mensch als Subjekt sein kann. Die philosophischen Aussagen ber den Menschen fordern Anteil- und Stellungnahme heraus. Sie enthalten Elemente von Hinweisen fr das Handeln. Sie lassen kein Sichabfinden mit den bestehenden Fakten zu. Die philosophische Betrachtung des Menschen verliert damit die Mglichkeit, sich methodologisch einseitig an der Mathematik oder den Naturwissenschaften (die selbst nicht voraussetzungslos, sondern geschichtlich vermittelt sind) zu orientieren und zum Beispiel wie Spinoza more geometrico zu verfahren oder wie Kant einen sichern Gang der Wissenschaft zu erstreben. So wird ein allerdings nicht geradliniger Weg sichtbar von Herders Bestimmung des Menschen zu Hegels Abgrenzung der Methode der Philosophie von dem Verfahren des mathematischen Erkennens in der Vorrede der Phnomenologie des Geistes: whrend das mathematische Erkennen seinem Gegenstande uerlich bleibt, steht dagegen das philosophische Erkennen nicht in souverner Zuschauerhaltung ber der Sache; das philosophische Erkennen gehrt wesentlich zu seinem Inhalt und dessen geschichtlich-praktischer Bewegung (die als Entstehung des Wesens, des

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Inneren, im Werden des Daseins, des ueren, zugleich Aufhebung des Daseins und das sich Zurcknehmen ins Wesen, ins Innere, ist).13 Die philosophische Wahrheit beweist sich demnach nicht nur als eine Form des erkennenden Subjekts, sondern auch als Moment im Dasein, d. h. als Existenzweise in dem geschichtlich-praktischen Prozess (der als relatives Moment die Unwahrheit einschliet). Die Wahrheit wie die Freiheit muss fr Hegel weitgehend im Gegensatz zur philosophischen berlieferung letzten Endes deshalb eine Obliegenheit der Praxis, nicht nur der Kontemplation, werden, weil er den Willen, die Sphre der Praxis, als untrennbar vom Geist, als das im dialektischen Sinne andere des Geistes, bestimmt. Hegels Konzeption der Einheit volitiver und intellektueller Momente in der individuellen zielgerichteten Handlung, eingebettet in die Verhltnisse des objektiven Geistes, ist nicht im naturalistischen Sinne so aufzufassen, dass die Handlung zwar von bewussten Zielen gesteuert wird, diese Ziele aber wiederum ausschlielich bewusst gewordene Ausdrucksformen selbstndiger natrlicher Bedrfnisse sind. Dies wre eine Zurckfhrung des Denkens auf den Willen. Da aber Hegel umgekehrt den Willen als das andere des Geistes bestimmt, gelten ihm konsequenterweise als Quellen, die die Willenshandlunng mobilisieren und determinieren, letztlich geistige Zwecke selbst. Die Selbstndigkeit der natrlichen Bedrfnisse und ihrer Gegenstnde ist fr Hegel nur der (notwendige) Schein auf dem Standpunkt der Endlichkeit des subjektiven Geistes, der eine Entuerungsstufe des absoluten Geistes ist. Der Mensch auf dem Standpunkt des subjektiven endlichen Geistes hat in seiner Ttigkeit, wenn auch ihm selbst verborgen, als Inhalt und Interesse den Geist selbst, der sich in dem Selbstverstndnis des Menschen ausdrckt. Indem der Mensch seine Triebe hemmen oder laufen lassen kann, handelt er nach Zwecken, bestimmt er sich nach dem Allgemeinen. Welcher Zweck ihm gelten soll, hat er zu bestimmen; er kann das ganz Allgemeine selbst zu seinem Zwecke setzen. Was ihn dabei determiniert, sind die Vorstellungen von dem, was er sei und was er wolle... Er kann sich so den einfachen Begriff zu seinem Zwecke machen, z.B. seine positive Freiheit.14 Das Selbstbewusstsein des Menschen kommt also nicht beilufig zum Bewusstsein des Gegenstandes der Willenshandlung hinzu, sondern in der

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Bewusstseinserfahrung drckt sich wesentlich das Wissen des Menschen von sich aus. Indem fr Hegel das Selbstbewusstsein das Wesen des Menschen ist (das sich in der praktischen Lebensfhrung entfaltet), ist seine Konzeption auch zu unterscheiden von einer Auffassung, der das Selbstverstndnis des Menschen zwar insofern notwendiges, nicht beilufiges Moment seiner praktischen Lebensfhrung ist, als der Mensch nicht einfach hin natrlich und unmittelbar lebt, aber der das Selbstverstndnis des Menschen dennoch nicht das Wesentliche ist. Fr Hegel gehen also nicht nur etwa alle theoretischen und praktischen Ttigkeiten von einem bewussten und selbstbewussten realen Menschen als geistig-leibliche Einheit aus und sind von ihm unabtrennbar, sondern sie wurzeln ursprnglich im Prozess des Selbstbewusstseins, in dem sich der reale Mensch erst entwickelt. Hegels Konzeption des Selbstbewusstseins und der Scheinselbstndigkeit der natrlichen Bedrfnisse ist untrennbar von seinem idealistischen Erfahrungsbegriff, demgem Gegenstand und Bewusstsein in das Wissen selbst fallen und sich dem Bewusstsein in der Vernderung des Wissens... in der Tat auch der Gegenstand selbst ndert.15 Das Grundprinzip, die letzte einheitliche Basis, des Theorie-PraxisVerhltnisses sind fr Hegel weder die Willensakte im voluntaristischen Sinne noch die ueren Verhaltensweisen und (bewusstlosen) Reaktionen im behavioristischen und pragmatistisch-mechanistischen Sinne noch die Handlungen in dem Sinne, dass an ihnen sekundr die beiden in Wechselwirkung stehenden Momente des Willens und des Geistes als relativ selbstndig getrennt werden, sondern dieses Grundprinzip ist: die Ttigkeit des Selbstbewusstseins, das als Bewusstsein erscheint und unmittelbar oder dem Begriff nach Geist ist. Die Entwicklung des Selbstbewusstseins, die Kontrolle und Regulierung der Triebe und die Herausbildung des Willens ermglichen nicht nur das Sichablsen von der Natur und in dieser Weise die Entwicklung der Selbstndigkeit des Subjekts, sondern zugleich den Verzicht auf ausschlielich individuelle, subjektive Motivation und damit positiv die Einordnung des subjektiven Willens in den allgemeinen Willen, d. h. das Entstehen spezifisch menschlicher Beziehungen als rechtliches, moralisches und sittlichpolitisches Verhalten.

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Das Individuum, das eine solche geistige objektive Welt vorfindet, hat, wie Hegel in der Phnomenologie des Geistes darlegt, die Aufgabe, sie aufzuarbeiten und zu integrieren: Der einzelne muss auch dem Inhalte nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist...16 Das Individuum kann sich nicht verwirklichen, indem es das Dass vom Was abtrennt und die allgemeinen objektiven geschichtlichgesellschaftlichen Verhltnisse zu berspringen sucht. Es kann nicht hinaus ber die vorgegebene objektive Stufe der Entwicklung seines Volkes. Wenn auch Leidenschaft, partikulares Interesse und selbstschtige Zwecke die Triebkraft des Handelnden sind, so ist doch einerseits ihr Inhalt da der Handelnde denkender Mensch ist durchzogen mit allgemeinen, wesenhaften Bestimmungen des Rechts, des Guten, der Pflicht usf.17; andererseits fhrt aber auch das Handeln des einzelnen kraft der List der Vernunft18 zu allgemeinen Ergebnissen, die nicht in seiner besonderen Absicht gelegen haben mssen. (Dabei fhrt die Ttigkeit der welthistorischen Individuen unter unerlsslicher Bercksichtigung dessen, was objektiv an der Zeit ist und im Innern schon vorhanden ist im Gegensatz zur Aktivitt der erhaltenden Individuen zu einer qualitativ hheren Stufe der allgemeinen Verhltnisse des objektiven Geistes.) Der objektive Inhalt wird realisiert, auch wenn der einzelne Mensch sein Wohl oder seine Glckseligkeit anstrebt, d. h. die Harmonie und Befriedigung seiner subjektiven Absichten und besonderen Bedrfnisse und Interessen.19 Die Hemmung der Triebe und die Herausbildung des individuellen Willens drfen nicht dazu fhren, dass der Mensch sich in sich zurck zu ziehen und in einem romantischen Kultus der Innerlichkeit und Subjektivitt abzuschlieen versucht. Da Geist und Wille wie Wesen und Erscheinung eine untrennbare Einheit bilden, muss der Geist sich uern in Handlungen und Taten. Dem entspricht in der philosophischen Wissenschaft das von Hegel nachdrcklich hervorgehobene Erfordernis der besonderen Durchfhrung des allgemeinen Prinzips.20 Was der Mensch tut, das ist er (und umgekehrt). Das, was der Mensch ist, ist seine Tat, ist die Reihe seiner Taten, ist das, wozu er sich gemacht

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hat... So ist der Geist wesentlich Energie, und man kann bei ihm nicht von der Erscheinung abstrahieren.21 Infolgedessen muss der Mensch fr seine Handlungen einstehen. Er kann sich nicht auf eine innere Handlung berufen. Letztlich sind nicht einmal seine ehrlichen Absichten und Gesinnungen entscheidender Mastab zur Beurteilung seines praktischen Verhaltens in sittlicher Hinsicht, worauf im Zusammenhang mit der Frage der konkreten Sittlichkeit und Hegels Kritik an Kants und Fichtes ethischen Formalismus zurck zu kommen ist. Allerdings hat der einzelne Mensch nicht diejenigen Konsequenzen seiner Handlung als imputable Schuld, als das Seinige, zu bernehmen, die keine immanente Gestaltung der Handlung sind, sondern hervorgehen aus ueren zuflligen und notwendigen Umstnden, die er nicht kannte oder verkannte und die er infolgedessen nicht in den Vorsatz einbeziehen konnte. Hierin liegt die Anerkennung des Menschen als Denkenden.22 Das heit in Hegels Terminologie: der einzelne Mensch hat sich nur seine Handlungen, nicht aber seine Taten in vollem Umfange als Schuld zuzurechnen. (Schuld im Hegelschen Sinne hat der Mensch notwendigerweise, insofern er nmlich aus der Unschuld des Naturzustandes heraustritt und berhaupt seine Handlungen will.) Zur Handlung gehrt also allein die mit Vorsatz, zur Tat auch die ohne Vorsatz hervorgebrachte praktische Vernderung der objektiven Wirklichkeit (wobei grundstzlich im Vorsatz das, was noch nicht da ist und erst sein soll, in Differenz steht zu dem, was unmittelbar vorliegt). Seine Tat, nicht nur seine Handlung hat, wie Hegel analysiert, der heroische Mensch in der antiken Tragdie dipus oder Ajax zum Beispiel zu ben.23 Aber auch der Mensch in unserer Zeit muss nach Hegels Konzeption der konkreten Sittlichkeit dann den ganzen Umfang seiner Handlung auf sich nehmen und verantworten, wenn er auch ohne Vorsatz die wesentlichen sittlichen zwischenmenschlichen Verhltnisse verletzt; denn er ist wesentlich denkender und frei wollender Mensch.

