114
C Chemie C1 C Chemie B. Plewinsky M. Hennecke W. Oppermann Chemie ist die Wissenschaft von chemischen Reak- tionen und den physikalisch-chemischen Eigenschaf- ten von Stoffen. Chemie befasst sich mit der Zusam- mensetzung und der Struktur von Substanzen ebenso wie mit den Bedingungen und Auswirkungen von Re- aktionen. Im Hochschulbereich wird die Chemie häufig in die Anorganische Chemie, die Organische Chemie und die Physikalische Chemie unterteilt; daneben sind als Teilfächer die Analytische Chemie, die Technische Chemie, die Makromolekulare Chemie und die Theo- retische Chemie verbreitet. Chemie hat Übergangsgebiete zur Physik (Atom- und Molekülphysik, Thermodynamik, Halbleiterphysik), Biologie (Biochemie, Molekularbiologie), den Geo- wissenschaften (Kristallographie) und den Ingenieur- wissenschaften (Verfahrenstechnik, Werkstoffkunde, Umwelttechnik). 1 Atombau 1.1 Das Atommodell von Rutherford Lenard (1903) untersuchte die Streuung von Elek- tronen an Metallfolien. Die Ergebnisse dieser Mes- sungen ermöglichten Rückschlüsse auf die Größe der streuenden Metallatome. Bei der Verwendung langsa- mer (energiearmer) Elektronen ergab sich ein Atom- radius von etwa 10 10 m. Wurden schnelle Elektronen verwendet, so führten die Versuchsergebnisse zu ei- nem Radius von ca. 10 14 m. Rutherford führte mit α-Teilchen (das sind zweifach positiv geladene Heli- umatome) ähnliche Streuversuche an dünnen Goldfo- lien durch. In Übereinstimmung mit den Versuchsergebnissen, die Lenard mit schnellen Elektronen erhielt, ergaben Rutherfords Experimente einen Teilchenradius von etwa 10 14 m. Folgerungen Rutherfords: Ein Atom besteht demnach aus einer Hülle und einem Kern. Der Durchmes- ser des Atomkerns beträgt etwa 10 14 m, der der Hülle ungefähr 10 10 m. Im Kern des Atoms muss praktisch die gesamte Masse des Atoms vereinigt sein, da sonst eine Ablenkung der relativ schweren α-Teilchen nicht möglich ist. Um den positiv ge- ladenen Kern kreisen die fast masselosen, negativ geladenen Elektronen (Ruhemasse eines Elektrons m e = 9,1093897 · 10 31 kg) mit einer solchen Ge- schwindigkeit, bei der die Zentrifugalkraft durch die Coulomb’sche Anziehungskraft gerade kompensiert wird (Planetenmodell des Atoms). Kritik des Rutherford’schen Atommodells: Dieses Atommodell steht im Widerspruch zu den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik, wonach elektrisch geladene Teilchen, die eine beschleunig- te Bewegung ausführen, Energie in Form von elek- tromagnetischer Strahlung abgeben müssen. Des- halb können Elektronen in Atomen, die nach Ru- therfords Vorstellungen aufgebaut sind, den Kern nicht mit konstantem Abstand umkreisen, sondern müssten sich spiralförmig dem Atomkern nähern, um schließlich auf ihn zu stürzen. Eine Erklärung der Linienstruktur der Atomspek- tren (vgl. B 20.4) ist mit diesem Atommodell nicht möglich. 1.2 Das Bohr’sche Atommodell Um die unter 1.1 erwähnten Widersprüche der Rutherford’schen Theorie zu beseitigen, stellte Niels Bohr die folgenden zwei Postulate als Grundlagen seines Atommodells auf: 1. Es gibt Elektronenbahnen, auf denen die Elektro- nen den Atomkern umkreisen können, ohne Ener- gie durch Strahlung zu verlieren (so genannte sta- tionäre Zustände). Es existiert eine diskontinuier- H. Czichos, M. Hennecke (Hrsg.), HÜTTE – Das Ingenieurwissen, DOI 10.1007/978-3-642-22850-6_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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C

Chem

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C1

C Chemie B. PlewinskyM. Hennecke

W. Oppermann

Chemie ist die Wissenschaft von chemischen Reak-tionen und den physikalisch-chemischen Eigenschaf-ten von Stoffen. Chemie befasst sich mit der Zusam-mensetzung und der Struktur von Substanzen ebensowie mit den Bedingungen und Auswirkungen von Re-aktionen.Im Hochschulbereich wird die Chemie häufig in dieAnorganische Chemie, die Organische Chemie unddie Physikalische Chemie unterteilt; daneben sind alsTeilfächer die Analytische Chemie, die TechnischeChemie, die Makromolekulare Chemie und die Theo-retische Chemie verbreitet.Chemie hat Übergangsgebiete zur Physik (Atom- undMolekülphysik, Thermodynamik, Halbleiterphysik),Biologie (Biochemie, Molekularbiologie), den Geo-wissenschaften (Kristallographie) und den Ingenieur-wissenschaften (Verfahrenstechnik, Werkstoffkunde,Umwelttechnik).

1 Atombau

1.1 Das Atommodell von Rutherford

Lenard (1903) untersuchte die Streuung von Elek-tronen an Metallfolien. Die Ergebnisse dieser Mes-sungen ermöglichten Rückschlüsse auf die Größe derstreuenden Metallatome. Bei der Verwendung langsa-mer (energiearmer) Elektronen ergab sich ein Atom-radius von etwa 10−10 m. Wurden schnelle Elektronenverwendet, so führten die Versuchsergebnisse zu ei-nem Radius von ca. 10−14 m. Rutherford führte mitα-Teilchen (das sind zweifach positiv geladene Heli-umatome) ähnliche Streuversuche an dünnen Goldfo-lien durch.In Übereinstimmung mit den Versuchsergebnissen,die Lenard mit schnellen Elektronen erhielt, ergabenRutherfords Experimente einen Teilchenradius vonetwa 10−14 m.

Folgerungen Rutherfords: Ein Atom besteht demnachaus einer Hülle und einem Kern. Der Durchmes-ser des Atomkerns beträgt etwa 10−14 m, der derHülle ungefähr 10−10 m. Im Kern des Atoms musspraktisch die gesamte Masse des Atoms vereinigtsein, da sonst eine Ablenkung der relativ schwerenα-Teilchen nicht möglich ist. Um den positiv ge-ladenen Kern kreisen die fast masselosen, negativgeladenen Elektronen (Ruhemasse eines Elektronsme = 9,1093897 · 10−31 kg) mit einer solchen Ge-schwindigkeit, bei der die Zentrifugalkraft durch dieCoulomb’sche Anziehungskraft gerade kompensiertwird (Planetenmodell des Atoms).

Kritik des Rutherford’schen Atommodells:– Dieses Atommodell steht im Widerspruch zu den

Gesetzen der klassischen Elektrodynamik, wonachelektrisch geladene Teilchen, die eine beschleunig-te Bewegung ausführen, Energie in Form von elek-tromagnetischer Strahlung abgeben müssen. Des-halb können Elektronen in Atomen, die nach Ru-therfords Vorstellungen aufgebaut sind, den Kernnicht mit konstantem Abstand umkreisen, sondernmüssten sich spiralförmig dem Atomkern nähern,um schließlich auf ihn zu stürzen.

– Eine Erklärung der Linienstruktur der Atomspek-tren (vgl. B 20.4) ist mit diesem Atommodell nichtmöglich.

1.2 Das Bohr’sche Atommodell

Um die unter 1.1 erwähnten Widersprüche derRutherford’schen Theorie zu beseitigen, stellte NielsBohr die folgenden zwei Postulate als Grundlagenseines Atommodells auf:

1. Es gibt Elektronenbahnen, auf denen die Elektro-nen den Atomkern umkreisen können, ohne Ener-gie durch Strahlung zu verlieren (so genannte sta-tionäre Zustände). Es existiert eine diskontinuier-

H. Czichos, M. Hennecke (Hrsg.), HÜTTE – Das Ingenieurwissen,DOI 10.1007/978-3-642-22850-6_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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C2 C Chemie

liche Schar solcher Bahnen. Für sie gilt die Be-dingung, dass der Drehimpuls des Elektrons einganzzahliges Vielfaches des Drehimpulsquantums� = h/2π sein muss (h = 6,62606896 · 10−34 J sPlanck-Konstante):

me vn rn = n�

me Ruhemasse des Elektrons,vn Geschwindigkeit des Elektrons auf der n-ten

Bahn,rn Radius der n-ten Bahn.

Die Zahl n, die als Haupt-Quantenzahl bezeichnetwird, kann ganzzahlige Werte von 1 bis unendlichannehmen.

2. Beim Übergang eines Elektrons zwischen zweistationären Zuständen wird rein monochromati-sche Strahlung emittiert bzw. absorbiert. Ihre Fre-quenz ν ist durch die Energiedifferenz ΔE der sta-tionären Zustände gegeben:

h ν = ΔE .

Leistung und Grenzen des Bohr’schen Atommodells– Atomspektren: Das Linienspektrum des Wasser-

stoffatoms (vgl. B 20.4) lässt sich, wie Balmerempirisch fand, durch die folgende Gleichungdarstellen:

ν = Rν

⎛⎜⎜⎜⎜⎝ 1

n2i

− 1

n2a

⎞⎟⎟⎟⎟⎠ , na > ni .

Rν = 3,28984195 · 1015 Hz Rydberg-Frequenz,ni, na Haupt-Quantenzahlen.Mithilfe der Bohr’schen Theorie ist es möglich,die Rydberg-Frequenz und damit das Spektrumdes Wasserstoffatoms zu berechnen. Anschau-lich lässt sich nach Bohr das Zustandekommendes Linienspektrums des Wasserstoffatomsfolgendermaßen interpretieren: Durch Energie-zufuhr wird das Elektron vom Grundzustand(n = 1) auf einen angeregten Zustand (na > 1)angehoben. Wenn das Elektron dann wieder aufeine energieärmere (kernnähere) Bahn (ni < na)zurückfällt, gibt es Energie in Form einesPhotons ab. Die Energie des Photons ist gleichder Energiedifferenz der beiden stationärenZustände (vgl. Bild 1-1).Die Spektren von Atomen mit mehr als einemElektron können mit Hilfe der Bohr’schen

Bild 1-1. Termschema des Wasserstoffatoms

Theorie nicht mehr quantitativ beschriebenwerden.

– Periodensystem: Das Bohr’sche Atommodell wur-de besonders von Sommerfeld verfeinert.Diese erweiterte Theorie ermöglichte es, die Syste-matik des Periodensystems (siehe 2) mithilfe wei-terer Quantenzahlen (siehe 1.4.2) zu deuten.

– Heisenberg’sche Unschärferelation: Nach Heisen-berg ist es nicht möglich, gleichzeitig genaue An-gaben über Ort und Geschwindigkeit von Partikelnzu machen. Es gilt (vgl. B 25.1):

ΔpxΔx ≥ h/2π = � .

Δpx, Δx Unbestimmtheit von Impuls- bzw. Ortsko-ordinaten derselben Raumrichtung.Als Folge dieser Theorie muss die Vorstellung ei-ner Teilchenbahn von Mikroobjekten – z. B. vonElektronen – aufgegeben werden.

1.3 Ionisierungsenergie, Elektronena³nitätAls Ionisierungsenergie wird die Energie bezeich-net, die zur Abtrennung eines Elektrons aus einemAtom A erforderlich ist. Dieser Vorgang kann durchfolgende Gleichung beschrieben werden:

A → A+ + e− .Von dem einfach positiv geladenen Ion A+ könnenweitere Elektronen abgegeben werden. Auf dieseWeise entstehen mehrfach geladene Ionen, z. B.:

A+ → A2+ + e− .

Page 3: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

1 Atombau C3

Tabelle 1-1. Elektronenaffinität EA einiger Atome

Vorgang EA/eVF + e− → F− −3,401Cl + e− → Cl− −3,613Br + e− → Br− −3,364I + e− → I− −3,059H + e− → H− −0,754O + e− → O− −1,461O + 2 e− → O2− +7,20

Die Ionisierungsenergie für die Abtrennung des ers-ten Elektrons ist für die Hauptgruppenelemente in denTabellen 10-1 bis 10-8 angegeben.Elektronenaffinität heißt die bei der Bildung negativgeladener Ionen aus Atomen freiwerdende oder benö-tigte Energie entsprechend der folgenden Reaktion:

A + e− → A− .An einfach negativ geladene Ionen können weitereElektronen angelagert werden, z. B.:

A− + e− → A2− .Tabelle 1-1 enthält einige Werte der Elektronenaffini-tät.

1.4 Das quantenmechanische Atommodell

1.4.1 DieΨ-Funktion

In der Quantenmechanik wird jedem Zustand ei-nes Atoms eine Funktion Ψ der Ortskoordinaten(x,y,z) seiner sämtlichen Elektronen zugeordnet(vgl. B 25.3). Aus diesen sog. Zustands- oderWellenfunktionen lassen sich im Prinzip sämtli-che Informationen über das System mathematischerrechnen. Die Wellenfunktion Ψ selbst hat keineanschauliche physikalische Bedeutung (Ψ nimmt inder Regel komplexe Werte an). Ihr Betragsquadrat|Ψ |2 jedoch kann als Wahrscheinlichkeitsdichtebzw. Elektronendichte interpretiert werden. BeimWasserstoffatom, das nur ein Elektron besitzt, gibt

|Ψ |2(x, y, z) dx dy dz

die Wahrscheinlichkeit an, das Elektron im Volumen-element dx dy dz anzutreffen. Entsprechend ist dasProdukt

e|Ψ |2(x, y, z) , e Elementarladung ,

die Elektronendichte an der Stelle x, y, z.

1.4.2 Die Schrödinger-Gleichungfür das Wassersto−atom

Die Wellenfunktionen der stationären Zuständekönnen durch Lösen der Schrödinger-Gleichung(vgl. B 25.3) ermittelt werden. Für das Elektronim Wasserstoffatom nimmt die zeitunabhängigeSchrödinger-Gleichung die folgende Form an:

∇2Ψ +8π2me

h2

(E − e2

r

)Ψ = 0 .

∇2 Laplace-Operator, me Ruhemasse des Elektrons, hPlanck-Konstante, E Gesamtenergie, e Elementarla-dung, r Radius.Zur Lösung der Schrödinger-Gleichung für das Was-serstoffatom ist es – wie auch bei der Behandlunganderer zentralsymmetrischer Probleme – zweckmä-ßig, eine Transformation der kartesischen Koordina-ten (x, y, z) in Kugelkoordinaten (Radius r, Winkelθ und ϕ) vorzunehmen. Die Schrödinger-Gleichunghat nur für ganz bestimmte Werte der Energie E Lö-sungen Ψ . Diese Energiewerte heißen Eigenwerte,die zugehörenden Lösungen werden Eigenfunktionenoder Eigenzustände genannt.

Gehört zu jedem Energieeigenwert nur ei-ne einzige Eigenfunktion, so bezeichnet mandiesen Eigenwert als nicht entartet. Gehörendagegen mehrere Eigenfunktionen zum glei-chen Energiewert, so spricht man von Entar-tung.

Die Lösungen der Schrödinger-Gleichung für dasWasserstoffatom haben die allgemeine Form

Ψn, l,m(r, θ, ϕ) = Rn, l(r)Yl,m(θ, ϕ) .

Rn, l(r) ist der Radialteil und Yl,m(θ, ϕ) der Winkel-teil der Wellenfunktion. Die Radialfunktion enthältnur die Parameter n und l, die Winkelfunktion nur lund m. Diese und ähnliche Funktionen, die die Zu-stände eines Elektrons in einem Atom beschreiben,werden häufig als Atomorbitale oder kurz Orbitale be-zeichnet. Die Parameter n, l, m sind Quantenzahlen.Sie werden folgendermaßen benannt (vgl. Tabel-le 1-2):Haupt-Quantenzahl nn = 1, 2, 3, . . .

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C4 C Chemie

Tabelle 1-2. Besetzungsmöglichkeiten der Elektronenzustände für die ersten vier Haupt-Quantenzahlen n;l Bahndrehimpuls-Quantenzahl, s Spin-Quantenzahl, Ze maximale Zahl von Elektronen gleicher Haupt-Quantenzahl

n Schale l Symbol magnetische Quantenzahl s Ze

1 K 0 1s 0 ±1/2 22 L 0 2s 0 ±1/2

1 2p −1, 0, +1 ±1/2 83 M 0 3s 0 ±1/2

1 3p −1, 0, +1 ±1/22 3d −2, −1, 0, +1, +2 ±1/2 18

4 N 0 4s 0 ±1/21 4p −1, 0, +1 ±1/22 4d −2, −1, 0, +1, +2 ±1/23 4f −3, −2, −1, 0, +1, +2, +3 ±1/2 32

Bahndrehimpuls-Quantenzahl (Neben-Quantenzahl) ll = 0, 1, 2, . . . , n − 1Magnetische Quantenzahl mm = −l,−l + 1, . . . ,−1, 0,+1, . . . , l − 1, l.Aus historischen Gründen bezeichnet man Zuständemit l = 0, 1, 2 und 3 als s-, p-, d- bzw. f-Zustände.Zustände gleicher Haupt-Quantenzahl bilden eine sogenannte Schale. Hierbei gelten folgende Bezeich-nungen: Zustände mit n = 1, 2, 3, 4 oder 5 heißenK-, L-, M-, N- bzw. O-Schale. Beim Wasserstoff-atom hängen die Eigenwerte der Energie nur von derHaupt-Quantenzahl n ab, d. h., innerhalb einer Scha-le sind alle Zustände entartet. Der Zustand niedrigsterEnergie (beim Wasserstoffatom bei n = 1) wird alsGrundzustand bezeichnet.Spin-Quantenzahl s: Elektronen haben drei funda-mentale Eigenschaften: Masse, Ladung und Spin(Eigendrehimpuls). Der Spin kann durch die Spin-Quantenzahl s charakterisiert werden. Bei Elektronenkann s die Werte + 1

2 und − 12 annehmen.

1.4.3 Darstellung der Wassersto−-Orbitale

Die Darstellung der Wellenfunktion erfordert mitden drei unabhängigen Variablen x, y, z bzw. r, θ, ϕ(vgl. 1.4.2) ein vierdimensionales Koordinatensys-tem.Zweidimensionale Teildarstellungen sind:

– Quasi-dreidimensionale Wiedergabe der Winkel-funktion Yl,m. Die in Bild 1-2 dargestellten Flä-chen entstehen, indem man in jeder Raumrichtungden Betrag abträgt, den die jeweilige Winkelfunk-tion für diese Richtung liefert.

Bild 1-2. Graphische Darstellung der Winkelfunktion vonOrbitalen des Wasserstoffatoms

Page 5: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

1 Atombau C5

– Darstellung des Radialteils der Wellenfunktion Rn, l

bzw. der Radialverteilung 4πr2 R2n, l als Funktion

des Radius r.

1.4.4 Mehrelektronensysteme

Infolge der Wechselwirkung zwischen den Elek-tronen ist die Schrödinger-Gleichung für Atomemit mehreren Elektronen nicht mehr exakt lösbar.Ein verbreitetes Näherungsverfahren besteht darin,die Wechselwirkung eines jeden Elektrons mit denanderen durch ein effektives Potential zu ersetzen,das dem elektrostatischen Potential der Anziehungdurch den Atomkern überlagert wird. Auf dieseWeise gelingt es, ein Mehrelektronensystem nä-herungsweise in lauter Einelektronensysteme zuentkoppeln, deren Schrödinger-Gleichungen dannseparat gelöst werden können. Die resultierendenOrbitale ähneln weitgehend denen des Wasser-stoffatoms. Sie haben dieselben Winkelanteile,jedoch andere Radialanteile als die entsprechendenWellenfunktionen des Wasserstoffatoms. Wie beimWasserstoffatom wird der Zustand eines Elektronsvollständig durch die Angabe der Werte der vierQuantenzahlen n, l, m und s beschrieben. DieEnergieeigenwerte hängen nun jedoch von n undl ab, d. h., gegenüber dem Wasserstoffatom ist diel-Entartung aufgehoben.Energien und Wellenfunktionen eines Atoms mitmehreren Elektronen werden nun aus denen dereinzelnen Elektronen aufgebaut: die Energien alsSumme, die Wellenfunktionen als Produkte derentsprechenden Einelektronenbeiträge.

1.5 Besetzung der Energieniveaus

Für ein Atom mit mehreren Elektronen erhält manden Grundzustand (in der oben beschriebenen Nähe-rung) durch Besetzung der einzelnen Orbitale nachfolgenden drei Regeln (häufig spricht man in diesemZusammenhang auch von der Besetzung der Energie-niveaus):

Energieregel: Die Besetzung der Niveaus mit Elektro-nen geschieht in der Reihenfolge zunehmender Ener-gie. Für diese Reihenfolge gilt in der Regel folgendesSchema:1s < 2s < 2p < 3s < 3p < 4s < 3d < 4p < 5s< 4d < 5p < 6s < 4f < 5d < 6p < 7s < 6d . . .

Pauli-Prinzip: In einem Atom können niemals zweioder mehr Elektronen in allen vier Quantenzahlenübereinstimmen.

Hund’sche Regel: Atomorbitale, deren Energieeigen-werte entartet sind, werden zunächst mit Elektronenparallelen Spins besetzt.Die Zahl der Elektronen, die die gleiche Haupt-Quantenzahl haben können, beträgt 2n2. DieseVerhältnisse sind in Tabelle 1-2 dargestellt.

1.6 Darstellungder ElektronenkonšgurationDie Zusammensetzung eines Atomzustandes ausZuständen seiner einzelnen Elektronen wird auch alsElektronenkonfiguration bezeichnet. Die Elektronen-konfiguration kann entweder symbolisch formelartigoder graphisch in der sog. Pauling-Symbolik ange-geben werden. Die formelartige Darstellung verläuftnach folgendem Schema: Der Haupt-Quantenzahlfolgt die Angabe der Neben-Quantenzahl in derhistorischen Bezeichnungsart. Als Exponent derNeben-Quantenzahl erscheint die Zahl der Elektro-nen, die das betrachtete Energieniveau besetzen.Bei der Pauling-Symbolik wird jeder durch die Quan-tenzahlen n, l und m charakterisierte Zustand durcheinen waagerechten Strich (oder durch ein Kästchen)markiert. Die Wiedergabe des Spinzustandes erfolgtmit einem Pfeil.Die Elektronenkonfiguration der Elemente ist in denTabellen 10-1 bis 10-8 enthalten.

Beispiel: Elektronenkonfiguration des Phosphor-atoms im Grundzustand (Ordnungszahl 15).

symbolische Darstellung, Pauling-Symbolik

1.7 Aufbau des AtomkernsDer Atomkern besteht aus Nukleonen (Einzelheitenvgl. B 17). Darunter versteht man positiv gelade-ne Protonen und elektrisch neutrale Neutronen.Die Massen von Protonen und Neutronen sind

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C6 C Chemie

annähernd gleich groß (mp = 1,672622 · 10−27 kg,mn = 1,674927 · 10−27 kg). Bei einem elektrischneutralen Atom ist die Zahl der Protonen oder dieKernladungszahl gleich der Zahl der Elektronenin der Atomhülle und gleich der Ordnungszahl imPeriodensystem (vgl. 2). Durch diese Zahl werdendie chemischen Elemente definiert:

Chemische Elemente bestehen aus Atomengleicher Kernladungszahl.

Als Massenzahl wird die Anzahl der in einem Atom-kern enthaltenen Protonen und Neutronen bezeichnet.Kernarten, die durch eine bestimmte Zahl von Proto-nen und Neutronen charakterisiert sind, werden all-gemein Nuklide genannt. Isotope sind Nuklide, diedie gleiche Zahl von Protonen, aber eine unterschied-liche Anzahl von Neutronen enthalten. Nuklide glei-cher Massenzahl heißen Isobare.Chemische Elemente können als Reinelemente oderals Mischelemente vorliegen. Reinelemente sind da-durch gekennzeichnet, dass alle Atome die gleicheZahl von Neutronen und damit auch die gleiche Mas-senzahl aufweisen. Bei Mischelementen kommen Nu-klide mit unterschiedlicher Anzahl von Neutronenvor. Es ist üblich, die Ordnungszahl unten und dieMassenzahl oben vor das Elementsymbol zu setzen.

Beispiele: Fluor ist ein Reinelement. Es existiert inder Natur ausschließlich in Form des Nuklides 19

9F.Kohlenstoff ist ein Mischelement. Die natürlich vor-kommenden Isotope sind 12

6C, 136C und 14

6C (Häufig-keiten: 98,89%, 1,11%, Spuren). 14

6C ist radioaktiv(Halbwertszeit T1/2 = 5730 a, vgl. 7.4.1) und zerfälltals β-Strahler in 14

7N.

2 Das Periodensystem der ElementeDas Periodensystem wurde erstmals 1869 vonL. Meyer und D. Mendelejew als Ordnungssystemder Elemente aufgestellt. In diesem System wurdendie chemischen Elemente nach steigenden Werten dermolaren Masse der Atome (vgl. 4.5) angeordnet. Dasgeschah schon damals in der Art, dass chemisch ähn-liche Elemente, wie z. B. die Alkalimetalle (vgl. 10.2)oder die Halogene (vgl. 10.8), untereinander standenund eine Gruppe bildeten. In einigen Fällen war esaufgrund der Eigenschaften der Elemente oder ihrer

Verbindungen erforderlich, dieses Ordnungsprin-zip durch Umstellungen zu durchbrechen, da sichsonst chemisch nicht verwandte Elemente in einerGruppe befunden hätten. So steht z. B. das ElementTellur vor dem Iod, obwohl die molare Masse desIods (126,9 g/mol) kleiner ist als die des Tellurs(127,6 g/mol).

2.1 Aufbau des PeriodensystemsDie verbreitetste Form des Periodensystems (vgl.Tabelle 2-1) besteht aus 7 Perioden mit 18 Gruppenbzw. 8 Haupt- und 8 Nebengruppen sowie denLanthanoiden und Actinoiden. Als Perioden werdendie horizontalen, als Gruppen die vertikalen Reihenbezeichnet. Die Reihenfolge der Elemente wird durchihre Ordnungszahl (Kernladungszahl, vgl. 1.7) be-stimmt. Die Besetzung der einzelnen Energieniveausgeschieht mit wachsender Ordnungszahl nach denin 1.5 angegebenen Regeln. Die Periodennummergibt die Haupt-Quantenzahl des höchsten im Grund-zustand mit Elektronen besetzten Energieniveausan. Innerhalb einer Gruppe des Periodensystemsstehen Elemente, die ähnliches chemisches Verhaltenzeigen. Die freien Atome dieser Elemente haben inder Regel die gleiche Elektronenkonfiguration in deräußersten Schale.Nach ihrer Elektronenkonfiguration werden die Ele-mente folgendermaßen eingeteilt:

– Hauptgruppenelemente (s- und p-Elemente) Beidiesen Elementen werden die s- und p-Niveausder äußersten Schale mit Elektronen besetzt. Unterden Hauptgruppenelementen befinden sich sowohlMetalle als auch Nichtmetalle. Die Eigenschaftendieser Elemente und ihrer Verbindungen sind inden Abschnitten 10.1 bis 10.9 behandelt. Nach dertraditionellen Nummerierung der Gruppen habendie Hauptgruppen den Kennbuchstaben a.

– Nebengruppenelemente (d-Elemente)Bei den Elementen dieser Gruppen werden die d-Niveaus der zweitäußersten Schale mit Elektronenaufgefüllt. Die Nebengruppenelemente sind aus-nahmslos Metalle, siehe Abschnitt 10.10 bis 10.17.Nach der traditionellen Nummerierung haben dieNebengruppen den Kennbuchstaben b.

– Lanthanoide und Actinoide (f-Elemente) sindin 10.18 und 10.19 besprochen. Bei diesenElementgruppen werden die 4f- (bei den Lantha-

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2 Das Periodensystem der Elemente C7

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)

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C8 C Chemie

noiden) bzw. die 5f-Niveaus (bei den Actinoiden)aufgefüllt. Sämtliche Elemente der beiden Ele-mentgruppen sind Metalle.

2.2 Periodizität einiger EigenschaftenAlle vom Zustand der äußeren Elektronenhülleabhängigen physikalischen und chemischen Eigen-schaften der Elemente ändern sich periodisch mit derOrdnungszahl. Für die Hauptgruppenelemente geltenz. B. folgende Periodizitäten (vgl. Tabelle 2-1):

– Atomradien. Innerhalb jeder Gruppe nehmen dieAtomradien von oben nach unten zu (vgl. Tabel-len 10-1 bis 10-16). Innerhalb einer Periode neh-men sie mit steigender Ordnungszahl ab.

Beispiel: Atomradien der Elemente der 2. Periode:3Li: 152 pm, 4Be: 112 pm, 5B: 79 pm, 6C: 77 pm,7N: 55 pm, 8O: 60 pm, 9F: 71 pm.

– Ionisierungsenergie. Innerhalb jeder Gruppenimmt die Ionisierungsenergie (vgl. 1.3) von obennach unten ab, innerhalb einer Periode von linksnach rechts zu. Die Alkalimetalle weisen beson-ders kleine, die Edelgase besonders große Werteder Ionisierungsenergie auf (vgl. Tabellen 10-1

bis 10-18).– Metallischer und nichtmetallischer Charakter.

Reaktivität. Der metallische Charakter nimmt vonoben nach unten und von rechts nach links zu,der nichtmetallische Charakter entsprechend inumgekehrter Richtung. In der I. und II. Hauptgrup-pe (Alkalimetalle und Erdalkalimetalle) sind nurMetalle, in der VII. und VIII. Hauptgruppe (Ha-logene und Edelgase) nur Nichtmetalle enthalten.In der III. bis VI. Hauptgruppe finden sich sowohlMetalle als auch Nichtmetalle.Die Reaktivität der Metalle wie der Nichtme-talle wächst entsprechend ihrem metallischenbzw. nichtmetallischen Charakter. Die reaktions-fähigsten Metalle sind die Alkalimetalle (vgl. 10.2),die reaktionsfähigsten Nichtmetalle die Halogene(vgl. 10.8). Die Elemente der VIII. Hauptgruppe,die Edelgase, sind außerordentlich reaktionsträge.

3 Chemische BindungFreie, isolierte Atome werden auf der Erde nur sel-ten angetroffen (Ausnahmen sind z. B. die Edelgase).

Meist treten die Atome vielmehr in mehr oder we-niger fest zusammenhaltenden Atomverbänden auf.Dies können unterschiedlich große Moleküle, Flüs-sigkeiten oder Festkörper sein (Beispiele: moleku-larer Wasserstoff H2, Methan CH4; flüssige Edelga-se, flüssiges Wasser H2O, flüssiges Quecksilber Hg;Diamant C, festes Natriumchlorid NaCl, metallischesWolfram W).Die mit der Ausbildung von Atomverbänden zusam-menhängenden Fragen behandelt die Theorie derchemischen Bindung. Folgende vier Grenztypen derchemischen Bindung werden unterschieden:– Atombindung (kovalente Bindung),– Ionenbindung,– metallische Bindung,– van-der-Waals’sche Bindung mit Wasserstoff-

brückenbindung.Häufig müssen zur Beschreibung des Bindungs-zustandes von Stoffen die Eigenschaften von zweiGrenztypen – meist mit unterschiedlicher Gewich-tung – herangezogen werden.

3.1 Atombindung (kovalente Bindung)

3.1.1 Modell nach Lewis

Nach den Vorstellungen von G. N. Lewis, die vorder Formulierung der Quantenmechanik entwickeltwurden, soll eine kovalente Bindung durch einzwei Atomen gemeinsam angehörendes, bindendesElektronenpaar bewirkt werden. Die Bildung des ge-meinsamen Elektronenpaares führt beim Wasserstoffzur Vervollständigung eines Elektronenduetts undbei den übrigen Bindungspartnern zur Ausbildungeines Elektronenoktetts. Die Vereinigung einzelnerspinantiparalleler Elektronen zu einem bindendenElektronenpaar führt stets zur Spinabsättigung. Diebindenden Elektronenpaare werden als Bindestrichezwischen die Atome eines Moleküls gesetzt. Dieanderen Valenzelektronen (Elektronen der äußerstenSchale) können so genannte einsame Elektronen-paare bilden, die als Striche um das jeweilige Atomangeordnet werden.

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3 Chemische Bindung C9

In einigen Fällen können auch zwei oder drei binden-de Elektronenpaare vorhanden sein.

(vgl. 11.3.1)

Wenn ein Partner beide Elektronen des bindendenElektronenpaares zur Verfügung stellt, spricht manvon koordinativer Bindung.

Beispiel: Bildung des Ammoniumions aus Ammoni-ak durch Anlagerung eines Wasserstoffions:

Die Zahl der kovalenten Bindungen, die von einemAtom ausgehen, wird als dessen Bindigkeit bezeich-net.

3.1.2 Molekülorbitale

Die Beschreibung der Elektronenstruktur vonMolekülen erfordert die Lösung der Schrödinger-Gleichung (vgl. 1.4.2). Diese ist nur für das einfachsteMolekül, das H+2 -Molekülion, exakt lösbar. Für dieBehandlung von Molekülen mit mehreren Elektronenmüssen daher – ähnlich wie bei der Beschreibungvon Atomen mit mehreren Elektronen (vgl. 1.4.4) –geeignete Näherungsverfahren angewendet werden.Das am weitesten verbreitete Näherungsverfahren istdie Molekülorbital-Theorie (MO-Theorie).In der MO-Theorie beschreibt man die Elektronen-zustände eines Moleküls durch Molekülorbitale.Im Gegensatz zu den Atomen haben MoleküleMehrzentrenorbitale. Molekülorbitale werden –ähnlich wie die Atomorbitale – durch Quantenzahlencharakterisiert. Die Besetzung der einzelnen Orbitaleim Grundzustand erhält man unter Berücksichti-gung der Energieregel, des Pauli-Prinzips und derHund’schen Regel (siehe 1.5). Die Elektronenkon-figuration von Molekülen kann entweder durch einZahlenschema oder durch die in Bild 3-1 und 3-2

dargestellte Symbolik angegeben werden.

Bild 3-1. MO-Energieniveauschema eines A2-Moleküls der1. Periode, Elektronenbesetzung für H2

Bild 3-2. MO-Energieniveauschema eines A2-Molekülsder 2. Periode, Elektronenbesetzung für O2

Molekülorbitale können in guter Näherung ausOrbitalen der am Bindungssystem beteiligten Atomedurch lineare Kombination aufgebaut werden. Manunterscheidet grob zwischen bindenden und lockern-den („antibindenden“) Molekülorbitalen, je nachdem,ob ihre Besetzung im Vergleich zu den Energien derbeteiligten Atomorbitale eine Energieabsenkung unddamit eine Stabilisierung des Moleküls oder aber eineEnergieerhöhung zur Folge hat.

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C10 C Chemie

Besonders übersichtlich ist diese Beschreibung beiMolekülen aus zwei gleichen Atomen, wie z. B. beimWasserstoffmolekül H2. Aus den beiden 1s-Orbitalender Wasserstoffatome Ha und Hb lassen sich zwei Li-nearkombinationen herstellen: die symmetrische

σ1s = (1s)a + (1s)b

und die antisymmetrische

σ∗1s = (1s)a − (1s)b .

Die umgekehrten Vorzeichenkombinationen (−−) und(−+) ergeben lediglich äquivalente Darstellungen der-selben Orbitale. Das σ-MO ist das bindende, σ∗ daslockernde MO; beide Orbitale sind rotationssymme-trisch zur Molekülachse.Bild 3-1 zeigt das entsprechende Energieniveausche-ma. Im Grundzustand des H2-Moleküls besetzen bei-de Elektronen den bindenden σ-Zustand.Die damit verbundene Energieabsenkung gegenüberden Grundzuständen der freien Atome (um die sog.Bindungsenergie) erklärt die Stabilität des Wasser-stoffmoleküls.Beim molekularen Sauerstoff O2 steuert jedes Atomsechs Valenzelektronen bei. Die Valenzschale derAtome besteht aus den 2s-Orbitalen und den dreientarteten 2p-Orbitalen. Kombiniert werden Atom-orbitale derselben Energie; die energetische Lageder resultierenden Molekülorbitale zeigt schematischBild 3-2. Aus den kugelsymmetrischen 2s-Orbitalensowie den zylindersymmetrischen 2px-Orbitalen,deren Achse mit der Molekülachse zusammenfällt,entstehen rotationssymmetrische, bindende und lo-ckernde σ- bzw. σ∗-MOs. Die restlichen 2p-Orbitaleergeben je zwei entartete bindende π- und lockerndeπ∗-Zustände; bei diesen Orbitalen ist die Rotations-symmetrie gebrochen. Nach der Hund’schen Regelwerden die beiden π∗-Zustände im Grundzustand desO2-Moleküls mit einzelnen Elektronen parallelenSpins besetzt. Molekularer Sauerstoff ist daherparamagnetisch.Bei größeren Molekülen, wie z. B. beim Methan CH4

(vgl. 11.3.1), erhält man bei der MO-theoretischenBehandlung des Bindungssystems Resultate, die zu-nächst der chemischen Erfahrung zu widersprechenscheinen. An den im Grundzustand besetzten Mole-külorbitalen sind alle fünf Atome beteiligt, d. h., stattvier äquivalenter und lokalisierbarer C–H-Bindungen

scheint die MO-Theorie vier über das ganze Moleküldelokalisierte Bindungen zu liefern. Mit sog. Hybri-dorbitalen (vgl. 3.1.3) lassen sich die Bindungsver-hältnisse beim Methan wie auch bei vielen anderenmehratomigen Molekülen in Übereinstimmung mitden klassischen Valenzstrichformeln der Chemie be-schreiben.Es gibt jedoch auch Moleküle mit delokalisierten Bin-dungen, wie z. B. 1,3-Butadien (vgl. 11.3.1) oder Ben-zol C6H6 (vgl. 11.3.3). Einen Extremfall delokalisier-ter Bindungen trifft man in Metallen an (vgl. 3.3).Die Lage der Energieniveaus in Molekülen lässt sichexperimentell z. B. mithilfe der Photoelektronenspek-troskopie bestimmen. Die gemessenen Werte zeigengute Übereinstimmung mit den nach der MO-Theorieberechneten. Die Übereinstimmung bestätigt, dass diein der MO-Theorie gemachten Näherungen brauchbarsind.

3.1.3 Hybridisierung

Die Begriffe Hybridisierung und Hybridorbitalewurden von L. Pauling eingeführt. Hybridorbitale(q-Orbitale) ergeben sich – im Gegensatz zu denMolekülorbitalen – durch Linearkombination vonOrbitalen eines Atoms. Sie werden mit Vorteilanstelle der Atom-Eigenfunktionen bei der Beschrei-bung gerichteter Bindungen verwendet. FolgendeHybridorbitale haben sich dabei besonders bewährt:

Hybrid- räumliche Beispieleorbital Anordnungsp linear Acetylen HC≡CH

(vgl. 11.3.1)sp2 eben trigonal Ethylen H2C=CH2

(vgl. 11.3.1)sp3 tetraedrisch Methan CH4, Ammoniak NH3,

Wasser H2O, Diamant C

Beispiele:Methan CH4: Das Kohlenstoffatom hat im Grundzu-stand die Elektronenkonfiguration 1s22s22p2 und ineinem angeregten Zustand 1s22s2p3. Die für dieseAnregung notwendige Energie heißt Promotionsener-gie. Ein weiterer Energiebetrag ist zur Bildung dervier sp3-Hybridorbitale notwendig. Die Elektronenbefinden sich jetzt im sog. Valenzzustand. DieserZustand ist spektroskopisch nicht beobachtbar. Das

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3 Chemische Bindung C11

bedeutet, dass isolierte Kohlenstoffatome nichtim Valenzzustand vorkommen können. Die sp3-Hybridorbitale sind nach den Ecken eines Tetraedersausgerichtet. Die Energieeigenwerte sind entartet.Zustandekommen der Bindung: Im CH4-Molekülüberlappen die vier Hybridorbitale des C-Atomsmit den s-Orbitalen von vier H-Atomen. H–C–H-Bindungswinkel im CH4-Molekül: 109°28′ (Tetra-ederwinkel).Ammoniak NH3: Das Stickstoffatom ist in dieser Ver-bindung sp3-hybridisiert. Die Hybridorbitale überlap-pen mit den s-Orbitalen von drei H-Atomen. Das vier-te Hybridorbital ist durch das einsame Elektronen-paar des N-Atoms besetzt. H–N–H-Bindungswinkeldes NH3-Moleküls (im Gaszustand): 107°.Wasser H2O: Analoges Verhalten wie beim NH3.Zwei Hybridorbitale überlappen mit den s-Orbitalenvon zwei H-Atomen, die beiden anderen Hybridor-bitale sind durch einsame Elektronenpaare besetzt.H–O–H-Bindungswinkel des H2O-Moleküls (imGaszustand): 105°.

