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Henri de Lubac (1896-1991) als Konzilstheologe Der französische Jesuit Henri de Lubac (18961991) hat nicht nur am Konzil mitgewirkt, sondern auch im Vorfeld durch zahlreiche Publikationen den Konzilsvätern wesentliche Orientierungshilfen geliefert. Von seiner Berufung in die vorbereitende Theologische Kommission erfuhr P. Henri de Lubac SJ im August 1960 zuerst aus der Zeitung. Die Berufung dürfte von Papst Johannes XXIII. selbst veranlasst worden sein, der damit die Vertreter der so genannten „Nouvelle théologie“ insgesamt vom Verdacht der Unzuverlässigkeit freisprechen und ihre Kompetenz für das schon einberufene Konzil gewinnen wollte. De Lubac, seit 1929 Hochschullehrer am Institut Catholique in Lyon und von 1950 bis 1958 von der Ordensleitung mit einem Lehrverbot belegt, hat selbst seinen unmittelbaren Einfluss auf die Arbeit der Kommissionen des Konzils als eher niedrig veranschlagt. Er stand in der zweiten Reihe der Konzilstheologen. Mit Karol Wojtyla an den Passagen über den Atheismus mitgearbeitet Seine unmittelbare Mitwirkung ist am deutlichsten beim sogenannten „Schema 13“ festzustellen, aus dem dann die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes hervorgegangen ist. Zusammen mit dem damaligen Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, arbeitete er an den Passagen über den Atheismus mit. Die Artikel 1922 von Gaudium et spes erinnern in vieler Hinsicht an de Lubac. Der französische Jesuit und der spätere Papst kannten und schätzten sich seit dieser Zeit sehr. De Lubac hat allerdings, und hier dürfte seine Bedeutung kaum von anderen übertroffen werden, im Vorfeld des Konzils durch seine zahlreichen Publikationen den Konzilsvätern wesentliche Orientierungshilfen geliefert. Damit hat er indirekt die vom Konzil verabschiedeten großen Texte wesentlich vorbereitet. Das Verdienst von Henri de Lubac, den Gerd Haeffner einen „christlichen Humanisten“ genannt hat, besteht vor allem darin, die Erneuerung der Theologie aus den Quellen der Schrift, der Kirchenväter und auch der im Original gelesenen großen Scholastiker vorangetrieben zu haben. Zusammen mit seinem Ordensmitbruder Jean Daniélou hatte de Lubac bereits vor dem Krieg die Reihe „Sources chrétiennes“ begründet, in der bis heute weit über 500 Bände erschienen sind. Besonders ist der Einfluss de Lubacs erkennbar in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium. De Lubacs Buch Méditation sur l’église (1953), bereits

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Henri de Lubac (1896-1991) als Konzilstheologe

Der  französische  Jesuit  Henri  de  Lubac 

(1896‐1991) hat nicht nur  am Konzil mitge‐

wirkt, sondern auch im Vorfeld durch zahl‐

reiche  Publikationen  den  Konzilsvätern 

wesentliche Orientierungshilfen geliefert. 

Von  seiner  Berufung  in  die  vorbereitende 

Theologische Kommission erfuhr P. Henri de 

Lubac SJ  im August 1960 zuerst aus der Zei‐

tung. Die  Berufung dürfte  von  Papst  Johan‐

nes XXIII.  selbst veranlasst worden  sein, der 

damit die Vertreter der  so genannten  „Nou‐

velle théologie“  insgesamt vom Verdacht der 

Unzuverlässigkeit  freisprechen  und  ihre 

Kompetenz für das schon einberufene Konzil 

gewinnen wollte. 

De Lubac, seit 1929 Hochschullehrer am Insti‐

tut Catholique in Lyon und von 1950 bis 1958 

von der Ordensleitung mit einem Lehrverbot belegt, hat selbst seinen unmittelbaren 

Einfluss auf die Arbeit der Kommissionen des Konzils als eher niedrig veranschlagt. 

Er stand in der zweiten Reihe der Konzilstheologen.  

Mit Karol Wojtyla an den Passagen über den Atheismus mitgearbeitet 

Seine unmittelbare Mitwirkung  ist am deutlichsten beim sogenannten „Schema 13“ 

festzustellen, aus dem dann die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von 

heute Gaudium et spes hervorgegangen ist. Zusammen mit dem damaligen Erzbischof 

von Krakau, Karol Wojtyla, arbeitete er an den Passagen über den Atheismus mit. 

Die Artikel 19‐22 von Gaudium  et  spes erinnern  in vieler Hinsicht an de Lubac. Der 

französische Jesuit und der spätere Papst kannten und schätzten sich seit dieser Zeit 

sehr. 

De Lubac hat allerdings, und hier dürfte seine Bedeutung kaum von anderen über‐

troffen werden,  im Vorfeld des Konzils durch  seine zahlreichen Publikationen den 

Konzilsvätern  wesentliche  Orientierungshilfen  geliefert.  Damit  hat  er  indirekt  die 

vom Konzil verabschiedeten großen Texte wesentlich vorbereitet. Das Verdienst von 

Henri de Lubac, den Gerd Haeffner  einen  „christlichen Humanisten“ genannt hat, 

besteht vor allem darin, die Erneuerung der Theologie aus den Quellen der Schrift, 

der Kirchenväter und auch der  im Original gelesenen großen Scholastiker vorange‐

trieben zu haben. Zusammen mit  seinem Ordensmitbruder  Jean Daniélou hatte de 

Lubac bereits vor dem Krieg die Reihe „Sources chrétiennes“ begründet,  in der bis 

heute weit über 500 Bände erschienen sind.  

