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643Stahlbau 73 (2004), Heft 8
Herbert Klimke 65 Jahre
1966 suchte ein Student des Bauinge-nieurwesens der TU Berlin bei ProfessorKarlheinz Roik, der dort das FachgebietStahlbau vertrat, in Gestalt einer Di-plomarbeit eine fachliche Herausforde-rung. Professor Roik stellte ihm die Auf-gabe, die Fehmarnsund-Brücke mitihren schrägen Hängern statisch nach-zurechnen — keine leichte Aufgabe,denn die schrägen Hänger könnenschlaff werden: ein statisches Systemveränderlicher Gliederung. Betreutwurde der Diplomand von Klaus Bran-des, einem der Assistenten Professor Ro-iks; Klaus Brandes kann sich nochheute an den phantasievollen, zielbe-wußten und fleißigen Diplomand erin-nern, der zur Lösung seiner Aufgabe einProgramm in Maschinensprache schriebund von der Z 24, dem Computer desFachgebietes, die statische Berechnungausführen ließ. Aber Klaus Brandeskann sich an niemand erinnern, der sichMitte der 1960er Jahre als Diplomandan die Z 24 wagte. Der Diplomand lösteseine Aufgabe mit Bravour — mit derNote Eins.
1979 staunten sämtliche Teilnehmerder Exkursion des Fachgebietes Statikder Baukonstruktionen der TU Berlinüber die Möglichkeiten des MERO-Re-chenzentrums, wo die Geometrie hoch-komplexer schalenförmiger Raumfach-werke generiert, statisch analysiert undAusführungspläne automatisch erstelltwerden konnten. Der Autor dieser Zei-len war Zeuge, wie unter den klaren Er-läuterungen des ehemaligen Roik-Di-plomanden und jetzigen Leiters desMERO-Rechenzentrums, aber dennochbescheiden auftretenden Doktoringe-nieurs Zeichnungen den Plotter ver-
ließen, welche sämtliche für die Aus-führung notwendigen Stabdaten für dasdoppelt gekrümmte Raumfachwerk der200 m weit gespannten Tribünenüber-dachung des Stadions der dalmatini-schen Hafenstadt Split enthielt. Es wardie systemische Kette, mit der erstmalsjeder Stab der 1143 unterschiedlichenStäbe bei insgesamt 12382 Stäben die-ses hochgradig statisch unbestimmtenRaumfachwerkes nicht nur für den Sta-tiker und Konstrukteur, sondern auchfür die Ausführenden bestimmt wurde.So verwirklichte sich erstmals MaxMengeringhausens dialektische Syn-these von individueller Baugestaltungund serieller Fertigung für derartige,bislang von der Stabstatik nicht be-herrschbaren Raumfachwerke mitdurchgängiger Hilfe der von KonradZuse erfundenen symbolischen Ma-schine, die dieser 1934 „Rechenma-schine des Ingenieurs“ nannte undheute als Computer bezeichnet wird.Solche Raumfachwerke konnten nunmit einer computerbasierten Theorieder Stabstatik bis ins Detail bestimmtund zur materiellen Gewalt werden. Aufdiesen Gegenstands- und Objektbe-reich des Stahlleichtbaus projiziert, liegtdurchaus ein Paradigmenwechsel imSinn von Thomas Kuhns These überwissenschaftliche Revolutionen vor.Dem ehemaligen Roik-Diplomand Her-bert Klimke kommt das Verdienst zu,diesen Paradigmenwechsel beim Ent-wurf, der Berechnung, der Konstruktionund dem Bau von Raumfachwerken we-sentlich vorangetrieben zu haben. Wiekam er dazu?
Nach Abschluß des Bauingenieurstu-diums folgte eine zweijährige Tätigkeitals Statiker im Brückenbau bei Kruppin Rheinhausen und im Hochbau beiKrupp-Druckenmüller in Berlin. Vorerstfesselt ihn die Königsdisziplin des Kon-struktiven Ingenieurbaus, betätigt ersich doch noch weitere drei Jahre alsStatiker im Brückenbau bei Noell &Co. in Würzburg, um dann aber am1.9.1971 in die Stahlbauabteilung derFa. MERO einzutreten. Damals er-wirkte MERO die neue bauaufsichtli-che Zulassung der MERO-Bauart mitweitreichenden Konsequenzen für denBau von Raumfachwerken. HerbertKlimke baute das MERO-Rechenzen-trum in Würzburg auf, dessen Leitunger von 1974 bis 1991 innehatte. 1976promovierte er sich als Externer beiProfessor Udo Vogel an der UniversitätKarlsruhe mit der Dissertation „Berech-nung der Traglast statisch unbestimmterräumlicher Gelenkfachwerke unterBerücksichtigung der überkritischenReserve der Druckstäbe“ zum Dr.-Ing.
Diese Erkenntnisse nutzte er fürMERO, indem er das Finite-Element-Programm-System „Structural AnalysisProgram“ (SAP) so modifizierte, daßnichtlineare Effekte aus Theorie II.Ordnung und ideal-elastisches, ideal-plastisches Materialverhalten abgebildetwerden konnten. Basierend auf Unter-suchungen von Helmut Emde arbeiteteer mit Jaime Sanchez und Martin Ruhan computergestützten Synthesen kom-plexer Raumfachwerktopologien. DasIntegral der genannten Aktivitäten kul-minierte im Dachtragwerk des Stadionsin Split, dem gebauten Ausdruck des o. g. Paradigmenwechsels.
Herbert Klimkes technisch-wissen-schaftliches Œuvre ist beeindruckendund hätte ihn ohne weiteres zum Inha-ber eines Lehrstuhls für Stahlbau an ei-ner der führenden Universitäten qualifi-ziert: — Man kann es sehen: Stadion Split,Stockholm Globe Arena, HippodromeAnkara, Bilkent Universität Ankara,Neue Messe Leipzig, Arts Center Singa-pore, Glasgow Science Tower, Eden Pro-jekt,...— Man kann es lesen: Zahlreiche Auf-sätze in Fachzeitschriften, sein Engage-ment als Redaktionsbeirat von STAHL-BAU, …— Man konnte es hören: Seine Vorträgeauf Fachveranstaltungen im In- undAusland, seine fruchtbare Mitarbeit inFachverbänden, seine gescheiten Fra-gen — auch in Bereichen, die über dasvon ihm bearbeitete Gebiet hinaus-gehen.
Gleichwohl bildete die MERO-Welt,die Herbert Klimke von 1971 bis heutemitschuf — im übertragenen Sinne Gor-kis — seine Universität, einer handlungs-orientierten Universität mit hochqualifi-zierten Ingenieuren und Mitarbeitern,die mit einer pragmatisch verstandenenWissenschaft, mit Sinn für das tech-nisch, wirtschaftlich und ästhetischMachbare zu einem unverwechselbarenKonstruktionsstil des modernen Stahl-baus beitrugen, der das heutige Bauensignifikant prägt.
Die Redaktion von STAHLBAUgratuliert Herbert Klimke zur Vollen-dung seines 65. Lebensjahres am15. August und bedankt sich für seineBeiträge zum Stahlbau im Allgemeinenund für sein Engagement zur Weiterent-wicklung der Zeitschrift STAHLBAU imBesonderen. Möge er weiter den Wegins Offene im Sinne Hölderlins be-schreiten — für sich mit den Seinengenießend.
Karl-Eugen Kurrer, Berlin
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