3.1.4 Elektronegativität

Kovalente zweiatomige Moleküle mit Übergang zurIonenbindung weisen keine symmetrische Ladungs-verteilung auf. Daher haben solche Moleküle einpermanentes elektrisches Dipolmoment. Neben dieserGröße ist nach L. Pauling die Elektronegativität zurErfassung der Polarität von Atombindungen geeignet.

Erklärung: Die Elektronegativität ist ein Maß für dasBestreben eines kovalent gebundenen Atoms, Elek-tronen an sich zu ziehen.

Zur Bestimmung der (dimensionslosen Größe)Elektronegativität χ sind verschiedene Vorschlägegemacht worden. Viel benutzt wird die folgendeBeziehung nach Pauling:

χ = fEI + EA

2. (3-1)

f (≈0,56/eV) Proportionalitätsfaktor, EI Ionisierungs-energie, EA Elektronenaffinität.Die Elektronegativität der Hauptgruppenelemente istin den Tabellen 10-1 bis 10-7 angegeben. Im Peri-odensystem nimmt die Elektronegativität innerhalbeiner Periode von links nach rechts zu, innerhalb ei-ner Gruppe in der Regel von oben nach unten ab. Das

Element mit dem größten Wert der Elektronegativitätist das Fluor (χ = 4).

3.2 Ionenbindung

Verbinden sich Elemente mit starken Elektrone-gativitätsunterschieden, so können vollständigeElektronenübergänge stattfinden. Elektronen desAtoms mit der kleineren Elektronegativität gehenvollständig auf das Atom mit der größeren Elek-tronegativität über. Eine derartige Reaktion wirdals Redoxreaktion bezeichnet (siehe 9). Das sichdabei bildende positive Ion heißt Kation, das negativgeladene Anion. Aufgrund der ungerichteten elektro-statischen Anziehungskräfte kommt es zur Bildungvon Ionenkristallen.

Ionenkristalle werden auch als Ionenverbin-dungen oder als Salze bezeichnet.

Strukturen und Eigenschaften von Ionenkristallensind in 5.3.2 näher beschrieben.

Beispiel: Metallisches Natrium Na reagiert mit mole-kularem Chlor Cl2 unter Bildung von NatriumchloridNaCl. Dabei findet ein Elektronenübergang vom Na-trium zum Chlor statt:

2 Na(s) + Cl2(g) → 2 NaCl(s) .

χ = 1,0 χ = 3,0χ Elektronegativität.

Als Redoxgleichung formuliert (vgl. 9) wird derElektronenübergang augenfällig:

2 Na → 2 Na+ + 2 e−

Cl2 + 2 e− → 2 Cl−

2 Na(s) + Cl2(g) → 2 NaCl(s) .

3.2.1 Gitterenergie

Unter der Gitterenergie eines Ionenkristallsversteht man die Energie, die bei der Bildungder kristallinen Substanz aus den gasförmi-gen (bereits vorgebildeten) Ionen abgegebenwird.

Die Gitterenergie kann nur in wenigen Fällen direktgemessen werden. In der Regel wird sie mithilfe des

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C12 C Chemie

Tabelle 3-1. Molare Gitterenergie EmG einiger Salze

Substanz EmG/(kJ/mol)NaF −907NaCl −776NaBr −722NaI −662CsF −722CsCl −649CsBr −624CsI −588

Born-Haber’schen Kreisprozesses aus thermodyna-mischen Daten ermittelt. Tabelle 3-1 zeigt einigerepräsentative Werte der Gitterenergie.

3.2.2 Born-Haber’scher Kreisprozess

Die Bildung eines Salzes aus den Elementen kannnach Born und Haber in folgende Teilschritte unter-teilt werden (am Beispiel der Bildung von NaCl):

Bildung der gasförmigen Na+-Ionen:Na(s) → Na(g) ΔsublHm = 109 kJ/molNa(g) → Na+(g) + e− EmI = 496 kJ/mol

Bildung der gasförmigen Cl−-Ionen:1/2 Cl2 → Cl(g) 1/2ΔDHm = 121 kJ/mol

Cl(g) + e− → Cl−(g) EmA = −361 kJ/molKombination der gasförmigen Ionen zum Ionengitter:Na+(g) + Cl−(g) → NaCl(s) EmG = −776 kJ/molBildung von festem NaCl aus den Elementen:Na(s) + 1/2 Cl(g) → NaCl(s) ΔrH = −411 kJ/molΔsublHm molare Sublimationsenthalpie, EmI molareIonisierungsenergie, ΔDHm molare Dissoziationsent-halpie, EmA molare Elektronenaffinität, EmG molareGitterenergie, ΔrH Reaktionsenthalpie.(Molare Größen werden dadurch gebildet, dass dieentsprechenden extensiven Größen durch die Stoff-menge dividiert werden, Vorzeichen energetischerGrößen vgl. 6.2.3).Das folgende Schema zeigt die Reihenfolge derEinzelschritte beim Ablauf des Born-Haber’schenKreisprozesses:

Wie den Zahlenwerten entnommen werden kann,ist zur Bildung der gasförmigen Kationen eine hoheEnergie (ΔsublH + EI) aufzuwenden, die durch dieEnergie, die bei der Entstehung der gasförmigen Cl−-Ionen frei wird (1/2ΔDH + EA), nicht kompensiertwerden kann. Bei der Bildung des Ionengitters wirdjedoch eine beträchtliche Energie, die Gitterenergie,frei. Sie übertrifft die Energie, die zur Bildungder entgegengesetzt geladenen gasförmigen Ionennotwendig ist, bei weitem. Daher verlaufen sehr vieleReaktionen, bei denen Salze gebildet werden, starkexotherm (vgl. 6.2.3).

3.2.3 Atom- und Ionenradien

Aus der quantenmechanischen Beschreibung(vgl. 1.4) folgt, dass Atome und Ionen keine strengdefinierte Größe haben können. Dennoch werden sienäherungsweise als starre Kugeln mit konstantemRadius aufgefasst. Setzt man den Kernabstand vonNachbarn als Summe der Radien der beteiligten Ato-me oder Ionen an, so zeigen die daraus ermitteltenRadien i. Allg. eine bemerkenswert gute Konstanz.Die Atom- und einige Ionenradien der Hauptgrup-penelemente sind in den Tabellen 10-1 bis 10-8

aufgeführt. Durch Vergleich der Ionenradien mit denentsprechenden Atomradien folgt, dass die Kationenstets beträchtlich kleiner und die Anionen immer sehrviel größer als die entsprechenden Atome sind.

3.3 Metallische Bindung

Das klassische Elektronengasmodell der metallischenBindung geht davon aus, dass die Valenzelektronenin Metallen nicht mehr einem einzelnen Atom zuge-ordnet werden können, sondern dem Kristallgitter alsGanzem angehören. Jedes Metallatom kann eine be-stimmte Zahl dieser Elektronen abspalten. Das Me-tall besteht also aus positiv geladenen Metallionenund einem frei beweglichen „Elektronengas“, das dasGitter zusammenhält. Dieses Modell erklärt z. B. diehohe elektrische und thermische Leitfähigkeit sowiedie mechanischen Eigenschaften der Metalle, versagtaber bei der Beschreibung des Elektronenanteils dermolaren Wärmekapazität. Quantenmechanisch kön-nen die Bindungsverhältnisse in Metallen mit Hilfeder MO-Theorie interpretiert werden. Dabei tritt andie Stelle eines einzelnen Moleküls der Kristall als

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4 Chemische Gleichungen und Stöchiometrie C13

Ganzes. Nach dieser Theorie entstehen in einem Me-tallkristall delokalisierte Orbitale, die über den ge-samten Kristall ausgedehnt sind. Die Energiediffe-renzen zwischen benachbarten Kristallorbitalen sindaußerordentlich klein. Die dicht aufeinander folgen-den Energieniveaus sind in Energiebändern angeord-net (Energiebändermodell, vgl. B 16.1.2).Die Struktureigenschaften von Metallkristallen wer-den im Abschnitt 5.3.2 beschrieben.

3.4 Van-der-Waals’sche Bindungund Wassersto−brückenbindung(Nebenvalenzbindungen)

Folgende zwischenmolekulare Kräfte verursachen dievan-der-Waals’sche Bindung:– Orientierungskräfte, das sind Anziehungskräfte

zwischen permanenten elektrischen Dipolen;sie wirken zwischen polaren Molekülen, d. h.zwischen Molekülen mit einem permanentenelektrischen Dipolmoment, und

– Dispersionskräfte, das sind Anziehungskräfte zwi-schen induzierten elektrischen Dipolen; sie wirkenzwischen Atomen sowie zwischen polaren und un-polaren Molekülen.

Der Zusammenhalt von Flüssigkeiten und Festkör-pern, die aus unpolaren Molekülen aufgebaut sind,wird praktisch vollständig durch Dispersionskräftebewirkt (Beispiele: feste und flüssige Edelgasebzw. Kohlenwasserstoffe). Bei wasserstoffhaltigenVerbindungen mit SH-, OH- oder NH-Gruppensind neben den Orientierungskräften stets auchWasserstoffbrückenbindungen am Zusammenhaltdes Molekülverbandes beteiligt. Wasserstoffbrücken-bindungen sind z. B. für die Struktur und dieEigenschaften des festen und flüssigen Wassers(vgl. 5.2.3) und für die Struktur und die biologischeFunktion von Proteinen und Nucleinsäuren vongroßer Bedeutung.

4 Chemische Gleichungenund Stöchiometrie

4.1 Chemische FormelnJeder chemischen Formel können sowohl qualitativeAngaben über die Atomsorten, die in einer bestimm-

ten chemischen Verbindung enthalten sind, als auchquantitative Informationen entnommen werden. Diequantitative Information kann für eine Substanz, diedurch die Formel Aa Bb charakterisiert ist, folgender-maßen zusammengefasst werden:

N (A) /N (B) = n (A) /n (B) = a/b . (4-1)

In einem Molekül, das durch die FormelAaBb, gekennzeichnet ist, verhält sich dieZahl der Atome der Sorte A zur Zahl derAtome der Sorte B wie a zu b.

Gleichung (4-1) bildet die Grundlage der Ermittlungvon chemischen Formeln aus den Ergebnissen quali-tativer und quantitativer Analysen.Beispiel: Ein bestimmtes Antimonoxid (chemischeFormel SbxOy) weist einen Sauerstoffmassen-anteil von 24,73% auf, M(Sb) = 121,8 g/mol,M(O) = 16,0 g/mol. Für das Stoffmengenverhältnisgilt:n(O)/n(Sb) = y/x. Mit nB = mB/MB erhält man:

m (O) M (Sb)M (O) m (Sb)

=24,73 g · 121,8 g/mol

16,0 g/mol (100 − 24,73) g

=yx=

2,51=

52.

Das Antimonoxid hat also die chemische For-mel (Sb2O5)k. Der Faktor k (positive ganze Zahl)kann allein aufgrund der Ergebnisse quantitati-ver Analysen nicht ermittelt werden. Hierzu sindz. B. Bestimmungen der molaren Masse (bei Ga-sen: Zustandsgleichung idealer Gase, bei gelöstenStoffen: Messung des osmotischen Druckes, derLichtstreuung, Ultrazentrifugation) oder röntgen-strukturanalytische Verfahren notwendig. Im Falledes Antimonoxids nimmt k sehr große Werte an, dadie Verbindung polymer ist.

4.2 Chemische Gleichungen

Chemische Reaktionen können qualitativ und quanti-tativ durch Umsatzgleichungen beschrieben werden.So kann z. B. der Gleichung

Zn + 2 HCl → ZnCl2 + H2(g)

entnommen werden, dass das Metall Zink (Zn) mitSalzsäure (wässrige Lösung von HCl) unter Bildung

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C14 C Chemie

des Salzes Zinkchlorid (ZnCl2) und gasförmigemWasserstoff (H2(g)) reagiert. Quantitativ folgt z. B.,dass die Zahl der Zinkatome, die bei der Reaktionverbraucht werden, gleich der Zahl der Wasserstoff-moleküle ist, die bei der Reaktion gebildet werden.Mit der Formel

N(Zn) = N(H2)

kann dieser Sachverhalt wesentlich kürzer dargestelltwerden. Da die Teilchenzahl N der Stoffmenge n pro-portional ist, gilt ferner:

n(Zn) = n(H2) .

Verallgemeinert man diesen Sachverhalt, so gilt fürdie vollständig (oder „quantitativ“) ablaufende Reak-tion

νAA + νBB + . . . → νXX + νYY + . . .

n (A)n (X)

=νA

νX;

n (A)n (Y)

=νA

νY; usw.

νA, νB, νX und νY heißen stöchiometrische Zahlen.

Bei vollständig ablaufenden Reaktionen ver-halten sich die Stoffmengen wie die stöchio-metrischen Zahlen in den Umsatzgleichun-gen.

Beziehungen der obigen Art können als Grundglei-chungen für stöchiometrische Rechnungen angesehenwerden.

4.3 Grundgesetze der Stöchiometrie

Die Stöchiometrie befasst sich mit der quantitativenBehandlung chemischer Vorgänge und Sachverhal-te, soweit ihnen Umsatzgleichungen bzw. chemischeFormeln zugrunde liegen.

4.3.1 Gesetz von der Erhaltung der Masse

Bei allen (molekular)chemischen Reaktionen bleibtdie Gesamtmasse der Reaktionspartner unverändert.Da chemische Reaktionen praktisch immer mit Ener-gieänderungen verbunden sind, ist dieses Gesetz auf-grund der Einstein’schen Gleichung

ΔE = Δm c20 , (4-2)

E Energie, m Masse, c0 Vakuumlichtgeschwindigkeit,nur eine Näherung. Bisher ist es jedoch bei keiner(molekular)chemischen Reaktion gelungen, eine dieMessunsicherheit überschreitende Änderung der Ge-samtmasse der Reaktionspartner messtechnisch nach-zuweisen.Bei den mit sehr großen Energieänderungenverknüpften Kernreaktionen (siehe B 17.4) hat dasGesetz von der Erhaltung der Masse keine Gültigkeit,und die Bilanz der Massen und Energien wird dortdurch die Einstein’sche Gleichung (4-2) beschrieben.

4.3.2 Gesetz der konstanten Proportionen

Für die Mehrzahl chemischer Verbindungen trifft fol-gender Satz zu:

Die Massenverhältnisse der Elemente in ei-ner bestimmten chemischen Verbindung sindkonstant.

Das bedeutet: Unabhängig davon, auf welchem Wegeeine solche Verbindung entstanden ist, enthält sie diebetreffenden Elemente in einem konstanten Massen-verhältnis. Je nachdem ob das Gesetz der konstantenProportionen befolgt wird oder nicht, können chemi-sche Verbindungen in zwei Gruppen eingeteilt wer-den:

1. Stöchiometrische Verbindungen.Darunter fasst man alle Verbindungen zusammen,die das Gesetz der konstanten Proportionen strengbefolgen. Die überwiegende Mehrzahl aller che-mischen Substanzen gehört in diese Kategorie.

2. Nichtstöchiometrische Verbindungen.Für diese Gruppe von Verbindungen gilt das Ge-setz der konstanten Proportionen nicht. Die Zu-sammensetzung dieser Substanzen variiert inner-halb eines bestimmten Stabilitätsbereiches kon-tinuierlich. Besonders zahlreiche Beispiele dafürfindet man bei Verbindungen zwischen verschie-denen Metallen (intermetallische Phasen). Aberauch viele Oxide, Sulfide sowie Substanzen, dieMischkristalle bilden können, gehören hierzu. Sokann beispielsweise Eisen(II)-oxid in allen Zu-sammensetzungen innerhalb der durch die For-meln Fe0,90O und Fe0,95O angegebenen Grenzenvorkommen.

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4 Chemische Gleichungen und Stöchiometrie C15

4.3.3 Gesetz der multiplen Proportionen

Die Massenverhältnisse zweier sich zu ver-schiedenen chemischen Verbindungen verei-nigender Elemente stehen im Verhältnis ein-facher ganzer Zahlen zueinander.

Beispiel: Wasserstoff und Sauerstoff bilden zwei ver-schiedene Verbindungen: Wasser (H2O) und Wasser-stoffperoxid (H2O2). Die Massenverhältnisse in die-sen Verbindungen sind:

Wasser Wasserstoffperoxidm(O)/m(H) = 7,937 m(O)/m(H) = 15,874.Die Massenverhältnisse verhalten sich also wie 1:2.

4.4 Sto−menge, Avogadro-Konstante

Die Stoffmengen nB eines Stoffes B ist als Quotientaus Teilchenzahl NB und Avogadro-Konstante NA de-finiert:

nB = NB/NA . (4-3)

(Der Index B bezieht sich auf beliebige Stoffe oderTeilchenarten.)Die Stoffmenge – eine Basisgröße des internationa-len Einheitensystems SI – ist eine einheitenbehafteteGröße. Folglich hat die Avogadro-Konstante die Di-mension einer reziproken Stoffmenge. Die SI-Einheitder Stoffmenge ist das Mol, das folgendermaßen de-finiert ist:

Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, dasaus ebensoviel Einzelteilchen besteht, wieAtome in 0,012 kg des Kohlenstoffnuklids126C enthalten sind.

Anmerkung: Als Nuklide bezeichnet man alle Atom-arten, die durch eine bestimmte Anzahl von Protonenund Neutronen in ihrem Kern charakterisiert sind. DerKern des Nuklides 12

6C besteht aus 6 Protonen und 6Neutronen.Mit dem Wert der Avogadro-Konstanten

NA = 6,02214179 · 1023 mol−1

folgt unter Verwendung der Beziehung NB = nB · NA,dass ein Mol einer beliebigen Substanz6,02214179 · 1023 Teilchen enthält.

4.5 Die molare Masse

Die molare Masse (früher: Molmasse, Molekularge-wicht) MB eines Stoffes B ist durch folgende Bezie-hung definiert:

MB = mB/nB , (4-4)

mB Masse (einer Portion des Stoffes B).

SI-Einheit kg/mol, häufig verwendete Einheit g/mol.Die Bezeichnung molare Masse wird auch auf Ato-me angewendet. Die Beziehungen (4-4) und (4-3) lie-fern den Zusammenhang zwischen der Masse einesTeilchens mTB = mB/NB und der molaren Masse:mTB = MB/NA. Danach ist also die molare Massegleich dem Produkt aus der Masse eines Teilchensund der Avogadro-Konstanten.Beispiel: Die Masse mH eines Wasserstoffatoms sollaus der molaren Masse M(H) = 1,008 g/mol diesesAtoms berechnet werden:

mH = M(H)/NA

= (1,008 g/mol)/(6,022 · 1023 mol−1)

= 1,674 · 10−24 g .

Die molare Masse einer Verbindung kann durch Ad-dition der molaren Massen der in der Verbindungenthaltenen Atome berechnet werden. Voraussetzunghierfür ist die Gültigkeit des Gesetzes von der Er-haltung der Masse für chemische Reaktionen (sie-he 4.3.1).

Beispiel: Gesucht sei die molare Masse des Natrium-sulfats, M(Na2SO4). Es gilt:

M(Na2SO4) = 2M(Na) + M(S) + 4M(O) .

= 2 · 23,0 g/mol + 32,1 g/mol

+ 4 · 16,0 g/mol = 142,1 g/mol .

4.6 Quantitative Beschreibungvon Mischphasen

4.6.1 Der Massenanteil

Der Massenanteil (früher: Massenbruch) wB des Stof-fes B ist definiert als

wB = mB/m . (4-5a)

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C16 C Chemie

Die Gesamtmasse m setzt sich additiv aus den einzel-nen Teilmassen mi zusammen:

m =∑

mi = m1 + m2 + . . . + mn . (4-5b)

Der Massenanteil eines Stoffes ist eine reine Zahl:wB ≤ 1. Die Summe der Massenanteile aller Stoffein einem gegebenen System ist gleich 1:∑

wi = 1 . (4-5c)

Häufig wird der Massenanteil auch in Prozent(1% = 10−2), Promille (1%o = 10−3), parts permillion (1 ppm = 10−6) und parts per billion(1 ppb = 10−9) angegeben.

Beispiel: Eine Legierung enthält 1,990 g Au, 0,010 gAg und 1 · 10−5 g As. Daraus ergibt sich: w(Au) =0,995 = 99,5%; w(Ag) = 0,005 = 5%o und w(As) =5 · 10−6 = 5 ppm.

4.6.2 Der Sto−mengenanteil

Der Stoffmengenanteil (früher: Molenbruch) xB istin Analogie zum Massenanteil folgendermaßen defi-niert:

xB = nB/n , (4-6a)

n =∑

ni = n1 + n2 + . . . + nn , (4-6b)∑xi = 1 , (4-6c)

n Stoffmenge.

Auch der Stoffmengenanteil wird häufig in %, %o,ppm und ppb angegeben. Für eine vorgegebene Stoff-mischung sind der Stoffmengenanteil und der Mas-senanteil einer bestimmten Komponente i. Allg. ver-schieden.Zum Massen- und Stoffmengenanteil analoge Bezie-hungen existieren auch für den Volumenanteil. Beiidealen Gasen (siehe 5.1.1) sind Volumen- und Stoff-mengenanteil gleich.

4.6.3 Die Konzentration(oder Sto−mengenkonzentration)

Die Konzentration cB eines Stoffes B ist definiert alsder Quotient aus Stoffmenge nB dieses Stoffes unddem Volumen V:

cB = nB/V . (4-7)

SI-Einheit: mol/m3, häufig verwendete Einheit:mol/l.Beispiel: Eine Salzsäure (Lösung von Chlorwasser-stoff HCl in Wasser, vgl. Tabelle 8-2) enthält einenHCl-Massenanteil von 40,0%. Die Dichte der Säurebeträgt � = 1,198 g/cm3, M(HCl) = 36,46 g/mol.Gesucht ist die Konzentration des Chlorwasserstoffsc(HCl).Lösung: Durch den Vergleich von (4-5a) und (4-7),

w(HCl) = m(HCl)/m, c(HCl) = n(HCl)/V

erkennt man, dass in (4-5a) im Zähler die Masse derHCl durch die Stoffmenge dieser Verbindung und imNenner die (Gesamt)Masse durch das Volumen er-setzt werden muss. Dies geschieht durch die Glei-chungen nB = mB/MB und � = m/V . Mit

w(HCl) = m(HCl)/m

erhält man auf diese Weise:

w(HCl) = n(HCl)M(HCl)/V�

= c(HCl)M(HCl)/�

oder c(HCl) = w(HCl) �/M(HCl).

Die Zahlenrechnung liefert:

c(HCl) = 0,4001,198 g/cm3

36,46 g/mol

= 0,01314 mol/cm3 = 13,14 mol/l .

4.7 Stöchiometrische Berechnungen

4.7.1 Gravimetrische Analyse

Häufig liegen Stoffe als eine Mischung in flüssigerPhase vor. Gegenstand der gravimetrischen Analyseist die Ermittlung der Masse eines der Stoffe in dieserLösung. Dazu wird die Substanz, die gravimetrischuntersucht werden soll, durch Zugabe einer Reagenz-lösung in eine schwerlösliche Verbindung überführt.Die Masse der schwerlöslichen Verbindung wird(nach Abfiltrieren und Trocknen) durch Wägungermittelt. Bei gravimetrischen Analysen muss dieReagenzlösung stets im Überschuss zugeführt wer-den, damit eine vollständige (oder „quantitative“)Ausfällung des zu untersuchenden Stoffes erfolgenkann.

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4 Chemische Gleichungen und Stöchiometrie C17

Beispiel: Eine Stoffmischung besteht aus Chlorwas-serstoff (HCl) und Wasser. Die Masse des Chlorwas-serstoffs in dieser Mischung soll ermittelt werden.Dazu werden die Chloridionen durch Zugabe vonSilbernitratlösung (AgNO3 in H2O) als Silberchlorid(AgCl) gefällt. Das Silberchlorid wird abfiltriert, ge-trocknet und seine Masse durch Wägung ermittelt.

Berechnung:

1. Die Fällungsreaktion wird durch folgende Um-satzgleichung beschrieben:

HCl + AgNO3 → AgCl(s) + HNO3 .

(Anmerkung: In Umsatzgleichungen werdenschwerlösliche Verbindungen mit dem Buchsta-ben s (lat. solidus: fest) gekennzeichnet.)

2. Entsprechend der Umsatzgleichung gilt folgendeStoffmengenbeziehung:

n(HCl) = n(AgCl) .

3. Die gesuchte Masse des Chlorwasserstoffs erhältman aus der durch Wägung bestimmten Massedes Silberchlorids mit nB = mB/MB aus der Stoff-mengenbeziehung (Gleichung 3):

m(HCl)M(HCl)

=m(AgCl)M(AgCl)

,

m(HCl) = m(AgCl)M(HCl)

M(AgCl).

4.7.2 Maßanalyse

Auch die maßanalytischen Verfahren dienen zur Be-stimmung der Masse eines Stoffes in einer aus meh-reren Bestandteilen bestehenden Lösung. Hier wirdebenfalls mit dem maßanalytisch zu untersuchendenStoff eine chemische Reaktion durchgeführt. Die da-zu notwendige Substanz befindet sich in einer Rea-genzlösung. Im Gegensatz zur Gravimetrie wird hierjedoch nur soviel Reagenzlösung zugefügt, wie zurvollständigen Umsetzung gerade erforderlich ist. DieKonzentration der Reagenzlösung muss hierbei ge-nau bekannt sein. Substanzen oder apparative Ein-richtungen, die die Vollständigkeit der Umsetzung –den Reaktionsend- oder Äquivalenzpunkt – anzeigen,heißen Indikatoren.

Beispiel: Es soll die Masse von Natriumthiosulfat(Na2S2O3) in einer wässrigen Natriumthiosulfatlö-sung durch sog. Titration mit einer Iodlösung derKonzentration c(I2) ermittelt werden. Das Volumender verbrauchten Iodlösung sei V(I2).

Berechnung:

1. Der Reaktion liegt die folgende Umsatzgleichungzugrunde:

2 Na2S2O3 + I2 → 2 NaI + Na2S4O6 .

2. Der Umsatzgleichung entnehmen wir, dass amReaktionsendpunkt (oder Äquivalenzpunkt) diefolgende Stoffmengenbeziehung gilt:

n (Na2S2O3) = 2 n (I2) .

3. Die Stoffmenge in der verbrauchten Iodlösungwird aus der Konzentration und dem verbrauch-ten Volumen berechnet:

n (I2) = c (I2) · V (I2) .

4. Damit wird unter Heranziehen der Stoffmengen-beziehung n(Na2S2O3) = 2n(I2) die Stoffmengedes Thiosulfates ermittelt:

n (Na2S2O3) = 2 · c (I2) · V (I2) .

5. Mithilfe der Beziehung nB = mB/MB kann danndie Masse des Natriumthiosulfates berechnet wer-den:

m (Na2S2O3) = 2M (Na2S2O3) · c (I2) · V (I2) .

4.7.3 Verbrennungsvorgänge

Beispiel: Kohlenstoff soll in Luft verbrannt werden(vgl. 9.3.1). Das zur Verbrennung von 1 kg Kohlen-stoff notwendige Luftvolumen ist bei einer Tempera-tur von 25 ◦C und bei einem Druck von 1 bar zu be-rechnen.

M(C) = 12 g/mol , R = 0,08314 bar · l/(mol · K)

1. Der Verbrennungsvorgang wird durch folgendeUmsatzgleichung beschrieben:

C (s) + O2(g)→ CO2

(g).

Page 18: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C18 C Chemie

2. Aufgrund dieser Umsatzgleichung gilt bei voll-ständiger Verbrennung folgende Stoffmengenbe-ziehung:

n (C) = n (O2) .

3. In obiger Beziehung wird mit der Gleichung nB =

mB/MB die Stoffmenge des Kohlenstoffs durchdie Masse ersetzt. Man erhält auf diese Weise:

m (C) = M (C) · n (O2) .

4. Unter Anwendung der Zustandsgleichung idealerGase (siehe 5.1.1) wird die Stoffmenge des Sau-erstoffs durch das Gasvolumen dieses Elementesersetzt:

p · V (O2) = n (O2) · RT ,

m (C) = M (C) · p · V (O2)RT

oder V (O2) =m (C) · RTM (C) · p

.

Trockene atmosphärische Luft enthält einen Sauer-stoffvolumenanteil von 20,95% (vgl. Tabelle 5-2),d. h.

V (O2) = 0,2095 · V (Luft) .

Mit obiger Beziehung folgt:

V (Luft) =m (C) · RT

0,2095 · M (C) · p

V(Luft) = 9861 l = 9,861 m3 .

5 Zustandsformen der Materie

5.1 Gase

Die zwischen den Gasteilchen wirkenden Anzie-hungskräfte (hauptsächlich Orientierungs- undDispersionskräfte, vgl. 3.4) sind nicht groß genug,um Zusammenballungen der Teilchen zu verursachenund um Translationsbewegungen zu verhindern. Beinicht zu hohen Drücken ist der Abstand zwischenden Gasteilchen groß gegenüber ihrem Durchmesser.Demzufolge füllen die Gase jeden ihnen angebotenenRaum vollständig aus. Auch die große Kompres-sibilität von Stoffen in diesem Aggregatzustand

kann hiermit erklärt werden. Mit steigendem Druckund sinkender Temperatur wird der Einfluss derAnziehungskräfte gegenüber der thermischen Be-wegung immer größer. Dies führt schließlich zurVerflüssigung aller Gase.

5.1.1 Ideale Gase

– Phänomenologische Definition:Als ideal werden die Gase bezeichnet, deren Ver-halten durch die Gleichung pV = nRT beschriebenwerden kann.

– Atomistische Definition:Ideale Gase sind dadurch charakterisiert, dass zwi-schen den Teilchen, aus denen diese Gase beste-hen, keine Anziehungskräfte wirken. Außerdem ha-ben diese Teilchen kein Eigenvolumen; sie sind alsoMassenpunkte.

5.1.2 Zustandsgleichung idealer Gase

Das Verhalten idealer Gase kann mithilfe der fol-genden thermischen Zustandsgleichung idealer Gase(universelle Gasgleichung, „ideales Gasgesetz“) be-schrieben werden:

pV = nRT (5-1)

p Druck, V Volumen, n Stoffmenge, T Tem-peratur, R wird als universelle Gaskonstantebezeichnet. Diese Konstante hat die Dimen-sion Energie/(Stoffmenge · Temperatur) oderDruck · Volumen/(Stoffmenge · Temperatur). Für dieuniverselle Gaskonstante hat man folgenden Wertermittelt:

R = 8,314472 J/(K · mol) ,

R = 8,314472 Pa · m3/(K · mol) .

Die Gültigkeit der Zustandsgleichung ist – unter Be-rücksichtigung der in 5.1.1 genannten Bedingungen– unabhängig von der chemischen Natur des Gases.Durch drei der vier Variablen wird der Zustand einesidealen Gases vollständig beschrieben.

Beispiel: Eine Druckgasflasche ist mit Sauerstoffgefüllt. Das Volumen der Druckgasflasche ist 50 l,der Druck beträgt bei einer Temperatur von 25 ◦C200 bar. Gesucht ist die Masse m des in der Druck-

Page 19: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

5 Zustandsformen der Materie C19

gasflasche vorhandenen Sauerstoffs; molare Massedes Sauerstoffs M(O2) = 32,0 g/mol.

pV = n(O2)RT = m(O2)/M(O2)RT

m(O2) = pVM(O2)/(R · T )

=200 bar · 50 l · 32,0 g/mol

0,0831 bar · l/(mol · K) · 298,15 K

= 12,9 kg

Die Zustandsgleichung idealer Gase ist ein Grenzge-setz, das von realen Gasen nur bei hohen Temperatu-ren und bei kleinen Drücken angenähert befolgt wird.Unter sonst gleichen Bedingungen sind die Abwei-chungen dann besonders groß, wenn die Gasmolekülepolarisiert sind oder wenn sie beträchtliche Eigenvo-lumina aufweisen. Gase mit polaren Molekülen sindz. B. Kohlendioxid CO2, Chlorwasserstoff HCl undAmmoniak NH3. Im Gegensatz dazu werden bei sehrkleinen Atomen oder Molekülen (Bedingung: Aufbauaus Atomen gleicher Elektronegativität, siehe 3.1.4)nur geringe Abweichungen vom idealen Verhalten be-obachtet. Beispiele sind Helium He, Neon Ne, undWasserstoff H2.

5.1.3 Spezialfälle der Zustandsgleichungidealer Gase

In der Zustandsgleichung idealer Gase (5-1) sind alsSpezialfälle das Boyle-Mariotte’sche Gesetz, das Ge-setz von Gay-Lussac und der Satz von Avogadro ent-halten:

Gesetz von Boyle und Mariotte

pV = const bei T, n = const . (5-2)

Stellt man bei verschiedenen Temperaturen denDruck als Funktion des Volumens graphisch dar, soerhält man als Isothermen eine Schar von Hyperbeln,siehe Bild 5-1.

Gesetz von Gay-LussacBei konstantem Druck und vorgegebener Stoffmengeist das Volumen der thermodynamischen Temperaturdirekt proportional:

V = (nR/P)T = const · T (5-3)

oder V1/T1 = V2/T2 bei p, n = const.

Bild 5-1. Der Druck p eines idealen Gases als Funktion desVolumens V (Boyle-Mariotte’sches Gesetz), T Temperatur

Ein analoges Gesetz für den Druck erhält manbei konstantem Volumen und vorgegebener Stoff-menge. Auch diese Beziehung wird meist alsGay-Lussac’sches Gesetz bezeichnet:

p = (nR/V)T = const · T (5-4)

oder p1/T1 = p2/T2 bei V, n = const .

Satz von Avogadro

Gleiche Volumina verschiedener idealer Gase enthal-ten bei gleichem Druck und gleicher Temperatur (V,p, T = const) stets dieselbe Zahl von Teilchen.

n = pV/(RT ) = const (5-5)

oder N = const bei p, V, T = const

N Teilchenzahl.

5.1.4 Reale Gase

Anders als bei den idealen Gasen wirken zwischenden Teilchen eines realen Gases Anziehungskräfte.Die Wirkung dieser Kräfte ist umso stärker, je klei-ner die Abstände der Teilchen voneinander sind, jegrößer also der Druck des Gases ist. Außerdem habendie Teilchen eines realen Gases ein mehr oder weni-ger großes Eigenvolumen. Als Folge hiervon kann einreales Gas nicht beliebig komprimiert werden.Kein natürlich vorkommendes Gas verhält sich wieein ideales Gas.

Page 20: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C20 C Chemie

Zur quantitativen Beschreibung des Verhaltens realerGase ist eine Vielzahl empirischer Gleichungenvorgeschlagen worden (vgl. z. B. G. Kortüm undH. Lachmann, 1981, siehe Literatur zu Kap. 6). Indiesen Beziehungen werden die Anziehungskräfteder Partikel untereinander sowie das Eigenvolu-men der Gasteilchen durch eine unterschiedlicheAnzahl empirischer Konstanten berücksichtigt.Im Folgenden werden die Virialgleichung und dievan-der-Waals’sche Gleichung beschrieben.

5.1.5 Die Virialgleichung

Bei realen Gasen ist das Produkt aus Druck und Vo-lumen bei vorgegebener Temperatur keine Konstan-te, sondern vielmehr eine Funktion des Druckes. Inder Virialgleichung wird diese Abhängigkeit durcheine Potenzreihe von p dargestellt. Die notwendigeZahl von Korrekturgliedern richtet sich nach der ge-wünschten Genauigkeit bei der Beschreibung des Ver-haltens eines bestimmten realen Gases.

pVm = RT + Bp +Cp2 + Dp3 + . . . (5-6)

V Volumen (extensive Größe), Vm = V/n molares Vo-lumen (intensive Größe).Die temperaturabhängigen Konstanten B, C, D heißenVirialkoeffizienten. Sie müssen mithilfe numerischerMethoden aus Messwerten ermittelt werden.Eine Beziehung ähnlicher Form wird auch zur Be-schreibung der Konzentrationsabhängigkeit des os-motischen Druckes herangezogen (vgl. 8.2.3).

5.1.6 Die van-der-Waals’sche Gleichung.Der kritische Punkt

Die van-der-Waals’sche Gleichung beschreibt nähe-rungsweise den Zusammenhang der Zustandsgrößenfür reale Gase. Qualitativ wird auch das Verhalten vonFlüssigkeiten charakterisiert. Diese Beziehung lautet:(

p + n2a/V2)(V − nb) = nRT (5-7a)

oder (p + a/V2

m

)(Vm − b) = RT . (5-7b)

Die Stoffkonstanten a und b müssen für jedes Gas em-pirisch ermittelt werden. Der Term a/V2

m heißt Kohä-sionsdruck. Er beschreibt die Auswirkungen der An-ziehungskräfte zwischen den Gasteilchen. Die Kon-stante b wird als Covolumen bezeichnet. Nimmt man

an, dass die Gasteilchen kugelförmig sind, kann derZusammenhang zwischen b und dem Radius r derGasteilchen durch folgende Gleichung beschriebenwerden:

b = 4NA(4π/3)r3

NA Avogadro-Konstante.In Tabelle 5-1 sind die Konstanten a und b der van-der-Waals’schen Gleichung für einige Gase angege-ben.Bild 5-2 gibt die mithilfe der van-der-Waals’schenGleichung für CO2 berechneten Isothermen wieder.Oberhalb der kritischen Temperatur Tk = 304 K (sie-he unten) ist der Verlauf der Isothermen ähnlich wiebei einem idealen Gas. Bei Temperaturen unterhalbvon Tk zeigen alle Isothermen dagegen eine S-förmige Gestalt. Bei der kritischen Temperatur ist dieIsotherme durch einen Wendepunkt mit waagerechterTangente gekennzeichnet. Dieser Wendepunkt wirdals kritischer Punkt P bezeichnet.Der kritische Punkt kann experimentell bestimmtwerden. Er ist durch die Stoffkonstanten kritischeTemperatur, kritischer Druck und kritisches molaresVolumen charakterisiert (vgl. Tabelle 5-2).Im Folgenden sollen einige Aspekte der Stabilität(vgl. 6.3.5) von Gasen und Flüssigkeiten anhand vonBild 5-2 diskutiert werden. Oberhalb der TemperaturTk ist ausschließlich die Gasphase stabil.

Flüssigkeiten können oberhalb der kritischenTemperatur nicht existieren.

