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135 Hessen im Kampf gegen die geistlidten Geridtte am Vorabend der RefoIIuation Ein slreit urn die Kapelle St. Jakob bei Witzenhausen 1513/14 Van Albrecht Eckhardt Obwoh! Wit zen h a use n seit 1264 endgiiltig zu Hessen gehorte, unter- stand es kirchlich bis zur Reformation dem eirnsfeldismen Archidiakonat H e i 1 i g e n s t a d t. In der stadt befinden sich die Pfarrkirche und das 1291 gegriindete Wilhelmitenkloster. AuBerhalb der Mauem erbauten die Witzen- hauser eine Reihe ven Kapellen. Nur St. Mimael vor dem Walburger Tor mit seinem zierlichen spatgotismen Tiirmchen ist heute nom erhalten. Die Annen- kapelle in den Weinbergen wurde leider vor wenigen Jahren abgebrodten. An die anderen Kapellen erinnem nur nom Ortsbezeichnungen. So verdanken der Johannisberg einer Johanniskapelle und der St. Jakob am schiitzenhof der J akobskapelle ihren Namen. Sie hat an dem his heute durch seine mach- tigen Linden gekennzeichneten Platz horn uher del Ennsmwerder vor dem Ermschwerder Tor gestanden. Ober ihre Schicksale wissen wir nur sehr wenig. In den "Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Witzenhausen" heiBt es mit Verweis auf eine Urkunde von 1514, die Kapelle habe in diesem Jahr noch bestanden '. In der als Regest gedruckten Urkunde bedachte die Witzenhauser Burgerin Else Mu r r i c h 5 am 8. Januar unter anderen auch die Messe in "Sanct Jacob" vor der stadt mit einem halben Gulden '. Die niichste Nachricht stammt aus dem J ahr 1711, "Eine Capel/e vor dem Ermschwertherthor zu St. ]acob, dauor (I) nicht das geringste mehr zu sehen ist, als das der Orth noch also genant wirdt." 1741 wird berichtet, es "soIl in uorigen Zeiten eine CapeUe aufm Sanct ]acob dem Angeben nach gestanden haben" 3. Man wuBte also smon zu Beginn des 18. Jahrhunderts uber sie nichts Genaues mehr. Spatestens im 30jahrigen Krieg, der Witzenhausen verhee- rende Verwiistungen brachte, wird sie zerstOrt worden sein. Zu dem Bericht VOn 1741 verweist der Herausgeber auf eine Urkunde des Pfarrarmivs Witzenhausen von 1427. Am 27. Dezember 1427 fertigte der kaiserliche Notar Johannes K a h y n bzw. K a him aus Witzenhausen im Hause des Burgers Lotze 5 c h mid zu Witzenhausen und in Gegenwart der als Zeugen fungierenden Burger 10- hannes Wen t e rod, Konrad E i c hen b erg, Herden 1 0 r cl a n und Kon- 1 Bearb. K. A. ECKHARDT (1954) LXV (VHKH. 13, 4). 2 A . HUVSKENS, Die Kloster der Landsmaft an der Werra ... (1916) 661 Nr. 1638 (VHKH. 9, 1). 3 K. A. ECKHARDT, Bausteine zur Witzenhauser Chronik 1 (1953) 33, 40 (Smriften des Witzenhauser Biirgervereins 3).

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Hessen im Kampf gegen die geistlidten Geridtte am Vorabend der RefoIIuation

Ein slreit urn die Kapelle St. Jakob bei Witzenhausen 1513/14

Van Albrecht Eckhardt

Obwoh! Wit zen h a use n seit 1264 endgiiltig zu Hessen gehorte, unter­stand es kirchlich bis zur Reformation dem eirnsfeldismen Archidiakonat H e i 1 i g e n s t a d t. In der stadt befinden sich die Pfarrkirche und das 1291 gegriindete Wilhelmitenkloster. AuBerhalb der Mauem erbauten die Witzen­hauser eine Reihe ven Kapellen. Nur St. Mimael vor dem Walburger Tor mit seinem zierlichen spatgotismen Tiirmchen ist heute nom erhalten. Die Annen­kapelle in den Weinbergen wurde leider vor wenigen Jahren abgebrodten. An die anderen Kapellen erinnem nur nom Ortsbezeichnungen. So verdanken der Johannisberg einer Johanniskapelle und der St. Jakob am schiitzenhof der J akobskapelle ihren Namen. Sie hat an dem his heute durch seine mach­tigen Linden gekennzeichneten Platz horn uher del Ennsmwerder Str~e vor dem Ermschwerder Tor gestanden.

Ober ihre Schicksale wissen wir nur sehr wenig. In den "Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Witzenhausen" heiBt es mit Verweis auf eine Urkunde von 1514, die Kapelle habe in diesem Jahr noch bestanden '. In der als Regest gedruckten Urkunde bedachte die Witzenhauser Burgerin Else Mu r r i c h 5 am 8. Januar unter anderen auch die Messe in "Sanct Jacob" vor der stadt mit einem halben Gulden '.

Die niichste Nachricht stammt aus dem J ahr 1711, "Eine Capel/e vor dem Ermschwertherthor zu St. ]acob, dauor (I) nicht das geringste mehr zu sehen ist, als das der Orth noch also genant wirdt." 1741 wird berichtet, es "soIl in uorigen Zeiten eine CapeUe aufm Sanct ]acob dem Angeben nach gestanden haben" 3. Man wuBte also smon zu Beginn des 18. Jahrhunderts uber sie nichts Genaues mehr. Spatestens im 30jahrigen Krieg, der Witzenhausen verhee­rende Verwiistungen brachte, wird sie zerstOrt worden sein. Zu dem Bericht VOn 1741 verweist der Herausgeber auf eine Urkunde des Pfarrarmivs Witzenhausen von 1427.

