Höhere Kaderausbildung At the end of the day… - asmz.ch 2017/At_the_end... · ken, die Taktik bzw. die Gefechtstechnik zu verstehen. Wenn die Prozesse und For-mate nicht ohne Reglement

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  • 35Allgemeine Schweizerische Militrzeitschrift 07/2017

    Hhere Kaderausbildung

    Daniel Ltsch

    Die Schweizer Armee ist, durchaus be-rechtigt, stolz darauf, dass sich der mi li -trische Analyse- und Entscheidungspro-zess auch zum Lsen komplexer zivilerProbleme gut eignet. DerKnow-how-Transfer im Be-reich der Fhrungsprozesseund der Fhrungserfahrungist auch heute noch mehrals ein willkommener Ne-beneffekt der militrischenKaderausbildung. GeradeSenior Executives besttigen immer wie-der, dass insbesondere in Krisensitua-tionen die militrisch geschulten Kader-mitarbeiter gezielter, systematischer undmit mehr Durchhaltevermgen fhren.Nur: Prozesse alleine gengen nicht. Ent-scheidend ist, dass die Armee im richtigenMoment das Richtige tut. Es reicht somitnicht, wenn ein Kommandant mit seinemStab den Aktionsplanungs- und den Lage-verfolgungsprozess fehlerfrei gemss demReglement Fhrungs- und Stabsorganisa-tion anwendet. At the end of the day zhltnur die Wirkung!

    Denken im Gesamtrahmen

    Wirkung erzielen kann die Armee nurals Gesamtsystem. Wir haben Fortschrittegemacht, indem wir nicht nur die 1. Frageder Auftragsanalyse (Bedeutung der eige-nen Aufgabe im Gesamtrahmen), sonderninsbesondere auch die 4. Frage (Unterstt-zung, die bei der Erfllung des Auftragesdienlich sein kann) grndlicher analysie-ren und handlungsrelevante Konsequen-zen ableiten. Erst wenn wir Klarheit da-rber haben, welche Wirkung die Nach-bartruppen, die vorgesetzte Kommando-stufe, die Luftwaffe, die EKF, aber auchdie Spezialkrfte direkt oder indirekt er-bringen, knnen wir uns einerseits auf un-seren Auftrag konzentrieren und anderer-seits unsere Wirkung mit derjenigen derbrigen Verbnde koordinieren.

    Moderne Konflikte sind aber nicht reinmilitrische Operationen. Staatliche Ak-teure wie die Nationale Alarmzentrale, diePolizei oder das Grenzwachtkorps leisteneinen wesentlichen Beitrag zur Konflikt-bewltigung. Eine enge Kooperation ist

    deshalb erfolgsrelevant. Deren Wirkungs-mglichkeiten, sowohl im Bereich desNachrichtendienstes wie auch im Bereichder Operationen, sind ebenfalls in die La-gebeurteilung mit einzubeziehen.

    Hybride Bedrohungintegral erkennen

    Moderne Konflikte haben hybridenCharakter: regulre Streitkrfte, irregul-re Streitkrfte, Terroristen und das organi-sierte Verbrechen treffen in unterschied-licher Strke und Intensitt im gleichenRaum auf einander.

    Die Konflikte brechen aber auch nichtvllig berraschend vom Zaun. Meist wer-den Mittel und Methoden des Wirtschafts-und des Informationskrieges schon vordem eigentlich Ausbruch des bewaffnetenKonfliktes eingesetzt. Parallel dazu werdenNachrichten beschafft, nicht zuletzt auchim Cyber-Raum.

    Erst wenn diese vorbereitenden Ope-rationen den angestrebten Effekt zeigen,wird zur nchsten Eskalationsstufe ge-schritten, indem Sonderoperationskrf-te und irregulre Streitkrfte mit ge ziel-ten Anschlgen, berfllen, Attentatenund Handstreichen Schlsselpersonenausschalten und Schlsselinfrastrukturenlahmlegen.

    Die Fragen stellen sich in einer solchenLage, ob einerseits der angegriffene Staatber die notwendigen zivilen Mittel und

    die Resilienz verfgt, um der Bedrohungwirksam entgegentreten zu knnen undandererseits, wann er die Kriegsschwelleals berschritten erachtet.