Bei Temperaturen, die kleiner als die kritischeTemperatur sind, können reine Gas- bzw. Flüssig-keitsphasen stabil, metastabil oder instabil sein. So istz. B. bei einer Temperatur von T = 290 K, für die die

Tabelle 5-1. Konstanten a und b der van-der-Waals’schenGleichung für einige Gase

Gasa

bar · l2/mol2

bl/mol

Helium 0,0346 0,0238Neon 0,208 0,0167Argon 1,36 0,0320Wasserstoff 0,2452 0,0265Stickstoff 1,370 0,0387Sauerstoff 1,382 0,0319Kohlendioxid 3,658 0,0429

Page 21: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

5 Zustandsformen der Materie C21

Tabelle 5-2. Eigenschaften einiger technisch wichtiger GaseTs Siedepunkt (bezogen auf Normdruck pN = 101 325 Pa), Tk kritische Temperatur, pk kritischer Druck,MAK-Wert: maximale Arbeitsplatzkonzentration, Volumenanteil in ppm = 10−6 = cm3/m3

Name Formel Ts/◦C Tk/

◦C pk/bar BemerkungenLuft Zusammensetzung der trockenen Luft (Volumenanteil): N2: 78,09%,

O2: 20,95%, Ar: 0,92%, CO2: 0,03%, Ne: 0,002%, He: 0,0005%,Spuren von Kr, H2 und Xe

Ammoniak NH3 −33,3 132,4 113,0 farblos, brennbar, stechender Geruch, giftig, MAK-Wert: 50 ppm,sehr große Löslichkeit in Wasser, mit Luft bilden sich explosions-fähige Gemische

Chlor Cl2 −34,0 144 77,0 gelbgrün, erstickend stechender Geruch, hochgiftig, MAK-Wert:0,5 ppm, sehr starkes Oxidationsmittel

Chlorwasser-stoff

HCl −85,0 51,5 83,4 farblos, stechender Geruch, giftig, MAK-Wert: 5 ppm, sehr großeLöslichkeit in Wasser (Bildung von Salzsäure)

Distickstoff-monoxid

N2O −88,5 36,4 72,7 „Lachgas“, farblos, schwach süßlicher Geruch, narkotisch wirkend,starkes Oxidationsmittel, unter bestimmten Bedingungen explosions-artiger Zerfall in die Elemente

Edelgase farblos, geruchlos, sehr wenig oder überhaupt nichtHelium He −268,9 −267,9 2,3 reaktionsfähigNeon Ne −246,1 −228,8 26,5Argon Ar −185,9 −122,3 49,0Krypton Kr −153,2 −63,8 54,9Xenon Xe −108,1 16,6 59,0

Kohlendioxid CO2 −78,4 31,1 73,8 Sublimationstemperatur (bezogen auf 101 325 Pa): −78,5 ◦C, farblos,etwas säuerlicher Geruch und Geschmack, MAK-Wert: 5000 ppm,Anhydrid der Kohlensäure

Kohlen-monoxid

CO −191,5 −140,2 35,0 farblos, brennbar, geruchlos, hochgiftig, MAK-Wert: 30 ppm, mitLuft bilden sich explosionsfähige Gemische

Sauerstoff O2 −183,0 −118,4 50,8 farblos, geruchlos, sehr starkes OxidationsmittelSchwefel-dioxid

SO2 −10,0 157,5 78,8 farblos, stechender Geruch, giftig, MAK-Wert: 2 ppm, gute Löslich-keit in Wasser, Anhydrid der schwefligen Säure

Stickstoff N2 −195,8 −147,0 34,0 farblos, geruchlos, nicht brennbar, sehr wenig reaktionsfähigWasserstoff H2 −252,9 −239,9 13,0 farblos, geruchlos, brennbar, mit Luft bilden sich explosionsfähige

GemischeKohlenwasser- farblos, mit Luft bilden sich explosionsfähige Gemischestoffe

Methan CH4 −161,5 −82,6 46,0 geruchlosEthan C2H6 −88,6 32,3 48,8 geruchlosPropan C3H8 −42,1 96,8 42,6 geruchlos, MAK-Wert: 1000 ppmButan C4H10 −0,5 152,0 38,0 geruchlos, MAK-Wert: 1000 ppmEthylen(Ethen)

C2H4 −103,7 9,2 50,2 leicht süßlicher Geruch

Acetylen(Ethin)

C2H2 35,2 61,9 Sublimationstemperatur (bezogen auf 101 325 Pa): −84,0 ◦C,schwach ätherisch riechend, narkotisch wirkend, neigt zu explosi-vem Zerfall in die Elemente

Ethylenoxid C2H4O 10,4 195,8 71,9 farblos, etherähnlicher Geruch, brennbar, giftig, MAK-Wert: 1 ppm,neigt spontan zur Polymerisation (z. T. explosionsartig), neigt zu ex-plosiven Zerfallsreaktionen

Dichlordi- CCl2F2 −29,8 112,0 41,2 „R 12“, farblos, schwacher Geruch, narkotisch wirksam, MAK-fluormethan Wert: 1000 ppm, chemisch sehr beständig, die Freisetzung von Fluor-

chlorkohlenwasserstoffen (FCKW) verursacht Umweltschäden (Zer-störung der Ozonschicht der Erdatmosphäre)

Page 22: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C22 C Chemie

Bild 5-2. Der Druck p eines realen Gases als Funktion desmolaren Volumens Vm. Die Isothermen wurden für Kohlen-dioxid nach der van-der-Waals’schen Gleichung berechnet

Bedingung T < Tk gilt, die reine Gasphase bei allenmolaren Volumina, die größer als VmA sind, stabil.Der Bereich AB der Kurve entspricht übersättigtemDampf. Hier ist eine reine Gasphase metastabil.Die Zufuhr oder die spontane Bildung eines Keimesführt zur Ausbildung einer flüssigen Phase und zumAbsinken des Gasdruckes auf den Sättigungswert pA.Im Bereich BC ist sowohl die reine Gasphase als auchdie reine Flüssigkeitsphase instabil (vgl. F 1.3.3).Entsprechende Zustände sind daher nicht realisierbar.Zwischen C und D liegt eine überexpandierte Flüssig-keit vor. Dieser Bereich ist wiederum metastabil. DieZufuhr eines Keimes oder seine spontane Bildungführt zur (teilweise explosionsartig ablaufenden)Bildung einer Gasphase und Erhöhung des Druckesauf den Sättigungswert pA. Bei molaren Volumina,die kleiner als VmD sind, ist bei 290 K nur die reineflüssige Phase existenzfähig.

5.2 Flüssigkeiten

Flüssigkeiten nehmen in ihren Eigenschaften eineMittelstellung zwischen den Festkörpern und denGasen ein. Im Gegensatz zu den Festkörpern könnenFlüssigkeiten beliebige Formen annehmen. Einer Än-derung des Volumens wird dagegen ein sehr großerWiderstand entgegengesetzt, d. h., die Kompressibi-lität von Flüssigkeiten ist mit der von Festkörpern,aber nicht mit der von Gasen vergleichbar.

5.2.1 Einteilung der Flüssigkeiten

Flüssigkeiten können nach der Art der Bindung, diezwischen den einzelnen Teilchen wirksam ist, folgen-dermaßen eingeteilt werden:

– Unpolare Flüssigkeiten. Die Atome bzw. Molekü-le werden im Wesentlichen durch Dispersionskräf-te zusammengehalten. Beispiel: Tetrachlorkohlen-stoff CCl4.

– Polare Flüssigkeiten. Zwischen den Teilchenwirken Dipolkräfte, teilweise zusätzlich auchWasserstoffbrückenbindungen. Beispiel: MethanolCH3OH, Wasser (vgl. Abschnitt 5.2.3).

– Flüssige Metalle. Der Zusammenhalt der Teilchenin diesen Flüssigkeiten wird durch die metallischeBindung bewirkt. Beispiel: flüssiges Quecksilber.

– Salzschmelzen, ionische Flüssigkeiten. Zwischenden Ionen in einer Salzschmelze wirken wie beiden Ionenkristallen elektrostatische Anziehungs-kräfte.

5.2.2 Struktur von Flüssigkeiten

In (idealen) Festkörpern sind die atomaren Bausteinebis in makroskopische Bereiche periodisch angeord-net (Fernordnung) und zwar sowohl hinsichtlich ihrerPosition als auch (bei mehratomigen Bausteinen) hin-sichtlich ihrer Orientierung. Im Gegensatz dazu sindFlüssigkeiten durch einen als Nahordnung bezeich-neten Zustand charakterisiert. Diese Nahordnung, diesich auf den Abstand und die Orientierung der Ato-me bzw. Moleküle bezieht, erfasst in erster Linie dienächsten Nachbarn eines beliebig herausgegriffenenTeilchens. Als Folge der Temperaturbewegung ist sieschon bei den zweitnächsten Nachbarn wesentlich ge-ringer ausgeprägt; nach einigen Teilchendurchmes-sern ist sie überhaupt nicht mehr erkennbar. Bei der

Page 23: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

5 Zustandsformen der Materie C23

Bild 5-3. Radiale Verteilungsfunktion �(r) für Wasser bei1,5 ◦C und 83 ◦C (nach Robinson, R. A.; Stokes, R. H.:Electrolyte solutions)

Annäherung an den Gefrierpunkt werden die Nahord-nungsbereiche vergrößert. Der geschilderte Sachver-halt ist in Bild 5-3 verdeutlicht. Die dort dargestellteradiale Dichte-Verteilungsfunktion wurde mit Rönt-genbeugungsuntersuchungen an flüssigem Wasser er-mittelt.

5.2.3 Eigenschaften des ¦üssigen Wassers

Unter den kovalenten Hydriden nimmt Wasser auf-grund seiner physikalischen und chemischen Eigen-schaften (vgl. Tabellen 5-3 und 5-4) eine Sonderstel-lung ein. Dies zeigt sich besonders deutlich, wennman die Schmelz- und Siedepunkte des Wassers mitden anderen Wasserstoffverbindungen der Elementeder VI. Hauptgruppe sowie mit Ammoniak NH3 undFluorwasserstoff HF vergleicht:

Substanz Schmelzpunkt◦C

Siedepunkt◦C

H2O 0 100H2S −85,5 −60,7H2Se −65,7 −41,3H2Te −49 −2NH3 −77,7 −33,4HF −83,1 19,5

Tabelle 5-3. Physikalische Eigenschaften des Wassers

Schmelzpunkt 0 ◦CSiedepunkt 100 ◦Ckritische Temperatur 374,1 ◦Ckritischer Druck 221,2 barmolare Schmelzenthalpie 6,007 kJ/molmolare Verdampfungsenthalpie(100 ◦C)

40,66 kJ/mol

dynamische Viskosität(bei 25 ◦C)

0,8903 mPa s

elektrische Leitfähigkeit(bei 18 ◦C)

4 · 10−6 S/m

Dichte, Eis (bei 0 ◦C) 0,9168 kg/dm3

Tabelle 5-4. Dichte des flüssigen Wassers bei verschiede-nen Celsius-Temperaturen

T in ◦C � in kg/dm3

0 0,999874 1,00000

10 0,9997315 0,9991320 0,9982325 0,99707

Im Eis ist jedes Wassermolekül tetraedrisch von vieranderen H2O-Teilchen umgeben, d. h., die Wasser-moleküle haben in diesem Festkörper die Koordina-tionszahl 4. Über kurze Entfernungen bleibt auch inflüssigem Wasser die Tetraederstruktur erhalten. Daszeigen die Ergebnisse von Röntgenbeugungsuntersu-chungen. Danach vergrößert sich die Koordinations-zahl mit steigender Temperatur von 4,4 bei 1,5 ◦C auf4,9 bei 83 ◦C. Bei fast allen anderen Flüssigkeitenist die Koordinationszahl wesentlich größer und hatmeist Werte zwischen 8 und 11.Die tetraedrische Nahordnungsstruktur des flüssigenWassers wird – genau wie beim Eis – hauptsäch-lich durch Wasserstoffbrückenbindung (vgl. 3.4) ver-ursacht. Viele Eigenschaften des Wassers können mitdieser Struktur erklärt werden, so z. B.:

– Der im Vergleich mit den anderen kovalentenHydriden ungewöhnlich hohe Schmelz- undSiedepunkt. Dieser Effekt kann auf die Wasser-stoffbrückenbindung und die Dipoleigenschaftender H2O-Moleküle zurückgeführt werden.

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C24 C Chemie

– Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren. Die-se Volumenvergrößerung ist eine Folge der Verklei-nerung der Koordinationszahl beim Übergang vomflüssigen in den festen Aggregatzustand. Im Ge-gensatz hierzu wird bei fast allen anderen Substan-zen beim Gefrieren eine Vergrößerung der Koor-dinationszahl beobachtet. So ist z. B. im flüssigenGold die Koordinationszahl 11. Das kubisch flä-chenzentriert kristallisierende feste Gold hat dage-gen die Koordinationszahl 12 (vgl. 5.3.2).

– Das Dichtemaximum des flüssigen Wassers bei4 ◦C (vgl. Tabelle 5-4). Diese Eigenschaft wirddurch zwei gegenläufige Effekte bewirkt: Demallmählichen Aufbrechen der eisähnlichen Te-traederstruktur (erkennbar an der mit steigenderTemperatur einhergehenden Vergrößerung derKoordinationszahl) und der normalen Zunahmedes mittleren Teilchenabstandes bei Erhöhung derTemperatur.

5.2.4 Gläser

Definition

Gläser sind eingefrorene, unterkühlte Flüs-sigkeiten.

Eine unterkühlte Flüssigkeit ist metastabil (vgl. 6.3.5),befindet sich aber oberhalb der Glastemperatur (sie-he unten) im inneren Gleichgewicht, d. h., dass diethermodynamischen Eigenschaften einer vorgegebe-nen Stoffmenge durch Angabe der Variablen Druckund Temperatur eindeutig bestimmt sind. Bei einereingefrorenen unterkühlten Flüssigkeit – also bei ei-nem Glas – ist dies jedoch nicht mehr der Fall. Beider Glasumwandlung ist der Temperaturverlauf ei-niger Größen – so z. B. der Freien Enthalpie, derEntropie und des Volumens – stetig. Dagegen er-fahren bei dieser Umwandlung z. B. die spezifischeWärmekapazität, der thermische Ausdehnungskoeffi-zient und die Kompressibilität sprunghafte Änderun-gen. Am Beispiel des Temperaturverlaufs der spezifi-schen Enthalpie und der spezifischen Wärmekapazitätist dies in Bild 5-4 schematisch dargestellt. Wie die-ser Darstellung entnommen werden kann, sinkt derWert der spezifischen Enthalpie mit einer durch diespezifische Wärmekapazität vorgegebenen Steigung

Bild 5-4. Der Temperaturverlauf der spezifischen Enthal-pie h und der spezifischen Wärmekapazität cp bei der Glas-bildung, T Temperatur, Tsl Schmelzpunkt, Tg Glastempera-tur

(vgl. F 1.2.3). Wenn unterhalb des Gefrierpunktes kei-ne Kristallisation stattfindet, verringert sich die spezi-fische Enthalpie der (metastabilen) unterkühlten Flüs-sigkeit mit einer praktisch unveränderten Steigung.Wird die Abkühlung unterhalb der mit Tg bezeichne-ten Temperatur fortgesetzt, so nimmt die spezifischeEnthalpie zwar weiterhin ab, jetzt aber mit einem ge-ringeren Temperaturkoeffizienten. Die Temperatur Tg

wird als Glastemperatur bezeichnet. Eine unterkühlteFlüssigkeit ist erst unterhalb dieser Temperatur einGlas.

GlastemperaturDie Glastemperatur ist die niedrigste Temperatur, beider eine unterkühlte Flüssigkeit im Rahmen einer nor-malen Versuchsdauer das innere Gleichgewicht errei-chen kann. Unterhalb dieser Temperatur wird die Re-laxationszeit groß im Vergleich zur Dauer eines Ex-perimentes. Aus dem Gesagten folgt, dass die Gla-stemperatur keine Stoffkonstante ist, sondern je nachder Art und dem Zeitbedarf der ausgeführten Versu-che unterschiedliche Werte annehmen kann.

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5 Zustandsformen der Materie C25

Glasbildende SubstanzenIm Prinzip kann jede Substanz durch Abschrecken derSchmelze in ein Glas überführt werden, wenn es ge-lingt, die Kristallisation zu vermeiden. Da die expe-rimentell erreichbare Abkühlungsgeschwindigkeit je-doch begrenzt ist, konnte die Glasbildung nur bei ei-ner eingeschränkten Zahl von Stoffen beobachtet wer-den. Als wichtige Beispiele seien angeführt:Oxide. In dieser Verbindungsgruppe befinden sich diewichtigsten glasbildenden Substanzen, so z. B. reinesSiO2 (Quarzglas oder Kieselglas) und SiO2-haltigeMischoxide (Silicatgläser) (vgl. D 4.4).Metallische Legierungen (metallische Gläser).Einfache organische Verbindungen (z. B. Zuckerwat-te, das ist Glas aus Rohrzucker).Organische Polymerverbindungen, so z. B. Poly-methacrylate, Polystyrol, Polycarbonate (vgl. 12und D 5.5).

5.2.5 Flüssige Kristalle oder Flüssigkristalle

Flüssigkristalle stellen eine Zustandsform derMaterie dar, die zwischen dem kristallinen unddem flüssigen Zustand auftreten kann. Sie werdendeshalb auch Mesophasen genannt. Beobachtetwird diese Zustandsform vor allem bei stark an-isometrischen (stäbchen- oder scheibenförmigen)organischen Molekülen. Flüssigkristalle weiseneinerseits typische Flüssigkeitseigenschaften wiez. B. Fließfähigkeit auf, andererseits auch typischeFestkörpereigenschaften wie optische Anisotropie.Diese Eigenschaftskombination wird dadurch hervor-gerufen, dass die Ordnungsmerkmale eines Kristalls(Positionsfernordnung und Orientierungsfernord-nung) beim Erhitzen nicht gleichzeitig bei einerTemperatur verschwinden, sondern sukzessive beiunterschiedlichen Temperaturen.Viele stäbchenförmige Moleküle, die flüssigkristalli-ne Phasen ausbilden, sind aus starren Mittelstückenund flexiblen Endgruppen aufgebaut; Beispiele dafürsind das 4-Methoxybenzyliden-4′-butylanilin (MB-BA) sowie das Pentylcyanobiphenyl (5CB).

Diese beiden Moleküle gehen bei den angegebenenTemperaturen von der kristallinen (k) in die nema-tische (n) bzw. die isotrope flüssige (i) Phase über.Nematische Phasen sind Mesophasen, in denen kei-ne Positionsfernordnung auftritt, die aber eine Ori-entierungsfernordnung mit relativ großer Fluktuation(mehrere 10°) der Moleküllängsachsen um eine Vor-zugsrichtung aufweisen (Bild 5-5).Sofern die anisometrischen Moleküle chiral sind,kommt es zu einer übermolekularen Verdrillungder nematischen Struktur. Man spricht dann voncholesterischen Phasen (Bild 5-6).Höher geordnete Flüssigkristalle sind die smektischenPhasen, bei denen neben der Orientierungsfernord-nung eine Positionsfernordnung in einer Raumrich-tung erhalten bleibt. Die Moleküle sind in Schichtenangeordnet, innerhalb einer Schicht liegt jedoch kei-ne Positionsfernordnung vor. Es gibt eine Reihe un-terschiedlicher smektischer Strukturen (Bild 5-7).

Bild 5-5. Struktur einer nematischen Phase

Bild 5-6. Struktur einer cholesterischen Phase

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C26 C Chemie

Bild 5-7. Strukturen einer smektischen A Phase (links) undeiner smektischen C Phase (rechts)

Kolumnare Phasen werden vor allem von schei-benförmigen Molekülen ausgebildet: Die Molekülewerden in Säulen gestapelt, innerhalb derer eineungeordnete, flüssigkeitsähnliche Abstandsverteilungvorliegt. Die Säulen selbst können zweidimensionaleGitter ausbilden.Die Moleküle einer flüssigkristallinen Phase las-sen sich durch ein elektrisches Feld reorientieren,so dass die Transmission von polarisiertem Lichtverändert wird. Dies wird in der Optoelektronik beiFlüssigkristall-Anzeigen ausgenutzt.

5.3 Festkörper

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Substanzen,die volumenkonstant und formelastisch sind, Festkör-per genannt. Festkörper im engeren Sinne sind defini-tionsgemäß jedoch nur solche Stoffe, bei denen dieatomaren oder molekularen Bausteine in einem re-gelmäßigen Gitter angeordnet sind, also Stoffe, dieeinen kristallinen Aufbau haben. Amorphe Substan-zen und Gläser (vgl. 5.2.4) werden nach dieser Defi-nition nicht zu den Festkörpern gerechnet.

5.3.1 Kristalle

Kristalle sind Festkörper mit periodisch ineinem dreidimensionalen Gitter (Raumgitter,Kristallgitter) angeordneten Bausteinen(Atome, Ionen oder Moleküle).

Kristalle haben zwei wesentliche Eigenschaften:Sie sind homogen und anisotrop. Ein Körper wirdals homogen bezeichnet, wenn er in parallelenRichtungen gleiches Verhalten zeigt. Er ist an-isotrop, wenn bestimmte Eigenschaften, wie z. B.

Spaltbarkeit, Härte, Lichtgeschwindigkeit und Kris-tallwachstumsgeschwindigkeit, in verschiedenenRaumrichtungen unterschiedliche Werte haben (z. B.Graphit, vgl. D 4.2). Im Gegensatz hierzu sind beiisotropen Körpern die physikalischen Eigenschaftenunabhängig von der Raumrichtung. Isotrop verhaltensich alle Gase, Flüssigkeiten (mit Ausnahme derflüssigen Kristalle) und Gläser.

ElementarzelleBei der Translation der Gitterbausteine um ein Viel-faches der drei unabhängigen Translationsvektorena, b und c erhält man ein dreidimensionales Gitter(Raumgitter).Hierbei können die Längen der Transla-tionsvektoren unterschiedlich groß sein und die Win-kel außer 90° auch beliebig andere Werte annehmen.Das durch die drei Vektoren aufgespannte Parallelepi-ped heißt Elementarzelle. Als Gitterkonstanten wer-den die Längen a, b und c der drei Vektoren sowie dieAchsenwinkel α, β und γ bezeichnet. Aus einer Ele-mentarzelle lässt sich durch Translation das gesamteRaumgitter aufbauen.

KristallsystemeNach dem Verhältnis der Kantenlängen in den Ele-mentarzellen sowie nach den Achsenwinkeln kannman sieben verschiedene Kristallsysteme voneinan-der unterscheiden, siehe D 2.1, Bild D 2-2.

5.3.2 Bindungszustände in Kristallen

Kristallgitter können nach mehreren Gesichtspunkteneingeteilt werden, so z. B. nach Art der Gitterbaustei-ne oder nach der Art der in den Kristallen vorherr-schenden Bindung (vgl. D 2.1). Wählt man das zuletzterwähnte Einteilungsprinzip, kann man folgende vierGittertypen unterscheiden:

– Metallkristalle, Bindungsart: metallische Bindung(vgl. 3.3). Gitterbausteine: Atome. Deren positivgeladene Ionen bilden ein Raumgitter, in dem freibewegliche Elektronen vorhanden sind. Die Bin-dungskräfte sind ungerichtet. Eigenschaften: Gutethermische und elektrische Leitfähigkeit, metalli-scher Glanz, dehnbar, schmiedbar, duktil. Beispie-le: Kupfer, Natrium, Eisen.

– Ionenkristalle, Bindungsart: Ionenbindung(vgl. 3.2). Gitterbausteine: Kugelförmige Ionen

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5 Zustandsformen der Materie C27

definierter Ladung. Die Bindungskräfte sind unge-richtet. Eigenschaften: hart, spröde, hohe Schmelz-und Siedepunkte, nur in polaren Lösungsmittelnlöslich, sehr geringe elektrische Leitfähigkeit.Beispiele: Natriumchlorid, Caesiumiodid.

– Kovalente Kristalle, Bindungsart: KovalenteBindung (vgl. 3.1), Gitterbausteine: Atome derIV. Hauptgruppe. Eigenschaften: hart, sehr hoheSchmelz- und Siedetemperaturen, Isolatoren.Beispiel: Diamant.

– Molekülkristalle, Bausteine: Moleküle und Edel-gasatome. Bindungsart: Van-der-Waals’scheBindung und Wasserstoffbrückenbindung (Bei-spiele: feste Edelgase, festes Kohlendioxid; Eis,vgl. 5.2.3). Eigenschaften: weich, tiefe Schmelz-und Siedetemperaturen.

Struktur von MetallkristallenDie meisten Metalle kristallisieren in einer der folgen-den Strukturen:

– hexagonal dichteste Kugelpackung (Koordinati-onszahl 12),

– kubisch dichteste Kugelpackung (kubisch flächen-zentriertes Gitter) (Koordinationszahl 12),

– kubisch raumzentriertes Gitter (Koordinations-zahl 8).

Als Koordinationszahl wird die Zahl der nächstenNachbarn, die ein bestimmtes Teilchen umgeben, be-zeichnet.In Tabelle 5-5 sind neben der Angabe des Struktur-typs die Schmelz- und Siedepunkte einiger Metalleaufgeführt; weitere Angaben siehe D 9.3.3, Tabel-le 9-7.

Dichteste KugelpackungenFür eine zweidimensionale Schicht dichtest gepack-ter Kugeln gibt es nur eine Möglichkeit der Anord-nung. Hierbei ist jede Kugel von sechs anderen umge-ben. Die dreidimensionalen dichtesten Kugelpackun-gen entstehen durch Übereinanderlagerung derarti-ger Schichten. Dabei müssen die Atome der neuenSchicht in den Lücken der bereits vorhandenen liegen.Für zwei dichtest gepackte Kugelschichten ist dies inBild 5-8 schematisch dargestellt. Die Zahl der theo-retisch möglichen Kugelpackungen ist nahezu unbe-grenzt.

Tabelle 5-5. Strukturtypen, Schmelz- und Siedepunkte ei-niger metallischer Elemente.kd kubisch dichteste Kugelpackung, hd hexagonal dichtes-te Kugelpackung, krz kubisch raumzentriert, Tsl Schmelz-punkt, Tlg Siedepunkt. Die Angaben in Klammern sind Pha-senumwandlungstemperaturen

Element Struktur Tsl/◦C Tlg/

◦C

Cu kd 1084,62a 2562Ag kd 961,78a 2162Au kd 1064,18ay 2856Al kd 660,323a 2519Pb kd 327 1749γ-Fe kd (1401) –Be hd 1287 2471Mg hd 650 1090Zn hd 419,527a 907Ti hd 1668 3287Zr hd 1855 4409Li krz 180 1342Na krz 97,8 883K krz 63,4 759V krz 1910 3407Ta krz 3017 5458W krz 3422 5555α-Fe krz (906) –δ-Fe krz 1538 2750

a Fixpunkt der Internationalen Temperaturskala von 1990(ITS-90).

Bild 5-8. Dichteste Kugelpackungen, zwei Kugelschichtenmit Tetraeder- (T) und Oktaederlücken (O)

Verwirklicht werden hauptsächlich die folgenden bei-den:

– Hexagonal dichteste KugelpackungDie Folge der dichtest gepackten zweidimensiona-len Schichten ist hier ABAB. . ., d. h., die Kugeln

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C28 C Chemie

der 3. Schicht sind unmittelbar über der ersten an-geordnet. (Elementarzelle der hexagonal dichtestenKugelpackung siehe Bild 5-9.)

– Kubisch dichteste KugelpackungBei dieser Struktur ist die StapelfolgeABCABC. . . , d. h., die Kugeln der 4. Schichtbefinden sich unmittelbar über der ersten. Nachihrer Elementarzelle wird diese Struktur auchals kubisch flächenzentriert bezeichnet (vgl.Bild 5-10).

Bei den dichtesten Kugelpackungen beträgt die Pa-ckungsdichte 74%, d. h., 26% des Gesamtvolumensentfallen auf die zwischen den Kugeln befindlichenLücken. Es existieren zwei unterschiedliche Ar-ten von Lücken: a) Tetraederlücken, die von vierAtomkugeln in tetraedrischer Anordnung begrenztsind (vgl. Bild 5-8). Die Zahl dieser Lücken istdoppelt so groß wie die Zahl der Metallatome. b)Oktaederlücken, das sind von acht Atomkugeln inoktaedrischer Anordnung eingefasste Lücken. IhreZahl ist gleich der der atomaren Bausteine (vgl.Bild 5-8).Die Packungsdichte beim kubisch raumzentriertenGitter (vgl. Bild 5-11) ist geringer als bei dendichtesten Kugelpackungen, sie beträgt 68%.

Bild 5-9. Elementarzelle der hexagonal dichtesten Kugel-packung

Bild 5-10. Elementarzelle der kubisch dichtesten Kugelpa-ckung, kubisch flächenzentriertes Gitter

Bild 5-11. Kubisch raumzentriertes Gitter

Struktur von IonenkristallenDie Struktur von Ionenkristallen hängt im Wesentli-chen von folgenden Faktoren ab:

– Von der quantitativen Zusammensetzung des Sal-zes und

– vom Radienverhältnis der Kationen (A) und Anio-nen (B).

Für Ionenkristalle des Formeltyps AB treten abhän-gig vom Radienverhältnis folgende Gitterstrukturenam häufigsten auf:

– Caesiumchlorid-Gitter.Grenzradienquotient rA+/rB− ≥ 0,732. Gitterstruk-tur: Sowohl die Cs+-Ionen als auch die Cl−-Ionenbilden kubisch primitive Teilgitter, die um eine hal-be Raumdiagonale gegeneinander verschoben sind(vgl. Bild 5-12). Jedes Cs+-Ion ist von acht Cl−-Ionen und jedes Cl−-Ion von acht Cs+- Ionen um-geben (Koordinationszahl 8). Beispiele: Caesium-chlorid CsCl, CsBr, CsI.

– Natriumchlorid-Gitter.Grenzradienquotient 0,414 ≤ rA+/B− ≤ 0,732. Git-terstruktur: Die Na+- und die Cl−-Ionen bilden ku-bisch flächenzentrierte Teilgitter aus, die um ei-ne halbe Kantenlänge in einer Koordinatenachseverschoben sind (vgl. Bild 5-13). Die Cl−-Ionen(r(Na+)/r(Cl−) = 0,56) bilden eine kubisch dich-

Bild 5-12. Elementarzelle der Caesiumchlorid-Struktur

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5 Zustandsformen der Materie C29

Bild 5-13. Elementarzelle der Natriumchlorid-Struktur

teste Kugelpackung, in deren Oktaederlücken sichdie Kationen befinden. Jedes Na+-Ion ist von sechsCl−-Ionen und jedes Cl−-Ion von sechs Na+-Ionenumgeben (Koordinationszahl 6). Beispiele: NaCl,NaF, NaBr, NaI, KF, KCl, KBr, KI, CaO, MgO.

– Zinkblende-Gitter.Grenzradienquotient 0,225 ≤ rA+/rB− ≤ 0,414.(Zinkblende ist eine Modifikation des ZinksulfidsZnS. ZnS kommt noch in einer weiteren Modifika-tion als Wurtzit vor.) Gitterstruktur: Die S2−-Ionenbilden eine kubisch dichteste Kugelpackung, derenTetraederlücken die Zinkionen alternierend beset-zen; Koordinationszahl 4.

Kovalente Kristalle

Der wichtigste Vertreter dieses Gittertyps ist derDiamant. In dieser Kohlenstoffmodifikation sinddie Elektronenzustände sp3-hybridisiert (vgl. 3.1.3).Jedes C-Atom ist daher tetraedrisch von vier anderenC-Atomen umgeben. Die C-Atome bilden gewin-kelte Sechsringe aus, die in parallelen Schichtenangeordnet sind (vgl. Bild 5-14). Im Gegensatz zumGraphit werden die Schichten beim Diamanten je-doch durch Atombindungen fest zusammengehalten.

Bild 5-14. Diamantstruktur

Bild 5-15. Graphitstruktur

Die skizzierte Struktur bedingt die große Härte desDiamanten.

Kristalle mit komplexen Bindungsverhältnissen

In sehr vielen Fällen können Kristalle durch dieAngabe einer der vier Grenztypen der chemischenBindung nicht ausreichend beschrieben werden. Viel-mehr sind Übergänge zwischen den verschiedenenGrenzbindungsarten vorhanden. So werden z. B.bei vielen Schwermetallsulfiden Mischformen vonionischer und metallischer Bindung beobachtet. Esist auch möglich, dass in verschiedenen Raumrich-tungen unterschiedliche Bindungsarten wirksam sind(Beispiel Graphit, vgl. Bild 5-15 und D 4.2).

5.3.3 Reale Kristalle

In diesem Kapitel wurden ausschließlich Idealkristal-le behandelt. Hierunter versteht man Kristalle, die so-wohl im makroskopischen wie auch im mikroskopi-schen Bereich einen mathematisch strengen Aufbauzeigen. In der Natur gibt es jedoch nur reale Kris-talle, die sich von den Idealkristallen durch die An-wesenheit von Kristallbaufehlern unterscheiden; sie-he D 2.2.

5.3.4 Grenz¦ächen

Bei elementaren Betrachtungen (auch in der Thermo-dynamik, vgl. 6) sieht man davon ab, dass das Vo-lumen von Festkörpern endlich ist. Reale Festkörperbesitzen Grenzflächen, z. B. zu anderen Festkörpern,zu Flüssigkeiten oder zu Gasen (in den beiden letztenFällen Oberflächen genannt). Chemische und physi-

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C30 C Chemie

kalische Prozesse an Grenzflächen sind von entschei-dender Bedeutung für

– das Kristallwachstum bzw. die Auflösung von Kris-tallen;

– die geschwindigkeitsbestimmenden Schritte che-mischer Reaktionen (heterogene Katalyse, vgl.7.9);

– Korrosion, Bruch, Reibung und Verschleiß.

Die chemische Zusammensetzung und die Struk-tur einer Grenzfläche können erheblich von denVerhältnissen im Inneren des Festkörpers abwei-chen. Beispielsweise besitzen unedle Metalle Oxid-oder Hydroxidschichten (s. z. B. 10.13.1) an derMetall-Luft-Grenzfläche; bei der Adsorption werdenTeilchen durch van-der-Waals-Wechselwirkungenan einer Oberfläche gebunden. Zur Bestimmung derStruktur und der chemischen Zusammensetzung anOberflächen dienen die rasterkraftmikroskopischenMethoden (z. B. atomic force microscopy AFM)und oberflächenspektroskopische Methoden (z. B.electronic spectroscopy for chemical analysis ESCAs. D 11.2).

5.4 PlasmenDer Plasmazustand (vgl. B 16.6) wird häufig alsvierter Aggregatzustand der Materie bezeichnet.Oberhalb einer Temperatur von 10 000 K liegtdie dann ausnahmslos gasförmige Materie voll-ständig ionisiert vor, sodass sie aus positiv odernegativ geladenen Ionen, Elektronen und (je nachTemperatur noch auftretenden) Neutralteilchenbesteht. Während die Materie des Universumsganz überwiegend (> 99%) im Plasmazustand vor-liegt, kommt er auf der Erde selten vor, z. B. inthermonuklearen Reaktionen, im Nordlicht oderim Lichtbogen. Bei Niedertemperaturplasmen, dieu.a. durch Mikrowelleneinwirkung auf Gase beigeringem Druck (im mbar-Bereich) erzeugt wer-den können, besitzen nur die Elektronen extremhohe Temperaturen, nicht aber die (schweren)Ionen oder Neutralteilchen (sogenannte nicht-isotherme Plasmen). Technische Anwendungenfür Plasmen sind Synthesen im Lichtbogen (z. B.von Acetylen), die Reinigung, Modifizierung undBeschichtung von Oberflächen sowie das Plas-maschneiden.

6 Thermodynamikchemischer Reaktionen.Das chemische Gleichgewicht

6.1 Grundlagen

6.1.1 Einteilung der thermodynamischen Systeme

Stoffliche Systeme können folgendermaßen eingeteiltwerden:

– Nach den Transportmöglichkeiten von Energieund/oder Materie über die Systemgrenzen werdenunterschieden:abgeschlossene Systeme (weder Materie- nochEnergieaustausch möglich), geschlossene Systeme(nur Energieaustausch möglich) und offene Syste-me (sowohl Materie- als auch Energieaustauschmöglich).

– Nach der stofflichen Zusammensetzung unterschei-det man zwischen Einstoff - und Mehrstoffsyste-men.

– Nach der Zahl der anwesenden Phasen unterschei-det man zwischen homogenen und heterogenenSystemen. Homogene Systeme weisen überalldieselben physikalischen und chemischen Eigen-schaften auf. Sie bestehen aus nur einer Phase.Ein homogenes Einstoffsystem wird auch als reinePhase bezeichnet. Ein System, das aus mehr alseiner Phase aufgebaut ist, heißt heterogen.

Beispiele von homogenen Systemen: Mischungen vonGasen, flüssiges Wasser, wässrige Lösungen von Sal-zen (vgl. 8), Metalle und manche Metalllegierungen.Beispiele von heterogenen Systemen: Gemisch aus Ei-sen und Schwefel, Nebel, Gemisch aus flüssigem undfestem Wasser, Granit, Kolloide (vgl. 8.1.1).

6.1.2 Die Umsatzvariable

Die in einer Reaktionsgleichung vor dem Stoffsymbolstehenden Zahlen werden als stöchiometrische ZahlenνB bezeichnet. Vereinbarungsgemäß haben die stö-chiometrischen Zahlen der Ausgangsstoffe ein negati-ves und die der Endprodukte ein positives Vorzeichen.Für die Umsatzgleichung

N2 + 3 H2 → 2 NH3

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6 Thermodynamik chemischer Reaktionen. Das chemische Gleichgewicht C31

gilt also:

ν(N2) = −1

ν(H2) = −3 und ν(NH3) = +2 .

Die Angabe von stöchiometrischen Zahlen ist nurbei unmittelbarem Bezug auf eine Reaktionsglei-chung sinnvoll. Zur Beschreibung des Verlaufseiner chemischen Reaktion benötigt man nur eineeinzige Variable, die Umsatzvariable ξ. Diese Größewird auch als Reaktionslaufzahl bezeichnet und istfolgendermaßen definiert:

dξ = dni/νi (6-1)

ni Stoffmenge.Die Umsatzvariable hat die Dimension einer Stoff-menge.Wendet man diese Definitionsgleichung auf die obengenannte Reaktionsgleichung an, so erhält man:

dξ = −dn(N2) = −1/3 dn(N2) = 1/2 dn(NH3) .

Die Umsatzvariable kann nicht nur auf chemischeReaktionen und Phasenumwandlungen angewen-det werden, sondern auch auf Vorgänge, die nichtmehr mit Umsatzgleichungen beschrieben werdenkönnen (z. B. Ordnungs-Unordnungs-Übergänge inLegierungen).

6.2 Anwendung des 1. Hauptsatzesder Thermodynamikauf chemische Reaktionen

6.2.1 Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik

Für ein geschlossenes System kann der 1. Hauptsatzder Thermodynamik folgendermaßen formuliert wer-den (vgl. F 1.5.2):

ΔU = U2 − U1 = Q12 +W12 , (6-2)

U innere Energie (Index 2: Endzustand, Index 1: An-fangszustand). Q12 Wärme bzw. W12 Arbeit, die mitder Umgebung ausgetauscht wird. Die innere Energieist der Messung nicht zugänglich. Es können nur Dif-ferenzen dieser Größe ermittelt werden. Im Gegen-satz zur Wärme und zur Arbeit ist die innere Ener-gie eine extensive Zustandsgröße (vgl. F 1.2.1). Diedrei Größen U, Q und W haben die Dimension ei-ner Energie. Vorausgesetzt, dass zwischen dem Sys-tem und der Umgebung nur Wärme und Volumenar-

beit (W12 = −pΔV) (vgl. F 1.1.2) ausgetauscht wird,erhält man für den 1. Hauptsatz:

ΔU = Q12 − pΔV oder dU = dQ − pdV (6-3)

Bei isochoren Vorgängen vereinfacht sich die obigeBeziehung zu:

ΔU = Q12; V = const . (6-4)

Bei isochoren Vorgängen ist die mit der Um-gebung ausgetauschte Wärme gleich der Än-derung der inneren Energie.

Die Enthalpie H eines einfachen Bereiches ist folgen-dermaßen definiert (vgl. F 1.2.3):

H = U + pV (6-5)

Die Enthalpie ist eine Zustandsgröße. Sie ist eine ex-tensive Größe und hat die Dimension einer Energie.Genau wie bei der inneren Energie ist es auch beider Enthalpie nicht möglich, ihren Absolutwert zu be-stimmen.Mit ΔU = Q12 − pΔV und Δ(pV) = VΔp + pΔVfolgt aus obiger Beziehung:

ΔH = Q12 + VΔp (6-6)

Bei isobaren Vorgängen vereinfacht sich diese Glei-chung zu

ΔH = Q12; p = const . (6-7)

Bei isobaren Vorgängen ist die mit der Um-gebung ausgetauschte Wärme gleich der Än-derung der Enthalpie.

6.2.2 Die Reaktionsenergie

Anhand der Modellreaktion

νAA + νBB + . . . → νNN + νMM + . . .

kann folgende Beziehung für die ReaktionsenergieΔrU angegeben werden:

ΔrU = (νNUm(N) + νMUm(M) + . . .)

− (νAUm(A) + νBUm(B) + . . .)

oder allgemein

ΔrU =∑

νiUmi ; V, T = const . (6-8)

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C32 C Chemie

νi stöchiometrische Zahl, Umi molare innere Energiedes Stoffes i, also Umi = Ui/ni.Die Reaktionsenergie ist eine Zustandsgröße. Für dieReaktionsenergie gilt auch die Beziehung

ΔrU = (∂U/∂ξ)V, T .

(Hinweis: Zwischen differenziellen und integralenReaktionsgrößen, wie sie in ausführlichen Darstel-lungen der chemischen Thermodynamik verwendetwerden, wird im Folgenden nicht unterschieden;eigentlich gilt

ΔrU = ∫ (∂U/∂ξ)V,T dξ =∫ ∑

νiUmi dξ

mit Integration über einen Formelumsatz.)

Messung der ReaktionsenergieDie Messung der Reaktionsenergie kann mit einemKalorimeter erfolgen. Besonders häufig werdenderartige Untersuchungen bei Verbrennungsreak-tionen (vgl. 9.3.1) durchgeführt. Hierbei wird eineSubstanz mit Sauerstoff in einer kalorimetrischenBombe verbrannt und die dabei freiwerdende Wärme(Q < 0) gemessen. Da bei diesem Vorgang dasVolumen konstant gehalten wird, ist die freiwerdendeWärme gleich der Reaktionsenergie, vgl. (6-4).Ein bei der Kalorimetrie von Verbrennungsreaktionenhäufig verwendeter Begriff ist der Brennwert einesStoffes (vgl. DIN 51900-1:2000):Als Brennwert wird der Quotient aus dem Betragder bei der Verbrennung freiwerdenden Wärme undder Masse des eingesetzten Brennstoffs bezeichnet.Das dabei gebildete Wasser soll in flüssiger Formvorliegen (CO2 und eventuell gebildetes SO2 müs-sen als Gas vorhanden sein; Temperatur 25 ◦C). Dadie Bestimmung des Brennwertes in einer kalorime-trischen Bombe vorgenommen wird (V = const), istder Brennwert gleich der negativen spezifischen Re-aktionsenergie.