Am 27. Dezember 1427 fertigte der kaiserliche Notar Johannes K a h y n bzw. K a him aus Witzenhausen im Hause des Burgers Lotze 5 c h mid zu Witzenhausen und in Gegenwart der als Zeugen fungierenden Burger 10-hannes Wen t e rod, Konrad E i c hen b erg, Herden 1 0 r cl a n und Kon-

1 Bearb. K. A. ECKHARDT (1954) LXV (VHKH. 13, 4). 2 A . HUVSKENS, Die Kloster der Landsmaft an der Werra ... (1916) 661 Nr. 1638

(VHKH. 9, 1). 3 K. A. ECKHARDT, Bausteine zur Witzenhauser Chronik 1 (1953) 33, 40 (Smriften

des Witzenhauser Biirgervereins 3).

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rad L 0 cl e w i c i genannt 5 ch mid ein Notariatsinstrument folgenden In­halts aus: Vor ihm und den genannten Zeugen seien Herr Johann Fa b r i genannt Lot zen I Priester des Mainzer Bistums, Johannes Al i ken I Rats­mann zu Witzenhausen, und die dortigen Burger Konrad Cl i n gel b i I, Hermann E i c hen b erg I Konrad H U 5 her t h u n e I Heinrich L 0 cl e -w i c i 4, Hermann E b e r h a r cl i I Heinrich Z i n gel und Konrad He i n -r i c i als Vorsteher der Jakobskapelle ersmienen und hatten ihn gebeten, uber ihre Aussage ein oder mehrere Notariatsinstrumente zu erstellen. Sie hatten von ihren EItem und den Alten gehort, vor J ahren habe eine Kapelle oder Kirme auBerhalb def Mauern vor dem Ermsmwerder Tor zur Ehre des Apostels Jakob gestanden. Sie sei eine Todtter def Witzenha.user Pfarrkirche gewesen. Die zur Kapelle gehorigen Bucher und anderen Gedite beHinden sicn noch in der Pfarrkirch.e. Die Kapelle aber sei im Krieg (,,'Von orloges wegen") vergangen und zerstort worden. Das wiiBten nom viele Lebende. Nun hatten viele fromme Menschen mit dem Neubau der Kapelle zur Ehre St. Jakobs begonnen, was in der ganzen 5tadt und vielen anderen frommen Leuten bekannt sei I'i.

Zu welch.em Zweck diese Urkunde ausgestellt wurde, wissen wir nicht. Vielleicht hing es mit der bevorstehenden Weihung zusammen. Die aIte Kapelle war einem Krieg zum Opfer gefallen. Nach den Erkliirungen der Witzenhauser muB das mindestens ein Mensch.enalter her gewesen sein. Wir haben also den Krieg im spaten 14. J ahrhundert zu suchen. Es wird sich wohl um die heftigen Fehden mit Landgraf Hermann in der Mitte der 1380er Jahre gehandelt haben. 1427 wurde bereits die zweite Jakobskapelle gebaut, simerlim im spatgotischen 5tH.

Dieser Bericht wird nun durch einen von mir im Staatsarchiv M a r bur g 11

entdeckten Schriftwechsel aus den Jahren 1513/14 auf willkommene Weise erganzt. Er ist zugleich fur die allgemeine hessische Gesmichte von nicht ge­ringer Bedeutung.

Eigentlich halte es ziemlich harmlos begonnen. Am Osterfest 1513 wollte der Priester Heinrim W i 5 C hem ann, damals smon Pfarrer in K I e i n -se h nee n bei Gottingen, in der Jakobskapelle eine Messe halten. Die bei­den Heiligenmeister oder Alterleute, d. h. der Kapellenvorstand, Konrad G r e f e und Hans H u 5 for t h 0 ne, aber sperrten ihm die Kapelle vor

4 Mein Vater macht darauf aufmerksam, "daB die Verhandlung im Hause des Lotze 5 c h mid stattfand, daB als Zeuge anwesend war Konrad L 0 dew i c i genannt 5 c h mid, daB zu den Vorstehem der KapeUe gehorten der Priester Mainzer Bistums Johann Fa b r i [= Schmid] genannt lot zen und der Witzenhauser BUrger Heinrich L 0 dew i c i. Man wird also wohl vermuten dUr­fen, daB die Familie bei der Stiftung der Kapelle eine bedeutende Rolle gespielt hatH.

S STAM, Dep. Pfarrarchiv Witzenhausen. 6 STAM Best. 257 Samthofgericht Marburg, ungeordnete Akten Pak. 1 (am SchluB

des Bestandes, Lagerung 2 A I 4 11 i 34 Bl.).

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der Nase zu, hinderten ihn am Messelesen und weigerten sim, ihm die zur Kapellenpfriinde geh6rigen Zinsurkunden auszuliefern.

