19
1 HOUSING FIRST WAS IST DARAN NEU IN DEUTSCHLAND? Ambulante Wohnungslosenhilfe Geschichte, Standort und aktuelle Herausforderungen BAG Wohnungslosenhilfe Prof. Dr. Volker Busch-Geertsema, GesellschaE für innovaJve Sozialforschung und Sozialplanung e.V. (GISS), Bremen Koordinator des European Observatory on Homelessness Berlin, 28. November 2016 THEMENSCHWERPUNKTE Prolog zur Vermeidung von Missverständnissen Was ist Housing First? ... und was ist nicht Housing First? Belege für Wirksamkeit des Ansatzes Was ist daran innovaAv für Deutschland? Schon Mainstream in Deutschland? Housing First, Stufensysteme und die gängige Praxis der WohnungsnoGallhilfe Ein Blick auf die Wohnungslosenhilfe in StuIgart und in Berlin Housing First is nice, but where is the housing?“ Muss Housing First schöne Illusion bleiben, weil keine Wohnungen verfügbar sind? Resümee

HOUSING FIRST WAS IST DARAN NEU IN …€¦ · AbsAnenz, Teilnahme an Therapien, Mitwirkung an Hilfeplänen als Voraus- ... Verbreitete Klage über „Systemsprenger“,

  • Upload
    lythuy

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

1

HOUSINGFIRST–WASISTDARANNEUINDEUTSCHLAND?

Ambulante Wohnungslosenhilfe – Geschichte, Standort und aktuelle Herausforderungen

BAG Wohnungslosenhilfe

Prof.Dr.VolkerBusch-Geertsema,GesellschaEfürinnovaJveSozialforschungundSozialplanunge.V.(GISS),BremenKoordinatordesEuropeanObservatoryonHomelessness

Berlin,28.November2016

THEMENSCHWERPUNKTE  PrologzurVermeidungvonMissverständnissen  WasistHousingFirst?� ...undwasistnichtHousingFirst?� BelegefürWirksamkeitdesAnsatzes

  WasistdaraninnovaAvfürDeutschland?  SchonMainstreaminDeutschland?HousingFirst,StufensystemeunddiegängigePraxisderWohnungsnoGallhilfe  EinBlickaufdieWohnungslosenhilfeinStuIgartundinBerlin  „HousingFirstisnice,butwhereisthehousing?“MussHousingFirstschöneIllusionbleiben,weilkeineWohnungenverfügbarsind?  Resümee

2

PROLOGZURVERMEIDUNGVONMISSVERSTÄNDNISSEN  UmMissverständnissenzuvorzukommen:� IchbinnichtderAuffassung,dassdieSozialsystemeindenUSA,inKanadaoderindenmeistenanderenEU-Ländernbessersindalsdasdeutsche!

� PosiAveBeispieleausanderenLändernwerdenziAert,weilwirdavonlernenkönnen,ohnegleichallesanderemitzuübernehmenundohnedieandern-ortsgemachtenFehlerzuwiederholen.

� KriAkangängigerPraxisinDeutschlandbedeutetnicht,dassSozialarbeitinderWohnungsnoGallhilfegrundsätzlichschlechteArbeitmacht;imGegenteil:o\guteArbeitunterschlechtenRahmenbedingungen.

� MeinVortragistkeinBeitragüberdieGeschichtederdeutschenWohnungs-losenhilfe.IndenletztenDekadenhatsichvieleszumBesserengewendet.Ichweißdasundfindeesgut.

� HousingFirstistkeinAllheilmiIelzurEliminierungvonWohnungslosigkeit.

WASISTHOUSINGFIRST?  HousingFirstbedeutetmöglichstschnelleIntegraAonvonWohnungsloseninabgeschlossenenunddauerha\enIndividualwohnraummitwohnbe-gleitendenHilfen,fallserforderlich.AnsatzstehtimGegensatzzurweitverbreitetenStrategiederschriIweisenIntegraAoninStufensystemen.  SowohlinUSA(„Con3nuumofCare“)alsauchinEuropaundinanderenTeilenderentwickeltenWeltStufensystemelangeZeitdasdominierendeModellderHilfefürWohnungslose.  ZahlderStufenundDurchlässigkeitvon„differenziertenHilfesystemen“magvariieren,aberauchheutenochistdieVorstellungverbreitet,dassvieleWohnungslose„Wohnfähigkeit“erstaußerhalbvonnormalemWohnraumerwerbenmüssen.