6.2.3 Die Reaktionsenthalpie

Die ReaktionsenthalpieΔrH ist analog zur Reaktions-energie 6.2.2 durch folgende Beziehungen definiert:

ΔrH =∑

νi Hmi ; p, T = const . (6-9)

ΔrH = (∂H/∂ξ)p,T ,

νi stöchiometrische Zahl, ξ Umsatzvariable, Hmi =

Hi/ni ist die molare Enthalpie der Substanz i.Wie die Reaktionsenergie ist auch die Reaktionsent-halpie eine Zustandsgröße.

Zusammenhang zwischen Reaktionsenergieund -enthalpieFür den Zusammenhang zwischen ReaktionsenergieΔrU und ReaktionsenthalpieΔrH gilt näherungsweise

ΔrH = ΔrU + pΔrV . (6-10)

ΔrV ist das Reaktionsvolumen, das folgendermaßendefiniert ist:ΔrV =

∑νiVmi mit Vmi = Vi/ni dem molaren Volu-

men des Stoffes i.Laufen Reaktionen ausschließlich in kondensiertenPhasen ab, so fällt in (6-10) der Term pΔrV nume-risch kaum ins Gewicht. Es gilt

ΔrH ≈ ΔrU .

Sind Gase an einer chemischen Reaktion beteiligt, sowird die Änderung des Reaktionsvolumens praktischnur durch die Änderung des Gasvolumens bewirkt.Unter Anwendung der Zustandsgleichung idealer Ga-se erhält man in diesem Fall:

ΔrH = ΔrU + pΔrV ≈ ΔrU + RT∑

νi . (6-11)

Beispiele:

1. Bei der homogenen GasreaktionN2(g) + O2(g) → 2 NO(g) ist

∑νi = 0, d. h.,

ΔrH = ΔrU.2. Für die heterogene Reaktion

2 H2(g) + O2(g) → 2 H2O(l) gilt∑νi = −3, da

bei der Anwendung der obigen Beziehung Stoffein kondensierten Phasen nicht zu berücksichtigensind.

Exotherme und endotherme ReaktionenNach dem Vorzeichen der Reaktionsenthalpie wirdzwischen exothermen und endothermen Reaktionenunterschieden:ΔrH < 0 exotherme Reaktion,ΔrH > 0 endotherme Reaktion.Diese Unterscheidung wird auch auf Phasenumwand-lungen angewandt.

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6 Thermodynamik chemischer Reaktionen. Das chemische Gleichgewicht C33

Beim Ablauf exothermer Reaktionen wird (bei kon-stantem Druck) Wärme an die Umgebung abgegeben.Als Folge hiervon tritt eine Temperaturerhöhungauf (Beispiel: Verbrennungsvorgänge). Entsprechendführt der Ablauf endothermer Prozesse zu einerTemperaturerniedrigung (Beispiel: Verdampfen einerFlüssigkeit).

Das Berthelot-Thomsen’sche PrinzipNach einem von Thomsen und Berthelot 1878 auf-gestellten Prinzip sollten nur exotherme Reaktionenbzw. Vorgänge freiwillig ablaufen. Die Erfahrungzeigt, dass in der Tat exotherme Reaktionen (z. B.Verbrennungsreaktionen) spontan verlaufen können.Dieser Sachverhalt trifft aber auch auf eine großeZahl endothermer Reaktionen zu. So läuft z. B.die Verdampfung von Flüssigkeiten (endothermerVorgang) freiwillig ab. Dieses Beispiel zeigt deutlich,dass das Vorzeichen von Reaktions- bzw. Phasenum-wandlungsenthalpien nicht als alleiniges Kriteriumfür den freiwilligen Ablauf von Reaktionen bzw.Vorgängen dienen kann, vgl. 6.3.4.

6.2.4 Der Heß’sche Satz

Da die Reaktionsenthalpie eine Zustandsgröße ist,folgt, dass sie nur vom Anfangs- und Endzustanddes Systems abhängt, also unabhängig vom Reak-tionsweg ist. Lässt man daher ein System einmaldirekt und einmal über verschiedene Zwischenstufenvon einem Anfangszustand in einen Endzustandübergehen, so sind die Reaktionsenthalpien in beidenFällen gleich groß. Diese Aussage wird als Heß-scher Satz bezeichnet. Er dient zur Berechnung vonReaktionsenthalpien, die nicht direkt messbar sind.

Beispiel: Die Reaktionsenthalpie ΔrH1 der Reaktion

C(s) + 1/2 O2(g) → CO(g)

soll ermittelt werden. ΔrH1 ist auf direktem Wegenicht messbar, weil die Verbrennung des Kohlen-stoffs nicht so durchgeführt werden kann, dass dabeiausschließlich Kohlenmonoxid CO entsteht. Messbarsind hingegen die Reaktionsenthalpien der folgendenReaktionen:

C(s) + O2(g) → CO2(g) mit ΔrH2

CO(g) + 1/2 O2(g) → CO2(g) mit ΔrH3

Zur Bildung des gasförmigen Kohlendioxids aus fes-tem Kohlenstoff sind zwei Reaktionsfolgen möglich:Die erste führt direkt zum CO2 (2. der hier angegebe-nen Reaktionen), die zweite benutzt den Umweg derCO-Bildung (1. und 3. der hier genannten Reaktio-nen). Für die Reaktionsenthalpien gilt daher folgen-der Zusammenhang:

ΔrH2 = ΔrH1 + ΔrH3 .

Überprüfung dieser Beziehung mithilfe der Definiti-onsgleichung der Reaktionsenthalpie (vgl. 6.2.3):

ΔrH2 = Hm(CO2) − Hm(C) − Hm(O2)

ΔrH1 + ΔrH3 = Hm(CO) − Hm(C) − 1/2Hm(O2)

+ Hm(CO2) − Hm(CO) − 1/2Hm(O2)

= Hm(CO2) − Hm(C) − Hm(O2) .

6.2.5 Die Standardbildungsenthalpievon Verbindungen

Die Reaktionsenthalpie, die zur Bildung ei-nes Mols einer chemischen Verbindung ausden Elementen notwendig ist, bezeichnet manals molare Bildungsenthalpie.

So ist z. B. die Reaktionsenthalpie der Reaktion1/2 N2 + 3/2 H2 → NH3 gleich der molaren Bil-dungsenthalpie ΔBHm des Ammoniaks. Da dieReaktionsenthalpie druck- und temperaturabhängig(vgl. 6.2.6) ist, muss der Zustand, in dem sich dieElemente befinden sollen, festgelegt werden. AlsStandardzustand wählt man

– für kondensierte Stoffe den Zustand des reinenStoffes bei 25 ◦C und 101 325 Pa und

– für Gase den Zustand idealen Verhaltens bei eben-falls 25 ◦C und 101 325 Pa.

Findet die Bildung eines Mols einer Verbindungaus den Elementen unter Standardbedingungenstatt, so heißt die entsprechende Reaktionsenthal-pie molare Standardbildungsenthalpie. Die molareStandardbildungsenthalpie einer großen Zahl vonVerbindungen ist experimentell ermittelt worden undin Tabellenwerken aufgeführt. Für einige Stoffe istsie in Tabelle 6-1 angegeben. Die Bedeutung dermolaren Standardbildungsenthalpie beruht darauf,dass unter Anwendung des Heß’schen Satzes nachfolgender Beziehung Reaktionsenthalpien berechnet

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C34 C Chemie

Tabelle 6-1. Molare Standardbildungsenthalpien ΔBH0m und

molare Standardentropien S 0m einiger Stoffe

Stoff Formel ΔBH0m in S 0

m inkJ/mol J/(mol · K)

Graphit 0 5,7Diamant 1,9 2,4Kohlenmonoxid CO −110,5 197,75Kohlendioxid CO2 −393,5 213,78Stickstoff N2 0 191,6Wasserstoff H2 0 130,7Ammoniak NH3 −45,9 192,8Stickstoffmonoxid NO 91,3 210,8Stickstoffdioxid NO2 33,2 240,1Wasser H2O(g) −241,8 188,8Wasser H2O(l) −285,8 69,9Methan CH4(g) −74,6 186,3Ethan C2H6(g) −84,0 229,2Propan C3H8(g) −103,8 270,3Acetylen C2H2(g) 227,4 200,9Benzol C6H6(g) 82,9 269,2Benzol C6H6(l) 49,1 173,4Tetrafluormethan CF4(g) −933,6 261,6Tetrafluorethylen C2F4(g) −658,9 300,1

werden können (Reaktionsgrößen unter Standardbe-dingungen sind mit dem Zeichen 0 gekennzeichnet):

ΔrH0 =∑

νiΔBH0mi (6-12)

(p = 101 325 Pa, T = 298,15 K) .

Beispiele:

– Berechnung der Reaktionsenthalpie des Acetylen-zerfalls unter Standardbedingungen (vgl. 11.3.1):

HC ≡ CH(g) → 2 C(s) + H2(g)

Für die obige Reaktion erhält man:

ΔrH0 =∑

νiΔBH0mi = −ΔBH0

m(H2C2)

= −226,7 kJ/mol (vgl. Tabelle 6-1)

(Hinweis: Die Standardbildungsenthalpien der Ele-mente sind null.)

– Berechnung der Reaktionsenthalpie für die Ver-brennung von Acetylen unter Standardbedingun-gen (vgl. 11.3.1):

HC ≡ CH(g) + 5/2 O2(g) → H2O(l) + 2 CO2(g)

Für die Reaktionsenthalpie unter Standardbedin-gungen erhält man:

ΔrH0 = 2 ΔBH0

m(CO2) + ΔBH0m(H2O(l))

− ΔBH0m(H2C2)

= (−2 · 393,5 − 285,8 − 226,7) kJ/mol

= −1299,5 kJ/mol .

6.2.6 Temperatur- und Druckabhängigkeitder Reaktionsenthalpie

Die Wärmekapazität Cp (extensiv) und die molareWärmekapazität Cmp (intensiv) sind durch folgendeGleichungen definiert:

(∂H/∂T )P = Cp (6-13a)

und (∂Hm/∂T )P = Cmp = Cp/n (6-13b)

n Stoffmenge.Differenziert man die Definitionsgleichung der Re-aktionsenthalpie (6-9) nach der Temperatur, so erhältman unter Verwendung von (6-13b)

(∂ΔrH/∂T )P =∑

νi(∂Hmi/∂T )P =∑

νiCmpi .

Durch Integration folgt

ΔrH(T2) = ΔrH(T1) +

T2∫T1

∑νiCmpi dT (6-14)

Diese Beziehung, die die Temperaturabhängig-keit der Reaktionsenthalpie beschreibt, wird alsKirchhoff’sches Gesetz bezeichnet.Im Gegensatz zur Temperaturabhängigkeit der Reak-tionsenthalpie ist der Einfluss des Druckes auf ΔrHsehr gering und kann i. allg. vernachlässigt werden.

Beispiel: Der AusdruckT2∫

T1

∑νiCmpi dT

soll für die Gasreaktion N2+3 H2 → 2 NH3 berechnetwerden.Die Temperaturabhängigkeit der molaren Wärmeka-pazität kann durch folgende Potenzreihe beschriebenwerden:

Cmp = a0 + a1T + a2T 2 + . . . ,

Page 35: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

6 Thermodynamik chemischer Reaktionen. Das chemische Gleichgewicht C35

wobei häufig eine Entwicklung bis T 2 ausreicht. Beidem gewählten Beispiel erhält man für∑

νiCmpi :∑νiCmpi =2 Cmp (NH3) − Cmp (N2) − 3 Cmp (H2)

=2 a0 (NH3)+2 a1 (NH3) T +2 a2 (NH3) T 2

− a0 (N2) − a1 (N2) T − a2 (N2) T 2

− 3 a0 (H2) − 3 a1 (H2) T − 3 a2 (H2) T 2

Mit den Abkürzungen

2 a0 (NH3) − a0 (N2) − 3 a0 (H2) = A0 ,

2 a1 (NH3) − a1 (N2) − 3 a1 (H2) = A1 und

2 a2 (NH3) − a2 (N2) − 3 a2 (H2) = A2 ,

erhält man∑νiCmpi = A0 + A1T + A2T 2 .

Damit folgt für

T2∫T1

∑νiCmpi dT = A0(T2 − T1) + 1/2 A1

(T 2

2 − T 21

)

+ 1/3 A2

(T 3

2 − T 31

).

6.3 Anwendung des 2. und 3. Hauptsatzesder Thermodynamikauf chemische Reaktionen6.3.1 Grundlagen

Die Entropie wird thermodynamisch durch den2. Hauptsatz definiert (Einzelheiten siehe F 1.1.2).Sie ist eine extensive Zustandsgröße der DimensionEnergie/Temperatur.Die Entropie eines Systems kann sich nur auf zweiArten ändern: Entweder durch Energieaustausch mitder Umgebung (deS ) oder durch Entropieerzeugunginfolge der im System ablaufenden irreversiblen Vor-gänge (diS ):

dS = deS + diS . (6-15)

Beim Ablauf irreversibler Vorgänge kann sich dieEntropie in einem abgeschlossenen System (deS = 0,dS = diS ) nur vergrößern; finden dagegen ausschließ-

lich reversible Vorgänge statt, so bleibt die Entropiekonstant:

dS = diS ≥ 0 ,

diS > 0: irreversibler Vorgang,diS = 0: reversibler Vorgang.Zu den irreversiblen Vorgängen gehören Ausgleichs-vorgänge (z. B. chemische Reaktionen, Mischungen,Temperatur- und Druckausgleich) sowie dissipativeEffekte (z. B. Reibung, Deformation).Der 3. Hauptsatz der Thermodynamik, dasNernst’sche Wärmetheorem, kann folgenderma-ßen formuliert werden:

Die Entropie einer reinen Phase im innerenGleichgewicht ist am absoluten Nullpunktnull:

S (T = 0) = 0 .

Für reine Phasen, die sich, wie z. B. die Gläser, nichtim inneren Gleichgewicht befinden, gilt

S (T = 0) > 0 .

Der 3. Hauptsatz ermöglicht die Ermittlung vonAbsolutwerten der Entropie für die verschiedenstenStoffe aus rein kalorischen Daten. Bei Kenntnis derTemperaturabhängigkeit der molaren Wärmekapazi-tät kann die molare Entropie eines reinen Gases nachfolgender Formel berechnet werden:

S m = S/n =

Tsl∫0

Cmp (s)

TdT +

ΔslHm

Ts

+

Tlg∫Tsl

Cmp (l)

TdT +

ΔlgHm

TSd+

T∫Tlg

Cmp(g)

TdT ,

(6-16)

Cmp(s), Cmp(l), Cmp(g) molare Wärmekapazität desFeststoffes, der Flüssigkeit bzw. des Gases; Tsl, Tlg

Schmelz- bzw. Siedetemperatur; ΔslHm, ΔlgHm mola-re Schmelz- bzw. molare Verdampfungsenthalpie.Eventuelle Phasenumwandlungen des Feststoffes sindin dieser Beziehung nicht berücksichtigt. Zur Berech-nung der Entropie von Feststoffen bzw. Flüssigkeitenmuss die obige Formel sinngemäß vereinfacht wer-den.In Tabelle 6-1 sind die molaren Standardentropieneiniger Stoffe aufgeführt. Der Standardzustand ent-spricht dem in 6.2.5 angegebenen.

Page 36: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C36 C Chemie

6.3.2 Reaktionsentropie

Die Reaktionsentropie ΔrS ist durch folgende Bezie-hungen definiert:

ΔrS =∑

νiS mi ; (6-17a)

ΔrS = (∂S/∂ξ)p,T . (6-17b)

S mi = Si/ni molare Entropie der Reaktionsteilnehmer,νi stöchiometrische Zahl, ξ Umsatzvariable.Als Standardreaktionsentropie ΔrS 0 wird die Reak-tionsentropie unter Standardbedingungen (vgl. 6.2.5)bezeichnet.Bei konstantem Druck kann die Temperaturabhängig-keit der Reaktionsentropie durch folgende Beziehungbeschrieben werden (vgl. auch (6-16)):

ΔrS (T2) = ΔrS (T1) +

T2∫T1

∑νiCmpi dT/T . (6-18)

6.3.3 Die Freie Enthalpieund das chemische Potential

Die Freie Enthalpie G ist durch die folgende Glei-chung definiert:

G = H − TS . (6-19)

G ist eine extensive Zustandsgröße.Für das chemische Potential μB der Komponente B ineiner Mischphase gilt folgende Definitionsgleichung:

μB = (∂G/∂nB)p,T, n j . (6-20)

Danach ist das chemische Potential die partiellemolare Freie Enthalpie der Komponente B in dieserMischphase. (Einzelheiten über partielle molareGrößen s. F 1.2.2). Vom chemischen Potentialeiner Komponente in einer Mischphase kann dahergesprochen werden wie z. B. von der Konzentrationoder dem Stoffmengenanteil dieser Komponente. BeiEinkomponentensystemen ist μi gleich der molarenFreien Enthalpie des reinen Stoffes. Das chemischePotential ist eine intensive Zustandsgröße der Di-mension Energie/Stoffmenge und kann somit aucheine Funktion des Ortes sein. Die Absolutwerte deschemischen Potentials können nicht ermittelt werden.Man kann jedoch Differenzen des chemischen Po-tentials zwischen dem interessierenden Zustand und

einem willkürlich gewählten Standardzustand (sieheunten) bestimmen.Die Bedeutung des chemischen Potentials veran-schaulichen folgende Beispiele:Eine frei bewegliche Substanz wandert stets zum Zu-stand niedrigeren chemischen Potentials.Ein Gas löst sich so lange in einer Flüssigkeit auf, bisdas chemische Potential des Gases in der Gasphasegleich dem in der Flüssigkeit ist (vgl. 8.3).Die Bedingung für das chemische Gleichgewicht(Einzelheiten vgl. 6.4.1) kann elegant mit Hilfe deschemischen Potentials formuliert werden. So giltz. B. für das Iod-Wasserstoff-Gleichgewicht:

H2(g) + I2(g)� 2 HJ(g) ,

μ(H2) + μ(I2) = 2 μ(HJ) .

Die Abhängigkeit des chemischen Potentials von derZusammensetzung wird durch die folgenden Bezie-hungen beschrieben. In den angeführten Gleichungenwerden die Wechselwirkungen der Teilchen unterein-ander nicht berücksichtigt:

μB = μ0Bc + RT ln {cB} ,

μB = μ0Bp + RT ln {pB} , (6-21)

μB = μ0Bx + RT ln xB .

cB Konzentration, pB (Partial-)Druck, xB Stoffmen-genanteil. Die beiden erstgenannten Beziehungen be-schreiben auch die Konzentrations- bzw. die Druck-abhängigkeit des chemischen Potentials reiner Gase.μ0

Bc, μ0Bp, μ0

Bx werden als chemische Standardpoten-tiale bezeichnet. Unter ln {cB} bzw. ln {pB} soll hierund im Folgenden ln (cB/c∗) bzw. ln (pB/p∗) mitc∗ = 1 mol/l und p∗ = 1 bar verstanden werden.

6.3.4 Die Freie Reaktionsenthalpie.Die Gibbs-Helmholtz’sche Gleichung

Aus der Definitionsgleichung (6-19) der Freien Ent-halpie folgt durch Differenzieren nach der Umsatzva-riablen ξ

(∂G/∂ξ)p,T = (∂H/∂ξ)p,T − T (∂S/∂ξ)p,T

ΔrG = ΔrH − TΔrS . (6-22)

ΔrG wird als Freie Reaktionsenthalpie bezeich-net. Die Beziehung (6-22) heißt auch Gibbs-Helmholtz’sche Gleichung.

Page 37: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

6 Thermodynamik chemischer Reaktionen. Das chemische Gleichgewicht C37

Der Zusammenhang zwischen der Freien Reaktions-enthalpie und dem chemischen Potential μi der an ei-ner Reaktion beteiligten Stoffe wird durch folgendeBeziehung beschrieben:

ΔrG =∑

νiμi p, T = const . (6-23)

Berücksichtigt man die Abhängigkeit des chemischenPotentials von der Zusammensetzung, vgl. (6-21), soerhält man:

ΔrG = ΔrG0c + RT

∑νi ln {ci} ,

ΔrG = ΔrG0p + RT

∑νi ln {pi} , (6-24)

ΔrG = ΔrG0x + RT

∑νi ln xi .

Die Größen ΔrG0c , ΔrG0

p, und ΔrG0x werden als Stan-

dardwerte der Freien Reaktionsenthalpie bezeichnet(Freie Standardreaktionsenthalpie). Bei Redoxreak-tionen kann ΔrG leicht durch Messung der elektro-motorischen Kraft EMK bestimmt werden (vgl. 9.4).Voraussetzung hierfür ist eine geeignete elektroche-mische Zelle, in der bei Stromfluss die interessierendeRedoxreaktion ungehindert ablaufen kann.Die Freie Reaktionsenthalpie ist ein Ausdruck fürdie beim Ablauf einer chemischen Reaktion maxi-mal gewinnbare Arbeit. Der Wert dieser Größe ent-scheidet darüber, ob eine chemische Reaktion (bzw.ein physikalisch-chemischer Vorgang) freiwillig oderaber nur unter Zwang ablaufen kann oder ob Gleich-gewicht vorhanden ist. Es gelten folgende Kriterien(p, T = const):

freiwilliger Ablauf ΔrG < 0 ,

Gleichgewicht ΔrG = 0 ,

Reaktion nur unter Zwang ΔrG > 0 , (6-25)

Ein Beispiel für unter Zwang ablaufende chemischeReaktionen stellen Elektrolysen (vgl. 9.8) dar. Hierbeiwerden durch Zufuhr elektrischer Arbeit Reaktionenerzwungen, bei denen ΔrG > 0 ist.Die Gibbs-Helmholtz’sche Gleichung besteht auszwei Termen, dem Enthalpieterm ΔrH und demEntropieterm TΔrS . Bei niedrigen Temperaturen istder Einfluss des Entropieterms gering, sodass in ers-ter Linie der Enthalpieterm über die Möglichkeit desAblaufs chemischer Reaktionen (bzw. physikalisch-chemischer Vorgänge) entscheidet. Bei diesenTemperaturen laufen praktisch nur exotherme Re-

aktionen freiwillig ab; das Berthelot-Thomsen’schePrinzip (vgl. 6.2.3) gilt nahezu uneingeschränkt. Beihöheren Temperaturen gewinnt der Entropieterm insteigendem Maße an Bedeutung. Endotherme Reak-tionen können nur dann freiwillig ablaufen, wenn dieBedingung TΔrS > ΔrH erfüllt ist, wenn also dieEntropie beim Ablauf der Reaktion vergrößert wird.Beispiele hierfür sind alle Schmelz- und Verdamp-fungsvorgänge. Beides sind endotherme Prozessemit ΔrS > 0. ΔrS ist hierbei positiv, da die molareEntropie (oder, umgangssprachlich ausgedrückt, die„Unordnung“ eines Systems) in der Reihenfolge fest– flüssig – gasförmig ansteigt.

Beispiele:Es soll festgestellt werden, ob Tetrafluorethylen unterStandardbedingungen (25 ◦C, 1,01325 bar) gemäß derGleichung

F2C=CF2(g)→ CF4

(g)+ 2C (s)

in Tetrafluormethan CF4 und Kohlenstoff zerfallenkann.

ΔrH0 = ΔBH0

m (CF4) − ΔBH0m (F4C2)

= (−933,2 + 648,5) kJ/mol

= −284,7 kJ/mol

ΔrS0 = 2S 0

m (C) + S 0m (CF4) − S 0

m (F4C2)

= (2 · 5,7 + 261,3 − 299, 9) J/ (mol · K)

= −27,2 J/ (mol · K)

ΔrG0 = ΔrH

0 − TΔrS0 = −284,7 kJ/mol

+ 298,2 K · 27,2 J/ (mol · K)

= −276,6 kJ/mol

Ergebnis: ΔrG0 < 0. Daraus folgt, dass die Reak-tion unter Standardbedingungen möglich ist, sieheauch 11.4.1.Ist die Umwandlung von Graphit in Diamant unterStandardbedingungen möglich?C (Graphit) → C (Diamant)

ΔrH0 = ΔBH0

m (Diamant) = +1,9 kJ/mol

ΔrS0 = S 0

m (Diamant) − S 0m(Graphit

)= (2,4 − 5,7) J/(mol · K)

= −3,3 J/ (K · mol)

ΔrG0 = ΔrH

0 − TΔrS0

= 1,9 kJ/mol + 298,2 K · 3,3 J/ (mol · K)

= +2,9 kJ/mol

Page 38: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C38 C Chemie

Ergebnis: ΔrG0 > 0. Daraus folgt, dass die Reaktionunter Standardbedingungen (auch in Gegenwart vonKatalysatoren) unmöglich ist. Bei 25 ◦C sind erst beiDrücken von ca. 15 kbar Diamant und Graphit mit-einander im Gleichgewicht, d. h., ΔrG wird dann null.Unter diesen Bedingungen ist aber die Geschwindig-keit der Umwandlung wesentlich zu klein, sodass mantechnisch höhere Temperaturen und Drücke anwen-den muss, um Diamanten in Gegenwart von Metall-katalysatoren zu synthetisieren (1500 bis 1800 ◦C und53 bis 100 kbar).

6.3.5 PhasenstabilitätMan unterscheidet stabile, metastabile und instabilePhasen:– Stabile Phasen

Wenn ein Stoff oder eine Stoffmischung in mehre-ren Phasen auftreten kann und wenn alle anderenmöglichen Phasen gegenüber der ursprünglicheneinen höheren Wert der Freien Enthalpie aufwei-sen, dann nennt man die ursprüngliche Phase stabil.Ändern sich die äußeren Parameter, wie z. B. Druckund Temperatur nicht, so liegt eine stabile Phasezeitlich unbegrenzt vor. Die überwiegende Mehr-zahl aller chemischen Verbindungen ist bei natür-lichen Umgebungsbedingungen stabil. So ist z. B.unter den genannten Bedingungen Graphit die sta-bile Kohlenstoffmodifikation.

– Metastabile PhasenBei metastabilen Phasen gibt es mindestens einePhase, die einen niedrigeren Wert der Freien Ent-halpie aufweist. Auch metastabile Phasen könnenzeitlich unbegrenzt vorliegen, ohne dass eine neuePhase auftritt. Werden jedoch Keime einer neu-en stabileren Phase zugeführt oder entstehen diesedurch ein statistisches Ereignis spontan, so geht dasSystem in die stabilere Phase über. Diese stabilerePhase ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einenkleineren Wert der Freien Enthalpie aufweist. ZurUmwandlung in die stabilere Phase ist die Über-windung einer Energiebarriere erforderlich.

Beispiele:Diamant und weißer Phosphor sind bei Raum-bedingungen metastabile Kohlenstoff- bzw.Phosphormodifikationen. Unterkühlte Flüssigkei-ten, übersättigte Lösungen (vgl. 8.7.7), überhitzteFlüssigkeiten sind weitere Beispiele für meta-

stabile Phasen. Die Umwandlung metastabilerPhasen kann, wie am Beispiel des Siedeverzugesüberhitzter Flüssigkeiten gezeigt werden soll, oftmit großer Heftigkeit erfolgen. Staub- und gasfreieFlüssigkeiten lassen sich in sauberen Gefäßenz. T. erheblich über ihren Siedepunkt erwärmen.Diese Erscheinung heißt Siedeverzug. So gelingtes z. B., Wasser in sorgfältig gereinigten Gefäßenbis auf 220 ◦C zu erhitzen. Durch geringe Erschüt-terung oder Zufuhr von Keimen (Gasbläschen)kann auf den Siedeverzug ein explosionsartigerSiedevorgang folgen.

– Instabile PhasenInstabile Phasen sind unbeständig gegenüber mole-kularen Schwankungen. Zur Bildung neuer Phasenist die Anwesenheit von Keimen nicht notwendig(spinodale Zersetzung).

6.4 Das Massenwirkungsgesetz6.4.1 Chemisches Gleichgewicht

Die meisten chemischen Reaktionen verlaufen nichtvollständig, sondern führen zu einem Gleichgewichts-zustand. In diesem Zustand findet makroskopischkein Stoffumsatz mehr statt (vgl. 7.5). Die Bedingungfür das chemische Gleichgewicht ist (vgl. (6-25)):ΔrG = 0.Mit ΔrG =

∑νiμi folgt

ΔrG =∑

νiμi = 0 , p, T = const .

Unter Anwendung der in (6-21) angegebenen Bezie-hungen, die die Abhängigkeit des chemischen Poten-tials von der Zusammensetzung beschreiben, erhältman:

0 = ΔrG0p + RT

∑νi ln {pi}

0 = ΔrG0c + RT

∑νi ln {ci} (6-26)

0 = ΔrG0x + RT

∑νi ln xi

oder

Kp = exp

⎛⎜⎜⎜⎜⎜⎝−ΔrG0p

RT

⎞⎟⎟⎟⎟⎟⎠ =∏

pνii

Kc = exp

(−ΔrG0

c

RT

)=∏

cνii (6-27)

Kx = exp

(−ΔrG0

x

RT

)=∏

xνii

Page 39: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

6 Thermodynamik chemischer Reaktionen. Das chemische Gleichgewicht C39

Diese Beziehungen werden als Massenwirkungsge-setz bezeichnet. Die Größen Kp,Kc und Kx heißenGleichgewichts- oder Massenwirkungskonstanten.Aus historischen Gründen werden Kp und Kc meistals dimensionsbehaftete Größen formuliert. Das be-deutet, dass in das Massenwirkungsgesetz dimensi-onsbehaftete Partialdrücke und Konzentrationen an-stelle von normierten Größen eingesetzt werden.Nach diesem Formalismus wird die Dimension vonKp und Kc von der Art der chemischen Reaktion be-stimmt. Kx ist stets dimensionslos.

Beispiel: Für die homogene Gasreaktion (Einzelhei-ten siehe 6.4.2)

N2(g)+ 3 H2

(g)� 2 NH3

(g)

soll das Massenwirkungsgesetz formuliert werden.Die stöchiometrischen Zahlen des Stickstoffs, Was-serstoffs und Ammoniaks sind bei dieser Reaktions-gleichung: ν(NH3) = 2, ν(N2) = −1, ν(H2) = −3.Damit erhält man für Kp:

Kp =∏

pν = p2 (NH3) · p−3 (H2) · p−1 (N2)

oder

Kp =p2 (NH3)

p3 (H2) · p (N2)

Bei dieser Reaktion hat Kp die Dimension Druck−2.Da die Gleichgewichtskonstante durch die obige Re-aktionsgleichung mit dem Standardwert der FreienReaktionsenthalpie verknüpft ist (siehe oben), dürfenZähler und Nenner im ausformulierten Massenwir-kungsgesetz nicht vertauscht werden!

6.4.2 Homogene Gasreaktionen

Homogene Gasreaktionen laufen ausschließlichin der Gasphase ab. Die Zusammensetzung derGasmischung wird meist durch Angabe der Partial-drücke (vgl. F 2.2) charakterisiert. Teilweise werdenhierzu jedoch auch die Konzentrationen bzw. dieStoffmengenanteile verwendet. Daher ergibt sichhäufig die Notwendigkeit, Kp, Kc und Kx ineinanderumrechnen zu müssen. Dies geschieht mit folgendenBeziehungen:

Kp = Kx p∑νi , (6-28)

Kp = Kc (RT )∑νi ,

Kx = Kc (RT/p)∑νi .

Ist bei homogenen Gasreaktionen∑νi = 0, so gilt:

Kp = Ke = Kx. Beispiel für eine derartige Reaktionist das Iod-Wasserstoff-Gleichgewicht:

H2(g)+ I2(g)� 2 HI

(g).

Beispiel: Für die Gleichgewichtsreaktion

CO(g)+ Cl2(g)� COCl2

(g)

(COC12 Phosgen, CO Kohlenmonoxid)gilt:ν (COCl2) = +1 , ν (CO) = −1 , ν (Cl2) = −1und∑νi = ν (COCl2) + ν (CO) + ν (Cl2) = −1.

Damit erhält man:

Kp = Kx · p−1 , Kp = Kc (RT )−1 ,

Kx = Kc (p/RT ) .

6.4.3 Heterogene Reaktionen

Bei heterogenen Reaktionen ist mehr als eine Pha-se am Umsatz beteiligt. Ein Beispiel stellt der ther-mische Zerfall des Calciumcarbonats CaCO3 dar, derdurch folgende Gleichung beschrieben wird:

CaCO3 (s)� CaO (s) + CO2(g).

CaCO3 und Calciumoxid CaO bilden keine Misch-kristalle. In diesem Fall muss das Massenwirkungs-gesetz folgendermaßen formuliert werden:

Kp = p (CO2) .

Calciumcarbonat und Calciumoxid als reine konden-sierte Phasen treten im Massenwirkungsgesetz nichtauf, da das chemische Potential reiner kondensierterPhasen gleich dem Standardpotential ist (vgl. 6.3.3).

Bei heterogenen Reaktionen bleiben reinekondensierte Phasen bei der Formulierungdes Massenwirkungsgesetzes unberücksich-tigt.

6.4.4 Berechnung von Gleichgewichtskonstantenaus thermochemischen Tabellen

Die Gleichgewichtskonstanten können leichtmit (6-27) unter Hinzuziehung der Gibbs-Helmholtz’schen Beziehung (6-22) aus thermo-chemischen Daten berechnet werden. Wird der

Page 40: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C40 C Chemie

in 6.2.5 beschriebene Standardzustand gewählt, soerhält man bei Gasreaktionen auf diese Weise dieGleichgewichtskonstante Kp :

lnKp

(p∗)m =ΔrS 0

R− ΔrH0

RT(6-29)

p∗ Standarddruck.Der Exponent m ist gleich der Summe der stöchiome-trischen Zahlen.

6.4.5 Temperaturabhängigkeitder Gleichgewichtskonstante

Die Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskon-stante wird durch folgende Gleichung beschrieben:(

∂ ln K∂T

)p

=ΔrH

RT 2. (6-30)

Gleichung (6-30) wird als van’t-Hoff’sche Reakti-onsisobare bezeichnet. Diese Beziehung beschreibtdie Verschiebung der Lage des chemischen Gleich-gewichtes infolge von Temperaturänderungen. Sovergrößert sich K bei endothermen Reaktionen(ΔrH > 0) mit steigender Temperatur. Das bedeutet,dass sich die Lage des chemischen Gleichgewichtesin diesem Fall zur Seite der Reaktionsprodukteverschiebt.In einem kleinen Temperaturintervall kann ΔrH ange-nähert als temperaturunabhängig angesehen werden.Unter dieser Voraussetzung erhält man durch Integra-tion von (6-30) die Beziehung

ln K = −ΔrHRT+C . (6-31)

Danach ist ln K eine lineare Funktion der reziprokenTemperatur.

6.4.6 Prinzip des kleinsten Zwanges

Qualitativ kann die Änderung der Lage eines che-mischen Gleichgewichtes durch äußere Einflüsse mitdem Prinzip von Le Chatelier und Braun, das auchdas Prinzip des kleinsten Zwanges genannt wird, be-schrieben werden:

Wird auf ein im Gleichgewicht befindlichesSystem ein äußerer Zwang ausgeübt, so ver-schiebt sich das Gleichgewicht derart, dasses versucht, diesen Zwang zu verringern.

Unter einem äußeren Zwang versteht man Änderun-gen von Temperatur, Druck oder Volumen bzw. derZusammensetzung.

Beispiel: Die Folgerungen aus diesem Prinzip sollenam Beispiel des Ammoniakgleichgewichtes diskutiertwerden (vgl. 7.9.4).

N2(g)+ 3 H2

(g)� 2 NH3

(g), ΔrH < 0 .

– Temperaturerhöhung (durch Zufuhr von Wärme)Ein Teil der zugeführten Wärme kann dadurch ver-braucht werden, dass sich die Lage des chemischenGleichgewichtes zur Seite der Ausgangsstoffe (alsonach links) verschiebt.

– DruckerhöhungNach der Zustandsgleichung idealer Gase ist derDruck der Stoffmenge und damit auch der Teil-chenzahl proportional. Ein Teil der Druckerhöhungkann dadurch kompensiert werden, dass sich dieLage des Gleichgewichtes zur Seite des Ammo-niaks (nach rechts) verschiebt, da auf diese Weisedie Teilchenzahl verringert werden kann.

6.4.7 Gekoppelte Gleichgewichte

Wenn sich in einem System zwei oder mehrereGleichgewichte gleichzeitig einstellen und ein odermehrere Stoffe des Systems an verschiedenen Gleich-gewichten teilnehmen, spricht man von gekoppeltenGleichgewichten. Über die Zusammensetzungsvaria-blen der gemeinsamen Stoffe stehen auch die anderenReaktionsteilnehmer im Gleichgewicht miteinander.Gekoppelte Gleichgewichte sind besonders beider Chemie der Verbrennungsvorgänge von großerBedeutung.

Beispiel:Werden Stickstoff-Sauerstoff-Gemische auf höhereTemperaturen erwärmt, so müssen bei Vernach-lässigung der Dissoziation der Stickstoff- undSauerstoffmoleküle folgende Gleichgewichte berück-sichtigt werden:

1/2 N2 + O2 � NO2 ,

1/2 N2 + 1/2 O2 � NO .

Formuliert man für diese Gleichgewichte das Mas-senwirkungsgesetz, so erhält man:

Kp,1 =p (NO2)

p1/2 (N2) p (O2), Kp,2 =

p (NO)p1/2 (N2) p1/2 (O2)

.

Page 41: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

7 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen. Reaktionskinetik C41

Zur Berechnung der vier Partialdrücke (p(NO2),p(NO), p(N2) und p(O2)) muss zusätzlich zu denoben genannten Massenwirkungsgesetzen und demMassenerhaltungssatz (vgl. 4.3.1) auch die Tatsacheberücksichtigt werden, dass der Gesamtdruck gleichder Summe der Partialdrücke ist (Einzelheiten desRechenweges: siehe z. B. Strehlow, R.A., 1985).Die Rechnung liefert für die isobare Erwärmung vonStickstoff-Sauerstoff-Gemischen bei einem Druckvon 1 bar folgendes Resultat:

T/K p(O2)/bar p(N2)/bar1000 0,212 0,7911500 0,212 0,7912000 0,208 0,7872500 0,197 0,777T/K p(NO)/mbar p(NO2)/μbar

1000 0,0355 1,881500 1,33 6,822000 8,09 12,92500 23,2 18,1

Dieses Ergebnis zeigt, dass bei der Erhitzung von N2-O2-Gemischen Stickoxide NOx gebildet werden, diesich aus Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid zu-sammensetzen. Ein derartiger Prozess findet natürlichauch bei jedem Verbrennungsvorgang statt. Werdennun die erhitzten Gasgemische plötzlich abgekühlt,so bleiben die Stickoxide als metastabile Verbindun-gen weitgehend erhalten, obwohl sie nach der Lageder chemischen Gleichgewichte in N2 und O2 zerfal-len sollten. Dies ist wegen der Umweltschäden, diediese Verbindungen verursachen, sehr unerwünscht.Durch geeignete Katalysatoren gelingt es beim Ab-kühlungsprozess, die bei tieferen Temperaturen imGleichgewicht stehenden niedrigeren Stickoxidparti-aldrücke einzustellen.

7 Geschwindigkeit chemischerReaktionen. Reaktionskinetik

Die Geschwindigkeiten chemischer Reaktionen un-terscheiden sich außerordentlich stark voneinander.Das soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht wer-den:

1. Die schnellste bisher gemessene Ionenreaktion istdie Neutralisation starker Säuren mit starken Ba-sen in wässriger Lösung (vgl. 8.7.1):H+(aq) + OH−(aq) → H2O.(Der Zusatz (aq) kennzeichnet hydratisierte Teil-chen, vgl. 8.5.)Diese Reaktion ist in ca. 10−10 s abgeschlossen.

2. Die Detonation des Sprengstoffs Glycerintrinitrat(Nitroglycerin) verläuft im Mikrosekundenbe-reich.

3. Beim Mischen von Lösungen, die Ag+- undCl−-Ionen enthalten, bildet sich ein AgCl-Niederschlag. Hierzu sind Zeiten im Sekunden-bereich erforderlich.

Dagegen hat im Bereich der Kernchemie der radio-aktive Zerfall des Uranisotops 238

92U in Thorium undHelium

23892U → 234

90Th + 42He ,

eine Halbwertszeit (vgl. 7.4.1) von 4,47 · 109 Jahren.

7.1 Reaktionsgeschwindigkeitund Freie Reaktionsenthalpie

Chemische Reaktionen können nur dann ablaufen,wenn die Freie Reaktionsenthalpie kleiner als null ist(vgl. 6.3.4):

ΔrG < 0 .