Wie war es dazu gekommen? Wismemann hatte sich vom Mainzer Erz~ bismof die KapeUe und Kommende verleihen lassen und darauf skh in ihren Besitz setzen wollen. Die Alterleute aber behaupteten, bisher hatten sie nam ihrem Gutdiinken einen Priester mit dem Messelesen betrauen diirfen. SchlieBlich sei die Kape\le von ihren Vorfahren und der Nachbarschaft der Ermsmwerder 5traBe erbaut und mit Zinsen dotiert worden. Der Erzbismof habe kein Rern.t, die Priesterstelle zu vergeben. Zudem sahen sie Wisme­mann fijr ungeeignet an. Der Priester besalS namlich nom eine andere Pfriinde in Witzenhausen, eine Vikarie am Katharinenaltar in der Liebfrauenpfarrkirme. Die Witzenhauser aber behaupteten, er habe diese Pfriinde smlemt ver­waltet und heruntergewirtsmaftet. Wenn er jetzt aum nom die Jakobskapelle zu versehen habe, sei zu befUrmten, daB er auch dieser smade.

Wahrend Wischernann vor dem geistlichen Gericht des Offizials in H e i -1 i g ens t a d t gegen die Alterleute Klage erhob, wandten diese sich mit Bitte urn Hilfe an das Regiment in Kassel. Das Regiment war von den Landstanden nach dern Too des Landgrafen Wilhelm 11. 1509 gegen die Witwe Anna eingesetzt worden und fUhrte fUr den jungen Landgrafen Philipp die Regentschaft unter Fiihrung Ludwigs v. Boyneburg. Er nannte sich selbst "Lnndhofmeister und andere Mitregenten des Furstentums zu Hessen". Mit seinen Kanzleien in K ass e 1 und M a r bur g fungierte es zugleich als gerichtliche Appellationsinstanz. Durch die haufigen Reisen der leitenden Manner zwischen Kassel und Marburg verzogerten sim nicht selten die Entscheidungen. Es konnte sogar vorkornrnen, daB ein Teil der Regen­ten in Kassel blieb, wahrend der iibrige mit dem Hofstaat nam Marburg zog. Nach der Riickkehr geschah es bisweilen, daB Anordnungen des einen Teils durch die Gesamtheit abgeandert wurden oder daB das Re­giment als ganzes nimt rimtig von den in der Zwismenzeit geHillten Ent­scheidungen unterrimtet wurde 7.

Die Verquickung von gerichtlichen und Verwaltungsfunktionen wird in dem Streit urn die KapeUe sehr deutlich. Offensichtlich halte das Regiment an den Priester gesduieben und ihn zur Rede gestellt. Das erste erhaltene Smreiben ist Wismernanns Antwort vom 26. April. Gegen den Vorwurf, er habe seine Pfriinde schlecht verwaltet, setzt er sim zur Wehr. Ware diese vor 50 oder 60 J ahren - als er noch gar nich t leble - gewissenhafter gefiihrt worden, sttinde es jetzt besser urn sie. Bei seiner Ankunft vor 30 Jahren 8

7 Vgl. hierzu aum L. ZIMMERMANN, Der Okonomisme Staat Landgraf Wilhelms IV. 1 (1933) 69 (VHKH. 17, 1).

8 Er stammt aus der Witzenhauser Familie W i 5 C hem ann oder W i 5 k e -m ann. Heinrim durfte mit dem 1499 in Witzenhausen genannten Herm Hein­rim, Sohn des Stadtsmreibers und Biirgermeisters Helmbrecht, W., und mit dem 1504 als Zeuge in Heiligenstadt fungierenden Priester Heinrim W. identisch sein, vgl. HUYSKENS 651 Nr. 1616 und 73 f. Nr. 178/ 79.

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habe indessen die Ausstattung der Vikarie nur 6 Gulden betragenl und nur seiner Mtih' und Arbeit sei es Zll verdanken, daIS der Besitz an Zinsen, Pfand und Giitern auf das Doppelte gestiegen sei.

Die Regenten entgegneten am 11. Mai sehr bestimmt, WISCHEMANN habe smarf geschrieben, und sie hatten es nicht notig, sich von ihm uher den Sam­verhalt aufkHiren Zll lassen. DaB der Erzbismof kein Recht Zll seinem Schritt gehabt habe, sei doch offensichtlich. Allein die AlterIeute seien berechtigt, iiber den Gottesdienst usw. nam ihrem Gefallen Zll befinden, da sie keinen Patron hatten. Wismemann solle von seinem Untemehmen ablassen und die Unter­tanen in Witzenhausen nicht mit dem Bann beschweren. Statt jener Bezeich­nung wurde damals auch gerne das Wort IIArme" gebraucht. Es bedeutete einerseits mittellose Leute, die sich nidtt selbst helfen konnten, andererseits dasselbe wie Untertanen.

Das Regiment intervenierte auch bei dem HeUigenstadter Offizial, dem Kanoniker Konrad H a m e I, und erreichte am 8. Juni dessen Zusage, er wolle die Angelegenheit unparteiisch entscheiden. Hamel riet den Witzenhausem, sich bei einem Rechtsgelehrten zu erkundigen und sich von ihm beraten Zll

lassen. Die Alterleute hatten sofort eingesehen, daB sie aIlein gegen das geistliche

Gericht nichts ausrichten konnten, zumal sie als biedere Burger nicht im kanonischen Recht bewandert waren. 50 war es fUr sie das einzig richtige, das Regiment mit ihrer Verteidigung Zll betrauen. Dieses maB der Angele­genheit so viel Bedeutung zu, daB es eine rege Aktivitat entfaltete. Den Re­genten war klar geworden, daB es sich nicht urn einen Bagatellfall handelte, sondern hier urn wichtige staatsrechtliche Fragen ging.