Besonders  ist der Einfluss de Lubacs  erkennbar  in der dogmatischen Konstitution 

über die Kirche Lumen gentium. De Lubacs Buch Méditation sur l’église (1953), bereits 

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1954 erstmals  ins Deutsche übersetzt und 1968 neu übertragen und eingeleitet von 

Hans Urs von Balthasar (Die Kirche. Eine Betrachtung, Johannes Verlag), nimmt nicht 

nur  wesentliche  Gedanken  der  Kirchenkonstitution  vorweg,  sondern  sogar  auch 

deren Aufbau und Systematik. Ein Satz daraus gilt als die auf dem Konzil am häu‐

figsten  zitierte  Sentenz:  „C’est  l’église  qui  fait  l’Eucharistie,  mais  c’est  aussi 

l’Eucharistie qui fait l’Église“ („Die Kirche macht die Eucharistie, und die Eucharistie 

wiederum macht die Kirche“). Damit wird der tiefe innere Zusammenhang von Kir‐

che und Eucharistie benannt. Die „Eucharistische Ekklesiologie“  ist eine der zentra‐

len Lehren des Konzils und findet einen Nachhall in der letzten Enzyklika Johannes 

Pauls II. „Ecclesia de eucharistia“ (17. 4. 2003).  

Für ein offensive Hinwendung zur Welt, in der die Kirche eine Aufgabe hat 

Der Einfluss de Lubacs ist erkennbar auch in der Pastoralkonstitition Gaudium et spes, 

an der de Lubac, wie oben erwähnt, als einzigem Text selbst mit  formulierte. Mehr 

noch als die Artikel 19–22 über den Atheismus (hier steht im Hintergrund de Lubacs 

Le drame de  l’humanisme  athée, 1944, dt. nunmehr: Über Gott hinaus. Die Tragödie des 

atheistischen Humanismus, Einsiedeln: Johannes Verlag 1984) entspricht de Lubac frei‐

lich eine offensive Hinwendung der Kirche zur Welt, der es  sich nicht anzupassen 

gilt, sondern in der und für die die Kirche eine Aufgabe hat. Mit großer Selbstlosig‐

keit hat de Lubac in den Jahren des Konzils die Lehre seines Freundes und Ordens‐

mitbruders  Pierre  Teilhard  de  Chardin  erschlossen,  verteidigt  und  gegen  falsche 

Vereinnahmung in Schutz genommen, ohne freilich ihre Grenzen zu verkennen.  

Schließlich verdankt sich auch die Offenbarungskonstitution Dei Verbum den Vorar‐

beiten de Lubacs. In dieser zweiten dogmatischen Konstitution schlägt sich das fun‐

damentaltheologische  Ringen  der  vorausgegangenen  Jahrzehnte  nieder.  Das  Ver‐

hältnis von Offenbarung, Tradition und Schrift wird in einer klaren und alte falsche 

Alternativen überwindenden Weise bestimmt.  „Offenbarung“  ist  ein geschichtlich‐

personales  Geschehen,  das  im  Christusereignis  seinen  Höhepunkt  hat.  Als  das 

Fleisch gewordene WORT ist Christus die eine Quelle der Offenbarung im strengen 

Sinn, Tradition und Schrift sind Medien ihrer Weitergabe. Das Christentum aber ist, 

wie de Lubac  immer wieder betont, keine „Buchreligion“, sondern die Religion der 

Gemeinschaft mit Jesus Christus, der uns die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott 

vermittelt.  

Unmittelbar nach dem Konzil hat Henri de Lubac zu den drei wichtigsten Konzils‐

texten Kommentare verfasst: Zur Kirchenkonstitution: Paradoxe et mystère de  l’Église, 

deutsch Geheimnis,  aus  dem wir  leben. Der Kommentar  zu Gaudium  et  spes mit dem 

Titel Athéisme et sens de l’homme (1968) ist bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wor‐

den.  

Den ausführlichsten Kommentar zur Offenbarungskonstitution verfasst  

Den  ausführlichsten  Kommentar  hat  de  Lubac  zur  Offenbarungskonstitution  Dei 

Verbum, und hier noch einmal zum Vorwort und zum Ersten Kapitel, vorgelegt, wo 

es ganz grundlegend um das Offenbarungsverständnis selbst geht, deutsch Die göttli‐

che Offenbarung, Freiburg 2001.  

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Galt de Lubac noch zu Beginn der 1960‐er Jahre als ein Progressiver, musste er sich 

nur ein paar Jahre später als konservativ verdächtigen lassen. Doch nicht er hatte sich 

gewandelt, sondern die öffentliche Wahrnehmung,  in der zunehmend profane Wis‐

senschaften wie Soziologie und Psychologie in den Rang von Leitwissenschaften auf‐

stiegen  und  die  Theologie  zu  dominieren  begannen.  Schon  1968 warnt  er  in  dem 

Buch Krise zum Heil? (dt. 1969, ²2001) vor einer die Kirche  in  ihrem Kern bedrohen‐

den Traditionsvergessenheit. 1972 gehört er mit Hans Urs von Balthasar und Joseph 

Ratzinger  zu den Mitbegründern der  Internationalen Zeitschrift  „Communio“, die 

der sachgemäßen  Interpretation des Konzils ein Forum bieten will. Statt von einem 

dritten Vatikanischen Konzil  zu  träumen,  gilt  es,  endlich  die  Lehren  des Zweiten 

Vatikanischen Konzils, ausgehend vom Buchstaben der Texte, zu studieren und ernst 

zu nehmen. Dies ist die wichtigste Botschaft des Interviews des hochbetagten Henri 

de  Lubac  (Zwanzig  Jahre  danach,  München/Zürich  1985),  das  auch  fünfzig  Jahre 

danach nichts von seiner Aktualität verloren hat.  

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Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, Bis Januar 2013 Professor für Dogmatik,  

Theologische Fakultät Trier