Einen Zusammenhang zwischen dem Wert der Frei-en Reaktionsenthalpie und der Geschwindigkeit derentsprechenden chemischen Reaktion gibt es jedoch– von einigen Spezialfällen abgesehen – nicht. Außer-dem sind viele Reaktionen bekannt, die zwar thermo-dynamisch möglich sind, die aber aufgrund von Re-aktionshemmungen dennoch nicht ablaufen (Beispiel:Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff bei Raum-bedingungen). Diese Reaktionshemmungen könnenhäufig durch Energiezufuhr oder durch Zusatz einesKatalysators (vgl. 7.9) beseitigt werden.

7.2 Reaktionsgeschwindigkeitund Reaktionsordnung

Am Beispiel der Modellreaktion

νAA + νBB + . . . → νNN + νMM + . . .

Page 42: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C42 C Chemie

soll die Definitionsgleichung der Reaktionsgeschwin-digkeit (Reaktionsrate) r vorgestellt werden

r = 1/V · dξ/dt = 1/νi · dci/dt , (7-1)

ξ Umsatzvariable, V Volumen, ci Konzentration.Die stöchiometrischen Zahlen νi müssen für dieverschwindenden Stoffe mit negativem und fürdie entstehenden Stoffe mit positivem Vorzeichenversehen werden.Danach erhält man z. B. für die Reaktion

N2 + 3 H2 → 2 NH3

folgenden Ausdruck für die Reaktionsgeschwindig-keit:

r = −dc(N2)/dt = −1/3 dc(H2)/dt = 1/2 dc(NH3)/dt .

Die Reaktionsgeschwindigkeit ist keine Konstante.Sie hängt im Wesentlichen von folgenden Parameternab:

– Von der Konzentration der Stoffe, die in der ent-sprechenden Umsatzgleichung auftreten.

– Von der Konzentration cK von Stoffen, die nichtin der Umsatzgleichung enthalten sind. Man nenntderartige Stoffe Katalysatoren (siehe 7.9).

– Von der Temperatur.

Es gilt also:

r = r(cA, cB, . . . cK; T ) . (7-2)

Diese Funktion wird als Zeitgesetz bezeichnet. Zeit-gesetze haben häufig folgende einfache Form:

r = k(T )caAcb

B , (7-3)

k(T ) ist hierbei die Geschwindigkeitskonstante.Die Summe der Exponenten, a + b, wird als Reakti-onsordnung bezeichnet. Häufig spricht man auch vonder Ordnung einer Reaktion in Bezug auf einen ein-zelnen Stoff. Darunter versteht man den Exponenten,mit dem die Konzentration dieses Stoffes im Zeit-gesetz erscheint. Beispielsweise ist die Reaktion, diedurch (7-3) beschrieben wird, von a-ter Ordnung be-züglich des Stoffes A.

7.3 Elementarreaktion.Reaktionsmechanismus und Molekularität

Eine molekularchemische Reaktion (Gegensatz:Kernreaktion) läuft in der Regel nicht in der ein-fachen Weise ab, wie es die (stöchiometrische)

Umsatzgleichung vermuten lässt. Bei der Umwand-lung der Ausgangsstoffe in die Endprodukte werdenin den meisten Fällen Zwischenprodukte gebildet.Diese Zwischenprodukte werden in weiteren Reak-tionsschritten wieder verbraucht und schließlich zuden Endprodukten umgesetzt. Die durch die Umsatz-gleichung beschriebene Gesamtreaktion ist also eineFolge von Teilreaktionen. (In vielen Fällen laufenauch unterschiedliche Folgen von Teilreaktionengleichzeitig ab.) Diese Teilreaktionen werden alsElementarreaktionen bezeichnet. Sie kennzeichnenunmittelbar die Partner, durch deren Zusammenstoßein bestimmtes Zwischenprodukt gebildet wird.Die Gesamtheit der Elementarreaktionen einer zu-sammengesetzten Reaktion heißt Reaktionsmechanis-mus.Die Molekularität gibt die Anzahl der Teilchenan, die als Stoßpartner an einer Elementarreaktionbeteiligt sind. Man unterscheidet mono-, bi- undtri-molekulare Elementarreaktionen, je nachdem, obein, zwei oder drei Teilchen miteinander reagieren.Eine höhere Molekularität kommt wegen der Un-wahrscheinlichkeit gleichzeitiger Zusammenstößevon mehr als drei Teilchen praktisch nicht vor.Für Elementarreaktionen stimmen Molekularität undReaktionsordnung überein, d. h., ein bimolekularerVorgang muss auch 2. Ordnung sein. Umgekehrt darfman aber keinesfalls schließen, dass eine beliebigeReaktion, die nach den Versuchsergebnissen 2. Ord-nung ist, bimolekular verläuft.

Beispiele:1. Reaktionsmechanismus

Bildung von Bromwasserstoff, HBr, aus den Ele-menten nach folgender Umsatzgleichung:

H2 + Br2 → 2 HBr .

Der erste Reaktionsschritt besteht in einer Spal-tung des Br2-Moleküls:

Br2 +M → 2 Br +M .

In dieser bimolekularen Reaktion überträgt einbeliebiger Stoßpartner M dem Br2-Molekül diefür die Dissoziation notwendige Energie. Weiterebimolekulare Elementarreaktionen, durch die HBrgebildet wird, sind:

Page 43: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

7 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen. Reaktionskinetik C43

Br + H2 → HBr + H ,

H + Br2 → HBr + Br .

2. Molekularität einer Elementarreaktion– Monomolekulare Reaktionen

Dieser Reaktionstyp wird z. B. beim thermi-schen Zerfall kleiner Moleküle (bei hohen Tem-peraturen) sowie bei strukturellen Umlagerun-gen beobachtet:

O3 → O2 + O .

O3 Ozon, O2 molekularer Sauerstoff, O atoma-rer Sauerstoff

Cyclopropan Propen– Bimolekulare Reaktionen

Dieser Reaktionstyp tritt am häufigsten auf.Beispiele wurden bereits oben vorgestellt.

– Trimolekulare ReaktionenDie am besten untersuchten trimolekularenReaktionen sind Rekombinationsreaktionender Art

2 I +M → I2 +M .

I2 molekulares Iod, I atomares Iod

M ist hierbei ein beliebiger Stoßpartner, dereinen Teil der Energie der Reaktionspartner(der I-Atome) aufnehmen muss.

7.4 Konzentrationsabhängigkeitder ReaktionsgeschwindigkeitDie folgenden Ausführungen beziehen sich auf diein 7.2 vorgestellte Modellreaktion; die Temperaturwird als konstant angesehen.

7.4.1 Zeitgesetz 1. Ordnung

In diesem Fall ist die Reaktionsgeschwindigkeit r der1. Potenz der Konzentration des Ausgangsstoffes Aproportional:

r = 1/νAdcA/dt = kcA (7-4)

Für den Spezialfall νA = −1 erhält man:

r = −dcA/dt = kcA . (7-4a)

Die Geschwindigkeitskonstante k hat bei Reaktionen1. Ordnung die Dimension einer reziproken Zeit.Die Integration von ( 7-4a) liefert mit der Anfangsbe-dingung cA (t = 0) = c0A:

cA = c0A exp(−kt) oder ln cA = ln c0A − kt , (7-5a)

NA = N0A exp(−kt) oder ln NA = ln N0A − kt ,(7-5b)

N Teilchenzahl.

Die Funktionen cA = cA(t) und ln cA = ln cA(t) sindin Bild 7-1 graphisch dargestellt. Die experimentel-le Ermittlung von k nach obiger Gleichung kann ausdem Anstieg der beim Auftragen von ln cA über t er-haltenen Geraden erfolgen.

Halbwertszeit

Die Halbwertszeit T1/2 ist die Zeit, in der dieKonzentration des Ausgangsstoffes auf dieHälfte des Anfangswertes gesunken ist.

Es gilt also: cA(T1/2) = c0A/2. Aus (7-5a) folgt fürdiesen Fall

T1/2 = ln 2/k . (7-6)

Die Halbwertszeit ist bei Reaktionen 1. Ordnung vonder Anfangskonzentration unabhängig.

Beispiele:

– Der radioaktive Zerfall verläuft wie eine Re-aktion 1. Ordnung. So zerfällt das radioaktiveKohlenstoffisotop 14

6C als β-Strahler nach folgen-der Gleichung:

146C → 14

7N + e− ,

r = −dN(

146C)/dt = kN

(146C).

Bild 7-1. Zeitlicher Konzentrationsverlauf bei einer Reakti-on erster Ordnung, cA Konzentration, c0A Anfangskonzen-tration, t Zeit

Page 44: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C44 C Chemie

Bild 7-2. Zeitlicher Konzentrationsverlauf bei einer Reak-tion zweiter Ordnung, cA Konzentration, c0A Anfangskon-zentration, t Zeit

Die Halbwertszeit dieser Reaktion ist 5730 ± 40Jahre (Anwendung zur Altersbestimmung archäo-logischer Objekte, Radiocarbonmethode).

– Distickstoffpentoxid N2O5 reagiert in der Gasphasenach einem Zeitgesetz 1. Ordnung zu Stickstoffdi-oxid NO2 und O2:

2 N2O5 → 4 NO2 + O2 ,

r = −1/2 · dc(N2O5)/dt = k · c(N2O5) .

7.4.2 Zeitgesetz 2. Ordnung

Folgender Spezialfall soll betrachtet werden: Die Re-aktionsgeschwindigkeit r sei dem Quadrat der Kon-zentration des Ausgangsstoffes A proportional; diestöchiometrische Zahl dieses Stoffes sei νA = −1.Man erhält dann:

r = −dcA/dt = k · c2A . (7-7)

Bei Reaktionen 2. Ordnung hat die Reaktionsge-schwindigkeitskonstante die Dimension Volumen/(Stoffmenge · Zeit). Eine häufig verwendete Einheitdieser Größe ist l/(mol · s). Die Integration von (7-7)ergibt mit der Anfangsbedingung cA(t = 0) = c0A:

cA = c0A/(1 + c0Akt) oder 1/cA = 1/c0A + kt . (7-8)

Beide Funktionen sind in Bild 7-2 dargestellt.

HalbwertszeitUnter den in 7.4.1 dargestellten Bedingungen erhältman für die Halbwertszeit T1/2 einer Reaktion 2. Ord-nung:

T1/2 = 1/(k c0A) .

Im Gegensatz zu Reaktionen 1. Ordnung ist hier dieHalbwertszeit der Anfangskonzentration umgekehrtproportional.Beispiel: Stickstoffdioxid NO2 zerfällt in der Gaspha-se nach einem Zeitgesetz 2. Ordnung in Stickstoff-monoxid NO und O2:

2 NO2 → 2 NO + O2 ,

r = −1/2 · dc(NO2)/dt = k c2(NO2) .

7.5 Reaktionsgeschwindigkeitund Massenwirkungsgesetz

Molekularchemische Reaktionen verlaufen im Allge-meinen nicht vollständig. Sie führen zu einem Gleich-gewicht, bei dem makroskopisch kein Umsatz mehrbeobachtet wird (vgl. 6.4.1). Mikroskopisch findenjedoch auch im Gleichgewicht Reaktionen statt. Imzeitlichen Mittel werden aus den Ausgangsstoffen ge-nauso viele Moleküle der Endprodukte gebildet, wieMoleküle der Endprodukte zu den Ausgangsstoffenreagieren. Am Beispiel der Reaktionen

A2 + B2k′�k′′

2AB ,

bei denen Reaktionsordnung und Molekularität über-einstimmen sollen, werden diese Aussagen verdeut-licht. Für die Reaktionsgeschwindigkeiten der Bil-dung und des Zerfalls von AB ergibt sich, wobei einStrich die Hinreaktion, zwei Striche die Rückreaktionkennzeichnen:

r′ = k′c(A2) c(B2)

bzw.

r′′ = k′′c2(AB) .

Beim Erreichen des Gleichgewichtes wird die makro-skopisch messbare Reaktionsgeschwindigkeit null,d. h., die Reaktionsgeschwindigkeiten der Bildungund des Zerfalls von AB müssen gleich sein:

r′ = r′′ . (7-9)

Daraus folgt:

k′/k′′ = Kc = c2(AB)/(c(A2) · c(B2)) , (7-10)

Kc Gleichgewichtskonstante.

Page 45: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

7 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen. Reaktionskinetik C45

Die Gleichgewichtskonstante ist der Quoti-ent der Geschwindigkeitskonstanten der Hin-und Rückreaktion.

Diese Aussage gilt für jedes chemische Gleichge-wicht.

7.6 Temperaturabhängigkeitder Reaktionsgeschwindigkeit

Die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsge-schwindigkeitskonstante wird durch die Arrhenius-Gleichung beschrieben:

k = A exp(−EA/RT ) , (7-11)

A Frequenz- oder Häufigkeitsfaktor, EA (Arrheni-us’sche) Aktivierungsenergie (SI-Einheit: J/mol; EA

ist eine molare Größe, die Kennzeichnung molarwird jedoch häufig weggelassen), R universelleGaskonstante.Aus der differenzierten Form der Arrhenius-Gleichung d ln k/dT = EA/(RT 2), der Bezie-hung (7-10) und der van’t-Hoff’schen Reaktions-isobaren (vgl. 6.4.5) folgt, dass die Differenz derAktivierungsenergien von Hin- und Rückreaktion(E′

A bzw. E′′A) gleich der Reaktionsenthalpie (ΔrH)

ist:

E′A − E′′

A = ΔrH . (7-12)

Die Beziehung zwischen den Aktivierungsenergienund der Reaktionsenthalpie ist in Bild 7-3 darge-stellt.

Bild 7-3. Schema des Energieverlaufs bei einer Elementar-reaktion

Die Arrhenius-Gleichung gilt nicht nur für Elementar-reaktionen, sondern auch für die meisten zusammen-gesetzten Reaktionen. Im zuletzt erwähnten Fall wirddie Größe EA der Arrhenius-Gleichung als scheinbareAktivierungsenergie bezeichnet.

7.7 Kettenreaktionen

Unter den komplizierteren molekularchemischen Re-aktionen haben vor allem die Kettenreaktionen großeBedeutung. Dieser Reaktionstyp ist dadurch gekenn-zeichnet, dass zu Beginn der Reaktion reaktive Zwi-schenprodukte gebildet werden. Diese aktiven Teil-chen reagieren in Folgereaktionen sehr schnell mitden Ausgangsstoffen. Die reaktiven Zwischenproduk-te werden dabei ständig regeneriert, sodass der Reak-tionszyklus erneut durchlaufen werden kann. Die Re-aktionskette endet, wenn die Kettenträger durch Ab-bruchreaktionen verbraucht sind (vgl. 12.1).Man unterscheidet einfache und verzweigte Kettenre-aktionen. Bei einer verzweigten Kettenreaktion wirdinnerhalb eines Reaktionszyklus mehr als ein aktivesTeilchen erzeugt. Beispiele für einfache Kettenreak-tionen sind Polymerisationen; verzweigte Kettenre-aktionen haben in der Chemie der Verbrennungsvor-gänge größte Bedeutung. Als Beispiel für diesen Re-aktionstyp sei die Knallgasreaktion (H2 + 1/2 O2 →H2O) angeführt. Für den Mechanismus dieser Reak-tion kann folgendes Schema gelten (OH, H, O sindRadikale):

Startreaktion

H2 + O2 → 2 OH

Reaktionskette

OH + H2 → H2O + H (ohne Verzweigung)

H + O2 → OH + O (mit Verzweigung)

O + H2 → OH + H (mit Verzweigung)

Kettenabbruch

H + H +M → H2 +M .

M ist ein beliebiger Reaktionspartner (auchWand des Reaktionsgefäßes), der einen Teilder Energie aufnimmt.

Kettenreaktionen mit Verzweigung laufen häufig sehrschnell (explosionsartig) ab (vgl. 7.8).

Page 46: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C46 C Chemie

7.8 ExplosionenExplosionen sind schnell ablaufende exother-me chemische Reaktionen, die mit einer er-heblichen Drucksteigerung verbunden sind.(vgl. hierzu EN 1127-1:1997)

Explosionen werden in Deflagrationen und De-tonationen unterteilt. Bei Deflagrationen ist dieGeschwindigkeit des Umsatzes durch Transportvor-gänge (z. B. Konvektion, Wärmeleitung) begrenzt.Daher sind die Fortpflanzungsgeschwindigkeitenhier relativ gering; 10 m/s werden in gasförmigenSystemen selten überschritten. Bei Detonationenist die Zone, in der die chemische Umsetzungabläuft, eng an eine sich mit Überschallgeschwin-digkeit ausbreitende Stoßwelle gekoppelt. DieDetonationsgeschwindigkeiten liegen in gasför-migen Systemen bei ca. 2000 bis 3000 m/s underreichen in kondensierten Systemen Werte bisca. 9400 m/s (Nitroglycerin 7600 m/s, Octogen9100 m/s, Hexanitro-Isowurtzitan 9400 m/s). Die beiden Detonationen auftretenden Druckgradienten sinddenen von Stoßwellen analog. Das bedeutet, dassder Druck in außerordentlich kurzen Zeitspannenansteigt (Größenordnung kleiner als eine Nanose-kunde). Auch in anderen Eigenschaften gleichen sichDetonationen und Stoßwellen. So tritt bei Reflexionder Detonationsfront erneut ein Drucksprung auf(der Druckerhöhungsfaktor nimmt in der RegelWerte zwischen 2 und 3 an, teilweise werden jedochwesentlich höhere Werte erreicht).Deflagrationen und Detonationen können in gas-förmigen, flüssigen und festen Systemen auftreten.Aber auch feinverteilte Flüssigkeitströpfchen bzw.Feststoffpartikel in Gasen können explosiv reagieren.

Beispiele

1. Bei Normaldruck reagieren H2-O2-Gemische imBereich des nachfolgend angegebenen H2-Volumenanteils, x(H2), explosiv: 4,0% ≤ x(H2)≤ 94%. Diese Grenzzusammensetzungen, beidenen gerade noch Deflagrationen zu beobachtensind, werden als untere bzw. obere Explosions-grenze bezeichnet. Analog sind die Detonati-onsgrenzen definiert. Im System H2/O2 liegensie bei x(H2)= 15 % (untere Detonationsgrenze)und x(H2)= 90 % (obere Detonationsgrenze).Die Explosionsgrenzen von Wasserstoff und

von einigen Kohlenwasserstoffen in Luft sind inTabelle 11-3 aufgeführt.

2. Nitroglycerin (Glycerintrinitrat) ist einer derwichtigsten und meistgebrauchten Sprengstoffbe-standteile. Alfred Nobel bereitete aus ihm das sog.Gur-Dynamit (Nitroglycerin-Kieselgur-Mischungmit einem Nitroglycerin-Massenanteil von 75 %).

3. Als Beispiel für eine Deflagration in einemheterogenen System sei die sog. Staubexplosionangeführt. Eine derartige Deflagration kannauftreten, wenn brennbarer Staub (z. B. Mehl,mittlerer Teilchendurchmesser < 0,5 mm) in Luftoder Sauerstoff aufgewirbelt und gezündet wird.Ungewollt ablaufende Staubexplosionen könnenin Betrieben – ebenso wie z. B. Gasexplosionen –beträchtlichen Schaden verursachen.

7.9 Katalyse

7.9.1 Grundlagen

Unter dem Begriff Katalyse versteht man die Verän-derung der Geschwindigkeit einer chemischen Reak-tion unter der Einwirkung einer Substanz, des Kataly-sators. Beschleunigen Katalysatoren die Reaktionsge-schwindigkeit, so spricht man von positiver Katalyse,vermindern Stoffe die Reaktionsgeschwindigkeit, sonennt man diesen Vorgang negative Katalyse, den ent-sprechenden Wirkstoff bezeichnet man als Inhibitor.Katalysatoren in lebenden Zellen (Biokatalysatoren)werden als Enzyme bezeichnet.Katalysatoren sind durch folgende Eigenschaften cha-rakterisiert:

Sie sind Stoffe, die die Reaktionsgeschwin-digkeit ändern, ohne selbst in der Umsatz-gleichung aufzutreten. Vor und nach der Um-setzung liegen sie in unveränderter Mengevor.

Sie haben keinen Einfluss auf den Wert der FreienReaktionsenthalpie, können also weder die Gleich-gewichtskonstante noch die Lage des chemischenGleichgewichtes verändern. Dagegen ist die Ge-schwindigkeit der Einstellung des Gleichgewichtesvon ihrer Anwesenheit abhängig. Die Geschwindig-keiten der Hin- und Rückreaktion werden dabei ingleicher Weise beeinflusst.

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7 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen. Reaktionskinetik C47

Katalysatoren verringern die Aktivierungsenergie ei-ner Reaktion (Vernachlässigung der negativen Kata-lyse). Das ist nur möglich, wenn die Reaktion in Ge-genwart des Katalysators nach einem anderen Mecha-nismus verläuft als in seiner Abwesenheit. Intermedi-är bilden sich zwischen den Ausgangsstoffen und demKatalysator unbeständige Zwischenverbindungen, diedann in die Endprodukte und den Katalysator zerfal-len.

7.9.2 Homogene Katalyse

Die homogene Katalyse ist dadurch gekennzeichnet,dass Katalysator und Reaktionspartner in der gleichenPhase vorliegen. Eine homogen katalysierte Gasre-aktion findet z. B. beim klassischen Bleikammerver-fahren statt, das zur Herstellung von Schwefelsäuredient. Hierbei wird Schwefeldioxid SO2 durch Sauer-stoff zu Schwefeltrioxid SO3 oxidiert. Als Katalysa-tor dienen Stickoxide. Schematisch kann der Vorgangfolgendermaßen beschrieben werden:

N2O3 + SO2 → 2 NO + SO3

2 NO + 1/2 O2 → N2O3

SO2 + 1/2 O2 → SO3 .

Anschließend reagiert das gebildete Schwefeltrioxidmit Wasser unter Bildung von Schwefelsäure H2SO4.

7.9.3 Heterogene Katalyse

Bei der heterogenen Katalyse liegen Katalysator undReaktionspartner in verschiedenen Phasen vor. Vongroßer technischer Bedeutung sind die Systeme fes-ter Katalysator und flüssige bzw. gasförmige Reak-tionspartner. Der Hauptvorteil gegenüber der homo-genen Katalyse besteht in der leichteren Abtrenn-barkeit des Katalysators von den Reaktionsproduktenund in der Möglichkeit kontinuierlicher Prozessfüh-rung. Aus diesen Gründen werden heute im techni-schen Bereich fast ausschließlich heterogene Kataly-sen durchgeführt.

Beispiel: Für die Reaktion mit der Umsatzgleichung

A → B + C

können folgende Teilschritte formuliert werden:

A + K → AK ,

AK → K + B + C

Dabei ist K der Katalysator.

Bild 7-4. Schema des Energieverlaufs einer katalysiertenund einer nicht katalysierten Reaktion

In Bild 7-4 sind die Energieprofile der katalysiertenund der nichtkatalysierten Reaktion dargestellt. Manerkennt, dass die Reaktion in Gegenwart des Kataly-sators hier über zwei Energiestufen verläuft, von de-nen jede eine niedrigere Aktivierungsenergie hat, alsdies beim nichtkatalysierten Verlauf der Reaktion derFall ist.

7.9.4 Haber-Bosch-Verfahren

Ein Beispiel für einen großtechnischen Prozess,dem eine heterogene Katalyse zugrunde liegt, istdas Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung vonAmmoniak NH3 aus den Elementen (vgl. 6.4.6):

N2 + 3 H2 � 2 NH3 , ΔrH < 0 .

Dieses Verfahren wird bei einem Druck von 200 barund bei einer Temperatur von 500 ◦C in Gegenwarteines Eisenkatalysators durchgeführt.

Zur Auswahl der VerfahrensparameterNach dem Prinzip von Le Chatelier und Braun(vgl. 6.4.6) wird die Lage des oben erwähntenexothermen Gleichgewichtes durch Verringerungder Temperatur und Erhöhung des Druckes auf dieSeite des Ammoniaks verschoben. Bei den vonder Thermodynamik geforderten tiefen Tempera-turen erfolgt aber die Einstellung des chemischenGleichgewichtes nicht mehr in einem technischvertretbaren Zeitraum. Darüber hinaus wird die

Page 48: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C48 C Chemie

Reaktion durch Katalysatoren erst bei höheren Tem-peraturen in ausreichendem Maße beschleunigt. DieOptimierung dieser Effekte führte zu den genanntenVersuchsparametern.

Mechanismus der AmmoniaksyntheseDer Reaktionsablauf bei der Ammoniaksynthese kannwie jede andere durch einen Feststoff katalysierteGasphasenreaktion in folgende Einzelschritte unter-teilt werden:

1. Transport der Ausgangsstoffe durch Konvektionund Diffusion an die innere Oberfläche des Ka-talysators.

2. Adsorption der Reaktionsteilnehmer an der Ober-fläche des Katalysators.

3. Reaktion der adsorbierten Teilchen auf der Kata-lysatoroberfläche.

4. Desorption des gebildeten Ammoniaks in dieGasphase.

5. Abtransport des Ammoniaks (durch Diffusionund Konvektion).

Der Mechanismus der Ammoniakbildung an derKatalysatoroberfläche kann durch folgendes Schemawiedergegeben werden (die adsorbierten Teilchensind mit dem Zusatz ad, Moleküle in der Gasphasemit g gekennzeichnet):

H2(g)� 2 H(ad)

N2(g)� N2(ad)� 2 N(ad)

N(ad) + H(ad)� NH(ad)

NH(ad) + H(ad)� NH2(ad)

NH2(ad) + H(ad)� NH3(ad)� NH3(g) .

Die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion wird imWesentlichen durch die Geschwindigkeit der disso-ziativen Stickstoff-Adsorption (Reaktionsschritt 2)bestimmt.

8 Sto−e und Reaktionen in Lösung

8.1 Disperse Systeme

Ein disperses System ist eine Stoffmischung, die auszwei oder mehreren Komponenten zusammengesetzt

ist. Bei einem derartigen System liegen ein oder meh-rere Bestandteile, die als disperse oder dispergiertePhasen bezeichnet werden, fein verteilt in dem sogenannten Dispersionsmittel vor. Disperse Systemekönnen aus einer oder aber auch aus mehreren Pha-sen bestehen.Nach der Teilchengröße d der dispersen Phase unter-scheidet man

– grobdisperse Systeme (d > 10−6 m),– kolloiddisperse Systeme (10−9 < d/m < 10−6) und– molekulardisperse Systeme (d < 10−9 m).

8.1.1 Kolloide

In kolloiden Systemen sind die Teilchen der disper-sen Phase zwischen 10−9 m und 10−6 m groß (häufigeBezeichnung: Nanopartikel). Das entspricht etwa 103

bis 1012 Atomen pro Teilchen. Kolloide nehmen ei-ne Zwischenstellung zwischen den molekulardisper-sen und den grobdispersen Systemen ein. Aufgrundihrer geringen Teilchengröße sind Kolloide im Licht-mikroskop nicht sichtbar. In Wasser dispergierte Kol-loide werden von Membranfiltern – nicht aber von Pa-pierfiltern – zurückgehalten.Kolloide können nach dem Aggregatzustand der di-spersen Phase und dem des Dispersionsmittels einge-teilt werden, siehe Tabelle 8-1. Haben die Teilchender dispersen Phase alle die gleiche Größe, so sprichtman von monodispersen Kolloiden, andernfalls liegenpolydisperse Kolloide vor.

Tabelle 8-1. Einteilung der Kolloide

Dispersionsmittel disperserBestandteil

Bezeichnung

Aerosole:gasförmig flüssig Nebelgasförmig fest Staub, Rauch

Lyosole:flüssig gasförmig Schaumflüssig flüssig Emulsionflüssig fest Suspension

Xerosole:fest gasförmig fester Schaum,

Gasxerosolfest flüssig feste Emulsionfest fest feste Kolloide,

Vitreosole

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8 Sto−e und Reaktionen in Lösung C49

8.1.2 Lösungen

Unter einer Lösung versteht man eine homoge-ne Mischphase, die aus verschiedenen Stoffenzusammengesetzt ist. Die Komponenten müssenmolekulardispers verteilt sein. Der Bestandteil, derim Überschuss vorhanden ist, wird in der Regelals Lösungsmittel bezeichnet; die anderen Kompo-nenten werden gelöste Stoffe genannt. Der BegriffLösung wird üblicherweise auf flüssige und festeMischphasen beschränkt.Im Folgenden werden ausschließlich homogeneflüssige Mischphasen behandelt. Derartige Lösungenwerden in Elektrolytlösungen und Nichtelektrolytlö-sungen unterteilt.Während Elektrolytlösungen gelöste Elektrolyte (sie-he 8.1.3) enthalten, die in polaren Lösungsmitteln inIonen dissoziieren (z. B. wässrige Lösung von Na-triumchlorid), sind in Nichtelektrolytlösungen (z. B.wässrigen Lösungen von Rohrzucker) praktisch keineIonen vorhanden.

8.1.3 Elektrolyte, Elektrolytlösungen

Als Elektrolyt wird eine chemische Verbindung be-zeichnet, die im festen oder flüssigen (geschmolzenoder in Lösung) Zustand ganz oder teilweise aus Io-nen besteht. Man unterscheidet zwischen:

– Festen Elektrolyten. Alle in Ionengittern kristalli-sierenden Stoffe, also sämtliche Salze (z. B. fes-tes NaCl, dessen Gitter aus Na+- und Cl−-Ionenaufgebaut ist) und salzartigen Verbindungen (z. B.NaOH) gehören hierzu.

– Elektrolytschmelzen. Geschmolzene Salze bzw. ge-schmolzene salzartige Verbindungen bestehen imflüssigen Zustand weitgehend aus Ionen.

– Elektrolytlösungen. Die Lösungen von echtenund/oder potentiellen Elektrolyten (siehe unten)in einem polaren Lösungsmittel (dessen Mole-küle ein permanentes elektrisches Dipolmomenthaben) werden als Elektrolytlösungen bezeichnet.Elektrolytlösungen enthalten stets Ionen in hoherMenge.

Im Hinblick auf ihr Verhalten beim Lösen in polarenLösungsmitteln werden die Elektrolyte in zwei Grup-pen unterteilt:

– Echte Elektrolyte. Diese Substanzen sind bereits alsFestkörper aus Ionen aufgebaut. Salze und salzar-tige Verbindungen gehören hierzu. Beim Lösungs-vorgang in einem polaren Lösungsmittel wird dasKristallgitter zerstört und die Ionen gehen solvati-siert (siehe 8.5) in Lösung.

– Potentielle Elektrolyte. Diese Verbindungsgruppeist als reine Phase (vgl. 6.1.1) nicht aus Ionen auf-gebaut. Erst durch eine chemische Reaktion mit ei-nem polaren Lösungsmittel werden Ionen gebildet.

Beispiele für potentielle Elektrolyte: Chlorwasser-stoff HCl und Ammoniak NH3 sind bei Raum-bedingungen Gase, die mit flüssigem Wasser un-ter Bildung der hydratisierten Ionen H+(aq) undCl−(aq) bzw. NH+4 (aq) und OH−(aq) reagieren:

HCl(g) + xH2O(l) → H+(aq) + Cl−(aq)

NH3(g) + yH2O(l) → NH+4 (aq) + OH−(aq) .

8.2 Kolligative Eigenschaften von Lösungen

Zu den kolligativen Eigenschaften gehören dieDampfdruckerniedrigung, die Gefrierpunktserniedri-gung, die Siedepunktserhöhung sowie der osmotischeDruck. Diese Eigenschaften hängen bei starker Ver-dünnung nur von der Zahl (d. h. der Stoffmenge) dergelösten Teilchen, nicht aber von deren chemischerNatur ab. Im Folgenden werden ausschließlich Zwei-komponentensysteme betrachtet. Das Lösungsmittelwird durch den Index 1, der gelöste Stoff durch denIndex 2 gekennzeichnet. Ferner wird vorausgesetzt,dass der gelöste Stoff keinen messbaren Dampfdruckhat.

8.2.1 Dampfdruckerniedrigung

Durch Zusatz eines Stoffes mit den oben geschilder-ten Eigenschaften zu einem Lösungsmittel wird des-sen Dampfdruck erniedrigt. Es gilt

p1 = x1 · p01 , T = const , (8-1)

p1 Dampfdruck über der Lösung, p01 Dampfdruckdes reinen Lösungsmittels, x1 = n1/(n1 + n2) Stoff-mengenanteil des Lösungsmittels, T Temperatur.Mit x1 + x2 = 1 und Δp = p01 − p1 folgt aus (8-1) fürdie relative Dampfdruckerniedrigung

Δp/p01 = x2 , (8-2)

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C50 C Chemie

Die relative Dampfdruckerniedrigung desLösungsmittels ist gleich dem Stoffmengen-anteil des gelösten Stoffes.

Die hier angegebenen Beziehungen gelten nur bei ver-dünnten Lösungen unter der Voraussetzung, dass dergelöste Stoff ein Nichtelektrolyt (z. B. Rohrzucker)ist.

8.2.2 Gefrierpunktserniedrigungund Siedepunktserhöhung

Fügt man zu einem reinen Lösungsmittel einen gelös-ten Stoff, so führt dies, wie in 8.2.1 dargelegt wur-de, stets zu einer Dampfdruckerniedrigung. Diese be-wirkt einerseits, dass über der Lösung der Normal-luftdruck (101 325 Pa) erst bei einer höheren Tempe-ratur erreicht wird als über dem reinen Lösungsmittel.Die Dampfdruckerniedrigung führt also zu einer Sie-depunktserhöhung. Andererseits bewirkt der Zusatzdes gelösten Stoffes, dass die Dampfdruckkurve derLösung die des festen Lösungsmittels schon bei einertieferen Temperatur schneidet als die entsprechendeKurve des reinen Lösungsmittels, d. h., der Gefrier-punkt wird durch den Zusatz des gelösten Stoffes er-niedrigt. Dies ist schematisch in Bild 8-1 dargestellt.Für die Gefrierpunktserniedrigung gilt:

ΔTsl = Tsl1 − Tsl = kG b2 , p = const , (8-3)

Tsl1 Schmelzpunkt des reinen Lösungsmittels, Tsl

Schmelztemperatur der Lösung, b2 = n2/m1 Molali-

Bild 8-1. Schema der Dampfdruckkurve einer Lösung (Kur-ve B) und des entsprechenden Lösungsmittels (Kurve A).ΔTlg Siedepunktserhöhung, ΔTsl Gefrierpunktserniedrigung

tät des gelösten Stoffes, n2 Stoffmenge des gelöstenStoffes, m1 Masse des Lösungsmittels, p Druck.Die Größe kG, die nur von den Eigenschaften desreinen Lösungsmittels abhängt, heißt kryoskopischeKonstante. Ihr Wert für Wasser ist bei 101 325 Pa

kG = 1,860 K kg/mol .

Eine analoge Beziehung besteht für die Siedepunkts-erhöhung:

ΔTlg = Tlg − Tlg1 = kS b2 p = const , (8-4)

Tlg Siedetemperatur der Lösung, Tlg1 Siedetemperaturdes reinen Lösungsmittels, kS ebullioskopische Kon-stante.Für Wasser ist

kS = 0,513 K kg/mol .

Die Beziehungen, die für den Zusammenhangzwischen der Siedepunktserhöhung bzw. der Gefrier-punktserniedrigung und der Molalität des gelöstenStoffes angegeben sind, gelten nur für sehr ver-dünnte Lösungen unter der Voraussetzung, dass dergelöste Stoff ein Nichtelektrolyt ist. Messungen derGefrierpunktserniedrigung wurden früher häufigzur Bestimmung der molaren Masse eines gelöstenStoffes benutzt. Hierzu wird (8-3) folgendermaßenumgeformt;

ΔTsl = kG b2 = kG m2/(M2m1) ,

M2 = kG m2/(ΔTsl m1) (8-5)

M2 molare Masse des gelösten Stoffes, m2 Masse desgelösten Stoffes.Bei Elektrolytlösungen wird die Abhängigkeit derGefrierpunktserniedrigung bzw. der Siedepunktser-höhung von der Molalität des gelösten Stoffes durchfolgende Beziehungen beschrieben:Gefrierpunktserniedrigung

ΔTsl/b2 = ν kG + a√

b2 (8-6)

Siedepunktserhöhung

ΔTlg/b2 = ν kS + b√

b2 (8-7)

b2 Molalität.

Page 51: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

8 Sto−e und Reaktionen in Lösung C51

Hierbei sind a und b Konstanten, die auch von denEigenschaften des gelösten Stoffes abhängen. ν ist dieSumme der Zerfallszahlen. Diese Größe ist durch dieZahl der Ionen gegeben, in die die Formeleinheit desElektrolyten zerfällt.

Beispiel: Natriumsulfat Na2SO4 zerfällt in zwei Na+-Ionen und ein SO2−

4 -Ion, daher ist ν = 3.

Messungen der Gefrierpunktserniedrigung und derSiedepunktserhöhung von Elektrolytlösungen kön-nen als Nachweis dafür dienen, dass Elektrolyte inwässriger Lösung dissoziiert vorliegen.

8.2.3 Osmotischer Druck

In Bild 8-2 ist ein System dargestellt, in dem einesemipermeable Membran zwei flüssige Teilsystemetrennt. Eine derartige Membran ist nur für bestimm-te Teilchenarten durchlässig, in diesem Fall nur fürdie Moleküle des Lösungsmittels (Index 1), nicht aberfür den gelösten Stoff (Index 2). Im Teilsystem I be-findet sich nur das Lösungsmittel, im Teilsystem IIzusätzlich ein gelöster Stoff (z. B. Rohrzucker). ImGleichgewicht muss auf den Kolben II zusätzlich zumDruck p, der auch auf den Kolben I wirkt, der Druck πausgeübt werden. Ein derartiges Gleichgewicht heißtosmotisches Gleichgewicht. Der Zusatzdruck π wirdals osmotischer Druck bezeichnet.Wirkt auf den Kolben II kein Zusatzdruck, so wandernLösungsmittelmoleküle vom Teilsystem I ins Teilsys-tem II und verdünnen dadurch die Lösung. Als Folgedieses Vorganges wird der Flüssigkeitsspiegel im Zy-linder II erhöht und im Zylinder I gesenkt. Dieser Vor-

Bild 8-2. Osmotisches Gleichgewicht, die semipermeableMembran ist für den Stoff 2 undurchlässig (nach Tombs,M.P.; Peacocke, A.R.: The osmotic pressure of biologicalmacromolecules)

gang wird so lange fortgesetzt, bis die hydrostatischeDruckdifferenz den osmotischen Druck der Lösungerreicht hat. Die Konzentrationsabhängigkeit des os-motischen Druckes π eines gelösten Nichtelektrolytenwird durch folgende Beziehung beschrieben:

π = c2RT + Bc22 +Cc3

2 + . . . (8-8a)

π/�2 = RT/M2 + B′�2 +C′�22 + . . . (8-8b)

c2 Konzentration des gelösten Stoffes, �2 = m2/VMassenkonzentration (Partialdichte), R universelleGaskonstante. Die Konstanten B, C, B′ und C′werden als Virialkoeffizienten bezeichnet.Diese Gleichung stimmt formal mit der Virialform derZustandsgleichung realer Gase überein (vgl. 5.1.5).Für sehr verdünnte Nichtelektrolytlösungen verein-facht sich die obige Beziehung.Es gilt näherungsweise

π = c2 RT . (8-9)

Diese Beziehung gleicht der Zustandsgleichung idea-ler Gase.Elektrolytlösungen weisen bei gleichen Konzen-trationen einen höheren osmotischen Druck aufals Nichtelektrolytlösungen. Für stark verdünnteLösungen von Elektrolyten gilt:

π = ν c2 RT , (8-10)

ν Summe der Zerfallszahlen.

UmkehrosmoseWirkt auf den linken Kolben des in Bild 8-2 darge-stellten Systems ein äußerer Druck, der größer als derosmotische Druck π ist, so geschieht folgendes: Lö-sungsmittelmoleküle wandern durch die semipermea-ble Membran vom Teilsystem II (Lösungsseite) zumTeilsystem I (Seite des Lösungsmittels). Dieser Vor-gang wird als Umkehrosmose bezeichnet und tech-nisch zur Meerwasserentsalzung eingesetzt.

Anwendungen und Beispiele

1. Bestimmung der molaren Masse gelöster Nicht-elektrolyte. Hierzu wird π/�2 als Funktion derMassenkonzentration �2 aufgetragen und die mo-lare Masse unter Anwendung obiger Beziehungaus dem Ordinatenabschnitt der graphischen Dar-stellung bestimmt (vgl. (8-8b)).