Seit langem namlich lag Hessen mit Kurmainz wegen der geistlichen Ge­richtsbarkeit im Streit. Die geistlichen Richter waren seit alters fUr alle Strei­tigkeiten zustandig ,,,in denen eine kirchliche Einrichtung oder ein Angehori­ger des Klerus Partei war oder in denen das Recht von einem weltlichen Ge­richt verweigert worden war" 9. Uingst aber war nicht mehr der Erzbismof als Diozesanbischof alleiniger Herr liber die geistlichen Gerichte. Vielmehr hatten die Armidiakone mit ihren Offizialen ein konkurrierendes Gerichtswesen aufgebaut. Soweit Hessen zur Erzdiozese Mainz gehorte, befand es sich im EinfluBbereich der Archicliakone von St. Stephan in Mainz mit clem Offizial in Amoneburg, von St. Peter in Fritzlar und von St. Martin in Heili­genstaclt. AIs Kampfmittel gegen die Offizialatsgerichte gebrauchten die Mainzer Erzbischofe seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts standige Kommis­sare, die sie auf Kosten der Archidiakone mit immer groBeren Gerichts­kompetenzen ausstatteten 10. Seit dem 13. Jahrhundert muBten die Erzbismofe

9 W. HEINEMEYER, Territorium und Kirche in Hessen vor der Reformation + Hess. Jahrbuch. f. Landesgesch., 6, 1956, 144 f.

10 HEINEMEYER 145; W. CLASSEN, Die kirch.lich.e Organisation Althessens im Mit­telalter ... (1929) 9-22, vor allem 21 (Schriften des Instituts f. geschichtl. Landeskunde von Hessen u. Nassau 8).

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sozusagen einen "Zweifrontenkrieg" gegen die weltlichen Herren, ruer die Landgrafen von Hessen, wie auch gegen die Archidiakone und ihre Offiziale fiihren 11.

In Hessen hatte zum weiteren Ausbau des Gerichtswesens Landgraf WU­helm Ill. von der Marburger Linie 1497 eine Gerichtsordnung erlassen. Drei Jahre spater wurde unter seinem Vetter Wilhelm H. das Marburger Hofgericht gegriindet, und sofort untersagte man den Untertanen, bei weltlichen oder geistlichen Gerichten auBerhalb Hessens zu klagen. Wenn auch der Vertrag mit Kurmainz von 1502 noch einmal ausdriicklich das Recht des Rekurses an das geistliche Gerimt bestatigte, so wurde dom seit der Jahrhundertwende der Einflufl der geistlichen Gerichte imIner starker zuriickgedriingt. Erzbischof Albrecht hat allerdings in den Wirren der hessischen Vormundschaftszeit 1516 nommals versucht, die Gerimtsbarkeit auf weltlime Personen und Sachen auszudehnen. Er halte aber keinen Erfolg. Mit der Einfiihrung der Reformation durch die Homberger Synode von 1526 wurde die Macht der geistlichen Gerichte endgiiltig gebrochen. Zwei J ahre spater verzimtete der Erzbischof im Vertrag von Hitzkirmen auf die geistliche Jurisdiktion in den den hessischen Landgrafen und den Kurfiirsten von Samsen unterstehenden und zum Gebiet seiner Erzdiozese gehorenden Territorien 1!.

Verfolgen wir nun die Auseinandersetzungen des Jahres 1513 weiter, so fin­den wir uns mitten in der Zeit dieses Madttkampfes zwismen weltlimem Staat und geistlichem Gericht.

Formal war Wischemann durchaus im Recht, vor dem Offizial in Heiligen­stadt Klage zu erheben. Andererseits muBten die Witzenhauser und das Re­giment befiirchten, daB der Offizial in Wischemanns Sinne entschied, obwohl dieser materiell im Unrecht zu sein schien. Es ist wahrscheinlich, dag der Han­del den Regenten gelegen kam, spielte er ihnen dom einen wirkungsvollen Hebel in die Hand, mit dem sich die Macht der Geistlimen aus den Angeln heben lassen konnte. Iedenfalls !ieBen sie kein Mittel auBer Acht.

Anfang Juni schrieben die Kasseler an Biirgermeister und Rat in Got tin -g en, beridtteten kurz uber den Sachverhalt und ersuchten sie, Wischemann zum Ablassen aufzufordern, andernfalls ihm in ihrer Stadt und iiberall in ihrem Gericht und ihrer Obrigkeit "keins enthaltens" zu gestatten. Die Gottin­ger wand ten zwar ein, Wismemann sei Geistlicher und ihnen rumt unterstellt, sie verspramen aber Amtshilfe. Am 18. Juni schickte Gottingen Wischemanns Antwort nach Kassel und bot weitere Dienste an. Dcm Pfarrer war dieser VorstoB augerst ungelegen gekommen. Er rechtfertigte sidt ausfiihrlich. Die KapeUe sei als geistliches Lehen mehrmals vertauscht worden, unter anderem gegen eine Vikarie im Martinsstift zu Heiligenstadt und mil dem jetzigen Pfarrer gegen die Pfarrkirche in Witzenhausen. Nach dem Tod des letzten

11 HEINEMEYER 145. 12 aaO. 148-151; W. SOHM, Territorlum und Reformation in der hessiscn.en Ge­

schimte 1526-1555. 1957!, hg. G. FRANZ 13 f. und 67 f. (Urkundl. Quell. 2ur hess. Reformationsgeschichte """ VHKH. 11, 1).