3

DIEWACHSENDEKRITIKANSTUFENSYSTEMEN  KriAkanStufensystemenrichtetsichaufeinabgestu\esSystemvonHilfen,diedurchlaufenwerdenmüssen,bevoreinreguläresWohnverhält-nisbeginnenkann(Notunterkün\e,Übergangswohnheime,„Trainings-wohnen”und„BetreutesWohnen”etc.bisschließlichzumBezugder„Finalwohnung”).  Wohnungslose„mitProblemen“müssensichindiesemSystemZugangzuNormalwohnraum„verdienen“durch„Mitwirkungsbereitscha@“,AbsA-nenz,EinhaltungvonHilfeplanvereinbarungenetc.  Problem:stufenweiserAufsAegscheiterthäufig,„Abstürze”nichtselten;vorgeseheneAufsAegsmöglichkeiteno\blockiert.  StufenleiterzurIntegraAonwirdhäufigzurRutscheindieAusgrenzung.Drehtüreffekteund„FrequentFlyers“.

ErsterWohnungsmarkt

mehrweniger

mehr wenigerpersönlicheHilfen,Betreuung,Kontrolle,Disziplinierung

Privatsphäre,Autonomie,Normalität

ZweiterWohnungsmarkt

Eingangsstufe

„Finalwohnung“ volle Mietsicherheit

Befristeter Aufenthalt, keine Mietsicherheit

Kleinwohnungen in Ein-richtungsnähe, Gemein-schaftsbereiche, Auf-enthaltsdauer befristet

Gemeinschaftsunterkunft, Einrichtung

Normale Wohnungen mit speziellem (Nutzungs-)Vertrag

Normale Wohnungen mit Mietvertrag

Trainingswohnungen, betreute Wohngemein-schaften etc.

STUFENSYSTEME

4

DIEWACHSENDEKRITIKANSTUFENSYSTEMEN  Stressund„Entwurzelung”durchdenZwangzumwiederholten„Umzug”zwischenverschiedenenUnterbringungsformen.  Fähigkeiten,dieininsAtuAonellenSeingsundzwangsgemeinscha\lichenWohnformenerlerntwerden,nichtunbedingtförderlichundübertragbaraufunabhängigesEinzelwohnen.  WahlmöglichkeitenundFreiheitensowiePrivatsphäreinsbesondereinunterenStufenstarkeingeschränkt.  BiszumEinzugindie„Finalwohnung“kannsehrvielZeitvergehenundzwischendenverschiedenenStufengehenzuvieleKlienAnnen/Klienten„verloren“.

DIEWACHSENDEKRITIKANSTUFENSYSTEMEN  LokaleStufensystemetendierenzurAusweitungimunterenBereich(„niedrigschwellige”Unterkün\e,WinterquarAereetc.),während„oben”Zugängeerschwertsind(„Flaschenhals“).  MitStufensystemenundSonderwohnformenamzweitenWohnungsmarktsteigtWohnungslosenzahlhäufig,anstaIzusinken.  GibtVermieternamregulärenWohnungsmarktGelegenheit,„Risikohaus-halte“an„zweitenWohnungsmarkt“zuverweisen.  StufensystemeundSonderwohnformentragenzurSAgmaAsierungvonWohnungslosenals„wohnunfähig”bei.  VerwaltungvonWohnungslosigkeitstaIgezielterReduzierung.  HousingFirstbeendetdagegenWohnungslosigkeitimerstenSchriI.

5

Wohnungslosigkeit…………………………………………………………………………

Trainingswoh-nungen,betreuteWohngemein-schaEenetc.

