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Heike Kemmer * 24. April 1962 in Berlin Diplom-Betriebswirtin Hobby: Pferde

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Heike Kemmer * 24. April 1962 in Berlin Diplom-Betriebswirtin Hobby: Pferde

Angefangen hat die reiterliche Laufbahn von Heike Kemmer eigentlich vor dem Sattel. Vor dem Sattel ihres pferdebegeisterten Vaters nämlich, der die damals 4-jährige Heike kurzerhand auf ein Woilach vor sich platzierte und mit ihr durch den Wald ritt. Dieser erste Ausritt sollte nicht ohne Folgen bleiben – von diesem Tag an war Heike ebenfalls vom Pferdevirus befallen.

Eigentlich in Berlin ansässig, erwarben Joachim Kemmer und seine Frau Inge Ende der 60er Jahre Grund und Boden im niedersächsischen Winsen. Nach und nach entstand dort die Zuchtstätte „Amselhof Walle“. Den Schwerpunkt seiner Liebe zu den Pferden legte Joachim Kemmer damals in die Zucht. Heike und ihre jüngere Schwester Edda teilten diese Begeisterung und entdeckten schon bald den Turniersport für sich. Nach Reitversuchen auf Schulpferden und auf „Polly“, dem ersten eigenen Pony - „Ein eher freches Modell“ erinnert sich Heike - sollte mit der Rappstute „Waidfee“ alles beginnen. Die Waidmannsdank xx-Stute war im Besitz von Dr. Karl-Friedrich

Vogel , der sie zusammen mit Ausbilder Helmut Hennig in Berlin bis M-Dressur förderte. Durch ihre interessante Abstammung wurde Joachim Kemmer auf sie aufmerksam. Das wertvolle Blut des Vollblüters Waidmannsdank xx versprach gut in die Amselhofer Zuchtlinie zu passen. Er kaufte sie und brachte sie nach Walle. Wenn Heike an den

Wochenenden zu Besuch kam, übernahm sie das Reiten und die Pflege der Stute – und gewöhnte sich immer mehr an sie. Für eine Karriere als Zuchtstute war „Waidfee“ ungeeignet. Sie wurde nicht rossig.

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So wurde beschlossen, dass sie wieder die Reise nach Berlin antreten sollte - als Lehrpferd für Heike. Viele erfolgreiche Turnierstarts unter Anleitung des damaligen Berliner Landestrainers Wilfried Wels zeigten, dass diese Entscheidung richtig war. 1978 gelang der 16jährigen Heike mit „Waidfee“ der fünfte

Platz bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Darmstadt Kranichstein. „Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagte Heike danach. Und die Berliner Reitsportgemeinde freute sich ebenfalls, war dies doch eine sehr gelungene Leistung der jungen Sportlerin. Schon bald kamen mehr Pferde dazu: Der schwierige „Wiesenfürst“, dann „Portwein“, ein schwedisch gezogener Hengst, und die Vollbluttochter „Akazie“.

Auch ein junges Pferd bezog eine Box im Stall Kemmer: Der 4jährige Cardinal xx-Sohn „Gottberg“. „Gottberg“ blieb vorerst „im Westen“ und sollte vom damaligen Betriebsleiter des Amselhof, Hubert Schulze-Rückamp, gearbeitet werden. Die beiden waren sich jedoch nicht ganz „grün“ und kamen nicht