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Kapelleninhabers Wedekind Cas per sei sie dem Erzbismof iibertragen wor­den. Daraus erkHire sim die Leihe. Die Alterleute hatten dem Regiment dariiber nicht rkhtig berichtet. Die bisherigen Inhaber hatten die KapeUe dauernd in geistlicher Leihe innegehabt. Dagegen wollten die Alterleute sie wieder weltlich mamen. Wegen dieser Injurien habe er sie vcr den OffiziaI zitiert, und dort konne das Regiment seinetwegen Gegenklage erheben. Er habe keine Ursache gegeben, daB G6ttingen ihn aus del Stadt Gerichten und Obrigkeiten von seinen geistlich gefreiten Pfarrlehen, Wohnungen und GU­tern wie einen Ubeltiiter verweise. Sollte das aber dennoch geschehen, so werde er bei den Exekutoren del vom Konig allen GeistIknen des Mainzer Sprengels gegebenen Privilegien 13 Zuflucht sumen.

Dieses Risiko scheint der G6ttinger Rat nicht eingegangen zu sein. Jeden­falls h6ren wir von keinen weiteren Aktionen der Stadt. Immerhin Vverden aus Wischemanns Schreiben einige Gesichtspunkte deutlicher.

Am ZZ. Juni sandte der OffiziaI die gerichtliche Ladung nach Witzenhau­sen. AIs Begrilndung gab er unter anderem an, Wedekind Fer k e a 1 i a 5

K ern h 0 f f (hier ist also ein anderer Familienname als in dem Schreiben von Wismemann angegeben) habe die Jakohskapelle, die ein beneficium sei, gegen die Pfarrkirche eingetauscht und viele J ahre his zu seinem neulich er­folgten Tod innegehabt. AIs diese dann vakant war, sei sie Wischemann von Erzbischof Uriel verliehen worden. Die Heiligenmeister aber hatten den Prie­ster nimt zugelassen.

Das Regiment beauftragte daraufhin einen Juristen mit einem Rechtsgut­achten. Dessen Vorschlage sind in einem undatierten und unsignierten Schrift­stUck iiberliefert. Der Schreiber, vermutlich der Kanzler oder einer der juri­stisch gebildeten Rate, augert die Befiirchtung, daB die Witzenhauser mit dem Bann belegt werden k6nnten. Es sei daher ratsam, sim durch einen bevoll­machtigten Anwalt in Heiligenstadt vertreten zu lassen. Das Regiment sone dem Heiligenstadter Richter schreiben, es verlange Kopien der Anklageschrift und eine angemessene Frist zur Beantwortung. Er, der Gutachter, wolle dann eine Gegenschrift verfassen. Augerdem habe der Klager Beweise flir seinen Rechtstitel vorzulegen. Die Witzenhauser soIl ten sich nur dann auf eine Ge­richtshandlung einlassen, wenn ihnen davon Abschriften und geniigend Zeit zur Antwort und Gegenschrift gegeben wiirden. AuLSerdem sone man Wismemann mahnen, seine Pfriinde in der Pfarrkirche ordentlich zu ver­walten, andernfalls ihm clrohen, seine Zinsen im Namen cler Obrigkeit mit Gebot und Verbat zu belegen, d. h. sie zu besmlagnahmen. Das Verbot miisse aber nicht automatisch aus dem gegenwartigen Prozeg erwamsen.

Wie wir einem Schreiben cler Alterleute an das Regiment vom 18. Dezem­ber entnehmen, sind die Witzenhauser tatsachlich auf Befehl des Regiments in Heiligenstadt gewesen und haben sich Abschriften geben lassen, urn diese dann nach Kassel weiterzuleiten. Van des Regiments Schriften hat sich Wisme-

13 Als Reg. gedruckt u. a. bei A. E CKHARDT, Die oberhessischen KlOster 2 (1967) 226 f. Nr. 477 (VHKH. 9, 4).

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mann jedoch nicht beeindrucken lassen, behauptete vielmehr, die Witzenhauser seien "contumax" geworden, d. h. hatten der gerichtlichen Ladung nicht Folge geleistet.

Und wirklich geht aus dem Riickvermerk zur ersten Ladung vom 22. Juni hervor, daB die dritte Ladung am Sonntag nach Michaelis, also am 2. Oktober, in Witzenhausen verkUndet worden war. Wenn die Alterleute nicht gefolgt sind, so lag das offensichtlidt an der vom Regiment verfolgten Taktik.

So war es nimt verwunderlim, daB der Offizial am 15. Oktober dem Ple­ban in Witzenhausen die Bannung der beiden Alterleute wegen Nichterschei­nens vor Gericht mitteilte und ihm befaht diese offentlich zu verkiinden. Am selben Tag lud er die Witzenhauser BUrger Hans Kern p e junior, Albredtt G er 5 ten b erg, Michael Gun t er, Bartholomaus F i 5 C her, Magister He i n r i c h den M e I er, Klaus Z i e gel er, Barthold H u s for t h 0 ne, Heinz 5 i e f fer t, Heinrich Fer k e, Konrad H u 5 for t h 0 ne, Konrad Folland, Dietrich den Wegener, Dietrich Lotze, Hans Helm­b r e c ht, Tile Moll er, Martin Fog k e nt a I, Hans H u d e m e c her und Heinrim Sib e Ish use n wegen Injurien (d. h. ",ohl Verleumdung bzw. uble Namrede) gegen Wismemann vor sein Gericht. Wie wir aus einem spateren Schreiben erfahren, hatten sie offentlich erkHirt, Wischemann habe seine Pfriinde in der Pfarrkirche schlecht venvaltet und verringert. Das war ja ,mon frUher als eine der Hauptbesmuldigungen gegen ihn angeftihrt worden. Beide Schreiben verkiindete der Witzenhauser Vizepleban am 30. Oktober. Die Bannung bedeutete fur die Witzenhauser keine geringe Ge­fahr. Sofort mamten sim der SmultheiB und einige bevollmamtigte Rats­leute nach Kassel auf und wurden beim Regiment vorstellig. Den Alterleuten und der Kapelle, 50 sag ten sie, drohe groBer Schaden, wenn das Regiment nicht bald etwas untemehme.