NormaleWohnun-genmitspeziellem(Nutzungs-)Vertrag

NormaleWohnungen

mitMietvertrag

BegleitendeflexiblepersönlicheHilfen

Eingangsstufe

HOUSINGFIRST

WASISTHOUSINGFIRST?  Programm,mitdemWohnungslosedirektindauerha\enWohnraumgebrachtwerden,ohneBedingung,vorher„Wohnfähigkeit”zuerlangen.  PersönlicheHilfenwerdennachdrücklich(„asser3ve“)angeboten,aberAnnahmeistfreiwillig.  TherapieteilnahmeoderAbsAnenzkeineBedingung,VorrangfürRisiko-minimierungundSchadensreduzierung(„harmreduc3on“).  HousingFirst=„Learningbydoing“.RealeWohnbedingungenmitdenHerausforderungendesindividuellenWohnens(Selbstversorgung,finan-zielleVerbindlichkeiten,Hausordnung,Schlüsselgewalt,ZurechtkommenmitderNachbarscha\,mitLangeweileetc.).  PionierinNewYork:PathwaystoHousing.AusschließlichkonzentriertaufWohnungslosemitpsychischenErkrankungenundSuchtmiIelmissbrauch.

6

WASISTHOUSINGFIRST?DIEGRUNDPRINZIPIEN  DieachtGrundprinzipienvonPathwaystoHousinga)  housingasabasichumanright:WohnungalsGrundrecht(Wohnfähigkeitnicht

Voraussetzung;aberwöchentlicherHausbesucho\verpflichtend)b)  respect,warmthandcompassionforallclients:Respekt,WärmeundMitgefühlfür

alleKlienAnnenundKlientenc)  acommitmenttoworkingwithclientsforaslongastheyneed:Hilfegewährungso

lange,wieHilfebenöAgtwirdd)  scaOered-sitehousing;independentapartments:dezentralerIndividualwohnraum

(nichtmehrals20%proHäuserblock)e)  separa3onofhousingandservices:TrennungvonWohnungundUnterstützungf)  consumerchoiceandself-determina3on:WahlmöglichkeitenundSelbstbesAmmungg)  arecoveryorienta3on:OrienAerungaufdenHeilungsprozessh)  harmreduc3on:Schadensminimierung;akzepAerenderAnsatz

WASISTNICHTHOUSINGFIRST

  WasdieDefiniAonvonHousingFirstausschließt:� VorherigeStufenund„Wohnfähigkeit“alsAufnahmevoraussetzung� AbsAnenz,TeilnahmeanTherapien,MitwirkunganHilfeplänenalsVoraus-setzungfürAufnahmeundVerbleibinderWohnung(VerpflichtungzuwöchentlichemKontaktaberkompaAbel)

� Befristung,nachderdieWohnungwiederverlassenwerdenmuss,wennsichHilfebedarfverringerthatoderHilfenauslaufen(hemmtNormalisierungs-prozess,schwächtMoAvaAon,keineBleibeperspekAve)

� Zwangsgemeinscha\lichesWohnenundWohnformen,beidenenKücheodersanitäreAnlagengeteiltwerdenmüssen

� UnmiIelbareVerknüpfungvonVermietungundBetreuung� HousingFirstistnicht„HousingOnly“!Pro-akAveundhäufigmulAdisziplinärewohnbegleitendeHilfenvonerheblicherIntensität

7

ABWEICHUNGENINDERPRAXIS

  NichtalleHousing-First-ProjektefolgendemPionier-Beispiel:� InderRegelFokussierungaufbesondersausgegrenzteWohnungslosemitkom-plexenProblemlagen(NegaAvauslese);abernichtimmermitpsychiatrischerDiagnose,häufigauchstärkerausgerichtetaufWohnungslosemitSuchtproble-maAk

� „ProjectbasedHousingFirst“:konzentrierteVersorgungmitUnterstützungs-serviceimHaus(„SeaIlemodel“,aberauchz.B.inFinnland);umstriIen,weilIntegraAonschancenminderndundinsAtuAonellenCharakterverstärkendundweildiemeistenWohnungslosenverstreutenIndividualwohnraumbevorzugen;erfordertaberdifferenzierteDebaIe

� „Windowdressing“,nachdemHFinUSAalsevidenzbasierteMaßnahmeaner-kanntundgefördertwird;Mischformen(inWGs,mitgeringerPersonalintensität,anderenZielgruppenetc.)auchinEuropa

� DebaIezurProgrammtreue(fidelitytests)