miteinander aus – und so wechselte „Gottberg“ in den Stall von Ausbilder Holger Schmezer, dem heutigen Bundestrainer, nach Verden. Zusammen mit Bereiterin Birgit Wellhausen investierte er viel Arbeit und Ehrgeiz in die Ausbildung. Heike kam des Öfteren zum Training und genoss die Zeit, die sie außerhalb des engen Berlin im Stall Schmezer oder auf dem Amselhof verbringen konnte. Der erste Trainer außerhalb ihrer Heimatstadt war gefunden. Zuhause war sie unterdessen bestens beritten. Neben „Waidfee“, „Akazie“ und „Portwein“ stand „Nomade“ im Stall der Landesreitschule Berlin. Ehemals als Beschäler im Landgestüt Celle aufgestellt, zeigte sich der Novum xx-Sohn dort jedoch ziemlich deckfaul. Landstallmeister Burchard Bade bot ihn daher zum Verkauf an, und Joachim Kemmer erwarb ihn für seine Tochter. 1979 bestritten die beiden ihre ersten Turniere. Die Bronzemedaille bei den Deutschen Meisterschaften in Walldorf 1981 holte sie zwar im Sattel von „Akazie“, doch mit „Nomade“ wuchs sie immer mehr zu einem

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Erfolgsteam zusammen. Gemeinsam sammelten sie Schleifen in M und S-Dressuren. Dann kam ein Einschnitt, mit dem keiner rechnen konnte. „Nomade“ ging an einer Kolik ein, und Heike stand ohne ein geeignetes Pferd da. Der 7jährige „Gottberg“ war noch nicht soweit. „“Gottberg“ beherrschte die Lektionen noch nicht sicher genug, und mit mir im Sattel hätte es noch nicht geklappt. Wir waren noch kein eingespieltes Team“ so Heike.

Unverhofft kommt oft. „Good Boy“ tauchte auf. „Good Boy“ war im Besitz der Berlinerin Madeleine Winter-Schulze, einer guten Bekannten der Familie Kemmer. Während Heike noch bei den Junioren und Jungen Reitern mitmischte, wechselte Madeleine von der Springreiterei in den Dressursattel und bestritt Turniere im Seniorenlager. Sie

war „die“ Größe im Berliner Turnierzirkus. Kurzerhand stellte sie Heike „Good Boy“ zur Verfügung. Obwohl erst 6jährig, war er in der Ausführung der Lektionen sicherer als „Gottberg“. So konnte Heike die Zeit nach dem Verlust überbrücken, und sich bis Ende der Turniersaison 1982 noch häufig platzieren. Für Heike unvergessen: „So etwas war in der damaligen Zeit absolut ungewöhnlich – und ist es immer noch. Ich bin Madeleine für dieses großzügige Angebot bis heute dankbar.“ Madeleine Winter-Schulze wurde eine wichtige Wegbegleiterin, die Heike bis heute immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht. Als Mäzene von Ludger Beerbaum, Isabell Werth und gelegentlich auch für Karin Rehbein sind Madeleine Winter-Schulze und ihr Mann Dieter durch ihr Engagement im Reitsport unentbehrlich. Das Ziel für 1983 stand fest: Ein geeignetes und sofort einsetzbares Pferd musste gefunden werden. Heike war 21 Jahre alt, und 1983 war somit ihr letztes Jahr als „Junge Reiterin“. Der Tipp eines Bekannten der Familie verschlug Heike zu einem Kurzurlaub in Sachen Pferdesuche auf die Insel Sylt. Während dieses Aufenthalts im Juni 1983 machte sie Bekanntschaft mit „Lotus“ . Dieser machte zuerst nicht den allerbesten Eindruck auf seinen potentielle neue Besitzerin. Mit 1,62 Meter eher klein bemessen, war der Hannoveraner jedoch ziemlich energiegeladen. Heike fand die Bremse nicht. „Noch dazu sah er eigentlich mehr aus wie ein Doppelpony“ so Heike. Doch hatten ihre ersten Versuche im fremden Sattel die Besitzer längst davon überzeugt, dass sie die richtige Reiterin zu sein schien.