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Dass der Geist des Menschen sich wesentlich nur in Handlungen und Taten uert, macht Hegel mit besonderer Schrfe deutlich im Zusammenhang mit seiner Polemik gegen die Physiognomik (Lavaters) und die Phrenologie (Galls) in der Phnomenologie des Geistes in dem Kapitel: Beobachtung der Beziehung des Selbstbewusstseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schdellehre. Die uerung des Inneren in Schdelbildung und Physiognomie bildet, wie Hegel ausfhrt, kein wesentliches und notwendiges Verhltnis. Sie macht den Geist nicht begreiflich. Eine zufllige, nur unbestimmte Meinungen und Vorstellungen zulassende nicht gesetzmige Verbindung von Innen und Auen ist der sinnliche daseiende Ausdruck das Sein fr andere des Inneren in den leiblichen Organen, der Gestalt, der Stimme, den Zeichen der Mienen und Gebrden, dem Gesicht und der Handschrift, erst recht im toten Knochenbau (Es ist... fr vllige Verleugnung der Vernunft anzusehen, fr das wirkliche Dasein des Bewusstseins einen Knochen auszugeben24). Sogar die Hand, nach Aristoteles das Werkzeug der Werkzeuge, ist nicht die wahre Vergegenstndlichung des Geistes, obgleich sie nchst dem Organ der Sprache am meisten es ist, wodurch der Mensch sich zur Erscheinung und Verwirklichung bringt. Sie ist der beseelte Werkmeister seines Glcks; man kann von ihr sagen, sie ist das, was der Mensch tut, denn an ihr als dem ttigen Organ seines Sichselbstvollbringens ist er als Beseelender gegenwrtig...25 In den leiblichen Organen ist das Tun noch als Tun oder als Inneres am Individuum einfach gegenwrtig; es ist nicht eigentlich nach auen getreten, jedenfalls im Vergleich zu seiner uerung in (der Vielheit der) Taten und Werke, die vom Individuum absonderbar sind. Sprache und Arbeit dagegen sind uerungen, worin das Individuum nicht mehr an ihm selbst sich behlt und besitzt, sondern das Innere ganz auer sich kommen lsst, und dasselbe Anderem preisgibt.26 Wenn die leiblichen Erscheinungen die wahren Ausdrucksformen, die Phnomenologie, des individuellen Geistes wren, wrde der Geist nur verbunden mit der Vergangenheit der vita acta, nicht mit der Gegenwart und Zukunft der vita agenda.

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Was aber der einzelne Mensch an sich ist, lsst sich mit Solon - erst aus und nach dem ganzen Lebensvollzug wissen.27 Die Freiheit des ttigen Individuums widerstreitet der wesentlichen Festlegung auf sein leibliches Dasein.28 Zustimmend zitiert Hegel Lichtenberg: Gesetzt, der Physiognom haschte den Menschen einmal, so kme es nur auf einen braven Entschluss an, sich wieder auf Jahrtausende unbegreiflich zu machen.29 Nur im Willen, in der Handlung und der Tat hat also der Geist seine wesentliche gegenstndliche Wirklichkeit, die Erfllung seiner Mglichkeiten, seine Reflexion in sich, seine Selbstbesttigung: Das wahre Sein des Menschen ist... seine Tat; in ihr ist die Individualitt wirklich... die Individualitt stellt sich in der Handlung als das negative Wesen da, welches nur ist, insofern es Sein aufhebt.30 Da die vollbrachten Taten wie z. B. Mord, Diebstahl oder Wohltat nicht eine gemeinte unaussprechliche infinite Bedeutung haben, sondern eine feste Bestimmtheit, ist in ihnen die schlechte Unendlichkeit vernichtet. Die Tat ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen, sondern die Sache selbst. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist... 31 Indem also der menschliche Geist wie auch die voran gegangenen Kapitel in der Phnomenologie des Geistes ber die Vernunft sowie ber die sinnliche Gewissheit, die Wahrnehmung und den Verstand demonstrieren seine Realitt, d. h. die Objektivitt oder Entuerung seiner Subjektivitt, nur in den Gegenstnden als seinen eigenen Werken, nicht in den Gegenstnden als unvermittelt seienden, gegebenen Dingen erfhrt, haben wir es hier mit dem Gegensatz des Theoretischen und Praktischen zu tun; und Hegel kommt konsequenterweise zu dem Resultat: das Bewusstsein muss, um seine Freiheit hinsichtlich der Dinge zu gewinnen, von der gescheiterten theoretischen beobachtenden reproduzierenden (gleichsam protokollierenden und datenverarbeitenden) Einstellung hier in Gestalt der Physiognomik und Phrenologie bergehen zu einer praktischen Einstellung: Das Bewusstsein will sich nicht mehr unmittelbar finden, sondern durch seine Ttigkeit sich selbst hervorbringen. Es selbst ist sich der Zweck seines Tuns, wie es ihm im Beobachten nur um die Dinge zu tun war.32

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2. Die Mangelhaftigkeit, Einseitigkeit und Unfreiheit der Theorie und Praxis im Bereich der Endlichkeit Wenn bisher die Einheit des Theoretischen und Praktischen hervorgehoben wurde, so kommt es jetzt darauf an, ihre Differenz zu erfassen. Hierfr ist der Ausgangspunkt der Subjekt-Objekt-Gegensatz. Subjekt der Theorie und Praxis ist aber nicht etwa der Mensch als leiblich-geistige Einheit, sondern das Bewusstsein oder Ich ist es, das sich als Subjekt praktisch oder theoretisch zu den Gegenstnden verhlt und den Gegensatz zu ihnen zur Vershnung und zur Freiheit als dem Beisichsein im anderen zu bringen sucht. Den hchsten Inhalt nun, welchen das Subjektive in sich zu befassen vermag, knnen wir kurzweg die Freiheit nennen.33 Die Unfreiheit ist das Objektive, das dem Subjekt als Schranke und Fremdes gegenbersteht. Der Trieb der Wissbegierde, der Drang nach Kenntnis, von der untersten Stufe an bis zur hchsten Staffel philosophischer Einsicht hinauf, geht nur aus dem Streben hervor, jenes Verhltnis der Unfreiheit aufzuheben und sich die Welt in der Vorstellung und im Denken zu eigen zu machen. In der umgekehrten Weise gehe die Freiheit im Handeln darauf aus, dass die Vernunft des Willens Wirklichkeit erlange.34 Es ergibt sich: die endliche oder relative theoretische und praktische Ttigkeit in der Sphre des subjektiven Geistes unterscheiden sich vor allem durch eine umgekehrte Stellung des Ich zum Gegenstand: in der theoretischen Ttigkeit verndert oder bestimmt (durch Setzung eines Unterschieds) der Gegenstand das Ich, in der praktischen Ttigkeit dagegen bestimmt oder verndert das Ich den Gegenstand (sei er ein uerer, sinnlicher, sei er ein innerer, intelligibler des objektiven Geistes, also ein rechtlicher, moralischer oder sittlicher35, wobei im letzten Fall der Gegensatz im Inneren und Subjektiven selbst liegt). Die Vereinigung von Subjekt und Objekt ist also in Theorie und Praxis gegenlufig: in der Theorie wird das Innere mit dem ueren, in der Praxis das uere mit dem Inneren zur bereinstimmung gebracht. Der Anfang der Theorie liegt bei dem ueren Vorhandenen, der Anfang der Praxis bei dem inneren Entschluss.36

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Hegel erkennt, dass innerhalb dieses endlichen Verhltnisses von Subjekt und Objekt sowohl die Praxis als auch die Theorie einseitig und mangelhaft ist.37 Die Einseitigkeit der Theorie besteht erstens darin, dass sich das Subjekt in der Theorie passiv verhlt, d. h. sich (unter Ausschaltung subjektiver Vorurteile) nach den objektiven Gegenstnden richtet, diese als selbstndig gewhren lsst und sich somit dem Vorhandenen unterwirft, das seinerseits von dem Subjekt nicht bestimmt wird und der Selbstbestimmung des Subjekts entgegensteht.38 Hegels Feststellung, das theoretische Bewusstsein verhalte sich in Bezug auf den Gegenstand passiv, mag auf den ersten Blick paradox und unvereinbar damit erscheinen, dass fr Hegel gerade die Bewusstseinsdialektik Impuls der Erkenntnisbewegung ist. Aber es ist zu bercksichtigen: das Bewusstsein ist nur die einseitige abstrakte Erscheinung des Selbstbewusstseins und Geistes; und erst dieser ist die Vermittlung oder Negativitt (die Negation der Negation) schlechthin, der sich sowohl das Bewusstsein als auch der Gegenstand nicht mehr als unmittelbar gegeben, sondern als vermittelt darstellt. Das endliche Subjekt ist, wie Hegel ausfhrt, im theoretischen Verhalten nur scheinbar frei, d. h. bei sich selbst im anderen, in Wirklichkeit aber durch die als selbstndig sich erhaltenden Objekte beschrnkt. Zwar wird durch die passive Aufnahme des objektiven Inhalts die Abstraktheit und Leerheit der unmittelbaren SelbstGewissheit, des reinen Frsichseins oder der formalen Freiheit aufgehoben, aber nur zugunsten einer Abhngigkeit von dem in der Auenwelt vorgefundenen Inhalt. Wie Hegel nicht entgeht, ist die theoretische Einstellung des endlichen Subjekts allerdings nicht gnzlich passiv: das Empfangen der Eindrcke von den Gegenstnden ist begleitet von der richtungsweisenden und auswhlenden Aktivitt der Aufmerksamkeit.39 berhaupt bedeutet die Passivitt des theoretischen Verhaltens des endlichen Subjekts gegenber dem ueren Inhalt keineswegs, dass in ihm die Aktivitt innerer Denkoperationen, die formale Selbstbestimmung des Bewusstseins ausgeschlossen wre.40