Das Regiment holte unverziiglich zum Gegenschlag aus. Noch am 30. Okto­ber sduieb es an Erzbischof Uriel und unterrichtete ihn uber den Fall. Die Ka­pelle sei in vergangener Zeit von der Nachbarschaft der Ermschwerder StraBe erbaut und allmahlich soweit dotiert worden, daB die Heiligenmeister davon wornentlich eine Messe halten lassen konnten. Daruber hatten sie vom Kommissar in Heiligenstadt eine in Kopie beigelegte [jetzt Ieicler verlorene] Urkunde erlangt. Wischemann habe sim vom Erzbischof widerrechtlich be­leihen und investieren lassen und die Zinsbriefe gefordert. AIs diese mm aus den beschriebenen Griinden, und weil er seine Vikarie in der Pfarrkirche schlecht gefuhrt habe, verweigert wurclen, habe er die voreilige Bannung durch den Offizial erreicht. Hierdurch drohe den "Armen" in Witzenhausen groBer Namteil. Oann bestreitet das Regiment dem Erzbi,mof das Remt der Leihung und deutet ihm an, es werde nicht weiter tatenlos zusehen, "den dermafl mit gedult lenger nicht zu besehen sein wil und wir dod! zu weyterung nid!t ge­neigt". Es bittet den Mainzer Oberhirten, die Witzenhauser aus dem Bann zu losen und - es foIgt ein sehr interessanter Passus - den ProzeB nach Fritzlar zu uberweisen. Im Konzept stand ursprunglkh Amoneburg oder Fritzlar, dom wurde der erste Ort wieder gestrichen. Das Regiment erklarte

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sich unter dieser Voraussetzung bereit, Vertreter zur weiteren Verhandlung Zll entsenclen.

Hessen versuchte also, den ProzeS dem auBerhalb .seines Machtbereims residierenden Offizial in Heiligenstadt entziehen und einem vcn ihm starker abhangigen geistlichen Geridtt iibertragen Zll lassen. Zwar lagen auch Amone­burg und Fritzlar auf kurmainzismem Territorium, dam waren sie im Gegen­satz Zll Heiligenstadt rings van hessismem Gebiet umgeben und die Offiziale vermutlich eher beeinfluBbar. Wenige Tage spater schrieben die Kasseler auch an den Dienstherm des Offiziais, den Heiligenstadter Propst und K6lner sowie Mainzer Domherrn [Heinrich] Re u g v. PI a u ern, berimteten ihm uber die Angelegenheit, die Bannung der Alterleute und die gerichtliche Ladung der anderen Burger sowie uber ihr Sdueiben an den Erzbischof und ersuchten ihn, seinen Offizial anzuweisen, den Bann und die Ladung soIange auszusetzen, bis die Witzenhauser sim ohne Obereilung verteidigen konnten. Wahrend uber eine Reaktion des Archidiakons nichts bekannt ist, antworte der Erz~ bismof umgehend.

Am 13. November smrieb Uriel, er wisse von der Same nimts. Es konne aber sein, daB Wismemann ihm vorgetragen habe, die Kapelle sei ein "reale beneficium" und lange vakant gewesen, so daB wegen Nimtprasentierung durch die Patrone der Pfrunde die Leihung an ihn "nach uermoge der Statu ten Concilii Laterani rechtlich devoluirt und erwachsen were". Wismemann hatte ihn dann wohl gebeten, ihn selbst mit der Kapelle zu beleihen. Darauf konne er dem Priester, wie es seine Vorganger in gleimen Fallen jederzeit und oft getan hatten, gemaB dem Devolutionsrecht die Kapelle ubertragen haben. Das komme bei Erzbismofen und Bischofen dauemd vor.

In der Tat war durch das dritte Laterankonzil von 1179 fur die niedrigeren Kirchenamter, soweit sie dauernde Einrichtungen waren, eine Verleihungs~ frist von 6 Monaten eingefuhrt worden. "Die Besetzung kraft Devolutions­rechts ist die Verleihung eines kirchHchen Amtes durch den hoheren Kirchen­oberen in dem Fall, daJl der eigentlim beremtigte kirmlime Beamte oder die sonst zu entsmeidender Mitwirkung bei der Besetzung berufenen Faktoren ihres desfallsigen Remts gar rucht oder nicht den kanonismen Bestimmungen gemaJS ausuben". Dodt muBte der sonst Beremtigte von seinem Versaumnis Kunde haben. In diesem Fall ging fur das eine Mal das Verleihungsrecht an den nachsthoheren Kirmenbeamten, im allgemeinen an den Bismof bzw. Erz­bischof, uber 14. Soviel zur Erlauterung der Ausfiihrungen des Erzbischofs.