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Während sie noch Bedenken äußerte, machte ihr Vater den Handel perfekt. Und „Lotus“ sollte ihr Shooting-Star werden. Bereits Ende Juli platzierte sie sich mit ihm in Dressuren der Klasse S, und qualifizierte sich im August in Mühlheim für die Europameisterschaften der Jungen Reiter. Ebenfalls im August standen auch die Deutschen Jugendmeisterschaften in Freudenberg an. Kurz entschlossen trainierte sie für die Meisterschaft mit „Gottberg“. Heike setzte alles auf eine Karte und ritt die Championatsprüfung „auf Angriff“. Trainer Holger Schmezer erinnert sich noch heute daran, wie Heike derart risikofreudig durch die Aufgabe ritt, dass ihm am Rande des Vierecks fast das Herz stehen blieb. Der Sieg in dieser Prüfung war gesichert, und die Meisterschafts-Silbermedaille hatte sie ebenfalls in der Tasche. Erneut ein Riesenerfolg. Der September nahte, und mit ihm die Europameisterschaften. Den kleinen Kämpfer „Lotus“ hatte sie immer besser im Griff. Phasenweise begannen die Trainingsstunden bei Null, doch auch Heike konnte Zähne zeigen. Der Kemmersche Turniertross machte sich auf den Weg nach München-Riem. Harry Boldt, damaliger Bundestrainer der Senioren, und Siegfried Peilicke, zuständig für die Junioren und die Jungen Reiter, postierten sich am Rande des Abreiteplatzes. Leicht unterschiedliche Anweisungen prasselten auf Heike ein: „Jeder erzählte mir etwas anderes“. Der eine wollte den Wallach höher im Genick sehen, der andere eher runder. Der Mittelweg schien

angebracht. Und sie schafften es. Zusammen mit ihren Teamkollegen Martina Betzler, Gaby Wilcken und Wiljo Klein holte Heike Mannschaftsgold – und krönte die Meisterschaft dazu mit der Goldmedaille in der Einzelwertung. Europameisterin! Die Presse ihrer Heimatstadt verpasste ihr gleich einen anspruchsvollen Titel : „Berlins Botschafterin in Sachen Dressur“. Das Timing war perfekt – Der gefürchtete Sprung ins Seniorenlager erschien plötzlich nicht mehr so bedrohlich. Harry Boldt bestätigte damals: „Mit „Lotus“ kann Heike den nahtlosen

Übergang in die Grand Prix-Klasse schaffen“. Er sollte Recht behalten. Die Grand Prix-Reife erhielt das Paar durch einige Trainingseinheiten im Boldt’schen Stall in Iserlohn. Und auch Josef Neckermann schaute ab und an genauer hin. Während eines

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Turniers erspähte er Heike auf dem Abreiteplatz, wie sie die in der Prüfung geforderten Einerwechsel auf der Diagonalen übte. „Lotus“ wurde immer „heißer“ und sprang bald auf jeder Diagonalen unaufgefordert Einerwechsel. Da nahm er sie zur Seite: „Reite die Wechsel auf dem zweiten oder dritten Hufschlag, immer an einer anderen Stelle und nicht auf der Prüfungslinie. Er kommt dir sonst zuvor“ so Neckermann. Von da an klappte es besser. 1984 waren die beiden schon siegreich in Intermediaire II und in Grand Prix

hochplatziert, 1985 machten sie den ersten Grand Prix Sieg perfekt und wurden in den A-Kader berufen. 1986 wurde sie mit „Lotus“ Deutsche Vize-Meisterin und platzierte sich kontinuierlich auf den vorderen Rängen des Dressurgeschehens. Nebenbei, unterbrochen von einigen Urlaubssemestern zugunsten der Reiterei,

absolvierte Heike ihr Studium der Betriebswirtschaft. Ihre Schwester Edda verfolgte ebenfalls eine reiterliche Karriere. Als zweiter Trumpf des Hauses Kemmer gelangen ihr Siege und Platzierungen bis Intermediaire I. Doch ihr Studium, gekoppelt mit einem längeren Auslandsaufenthalt, ließen in dieser Zeit die erforderliche Beständigkeit für ein erfolgversprechendes Vorankommen in der Reiterei nicht zu. Nach einigen Jahren im betriebswirtschaftlichen Berufsleben heiratete sie, gründete eine Familie und zog nach Stuttgart. Für das Reiten blieb einfach nicht genug Zeit.