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Zweitens besteht im Theoretischen Einseitigkeit hinsichtlich der Objekte: die ueren Gegenstnde werden nur als seiende, nicht als frsich seiende, Zweck und Begriff in sich tragende gefasst; die Einheit des Begriffs ist hier nur auerhalb ihrer, nmlich im theoretischen endlichen Subjekt. Es ist offensichtlich: dies letztere bemngelt Hegel an dem endlichen theoretischen Verhalten vom Standpunkt nicht mehr des objektiven, sondern des absoluten Idealismus, d. h. vom Standpunkt seines idealistischen Objektivittsbegriffs, demgem die Gegenstandswelt zwar unabhngig vom menschlichen Bewusstsein, aber abhngig vom absoluten Geist ist. Bevor auf die Einseitigkeit der endlichen praktischen Ttigkeit eingegangen wird, seien die hauptschlichen in Frage stehenden Formen des endlichen theoretischen Bewusstseins, die Hegel im einzelnen analysiert, in aller Krze angefhrt41: die Wahrnehmung ebenso wie schon die sinnliche Gewissheit des Hier und Jetzt setzt im Unterschied zur Empfindung das Bewusstgewordensein des Subjekt-Objekt-Gegensatzes voraus und ist gegenstndlich. Die Vorstellungen der Einbildungskraft sind sinnlich-bildliche Reproduktionen von Gegenstnden, die im Gegensatz zu den Wahrnehmungsobjekten nicht unmittelbar rumlich-zeitlich gegenwrtig zu sein brauchen, oder sie sind in der produktiven Einbildungskraft schpferische Umbildungen derartiger Gegenstnde. Die Erinnerung das innere Aufbewahren und Bleiben des Wahrgenommenen ist die Voraussetzung fr dessen Reproduktion oder Wiedererkennen in der Vorstellung und fr die Verknpfung mehrerer Erscheinungen in der Erfahrung. Ebenfalls auf der Erinnerungsfhigkeit basiert die Sprache als ein System von Hr- und Sehbildern mit signifikativer (semantischer) und kommunikativer Funktion, das ausgedehnteste Werk der Einbildungskraft.42 Sprache und Gedanke sind in unterschiedener Einheit. Sprache ist die sinnliche Existenzform der allgemeinen unsinnlichen Gedanken. (Implizit zurckgewiesen ist Lockes Mosaiktheorie einer jeweils privaten Sprache, die vllig getrennten Bewusstseinswelten der Individuen angehrt.) Die Einbildungskraft lst sich von den sinnlichen Gegenstnden, abstrahiert schon von den anschaulichen Einzelheiten, vereinfacht, hebt allgemeine

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Zge hervor und ist fhig, in der Kunst das Innere sichtbar zu machen (zum Beispiel in Gestalt der Allegorie oder des Symbols nach dem Wortgebrauch Goethes , d. h. in Gestalt des Reprsentierens des Allgemeinen im Besonderen, der Einheit von Bild und allgemeiner Bedeutung oder gedanklichem Gehalt). Die Einbildungskraft bildet somit die Mitte in der Anodos zu den allgemeinen Gedanken. Weder einseitig rationalistisch noch empiristisch ist Hegels Konzeption hinsichtlich der Quellen der endlichen Erkenntnis: er trennt weder Sinnliches und Rationales, Einzelnes und Allgemeines sowie Erscheinung und Wesen gnzlich voneinander als knnte das Erkennen die Empirie umgehen und unmittelbar das Wesen erfassen noch fhrt er das Rationale auf das Sinnliche zurck als knnte Erkenntnis eine Summation von Sinnesdaten sein.43 Zu den nicht-sinnlichen, rationalen Formen des endlichen theoretischen Bewusstseins gehrt zunchst als elementare Verstandesttigkeit der Vergleich einzelner Wahrnehmungsgegenstnde, d. h. das Aufdecken des Identischen und Differenten. Damit wird der bergang gemacht zur Abstraktion, die das Herausheben eines einzelnen Momentes eines wahrgenommenen sinnlichen Konkreten, also einer Einheit mannigfaltiger Bestimmungen, und sein Fixieren zur einfachen Allgemeinheit ist. (Das allgemeine naturwissenschaftliche Gesetz ist fr Hegel wesentlich Begriff und damit nicht abhngig von induktorischer infiniter Verifikation44.) Abstraktionen und Definitionen werden gebildet in Verbindung mit den theoretischen Operationen der Analyse und Synthese. Die Analyse ist das Zergliedern eines einheitlichen konkreten Gegenstandes der sinnlichen Wahrnehmung in allgemeine abstrakte Elemente, und die Synthese ist das Wiederherstellen der konkreten Einheit vermittels der Vereinigung der abstrakten Elemente auf der hheren Stufe des Denkens, so dass das sinnliche Konkrete Ausgangspunkt der Analyse und das gedankliche Konkrete Resultat der Synthese ist.45 Die grundlegende Verstandesttigkeit des Urteilens ist, wie Hegel aufweist, immanent dialektisch, insofern z. B. in dem Urteil die Rose ist rot die Kopula in der Verbindung von Subjekt und Prdikat mit der Un-

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terschiedenheit zugleich die Einheit des Einzelnen und Allgemeinen ausdrckt. Da in allem Seienden Einzelheit und Allgemeinheit vereint sind, kann Hegel sagen: ... alle Dinge sind ein Urteil.46 Schlielich ist der Syllogismus eine Form des endlichen Erkennens. Im Verstandesschluss stehen die drei Begriffe in einem uerlichen Verhltnis. Auf dem Standpunkt der absoluten spekulativen Theorie aber enthllt sich nach Hegels Auf-fassung der subjektive Schluss als Entuerungsstufe des objektiven Zusammenschlusses des absoluten Subjekts mit sich selbst vermittels seiner Momente. Im Gegensatz zum endlichen theoretischen Verhalten kommt in der endlichen praktischen Ttigkeit die Unselbstndigkeit der Objekte ausdrcklich zur Geltung. (Von dieser Praxis ist zu unterscheiden die konkret unendliche Praxis auf der Stufe des objektiven Geistes.) Das Subjekt triumphiert ber das unmittelbar Gegebene und uerlich Vorhandene durch dessen Negation. Nach seinen Zwecken und Interessen verndert und verarbeitet der Mensch die ihm dienstbare machtlose Auenwelt. Mittels des Kriteriums der Vernderung der Auenwelt teilt Hegel auch die Sinnesorgane in praktische und theoretische ein.47 Dass die Objekte nicht als unabhngig fr sich und nicht als in sich zweckvoll gefasst werden, darin liegt aber auch fr Hegel ein Mangel der endlichen Praxis (ebenso wie der endlichen Theorie). Zweitens besteht in der praktischen Ttigkeit nach dee subjektiven Seite hin die Einseitigkeit und Unfreiheit darin, dass die Objektwelt zwar im Gegensatz zum passiven theoretischen Verhalten von den inneren Zwecken des endlichen Subjekts bestimmt wird und sich als unselbstndig erweist, aber dennoch durch die Praxis nur relativ formiert werden kann und letztlich in ihrer Objektivitt dem Subjekt unberwindlich widersteht. Die endliche Praxis ist in der Tat zweiseitig: zur Aktivitt gehrt fatalerweise die Passivitt, nmlich die uere Bedingtheit und Abhngigkeit von den objektiven Umstnden. (Weiter ist an der Praxis mangelhaft, dass die menschlichen Zwecke, Bedrfnisse und Interessen von auen beeinflusst sind, untereinander in Konflikt geraten und zu zuflligen und willkrlichen Entscheidungen fhren knnen.)

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Kurz: die Praxis ist fr Hegel in zweifacher Hinsicht nach der objektiven und der subjektiven Seite mangelhaft: erstens verhindert sie als Vernderung der objektiven Wirklichkeit die vollkommene Autonomie der objektiven Wirklichkeit; zweitens verhindert sie als nur relative Vernderung der objektiven Wirklichkeit die vollkommene Autonomie des Subjekts. Zu den Formen des praktischen individuellen Bewusstseins gehren auer dem Willen als Trieb, Neigung, Leidenschaft, Begierde und Interesse auch die praktischen Gefhle .48 Als Grundlage der praktischen Gefhle und ihrer Polaritt des Angenehmen und Unangenehmen erkennt Hegel die Beziehung zwischen den Bedrfnissen des Subjekts und den Objekten; das heit: die praktischen Gefhle, z.B. Freude und Schmerz, sind der Ausdruck davon, wie der Handelnde in der Auenwelt fr seine individuellen Bedrfnisse eine Entsprechung findet. Die praktischen Gefhle sind in dieser Weise eine subjektive die niedrigste Form des objektiven Inhalts. Nicht nur Verstand und Wille, sondern auch Gefhl und Wille sind im Menschen eine Einheit und keine isolierten fertigen Vermgen, beisammen wie in einem Sacke.49 Sowohl die endliche Theorie als auch die endliche Praxis knpft also das Band zwischen Ich und Gegenstandswelt; sie berwinden jeweils in einander ergnzender Weise den Gegensatz und die Entfremdung von Subjekt und Objekt, indem die Einseitigkeit der Subjektivitt die unmittelbare Selbstndigkeit des Subjekts von der die Objekte aufnehmenden Theorie, und die Einseitigkeit der Objektivitt50 die unmittelbare Selbstndigkeit der Objekte von der die Objekte verndernden Praxis negiert wird. Diejenigen, welche soviel von der Festigkeit und Unberwindlichkeit des Endlichen, sowohl des Subjektiven als des Objektiven sprechen, haben an jedem Triebe das Beispiel von dem Gegenteil. Der Trieb ist sozusagen die Gewissheit, dass das Subjektive nur einseitig ist und keine Wahrheit hat, ebensowenig als das Objektive.51 Dass sowohl die Theorie als auch die Praxis Bewusstsein und Gegenstand vereint, heit, dass ihre zugrunde liegende Struktur die gleiche ist, nmlich die Negation der Negation (die Negativitt). Indem Theorie und Praxis die Entzweiung von Subjekt und Objekt aufheben, negieren sie nmlich jeweils auf entgegengesetzter Seite das