Page 52: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C52 C Chemie

2. Im menschlichen Blut besitzen sowohl das Blut-plasma als auch der Inhalt der roten Blutkörper-chen den gleichen osmotischen Druck (7,7 bar bei37 ◦C). Eine Zufuhr von reinem Wasser bewirkteine Verringerung des osmotischen Druckes desBlutplasmas und führt durch Quellung zum Plat-zen der roten Blutkörperchen (Hämolyse). Wirdder Wassergehalt des Blutplasmas erniedrigt unddamit der osmotische Druck erhöht, so schrump-fen die roten Blutkörperchen. Bei intravenösenInjektionen muss daher darauf geachtet werden,dass der osmotische Druck der injizierten Flüssig-keiten gleich dem des Blutplasmas ist.

8.3 Löslichkeit von Gasen in FlüssigkeitenDie Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten wirdquantitativ durch das Gesetz von Henry und Daltonbeschrieben:

x2 = k p2 , T = const (8-11)

Bei konstanter Temperatur ist der Stoffmen-genanteil x2 eines Gases in einer Flüssigkeitseinem Partialdruck p2 in der Gasphase pro-portional.

k ist eine von der chemischen Natur des Gases und desLösungsmittels sowie von der Temperatur abhängigeStoffkonstante.

8.4 Verteilung gelöster Sto−e zwischenzwei Lösungsmitteln

Zwei (praktisch) unmischbare Flüssigkeiten enthal-ten beide einen dritten Stoff (Index B). Wenn sichdas Verteilungsgleichgewicht eingestellt hat, gilt dasNernst’sche Verteilungsgesetz:

cIB/c

IIB = k, T, p = const . (8-12)

(Kennzeichnung der beiden flüssigen Phasen durch Iund II.)

Das Verhältnis der Konzentrationen einessich zwischen zwei nicht mischbaren Lö-sungsmitteln verteilenden Stoffes ist kon-stant, d. h. unabhängig von der ursprünglicheingesetzten Stoffportion.

Die Konstante k wird als Verteilungskoeffizient desStoffes B bezeichnet. Sie ist von der Natur der Lö-

sungsmittel sowie von Druck und Temperatur abhän-gig. Voraussetzung für die Gültigkeit von (8-12) ist,dass der molekulare Zustand des Stoffes B in beidenflüssigen Phasen gleich ist.

8.5 Wasser als Lösungsmittel

Die Löslichkeit von Ionenkristallen (Salzen) oderMolekülkristallen in einem Lösungsmittel wirddurch zwei unterschiedliche energetische Faktorenbestimmt. Beim Auflösen des Kristalls muss des-sen Gitter zerstört werden. Dazu ist eine Energienotwendig, die größenordnungsmäßig gleich derGitterenergie ist. Diese Energie wird durch dieWechselwirkung zwischen den Lösungsmittelmole-külen und den gelösten Teilchen geliefert und heißtSolvatationsenergie (beim Lösungsmittel Wasser:Hydratationsenergie). Die Wechselwirkung dergelösten Teilchen mit den Lösungsmittelmolekü-len wird Solvatation (beim Lösungsmittel Wasser:Hydratation) genannt.Es gilt folgende Beziehung zwischen der Gitterent-halpie ΔGH, der Solvatationsenthalpie ΔSH und derLösungsenthalpie ΔLH (der Unterschied zwischender Energie und der Enthalpie soll hier vernachlässigtwerden):

ΔLH = |ΔGH| − |ΔSH| . (8-13)

Folgende drei Fälle sollen diskutiert werden:

1. |ΔGH| > |ΔSH|. Hier ist ΔLH > 0, d. h., beim Auf-lösen des Kristalls kühlt sich die Lösung ab (endo-thermer Vorgang). Die endotherme Auflösung ei-nes Kristalls ist nur möglich, wenn die BedingungTΔrS > ΔrH erfüllt ist (vgl. 6.3.4), da nur in die-sem Fall ΔrG < 0 sein kann (die Reaktionsgrößenbeziehen sich auf den Gesamtvorgang der Auflö-sung).

2. |ΔGH| < |ΔSH|. In diesem Fall ist ΔLH < 0, d. h.,die Lösung erwärmt sich (exothermer Vorgang).

3. |ΔGH| � |ΔSH|. Die energetischen Voraussetzun-gen für eine Auflösung des Kristalls sind jetztnicht mehr gegeben.

Hydratation von IonenDie direkte Ion-Dipol-Wechselwirkung führt zur Hy-dratation in der unmittelbaren Umgebung des Ions(primäre Hydratation). In dieser Hydrathülle sind die

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8 Sto−e und Reaktionen in Lösung C53

Wassermoleküle relativ fest gebunden. Die primäreHydrathülle bleibt sowohl bei der thermischen Ei-genbewegung als auch bei der Bewegung unter demEinfluss eines elektrischen Feldes erhalten. Kleineund hochgeladene Ionen sind besonders stark hydra-tisiert. Die Zahl der Wassermoleküle in der primärenHydrathülle liegt je nach Ionensorte meist zwischen1 und 10. Die äußere, locker gebundene Hülle entstehtdurch Wechselwirkung der Wassermoleküle mit dembereits in erster Sphäre hydratisierten Ion (sekundäreHydratation).

8.6 Eigendissoziation des Wassers,Ionenprodukt des WassersAuch chemisch reines Wasser besitzt eine elektrischeLeitfähigkeit. So fanden Kohlrausch und Heydweiler(1894) für die Leitfähigkeit γ von Wasser bei 18 ◦Ceinen Wert von

γ = 4,4 · 10−6 S/m .

Ursache dieser Restleitfähigkeit ist die Bildung vonIonen durch die Eigendissoziation von Wassermo-lekülen, die durch folgende Gleichung beschriebenwerden kann:

H2O� H+(aq) + OH−(aq) .

Die Wasserstoff- und die Hydroxidionen sind hydra-tisiert, was durch den Zusatz (aq) gekennzeichnet ist.Wendet man auf die obige Umsatzgleichung das Mas-senwirkungsgesetz an, so folgt

c(H+) c(OH−) = KW ,

KW = 1,01 · 10−14 mol2/l2 (25 ◦C) .

KW wird als Ionenprodukt des Wassers bezeichnet.KW ist, wie die nachfolgende Tabelle zeigt, stark vonder Temperatur abhängig:

T in ◦C KW in (mol2/l2)0 0,115 · 10−14

5 0,188 · 10−14

25 1,006 · 10−14

40 2,83 · 10−14

55 6,85 · 10−14

70 14,7 · 10−14

85 28,3 · 10−14

100 49,9 · 10−14

In reinem Wasser ist die Konzentration der H+(aq)-und OH−(aq)-Ionen gleich. Daher gilt:

c(H+) = c(OH−) =√

KW .

Bei 25 ◦C erhält man mit dieser Beziehung:

c(H+) = c(OH−) = 1 · 10−7 mol/l .

Da die Konzentration des undissoziierten Wassers55,5 mol/l beträgt, folgt, dass lediglich ein Bruchteilvon 1,8 · 10−9 der Wassermoleküle dissoziiert ist.

8.7 Säuren und Basen

8.7.1 Dešnitionen von Arrhenius und Brønsted

Nach Arrhenius werden Säuren und Basen folgender-maßen definiert:

Säuren sind wasserstoffhaltige Verbindun-gen, die in wässriger Lösung in positivgeladene Wasserstoffionen (H+) und negativgeladene Säurerest-Ionen dissoziieren.Basen sind hydroxidgruppenhaltige Verbin-dungen, die in wässriger Lösung in negativeHydroxidionen (OH−) und positive Baserest-Ionen dissoziieren.

Beispiele: Die Säure Chlorwasserstoff HCl dissozi-iert in wässriger Lösung gemäß folgender Gleichung:HCl� H+(aq)+Cl−(aq). Im Gegensatz zur HCl kannein Schwefelsäuremolekül H2SO4 zwei Wasserstof-fionen abgeben:H2SO4 � H+(aq)+HSO−

4 (aq) (1. Dissoziationsstufe)undHSO−

4 (aq)� H+(aq)+SO2−4 (aq) (2. Dissoziationsstu-

fe).Die Base Natriumhydroxid NaOH dissoziiert in wäss-riger Lösung in Natrium- und Hydroxidionen:

NaOH� Na+(aq) + OH−(aq) .

Nach Arrhenius bildet sich bei der Reaktion einerSäure mit einer Base ein Salz und undissoziiertesWasser. Dieser Reaktionstyp wird als Neutralisationbezeichnet.

Beispiele:

HCl + NaOH� NaCl + H2O

H2SO4 + 2 NaOH� Na2SO4 + 2 H2O .

Page 54: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C54 C Chemie

Das Wesentliche der Neutralisation besteht in der Re-aktion von Wasserstoffionen und Hydroxidionen zuundissoziiertem Wasser:

H+(aq) + OH−(aq) H2O .

J.N. Brønsted (dt.: Brönsted) erweiterte 1923 die De-finition von Arrhenius folgendermaßen:

Säuren sind Protonendonatoren, d. h. Stoffe,die Protonen abgeben können.Basen sind Protonenakzeptoren, d. h. Stoffe,die Protonen aufnehmen können.

Diese Definition von Brönsted ist unabhängig vomverwendeten Lösungsmittel.Arrhenius-Säuren sind stets auch Brönsted-Säuren.Brönsted-Basen sind z. B. OH−, NH3, Cl− und SO2−

4 .Durch Protonenanlagerung werden diese Verbin-dungen zu H2O, NH+4 , HCl und HSO−

4 . Die zuletztgenannten Moleküle bzw. Ionen sind, da sie dieaufgenommenen Protonen wieder abspalten können,Brönsted-Säuren.

8.7.2 Starke und schwache Säuren und Basen

Säuren wie auch Basen unterscheiden sich durch dasAusmaß, in dem die Aufspaltung in Ionen, die Dis-soziation, erfolgt. Die zuverlässigste Größe, die dieDissoziation quantitativ beschreibt, ist die Dissoziati-onskonstante. Für die Dissoziation einer Säure (HA)bzw. Base (BOH) gilt:

HA� H+(aq) + A−(aq) .

BOH� B+(aq) + OH−(aq) .

Wendet man auf diese Gleichgewichte das Massen-wirkungsgesetz an, so folgt:

KS =c(H+) · c(A−)

c (HA)KB =

c(B+) · c(OH−)

c (BOH).

Hierbei sind c(H+), c(A−), c(HA), c(OH−), c(B+) undc(BOH) die Konzentrationen der im Gleichgewichtvorliegenden Teilchen. KS und KB werden als Dis-soziationskonstanten bezeichnet. c(HA) bzw. c(BOH)unterscheiden sich von der analytischen oder der Ge-samtkonzentration c0. Die zuletzt genannten Größensetzen sich additiv aus der Konzentration der disso-ziierten und der undissoziierten Säure bzw. Base zu-sammen. Es gilt:

c0 = c(H+)+ c (HA) bzw.

c0 = c(OH−) + c (BOH) .

Häufig wird das Ausmaß der Dissoziation durch denDissoziationsgrad α ausgedrückt. Hierunter verstehtman den Quotienten aus der Zahl der dissoziiertenMoleküle und der Gesamtzahl der Moleküle, α kannWerte zwischen 0 (undissoziierte Verbindung) und 1(vollständige Dissoziation) annehmen.Säuren und Basen werden als stark bezeichnet, wenndie Dissoziationskonstante größer oder gleich 1 mol/list. In diesem Fall dissoziiert die Säure bei allen Kon-zentrationen praktisch vollständig, d. h., α ist bei allenKonzentrationen nahezu 1.

Beispiele für starke Säuren und Basen:Salzsäure (HCl in Wasser), Salpetersäure HNO3,Schwefelsäure H2SO4 und Perchlorsäure HClO4 sindstarke Säuren.Starke Basen sind die Alkalimetallhydroxide (NaOH,KOH usw.) und die meisten Erdalkalimetallhydroxide(Ca(OH)2, Ba(OH)2, vgl. 10.3).Säuren und Basen, die Dissoziationskonstanten auf-weisen, die kleiner als 1 mol/l sind, werden als schwa-che Säuren bzw. Basen bezeichnet. Das Ausmaß derDissoziation ändert sich hier sehr stark mit der Kon-zentration der Säure bzw. Base. Die Dissoziations-konstanten einiger schwacher Säuren bzw. Basen gibtdie folgende Tabelle wieder (Temperatur 25 ◦C):

Salpetrige Säure HNO2 4,6 · 10−4 mol/lEssigsäure CH3COOH 1,75 · 10−5 mol/lAmeisensäure HCOOH 1,77 · 10−4 mol/lKohlensäure H2CO3

1. Stufe 1,32 · 10−4 mol/l2. Stufe 4,69 · 10−11 mol/l

Silberhydroxid AgOH 1,1 · 10−4 mol/lAmmoniak NH3 · H2O 1,77 · 10−5 mol/l

Namen und Formeln wichtiger anorganischer Säurensind in Tabelle 8-2 aufgeführt.

8.7.3 Der pH-Wert

Häufig verwendet man anstelle der Wasserstoffionen-konzentration den pH-Wert, der durch folgende Be-ziehung definiert ist:

pH = − log(c(H+)/(mol/l)) . (8-14)

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8 Sto−e und Reaktionen in Lösung C55

Tabelle 8-2. Wichtige anorganische Säuren

Name Formel Anion (Säurerestion) BemerkungenFormel Name

Bromwasserstoff HBr Br− BromidChlorwasserstoff HCl Cl− Chlorid unter Normalbedingungen farbloses Gas, wässrige

Lösungen heißen SalzsäureFluorwasserstoff HF F− Fluorid bei 19,5 ◦C siedende Flüssigkeit, wässrige Lösungen

heißen FlusssäureSchwefelwasserstoff H2S HS− Hydrogensulfid farbloses, übelriechendes (wie faule Eier), sehr

S2− Sulfid giftiges GasHypochlorige Säure HClO ClO− HypochloritChlorige Säure HClO2 ClO−

2 ChloritChlorsäure HClO3 ClO−

3 ChloratPerchlorsäure HClO4 ClO−

4 PerchloratKohlensäure H2CO3 HCO−

3 Hydrogencarbonat Kohlensäure ist nur in wässriger Lösung beständig,CO2−

3 Carbonat CO2 ist das Anhydrid der Kohlensäure (Oxid reagiertmit Wasser unter Bildung von Kohlensäure)

Phosphorsäure H3PO4 H2PO−4 Dihydrogenphosphat Anhydrid der Phosphorsäure: Phosphorpentoxid

P4O10

HPO2−4 Hydrogenphosphat

PO3−4 Phosphat

Salpetrige Säure HNO2 NO−2 Nitrit Stickstoffdioxid NO2 ist das gemischte Anhydrid

Salpetersäure HNO3 NO−3 Nitrat der Salpetrigen und der Salpetersäure

Schweflige Säure H2SO3 SO2−3 Sulfit Anhydrid der schwefligen Säure: Schwefeldioxid

SO2

Schwefelsäure H2SO4 SO2−4 Sulfat Anhydrid der Schwefelsäure: Schwefeltrioxid SO3

Der pH-Wert ist der negative dekadische Lo-garithmus des Zahlenwertes der Wasserstof-fionenkonzentration in mol/l.

Reines Wasser hat bei 25 ◦C wegen KW =

10−14 mol2/l2 und c(H+) = 10−7 mol/l den pH-Wert 7. Durch Säurezusatz kann eine höhereWasserstoffionenkonzentration erreicht werden. Der-artige Lösungen haben einen pH-Wert, der kleinerals 7 ist. Sie werden als sauer bezeichnet. Ist durchZusatz einer Base zu Wasser die Hydroxidionen-konzentration erhöht worden, so muss wegen derGleichgewichtsbedingung

KW = c(H+) c(OH−)

die Wasserstoffionenkonzentration entsprechend klei-ner geworden sein. Derartige alkalische oder basischeLösungen haben einen pH-Wert, der größer als 7 ist:

pH < 7 saure LösungenpH = 7 neutrale LösungenpH > 7 alkalische Lösungen.

8.7.4 pH-Wert der Lösung einer starken Säurebzw. BaseNach der in 8.7.2 angegebenen Definition sind starkeSäuren bei allen Konzentrationen praktisch vollstän-dig dissoziiert. Daraus folgt, dass die Wasserstoffio-nenkonzentration c(H+) bei starken Säuren gleich deranalytischen oder Gesamtkonzentration c0 der Säureist: c(H+) = c0.

Beispiel: Der pH-Wert einer Salzsäure der Konzentra-tion c(HCl) = 2 mol/l ist zu berechnen. Mit c(H+) =c0(HCl) = 2 mol/l folgt: pH = −0,3. Man erkennt,dass der pH-Wert der Lösung einer starken Säure auchkleinere Werte als 0 (bei c(H+) > 1 mol/l) annehmenkann.

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C56 C Chemie

Bei Lösungen starker Basen gilt infolge der voll-ständigen Dissoziation dieser Verbindungen, dass dieKonzentration der Hydroxidionen gleich der analyti-schen Konzentration der Base ist: c(OH−) = c0. DieWasserstoffionen-Konzentration ist durch das Ionen-produkt des Wassers festgelegt:

c(H+)=

KW

c(OH−) = KW

c0.

Beispiel: Der pH-Wert einer Natriumhydroxidlösungder Konzentration c0(NaOH) = 0,1 mol/l ist gesucht(25 ◦C).Ergebnis: c(OH−) = 0,1 mol/l, c(H+) = 10−13 mol/l,pH = 13.

8.7.5 pH-Wert der Lösung einer schwachen Säurebzw. Base

Gegeben sei die wässrige Lösung einer schwachenSäure HA (z. B. Essigsäure CH3COOH) mit der ana-lytischen Konzentration c0. Das Dissoziationsgleich-gewicht von HA wird durch die Dissoziationskon-stante KS beschrieben (vgl. 8.7.2):

HA� H+(aq)+ A− (aq

), KS =

c(H+) · c(A−)

c (HA).

(8-15)

Bei Lösungen, die außer dem Lösungsmittel Wassernur die schwache Säure enthalten, gilt c(H+) = c(A−).Ersetzt man in der obigen Beziehung c(HA) durch dieanalytische Konzentration c0, so folgt:

KS =c2 (H+)

c0 − c(H+) . (8-16)

Diese Gleichung bildet die Grundlage der Berech-nung der Wasserstoffionenkonzentration und damitdes pH-Wertes von Lösungen schwacher Säuren.Für den Fall, dass c0 � c(H+) ist, wovon bei nichtzu verdünnten Lösungen der schwachen Säure ausge-gangen werden kann, vereinfacht sich (8-16) zu fol-gender Näherungsbeziehung:

KS =c2 (H+)

c0. (8-17)

Beispiel: Der pH-Wert einer wässrigen Essigsäurelö-sung der Konzentration c0 = 0,057 mol/l ist zu be-rechnen (25 ◦C).Mit KS = 1,75 · 10−5 mol/l erhält man mit obiger Nä-herungsgleichung c(H+) = 10−3 mol/l und pH = 3.

Zur Ermittlung des pH-Wertes der wässrigen Lösungeiner schwachen Base können die folgenden Bestim-mungsgleichungen herangezogen werden (Gleichge-wichtsreaktion

BOH� B+(aq)+ OH− (aq

)) :

KB =c(B+) · c(OH−)

c (BOH),

KW = c(H+) · c(OH−) und c(B+) = c(OH−) .

Auch hier kann bei nicht zu verdünnten Lösungendie Konzentration der undissoziierten Base, c(BOH),gleich der analytischen oder Gesamtkonzentration c0

gesetzt werden.Unter dieser Bedingung folgt:

c(H+)=

√K2

W

KB · c0.

8.7.6 pH-Wert von Salzlösungen (Hydrolyse)

Nach Arrhenius werden Salze durch Neutralisationeiner Säure mit einer Base gebildet (vgl. 8.7.1). Da-bei können nun die Säure und/oder die Base stark oderschwach sein. Ist bei der Salzbildung eine schwacheSäure und/oder Base beteiligt, so muss sich in der Lö-sung das Dissoziationsgleichgewicht dieser Verbin-dung mit dem des Wassers überlagern. Als Folge da-von reagiert die Lösung nicht mehr neutral, sondernalkalisch oder sauer.

Beispiele: 1. Salz aus schwacher Säure und starkerBase. (Wässrige Lösung reagiert alkalisch.)Natriumacetat NaCH3COO ist ein Beispiel für einderartiges Salz. In wässriger Lösung reagiert das Ace-tation (CH3COO−) als Salz der schwachen Essigsäu-re teilweise mit den Ionen des Wassers unter Bildungundissoziierter Essigsäure. Dadurch bildet sich einÜberschuss an Hydroxidionen, die Lösung reagiert al-kalisch:

CH3COO− + Na+ + H2O

� CH3COOH + Na+ + OH−(aq) .

2. Salz aus starker Säure und schwacher Base. (Wäss-rige Lösung reagiert sauer.)Ammoniumchlorid (NH4Cl) ist ein Salz, das derar-tig aufgebaut ist. In wässriger Lösung dissoziiert esin Ammonium- und Chloridionen. Die Ammoniumio-

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8 Sto−e und Reaktionen in Lösung C57

nen reagieren mit den Hydroxidionen des Wassersteilweise unter Bildung von undissoziiertem Ammo-niumhydroxid (NH4OH). Dadurch entsteht ein Über-schuss an Wasserstoffionen und die wässrige Lösungdieses Salzes reagiert sauer:

NH+4 + Cl− + H2O� NH4OH + Cl− + H+(aq).

3. Salz aus starker Säure und starker Base.(Beispiel NaCl, wässrige Lösung reagiert neutral.)

4. Salz aus schwacher Säure und schwacher Base.Ein derartiges Salz reagiert abhängig vom Wert derDissoziationskonstanten der schwachen Säure bzw.Base neutral, alkalisch oder sauer. Ammoniumacetat(NH4CH3COO) ist ein Beispiel für diesen Salztyp.Da in diesem Falle die Dissoziationskonstanten derEssigsäure und des Ammoniumhydroxids praktischgleich groß sind (vgl. 8.7.2), reagiert die wässrige Lö-sung dieses Salzes neutral.

8.7.7 Löslichkeitsprodukt

Wir betrachten die Lösung eines (schwerlöslichen)Elektrolyten in Wasser. Die Lösung sei bei konstanterTemperatur und bei konstantem Druck mit der festenPhase des Elektrolyten, dem Bodenkörper, im Gleich-gewicht. Unter diesen Bedingungen spricht man voneiner gesättigten Lösung. Für einen Elektrolyten desFormeltyps AB (Beispiel Silberchlorid AgCl) kanndieser Vorgang durch die folgende Umsatzgleichungbeschrieben werden:

AgCl(s)� Ag+(aq) + Cl−(aq) .

Wendet man auf das vorstehende heterogene Gleich-gewicht das Massenwirkungsgesetz an, so erhält man:

c(Ag+) · c(Cl−) = K = L .

Die Massenwirkungskonstante heißt in diesem FallLöslichkeitsprodukt. In der Tabelle 8-3 sind die Lös-lichkeitsprodukte einiger Elektrolyte (in Wasser) bei20 ◦C und 1 bar aufgeführt.Aus dem Wert des Löslichkeitsprodukts lässt sich dieSättigungskonzentration (oder die Löslichkeit) cS ei-ner Verbindung berechnen. Bei Elektrolyten des For-meltyps AB erhält man für den Zusammenhang zwi-schen cS und dem Löslichkeitsprodukt die folgendeBeziehung (Beispiel Silberchlorid):

cS = c(Ag+) = c(Cl−) = c(AgCl) =√

L .

Tabelle 8-3. Löslichkeitsprodukte schwerlöslicher Elek-trolyte bei 20 ◦C und 1 bar (Lösungsmittel Wasser)

Elektrolyt L

AgCl 1,8 · 10−10 mol2/l2

AgBr 5,4 · 10−13 mol2/l2

AgI 8,5 · 10−17 mol2/l2

BaSO4 1,7 · 10−10 mol2/l2

PbSO4 2,3 · 10−8 mol2/l2

Hg2Cla2 1,4 · 10−18 mol3/l3

PbCl2 1,7 · 10−5 mol3/l3

Mg(OH)2 5,6 · 10−12 mol3/l3

a Das Löslichkeitsgleichgewicht von Quecksilber (I)- Chlo-rid wird durch folgende Umsatzgleichung beschrieben:Hg2Cl2 (s)� Hg2+

2

(aq)+ 2 Cl−

(aq).

In der vorstehenden Gleichung ist c(AgCl) die Kon-zentration des Silberchlorids. Der Begriff Silberchlo-rid ist hierbei formal stöchiometrisch zu verstehen.Die Tatsache, dass Silberchlorid – wie auch fast al-le anderen Salze bei hinreichend kleinen Konzentra-tionen – vollständig dissoziiert ist, wird hierbei nichtberücksichtigt. Analoge Überlegungen gelten für denBegriff Sättigungskonzentration.

Beispiel: Fügt man zu einer Silberchlorid-Lösung, diesich im Gleichgewicht mit dem Bodenkörper befin-det, eine Lösung, die Cl−-Ionen enthält (z. B. in Formeiner Kochsalzlösung), so stellt man eine Verringe-rung der Konzentration der Ag+-Ionen fest, da auchin diesem Fall das Produkt der Ionenkonzentrationenvon Ag+ und Cl− gleich dem Löslichkeitsprodukt seinmuss. Es kommt also zu einer Ausscheidung von fes-tem Silberchlorid aus der Lösung.Aus diesem Grunde sollte die Ausfällung einesschwerlöslichen Salzes zu Zwecken der quantitativenAnalyse (vgl. 4.7.1) mit einem Überschuss desFällungsmittels geschehen.

Übersättigte LösungenIn Abwesenheit des festen Bodenkörpers sind auchKonzentrationen des Elektrolyten möglich, die größerals die Sättigungskonzentration sind:

c > cS (übersättigte Lösung) .

Auch in diesem Falle kann das System zeitlich unbe-grenzt als übersättigte Lösung vorliegen, ohne dass ei-

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C58 C Chemie

ne neue Phase, der feste Bodenkörper, gebildet wird.Werden jedoch zu der flüssigen Phase Keime des Bo-denkörpers hinzugefügt, oder entstehen diese spon-tan, so wachsen die Keime auf Kosten der Konzentra-tion der gelösten Substanz, bis die momentane Kon-zentration den für den jeweiligen Druck und die je-weilige Temperatur charakteristischen Wert der Sätti-gungskonzentration erreicht hat. Übersättigte Lösun-gen sind metastabil (vgl. 6.3.5).

8.8 Härte des WassersNatürlich vorkommendes Wasser ist im chemischenSinne niemals rein, sondern enthält verschiedene Ver-unreinigungen. Zu diesen gehören in erster Linie ge-löste Gase (Kohlendioxid, Stickstoff, Sauerstoff) undSalze. Besonders wichtig für die Qualität von tech-nisch nutzbarem Wasser ist sein Gehalt an Erdalka-limetallsalzen. Nutzwasser, das einen geringen bzw.hohen Gehalt dieser Salze aufweist, wird als weichbzw. hart bezeichnet.Nach dem Verhalten der gelösten Erdalkalimetallsal-ze beim Kochen unterscheidet man zwei Arten derHärte des Wassers:

1. temporäre (vorübergehende) Härte und2. permanente (bleibende) Härte.

Die temporäre Härte, die durch die Hydrogenkarbo-nate des Calciums und des Magnesiums hervorgeru-fen wird, kann durch Kochen beseitigt werden. Dabeibildet sich unlösliches Erdalkalimetallcarbonat, z. B.:

Ca2+ + 2 HCO−3 → CaCO3(s) + CO2(g) + H2O .

Im Gegensatz dazu wird die permanente Härte, diedurch einen hohen Gehalt an Erdalkalimetallsulfatenund Chloriden verursacht wird, durch Kochen nichtbeseitigt.Die Härte des Wassers kann sich in der Technik vorallem durch Bildung von Kesselstein negativ auswir-ken.

9 Redoxreaktionen

9.1 Oxidationszahl

Eine zur Beschreibung von Redoxvorgängen nützli-che, wenn auch künstlich konstruierte Größe ist die

Oxidationszahl. Man versteht darunter diejenige La-dungszahl, die ein Atom in einem Molekül aufweisenwürde, das nur aus Ionen aufgebaut wäre. Die Oxida-tionszahl ist eine positive oder negative Zahl.Die Oxidationszahl wird nach folgenden Regelnermittelt:

1. Ein chemisches Element hat die Oxidationszahlnull.

2. Für ein einatomiges Ion ist die Oxidationszahlgleich dessen (vorzeichenbehafteter) Ladungs-zahl.

3. Für eine kovalente Verbindung ist die Oxidations-zahl gleich der Ladungszahl, die ein Atom erhält,wenn die bindenden Elektronenpaare vollständigdem elektronegativeren Atom zugeordnet werden.Bei gleichen Atomen werden die Elektronenpaarezwischen diesen aufgeteilt.

Die Oxidationszahl wird in Formeln als römischeZahl rechts oben neben das betreffende Element-symbol gesetzt. Nur negative Vorzeichen werdengeschrieben und vor die römischen Ziffern gesetzt.

Beispiele:Elemente: O2, N2, Cl2, H2, S8. Die Oxidationszahl derElementmoleküle ist null.Einatomige Ionen: Na+, Cl−, Fe3+, Sn4+. Die Oxida-tionszahlen dieser Ionen sind I, – I, III, IV.Moleküle: Ammoniak N−IIIH3, H2O−II, Wasserstoff-peroxid H2O−I

2 , Methanol HO−II−C−IIH3, Formalde-hyd HC°HO−II (Oxidationszahl des Wasserstoffs indiesen Verbindungen: I).Molekülionen: Permanganation Mn−VIIO−

4 , SulfationSVIO2−

4 , Nitrition NIIIO−2 , Nitration NVO−

3 (Oxidati-onszahl des Sauerstoffs in diesen Verbindungen: -II).

9.2 Oxidation und Reduktion,Redoxreaktionen

Die Abgabe von einen oder mehreren Elek-tronen aus einem Atom, Molekül oder Ionwird als Oxidation bezeichnet.

Bei diesem Vorgang wird die Oxidationszahl erhöht.(Ursprüngliche Definition: Oxidation ist die Aufnah-me von Sauerstoff.)

Oxidationsvorgänge:

Zn → Zn2+ + 2 e−

Page 59: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

9 Redoxreaktionen C59

Fe2+ → Fe3+ + e−

NO−2 + H2O → NO−

3 + 2 H+ + 2 e−

Cl− → 1/2 Cl2 + e− .

Als Reduktion definiert man die Aufnahmevon einem oder mehreren Elektronen durchein Atom, Molekül oder Ion.

Hierbei wird die Oxidationszahl erniedrigt. (Ur-sprüngliche, historische Definition: Reduktion ist dieAbgabe von Sauerstoff.)

Reduktionsvorgänge:

Cu2+ + 2 e− → Cu

Fe3+ + e− → Fe2+

H+ + e− → 1/2 H2

MnO−4 + 8 H+ + 5 e− → Mn2+ + 4 H2O .

Freie Elektronen sind in chemischen Systemeni. Allg. nicht beständig. Daher müssen die Elektro-nen, die von einer Substanz (z. B. Zn, Fe2+, NO)abgegeben werden, von einem anderen Stoff (z. B.Cu2+, Fe3+, H+, MnO−

4 ) aufgenommen werden.

Oxidation und Reduktion können also nie al-lein, sondern müssen stets gekoppelt als Re-doxreaktion ablaufen.

Substanzen, die andere Stoffe oxidieren können, d. h.mehr oder weniger leicht Elektronen aufnehmen kön-nen, werden Oxidationsmittel genannt (Cu2+, Fe3+,H+, MnO−

4 ). Reduktionsmittel sind dagegen Substan-zen, die Elektronen abgeben können (Zn, Fe2+, metal-lisches Na und K).

Beispiele:

– Metallisches Zink reagiert in wässriger Lösung mitKupfersulfat CuSO4 unter Bildung von ZinksulfatZnSO4 und metallischem Kupfer:

CuSO4 + Zn → ZnSO4 + Cu .

In einer Teilreaktion (I) wird hierbei Zn zu Zn2+

oxidiert:

(I) Oxidation: Zn → Zn2+ + 2 e−,

während in einer Teilreaktion (II) die Cu2+-Ionenzu metallischem Kupfer reduziert werden:

(II) Reduktion: Cu2+ + 2 e− → Cu.

Die Summation beider Teilreaktionen ergibt dieRedoxreaktion:

(I) Zn → Zn2+ + 2 e−

(II) Cu2+ + 2 e− → Cu

Zn + Cu2+ → Zn2+ + Cu

(Bei dieser Summation muss – wie erwähnt – dieZahl der abgegebenen Elektronen gleich der deraufgenommenen sein.) Berücksichtigt man zusätz-lich die Sulfationen, so erhält man schließlich:

CuSO4 + Zn → ZnSO4 + Cu .

– Kaliumchlorid KCl wird in saurer Lösung (Zusatzvon verdünnter Schwefelsäure H2SO4) durch Kali-umpermanganat KMnO4 oxidiert. Das Permanga-nation wird dabei zu Mn2+ reduziert:Oxidation2 Cl− → Cl2 + 2 e− × 5ReduktionMnO−

4 + 8 H+ + 5 e− → Mn2+ + 4 H2O × 2Summe10 Cl−+2 MnO−

4 +16 H+ → 5 Cl2+2 Mn2++8 H2OBerücksichtigt man die Begleitionen, so erhältman:

10 KCl + 2 KMnO4 + 8 H2SO4

→ 5 Cl2 + 2 MnSO4 + 6 K2SO4 + 8 H2O .

Derartige Gleichungen geben selbstverständlich nurdie stöchiometrischen Verhältnisse wieder. Sie gestat-ten keinesfalls Rückschlüsse auf den wirklichen Ab-lauf der Reaktion.

9.3 Beispiele für Redoxreaktionen

9.3.1 Verbrennungsvorgänge

Als Verbrennung (im engeren Sinn) wird die in derRegel stark exotherme Reaktion von Substanzen, wiez. B. von Kohlenstoff, Kohlenwasserstoffen, Wasser-stoff oder Metallen, mit Sauerstoff bezeichnet. DerSauerstoff kann hierbei in reiner Form oder als Be-standteil von Gasmischungen (z. B. Luft) vorliegen.Sämtliche Verbrennungsvorgänge sind Redoxreaktio-nen. Der molekulare Sauerstoff wird hierbei von derOxidationsstufe 0 in die Oxidationsstufe −II über-führt, wird also reduziert. Der Brennstoff wird oxi-diert.Beispiele für Verbrennungsvorgänge:

Page 60: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C60 C Chemie

– Kohlenstoffverbrennung

C + O2 → CO2 ,

C + 1/2 O2 → CO .

Die vollständige Verbrennung des Kohlenstoffs führtbis zum Kohlendioxid CO2. Bei unvollständiger Ver-brennung entsteht neben CO2 auch das giftige Koh-lenmonoxid CO.

– Verbrennung von Kohlenwasserstoffen (BeispielBenzol)

C6H6 + 15/2 O2 → 6 CO2 + 3 H2O .

Die Reaktionsprodukte bei vollständiger Verbren-nung von Kohlenwasserstoffen sind CO2 und Was-ser. Bei unvollständiger Verbrennung werden zu-sätzlich Kohlenmonoxid und teilweise auch Rußgebildet. Ruß ist eine grafitische Form des Kohlen-stoffs, die wechselnde Mengen an Wasserstoff undSauerstoff enthält.

– Verbrennung von Schwefel

S + O2 → SO2 .

Schwefel – auch wenn er in organischen Molekü-len gebunden ist oder als Sulfid (vgl. Tabelle 8-2)vorliegt – liefert bei der Verbrennung Schwe-feldioxid SO2. SO2 ist neben den Stickoxiden(siehe 10.6.1), Kohlenmonoxid und Kohlenwas-serstoffen einer der giftigen Bestandteile des sog.Smog. SO2 entsteht bei der Verbrennung fossilerBrennstoffe, da diese, mit Ausnahme von Erdgas,stets mehr oder weniger große Mengen Schwefelenthalten. In der Atmosphäre wird SO2 langsamzu Schwefeltrioxid SO3 oxidiert. SO3 reagiertmit Wasser unter Bildung von SchwefelsäureH2SO4 (vgl. 8-2). Daher ist Schwefeldioxid derHauptverursacher des umweltschädlichen saurenRegens.

Wird anstelle von reinem Sauerstoff Luft verwen-det, so entstehen bei der Verbrennung stets auchStickoxide (Stickstoffmonoxid NO und Stickstoff-dioxid NO2), da diese bereits bei der Erwärmungvon Stickstoff-Sauerstoff-Gasmischungen auf dieFlammentemperatur gebildet werden (vgl. 6.4.7).Stickoxide sind Smogbestandteile und für vieleUmweltschäden mitverantwortlich.

9.3.2 Au¦ösen von Metallen in Säuren

Unedle Metalle können sich in wässrigen Lösungenvon Säuren (teilweise auch in reinem Wasser undin wässrigen Lösungen von Basen) auflösen. DieseReaktionen sind ebenfalls Redoxvorgänge. Als Bei-spiel wird die Auflösung von Aluminium in Salzsäure(wässrige Lösung von Chlorwasserstoff HCl)als Redoxvorgang formuliert:

Al → Al3+ + 3 e− × 2

2 H+ + 2 e− → H2(g) × 3

2 Al + 6 H+ → 2 Al3+ + 3 H2(g)

Berücksichtigt man die Anionen, so erhält man:

2 Al + 6 HCl → 2 AlCl3 + 3 H2(g)

9.3.3 Darstellung von Metallen durch Reduktionvon Metalloxiden

Als Reduktionsmittel werden unedle Metalle, Wasser-stoff und Koks verwendet.Auf diese Weise wird z. B. Roheisen durch Reduktionoxidischer Eisenerze mit Koks im Hochofen darge-stellt (Hochofenprozess), vgl. D 3.1. Die Reduktionder Eisenoxide erfolgt bei diesem Verfahren im We-sentlichen durch Kohlenmonoxid (CO):

3 Fe2O3 + CO → 2 Fe3O4 + CO2

Fe3O4 + CO → 3 FeO + CO2

FeO + CO → Fe + CO2 .

Das für die Reduktion der Eisenoxide notwendigeCO bildet sich durch Reaktion von Kohlendioxid mitKohlenstoff nach folgender Gleichung:

CO2 + C(s) → 2 CO(g) .

9.4 Redoxreaktionenin elektrochemischen Zellen

Als Beispiel einer elektrochemischen Zelle sei dasDaniell-Element angeführt (vgl. Bild 9-1). In die-ser Zelle taucht ein Kupferstab in eine Kupfersul-fatlösung und ein Zinkstab in eine Zinksulfatlösung.Beide Lösungen sind durch ein Diaphragma D (po-röse Wand) an der Vermischung weitgehend gehin-dert. Die Redoxvorgänge finden hier an den beiden

Page 61: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

9 Redoxreaktionen C61

Bild 9-1. Schematischer Aufbau des Daniell-Elementes.D Diaphragma

Phasengrenzflächen Zn/Zn2+ und Cu/Cu2+ statt. Diechemische Reaktion wird durch folgende Umsatzglei-chung beschrieben (vgl. 9.2):

Zn + CuSO4 → ZnSO4 + Cu .

Sie kann jedoch nur stattfinden, wenn die vom Zinkabgegebenen Elektronen durch einen metallischenLeiter zum Kupfer befördert werden, um dort dieCu2+-Ionen zu entladen (zu reduzieren). Ursache,dass sich zwischen der Cu- und Zn-Elektrodeeine Spannung aufbaut, die den erwähnten Elekt-ronenstrom treibt, ist der negative Wert der FreienReaktionsenthalpie ΔrG (vgl. 6.3.4).Die bei Stromlosigkeit an einer elektrochemischenZelle gemessene Leerlaufspannung heißt auch elek-tromotorische Kraft (EMK). Quantitativ gilt folgen-der Zusammenhang zwischen der Freien Reaktions-enthalpie und der EMK E:

ΔrG = −n∗FE , (9-1)

n∗ Anzahl der in der jeweiligen Umsatzgleichung ent-haltenen Elektronen.Beispiel:

Zn + CuSO4 → Cu + ZnSO4 : n∗ = 2 ;

F = NA e = 96 485,34 C/mol Faraday-Konstante, NA

Avogadro-Konstante, e Elementarladung.