    Der Angreifer, sei er staatlich oder nicht-staatlich organisiert, wird so lange wie

    mglich danach trachten,unterhalb der Kriegsschwel-le zu agieren und damit auchdie umfassende ma teriellewie psycholo gi sche Mobil-machung des angegriffenenStaates zu vermeiden. Ganzim Sinne von Sun Zsu wird

    er durch kluges Handeln Bedingungenschaffen, welche geeignet sind, den Feindmit mglichst geringem Gewalteinsatz be-siegen zu knnen. Mit Angriffen unter-halb der Kriegsschwelle soll demnach dieWiderstandskraft des angegriffenen Staa-tes herabgesetzt werden.

    Nur bei Bedarf wird der Sieg anschlies-send gewaltsam errungen. Das bedeutet,dass in einer sp teren Konfliktphase mitdem Einsatz der Luftwaffe, von Raketenoder von Cruise Missiles zu rechnen ist.Kann die Niederlage des angegriffenenStaats damit noch nicht erreicht werden,ist auch davon auszugehen, dass eine Bo-denoffensive erfolgt. Allerdings: Diese Bo-denoffensive wird nicht nach dem Mus-ter entfalteter mechanisierter Divisionenablaufen, wie dies noch whrend des Kal-ten Krieges erwartet wurde. Die mechani-sierten Angriffe werden viel mehr rascheStsse entlang der Hauptverkehrsachsenin die strategischen Ziele, das heisst Wirt-schaftsrume und allenfalls Zentren derpolitischen Fhrung, sein.

    Richtige Konsequenzen ableiten

    Daraus sind primr drei Konsequenzenabzuleiten:

    1. Nahtlose bergnge bewltigenDer Einsatz der Armee drfte naht-

    los von einem Untersttzungseinsatz zuGunsten der zivilen Behrden in einen

    At the end of the dayAbtretende Generle sind gehalten, ihr Laufbahnende nach dem Motto

    Servir et disparatre zu gestalten. Mit einem Kommandowechsel ist aber

    immer viel Know-how-Verlust verbunden. Nicht im Sinne einer Belehrung,

    sondern im Sinne von prendre ou laisser mchte der Autor die nach-

    stehenden Erfahrungen und Empfehlungen verstanden haben.

    Prozesse allein gengen nicht.

    Entscheidend ist, dass die Armee im richtigen

    Moment das Richtige tut.

  • 36 Allgemeine Schweizerische Militrzeitschrift 07/2017

    Hhere Kaderausbildung

    Kampfeinsatz bergehen. Es ist somitdurchaus denkbar, dass in einzelnen Re-gionen Truppen, insbesondere unter derFhrung der Territorialdivisionen, die zi-vilen Behrden untersttzen, whrend ineinem Schwergewichtsabschnitt das Heer,als Einsatzverband Boden, den Verteidi-gungskampf fhrt.

    2. Massive Beeintrchtigung konternDer hybrid agierende Gegner wird

    unsere Truppen ab dem Einrcken mas-siv beeintrchtigen durch Attentate, Ter- ror anschlge, elektronische Streinstze, Blo ckaden und Desinformationskampag-nen. Eine ungestrte Mobilmachung, eine ungestrte einsatzbezogene Ausbildung(EBA) oder ein ungestrtes Ver weilen imBereitschaftsraum entsprechen deshalbeiner unrealistischen Vorstellung einesmodernen Konfliktes. Der Nachrichten-beschaffung im Verbund und dem Ei-genschutz der Truppe sind deshalb ab derMobilmachung grsste Bedeutung zuzu-messen.

    3. Schtzen und kmpfen knnen In der ersten Phase eines hybriden Kon-

    fliktes ist vor allem Schutz von Infrastruk-tur, von Rumen und von Hauptachsengefragt. Der bergang von einem Schutz-dispositiv in eine Kampfaufstellung kannaber sehr kurzfristig notwendig werden.Truppen, die ab Konfliktbeginn schtzenmssen, haben kaum mehr die Zeit, sichauf den Kampf vorzubereiten. Ihre Aus-bildung muss deshalb schon heute daraufausgerichtet sein, sowohl schtzen wieauch kmpfen zu knnen.