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unmittelbar Gegebene. Das von Theorie und Praxis mittels der Negation in gleicher Form angestrebte Resultat ist die vershnende Wiederherstellung der Einheit und Freiheit, die sich im anderen mit sich zusammenschlieende, vermittelte Rckkehr des Subjekts in sich (oder das Frsichsein als Negation der Negation und wahrhafte Unendlichkeit). Die Gegenstnde, sofern ich mich zu ihnen mit dem Triebe danach verhalte, sind Mittel der Intregation; dies macht berhaupt die Grundlage des Theoretischen und Praktischen aus.52 Aber sowohl die theoretische als auch die praktische Vereinigung von Subjekt und Objekt in der Sphre der Endlichkeit und das heit: im Bereich nicht nur des subjektiven, sondern auch des objektiven Geistes bleibt eine Beziehung auf anderes und bringt keine Auflsung aller Widersprche. Die Abhngigkeit oder Unfreiheit ist nur formal oder an sich, aber nicht inhaltlich aufgehoben. Die physischen Bedrfnisse, das Wissen und Wollen des Menschen erhalten nun also in der Tat eine Befriedigung in der Welt und lsen den Gegensatz von Subjektivem und Objektivem, von innerer Freiheit und uerlich vorhandener Notwendigkeit in freier Weise auf. Der Inhalt aber dieser Freiheit und Befriedigung bleibt dennoch beschrnkt, und so behlt auch die Freiheit und das Sichselbstgengen eine Seite der Endlichkeit. Wo aber Endlichkeit ist, da bricht auch der Gegensatz und Widerspruch stets wieder von neuem durch, und die Befriedigung kommt ber das Relative nicht hinaus... Was der... in Endlichkeit verstrickte Mensch sucht, ist die Region einer hheren, substantielleren Wahrheit, in welcher alle Gegenstze und Widersprche des Endlichen ihre letzte Lsung und die Freiheit ihre volle Befriedigung finden knnen.53 Indem Hegel mit dem absolut idealistischen Anspruch auftritt, wahre Freiheit erfordere die Beziehung eines Subjekts auf einen objektiven Inhalt als Beziehung auf sich selbst, d. h. sie erfordere die Aufhebung aller ueren Bedingtheit und somit der Gegenstndlichkeit als solcher, kann er konsequenterweise das endliche theoretische und praktische Subjekt-ObjektVerhltnis als nur unvollkommene Einheit und Freiheit bestimmen. Innerhalb des endlichen Verhltnisses ist in der Tat fr Theorie und Praxis nur eine Konvergenz an die inhaltliche Synthese von Subjekt und Objekt erreichbar. Vollkommene Vereinigung von Subjekt und Objekt,

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Form und Inhalt, Begriff oder Idealitt und Realitt, Denken und Sein, d. h. restlose berwindung des Widerstandes der Objektivitt und damit vollkommene Freiheit lsst sich fr Hegel jedoch, wie zu zeigen sein wird, gewinnen im absoluten Denken. Aber schon das sthetische Verhalten ist eine Synthese des Praktischen und Theoretischen, eine Aufhebung ihrer Einseitigkeit und Unfreiheit, und steht damit hher als die endliche Theorie und die Praxis, d. h. es gehrt zum absoluten Geist. Obgleich nmlich das Kunstwerk, der schne Gegenstand, nicht wie der Gegenstand der praktischen Ttigkeit der Begierde zerstrt wird, macht es den Betrachter doch auch nicht trotz seines beschrnkten Inhalts abhngig und unfrei wie der Gegenstand der endlichen Theorie. (Das Kunstwerk setzt auf Grund seiner appellativen oder evokativen Wirkung einen Prozess der Befreiung im Kunstgenieenden in Gang.) Der Grund dafr ist, dass im schnen Gegenstand das sinnliche Objektive keine Selbstndigkeit und Unmittelbarkeit hat, d. h. dass der schne Gegenstand seinen einheitlichen lebendigen Begriff oder seine Form nicht auerhalb seiner Objektivitt oder seines Stoffes hat. Er ist vielmehr deren konkrete Einheit, in der sich vernnftiger Zweck und sinnliche Realitt zu freier Totalitt oder Individualitt durchdringen; er ist die Freiheit als Notwendigkeit hinter dem Schein absichtsloser Zuflligkeit.54 Dennoch ist die sthetische Synthese des Praktischen und Theoretischen noch keine vollkommene Vereinigung von Subjekt und Objekt, d. h. keine perfekte Aufhebung der Gegenstndlichkeit, kein reines Gesetztsein der Gegenstndlichkeit durch das Subjekt, keine restlose Verwandlung der Substanz ins Subjekt. Das Schne ist als das sinnliche Scheinen der Idee55 noch nicht explizit die Idee in ihrem eigenen Element, dem Begriff, den zu erfassen, Aufgabe der absoluten Theorie ist. Auch die Religion kann nach Hegels Konzeption der drei Reiche des absoluten Geistes in ihrem Element der Vorstellung die eine hhere Stufe der Innerlichkeit oder Subjektivitt als das sthetische Anschauen reprsentiert nicht den absoluten Inhalt, die Einheit des Gttlichen und Menschlichen, des Unendlichen und Endlichen, in vollkommen adquater Form ausdrcken und den Subjekt-Objekt-Gegensatz zur reinen Freiheit aufheben.

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3. Die dialektische Einheit von Teleologie und Kausalitt in der Praxis der Naturaneignung Die Einheit von theoretischer und praktischer Ttigkeit, die sich in jeder Willenshandlung manifestiert, konkretisiert Hegel weiter, indem er den Zusammenhang von Praxis und Teleologie sowie Teleologie und Kausalitt aufdeckt. Wie Hegel zeigt, sind Kausalitt und Teleologie miteinander vereinbar und schlieen sich nicht dualistisch-antinomisch aus. Die Verlsslichkeit kausaler Naturprozesse fr Hegels mechanische und chemische Prozesse ist die Voraussetzung zweckvollen praktischen Eingreifens, auch in Gestalt der Technik.56 Die Teleologie ist die Wahrheit des Mechanismus und Chemismus.57 Die Zweck-Mittel-Relation hat zur Grundlage die Ursache-WirkungRelation; ein Mittel kann zur Erreichung eines Zieles nur angewendet werden, wenn das Mittel Ursache bestimmter Wirkung ist. Auf Grund der Verknpfung von Teleologie und Kausalitt stehen Mensch und Natur in einem derartigen praktischen Wechselwirkungsverhltnis, dass der Mensch weder ausschlielich als Subjekt noch aus schlielich als Objekt agiert, d. h. dass die Natur weder der Aktivitt des Menschen schrankenlosen Spielraum gewhrt noch den Menschen gnzlich einengt und zu Passivitt oder Fatalismus und Hinnahme ihrer Fremdheit verurteilt (wie die Mechanisten und Deterministen des l8. Jahrhunderts im Widerstreit zu ihrem politischen Engagement annahmen infolge der bertragung der Naturerscheinungen der Anziehung und Abstoung auf das menschliche Verhalten58). In der Einheit von Teleologie und Kausalitt ist die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit impliziert. Diese vier Kategorien der Praxis lassen sich nicht trennen. Wenn der Mensch annimmt, seine Willensfreiheit lge darin, beliebig und willkrlich entscheiden und handeln zu knnen, lsst er sich schlielich in seiner Handlung von zuflligen Konstellationen determinieren und ist tatschlich unfrei.59 Freiheit besteht in der Sphre der Endlichkeit nur in der Erkenntnis und in dem praktischen Beherrschen notwendiger allgemeiner Zusammenhnge.

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Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit (die auch Goethe hervorhebt als die Dialektik von Wollen und Schicksal in der Abhandlung Shakespeare und kein Ende) wird zum Beispiel dadurch besttigt, dass wir eine Handlung nur frei nennen, wenn auch ihre Folgen mit bercksichtigt und einkalkuliert worden sind, was aber einen der Handlung zugrunde liegenden notwendigen Zusammenhang voraussetzt. Die praktische Realisierung des subjektiven Zwecks und die Herstellung der relativen Einheit von Subjekt und Objekt ist dadurch eine Negation der Unmittelbarkeit sowohl des Subjekts als auch des Objekts, dass der Zweck aus seiner Innerlichkeit herausgesetzt, objektiviert wird und das Objekt vom Zweck durchdrungen und ihm adquat formiert wird. Dieses negative Verhalten gegen das Objekt ist ebensosehr ein negatives gegen sich selbst, ein Aufheben der Subjektivitt des Zwecks.60 Der subjektive, innere Zweck, der auf das objektive zu bearbeitende Material bezogen ist, wird auf der Basis der Triebhemmung unter Anwendung eines Mittels oder Werkzeugs realisiert. Die Mittel der Produktfon haben den Vorrang vor den unbestndigen subjektiven Zwecken und den rastlos sich erneuernden Bedrfnissen (das Essen, die Sttigung, das Schlafen hilft nichts, der Hunger, die Mdigkeit fangen morgen von vorn wieder an61); denn in den Mitteln verallgemeinert sich die Einzelheit der Arbeit zu einer (relativ) bestndigen nachahmbaren Regel: ... der Pflug ist ehrenvoller als unmittelbar die Gensse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhlt sich, whrend die unmittelbaren Gensse vergehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht ber die uerliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.62 Auch hinsichtlich dieser Mittel der praktischen Naturaneignung, nicht nur im direkten Zusammenhang mit dem Geschichtsprozess, spricht Hegel von einer List der Vernunft: der Mensch hlt sich im Hintergrund und lsst die Objekte der Natur, das Material und das Mittel (das passiv gegen den Arbeitenden und aktiv gegen das zu Bearbeitende ist) fr seine Zwecke wirken und sich aneinander abreiben, ohne Komplimente mit ihnen zu machen: Dass der Zweck sich aber in die mittelbare Beziehung mit dem Objekte setzt und zwischen sich und dasselbe ein anderes Objekt einschiebt, kann als die List der Vernunft angesehen werden... In der unmit-