Weitere Pferde hielten Einzug auf dem Amselhof: Auf dem Hengstmarkt 1984 in Verden fanden Joachim Kemmer und Heike ein anscheinend recht talentiertes Pferd. Ein 2 ½ jähriger, 1,59m „kleiner“ Bolero/Grande-Sohn wurde nicht gekört. Den schauten sie sich genauer an - und auf der darauffolgenden Auktion erhielt Joachim Kemmer den Zuschlag für „Borsalino“ . „Golo“, ein 4jähriger Garibaldi II/Ladykiller xx-Sohn bezog 1984 ebenfalls eine Box in Berlin. Besondere Merkmale: Frechheit. Bereiter

Christoph Baumeister fand sich des Öfteren im Sand wieder.

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Heike trainierte über die Jahre bei verschiedenen Trainern. Pendelverkehr zwischen Berlin und Westdeutschland – mit und ohne Pferd. Harry Boldt und Holger Schmezer unterstützten sie mit „Lotus“ und „Gottberg“.

General Albert Stecken brachte ihr vor allem die theoretischen Hintergründe des Dressur-reitens nahe. Er legte besonderen Wert auf exakte Ausführung der einzelnen Lektionen. Selbst eine einzelne Schrittlektion, die gerne als notwendiges Übel innerhalb einer Aufgabe gesehen wird, vermochte er theoretisch so aufzubereiten, dass die Ausführung in der Aufgabe doch noch einmal um zwei Noten verbessert werden konnte. Jeder Punkt zählt!

Im kleinen „Kosmos“ der Dressurreiter und durch die Bekanntschaft mit Madeleine Winter-Schulze lernte Heike Herbert Rehbein kennen. Er brachte ihr während ihrer Aufenthalte auf dem schleswig-holsteinischen Grönwohldhof vor allem bei, wie man Serienwechsel auf schnurgerader Linie reitet. Auch bei vielen schwierigen Lektionen unterstützte der unvergessene Weltklasse-Trainer Heike durch viele Tipps aus seinem Erfahrungsschatz. Besonders „Golo“ entwickelte sich herausragend. Nach Einschätzung des Altmeisters Josef Neckermann war das Paar sogar eine ernstzunehmende Größe für das deutsche Olympiaaufgebot von Barcelona. „Überseht nicht Heike Kemmer und Golo“ ließ er schon nach den Europameisterschaften in Donaueschingen 1991 kurz vor seinem Tod verlauten. In diesem Jahr packte Heike ihre Koffer und zog ganz von Berlin weg. Ihre neue Wahlheimat wurde der Amselhof in Walle. Im Olympia-Jahr 1992 in München-Riem gewannen Heike und „Golo“ den Grand Prix und den Grand Prix Special vor der großen Konkurrenz Nicole Uphoff mit „Grand Gilbert“ und Olympiasiegerin Elisabeth Max-Theurer auf „Liechtenstein“. Doch der Barcelona-Einsatz blieb aus. Von Enttäuschung keine Spur: „Warum soll ich traurig sein? Ich habe mich über die letzten Jahre ständig verbessert, zwar in kleinen Schritten, aber es ging immer aufwärts“ war Heikes Kommentar zur Saison 1992. An der Ausbildung junger Pferde fand Heike immer mehr Gefallen. In aller Ruhe baute sie sich neben „Golo“ und „Borsalino“ auch „Beauvalais“ und „Caesar“ zur Grand Prix-Reife auf.