    Schmutzig denken

    Jede militrische Handlung geht vonder Bedrohung aus. Unsere eigenen Mg-lichkeiten und insbesondere unser Ent-schluss mssen eine direkte Antwort aufdie gegnerischen Mglichkeiten geben.Nur wird der Gegner seine Absicht solange wie mglich verschleiern und sogarversuchen, uns irrezufhren. Tuschungund Tarnung sind Disziplinen, in denenwir nicht glnzen. Eigenschaften wie Ehr-lichkeit,Verantwortungsbewusstsein,Vor-bildlichkeit, Selbstdis ziplin, Loyalitt undFrsorglichkeit sind wichtig und richtig.Aber nur gegenber den eigenen Truppen.Wer siegen und zu diesem Zweck denGegner vernichten will, muss ein gesun-des Mass an schmutziger Phantasie, Bru-talitt und Rcksichtslosigkeit besitzen.Sonst wird er durch den Gegner und sei-

    ne Aktionen permanent berrascht undfolglich geschlagen.

    Antizipieren

    Wir sind recht gut in der Aktionspla-nung und Befehlsgebung. Die Aktionspla-nung bercksichtigt aber primr die ersteGefechtsphase. Ob wir verteidigen oderangreifen: Der Gegner wird immer versu-chen, unsere Plne zu durchkreuzen. Sei-nem permanenten Bemhen, die Ini tia - tive zu gewinnen, knnen wir nur durchAntizipation begegnen. Die Hauptrolleder G2-Zelle ist somit nicht, die Lage aufder Karte nachzuzeichnen.Vielmehr musses den Nachrichtenspezialisten gelingen,die gegnerischen Optionen vorweg zu neh-men und damit dem Stab zu ermg li chen,die Eventualplanung laufend anzupassenund zu ergnzen, so dass der Komman-dant in keiner Gefechtsphase durch denGegner berrascht wird und laufend dieInitiative behalten kann.

    Schwergewicht bilden,Flexibilitt und Handlungsfreiheit

    sicherstellen

    Der Mannschaftsbestand der SchweizerArmee ist seit 1995 massiv geschrumpft.Gleichzeitig knnen die Truppenkrperaber dank Fhrungsinformatik, Mobi li ttund Feuerkraft eine be -deutend grssere Leis-tung erbringen. Trotz-dem, ein flchende-ckendes Dispositiv istnicht mehr mglich.Es besteht deshalb dieTendenz, dass die knap-pen Mittel mglichstgut verteilt werden. Da-mit wird insbesonderegegen den Grundsatzder Schwergewichtsbil-dung verstossen. Oderwie es der preussischeKnig Friedrich II. for-mulierte: Wer alles de-fendieren will, defen-dieret nichts.

    Der militrische Er-folg ist das Resultat derKonzentration berle-gener Krfte zur richti -gen Zeit am richtigenOrt. Die entscheidendeFrage ist somit nicht, obsich eine Mechani sierteBrigade mit einem oder

    zwei Bataillonen in Front dem Gegner an-nhert, sondern wie sie bei Kampfaufnah-me sicherstellt, dass sie unter Bercksich-tigung der Untersttzung durch die vorge-setzten Kommandostellen und die Nach-bartruppen einen Teil der gegnerischen

    Verbnde isoliert und mit berlegenenKrften vernichtet.

    Wer seine Krfte konzentriert, nimmtLcken und Risiken in Kauf. Daraus folgt,dass Schwer ge wichts bildung untrennbarmit der Wahrung der Handlungsfreiheitund der Flexibilitt verbunden ist. Fle-xi bilitt beginnt im Kopf und bedeu-tet die Fhigkeit, seinen Plan gender-ten Bedingen anzupassen und von einersich bietenden Gelegenheit Gebrauch zu machen. Handlungsfreiheit kann durch vorausschauende Planung, Nachrichten -beschaffung, Sicherung, das Ausscheidenvon Reserven, die Vergrsserung der Ver-sorgungsautonomie oder durch Geheim-haltung, Tarnung und Tuschung sicher-gestellt werden.

    Der Kampf findet heute primr im berbauten Gebiet und mitten

    in der Zivilbevlkerung statt.

    Wer alles defendieren will,

    defendieret nichts.