BELEGEFÜRDIEWIRKSAMKEITVONHOUSINGFIRST  LetzteDekade:RandomisedControlledTrials(derGold-StandardinderWirkungs-forschung)inUSAbelegenhohenWohnungserhalt(undgeringereKosten)  VonderEU-KommissionfinanziertesHousing-First-Europe-Projekt:hoheWoh-nungserhalt-Quoten(80–>90%)fürunterschiedlicheZielgruppeninviervonfünfStädten(Amsterdam,Glasgow,Kopenhagen,Lissabon)  InzwischenEvidenzauszahlreicheneuropäischenLändern:landesweitePilotpro-jekteinFinnland,Dänemark,FrankreichundBelgien,durchwegmitsehrhohenQuotendesWohnungserhalts  PosiAveEvaluaAonsergebnisseauchausIrlandundGroßbritannien;zahlreicheEinzelprojekteindenNiederlandenundItalien,posiAvevaluierteEinzelprojekteinSpanienundPortugal  WeltweitgrößteskontrolliertesZufallsexperimentinKanada(„AtHome/ChezSoi“)übervierJahre.Sample:1.158WohnungslosemitpsychiatrischerDiagnoseinHousing-Firstund990imtradiAonellenSystem:hoherWohnungserhaltinHousing-First-Projekten

8

PARADOXESERGEBNISDERBEFRAGUNGVONPERSONALINHOUSINGFIRST-UNDTREATMENTFIRST-PROJEKTEN(PADGETT2016)

Front-LinePracJce

HousingFirstModel

TreatmentFirstModel

FocusonHousing

FocusonTreatment

HOUSINGFIRST:ENTWICKLUNGENAUFEU-EBENE  LeiGadenzurImplemenAerungdesHousing-First-AnsatzesundHousingFirstEuropeHubwurdeimJuni2016freigeschaltet.www.housingfirstguide.eu  EuropäischePeerReviewszudenStrategiengegenWohnungslosigkeitinFinnland(EliminierungderLangzeitwohnungslosigkeitmitHousingFirst,2012)undDänemark(landesweiterEinsatzvonHousingFirst,2014)sowiezuHousingFirstBelgium(April2016).  EmpfehlungenderEU-KommissionzurErprobungdesAnsatzesundderEntwicklungvonbreiteren„housing-led-strategies“,indeneneineUmori-enAerungvonNotversorgungs-undStufensystemenaufdiemöglichstrascheWohnungsversorgungvonallenWohnungslosenmitwohnbeglei-tendenHilfenbeiBedarfundAusbauvonPrävenAonforciertwird.

9

WASDARANISTINNOVATIVFÜRDEUTSCHLAND?  KonsequenteZurückweisungdes„Wohnunfähigkeits-Paradigmas“durchprakA-schenGegenbeweis  KonzentraAonaufWohnungslosemitkomplexenProblemlagenundderenweit-gehendvoraussetzungsloseundprioritäreVersorgungmitdauerha\emNormal-wohnraum  Überzeugenderundwissenscha\lichrobusterNachweisvonWohnungserhaltfürdiesePersonengruppe(Doppeldiagnosenetc.),niedagewesenebreiteBasisinternaAonalerForschungsergebnisse  HoherStellenwertvonFreiwilligkeitundPräferenzenderUser(Wohnungswahl,Einrichtung,individuelleZielsetzung,Art,InhaltundGeschwindigkeitderUnter-stützung)  InterdisziplinärerUnterstützungsansatz;Peer-Experts  KonsequenteVerfügbarkeitvonwohnbegleitendenHilfen,solangesiebenöAgtwerden

SCHONGÄNGIGEPRAXISINDEUTSCHLAND?  Housing-First-AnsatzentsprichtbedeutsamenTrendsinderEntwicklungsozialerundgesundheitlicherDienste,z.B.inPsychiatrie,AltenhilfeundJugendhilfe� Normalisierung� Individualisierung� Enthospitalisierung� Dezentralisierung

  ParadigmenwechselinderWohnungslosenhilfe� AbbauvonEinrichtungenundSonderwohnformen,AusbauvonPrävenAonundpersönlichenHilfeninWohnungen

� VonortszentriertenzupersonenzentriertenHilfen,vom„BetreutenWohnen“zurpersönlichenHilfeinWohnungen

10

SCHONGÄNGIGEPRAXISINDEUTSCHLAND?  „JederMenschbrauchteineWohnung“vielbeschworeneFormelinderLobbyarbeitvonVerbändenundVereinen,auchinDeutschlandundseitJahrzehnten.AberauchinderPraxisumgesetzt?  AmbulantvorstaAonär.Gesetzlichvorgeschrieben;bedeutsameEntwick-lungmitAusbauvonBeratungsstellenundvon„BetreutemWohnen“;allerdingshäufigerauch„EAkeIenschwindel“,wennausWohnheimenplötzlichambulantbetreuteWohnformenwerden.  AkzepAerendeAngeboteohneAbsAnenzgebot:je„niedrigschwelliger“,destoverbreiteter.  VerfügbarkeitwohnbegleitenderHilfen,solangesiebenöAgtwerden?DergesetzlicheAnspruchistda,aberwiesiehtdiePraxisaus?