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telbaren Beziehung auf dasselbe trte er selbst in den Mechanismus oder Chemismus und wre damit der Zuflligkeit und dem Untergange seiner Bestimmung, an und fr sich seiender Begriff zu sein, unterworfen. So aber stellt er ein Objekt als Mittel hinaus, lsst dasselbe statt seiner sich uerlich abarbeiten, gibt es der Aufreibung preis und erhlt sich hinter ihm gegen die mechanische Gewalt.63 Die praktische teleologische Ttigkeit der Naturaneignung hat somit die Form eines Syllogismus. Durch das Mittel (B) schliet sich der subjektive Zweck (C) mit den Gegenstnden (A) zusammen und in ihnen auch insofern mit sich selbst, als er sich darin objektiviert.64 In der ersten Prmisse des praktischen Syllogismus bezieht sich der subjektive Zweck (C) auf das Mittel oder Arbeitsinstrument (B), in der zweiten Prmisse ist das Mittel oder Arbeitsinstrument (B) auf die vorgefundenen Gegenstnde (A) bezogen. Die beiden Extreme des Schlusses sind der subjektive Zweck als Terminus minor und das kausal determinierte Material der Gegenstnde als Terminus maior; der Terminus medius ist das Mittel oder Werkzeug. Bis zu diesem Punkt wird Hegels Analyse der praktischen Naturaneignung als Unterbrechung und zielstrebige Umfunktionierung des Kausalkonnexes auch von einer nicht absolut idealistischen Konzeption (soweit sie jedenfalls nicht mechanistisch-reflexologisch orientiert ist) inhaltlich akzeptiert werden mssen. Aber eine solche nicht absolut idealistische Konzeption wird erstens nicht anerkennen, dass die Sphre der ZweckMittel-Objekt-Relation primr die Logik ist und dementsprechend die syllogistische Form in der praktischen Ttigkeit des Menschen nur ihre Vergegenstndlichung oder ihren Abglanz hat.65 Eine naturalistische Konzeption wrde zweitens alle Zwecksetzungen selbst wiederum als letztlich kausal bedingt auffassen, nmlich als urschlichen Ausdruck natrlicher Bedrfnisse. Und eine dritte grundlegende Divergenz ergbe sich daraus, dass eine solche Konzeption den Haupt-zweck der Praxis nicht in der Fortbildung der Selbsterkenntnis erblicken wrde, was aber, wie unten zu zeigen ist, Hegels Aspekt der Praxis ist. Zwar behandelt Hegel mit der Analyse des Verhltnisses von Teleologie und Kausalitt in extenso den von Descartes generell herausgestellten Zusammenhang zwischen der Existenz allgemeingltiger Gesetze, deren Er-

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kenntnis und der rationalen Herrschaft des Menschen als matre et possesseur du monde, und er knnte damit anknpfen an Bacons Gleichsetzung von Macht und Wissen sowie auch an Vicos Gleichsetzung von Machen und Erkennen66, aber es ist zu bedenken: fr Hegel geht das Wissen nicht auf in der praktikablen operativ-technischen Theorie der Naturbewltigung, sondern diese ist ein Moment im Dienste der Freiheit des Geistes, die Hegel schlielich kulminieren lsst in einer Erneuerung der aristotelischen Kontemplation. Und die auf die Natur sich beziehende Theorie erschpft sich fr Hegel, wie ein Blick in seine Naturphilosophie zeigt, nicht in einem einfrmigen mathematischen Formalismus; vielmehr rehabilitiert er die qualitative Mannigfaltigkeit der Natur. Die Unzulnglichkeit der mathematisch-mechanischen Methode der alten Physik war schon naturwissenschaftlich erwiesen mit dem Entstehen der Chemie, der Biologie und der Elektrizittslehre. Ebensowenig wie die Theorie in der Erkenntnis der Naturgesetze erschpft sich fr Hegel die Praxis in der technischen Naturbeherrschung. Nicht schon deshalb allein, weil Hegel berhaupt in seine Theorie-PraxisKonzeption das Moment der Naturaneignung systematisch integriert, liee sich behaupten, dass bei ihm die Praxis im aristotelischen Sinne, d. h. das ausschlielich auf die Welt des Menschen bezogene in den Einzelfllen von der Klugheit (phronesis) nur unwissenschaftlich ungenau geleitete nicht lehrbare stets vernderliche und sein Ziel in sich selbst tragende67 Handeln abdanke zugunsten der Poiesis, der technischen Herstellung, der Produktion. Die eigentliche Distanz des aristotelischen Begriffs des situationsgerechten klugen tugendhaften Handelns fr das sich keine stringenten Prinzipien aus der reinen Theorie und Weisheit ableiten lassen68 zu dem Hegelschen Praxisbegriff wird erst ersichtlich aus Hegels dialektischer Verknpfung der Praxis mit dem Geschichtsprozess.

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4. Theorie und Praxis als gesellschaftlich-geschichtlicher Prozess Wenn die praktische Ttigkeit der Naturaneignung so dargestellt wird, dass der einzelne homo faber oder das einzelne toolmaking animal (Benjamin Franklin) zwischen sich und den Naturobjekten ein Mittel einschiebt und die Natur in solcher Weise fr sich arbeiten lsst, fehlt in diesem praktischen Individualismus noch das Moment der Wechselbeziehung der Menschen untereinander, das heit die gesellschaftlich-geschichtliche Seite der praktischen Ttigkeit der Naturaneignung, ber die Hegel schlielich in der Phnomenologie des Geistes feststellt: Das rein einzelne Tun und Treiben des Individuums bezieht sich auf die Bedrfnisse, welche es als Naturwesen, d. h. als seiende Einzelheit hat. Dass selbst diese seine gemeinsten Funktionen nicht zunichte werden, sondern Wirklichkeit haben, geschieht durch das allgemeine erhaltende Medium, durch die Macht des ganzen Volks... Die Arbeit des Individuums fr seine Bedrfnisse ist ebensosehr eine Befriedigung der Bedrfnisse der andern als seiner eignen, und die Befriedigung der seinigen erreicht es nur durch die Arbeit der andern.69 In welcher Weise das Bearbeiten der Natur, das Handeln in der Geschichte und die Entstehung des Selbstbewusstseins, d. h. die Selbstverwirklichung des Menschen, sich bedingen, expliziert Hegel in der Phnomenologie des Geistes als erstes in dem Kapitel Selbstndigkeit und Unselbstndigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft. Aus diesem Kapitel erhellt: die durch die Triebhemmung frei gewordene Mitte der praktischen Naturaneignung bildet zunchst der mit den Werkzeugen arbeitende Knecht. In der individuellen praktischen Ttigkeit der Begierde, die den selbstlosen Naturgegenstand machtvoll negiert, kommt das einzelne Selbstbewusstsein, wie Hegel ausfhrt, durch die Befriedigung zwar zu einem Selbstgefhl und einer Selbstgewissheit, aber nicht zur vollen Anerkennung seiner Freiheit als Frsichseiendes (als Selbst oder Subjekt). Diese kann es nur erreichen durch die Vermittlung in Richtung auf ein Subjekt, das objektiv seiend ist, d. h. auf ein anderes Selbstbewusstsein, also nicht in einer einfachen, sondern in einer doppelten Reflexion, denn nicht der selbstlose Naturgegenstand der Begierde, sondern nur das ande-

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re Selbstbewusstsein kann die Negation an sich selbst vollziehen und somit das erste Selbstbewusstsein bejahen. Daher stellt Hegel fest: Das Selbstbewusstsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewusstsein.70 Dass es kein Ich gibt auerhalb der Beziehung zum Du, heit fr Hegel konkret: es gibt keine praktisch-theoretische Selbstndigkeit oder Freiheit eines Subjekts ohne die praktisch-theoretische Selbstndigkeit oder Freiheit eines andern Subjekts. Das Streben nach Respektierung des Daseins und der Selbstndigkeit des einen Selbstbewusstseins durch ein anderes ist im Naturzustand des bellum omnium contra omnes zunchst gerichtet auf die Aufhebung der Selbstndigkeit und des unmittelbaren Daseins (des Seins fr andere) des anderen Selbstbewusstseins, d. h. seiner Leiblichkeit, in der es zu einem alter ego seine vermittelnde Beziehung hat71, und wird so zu einem Kampf auf Leben und Tod. In ihm zieht einer der Kmpfer resignierend dem Tod die Knechtschaft vor, d. h. die Erhaltung seines Lebens und seines einzelnen Selbstbewusstseins, ohne dass dieses als selbstndig, als ens per se stans, anerkannt wird. Hervorzuheben ist, dass Hegel weit davon entfernt ist, aus dem Kampf, der gewaltsamen Repression und der autoritren Herrschaft die Natur des Menschen im Sinne eines biologistischen Mythos zu machen oder die in Macht und Unterwerfung polarisierte unvershnte Zwangsordnung wegen ihrer ueren Stabilitt und Konsistenz zu sanktionieren. Hegel sieht ausdrcklich Kampf und Gewalt nur als entwicklungsgeschichtlich frhes bergangsmoment zu vernnftigen Verhltnissen an.72 Hiermit lsst sich die Bestimmung des Aristoteles vergleichen, dass das staatliche Gemeinwesen zwar wegen des berlebens entstanden ist, aber um des guten Lebens willen besteht, und zwar als Ordnung einer Herrschaft ber Freie und Gleichgestellte, nicht einer Despoteia und Monarchia (die allerdings ber Sklaven in der Hausverwaltung, der Oikonomia, von Aristoteles als natrlich zugestanden wird).73 In einen anderen die zwischenstaatlichen Beziehungen betreffenden Zusammenhang gehrt, dass Hegel den Krieg nicht als absolutes bel