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„Beauvalais“ kauften Joachim Kemmer und Heike 1989 als gekörten Hengst im Alter von 2 ½ Jahren auf dem Hengstmarkt in Verden. Als Deckhengst wirkte er nicht – er bekam den „Schliff“ für ein großartiges Dressurpferd. „Caesar“ war der erste „Alleingang“ von Heike. Ihn entdeckte sie 5jährig bei seiner damaligen Reiterin, probierte ihn nur einmal aus und kaufte ihn kurzerhand. Immer etwas „kuckig“ und frech, ließ er trotzdem viel Talent für den Dressursport erkennen.

Inzwischen wurde Johann Hinnemann der nächste langjährige Trainer von Heike Kemmer. „Es gab kein Problem mit den Pferden, für das er nicht irgendwie eine Lösung fand.“ so Heike. „Er ist ein absoluter Tüftler und lässt sich immer etwas einfallen“. „Borsalino“, „Beauvalais“, Golo“ und „Ceasar“ – bei allen Pferden wirkte Johann Hinnemann in

der Ausbildung mit. Mal mehr, aber auch mal etwas weniger – wie bei „Caesar“, auf den er sich fast nie draufsetzte. „Mach das mal alleine, da helfe ich Dir von unten“ sagte er zu ihr. Heikes nächstes Championatspferd wurde allerdings erst der Argentinus-Sohn „Albano“. Der damals 7jährige wurde ihr 1994 im Trainingszustand „St. Georg“ von einem Berufsreiterkollegen angeboten. Sie fuhr zum Anschauen. „Wieder so ein Brauner“ dachte sie. Doch dann trabte „Albano“ los – und Heike war überzeugt. Zwei Jahre später war das Paar bereits in Grand Prix-Prüfungen erfolgreich. Sehr beständig ritt sie von Erfolg zu Erfolg. 1999 behauptete sich Albano im immer mehr im großen Sport, und auf der Deutschen Meisterschaft in Balve im Jahr 2000 gewann sie mit ihm die Silbermedaille. Das war ausschlaggebend für die erneute Bestellung in den A-Kader und in das Olympia-Team - der fünfte Kontinent rief.... Ganz knapp verpasste sie die endgültige Aufstellung und fuhr als Ersatzreiterin – ohne Pferd - mit der Mannschaft nach „down under“. Olympischen Spiele nautnah mitzuerleben war eine Erfahrung, die für Heike außerhalb des Sattels sehr wichtig war. „Es war schon interessant, die Abläufe und die kleinen Krimis am Rande der Spiele live mitzuerleben“. Nebenbei vergnügte sie sich zusammen mit Trainingspartnerin Ulla Salzgeber in der eher touristischen Rolle. Mit der Berufsreiterin aus Bayern hatte sich Heike über die Jahre angefreundet, und des Öfteren fuhr sie mit ihren Pferden zum Training in den Stall von Ulla Salzgeber und ihrem Mann Sebastian

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nach Bad Wörishofen. Im Gegenzug schlug Ulla auch schon mal ihre Zelte auf dem Amselhof auf.

Das Jahr 2001 ging erfolgreich weiter. Nach einem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften in München, und einem ebenfalls dritten Platz beim CHIO Aachen, stand Heike als Mitglied der Mannschaft für die Europameisterschaft 2001 in Verden fest. „Ich musste wohl erst ein zweites Mal volljährig werden“ sagte Heike am Turnierwochenende in

Verden. Genau 18 Jahre zuvor holte sie den Europameisterschaftstitel der Jungen Reiter mit „Lotus“ in der Einzel- und Mannschaftswertung. In Verden erreichten „Albano“ und Heike in strömendem Regen zusammen mit Isabell Werth, Nadine Capellmann und Ulla Salzgeber insgesamt 5.610 Punkte. Neuer Weltrekord und Gold. Für eine Deutsche Equipe bereits das 19. Mannschaftsgold, für Heike die zweite langersehnte goldene Medaille. Im Dezember meldete sich das nächste Talent aus der Kemmerschen Schmiede an: „Bonaparte“. Souverän auf Siegeskurs, steuerte Heike den 8jährigen Hannoveraner durch das Finale des „Nürnberger Burgpokals“, der renommierten Nachwuchsprüfung für junge Dressurpferde in Deutschland. Die meisten der Burgpokal-Finalisten findet man später im großen Sport wieder.