Habe, so fahrt Uriel fort, Wischemann die Wahrheit gesagt, so sei alles in Ordnung. Sei das aber nimt der Fall, so werde es sich durch das Geric:ht simer klaren lassen. Er selbst habe nichts anderes getan, als ihm kraft seiner ordentlichen Gewalt zustehe. Wenn er aum geme dem Wunsch des Regiments entsprame, sei er doch nimt in der Lage, den ProzeS dem Offizial in Heili-

14 P. HINSCHIUS, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Riid<sicht auf Deutschland 3 unveranderter Neudrud< der Ausgabe von 1863 (1959) 103 f. und 167 ff.

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genstadt fortzunehmen und auf den in Fritzlar zu iibertragen, denn jener sei nirnt sein Offizial, sondern der des Propstes von Heiligenstadt. Gesmehe aber dem Regiment oder den Heiligenmeistem durrn den OffiziaI Unrecht, so stehe ihnen die Appellation an den Erzbischof oder an den papstlichen Stuhl offen.

Das Srnreiben zeigt deutlirn, wie besrnrankt die Moglirnkeiten des Erz­bischofs gegeniiber den OffiziaIen waren. So errangen die Hessen nur einen halben Erfolg. Dorn war es fiir sie smon wichtig genug, daB der Ordinarius nicht in Abrede stellte, er konne vom Priester geUiusmt worden sein. Der ganze ProzeBverlauf deutet darauf hin, das Wischemann zumindest eigen­machtig gehande!t hatte. Oberraschend ist auch, dall der Inhalt der angeb­lichen Verleihungsurkunde nicht iiberIiefert ist und auch nirgends ihr Ausstel­lungsdatum angegeben wird. Eine diesbeziiglime Anfrage an das Bayerisme Staatsarchiv Wiirzburg blieb ergebnislos.

Das namste Schreiben, vom 18. Dezember, wirft ein etwas merkwiirdiges licht auf die Verwaltung des Regiments und besUitigt die anfangs geauBerte Behauptung, dall bisweilen bei den Regenten die linke Hand nicht gewullt zu haben scheint, was die rechte tat. Heiligenmeister und Vormiinder der lakobskapeUe gaben in ihrer Antwort auf einen [nicht erhaltenen] Brief des Regiments an den Witzenhauser SchultheiBen Auskunft, der Propst von Heiligenstadt heiBe Heinrich Re u B v. PIa u en, wohne in Mainz und sei dort auch Domherr. Das wuBte das Regiment doch langst, wozu also diese Frage an den Schultheillen? Das Regiment hatte aber auch an den Gerichtsbeamten in Witzenhausen geschrieben, die ganze Handlung ware nicht notig gewesen, wenn die Heiligenmeister "erstlidz in deme Handel nidzt cantumax warden weren". Dazu bemerkten diese offensichtlich entriistet, sie hatten die Same, sobald sie von Wischemann in Heiligenstadt begonnen war, an das Regiment in Kasse! gemeldet, was lost v. Ba u m b a c h [einem der Regenten] wohl be­kannt sei. Dann folgt die schon friiher mitgeteilte AuBerung, sie seien auf Befehl des Regiments in Heiligenstadt gewesen, hatten sich Absmriften der Beschuldigungen besorgt und diese den Herren des Regiments in Kassel Ubergeben. Wismemann habe trotz der Schriften der Kasseler weiter seine Forderungen verfochten, die Kapelle und sie in groBen Smaden gebrac:ht und behauptet, sie seien auf sein "Libell" "contumax" geworden. Das aber ginge uber ihren Verstand. Sie riefen die Regenten als ihre Schutz- und Schirm­herren an Stelle des Landgrafen an, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Wiir­den sie vom Regiment verlassen - was sie nirnt hofften, denn sie seien in der Sache wenig erfahren -, so werde ihr Widerpart alles nam seinem WiIlen mit ihnen handeln.

Soweit kam es zum GIUck nimt. In einem undatierten Smreiben hatten Landhofmeister und Regenten den OffiziaI mit ausdriicklichem Hinweis auf ihr Schreiben an den Erzbismof (es muB also Mitte November gewesen sein) ersucht, den Bann auszusetzen. SmlieBlich seien die geistlichen Gerichte nicht zur Unterdriickung, sondern zur Beschirmung der Armen aufgekommen. AuBerdem wand ten sie ein weiteres DruckmitteI an.

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Am 20. Dezember sduieben sie an den erzbischoflichen Kommissar Johann Memelmeshausen in G6ttingen, ihr Regimentsfreund Heinrich v. Boden­hausen und seine zwei 56hne Melchior und Hans hiitten ihnen berichtet, daB der Kommissar auf Ersumen des Priesters Wischemann wegen seiner Kom­mende in Witzenhausen und des von denen v. Bodenhausen auf deren Ein­kiinfte gelegten Verbots diese zum nachsten Sonnabend vor sich zitiert habe. Die v. Bodenhausen seien Angehorige des Fiirstentums Hessen und unter­stiinden dem Regiment. Der Kommissar solle daher a11e, die roit Wischemann in dieser Angelegenheit zu tun hatten, ruent mit seinem Gerichtszwang be­irren. Wenn er gegen sie ehvas vorzubringen habe, moge er vor dem Regiment erscheinen. Sie seien nimt gewilIt, die v. Bodenhausen oder andere Angehorige des Fiirstentums ohne vorheriges Ansuchen bei ihnen oder ohne Rechtsver­weigerung vor ein auswartiges Gericht zitieren zu lassen, denn das sei wider des hI. Reichs Ordnung und ihnen unleidlich. Sie erboten sich, liber die An­gelegenheit nam Recht zu urteilen, wenn der Kommissar diese an sie ver-

• welse.