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ansieht, sondern ihm erstens eine universalhistorische Berechtigung aber nicht mehr innerhalb Europas74 und zweitens die integrierende Funktion, innere Unruhen zu verhindern, auferlegt, indem er das Vlkerrecht und Kants Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund ablehnt und einen Naturzustand zwischen den als einheitliche Individualitten gefassten Staaten und somit ihre volle uere Souvernitt gegeneinander annimmt, wobei er die Staaten aber schlielich unterordnet unter die Vermittlung der Weltgeschichte als Weltgericht.75 Wie Hegel weiter analysiert, wird das Wesen des Knechts dazu, Objekt des Herrn nicht selbstttiges Subjekt zu sein und in seinem Dienst zu arbeiten. Da der Herr auer ber den Knecht auch ber die zu bearbeitenden Dinge verfgt, die die Kette des Knechts sind, bezieht er sich sowohl mittels der Dinge auf den Knecht als auch mittels des Knechts auf die Dinge.76 In dieser Weise der Unterjochung ist unmittelbar zunchst die Selbstndigkeit des Selbstbewusstseins des Herrn gesichert. Das Frsichsein des Knechts ist durch die doppelte Abhngigkeit vom Herrn und von den Dingen unwesentlich geworden und entuert. Der Knecht hat sich verdingen mssen. Der Herr hlt sich aus der aufreibenden Macht der Dingwelt heraus, er ist die reine negative Macht, der das Ding nichts ist, und also das reine wesentliche Tun in diesem Verhltnisse77; er geniet unmittelbar wie das Tier die Arbeitsprodukte des sich unter eigenem Triebverzicht in kommandierter Arbeit abarbeitenden Knechts. Da diese Arbeitsprodukte das vergegenstndlichte Bewusstsein des Knechts sind, bezieht sich der Herr auch in ihnen auf ein anderes Selbstbewusstsein. Auf Grund der durch die Knechtsarbeit vermittelten Distanz zu den Dingen und auf Grund der Arbeitsteilung als Trennung von Herrschaft und Arbeit kann der Herr sich mig und theoretisch verhalten, ein Zusammenhang, den auch Aristoteles klar aufgedeckt hat.78 Aber durch die praktische Ttigkeit verkehrt sich das ungleiche Verhltnis von Selbstndigkeit und Unselbstndigkeit: die Knechtschaft wird als in sich zurckgedrngtes Bewusstsein in sich gehen und zur wahren Selbstndigkeit sich umkehren.79 Der Herr erfhrt in dem einseitigen Anerkennen seine Abhngigkeit von der Ttigkeit des Knechts und die Unselbstndigkeit seines eigenen Bewusstseins. Die zugrundeliegende ge-

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schichtliche Etappe, auf die sich Hegel bezieht und die er hier in ihrer Spiegelung in der Entwicklung des subjektiven individuellen Geistes darstellt, ist die Auflsung der antiken Sklavengesellschaft. Auf der Stufe des objektiven Geistes ist mit dem Ineinanderumschlagen der Selbstndigkeit des Knechts und des Herrn am ehesten vergleichbar die von Hegel analysierte Verwandlung des edelmtigen Bewusstseins des Lehnsmanns mit seinem Heroismus des Dienstes in das niedertrchtige Bewusstsein des Hflings und der feudalen Staatsmacht in den brgerlichen Reichtum80. Ohne dass Hegel es ausdrcklich so nennt, ist auch dies eine List der Vernunft, dass die aufopfernde Selbstpreisgabe des Knechts zur Selbstgewinnung wird und sein Leiden ihn mndig macht. Angesichts der Bedrohung und der Angst, sein ganzes Selbst durch den Tod zu verlieren, hat alles Fixe... in ihm gezittert, ist er zur Selbstbehauptung entschlossen und ist sein Frsichsein, das ihm im Herrn entfremdet und suspendiert war, schon an ihm selbst; aber erst wirklich sein eigenes und an und fr sich seiendes ist es auf Grund der Arbeit. Dass die Todesgefahr des Knechts zur Aufhebung der Desintegration seines Selbst fhrt, lsst sich in Verbindung sehen mit Hegels grundlegender Spekulation ber den Tod als berwindung des Endlichen, Natrlichen und Gegebenen und als vermittelndes Moment der Erhebung ins Leben des unendlichen Geistes.81 Das Tun des Herrn, das unmittelbare Verzehren der Arbeitsprodukte, hinterlsst keine objektiven gesellschaftlichen vestigia, sondern verschwindet mit diesem Tun, whrend dagegen das formierende Tun des Knechts, der seine eigene transitorische Begierde erzwungenermaen negiert und seinem Eigenwillen entsagt, in den Arbeitsgegenstnden und Werkzeugen von Dauer ist, in das Element des Bleibens tritt: Diese Befriedigung ist aber deswegen selbst nur ein Verschwinden, denn es fehlt ihr die gegenstndliche Seite oder das Bestehen. Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben und zu einem Bleibenden, weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbstndigkeit hat.82 In diesen (relativ) bestndigen Objektivierungen seines subjektiven Bewusstseins findet der Arbeitende in einer Art praktischer Anamnesis

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sich selbst wieder und gelangt in der Selbsterkenntnis zum Bewusstsein seines An- und Frsichseins: Die Form wird dadurch, dass sie hinausgesetzt wird, ihm nicht ein Anderes als es; denn eben sie ist sein reines Frsichsein, das ihm dadurch zur Wahrheit wird.83 Damit hat Hegel an diesem Wendepunkt der Entwicklung des Geistes analysiert, wie die Selbsterkenntnis gewonnen wird auf der Grundlage der Umgestaltung der Natur, und zwar innerhalb bestimmter geschichtlichgesellschaftlicher Beziehungen der Menschen untereinander. In der Rechtsphilosophie wird die gesellschaftliche Seite der Naturaneignung im System der Bedrfnisse im Zusammenhang mit der Spezifizierung der Mittel und Bedrfnisse und der Arbeitsteilung entwickelt84. Die Analyse des allgemeinen Selbstbewusstseins, des Ich, das Wir, und das Wir, das Ich ist85, in Gestalt des Herrn und des Knechts gleicht zwar noch einer Robinsonade86 und bezieht sich auf eine relativ abstrakte geschichtliche Entwicklungsetappe des absoluten Geistes auf dem Weg zu seiner Selbsterkenntnis; aber Hegel konkretisiert die gegenseitige Anerkennung der Selbstndigkeit und objektiven Allgemeinheit des Selbstbewusstseins schrittweise weiter als Selbstbewusstsein eines Volkes, das sich in Moral, Recht und Sittlichkeit sowie in Kunst, Religion und Philosophie entfaltet, und als die Reihe der welthistorischen Volksgeister auf ihrem Fortschritt zu immer vollkommenerer Freiheit des Bewusstseins. Das also ist Hegels konkretere Bestimmung der Einheit von Theorie und Praxis (konkreter als ihre Einheit in jeder Willenshandlung und in der praktisch-teleologischen Naturaneignung): Theorie und Geschichte sind dialektisch aufeinander bezogen. Die menschliche Erkenntnis ist fr Hegel kein rein erkenntnistheoretischer (innerer) Vorgang eines einzelnen isoliert genommenen Subjekts, keine einfache Relation zwischen einem Subjekt und einem Objekt, sondern wie auch die Selbsterkenntnis des absoluten Geistes, zu der sie als Entwicklungsphase gehrt ein praktischer natrlich-geschichtlicher (uerer) Prozess, der stufenweise von der Menschheit vollzogen wird. Erkenntnis basiert also gleichsam auf einer menschheitsgeschichtlichen Intersubjektivitt. (In der letzten Hinsicht kommt Goethe Hegel nahe, wenn er in einen Brief an Schiller sagt: Nur smtliche Menschen erkennen die Natur, nur smtliche Menschen leben das Menschliche87.) Die volle Er-

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kenntnis der Wahrheit ist bedingt durch die Verwirklichung der Wahrheit in der geschichtlich-politischen Freiheit. Weiter ist die Einheit von Theorie und Praxis als Einheit von Theorie und Geschichte die Einheit der Logik und der Geschichte, insofern die logisch-systematischen Stufen und Erkenntnisformen des Geistes Anschauung, Vorstellung und Denken in der geschichtlichen Entwicklung erscheinen auf dem Niveau der Kunst, der Religion und der Philosophie. Nach Hegels Konstruktion findet der Geist seine jeweils adquate Form in der Kunst des Griechentums, der Religion des Mittelalters und der Philosophie der Zeit Hegels. Auch die logisch-absoluten (oder ontologischen) Kategorien der philosophischen Theorie erscheinen also als Gestalten im geschichtlich-relativen Entwicklungsprozess (zum Beispiel die Kategorie des Seins bei Parmenides, die des Werdens bei Heraklit und so fort).

5. Die Konzeption der Praxis als konkreter Sittlichkeit Frei, allgemein und unendlich ist der beschrnkte, natrliche und endliche Wille nur formal, an sich oder seinem Begriffe nach, das heit insofern, als er die Mglichkeit hat, von jedem bestimmten Inhalt, den er durch seinen Entschluss whlt, ins (schlechte) Unendliche fort zu abstrahieren oder ihn zu transzendieren und in dieser einseitigen Weise als einfache Reflexion in sich und Negation des Realen unmittelbar bei sich zu sein. Sogar sein Leben kann der Mensch im Gegensatz zum Tier durch Selbstmord fallen lassen.88 Diese negative verstandesmige Freiheit des formalen Willens ist im Politischen wie im Religisen der Fanatismus der Zertrmmerung aller bestehenden gesellschaftlichen Ordnung, und die Hinwegrumung der einer Ordnung verdchtigen Individuen..., worin fr Hegel insbesondere die Signatur der plebejischen jakobinischen Schreckenszeit der franzsischen Revolution vor dem Thermidor (l794) mit ihrer antikisierenden allgemeinen Freiheit und dem Terror im Namen der asketischen Tugend besteht.89 Die Unbestimmtheit des Willens ist allerdings die Voraussetzung dafr, dass er einen bestimmten Entschluss fassen kann. Anders gesagt: die Zu-