SCHONGÄNGIGEPRAXISINDEUTSCHLAND?  ExWoSt-Forschungsfeld„Dauerha\eWohnungsversorgungvonObdach-losen“undeinzelneEvaluaAonsprojektebelegenErfolgvonMaßnahmenderWohnintegraAon.  EinzelneProjekterealisierenHousing-First-Konzepte,ohnesiesozunen-nen,abervielesindesnichtunddiemeistenrealisierennichtallegenann-tenPrinzipien(SozialeWohnraumagenturen,Projekt„Lebensplätze“inMünchen,DiakoniewerkDuisburg,DiakoniesA\ungHerford,KreuznacherDiakonie,StadtBielefeld...).  „HousingFirst“-ProjektderDiakonieinGießenmitEHAP-Förderung(abernurbedingtNegaAvauslese,„Probewohnen“undWohnbegleitungso-langewienöAgistzumindestinFragegestellt,durchzeitlicheBegrenzungdesProjektesundengeBegrenzungderUnterstützungskapazitäten).

11

SCHONGÄNGIGEPRAXISINDEUTSCHLAND?  Aber...� „Wohnunfähigkeits“-ParadigmainderPraxisweitverbreitet� AmbulantBetreutesWohnenhäufigamEndeder„HilfekeOe“undbefristet;immerhäufigerinTrägerwohnungenohneAussichtaufVerbleib

� Bei„differenziertenHilfesystemen“Stufengedankehäufiginhärent,o\auchschonbeiderBenennung(Aufnahmehaus,Übergangswohnheim,Trainings-module,Probewohnen,Interimswohnung...)

� HilfeplänesindsehrhäufigdaranorienAert:„…erstmalzurRuhekommen“,„Wohnfähigkeiterlangen“,StandardformulierungeninzahlreichenHilfeplä-nen:„…desWeiterenmussderVersuch,sichselbereineWohnungzusuchen,vorläufigunterbundenwerden,daerbishernochnichtinderLagewäre,siealleinlängerfris3gzuhalten.“

� Ausbauvon„niedrigschwelligen“AngebotenundWinterquarAeren;neueEin-richtungstypen(„Hotel/PensionPlus“);Ausweitungvon„Probewohnen“mitordnungsrechtlicherEinweisungoderFreienTrägernalsZwischenvermietern

SCHONGÄNGIGEPRAXISINDEUTSCHLAND?  VerbreiteteKlageüber„Systemsprenger“,„nichtUnterbringungsfähige“  VermeintlichhoherAnteilpsychischerErkrankungenvonWohnungslosenalsArgumentfürErhaltundAusbaustaAonärerEinrichtungen  PrioritäreVersorgungvonWohnungslosenmitkomplexenProblemlagenindauerha\emIndividualwohnraum?NegaAvauswahl??GängigePraxisseit30JahreninDeutschland???  VerbreiteterIrrtumbeiFunkAonären,dassPapiereundEmpfehlungenderVerbändedieRealitätwiderspiegeln  Irrtumder„altenHasen“,dassErkenntnissederVergangenheitproblem-losauchdiePraxisderGegenwartprägen(„Schondamalsgalt:OhneWohnungkannWohnungslosigkeitnichtbeendetwerden.“„DashatHeinrichHoltmannspöOer/Karl-HeinzMarciniak/AndreasStrunkvor30Jahrenschongesagt.“)

12

EINBLICKAUFDIEWOHNUNGSLOSENHILFEINSTUTTGART  StuIgarthateinausgesprochenbreitesunddifferenziertesSystemvonSonderwohnformenfürWohnungslose.LautStudiederGISS(2015)� 7staAonäreEinrichtungenmit356Plätzen� 7teilstaAonäreAngebotemit268Plätzen� 9Aufnahmehäusermit151Plätzen� IntensivbetreuteWohngruppenmit30Plätzen� AmbulantBetreutesWohnennach§§67ff.SGBXIIinunterschiedlichenWohnformenundnachunterschiedlichenLeistungstypenmit821Plätzen