9.5 Elektrodenpotenziale,elektrochemische Spannungsreihe

Potenziale von Einzelelektroden (Halbzellen) kannman nicht direkt messen, doch ist ein paarweiser

Vergleich der verschiedenen Elektrodenpotenzialeanhand der Potenzialdifferenzen, d. h. der Spannun-gen zwischen den Elektroden möglich. Für einensolchen Vergleich ist die Festlegung einer Bezugs-elektrode erforderlich. Als Bezugselektrode wird dieStandardwasserstoffelektrode verwendet.Diese Elektrode besteht aus einem Platinblech, dasvon gasförmigem Wasserstoff (p(H2) = 101 325 Pa)bei einer Temperatur von 25 ◦C umspült wird unddas in eine Lösung der Wasserstoffionenkonzentrati-on c(H+) = 1 mol/l taucht.Elektrodenreaktion: 1/2 H2 � H+ + e−.Schaltet man eine Standardwasserstoffelektro-de mit einer beliebigen Halbzelle zusammen, sowird die bei Stromlosigkeit gemessene Spannungals Elektrodenpotenzial der Halbzelle oder alsHalbzellenpotenzial bezeichnet. Die unter Standard-bedingungen (T = 25 ◦C, p = 101 325 Pa, sämtlicheKonzentrationen ci = 1 mol/l) gemessene Spannungheißt Standardelektrodenpotenzial (Standardhalb-zellenpotenzial). Dem Standardelektronenpotenzialder Wasserstoffelektrode hat man durch Vereinba-rung den Wert null zugeordnet. Die Potenziale derElektroden haben ein negatives Vorzeichen, wennsie bei Stromfluss der StandardwasserstoffelektrodeElektronen abgeben, wenn also an diesen Elektro-den Oxidationsvorgänge stattfinden. Finden unterden genannten Bedingungen an den HalbzellenReduktionsvorgänge statt, so wird dem Potenzialdieser Elektroden ein positives Vorzeichen zuge-ordnet. Zur besseren Übersicht werden die denverschiedenen Elektroden (Halbzellen) zugeordnetenElektrodenreaktionen nach dem Zahlenwert derHalbzellenstandardpotenziale geordnet. Man erhältauf diese Weise die elektrochemische Spannungs-reihe (siehe Tabelle 9-1). Je kleiner (negativer)das Standardelektrodenpotenzial ist, umso stärkerwirkt ein Redoxpaar als Reduktionsmittel undumso leichter wird es selbst oxidiert. Starke Oxi-dationsmittel müssen dagegen möglichst großeWerte des Standardelektrodenpotenzials aufwei-sen.

9.5.1 Dešnition von Anode und Kathode

In der Elektrochemie werden die Bezeichnungen An-ode und Kathode in Zusammenhang mit den Begrif-fen Oxidation und Reduktion verwendet. An der An-

Page 62: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C62 C Chemie

Tabelle 9-1. Standardelektrodenpotenziale ϕ0 (wässrige Lösungen, 25 ◦C)

Kurzbezeichnung Elektrodenreaktion ϕ0 in Vder Elektrode

K/K+ K+ + e− � K −2,931Ca/Ca2+ Ca2+ + 2 e− � Ca −2,868Na/Na+ Na+ + e− � Na −2,71Mg/Mg2+ Mg2+ + 2 e− �Mg −2,372Al/Al3+ Al3+ + 3 e− � Al −1,662Mn/Mn2+ Mn2+ + 2 e− �Mn −1,185Zn/Zn2+ Zn2+ + 2 e− � Zn −0,7618Cr/Cr3+ Cr3+ + 3 e− � Cr −0,744Fe/Fe2+ Fe2+ + 2 e− � Fe −0,447Pb/Pb2+ Pb2+ + 2 e− � Pb −0,1262Pt/H2/H+ 2 H+ + e− � H2(g) 0Pt/Cu+, Cu2+ Cu2+ + e− � Cu + +0,153Cu/Cu2+ Cu2+ + 2 e− � Cu +0,3419Pt/O2/OH− O2(g) + 2 H2O + 4 e− � 4 OH− +0,401Pt/I2/I− I2 + 2 e− � 2 I− +0,5355Pt/Fe2+, Fe3+ Fe3+ + e− � Fe2+ +0,771Ag/Ag+ Ag+ + e− � Ag +0,7996Pt/Cl2/Cl− Cl2(g) + 2 e− � 2 Cl− +1,3583Pt/Mn2+, MnO−

4 MnO−4 + 8 H+ + 5 e− �Mn2+ + 4H2O +1,507

Pt/F2/F− F2(g) + 2 e− � 2 F− +2,866

ode werden Stoffe oxidiert, an der Kathode reduziert.Bei galvanischen Zellen ist die Elektrode mit demniedrigeren Potenzial die Anode.

9.5.2 Konzentrations- bzw.Partialdruckabhängigkeit des Elektrodenpotenzialseiner Halbzelle

Das Elektrodenpotenzial einer Halbzelle ist vonder Konzentration bzw. vom Partialdruck der an derElektrodenreaktion beteiligten Stoffe abhängig. DieseAbhängigkeit wird durch die Nernst’sche Gleichungbeschrieben. Für die Elektrodenreaktiona R1 + b R2 � x O1 + y O2 + z e− gilt:

ϕ = ϕ0 +RTzF

cx (O1) cy (O2)ca (R1) cb (R2)

. (9-2)

Sind an der Elektrodenreaktion Gase beteiligt, so wirdihr Gehalt in der Nernst’schen Gleichung durch Anga-be der Partialdrücke berücksichtigt.Reine kondensierte Phasen und Stoffe, deren Konzen-tration beim Ablauf der Elektrodenreaktion praktisch

unverändert bleibt, werden in der Nernst’schen Glei-chung nicht berücksichtigt.Beispiele für die Formulierung der Nernst’schen Glei-chung:1. Elektrodenreaktion:

Zn� Zn2+ + 2 e−

Nernst’sche Gleichung:

ϕ = ϕ0 +RT2F

ln c(Zn2+)

2. Elektrodenreaktion:

H2(g)� 2 H+ + 2 e−

Nernst’sche Gleichung:

ϕ =RTF

lnc(H+)

√p (H2)

.

Hinweis: Das Standardpotenzial der Wasserstoffelekt-rode ist definitionsgemäß null. In reinem Wasser(c(H+) = 10−7 mol/l) nimmt das Halbzellenpotenzialbei einem Wasserstoffpartialdruck von p(H2) = 1 barden Wert ϕ = −0,41 V an.

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9 Redoxreaktionen C63

9.5.3 Berechnung der EMKelektrochemischer Zellenaus Elektrodenpotenzialen

Die Berechnung der EMK galvanischer Ketten ausden Elektrodenpotenzialen erfolgt derart, dass mandas Potenzial der Anode (ϕA), also der Elektrode, ander eine Oxidation stattfindet, von dem Potenzial derKathode (ϕK) subtrahiert:

E = ϕK − ϕA . (9-3)

Beispiel: Daniell-ElementBei Stromfluss findet an der Kupferelektrode eineReduktion der Kupferionen zu metallischem Kupferund an der Zinkelektrode eine Oxidation des Zinkszu Zn2+-Ionen statt. Die Kupferelektrode ist in die-sem Fall Kathode und die Zinkelektrode Anode, daϕ0

Cu > ϕ0Zn. Mit den aus Tabelle 9-1 entnommenen

Werten der Elektrodenpotenziale folgt für die EMK:

E0 = ϕ0K − ϕ0

A = 0,3419 V − (−0,7613 V) .

= 1,1032 V .

9.5.4 Edle und unedle Metalle

Je größer die Tendenz von Metallionen ist, aus demMetallzustand in den hydratisierten Zustand überzu-gehen, umso kleiner sind die Standardelektrodenpo-tenziale. Unedle Metalle haben Standardpotenziale,die kleiner als null sind. Entsprechend gilt für ed-le Metalle, dass ihr Standardpotenzial größer als nullist. Im Gegensatz zu edlen Metallen lösen sich uned-le Metalle in Säuren (Wasserstoffionenkonzentration1 mol/l) auf, wenn sich das chemische Gleichgewichtungehemmt einstellen kann.Dagegen können sich im reinem Wasser nur solcheMetalle lösen, deren Halbzellenpotenzial kleiner als−0,41 V ist (vgl. 9.5.2, Hinweis). Einige Metalle, z. B.Aluminium und Zink, werden in reinem Wasser nichtgelöst, obwohl die Halbzellenpotenziale kleiner als−0,41 V sind. Man bezeichnet diese Eigenschaft alsPassivität. Ihre Ursache liegt in der Ausbildung un-löslicher, fest haftender Metalloxidschichten auf derMetalloberfläche, die das Metall vor weiterem An-griff der Wasserstoffionen schützen. In stark saurenund in stark alkalischen Lösungen sind diese Schich-ten löslich, sodass diese Metalle unter diesen Bedin-gungen von Wasserstoffionen angegriffen werden.

9.6 Elektrochemische Korrosion

Die elektrochemische Korrosion von Metallen bestehtin einer von der Oberfläche ausgehenden Zerstörungdes Metallgefüges. Sie beruht auf einer Oxidation desMetalls. Notwendig ist hierbei die Anwesenheit ei-nes zweiten, edleren Metalls, dessen Standardpoten-zial also höher ist als das des korrodierenden Me-talls. Die elektrochemische Korrosion findet an derAnode einer elektrochemischen Korrosionszelle (ei-nes Korrosionselementes bzw. Lokalelementes) stattund kann nur in Gegenwart eines Elektrolyten (z. B.eines Feuchtigkeitsfilmes) erfolgen. Ein Korrosions-element ist also nichts anderes als eine kurzgeschlos-sene elektrochemische Zelle, vgl. D 10.4.

9.7 Erzeugung von elektrischem Stromdurch Redoxreaktionen

Prinzipiell kann jede elektrochemische Zelle alsSpannungsquelle dienen. Handelsübliche elektroche-mische Zellen, die zur Stromerzeugung Verwendungfinden, werden auch als galvanische Elemente be-zeichnet. Kann die freiwillig ablaufende Zellreaktiondurch Elektrolyse (vgl. 9.8) vollständig rückgängiggemacht werden, so spricht man von Sekundärele-menten oder von Akkumulatoren. Im anderen Falleliegen Primärelemente vor.

PrimärelementeDas älteste technisch wichtige Primärelement ist dasLeclanché-Element, das folgendermaßen aufgebautist: In einem Zinkbecher, der gleichzeitig als Anodedient, befindet sich eine wässrige ammoniumchlo-ridhaltige Elektrolytpaste. Als Gegenelektrode dientein Graphitstab, der von Mangandioxid (Braunstein)MnO2 umgeben ist. Diesem sog. Trockenelementliegt folgende Zellreaktion zugrunde:

Zn + 2 MnO2 + 2 H+ → Zn2+ +Mn2O3 + H2O .

SekundärelementeIm Bleiakkumulator wird folgende chemische Reak-tion ausgenutzt:

PbO2(s)+Pb(s)+2 H2SO4

Entladung

LadungPbSO4(s)+2 H2O .

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C64 C Chemie

In einem typischen Lithium-Ionen-Akkumulator läuftfolgende Reaktion ab:

Li1−xMn2O4 + LixCn

Entladung

LadungLiMn2O4 + nC.

Brennsto−zellenIn Brennstoffzellen werden die Reaktionspartner fürdie Redoxreaktion kontinuierlich zugeführt und dieReaktionsprodukte fortwährend entfernt. Für Spezi-alanwendungen (Raumfahrt, U-Boote) hat sich dieWasserstoff-Sauerstoff-Zelle, die auch als Knallgas-element bezeichnet wird, bewährt. Als Elektrolytlö-sungen kommen sowohl Laugen als auch Säuren inBetracht. Platin, Nickel und Graphit werden haupt-sächlich (auch in Kombination) als Elektrodenmate-rial eingesetzt. In dieser Zelle laufen die folgendenReaktionen ab:

H2 → 2 H+ + 2 e− (Anodenreaktion)

1/2 O2 + H2O + 2 e− → 2 OH− (Kathodenreaktion)

H2 + 1/2 O2 → 2 H2O (Zellreaktion)

9.8 Elektrolyse, Faraday-Gesetz

Galvanische Zellen ermöglichen durch den Übergangvon Elektronen den freiwilligen Ablauf der Zellre-aktion. Solange sich das System noch nicht im ther-modynamischen Gleichgewicht befindet, gilt für dieZellreaktion ΔrG < 0. Die Spannung zwischen denElektroden verschwindet und der Stromfluss endet,wenn durch die Konzentrationsänderungen der Reak-tionsteilnehmer ΔrG = 0 wird (thermodynamischesGleichgewicht) oder wenn einer der Reaktionsteil-nehmer vollständig verbraucht ist.Durch Anlegen einer äußeren Spannung und Zufuhrelektrischer Arbeit kann ein Elektronenstrom inumgekehrter Richtung erzwungen werden. In diesemFall finden Redoxreaktionen statt, bei denen ΔrG > 0ist. Einen derartigen Vorgang nennt man Elektrolyse.So ist es z. B. beim Daniell-Element durch Anlegeneiner Spannung von mehr als 1,1 V möglich, Zinkabzuscheiden und Kupfer aufzulösen.

Faraday-GesetzDie Stoffmenge n der an den Elektroden bei einerElektrolyse umgesetzten Stoffe ist der durch den

Elektrolyten geflossenen Elektrizitätsmenge Q di-rekt und der Ladungszahl z der Ionen umgekehrtproportional:

n =Q

z · F=

mM

oder m =M · Qz · F

, (9-4)

F Faraday-Konstante, M molare Masse, m Masse.

9.8.1 Technische Anwendungenelektrolytischer Vorgänge

Darstellung unedler MetalleUnedle Metalle, wie z. B. Aluminium, Magnesiumund die Alkalimetalle, können durch Elektrolyse was-serfreier geschmolzener Salze (Schmelzflusselektro-lyse) dargestellt werden. In diesen Salzen müssen dieerwähnten Metalle als Kationen enthalten sein.Bei der Gewinnung von Aluminium geht man vonAluminiumoxid Al2O3 aus. Da dessen Schmelzpunktsehr hoch liegt (2045 ◦C) elektrolysiert man eine Lö-sung von Al2O3 in geschmolzenem Kryolith Na3AlF6

bei ca. 950 ◦C. Die an den Elektroden stattfinden-den Prozesse können schematisch durch die folgen-den Gleichungen beschrieben werden:

2 Al3+ + 6 e− → 2 Al (Kathodenreaktion)

3 O2− → 3/2 O2 + 6 e− (Anodenreaktion)

Al2O3 → 2 Al + 3/2 O2

Die Dichte der Salzschmelze ist bei der Temperatur,bei der die Elektrolyse durchgeführt wird, kleiner alsdie des flüssigen Aluminiums. Daher kann sich dasflüssige Metall am Boden des Reaktionsgefäßes an-sammeln und wird so vor der Oxidation durch denLuftsauerstoff geschützt.

Reinigung von Metallen(elektrolytische Ra³nation)Dieses Verfahren wird z. B. zur Gewinnung von rei-nem Kupfer (Cu-Massenanteil 99,95%) und von rei-nem Gold eingesetzt. Zur Reindarstellung von Kupferwerden eine Rohkupferanode und eine Reinkupfer-kathode verwendet. Als Elektrolyt dient eine schwe-felsaure (H2SO4 enthaltende) Kupfersulfatlösung. BeiStromfluss wird metallisches Kupfer an der Anode zuCu2+-Ionen oxidiert (Cu → Cu2+ + 2 e−). Die un-edlen Verunreinigungen des Rohkupfers (wie Eisen,

Page 65: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

10 Die Elementgruppen C65

Nickel, Kobalt, Zink) gehen ebenfalls in Lösung, dieedlen Bestandteile (Silber, Gold, Platin) bleiben alsAnodenschlamm ungelöst zurück. An der Kathodewird praktisch nur das Kupfer wieder abgeschieden,während die unedlen Begleitelemente in Lösung blei-ben und sich dort allmählich anreichern.

Anodische Oxidation von Aluminium(Eloxal-Verfahren)Beim Lagern von Aluminium an der Luft überziehtsich die Oberfläche des Metalls mit einer dünnen,festhaftenden Oxidschicht. Sie schützt das Alumini-um vor weiterer Korrosion durch atmosphärische Ein-flüsse. Durch anodische Oxidation lässt sich die Di-cke der Oxidschicht und damit die Schutzwirkungganz erheblich verstärken (Dicke ca. 0,02 mm).

Chloralkali-ElektrolyseDieses Verfahren dient zur Darstellung von Chlor undNatronlauge durch Elektrolyse einer wässrigen Na-triumchloridlösung. Der Gesamtvorgang kann durchfolgende Umsatzgleichung beschrieben werden:

2 H2O + 2 NaCl → H2 + 2 NaOH + Cl2 .

Bei diesem Verfahren muss verhindert werden, dassdie im Kathodenraum entstehenden Hydroxidionenzum Anodenraum gelangen, da sonst das Chlor mitder Lauge unter Bildung von Chlorid und Hypochlo-rit ClO− reagieren würde:

Cl2 + 2 OH− → Cl− + ClO− + H2O .

Derartige Redoxvorgänge, bei denen eine Verbindungmittlerer Oxidationszahl gleichzeitig in eine Substanzmit größerer und kleinerer Oxidationszahl übergeht,werden als Disproportionierungen bezeichnet.

10 Die Elementgruppen

10.1 Wassersto−

Elementarer Wassersto−Wasserstoff ist ein Mischelement und besteht aus dreiIsotopen: 1H, 2H und 3H (Häufigkeiten: 99,985%,0,015% und 10−5%). Die Isotope 2H und 3H werdenauch als Deuterium D und Tritium T bezeichnet. Tri-

tium ist radioaktiv und zerfällt als ß-Strahler in 32He

(Halbwertszeit t1/2 = 12,346 a).Gewinnung:1. Elektrolyse von Wasser, vgl. 9.8.2. Reaktion von Säuren mit unedlen Metallen,vgl. 9.5.4, z. B.:Zn + 2 H+(aq) → Zn2+ + H2.3. Umsetzung von Wasserdampf mit glühendemKoks: H2O(g) + C � CO + H2. Eine Mischungvon Kohlenmonoxid CO und Wasserstoff wird alsWassergas bezeichnet.Eigenschaften:Siehe Tabelle 5-2; Elektronegativität χ = 2,1.

Wassersto−verbindungenWasserstoffverbindungen heißen auch Hydride. Nachder Art der Bindung unterscheidet man:

– Ionische (salzartige) Hydride. Solche Verbindun-gen bildet Wasserstoff mit den Elementen der I.und II. Hauptgruppe. Sie werden durch das nega-tiv geladene Hydridion H− charakterisiert (Oxida-tionszahl des Wasserstoffs in diesem Ion:−I). Bei-spiele: Lithiumhydrid LiH, Calciumhydrid CaH2.Alkalimetallhydride kristallisieren im NaCl-Gitter,vgl. 5.3.2. Hydridionen reagieren mit Verbindun-gen, die Wasserstoffionen enthalten, unter Bildungvon molekularem Wasserstoff, z. B.

H− + H2O → OH− (aq)+ H2 .

– Kovalente Hydride. Verbindungen dieses Typs ent-stehen bei der Reaktion des Wasserstoffs mit denElementen der III. bis VII. Hauptgruppe. Beispie-le: Methan CH4, Wasser H2O, SchwefelwasserstoffH2S.

– Metallartige Hydride. Derartige Einlagerungs-verbindungen bildet Wasserstoff mit den meistenÜbergangsmetallen. Der Wasserstoff besetzt häufigdie Oktaeder- und/oder Tetraederlücken in kubischbzw. hexagonal dichtesten Kugelpackungen,die von den Metallatomen ausgebildet werden(vgl. 5.3.2). Beispiele TiH1,0−2,0 und ZrH1,5−2,0.

– Komplexe Hydride. Hierunter versteht man Wasser-stoffverbindungen der Art LiAlH4 (Lithiumalumi-niumhydrid), an denen außer Alkalimetallen dieElemente Bor, Aluminium oder Gallium beteiligtsind.

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C66 C Chemie

10.2 I. Hauptgruppe: Alkalimetalle

Zu den Alkalimetallen gehören die Elemente LithiumLi, Natrium Na, Kalium K, Rubidium Rb, CaesiumCs und Francium Fr. Francium ist radioaktiv undkommt in der Natur nur in sehr geringen Mengenals Zerfallsprodukt des Actiniums vor. Die Ele-mente der I. Hauptgruppe sind silbrig glänzende,kubisch raumzentriert kristallisierende Metalle(vgl. 5.3.2). Sie sind sehr weich, haben eine geringeDichte und niedrige Schmelz- und Siedepunkte(vgl. Tabelle 10-1). In der äußeren Schale habendie Alkalimetalle ein ungepaartes s-Elektron, dasleicht abgegeben werden kann. Sie sind daher sehrstarke Reduktionsmittel. In Verbindungen treten dieElemente der I. Hauptgruppe ausschließlich mit derOxidationszahl I als einfach positiv geladene Ionenauf.

Gewinnung: Schmelzflusselektrolyse (siehe 9.8.1) derHydroxide bzw. der Chloride.

ReaktionenDie Alkalimetalle sind äußerst reaktionsfähig.Sie reagieren z. B. mit Halogenen, Schwefel undWasserstoff unter Bildung von Halogeniden (z. B.Natriumchlorid NaCl), Sulfiden (z. B. NatriumsulfidNa2S) und ionischen Hydriden (siehe 10.1). DieReaktionsfähigkeit der Alkalimetalle nimmt mitsteigender Ordnungszahl zu.Reaktionen mit Sauerstoff : Lithium reagiert mit Sau-erstoff unter Bildung von Lithiumoxid Li2O. Natri-um verbrennt an der Luft zu Natriumperoxid Na2O2:2 Na + O2 → Na2O2. Die anderen Alkalimetalle rea-gieren mit Sauerstoff unter Bildung von Hyperoxiden,die durch das O−

2 -Ion charakterisiert sind; Beispiel:K + O2 → KO2.

Tabelle 10-1. Eigenschaften der Alkalimetalle

Lithium Natrium Kalium Rubidium Caesium

Elektronenkonfiguration [He]2s [Ne]3s [Ar]4s [Kr]5s [Xe]6sSchmelzpunkt ◦C 180,5 97,80 63,38 39,31 28,44Siedepunkt ◦C 1342 883 759 688 671Ionisierungsenergie (1. Stufe) eV 5,39 5,14 4,34 4,18 3,89Atomradius pm 152 186 227 248 266Ionenradius pm 59 99 138 152 167Elektronegativitat 1,0 0,9 0,8 0,8 0,8

Reaktionen mit Wasser: Hierbei werden Alkalimetall-hydroxide und Wasserstoff gebildet, z. B.:

2 Na + 2 H2O → 2 NaOH + H2(g).

Die Reaktion nimmt mit steigender Ordnungszahl anHeftigkeit zu. Bei der Reaktion von Kalium mit Was-ser entzündet sich der gebildete Wasserstoff an derLuft von selbst.

AlkalimetallhydroxideWässrige Lösungen der Alkalimetallhydroxide(z. B. Natriumhydroxid NaOH) sind starke Basen(vgl. 8.7.4). Die Basenstärke nimmt mit wachsenderOrdnungszahl der Alkalimetalle zu. Für wässrigeLösungen von Natriumhydroxid und Kaliumhydroxidsind die Trivialnamen Natronlauge und Kalilaugeüblich.

10.3 II. Hauptgruppe: Erdalkalimetalle

Die Elemente Beryllium Be, Magnesium Mg, Calci-um Ca, Strontium Sr, Barium Ba und das radioaktiveRadium Ra (vgl. Tabelle 10-2) werden als Erdalkali-metalle bezeichnet. Es sind – mit Ausnahme des sehrharten Berylliums – nur mäßig harte Leichtmetalle.Die Erdalkalimetalle haben in der äußersten Schalezwei Elektronen, die leicht abgegeben werden kön-nen. Daher sind diese Elemente starke Reduktions-mittel. In ihren Verbindungen treten sie stets mit derOxidationszahl II auf.

ReaktionenDie Erdalkalimetalle sind i. Allg. sehr reaktionsfreu-dig. Sie reagieren direkt mit Halogenen, Wasserstoffund Sauerstoff zu Halogeniden (z. B. Calciumchlorid

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10 Die Elementgruppen C67

Tabelle 10-2. Eigenschaften der Erdalkalimetalle

Beryllium Magnesium Calcium Strontium Barium RadiumElektronenkonfiguration [He]2s2 [Ne]3s2 [Ar]4s2 [Kr]5s2 [Xe]6s2 [Rn]7s2

Schmelzpunkt ◦C 1287 650 842 777 727 700Siedepunkt ◦C 2471 1090 1484 1382 1897 1140Ionisierungsenergie (1. Stufe) eV 9,32 7,65 6,11 5,70 5,21 5,28Atomradius pm 111 160 197 215 217Ionenradius (Ladungszahl 2+) pm 27 57 100 118 135 148Elektronegativität 1,6 1,3 1,0 0,95 0,9 0,9

CaCl2), ionischen Hydriden (vgl. 10.1) bzw. Oxiden(z. B. Magnesiumoxid MgO). An feuchter Luft undin Wasser bilden sich Hydroxide. Mg und vor allemBe werden dabei – wie bekanntlich auch Aluminium– mit einer dünnen, fest haftenden oxidischen Deck-schicht überzogen. Daher sind diese beiden Metallegegenüber Wasser beständig. Wie bei den Alkalime-tallen nimmt auch bei den Erdalkalimetallen die Re-aktionsfähigkeit mit steigender Ordnungszahl zu.Gewinnung der Erdalkalimetalle: Durch Schmelz-flusselektrolyse (siehe 9.8.1) der Halogenide oderdurch Reduktion der Oxide mit Koks, Silicium oderAluminium, letzteres wird als aluminothermischesVerfahren bezeichnet.

Beispiel:

3 MgO + 2 Al → Al2O3 + 3 Mg .

ErdalkalimetallhydroxideErdalkalimetalle bilden Hydroxide des Typs M(OH)2

(M Erdalkalimetall). Der basische Charakter der Hy-droxide nimmt mit steigender Ordnungszahl zu. Be-rylliumhydroxid Be(OH)2 kann je nach Art des Re-aktionspartners als Säure oder als Base reagieren undist daher sowohl in Säuren als auch in starken Basen(vgl. 8.7) löslich. Verbindungen mit einem derartigenVerhalten werden als amphoter bezeichnet:

Be(aq)2+ +2 H+←−−−−−−−2 H2O

Be(OH)2+2 OH−−−−−−−−→ [Be(OH)4]2−

Berylliumhydroxid Beryllation

Magnesiumhydroxid Mg(OH)2 ist eine schwacheBase ohne amphotere Eigenschaften. Ba(OH)2 undRa(OH)2 sind starke Basen.

10.4 III. Hauptgruppe: die Borgruppe

Die Elemente Bor B, Aluminium Al, Gallium Ga, In-dium In und Thallium Tl bilden die III. Hauptgruppe,vgl. Tabelle 10-3. Alle Elemente dieser Gruppe habendrei Valenzelektronen, können also in Verbindungenmaximal in der Oxidationszahl III auftreten. Danebentritt in der Borgruppe auch die Oxidationszahl I auf,deren Beständigkeit mit steigender Ordnungszahl zu-nimmt. So sind beim Bor nur dreiwertige Verbindun-gen bekannt, während beim Thallium die Oxidations-zahl I vorherrscht. Bor tritt nie als B3+-Kation auf undunterscheidet sich dadurch von allen anderen Elemen-ten der III. Hauptgruppe.Metallcharakter: Der metallische Charakter nimmt –wie auch innerhalb der anderen Hauptgruppen – mitsteigender Ordnungszahl zu. Elementares Bor ist einhartes Halbmetall mit einem starken kovalenten Bin-dungsanteil. Die elektrische Leitfähigkeit ist gering(56 · 10−6 S/m bei 0 ◦C) und steigt mit zunehmenderTemperatur rasch an. Die Schmelz- und Siedepunktesind hoch (vgl. Tabelle 10-3).Aluminium ist bereits ein in der kubisch dichtestenKugelpackung kristallisierendes Leichtmetall mithoher elektrischer Leitfähigkeit (37,74 · 106 S/m bei20 ◦C).Säure-Base-Eigenschaften: Die basischen (oder sau-ren) Eigenschaften der Oxide und Hydroxide der Ele-mente der Borgruppe nehmen mit steigender Ord-nungszahl zu (bzw. ab). Ähnlich verhalten sich dieentsprechenden Verbindungen in den anderen Haupt-gruppen.B(OH)3 (Borsäure) ist, wie der Name schon sagt, sau-er, die entsprechenden Al- und Ga-Verbindungen sindamphoter und die In- und Tl-Verbindungen reagierenbasisch.

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C68 C Chemie

Tabelle 10-3. Eigenschaften der Elemente der Borgruppe

Bor Aluminium Gallium Indium Thallium

Elektronenkonfiguration [He]2s22p [Ne]3s23p [Ar]3d104s24p [Kr]4d105s25p [Xe]4f145d106s26p

Schmelzpunkt ◦C 2075 660,323a 29,8 156,6 303,5

Siedepunkt ◦C 4000 2519 2204 2072 1473

Ionisierungsenergie (1. Stufe) eV 8,30 5,99 6,00 5,79 6,11

Atomradius pm 79 143 122 162,6 170

Elektronegativität 2,0 1,6 1,8 1,8 1,8a Fixpunkt der Internationalen Temperaturskala von 1990 (ITS-90).

Indium-Zinn-Oxid (ITO) hat als transparentes undleitfähiges Beschichtungsmaterial eine erheblicheBedeutung für die Display- und Solarzellentechnik,für elektrische Abschirmungen und als Sensor-material gewonnen. ITO ist eine Mischung ausIndium(III)-oxid In2O3 und Zinn(IV)-oxid SnO2,typischerweise mit einem Massenverhältnis 90:10.

10.4.1 Bor

Borwasserstoffe (Borane) existieren in großer Viel-falt. Es sind sehr reaktionsfähige und meist giftigeSubstanzen, die mit Luft oder mit Sauerstoff explo-sionsfähige Gemische bilden. Die einfachste Verbin-dung ist das Diboran B2H6. Mit Sauerstoff reagiertes unter großer Wärmeentwicklung gemäß folgenderGleichung:

B2H6Diboran

+ 3 O2 → B2O3Bortrioxid

+ 3 H2O .

Borsäure H3BO3 oder B(OH)3 ist in wässriger Lö-sung eine sehr schwache einbasige Säure, da die Ver-bindung als OH−-Akzeptor reagiert:

B(OH)3 + HOH� H[B(OH)4]

� H+(aq) + [B(OH)4]− .

Die Salze der Borsäure heißen Borate. Es gibt Ortho-borate (z. B. Li3[BO3]), Metaborate (z. B. Na3[B3O6])und Polyborate (z. B. Borax Na2B4O7 · 10 H2O). Vie-le Wasch- und Bleichmittel enthalten Perborate. Dassind in der Regel Anlagerungsverbindungen des Was-serstoffperoxids H2O2 (siehe 10.7.1) an gewöhnlicheBorate.

Bornitrid BN kommt in einer hexagonalen dem Gra-phit und einer kubischen dem Diamanten analogenModifikation (Borazon), vor.Borcarbid B4C eine chemisch sehr beständige Ver-bindung, ist in seiner Härte mit dem Diamanten ver-gleichbar.Metallboride bilden sich beim Erhitzen von Bor mitMetallen. Es sind sehr harte, chemisch beständigeVerbindungen.

10.4.2 Aluminium

Elementares AluminiumVorkommen in Feldspäten z. B. Kalifeldspat oder Or-thoklas K[AlSi3O8], in Glimmern und in Tonen (To-ne sind die Verwitterungsprodukte von Feldspätenoder feldspathaltigen Gesteinen), als reines Alumini-umoxid Al2O3 (Korund) und als Aluminiumhydroxid(Bauxit).Darstellung: Schmelzflusselektrolyse von Aluminiu-moxid (vgl. 9.8.1).

AluminiumverbindungenAluminiumoxid Al2O3 kommt in zwei verschiedenenModifikationen als γ-Al2O3 und α-Al2O3 vor.γ-Al2O3 ist ein weiches Pulver mit großer Oberflä-che, das beim Glühen (1100 ◦C) in das sehr harteα-Al2O3 (Korund) übergeht. Im Korund bilden dieO2−-Ionen eine hexagonal dichteste Kugelpackung.Die Al3+-Ionen besetzen 2/3 der vorhandenenOktaederlücken (vgl. 5.3.2).Aluminiumhydroxid Al(OH)3 ist amphoter und löstsich daher sowohl in Säuren als auch in Basen auf:

Al(aq)3+ +3 H+←−−−−−−−3 H2O

Al(OH)3+OH−−−−−−−→ [Al(OH)4]− .

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10 Die Elementgruppen C69

Das [Al(OH)4]−-Ion heißt Tetrahydroxoaluminationoder kurz Alumination.

10.5 IV. Hauptgruppe:die Kohlensto−gruppe

Die Elemente Kohlenstoff C, Silicium Si, Germani-um Ge, Zinn Sn und Blei Pb bilden die IV. Haupt-gruppe des Periodensystems (vgl. Tabelle 10-4). InVerbindungen treten diese Elemente in den Oxidati-onszahlen IV und II auf. Die Stabilität von Verbindun-gen mit der Oxidationszahl IV (II) nimmt mit steigen-der Ordnungszahl ab (zu). Der metallische Charakterwächst in Richtung vom Kohlenstoff zum Blei hin.

10.5.1 Kohlensto−

Elementarer Kohlensto−Kohlenstoff kommt in mehreren Modifikationen vor.Die beiden wichtigsten sind Diamant und Graphit(vgl. Bild 5-14 und 5-15; siehe auch D 4.2). Die Koh-lenstoffsorten mit technischer Bedeutung wie Kunst-graphit (Elektrographit), Koks, Ruß und Aktivkohlebesitzen weitgehend Graphitstruktur.Graphit kann als Stapel einer zweidimensiona-len Kohlenstoffschicht (sog. Graphen) aufgefasstwerden, die auch die Grundlage weiterer Koh-lenstoffmodifikationen bildet. Bei den Fullerenenhandelt es sich um sphärische Käfigverbindungen,die z. B. 60 oder 70 Kohlenstoffatome im Molekülenthalten (C60, bzw. C70). Kohlenstoff-Nanoröhrchenbestehen aus ein- oder mehrlagigen röhrenförmigenGraphenstrukturen mit Durchmessern im Bereichvon 10 nm und Längen im Bereich von 100 nm bis1 μm.

Tabelle 10-4. Eigenschaften der Elemente der Kohlenstoffgruppe

Kohlenstoff Silicium Germanium Zinn BleiElektronenkonfiguration [He]2s22p2 [Ne]3s23p2 [Ar]3d104s24p2 [Kr]4d105s25p2 [Xe]4f45d106s26p2

Schmelzpunkt ◦C 3550 (Diam.) 1414 938,25 231,928a 327,46Siedepunkt ◦C 3825 (Sublim., 3265 2833 2602 1749

Graphit)Ionisierungsenergie eV 11,26 8,15 7,90 7,34 7,42(1. Stufe)Atomradius pm 77 118 122 140 175Elektronegativität 2,55 1,9 2,0 2,0 1,8

a Fixpunkt der ITS-90.

Kohlensto−verbindungenCarbide heißen die Verbindungen des Kohlenstoffsmit Metallen oder Nichtmetallen, wenn der Kohlen-stoff der elektronegativere (vgl. 3.1.4) Partner ist. Die-se Substanzen werden unterteilt in:

– Salzartige Carbide (z. B. Calciumcarbid CaC2),– metallische Carbide (z. B. Vanadiumcarbid VC)

und– kovalente Carbide (z. B. Siliciumcarbid SiC ,Car-

borundum‘).

Kovalente Carbide sind extrem hart, schwer schmelz-bar und chemisch inert. Viele salzartige Carbidereagieren mit Wasser unter Bildung von AcetylenHC≡CH, Beispiel:

CaC2 + 2 H+ → Ca2+ + HC ≡ CH .

Kohlenstoffdioxid (Kohlendioxid) CO2 ist ein farblo-ses, etwas säuerlich schmeckendes Gas. CO2 ist einnatürlicher Bestandteil der Luft (vgl. Tabelle 5-2). Esentsteht bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl undErdgas (vgl. 9.3.1).Mit Wasser reagiert CO2 unter Bildung von Koh-lensäure H2CO3, die als schwache zweibasige Säurein Wasserstoffionen, Hydrogencarbonat- (HCO−

3 ) undCarbonat-Ionen (CO2−

3 ) dissoziiert:

CO2 + H2O� H2CO3 � H+(aq)+ HCO−

3

� 2 H+(aq)+ CO2−

3 .

CO2-Gehalt in der Luft und Klima. Der Gehalt anCO2 in der Luft hat sich durch die Verbrennung fos-siler Energieträger (in Kraftwerken, Haushalten, Ver-kehr und Industrie) seit 1800 von 280 ppm auf den

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C70 C Chemie

Stand von 383 ppm (2007) erhöht. Zwischen 1900und 1973 betrug die mittlere jährliche Zuwachsra-te der CO2-Emission weltweit ca. 4%. Seit 1973 istdieser Wert auf 2,3% gesunken. Da CO2 (wie an-dere klimawirksame Spurengase, z. B. Methan CH4,Distickstoffmonoxid N2O, Ozon O3 und Fluorchlor-kohlenwasserstoffe) die infrarote Strahlung des Son-nenspektrums und vor allem die von der Erdoberflä-che ausgehende Wärmestrahlung absorbiert, ist zu er-warten, dass eine Vergrößerung des CO2-Gehaltes ei-ne globale Temperaturerhöhung bewirkt. Die damitverbundenen Klimaänderungen können schwere Um-weltschäden verursachen. 2004 wurden in Deutsch-land ca. 850 · 106 t CO2 aus der Verbrennung fossi-ler Energierohstoffe (Kohle, Öl, Gas) freigesetzt (proEinwohner jährlich ca. 10,4 t).Kohlenstoffmonoxid (Kohlenmonoxid) CO ist einfarb- und geruchloses, sehr giftiges Gas (vgl.Tabelle 5-2). CO ist Nebenprodukt bei der unvoll-ständigen Verbrennung von Kohle, Erdöl oder Erdgas(vgl. 9.3.1). Technisch kann es durch Reaktion vonCO2 mit Koks (C) bei 1000 ◦C dargestellt werden(Boudouard-Gleichgewicht):

CO2 + C� 2CO .

CO ist Bestandteil von Wassergas, das beim Überlei-ten von Wasserdampf über stark erhitzten Koks ent-steht, vgl. 10.1.Schwefelkohlenstoff oder Kohlenstoffdisulfid CS2 isteine wasserklare Flüssigkeit (Siedepunkt 46,2 ◦C,MAK-Wert 10 ppm). CS2-Dämpfe bilden mitSauerstoff oder Luft explosionsfähige Gasgemische.

10.5.2 Silicium

Elementares Silicium

Die bei Raumtemperatur und Normaldruck stabileModifikation, das α-Silicium, ist ein dunkelgraues,hartes Nichtmetall mit Diamantstruktur. Silicium ist– wie Germanium – ein Halbleiter, dessen elektrischeLeitfähigkeit mit steigender Temperatur zunimmt.Geringe gezielt eingebrachte Fremdatome (Dotie-rungen) können die elektrische Leitfähigkeit umGrößenordnungen steigern.Darstellung: Reduktion von Siliciumdioxid SiO2 mitKoks, Magnesium oder Aluminium.

SiliciumverbindungenSiliciumwasserstoffe (Silane) sind durch die Sum-menformel Si2nH2n+2 charakterisiert. Sie gleichenin ihrer Struktur den Alkanen (vgl. 11.3.1). Daserste Glied dieser Reihe ist das Monosilan SiH4. Inden Siliciumwasserstoffen ist Silicium vierbindig(tetraedrische Anordnung). Silane sind sehr oxi-dationsempfindlich und bilden mit Luft, bzw. mitSauerstoff, explosionsfähige Gasmischungen. MitWasser reagieren sie unter Bildung von Siliciumdi-oxid und Wasserstoff, so z. B.:

SiH4 + 2 H2O → SiO2 + 4 H2 .

Siloxane, Silicone: Die Kondensation von SilanolenR3Si–OH (R Alkyl-Rest, vgl. 11.3.1) führt zu Disi-loxanen:

R3Si–OH + HO–SiR3 → R3Si–O–SiR3 + H2O .

Bei der Kondensation von Silandiolen R2Si(OH)2

oder Silantriolen RSi(OH)3 entstehen Polysiloxane

. . .–SiR2–O–SiR2–O–SiR2–O– . . .

bzw. analog aufgebaute Schichtstrukturen. Diese Po-lymerverbindungen werden zusammengefasst als Si-licone bezeichnet.

Siliciumoxide: Wie beim Kohlenstoff existieren auchbeim Silicium zwei Oxide: Siliciummonoxid SiOund Siliciumdioxid SiO2. Siliciumdioxid kommt inmehreren Modifikationen vor. Wichtig sind: α- undβ-Quarz, β-Tridymit, β-Cristobalit sowie die beidenHochdruckmodifikationen Stishovit und Coesit. Dastechnisch wichtige Quarzglas kann durch Abkühlenvon geschmolzenem Siliciumdioxid hergestelltwerden (vgl. 5.2.4 und D 4.3).Silicate heißen die Salze der Kieselsäuren, deren ein-fachstes Glied die Orthokieselsäure H4SiO4 ist. Si-licate weisen große Strukturmannigfaltigkeiten auf.Man unterscheidet, insbesondere bei der Klassifizie-rung der Minerale:

– Inselsilicate mit isolierten SiO4-Tetraedern (z. B.Olivin (Mg, Fe)2[SiO4]).