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wendung des Menschen zur Welt basiert auf seiner originren Weltoffenheit und Triebbeherrschung. Form und Inhalt bleiben aber unter diesem Gesichtspunkt im Gegensatz: auerhalb des abstrakten nur potentiell, nicht aktuell unendlichen allgemeinen unentschlossenen Willens steht der besondere Inhalt, zu dem sich der Wille jeweils entschlieen muss, indem er aus seiner unbestimmten Identitt der reinen Selbstgewissheit heraustritt.90 Insofern Kants und Fichtes praktische Philosophie auf diesen formalen allgemeinen Willen, das abstrakte unwirkliche Gute, gegrndet ist (auch bei Fichte kommt nmlich, wie Hegel bemngelt, der besondere Inhalt zum allgemeinen Ich als dem Wahren fr sich nur hinzu und ist ihm nicht immanent91), stehen sich auch in ihr das apriorische Allgemeine und das empirische Mannigfaltige unvermittelt gegenber und machen wahre Sittlichkeit als Einheit des allgemeinen Gesetzes und des bestimmten Inhalts unmglich: Die Leerheit des reinen Pflichtgefhls und der Inhalt kommen einander bestndig in die Quere.92 Die inhaltslose Universalitt der Moral ist getrennt von der empirischen Partikularitt, ohne jemals vollkommen verwirklicht werden zu knnen. Die Erfllung der moralischen Postulate bleibt eine ethische Utopie, ist ein unendlicher Prozess, der perennierend gesetzte Widerspruch selbst93 Dieser Widerspruch ist unaufhebbar; denn wenn sich das Sollen realisierte und die gedachte Einheit der Pflicht und der Glckseligkeit als seiend zustande kme, verschwnde das Sollen und die Pflicht. Die Vollendung der Harmonie ist ins Unendliche hinauszuschieben; denn wenn sie wirklich eintrte, so hbe sich das moralische Bewusstsein auf. Denn die Moralitt ist nur moralisches Bewusstsein als das negative Wesen, fr dessen reine Pflicht die Sinnlichkeit nur die negative Bedeutung, nur nicht gem ist.94 Dadurch, dass die Ethik Kants und Fichtes wie ihre Erkenntnistheorie den Dualismus von Idealitt und Realitt, Subjektivitt und Objektivitt, nicht wahrhaft berbrckt, wird trotz des Rigorismus der moralischen Forderungen dem empirischen gemeinen Bewusstsein nichts von seiner Zuflligkeit und Gemeinheit genommen, sondern es bleibt ebenso wie die empirische Wirklichkeit unverndert, unaufgehoben bestehen. Infol-

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gedessen stabilisiert diese Ethik die Zerrissenheit des Lebens und die Zerstckelung des Menschen.95 Dass der abstrakt allgemeine formal gute existenzlose Wille (nicht nur im Sinne der Kantischen und Fichteschen Ethik) nicht wahrhaft autonom ist, zeigt sich, wie Hegel in der Phnomenologie des Geistes in dem Kapitel Die Tugend und der Weltlauf sagt, daran, dass das Gute, indem es in dem Kampf gegen den Weltlauf auftritt, damit sich darstellt als seiend fr ein anderes, als etwas, das nicht an und fr sich selbst ist, denn sonst wrde es nicht durch Bezwingung seines Gegenteils sich erst seine Wahrheit geben wollen. Wenn andererseits der Ritter der Tugend das abstrakte Gute als schon an und fr sich seiend ausgibt, ist sein Kampf gegen den Weltlauf unernste Spiegelfechterei.96 Wie Hegel ausfhrt, besiegt der geschichtlich-gesellschaftliche Inhalt des Weltlaufs dessen Kraft das negative Prinzip (ist), welchem nichts bestehend und absolut heilig ist, sondern welches den Verlust von allem und jedem wagen und ertragen kann die utopische freischwebende Tugend des sich vergeblich auflehnenden Ritters (Don Quichotte), dem es im Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu erhalten, mitsamt den pomphaften Reden von Weltverbesserung, den Deklamationen und der leeren Aufgeblasenheit. Hiermit ist vergleichbar, was Hegel in einem Entwurf schon in seiner Frankfurter Zeit formuliert: Das andere Extrem von dem, von einem Objekte abzuhngen, ist das die Objekte frchten, die Flucht vor ihnen, die Furcht vor Vereinigung, die hchste Subjektivitt.97 Die Tugend hrt auf Grund ihres Schicksals schlielich auf, die Individualitt rigoros aufopfern zu wollen, muss sich mit der Wirklichkeit vershnen und die Erfahrung machen, dass der Weltlauf so bel nicht ist, als er aussah; denn und das ist Hegels zentraler Gesichtspunkt das scheinbar nur eigenntzige pfiffige Handeln der Individualitt ist zugleich allgemeines Tun (weshalb am Ende nicht nur die Tugend, sondern auch der ihr abstrakt entgegengesetzte Weltlauf aufgehoben wird).98 In diesem Zusammenhang wird schon deutlich, dass Hegel gerade im Gegensatz zum subjektiven Idealismus die Individualitt nicht vertilgt. Die Individualitt kann Hegel insofern nicht dem Allgemeinen aufopfern, als er nachweist, dass es keine Individualitt isoliert fr sich gibt, die nicht

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durchdrungen wre vom Allgemeinen, und keine praktische Ttigkeit, die nicht an sich gesellschaftlichen Charakter htte (die Bewegung der Individualitt ist die Realitt des Allgemeinen99). Der Vorwurf der Aufopferung der Individualitt lsst sich gegen Hegel nur dann erheben, wenn man zuvor in undialektischer Weise einseitig das Individuelle, Einmalige, Faktische und Ereignishafte verabsolutiert und jede allgemeine Vernnftigkeit und Gesetzlichkeit oder ihre Erkennbarkeit verneint, d. h. das Dass vom Was scheidet. Die Konsequenz davon wiederum ist, dass ein unberbrckbarer Abgrund zwischen Innen und Auen, Theorie und Praxis, entsteht. Theoretisch unerleuchtet und desorientiert, handelt dann der Mensch auf Grund einer scheinbar objektiv unvermittelten absoluten Entscheidung oder Leidenschaft. Die blinde unbegrndbare bodenlose Praxis mndet in einen irrationalen Voluntarismus. Fr ihn gilt, was Leonardo da Vinci hinsichtlich der wissenschaftlichen und knstlerische Praxis uert: Diejenigen, die sich fr Praxis ohne Wissen begeistern, sind wie Seeleute, die ohne Steuer oder Kompa ein Schiff besteigen und nie ganz sicher sind, wohin sie fahren.100 Schwerwiegend ist Hegels Aufweis, dass aus dem reinen, formalen abstrakten Willen und dem kategorischen berzeitlichen Pflichtgebot der praktischen Vernunft kein bestimmter Inhalt deduzierbar ist, auch nicht unter Anwendung des ebenfalls noch formalen Kriteriums der Widerspruchslosigkeit der Handlungen. ... man kann von auen her wohl einen Stoff hereinnehmen, und dadurch auf besondere Pflichten kommen, aber aus jener Bestimmung der Pflicht als dem Mangel des Widerspruchs, der formellen bereinstimmung mit sich, welche nichts anderes ist als die Fortsetzung der abstrakten Unbestimmtheit, kann nicht zur Bestimmung von besonderen Pflichten bergegangen werden... ein Widerspruch kann sich nur mit etwas ergeben, das ist, mit einem Inhalt, der als festes Prinzip zum voraus zugrunde liegt.101 Besonders prgnant vertritt Kant in seiner 1793 in der Berlinischen Monatsschrift verffentlichten Abhandlung ber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fr die Praxis die Auffassung, dass die aus der reinen a priori gesetzgebenden Vernunft stammenden allgemeinen Prinzipien der Moral sowie des Staats- und Vlkerrechts fr die Praxis tauglich seien, das Handeln anleiten und bestimmen knn-

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ten, weil selbst auf das Handeln hin bezogen, dass es zum bergang von der Theorie zur Praxis nicht etwa geschichtlicher Vermittlungen des objektiven Geistes, sondern nur eines individuellen Aktus dar Urteilskraft bedrfe, wodurch der Praktiker unterscheidet, ob etwas der Fall der Regel sei oder nicht, und dass, dementsprechend die Theorie trotz ihrer Bezogenheit auf praktische Verwirklichung souvern, unabhngig von ueren in der Geschichte erfahrbaren Grnden und Erfolgen, fr sich selbst bestehende Theorie sei.101a Indem Hegel in seine Konzeption der Sittlichkeit den vernderlichen Inhalt aufnimmt, kehrt er sich nicht nur vom ethischen Formalismus und Apriorismus ab, sondern auch vom ethischen Individualismus: an die Stelle des individuellen Wollens und Handelns, das unter dem Aspekt des Konflikts der sinnlichen Neigung des homo phnomenon und der moralischen Pflicht des homo noumenon beurteilt wird (als ob die Widersprche und Unvollkommenheiten des menschlichen Lebens nur aus der Sinnlichkeit stammten), tritt als Basis der Ethik die gesellschaftlichgeschichtliche Praxis. (Hierin trifft sich Hegel insofern wiederum mit Aristoteles, als auch fr diesen Ethik und Politik eine Einheit bilden und das private gute und gerechte Handeln des einzelnen Menschen von der ffentlichen Verfassung der Polis abhngt, in der allein die Freiheit als Autarkeia, also als Unabhngigkeit von ueren, wirklich ist.) Der substantielle Inhalt der konkreten Sittlichkeit stammt fr Hegel aus der absoluten Vernunft, die sich in der Geschichte ausbreitet, im menschlichen Handeln realisiert und im Volksgeist objektiv konkretisiert als Familie, brgerliche Gesellschaft und Staat. (Kant setzt Staat, civitas, und Gesellschaft, societas civilis, noch gleich.) An dieser konkreten relativen Totalitt lassen sich als eine besondere Seite abstrakt die Moralitt und die Legalitt isolieren. Aber in Wahrheit ist die Historizitt und Sozialitt des Menschen von seinem Handeln nicht abtrennbar. Infolgedessen ist letztlich fr Hegel das sittliche Kriterium einer Handlung ihre bereinstimmung mit dem Inhalt der an und fr sich seienden Gesetze und Einrichtungen102 eines Staatswesens, nicht allein die individuelle Gesinnung und das Gewissen als scheinbar unvermitteltes Faktum; deren Bedeutung wird von Hegel herabgemindert, d. h. Hegel gibt nicht der Tendenz der Verselbstndigung des Gewissens nach, die geschichtlich mit