    Knig Friedrich II.von Preussen

  • 37Allgemeine Schweizerische Militrzeitschrift 07/2017

    Hhere Kaderausbildung

    Schwergewichtsbildung sowie das Si-cherstellen von Flexibilitt und Hand-lungsfreiheit beginnen mit der Aktions-planung. Entscheidend ist aber, dass durchNachrichtenbeschaffung und Antizipa tionpermanent die Voraussetzungen geschaf-fen werden, dass die Flexibilitt und dieHandlungsfreiheit gewahrt bleiben unddamit der Kommandant die Initiative be-hlt.

    der Grundausbildung durchaus eine Hil-fe sein. Sie hindern uns aber am freienDenken und halten uns deshalb milit-risch unmndig. Das Ziel der militri-schen Ausbildung darf nicht sein, die Pro-zesse und Formate zu beherrschen, son-dern stufengerecht das operative Den-ken, die Taktik bzw. die Gefechtstechnikzu verstehen. Wenn die Prozesse und For-mate nicht ohne Reglement bzw. Behelfverstndlich sind, dann sind sie zu kom-pliziert. Die Komplexitt von kriegeri-schen Ereignissen ist enorm. Es herrschtdas Chaos. Umso mehr mssen wir unsbemhen, Klarheit in den Gedanken zu

    schaffen und diese Gedanken einfach undverstndlich zum Ausdruck zu bringen.Und zwar schon in der Ausbildung, dennim Einsatz hat nur das Einfache Bestand.

    Fazit: At the end of the day zhlen we-der die Prozesse, noch die Formate. Eszhlt nur die Wirkung.

    Anmerkung der Redaktion:Brigadier Daniel Ltsch bernahm 2012

    die Generalstabsschule und prgte sie nach-haltig. 2006 bis 2011 fhrte er die Militr-akademie an der ETH Zrich, 20042005die Infanteriebrigade 7.

    Per 1. Juli 2017 tritt er den wohlverdien-ten Ruhestand an und bergibt die Gene-ralstabsschule Brigadier Maurizio Dattrino,Kommandant Gebirgsbrigade 9 (bis Ende2017). Wir danken Brigadier Ltsch fr sei-ne bisherigen, gehaltvollen Beitrge in derASMZ herzlich. AM

    Brigadier

    Daniel Ltsch

    Kdt Generalstabsschule

    (bis 30.06.2017)

    6000 Luzern 30

    Die Schwachstelledes Gegners angreifen

    Die Taktische Fhrung XXI sagte esdeutlich, die FSO 17 macht es etwas dis-kreter: Eines der wichtigsten Entscheid-kriterien fr taktische Entschlsse istdie Konzentration auf die gegnerischenSchwachpunkte. Gepaart mit einem ofteher statischen Ansatz der Verteidigung

    messen wir uns mit po-tenziell verhngnisvol-len Folgen oft mit derSpeerspitze des Gegners.Wir definieren und nut-zen Schwchen des Geg-ners nicht systematisch,beispielsweise indem wirdie gegnerische Fh-rungs-, Genie- oder Lo-gistikuntersttzung ge-zielt angreifen und aus-schalten.

    Der Gedanke des An-greifens gegnerischerSchwachstellen musssich bewusst und sys -tematisch als roter Fa-den von der Analyse derUmwelt ber die Analy -se der gegnerischen Mit-tel und die Entwicklunggegnerischer Mglich-keiten zu den eigenenMglichkeiten durch-ziehen. Erst dann wer-den wir unsere knappenMittel gleichzeitig kon-zentriert, konomischund wirkungsorientiertzum Einsatz bringen.

    Einfachheit bewahren

    Wir sind eine Friedensarmee. Das istgut so. Aber, John Keegan hat es ziemlichbrutal ausgedrckt: Peacetime armies, weforget, fossilize. Bureaucrats get to thetop. Das ist Ansporn genug, tglich dasGegenteil zu beweisen. Die meisten vonuns waren nie in einem Gefecht. Die per snliche Erfahrung bringt uns somitnur beschrnkt weiter. Der Versteinerungmssen wir deshalb durch Lektre, durchSelbstkritik, durch offene Gesprchs- undStreitkultur sowie durch Mut zum Versuchund zum Misserfolg entgegen halten.

    Wir mssen aber auch vom irrigenGlauben abkommen, wir knnten allesschriftlich regeln. Detaillierte Vorschrif-ten, Reglemente und Behelfe knnen inBilder: VBS

    Das Ziel der militrischen

    Ausbildung darf nicht sein,

    die Prozesse und

    Formate zu beherrschen,

    sondern stufengerecht

    das operative Denken,

    die Taktik bzw. die Gefechts-

    technik zu verstehen.

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