� BetreutesÜbergangswohnennach§16aSGBIImit167Plätzen� BegleitetesWohnenineigenemWohnraummit107Plätzen� Notübernachtungin14Einrichtungenmit48Plätzen+81PlätzeinWinternotquarAeren

� Fürsorgeunterkün\eund„Interimswohnungen“

EINBLICKAUFDIEWOHNUNGSLOSENHILFEINSTUTTGART  GanzoffensichtlichisttrotzvielerguterAnsätzeundeinesdifferenziertenBeratungsangebotsinStuIgartHousingFirstnicht„gängigePraxis“.  ZweiterWohnungsmarktinStuIgart:Mehrals1.800PlätzebeifreienTrägernplusstädAscheUnterkün\eplusInterimswohnungenplusEinrichtungenohneBetreuungundPensionen.....  WohnungsmangelundBarrierenfürWohnungslosebeimZugangzuWohnraum–nichtnurinStuIgart–fragloszentraleHürdefüreinekon-zepAonelleUmorienAerung  VieleSonderwohnformenbefindensichbereitsinWohnungen,dieviel-leichtauchzurdauerha\enWohnungsversorgungvonWohnungslosengenutztwerdenkönnten(?)  EigeninteressenderTrägervonwohnbezogenenAngebotenkeineHürde?

13

EINBLICKAUFDIEWOHNUNGSLOSENHILFEINBERLIN  AnfragenimAbgeordnetenhaus2013und2016(Drs.17/12964u.17/18478):� Ende2015über21.000wohnungslosePersonen,gegenüber2012starkgesAegenauchaufgrunddergroßenZahlanerkannterFlüchtlinge.

� 2015Mehrheitinkommunaler/gewerblicherUnterbringung(rd.17.000),ZahlderPersoneninbetreutenWohnmaßnahmennach§§67ffSGBXIIüberJahrekaumverändert(lautSenatsverwaltungkeinewesentlichenÄnderun-genseit2012indiesemBereich,ca.4.500–4.600PersonenamSAchtag)

� ImLaufedesJahres2012(lautDrs.17/12964)§  319inKriseneinrichtungen§  727inÜbergangshäusern§  694inBetreutemGruppenwohnen§  468inBetreutemGruppenwohnenfürehemalsDrogenabhängige§  2.805imLeistungstypWohnungserhaltundWohnungserlangung§  5.985imBetreutenEinzelwohnen(BEW),überwiegendinTrägerwohnungen

EINBLICKAUFDIEWOHNUNGSLOSENHILFEINBERLIN� AusderAntwortaufdieAnfrage:„SogenannteTrägerwohnungenwerdenzurDurch-führungvonambulantenMaßnahmennach§§67ffSGBXIIfürwohnungsloseLeis-tungsberech3gtevorgehalten.DieTrägermietenWohnungenaufdemfreienWoh-nungsmarktalsHauptmieteranundschließenaufderrechtlichenGrundlagedes§549Abs.2Nr.3BGBfürdenMaßnahmezeitraumbefristeteUntermietverträgemitdenLeistungsberech3gtenab.(..)DieWohnungensindamEndederMaßnahmevondenLeistungsberech3gtenzuverlassen,umzumeinenneuenLeistungsberech3gtenPlätzeanbietenzukönnen,zumanderen,weilWohnungsgeberinnenundWohnungs-geberseiteinigenJahrenüberwiegendnichtmehrbereitsind,beiAbschlussderMaßnahmemitdenLeistungsberech3gtenselbstdauerha@eMietverträgeabzu-schließen.DieLeistungsberech3gtenbleibenwährendderZeitderMaßnahmeimStatus„wohnungslos“.SiesindzurWohnungssucheaufdenfreienWohnungsmarktangewiesenundsollendabeivondenLeistungs-anbieternimRahmenderMaß-nahmeunterstütztwerden.“

�  Also„zweiterWohnungsmarkt“inerheblichemUmfang,größtenteilsin„ambulanten“Sonderwohnformen