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der Auflsung der Stnde und ihrer Regeln zugunsten der freien Konkurrenz auftrat. Dennoch wird das Gewissen von Hegel nicht im historistischen Sinne vollstndig relativiert, da es ein notwendiges Moment in der Entwicklung des absoluten Geistes bleibt. Dies wird hufig in der Befehdung der Hegelschen Auffassung des Gewissens miachtet Der einzelne Mensch ist nach Hegels Konzeption unbedingt berechtigt, nur das anzuerkennen, was Gewissen, berzeugung, Gesinnung, Einsicht und Gewissheit gut heien. Das Gewissen drckt die absolute Berechtigung des subjektiven Selbstbewusstseins aus, nmlich in sich und aus sich selbst zu wissen, was Recht und Pflicht ist...103 Die Anstrengung des Gewissens und der subjektiven Reflexion ist sogar die Pflicht des Einzelnen; denn eine uerliche Befolgung der objektiven vernnftigen Gebote ohne persnliche berzeugung entbehrt der moralischen Qualitt.104 (In geschichtlicher Hinsicht reprsentiert das unmittelbare Verharren in den substantiellen Verhltnissen das Niveau der despotischen orientalischen vorgriechischen Welt.) Der objektive sittliche Gehalt kann vom subjektiven Willen gerade deshalb nicht seine blinde Anerkennung und Hinnahme fordern, weil der subjektive Wille unendlich fr sich ist und die formale Mglichkeit hat, in reiner Selbstgewissheit und Selbstbestimmung von allem Vorhandenen und Geltenden abzusehen und sich ihm gegenber zu behaupten, d. h. weil das selbstbewusste Subjekt sich als ein solches wei, dem alle vorhandene und gegebene Bestimmung nichts anhaben kann noch soll.105 (In geschichtlicher Hinsicht hat sich die unendliche Freiheit der Individuen und ihre Gleichheit vor Gott im Christentum manifestiert, nachdem die Richtung nach innen mit Sokrates und den Stoikern ihren Anfang nahm.) Infolgedessen sind das Heraustreten des Subjekts aus der Verschlossenheit und Konzentriertheit der Innerlichkeit und die abermalige Zuwendung zum objektiven Inhalt freiwillig: das Subjekt nimmt den sittlichen Gehalt, sofern es eine hhere Stufe seiner Selbstbestimmung erreichen will, nach eigener Prfung und Entscheidung in sich auf und lsst sich von ihm in seinem Willen und Handeln durchdringen. Das Subjekt hat also keine uerliche unmittelbare, sondern eine vermittelte Beziehung zum

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objektiven Inhalt der aus dem Absoluten stammenden Geschichte und Gesellschaft, der somit nicht an sich, sondern an und fr sich gltig ist. Hegel weist allerdings zurck, dass das Subjekt den vernnftigen wesentlichen Inhalt der nur aus dem Zusammenhang der ganzen Geschichte zur begreifen ist und nicht mit dem alltglich Vorhandenen und Zuflligen identisch ist106 seinem Belieben und Meinen unterwirft und seine Besonderheit gegen ihn nach Gutdnken geltend macht. Die subjektive Reflexion kann letztlich ebensowenig Beurteilungsmastab der Vernnftigkeit einer Handlung sein wie das subjektive Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einer Tat Voraussetzung ihrer Strafbarkeit ist.107 Es ist augenfllig: Hegels Auffassung von der Moral und insbesondere von dem Gewissen steht und fllt mit seiner Geschichtskonzeption, die zugleich einer aristotelischen Praxisauffassung den Weg versperrt. Mit der Aufnahme des vernderlichen gesellschaftlich-geschichtlichen Inhalts, der sich in Gegenstzen bewegt, anerkennt Hegel auch die von Kant und Fichte verneinte Kollision der Pflichten108, die das Fundament der relativen Tragik der in der Geschichte Handelnden bildet. Ebensowenig wie Goethe kennt Hegel einen Pantragismus im Sinne des Neuhegelianers H. Glockner, der die dialektische Methode Hegels ablehnt109 und darin bereinstimmt mit so verschiedenen Hegelinterpreten wie: F. A. Trendelenburg, Logische Untersuchungen, 1839, von denen Kierkegaard beeinflusst ist; R. Haym, Hegel und seine Zeit (1859); W. Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, 1905; B. Croce, Lebendiges und. Totes in Hegels Philosophie, 1909; W. Windelband, Die Erneuerung des Hegelianismus, 1910; R. Kroner, Von Kant zu Hegel, 192l-24, und anderen. Die Widersprchlichkeit im Bereich der Sittlichkeit ist ein Spezialfall der allgemeinen Widersprchlichkeit, die fr Hegel die objektive Wirklichkeit wesentlich kennzeichnet, die fr Kant dagegen wie die Behandlung der Antinomien der Endlichkeit und Unendlichkeit, der Kontinuitt und Diskontinuitt sowie der Freiheitund Notwendigkeit in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft zeigt Beweis fr die Schranken des menschlichen Erkenntnisvermgens und die Unerkennbarkeit der Dinge an sich ist.

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Hegels Ablehnung des erkenntnistheoretischen und ethischen Subjektivismus geht Hand in Hand mit der Anerkennung der dialektischen Widersprchlichkeit der Wirklichkeit, und das heit letztlich: ihrer Bewegung und Ttigkeit schlechthin; denn Bewegung kann, wie Hegel aufzeigt, in der Tat nicht formallogisch unter Vermeidung des Widerspruchs begriffen werden etwa als Summe bestimmter unbewegter diskontinuierlicher identischer Einheiten, sondern nur unter dem Aspekt, dass diese fixen Einheiten in Wahrheit zugleich verschwinden und ineinander kontinuierlich bergehen, also nur sind, indem sie nicht sind.110 Dem abstrakten guten Willen einseitig entgegengesetzt sind der besondere Wille und das Bse, das heit das Beharren des natrlichen Willens, der Leidenschaften, Triebe und Begierden in der Besonderheit, die intransigente Abtrennung vom geistigen Allgemeinen (aus der auch Sokrates seine Dialogpartner herauszufhren sucht), das Insichgehen, die Vereinzelung und Selbstbehauptung ohne Einordnung ins Ganze111 (wozu also im weiteren Sinne auch Kierkegaards unendliches Interesse an der je eigenen Existenz gehren wrde). Das Bse ist aber fr Hegel keine Privation, sondern die notwendige Negation des Guten: die Bedingung dafr, dass der Mensch das an und fr sich Gute erwirbt, ist, dass er heraustritt aus der Einseitigkeit der Unschuld des unmittelbaren bewusstlosen Naturzustandes, in dem er nur erst der Mglichkeit nach, nicht wirklich gut und frei ist, d. h. dass er sich der Natur entgegensetzt, sich in sich entzweit von sich wei, fr sich wird und schuldig werden kann. So sind fr Hegel im Gegensatz zu Rousseau das Bse, das bel, der Schmerz, die Krisen, Revolutionen, Katastrophen und tragischen Zusammenbrche als das notwendige Negative die positiven Triebkrfte der Geschichte (und ihr Begreifen ist fr ihn, wie sich zeigen wird, die Realisierung der Leibnizischen vershnenden Theodizee). Der Sndenfall der Verlust der unschuldigen Sichselbstgleichheit und der arbeitslos sich darbietenden Natur im Garten der Tiere , entstanden durch das Erkennen und Unterscheiden, ist also kein einmaliges und zuflliges Ereignis; er ist fr Hegel die ewige Geschichte des Geistes, der ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird.112 Im Zusammenhang mit der Trinittsspekulation erblickt Hegel das Bse im Geist Gottes selbst, insofern Gott-Vater sich von Anfang an, nicht erst

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auf Grund eines Abfalls in sich entzweit, sich in sich reflektiert und aus seiner einfachen Unendlichkeit und Identitt mit sich in die Differenz und Endlichkeit tritt, was impliziert, dass Gott fr Hegel wesentlich Schpfer ist. Das ist trotz Hegels Verwahrung dagegen eine Art des Pantheismus und der Ablehnung der Transzendenz: der Geist kann fr Hegel die Welt nicht schaffen, da der Geist zugleich notwendigerweise Welt ist. Das Erschaffen ist die vorstellungsmige dem Begriff inadquate Form fr das Negative des Geistes: Dieses Erschaffen ist das Wort der Vorstellung fr den Begriff selbst nach seiner absoluten Bewegung oder dafr, dass das als absolut ausgesagte Einfache oder reine Denken, weil es das abstrakte ist, vielmehr das Negative und hiemit sich Entgegengesetzte oder Andre ist.113 Wie Hegel ausfhrt, wird der Charakter des Bsen als notwendiges Moment des Guten nur erfasst vom Wissen, nicht von der religisen Vorstellung, die nicht ber den Dualismus hinaus zur begrifflichen Vershnung gelangt.114 Da der Geist, die Quelle des Bsen, auch das Prinzip der Vershnung des Entzweiten ist, wre eine romantische Rckwrtswendung in Richtung auf einen unschuldigen Naturzustand gegen die Entwicklung des Geistes gerichtet. Indem fr Hegel die Freiheit des besonderen Willens des einzelnen privat interessierten Menschen nur die Kehrseite des abstrakt allgemeinen formal freien Willens ist und somit keine Basis fr die substantiellen menschlichen Beziehungen bilden Bann, lehnt er auch Rousseaus Theorie der Gemeinschaftsbildung auf Grund eines zwischen den Individuen geschlossenen Vertrags ab als eine atomistische Ansicht im Politischen, die den Vorrang der gesellschaftlichen und staatlichen Ganzheit verkenne. Rousseaus Konzeption des allgemeinen Willens muss Hegel als abstrakt und in der Konsequenz als jakobinisch ansehen, da zu diesem allgemeinen Willen der vermittelnde bergang von den einzelnen beliebigen gleichsam demoskopisch erfassbaren Willensuerungen und ebenso von dem Willen aller fehlt.115 Mit dieser Auffassung der Prioritt des konkreten Allgemeinen, der Gesamtpraxis, distanziert sich Hegel zwar eindeutig vom Liberalismus; aber um diese Einstellung Hegels nicht