„Bonaparte“ entdeckte Joachim Kemmer eher zufällig. Eigentlich war er unterwegs zum Züchterehepaar Jacob-Goldeck nach Wedemark, um sich einen Nachkommen seines Amselhof-Hengstes „Ravallo“ anzusehen. Dieser tummelte sich im Paddock zusammen mit einem kleinen, hübschen Fuchshengst-Fohlen von „Bon Bonaparte“ aus einer „Consul“-Mutter. Kurzerhand kaufte er einfach beide Hengstfohlen. „Zusammen wachsen die beiden viel besser auf“ war sein Kommentar. Der Mann im Hintergrund, Vater Joachim Kemmer, ist bis

heute der ruhende Pol, der sich für den Erfolg seiner Tochter enorm engagiert. „Er hat mir die idealen Voraussetzungen geschaffen, aber er hat mich nie unter Druck gesetzt“ sagt Heike über ihren Vater.

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Die Verbindung von Zucht und Sport war und ist das Motto des Amselhof. Heike kümmerte sich seit ihrem Wegzug aus Berlin auch um die Belange des familieneigenen Gestüts und der Hengststation. Nebenbei beherbergte ihr Ausbildungsstall zeitweise bis zu 25 Pferde. Da der Amselhof schon sehr früh die Privathengsthaltung im Land Niedersachsen betrieb und mit seiner Zuchtphilosophie sehr erfolgreich war, war es wenig verwunderlich, das Heike bald in eine der letzten von Männern besetzte Bastion einbrechen konnte.

Seit 1998 wirkt sie in der niedersächsischen Körkommission als einzige Frau mit. Aufgabe dieser Kommission ist es, unter den etwa 4.000 Hengstfohlen die jährlich in Niedersachsen zur Welt kommen, die auszuwählen, die dann als Deckhengste ihre Gene weitergeben dürfen. Geschult durch ihren langjährigen Umgang mit

Pferden und dem Wissen, das Pferdekenner Joachim Kemmer ihr weitergab, entwickelte sie sehr viel Gespür für die Veranlagung junger Pferde. Gemeinsam mit Madeleine Winter-Schulze wurde sie im gleichen Jahr zur Aktivensprecherin der Dressurreiter gewählt. Ihre Aufgabe dabei

ist die Umsetzung der Vorschläge und Ideen ihrer Reiterkollegen. „Albano“, „Caesar“, „Ferragamo“ und „Bonaparte“. Heikes Top-Pferde in der Saison 2002. „Bonaparte“ ging die ersten Grand Prix-Prüfungen und konnte in Nördlingen mit einem ersten Sieg aufwarten.

Im Juli 2003 überschrieb Joachim Kemmer seiner Tochter Heike den „Amselhof“ ganz. Jetzt war sie in Eigenregie verantwortlich für den gesamten Betrieb in Walle. „Für selbst verursachte Fehler muss ich jetzt auch alleine geradestehen. Da geht man viel vorsichtiger an manche Dinge heran“ so Heike. Die Vorbereitungen für die Europameisterschaften im britischen Hickstead liefen nebenbei auf Hochtouren. Mit „Bonaparte“ bildeten Heike, Ulla Salzgeber, Isabell Werth und Klaus Husenbeth die EM-Mannschaft.