14

ALLESNURSCHÖNEILLUSION?„HOUSINGFIRSTISNICE,BUTWHEREISTHEHOUSING?“  HousingFirstAnsatzwurdeerstmalsinNewYorkumgesetzt:Keinent-spannterWohnungsmarkt!  DebaIeumHousingFirstsetztZugangzubezahlbaremNormwalwohn-raumwiederinsZentrumderAuseinandersetzung.  (Weiterer)AusbaudeszweitenWohnungsmarktesistkeineLösung,sondernTeildesProblems.  EsgibteinquanAtaAvesProblem(NachfrageübersteigtdenBedarf,insbe-sonderebeiKleinwohnungen)undeinspezifischesZugangsproblem(Schufa-Anfragen,Bezahlbarkeit,AblehnungvonWohnungssuchendenmitUnterstützungsbedarf).

ALLESNURSCHÖNEILLUSION?„HOUSINGFIRSTISNICE,BUTWHEREISTHEHOUSING?“  KrisedurchFlüchtlingszuwanderunghatWohnungsmangelverschär\,aberBedarfanzusätzlichemWohnraumauchüberdeutlichgemachtundvielerortsgezeigt,wasgeht,wennpoliAscherWillevorhandenist.  AllgemeineAusweitungdesWohnungsangebotsreichtnichtaus.GezielteMaßnahmenzurVersorgungvonWohnungslosenmitdauerha\emIndividualwohnraumnöAg!  BauprojektederAmbulantenHilfesindposiAvesBeispiel.  JüngsteIniAaAvederDiakonieWürIembergmitpoliAschenForderungenzurSchaffungvonWohnraumebenso.  InsgesamtdeutlichmehrgezielteAnstrengungennotwendig!

15

ALLESNURSCHÖNEILLUSION?„HOUSINGFIRSTISNICE,BUTWHEREISTHEHOUSING?“  BeispielefürgezielteMaßnahmenzurVersorgungvonWohnungslosenmitdauerha\emIndividualwohnraum(1):� AusbauundflächendeckendeFörderungvonSozialenWohnraumagenturen(BeispielBelgien)

� SA\ungsmodellezumAnkaufundNeubau/UmbauvonWohnungenfürWohnungslose(BeispielY-SA\unginFinnland)

� KonsequenteNutzungkommunalenWohnungseigentums(BeispielSAGAHamburg)

� StärkeresEngagementvonKirchen(Grundstücke;Wohnimmobilien)undfreienTrägern(BeispielAHStuIgart)

� „Ethische“AnlagefürKleininvestoren(BeispielHeimstaIEsslingen)� SchwerpunktsetzungaufbezahlbarenKleinwohnungenimWohnungsneubau

ALLESNURSCHÖNEILLUSION?„HOUSINGFIRSTISNICE,BUTWHEREISTHEHOUSING?“  BeispielefürgezielteMaßnahmenzurVersorgungvonWohnungslosenmitdauerha\emIndividualwohnraum(2):� UmbauvonGewerbeimmobilienundz.B.ungenutztenKirchengebäuden(BeispielMünster)

� ErwerbundvertraglicheFestlegungvonBelegungs-undBesetzungsrechten� BeimVerkaufstädAscherGrundstückeundBaulandentwicklung:Städtebau-licheVerträgemitfestenVersorgungsquotenfürWohnungslose(BeispieleBremen,Hamburg;z.T.Münster,München)

� KooperaAonsverträgemitWohnungsunternehmen(Beispiel:GeschütztesMarktsegmentinBerlin,HamburgerKooperaAonsvertrag)

� StärkereNutzungprivatvermieteterObjekte(BeispielKarlsruhe;Verein-barungenmitHaus&Grund)

16

ALLESNURSCHÖNEILLUSION?„HOUSINGFIRSTISNICE,BUTWHEREISTHEHOUSING?“  BeispielefürgezielteMaßnahmenzurVersorgungvonWohnungslosenmitdauerha\emIndividualwohnraum(3):� BeseiAgung(oderVerringerung)bestehenderHürden(Schufa-Anfrage)undAngebotvonGaranAenundverlässlichenAnsprechpersonenfürdieWohn-begleitung

� Makleransätze(VermiIlung,ohneselbstzubewirtscha\en,BeispieleinLeverkusen,DuisburgundvielenanderenStädten)

� UnkonvenAonelleWohnformenfürbesondersschwierigzuversorgendeWohnungslose(Beispiel„Skævehuseforskæveexistenser“inDänemark)

� Undvielesmehr!