A11erdings dlirfte die Auskunft des Regiments nicht ganz zutreffen. Die Gegendarstellung Wischemanns vom 23. Dezember verdeutlicht, daB die v. Bodenhausen nimt etwa eine seiner pfriinden in Witzenhausen besdtlag­nahmt hatten, sondern die zu der seit 12-14 Jahren in seinem ungestorten Besitz befindlichen Kapelle auf dem Neuen Haus zu G 1 e i c hen (Neuen­gleichen) gehorenden Zinsen und GeHille. Sie seien ihm auf Antrag seiner Gegner vom Gericht zu Gleichen gegen des hI. Reichs Ordnung und Recht IIverboten" worden, obwohl diese Kapelle doch nichts mit der Witzenhauser Sache zu tun habe. Seine Not habe ihn bewogen, den Kommissar zu bitten, daB er die Kassierung des Verbots erwirke. Im weiteren bietet Wischemann an, faUs das Verbot aufgehoben und ihm sicheres Geleit zugesichert werde, zur Klarung der Witzenhauser Angelegenheit in der Zeit bis Mariae Licht­meR (= 2. Februar) selbst vor dem Regiment zu erscheinen oder einen Be­vollmadttigten zu sdticken, obwohl er, wie er bitter anmerkt, Geistlicher sei und es sich in der Hauptsache urn Geistliches handele, er also nicht dazu ver­pflichtet sei. Wenn er aber von seinem ordentlichen geistlichen Richter an ein weltliches Gericht gewiesen werde, so woUe er Folge leisten. Aus den Worten spricht eine tiefe Resignation. Die Bannung hatte offensichtlich nicht den erhofften Erfolg gebracht. Vielmehr senkte sich die Waage immer starker zugunsten der weltlichen Partei.

So verwundert es auch nicht, daB der HeiligensHidter Offizial mit Einver­stlindnis Wischemanns am 23. Dezember in getrennten Schreiben an die Witzenhauser und an das Regiment den Bann unter der Bedingung suspen­dierte, daIS bis LichtmeB eine Verhandlung vor dem Regiment angesetzt und Wischemann dazu freies Geleit zugesichert werde. Die Witzenhauser leiteten das an sie ergangene Schreiben am 26. Dezember nam Kassel weiter, und am folgenden Tag schickte Heinrich v. B 0 den h a use n auch die Antwort Wischemanns und des Gottinger Kommissars. V. Bodenhausen hatte das Ein­lenken des Priesters wohl bemerkt, lasse sim dieser dom 11 vast milder gebeth"

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vernehmen. Er riet daher, bald ein Verhor anzusetzen, damit keine weiteren Kosten entstiinden.

Wann die Verhandlung stattgefunden hat, geht aus den Akten nicht hervor. Doch zitierte das Regiment Anfang Februar 1514 die Witzenhauser fUr den 9. Februar erneut nach Kassel, da, wie sie wiiSten, auf dem kiirzlich gehal­tenen Gerichtstag in Kassel nichts "verfenglichs" mit Herm Heinridt Wischemann habe gehandelt werden konnen. Zu dem neuen Termin erschie­nen die Kapellenvorsteher auf der Kanzlei in Kassel und legten nochmals ihren Standpunkt dar. Neu ist darin die Mitteilung, daB sie inzwischen einen Priester fUr zwei wochentlime Messen angestellt hatten. Sie verwiesen aber­mals auf ihr Recht und das Schreiben des ErzbisdlOfs. Dazu erklarten sie, mit Wismemann nichts zu tun haben zu wollen. Sie hatten gehofft, Wischemann wiirde sich mit dem auf dem letzten Verhandlungstag gefiillten Spruch zu­frieden geben und sie und ihre Kapelle vor weiteren MUhen und Kosten bewahren. Sie baten das Regiment, dafUr zu sorgen, daB sie ihr Re<:ht behiel­ten und den Schaden, der sich auf mehr als 20 Gulden belaufe, erstattet be­kamen.

Damit brimt der Smriftwemsel ab. Wie die Same ausgegangen ist, wissen wir nimt. Dom laSt sim vermuten, daB ein Vergleich getroffen wurde. Die Witzenhauser scheinen im Besitz der Kapelle geblieben zu sein. Das Regiment aber wurde kurz darauf von der tatkraftigen Landgrafin-Witwe Anna ge­stiirzt.

Ziehen wir das Fazit: Es laBt sich wohl behaupten, daB die weltliche Macht sim in diesem Fall gegenUber den geistlichen Gerichten durmgesetzt hat. Aller­clings war die Position des Priesters auch auiSerst smwam gewesen. Anderer­seits hatte das Regiment durchaus kIug operiert und sich anscheinend aum nicht yor fragwiirdigen Praktiken gesmeut. Wismemanns Wunsm nach freiem Geleit ist bezeichnend. Offensichtlich befiirchtete er eine Gefangennahme.

Nicht zuletzt wird die Vielzahl miteinander konkurrierender Gerichtsinstitu­tionen geistlichen wie auen weltlichen Charakters durch das angefiihrte Bei­spiel sehr deutlich.