Neben Ulla Salzgebers 15jährigem Routinier „Rusty“ waren die Pferde des restlichen Teams recht jung. „Bonaparte“

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war 10jährig, Isabells „Satchmo“ neun, und „Piccolino“ 11 Jahre alt. Nach den Maßstäben des Dressursports eher noch junge Hüpfer. Doch auf die jungen Hüpfer und ihre erfahrenen Reiter war Verlaß. Mit großem Abstand auf die Konkurrenz sicherten sie sich das 20. Mannschaftsgold für eine Deutsche Equipe. Besonders „Bonaparte“ belegte in der ersten Wertungsprüfung einen hervorragenden 4. Platz und bestand somit den Test in einem Wettkamp auf höchstem Niveau mit Bravour. „Wir wollten den Youngster einem internationalen Richterkollegium vorstellen, damit man schon mal über ihn spricht“ so Bundestrainer Holger Schmezer. In der Einzelwertung ritt Heike ihren „Bonaparte“ auf einen mehr als zufriedenstellenden 6. Platz. Der Dressur-Weltcup der Saison 2003/2004 war für Heike ebenfalls sehr erfolgreich. Lange war sie durch ihre Siege im ungarischen Kaposvar und Maastricht die Führende der laufenden Wertung. Bereits vor dem letzten Qualifikationsturnier stand fest, dass sie für das Finale in Düsseldorf qualifiziert war. Doch mußte sie sich in ihrer Favoritenrolle geschlagen geben. Anky van Grunsven und „Salinero“ gewannen souverän. „Leider habe ich einen Riesen-Patzer im Starken Galopp eingebaut. Das war allein mein Fehler“ so Heike nach ihrem Ritt. Die konstanten Erfolge über die Jahre ließen wenig Zweifel daran, dass Heike Kemmer und „Bonaparte“ Kandidaten für die Olympischen Spiele 2004 in Athen waren. Bei den Deutschen Meisterschaften in Balve holte das Paar Silber, und auch auf der letzten Sichtung, beim CHIO in Aachen, platzierten sie sich sehr gut im internationalen Feld. Und so reiste sie zusammen mit Ulla Salzgeber und „Rusty“, Hubertus Schmidt und „Wansuela Suerte“ und Martin Schaudt mit „Weltall“ nach Athen.

Seit ihrer ersten Turnierplatzierung in den Siebziger Jahren hat sie auf dieses Ziel hingearbeitet. Getreu dem Motto „Ich gehe Schritt für Schritt voran“, erkämpfte sich Heike in Athen die bisherige Krönung ihrer Laufbahn im Sattel: Eine Goldmedaille!

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Im Anschluss an den Titel der deutschen Meisterin in 2005, holten sich die beiden mit der Mannschaft das 21. EM-Gold, wurden in 2006 erneut Deutsche Meister und rundeten die mehr als zufrieden stellende Saison noch mit einem Mannschafts-Weltmeisterschaftstitel in Aachen ab. Auch 2008 entwickelte sich zu einem hocherfolgreichen Jahr für Heike und Bonaparte. Das Paar wurde deutscher Vize-Meister und präsentierte sich auf allen Sichtungen so souverän, dass es auch das Ticket für die Olympischen Spiele in Hongkong lösen konnte. Und diese Spiele wurden „ein Knaller“. Die deutschen Dressurdamen Nadine Capellmann, Isabell Werth und Heike Kemmer holten in Asien das zwölfte Gold für ein deutsches Dressurteam seit 1912. Mit dem Gewinn der Bronzemedaille in der Einzelwertung setzten Boni und Heike dem Ganzen dann noch eins drauf. Trotz des großartigen Erfolges denkt Heike Kemmer noch lange nicht ans Ausruhen auf den Lorbeeren: „Wenn alles so läuft wie ich es mir wünsche, dann wären Bonaparte und ich noch für weitere zwei Jahre im Championatskader vertreten und könnten unsere Laufbahn vielleicht noch mit einer Europameisterschaftsmedaille in 2009 oder gar mit einer Medaille bei den Weltmeisterschaften in Kentucky 2010 krönen. Auch ist London 2012 natürlich ein Thema für mich und meine Nachwuchspferde. Auf dem langen Weg dorthin kann immer noch einiges passieren, doch diese Ziele habe ich mir gesetzt und werde also versuchen, diese auch zu erreichen“ formuliert sie nach Hongkong.