RESÜMEE  HousingFirstvielversprechenderAnsatz,umWohnungslosigkeitzuverrin-gern,anstaIweiterWohnungslosigkeitzuverwalten;inUSAundvielfachauchinEuropavorallemaufLangzeitwohnungslosemitkomplexenProb-lemlagenausgerichtetunddabeisehrerfolgreich.  DieWirksamkeitvonHousingFirstistinternaAonalundmitwissenscha\-lichrobustenStudienvielfachbelegt.  ZwischenzeitlichwirdHousingFirstimBereichderSuchtkrankenhilfeundderHilfenfürwohnungslosepsychischKrankeauchimdeutschsprachigenRaumzunehmendalsinnovaAverAnsatzrezipiertundverbreitet.  Umsoerstaunlicher,wielangeesdauert,bisderDiskursüberdenAnsatzauchinderFachdiskussionderdeutschenWohnungslosenhilfeanBedeu-tunggewinnt.

17

RESÜMEE  StaIsichzustreiten,obdasEineoderAndereauchinDeutschlandschongesagtundprakAziertwurde,giltes,diePotenzialevonHousingFirstzunutzen.  StufensystemeproblemaAschmitnicht-intendiertennegaAvenEffekten,möglichstkeinweitererAusbaumitdemHinweisaufWohnungsmarktlage!HousingFirstnichtdaseinzigeAngebotfürWohnungslose,einekleineGruppebedarfanderer,besondererWohnformen,einegrößerewenigerintensiveUnterstützungbeimWohnen.AberHousingFirstundrascheVersorgungWohnungslosermitNormalwohnraumzentralesElementjederStrategiezurReduzierungvonWohnungslosigkeit  ZugangzuWohnraumfastüberallzentralesProblem,auchdort,woHousingFirstprakAziertwird.ErfordertgezielteStrategienundÜberzeugung,dasszweiterWohnungsmarktmitSonderwohnformenkeinevernün\igeAlternaAveseinkann.

RESÜMEE  AuchunterschwierigenstrukturellenBedingungenZieleinerVerringerungvonWohnungslosigkeitnichtausdenAugenverlieren!DazubedarfesgezielterStrategienaufallenEbenen(Kommunen,Länder,Bund).  WohnraumversorgungnichtnureineMengenfrage,sondernauchundgeradeeineFragederVerteilungunddesZugangs.UmWohnungslosenZugangzuWohnraumzuermöglichen,müssenbestehendeInstrumentegenutztundneueentwickeltwerden(SA\ungsmodelle,SozialeWohn-raumagenturen,städtebaulicheVerträgeetc.).  WennZugangzuNormalwohnraum–gegebenenfallsmitwohnbegleiten-denHilfen–Dreh-undAngelpunktzurReduzierungvonWohnungslosig-keitist,mehrAnstrengungenzurgezieltenWohnungsbeschaffungfürWohnungslosenöAg.

18

RESÜMEE  NeubaubezahlbarerWohnungenbedeutsam,hil\Wohnungslosenabernur,wennunmiIelbarmitBelegungsquotenundprivilegiertemZugangverknüp\.  GebrauchtwerdengezielteNon-Profit-AnsätzezurWohnungsbeschaffungfürWohnungslose,imNeubauundvielmehrnochimBestand.  Flexibleundpro-akAveaufsuchendeHilfensindessenAellzurnachhalAgenReintegraAonvonWohnungslosenmitentsprechendemBedarfinnormalesWohnenundzurPrävenAon.  DieBeschaffungvondauerha\emIndividualwohnraumfürWohnungslosemussvielintensiverundnachdrücklicherverfolgtwerdenalsinderVer-gangenheit,undzwarnichtnuraufVerbandsebene,sondernvorallemundgeradeinkonkretenIniAaAvenvorOrt.

„HousingFirstendshomelessness,it‘sthatsimple“(SamTsemberis)

19

DANKEFÜRIHREAUFMERKSAMKEIT!

KONTAKT

Prof.Dr.VolkerBusch-Geertsema

Gesellscha\fürinnovaAveSozialforschungundSozialplanunge.V.(GISS)Kohlhökerstraße2228203BremenFon: +49-421–334708-2Fax: +49-421–3398835Mail: [email protected]: www.giss-ev.de