– Gruppen- und Ringsilicate mit einer begrenztenAnzahl verknüpfter SiO4-Tetraeder (Beispiel fürein Ringsilicat: Beryll Al2Be3[Si6O18]).

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10 Die Elementgruppen C71

– Ketten- und Bandsilicate, die aus einer unbegrenz-ten Zahl von verketteten SiO4-Tetraedern aufge-baut sind.

– Schichtsilicate mit zweidimensional unbegrenz-ten Schichten. Quantitative Zusammensetzung:[Si2O2−

5 ]x. Beispiele: Glimmer, Tonminerale,Asbest.

– Gerüstsilicate mit dreidimensional unbegrenzterStruktur. In diesen Substanzen ist ein Teil derSi-Atome des Siliciumdioxids durch Aluminiumersetzt. Beispiel: Feldspäte, Zeolithe (Verwendungals Molekularsiebe).

Technisch wichtige Silicate– Wasserglas, eine wässrige Lösung von Alkalisilica-

ten (Verwendung: Verkitten von Glas und Porzel-lan, Flammschutzmittel).

– Silikatgläser (Gläser im allgemeinen Sprachge-brauch, vgl. 5.2.4 und D 4.3).

– Silikatkeramik-Erzeugnisse. Hierunter verstehtman im Wesentlichen technische Produkte, diedurch Glühen von Tonen (vgl. 10.4.2) hergestelltwerden.

10.5.3 Germanium, Zinn und Blei

α-Germanium ist die bei Raumtemperatur und Nor-maldruck stabile Germanium-Modifikation. Es ist eingrauweißes, sehr sprödes Metall mit Diamantstruktur.α-Ge hat Halbleitereigenschaften.Zinn kommt in drei verschiedenen Modifikationenals α-, β- und γ-Sn vor. Bei Raumtemperatur istdas metallische β-Sn stabil. Unterhalb 13,2 ◦Cwandelt sich diese Modifikation allmählich in grauesα-Zinn mit Diamantstruktur um. Gegenstände ausZinn zerfallen dabei in viele kleine Kriställchen(„Zinnpest“).Blei ist ein graues, weiches Schwermetall. Es kristal-lisiert in der kubisch dichtesten Kugelpackung, alsoin einem echten Metallgitter (vgl. 5.3.2).

10.6 V. Hauptgruppe: die Sticksto−gruppe

Zur V. Hauptgruppe gehören die Elemente Stick-stoff N, Phosphor P, Arsen As, Antimon Sb undBismut (auch Wismut) Bi, vgl. Tabelle 10-5.

Oxidationszahl: Gegenüber elektropositiven Elemen-ten (vgl. Tabelle 9-1), so z. B. Wasserstoff, treten die

Elemente der Stickstoffgruppe mit der Oxidationszahl−III auf (z. B. NH3, PH3, AsH3). In Verbindungenmit elektronegativen Elementen wie Sauerstoff oderChlor werden hauptsächlich die Oxidationszahlen IIIund V beobachtet.

Metallcharakter: Der metallische Charakter der Ele-mente der V. Hauptgruppe nimmt mit steigender Ord-nungszahl zu. Stickstoff ist ein typisches Nichtmetallund Bismut ein reines Metall. Die Elemente Phos-phor, Arsen und Antimon kommen sowohl in metal-lischen als auch in nichtmetallischen Modifikationenvor.

10.6.1 Sticksto−

Elementarer Sticksto−Vorkommen: Bestandteil der Luft, vgl. Tabelle 5-2.Gewinnung: Durch fraktionierte Destillation von flüs-siger Luft.Eigenschaften: Stickstoff ist bei Raumtemperatur nurals N2-Molekül beständig. Er ist unter diesen Bedin-gungen ein farb- und geruchloses Gas (vgl. Tabel-le 5-2).

Sticksto−verbindungenAmmoniak NH3: Darstellung nach dem Haber-Bosch-Verfahren, siehe 7.9.4. Ammoniak ist ein farblosesGas mit stechendem Geruch, vgl. Tabelle 5-2. Es istsehr leicht in Wasser löslich. Die wässrige Lösungreagiert schwach basisch:

NH3 + H2O� NH+4 + OH− .

Verwendung von Ammoniak: Herstellung von Salpe-tersäure und Düngemitteln.Hydrazin H2N–NH2 oder N2H4: Darstellung durchOxidation von Ammoniak:

H2N–H + O + H–NH2−H2O� H2N–NH2 .

Hydrazin ist bei Raumtemperatur eine farblose öligeFlüssigkeit (Siedepunkte 113,5 ◦C), MAK-Wert:0,1 ppm. Reines Hydrazin kann explosionsartig inAmmoniak und Stickstoff zerfallen:

3 N2H4 (l) → 4 NH3(g)+ N2(g).

Mit starken Säuren reagiert Hydrazin unter Bildungvon Hydraziniumsalzen (z. B. Hydraziniumsulfat[N2H6][SO4]).

Page 72: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C72 C Chemie

Tabelle 10-5. Eigenschaften der Elemente der Stickstoffgruppe

Stickstoff Phosphor Arsen Antimon BismutElektronenkonfiguration [He]2s22p3 [Ne]3s23p3 [Ar]3d104s24p3 [Kr]4d105s25p3 [Xe]4f145d106s26p3

Schmelzpunkt ◦C −210,0 44,15a 817 (28 bar) 630,63 271,40Siedepunkt ◦C −195,79 280,5a 613 (Sublim.) 1587 1564Ionisierungsenergie eV 14,53 10,49 9,81 8,64 7,29(1. Stufe)Atomradius pm 55 110 124 145 154Elektronegativität 3,0 2,2 2,2 2,05 1,9

a weißer Phosphor .

Stickstoffwasserstoffsäure HN3 ist eine farblose, gifti-ge (MAK-Wert: 0,1 ppm), explosive Flüssigkeit:

2 HN3 (l) → 3 N2(g)+ H2(g).

Wässrige Lösungen reagieren schwach sauer. DieSalze der Stickstoffwasserstoffsäure heißen Azide.Schwermetallazide (z. B. Bleiazid Pb(N3)2 undSilberazid AgN3) sind schlagempfindlich und wer-den daher in der Sprengtechnik als Initialzünderverwendet.

Oxide des Sticksto−s– Distickstoffmonoxid N2O (Lachgas), Oxidations-

zahl des Stickstoffs I, vgl. Tabelle 5-2.– Stickstoffmonoxid NO ist ein farbloses, giftiges

Gas, vgl. 6.4.7 und 9.3.1. Mit Sauerstoff reagiertes in einer Gleichgewichtsreaktion unter Bildungvon Stickstoffdioxid NO2:

2 NO + O2 � 2 NO2 .

– Stickstoffdioxid NO2 ist ein rotbraunes erstickendriechendes Gas, MAK-Wert: 5 ppm, vgl. 6.4.7und 9.3.1. Mit Wasser reagiert das Oxid un-ter Bildung von salpetriger Säure HNO2 undSalpetersäure HNO3 (s. unten):

2 NO2 + H2O → HNO2 + HNO3 .

Sauersto−säuren des Sticksto−s– Salpetrige Säure HNO2: Diese Säure ist nur in ver-

dünnter wässriger Lösung beständig. Die Salze hei-ßen Nitrite (z. B. Natriumnitrit NaNO2).

– Salpetersäure HNO3 ist eine farblose stechend rie-chende Flüssigkeit (Siedepunkt 84,1 ◦C). Die Ver-bindung ist eine starke Säure. Ihre Salze heißen

Nitrate (z. B. Natriumnitrat NaNO3). KonzentrierteSalpetersäure besitzt ein besonders starkes Oxida-tionsvermögen. Sie wird dabei zum Stickstoffmon-oxid reduziert:

NO−3 + 4 H+ + 3 e− → NO + 2 H2O .

Aufgrund dieses Reaktionsverhaltens werdensämtliche Edelmetalle (vgl. 9.5.4) außer Gold undPlatin von konzentrierter Salpetersäure gelöst.

10.6.2 Phosphor

Elementarer PhosphorPhosphor kommt in mehreren monotropen (einseitigumwandelbaren) Modifikationen vor:

– Weißer Phosphor. Metastabil (vgl. 6.3.5), fest(Schmelzpunkt 44,2 ◦C), wachsweich, sehr giftig,in Schwefelkohlenstoff CS2 löslich. Festkörper,Schmelze und Lösung enthalten tetraedrischeP4-Moleküle.Feinverteilter weißer Phosphor entzündet sich ander Luft von selbst und verbrennt zu Phosphor-pentoxid P4O10. Im Dunkeln leuchtet Phosphoran der Luft wegen der Oxidation der von weißemPhosphor abgegebenen Dämpfe (Chemolumines-zenz).

– Roter Phosphor (metastabil) entsteht aus weißemPhosphor durch Erhitzen auf ca. 300 ◦C (unter Aus-schluss von Sauerstoff).

– Schwarzer Phosphor (stabil von Raumtemperaturbis ca. 400 ◦C) bildet sich aus weißem Phosphorbei erhöhter Temperatur (ca. 200 ◦C) und sehr ho-hem Druck (12 kbar). Das Gitter besteht aus Dop-pelschichten. Schwarzer Phosphor hat Halbleiterei-genschaften.

Page 73: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

10 Die Elementgruppen C73

PhosphorverbindungenPhosphin PH3 ist ein farbloses, sehr giftiges Gas(MAK-Wert: 0,1 ppm).

Oxide des Phosphors– Diphosphortrioxid (Phosphortrioxid) P4O6

entsteht beim Verbrennen des Phosphors beiungenügender Sauerstoffzufuhr. Es leitet sichvom tetraedrisch aufgebauten weißen Phosphordadurch ab, dass zwischen jede P–P-Bindung einSauerstoffatom eingefügt ist. Das entspricht derFormel P4O6. Mit Wasser reagiert P4O6 unterBildung von phosphoriger Säure H3PO3:

P4O6 + 6 H2O → 4 H3PO3 .

– Diphosphorpentaoxid (Phosphorpentoxid) P2O5

bildet sich bei vollständiger Verbrennung vonelementarem Phosphor. Die Molekülstrukturder Verbindung unterscheidet sich von der desP4O6 dadurch, dass an jedem Phosphoratomzusätzlich ein Sauerstoffatom gebunden ist. Dasentspricht der Formel P4O10. P4O10 ist ein weißes,geruchloses Pulver. Es ist äußerst hygroskopisch(Wasser entziehend). Mit Wasser reagiert es überZwischenstufen unter Bildung von PhosphorsäureH3PO4:

P4O10 + 6 H2O → 4 H3PO4 .

Phosphorsäure H3PO4 bildet drei Reihen von Salzenprimäre Phosphate (Dihydrogenphosphate, z. B.NaH2PO4), sekundäre Phosphate (Hydrogenphos-phate, z. B. Na2HPO4) und tertiäre Phosphate (z. B.Na3PO4). Verwendung von Phosphaten: Düngemittel.Kondensierte Phosphorsäuren: Bei höheren Tem-peraturen kondensiert Orthophosphorsäure unterWasserabspaltung zur Diphosphorsäure, die oberhalb

300 ◦C unter weiterem Austritt von Wasser inkettenförmige Polyphosphorsäuren übergeht.

10.6.3 Arsen, Antimon

Arsen und Antimon bilden mit Wasserstoff die Verbin-dungen Arsin AsH3 bzw. Antimonwasserstoff SbH3.AsH3 ist noch giftiger als Phosphin PH3.Die wichtigsten Oxide des Arsens und des Antimonssind As4O6 (,Arsenik‘) und Sb4O6. Beide haben einendem P4O6 analogen molekularen Aufbau.

10.7 VI. Hauptgruppe: Chalkogene

Die Elemente der VI. Hauptgruppe sind Sauerstoff O,Schwefel S, Selen Se, Tellur Te und Polonium Po.Polonium ist ein außerordentlich seltenes radioakti-ves Element. Die Sonderstellung, die der Sauerstoffals erstes Element innerhalb dieser Gruppe einnimmt,beruht auf seinem besonders kleinen Atomradiusund seiner hohen Elektronegativität, vgl. Tabel-le 10-6.

Oxidationszahl: Die Chalkogene kommen in den Oxi-dationszahlen –II bis VI vor. Sauerstoff tritt aufgrundseiner großen Elektronegativität (er ist nach Fluor daselektronegativste Element) fast nur in der Oxidations-zahl –II auf. Im Wasserstoffperoxid und in anderenPeroxiden hat er die Oxidationszahl –I. In Verbindun-gen mit Fluor sind die Oxidationszahlen des Sauer-stoffs positiv.

Metallcharakter: Der metallische Charakter nimmtmit steigender Ordnungszahl zu. Sauerstoff undSchwefel sind typische Nichtmetalle, Poloniumist ein reines Metall. Die Elemente Selen undTellur kommen sowohl in metallischen als auch innichtmetallischen Modifikationen vor.

10.7.1 Sauersto−

Elementarer Sauersto−Vorkommen: Elementar als Bestandteil der Luft (vgl.Tabelle 5-2), gebunden hauptsächlich in Form vonOxiden und Silicaten als Bestandteil der meisten Ge-steine. Der Massenanteil des Sauerstoffs am Aufbauder Erdrinde beträgt rund 49%.

Gewinnung: Durch fraktionierte Destillation von flüs-siger Luft.

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C74 C Chemie

Tabelle 10-6. Eigenschaften der Chalkogene

Sauerstoff Schwefel Selen Tellur PoloniumElektronenkonfiguration [He]2s22p4 [Ne]3s23p4 [Ar]3d104s24p4 [Kr]4d105s25p4 [Xe]4f145d106s26p4

Schmelzpunkt ◦C −218,79 119,6 220,5 449,5 254Siedepunkt ◦C −182,95 444,6 685 988 962Ionisierungsenergie eV 13,62 10,36 9,75 9,01 8,42(1. Stufe)Atomradius pm 60 104 116 143 167Ionenradius pm 138 184 198 221(Ladungszahl 2−)Elektronegativität 3,4 2,6 2,55 2,1 2,0

Modifikationen des Sauerstoffs:

– Molekularer Sauerstoff O2 ist ein farbloses, ge-ruchloses, paramagnetisches Gas, vgl. Tabelle 5-2.Sauerstoff ist Oxidationsmittel bei der Verbren-nung fossiler Brennstoffe (vgl. 9.3.1) und bei derVerbrennung von Nahrungsmitteln (Kohlenhydra-te, Fette, Eiweißstoffe) in Organismen. Verbren-nungsreaktionen laufen in reinem Sauerstoff we-sentlich heftiger ab als in Luft. Mit flüssigem Sau-erstoff reagieren viele Substanzen explosionsartig.

– Ozon O3 ist ein bei Raumtemperatur deutlich blau-es, sehr giftiges, charakteristisch riechendes, dia-magnetisches Gas; Siedepunkt −110,5 ◦C, MAK-Wert: 0,1 ppm. Ozon ist energiereicher als mole-kularer Sauerstoff (ΔBH0

m (O3) = 142,7 kJ/mol,vgl. 6.2.5). Es hat eine große Neigung – unterbestimmten Bedingungen explosionsartig – inmolekularen Sauerstoff zu zerfallen. Ozon ist einsehr starkes Oxidationsmittel. Das O3-Molekül istgewinkelt (116,8°). Die äußeren Atome sind vomzentralen 127,8 pm entfernt.In der Erdatmosphäre wird Ozon fotochemischaus molekularem Sauerstoff gebildet. Seine größteTeilchendichte hat es in 20 bis 25 km Höhe.Da Ozon einen großen Anteil der kurzwelligenStrahlung des Sonnenlichtes absorbiert, ist dieOzonschicht von großer Bedeutung für das Lebenauf der Erde. Besonders Fluorchlorkohlenwasser-stoffe (siehe 11.4.1 und Tabelle 5-2) verringerndie Ozonkonzentration in den oberen Schichtender Atmosphäre. Die dadurch bedingte Erhöhungder UV-Strahlung auf der Erdoberfläche kann u. a.zu einem Ansteigen der Häufigkeit von bösartigenHauterkrankungen führen.

Sauersto−verbindungen– Wasser H2O, vgl. 5.2.3, schweres Wasser D2O,

vgl. 10.1, Eigenschaften von D2O: Schmelzpunkt3,82 ◦C, Siedepunkt 101,42 ◦C.

– Wasserstoffperoxid H2O2 ist eine in reinem Zu-stand praktisch farblose, sirupartige Flüssigkeit(Siedepunkt 150,2 ◦C, MAK-Wert: 1 ppm). Cha-rakteristisch für diese Verbindung ist die folgendeexotherme Zerfallsreaktion:

2 H2O2 → 2 H2O + O2 .

In hochreinem Wasserstoffperoxid ist die Zerfalls-geschwindigkeit bei Raumtemperatur sehr klein. InGegenwart von Katalysatoren (vgl. 7.9), wie z. B.Braunstein MnO2, Mennige Pb3O4, feinverteiltemSilber oder Platin, kann die Zerfallsreaktion explo-sionsartig ablaufen. Wasserstoffperoxid ist ein star-kes Oxidationsmittel. Mischungen von organischenVerbindungen mit konzentriertem Wasserstoffper-oxid können explosiv reagieren.Verwendung: Bleichmittelzusatz in Waschmitteln,Desinfektionsmittel.

10.7.2 Schwefel

Elementarer SchwefelVorkommen: Frei (elementar) z. B. in Sizilien und Ka-lifornien, gebunden vorwiegend in Form von Sulfi-den (z. B. Schwefelkies oder Pyrit FeS2, ZinkblendeZnS, Bleiglanz PbS) oder Sulfaten (z. B. Gips CaSO4 ·2 H2O).

Eigenschaften: Die bei Raumtemperatur stabi-le Schwefelmodifikation ist der rhombische α-Schwefel. Dieser wandelt sich bei 95,6 ◦C reversibel

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10 Die Elementgruppen C75

in den monoklinen β-Schwefel um, der bei 119,6 ◦Cschmilzt. Beide Schwefelmodifikationen sind ausringförmigen S8-Molekülen aufgebaut.

SchwefelverbindungenSchwefelwasserstoff H2S ist ein farbloses, wasserlös-liches, sehr giftiges Gas, das nach faulen Eiern riecht,MAK-Wert: 10 ppm. Wässrige Lösungen von H2Sreagieren sauer, vgl. Tabelle 8-2. Schwermetallsulfi-de sind in der Regel schwerlöslich.

Oxide des Schwefels– Schwefeldioxid SO2, MAK-Wert: 2 ppm, siehe

9.3.1 und Tabelle 8-2.– Schwefeltrioxid SO3, siehe Tabelle 8-2.

Sauersto−säuren des Schwefels– Schweflige Säure H2SO3, siehe Tabelle 8-2.– Schwefelsäure H2SO4 (siehe Tabelle 8-2) ist eine

ölige, sehr hygroskopische Flüssigkeit (Siedepunkt330 ◦C). Sie wird daher als Trockenmittel verwen-det. Auf viele organische Verbindungen, damitauch auf Holz, Papier und menschliche Haut,wirkt konzentrierte Schwefelsäure verkohlend,indem sie diesen Substanzen Wasser entzieht.Schwefelsäure ist eine starke zweibasige Säure.Die elektrolytische Dissoziation erfolgt in zweiStufen:

H2SO4 � H+ + HSO−4 � 2 H+ + SO2−

4 .

10.8 VII. Hauptgruppe: Halogene

Zur VII. Hauptgruppe gehören die Elemente Fluor F,Chlor Cl, Brom Br, Iod I und das radioaktive Astat At,vgl. Tabelle 10-7.

Tabelle 10-7. Eigenschaften der Halogene

Fluor Chlor Brom Iod Astat

Elektronenkonfiguration [He]2s22p5 [Ne]3s23p5 [Ar]3d104s24p5 [Kr]4d105s25p5 [Xe]4f45d106s26p5

Schmelzpunkt ◦C −219,62 −101,5 −7,2 113,7 302Siedepunkt ◦C −188,12 −34,04 58,8 184,4 337 (gesch.)Ionisierungsenergie (1. Stufe) eV 17,42 12,97 11,81 11,81Atomradius pm 71 99 114 133Ionenradius (Ladungszahl 1−) pm 133 181 196 220Elektronegativität 4,0 3,2 3,0 2,7 2,2

Oxidationszahl: Sämtliche Halogene bilden negativeinwertige Ionen (Oxidationszahl –I). Darüber hin-aus sind viele Verbindungen bekannt, in denen Ha-logene die Oxidationszahlen I bis VII haben. Fluor istdas elektronegativste Element. In seinen Verbindun-gen kommt es stets mit der Oxidationszahl –I vor.

10.8.1 Fluor

Elementares FluorFluor ist ein in dicker Schicht grünlichgelbes, sehrgiftiges Gas mit starkem, charakteristischem Geruch,MAK-Wert: 0,1 ppm. Fluor ist das reaktionsfähigsteElement und das stärkste Oxidationsmittel. Die Ver-bindungen des Fluors mit anderen Elementen heißenFluoride.

FluorverbindungenFluorwasserstoff HF riecht stechend und ist sehr gif-tig, MAK-Wert: 3 ppm, vgl. Tabelle 8-2. Eine be-merkenswerte Eigenschaft von Fluorwasserstoff istdie Fähigkeit, Quarz- und Silicatgläser (vgl. 5.2.4und D 4.4) anzugreifen. Dabei wird neben Wassergasförmiges Siliciumtetrafluorid SiF4 gebildet:

SiO2 + 4 HF → SiF4 + 2 H2O .

10.8.2 Chlor

Elementares ChlorEigenschaften des Chlors: siehe Tabellen 5-2

und 10-7. Chlor gehört nach Fluor zu den reaktions-fähigsten Elementen. Mit Wasserstoff reagiert Chlorunter Bildung von Chlorwasserstoff (sog. Chlor-knallgasreaktion). Die explosionsartig verlaufendeReaktion kann durch Bestrahlung mit blauem oderkurzwelligerem Licht gestartet werden. Dabei werden

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C76 C Chemie

Chlormoleküle in Atome gespalten. Die Umsetzungverläuft nach einem Kettenmechanismus (vgl. 7.7).Viele Elemente (z. B. Natrium, Arsen, Antimon)reagieren direkt unter Feuererscheinungen mit Chlor.Die Umsetzung mit Wasser führt zu einem Gleichge-wicht. Es entstehen Chlorwasserstoff HCl und hypo-chlorige Säure HClO (siehe unten):

Cl2 + H2O� HCl + HClO .

ChlorverbindungenChlorwasserstoff HCl, siehe Tabellen 5-2 und 8-2.Sauerstoffsäuren des Chlors, vgl. Tabelle 8-2.

– Hypochlorige Säure HClO, Oxidationszahl desChlors I. Wässrige Lösungen von Hypochloriten(Salze der HClO) sind starke Oxidationsmittel undwerden in Bleichlösungen und Desinfektionsmit-teln verwendet.

– Chlorige Säure HClO2, Oxidationszahl des ChlorsIII.

– Chlorsäure HClO3, Oxidationszahl des Chlors V.– Perchlorsäure HClO4, Oxidationszahl des Chlors

VII. Die reine Säure ist eine farblose Flüssigkeit,die sich explosiv zersetzen kann. Perchlorsäure ge-hört zu den stärksten Säuren.

10.8.3 Brom und Iod

Brom ist neben Quecksilber das einzige bei Raumtem-peratur flüssige Element (Siedepunkt 58,8 ◦C).Iod ist bei Raumtemperatur fest. Es bildetblauschwarze, metallisch glänzende Kristalle.

10.9 VIII. Hauptgruppe: EdelgaseZur VIII. Hauptgruppe gehören die Elemente HeliumHe, Neon Ne, Argon Ar, Krypton Kr, Xenon Xe und

Tabelle 10-8. Eigenschaften der Edelgase. (Vgl. auch Tabelle 5-2)

Helium Neon Argon Krypton Xenon Radon

Elektronen ls2 1s22s22p6 [Ne]3s23p6 [Ar]3d104s24p6 [Kr]4d105s25p6 [Xe]4f145d106s26p6

konfigurationSchmelzpunkt a ◦C < −272,2c −248,59 −189,3442 tpd −157,38 tp −111,79 tp −71Ionisierungsenergie eV 24,59 21,56 15,76 14,0 12,13 10,75(1. Stufe)Atomradius b pm 140 150 180 190 210

a tp: Tripelpunktstemperatur b Van-der-Waals-Radius c bei 26,3 bar d Fixpunkt der IST-90 .

das radioaktive Radon Rn. Die Stabilität der Edelgasegegenüber der Aufnahme und der Abgabe von Elek-tronen folgt aus den hohen Werten der Elektronenaf-finität und der Ionisierungsenergie, vgl. Tabelle 10-8.Vorkommen: Die Edelgase He, Ne, Ar, Kr und Xesind Bestandteile der Luft. He und Rn kommen auchals Produkte radioaktiver Zerfallsvorgänge in einigenMineralien vor.Gewinnung: Helium wird hauptsächlich aus ameri-kanischen Erdgasen gewonnen. Die Gewinnung vonNeon, Argon, Krypton und Xenon erfolgt entwederdurch fraktionierte Destillation verflüssigter Luft oderdurch selektive Adsorption an Aktivkohle.Eigenschaften: Die Elemente der VIII. Hauptgrup-pe, vgl. Tabelle 5-2, sind farb- und geruchlose Ga-se. Flüssiges Helium existiert unterhalb 2,2 K im su-praflüssigen Zustand mit extrem kleiner Viskositätund sehr hoher Wärmeleitfähigkeit.

EdelgasverbindungenVon den Edelgasen Krypton und Xenon sind zahlrei-che Verbindungen mit Sauerstoff und Fluor bekannt.So bildet Xenon die Fluoride Xenondifluorid XeF2

(Schmelzpunkt 129 ◦C), Xenontetrafluorid XeF4

(Schmelzpunkt 117 ◦C) und Xenonhexafluorid XeF6

(Schmelzpunkt 49,5 ◦C). Xenondioxid XeO2 undXenontrioxid XeO3 sind explosiv.

10.10 Scandiumgruppe (III. Nebengruppe)Zur Scandiumgruppe gehören Scandium Sc, YttriumY, Lanthan La und Actinium Ac, vgl. Tabelle 10-9.Die auf das Lanthan bzw. das Actinium folgendenLanthanoide und Actinoide sind in den Abschnit-ten 10.18 bzw. 10.19 behandelt. Actinium kommt alsradioaktives Zerfallsprodukt des Urans in geringenMengen in Uranerzen vor. Die Elemente sind Metalle

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10 Die Elementgruppen C77

Tabelle 10-9. Eigenschaften der Elemente der Scandiumgruppe

Scandium Yttrium Lanthan ActiniumElektronenkonfiguration [Ar]3d4s2 [Kr]4d5s2 [Xe]5d6s2 [Rn]6d7s2

Atomradius pm 161 178 187 188Schmelzpunkt ◦C 1541 1522 918 1051Siedepunkt ◦C 2836 3345 3464 3198Dichte (25 ◦C) g/cm3 2,989 4,469 6,145 10,07

mit hoher elektrischer Leitfähigkeit und großemReaktionsvermögen. Dies zeigt sich in den Stan-dardelektrodenpotenzialen (vgl. 9.5), die zwischen− 2,077 V (Sc) und −2,6 V (Ac) liegen (bezogen aufdie Elektrodenreaktion Me � Me3+ + 3 e−). In denmeisten Verbindungen kommen die Elemente in derOxidationszahl III vor. Die basischen Eigenschaftender Hydroxide nehmen mit der Ordnungszahl zu. Sobesitzt Sc(OH)3 nur schwach basische Eigenschaften,während La(OH)3 als starke Base reagiert. DieDarstellung der Metalle erfolgt durch Schmelzfluss-elektrolyse (vgl. 9.8.1) der Chloride oder durchReduktion der Oxide mit Alkalimetallen.

10.11 Titangruppe (IV. Nebengruppe)

Zur Titangruppe gehören Titan Ti, Zirconium Zr undHafnium Hf, vgl. Tabelle 10-10. Die Metalle sindsilberweiß und duktil. Sie haben hohe Schmelz- undSiedepunkte. Aufgrund ihrer negativen Standard-elektrodenpotenziale, die zwischen −0,88 V (Ti) und−1,57 V (Hf) liegen (bezogen auf die Elektrodenre-aktion Me + H2O � MeO2+ + 2H+ + 4e−), sind siegegenüber den meisten Oxidationsmitteln ziemlichreaktionsfähig (vgl. 9.5 und 10.11.1).Die Oxidationszahlen des Titans in seinen Verbindun-gen sind II, III und IV, die des Zirconiums III undIV. Die beständigste und wichtigste Oxidationszahl istbei beiden IV. Hafnium kommt in seinen Verbindun-gen nur in der Oxidationszahl IV vor.

Tabelle 10-10. Eigenschaften der Elemente der Titangruppe

Titan Zirconium HafniumElektronenkonfiguration [Ar]3d24s2 [Kr]4d25s2 [Xe]4f145d26s2

Atomradius pm 145 159 156Schmelzpunkt ◦C 1668 1855 2233Siedepunkt ◦C 3287 4409 4603Dichte (20 ◦C) g/cm3 4,54 6,506 13,31

10.11.1 Titan

Vorkommen: Titandioxid TiO2 (in der Natur in denModifikationen Rutil, Anatas und Brookit), IlmenitFeTiO3, Perowskit CaTiO3.

Eigenschaften, Darstellung, Verwendung: Titan istein silberweißes Metall mit relativ kleiner Dichte(4,54 g/cm3). Reines Titan wird durch eine kompakteOxiddeckschicht vor dem Angriff von Luftsauer-stoff, Meerwasser und verdünnten Mineralsäurengeschützt. Bei höheren Temperaturen ist es jedochmit Sauerstoff und Stickstoff recht reaktionsfähig.Darstellung und Verwendung siehe D 3.4.3.

10.11.2 Zirconium

Eigenschaften, Verwendung: Zirconium ist ein ver-hältnismäßig hartes, korrosionsbeständiges Metall,das rostfreiem Stahl ähnelt. Es ist bei Raumtempe-ratur gegen Säuren ziemlich resistent. Zirconiumund Zirconiumlegierungen mit mehr als 90% Zr(Zircaloy) haben als Werkstoffe in der KerntechnikBedeutung erlangt.

10.12 Vanadiumgruppe (V. Nebengruppe)

Zur Vanadiumgruppe gehören die Metalle Vanadium(früher: Vanadin) V, Niob Nb und Tantal Ta, vgl. Ta-belle 10-11. Vanadium kommt in seinen Verbindun-gen in den Oxidationszahlen II bis V vor. Davon sind

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C78 C Chemie

Tabelle 10-11. Eigenschaften der Elemente der Vanadiumgruppe

Vanadium Niob TantalElektronenkonfiguration [Ar]3d34s2 [Kr]4d45s [Xe]4f145d36s2

Atomradius pm 131 143 143Schmelzpunkt ◦C 1910 2477 3017Siedepunkt ◦C 3407 4744 5458Dichte g/cm3 6,092 8,57 (20 ◦C) 16,65

IV und V gewöhnlich am stabilsten. Niob und Tan-tal kommen hauptsächlich in der Oxidationsstufe Vvor, sie bilden praktisch keine Kationen, sondern exis-tieren nur in anionischen Verbindungen. Die Metallesind wichtige Legierungsbestandteile von Stählen.

10.12.1 Vanadium

Eigenschaften, Darstellung, Verwendung: Vanadiumist ein stahlgraues, ziemlich hartes Metall, dasdurch eine dünne Oxidschicht vor dem Angriff vonLuftsauerstoff und Wasser geschützt wird. Das reineMetall wird durch Reduktion von Vanadium(V)-oxidV2O5 mit Aluminium dargestellt. Vanadium wirdhauptsächlich als Legierungsbestandteil von Stählenverwendet (vgl. D 3.3.3). Als Ferrovanadin werdenLegierungen aus Vanadium und Eisen mit einem Va-nadiumanteil von mindestens 50 Gew.-% V bezeich-net. Ihre Darstellung erfolgt durch Reduktion einerMischung von Vanadium- und Eisenoxid mit Kohle.

Vanadiumverbindungen: In KaliummonovanadatK3VO4, Kaliumdivanadat K4V2O7 und Kaliummeta-vanadat KVO3 hat Vanadium die Oxidationszahl V.Kaliummetavanadat liegt in wässriger Lösung inForm tetramerer [V4O12]4−-Ionen vor. Im festenZustand besteht es aus hochpolymeren VO−

3 -Ketten.In beiden Fällen sind die Polyvanadationen aus überEcken verknüpften VO4-Tetraedern aufgebaut. Bei

Tabelle 10-12. Eigenschaften der Elemente der Chromgruppe

Chrom Molybdän WolframElektronenkonfiguration [Ar]3d54s [Kr]4d55s [Xe]4f145d46s2

Atomradius pm 125 136 137Schmelzpunkt ◦C 1907 2623 3422Siedepunkt ◦C 2671 4639 5555Dichte (20 ◦C) g/cm3 7,19 10,22 19,3

Zugabe von Säuren zu wässrigen Monovanadatlö-sungen erfolgt über die Bildung des Ions HVO2−

4Aggregation unter Wasserabspaltung (Kondensation).Dabei entstehen Salze von Polyvanadinsäuren (unteranderem werden auch Metavanadate gebildet). DieseSäuren gehören zu den Isopolysäuren und sinddadurch charakterisiert, dass ihre Anionen außer denentsprechenden Schwermetallionen nur Sauerstoffund Wasserstoff enthalten.

10.13 Chromgruppe (VI. Nebengruppe)

Zur Chromgruppe gehören die hochschmelzen-den Schwermetalle Chrom Cr, Molybdän Mo undWolfram W, vgl. Tabelle 10-12.

10.13.1 Chrom

Vorkommen: Chromeisenstein (Chromit) FeCr2O4,Rotbleierz (Krokoit) PbCrO4.

Eigenschaften, Darstellung: Chrom ist ein silberglän-zendes, in reinem Zustand zähes, dehn- und schmied-bares Metall. Metallisches Chrom wird durch einedünne, zusammenhängende Oxidschicht vor dem An-griff von Luftsauerstoff und Wasser geschützt. Es be-hält daher trotz seines negativen Standardelektroden-potenzials (−0,74 V bezogen auf die Elektrodenreak-tion Cr � Cr3+ + 3 e−) auch an feuchter Luft sei-nen metallischen Glanz. Darstellung des metallischen

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10 Die Elementgruppen C79

Chroms aus Chromeisenstein: Nach der Abtrennungdes Eisens wird Chrom(III)-oxid mit Aluminium zumetallischem Chrom reduziert:

Cr2O3 + 2 Al� Al2O3 + 2 Cr .

Verwendung: Chrom ist ein wichtiger Legierungsbe-standteil von nichtrostenden Stählen. Es dient als Kor-rosionsschutz unedler Metalle, indem diese mit einerdünnen Chromschicht überzogen werden. Das Ver-chromen geschieht auf elektrochemischem Wege aufeiner dichten Zwischenschicht aus Nickel, Cadmiumoder Kupfer.

Chromverbindungen: Die wichtigsten Oxidations-zahlen des Chroms sind III und VI. Beispiele sindChrom(III)-chlorid CrCl3 und KaliumdichromatK2Cr2O7. Zwischen beiden Oxidationsstufen bestehtfolgendes Redoxgleichgewicht:

2 Cr3+ + 7 H2O� Cr2O2−7 + 14 H+ + 6 e− .

Das CrVI2 O2−

7 -Ion heißt Dichromation. Diese Redox-reaktion ist Grundlage für ein wichtiges maßanaly-tisches Verfahren (vgl. 4.7.2 und 9.2). Mit Kalium-dichromatlösungen bekannter Konzentration kannbeispielsweise der Gehalt von Fe2+-Ionen quantitativbestimmt werden. Zwischen Dichromationen undChromationen CrO2−

4 besteht in wässriger Lösungfolgende von der Wasserstoffionenkonzentration ab-hängige Gleichgewichtsreaktion:

2 CrO2−4 + 2 H+ � Cr2O2−

7 + H2O .

10.13.2 Molybdän

Vorkommen: Molybdänglanz (Molybdänit) MoS2,Gelbbleierz PbMoO4.

Eigenschaften, Verwendung: Molybdän ist ein zinn-weißes, hartes und sprödes Metall. Verwendung alsLegierungsbestandteil in Stählen (Molybdänstählesind besonders hart und zäh).

Molybdänverbindungen: Molybdän tritt in seinenVerbindungen hauptsächlich mit der OxidationszahlIV oder VI auf. Beispiel für Molybdän(IV)-Verbindungen: Molybdän(IV)-sulfid MoS2, das ineinem Schichtgitter kristallisiert und sich durchleichte Spaltbarkeit und hohe Schmierfähigkeit aus-zeichnet. In der Oxidationsstufe VI bildet Molybdänwie Vanadium Isopolysäuren (vgl. 10.12.1).

10.13.3 Wolfram

Vorkommen: Wolfram (FeII, Mn)WO4, ScheelitCaWO4, Wolframocker WO3 · xH2O.

Eigenschaften, Darstellung: Wolfram ist ein weiß-glänzendes Metall von hoher Festigkeit. Es hatmit 3422 ◦C den höchsten Schmelzpunkt allerMetalle. Die Darstellung erfolgt durch Reduktionvon Wolfram(VI)-oxid WO3 mit Wasserstoff. Dasdabei entstehende Pulver wird zu größeren Stückengesintert.

Verwendung: Legierungsbestandteil von Wolfram-stählen (z. B. Schnellarbeitsstählen), als Glühfäden inLampen.

Wolframverbindungen: In seinen Verbindungentritt Wolfram hauptsächlich mit der OxidationszahlVI auf. Beim Ansäuern wässriger Natriumwolf-ramatlösungen (Natriumwolframat Na2WO4) trittAggregation zu Isopolysäuren ein (vgl. Vanadiumund Molybdän). Beispiel: NatriummetawolframatNa6[H2W12O40] ist das Natriumsalz der Metawolf-ramsäure. Wässrige Lösungen von Natriummeta-wolframat dienen als Schwereflüssigkeit (Dichte einergesättigten Lösung: 3,1 g/cm3) .

10.14 Mangangruppe (VII. Nebengruppe)

Zur Mangangruppe gehören Mangan Mn, Techneti-um Tc und Rhenium Re, vgl. Tabelle 10-13. Tech-netium kommt in der Natur nicht vor. Es entstehtz. B. beim Beschuss von Molybdän mit Deuteronend (= 2H+) und bei der Uranspaltung.

10.14.1 Mangan

Vorkommen: Braunstein (Pyrolusit) MnO2, BraunitMn2O3, Hausmannit Mn3O4, Manganspat MnCO3

und als Bestandteil der in der Tiefsee vorkommendenManganknollen.

Eigenschaften, Verwendung: Mangan ist ein sprödes,hartes silbergraues Metall. Es erhöht als Legierungs-bestandteil des Stahls dessen Härte und Zähigkeit.

Manganverbindungen: In seinen Verbindungenkommt Mangan in den Oxidationszahlen I, II, III,IV, VI und VII vor. Kaliumpermanganat KMnVIIO4

ist ein wichtiges Reagenz zur maßanalytischenBestimmung (vgl. 4.7.2) von Reduktionsmitteln,

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C80 C Chemie

Tabelle 10-13. Eigenschaften der Elemente der Mangangruppe

Mangan Technetium RheniumElektronenkonfiguration [Ar]3d54s2 [Kr]4d65s [Xe]4f145d56s2

Atomradius pm 137 135 137Schmelzpunkt ◦C 1246 2157 3186Siedepunkt ◦C 2061 4265 5596Dichte g/cm3 7,21–7,44a 11,5 (berechnet) 21,02 (20 ◦C)

a abhängig von der Modifikation .

wie z. B. Fe2+-Ionen und Oxalationen C2O2−4 sowie

von Wasserstoffperoxid H2O2 und Nitritionen NO−2 .

Das Permanganation MnO−4 wird dabei je nach dem

pH-Wert der Lösung zu Mn2+ bzw. MangandioxidMnIVO2 reduziert (vgl. 9.2):

MnO−4 + 8 H+ + 5 e− � Mn2+ + 4 H2O

(Reaktion in saurer Lösung) bzw.

MnO−4 + 4 H+ + 3 e− � MnO2 (s) + 2 H2O

(Reaktion in neutraler oder alkalischer Lösung).

10.15 Eisenmetalle und Elementgruppeder Platinmetalle (VIII. Nebengruppe)

Zur Elementgruppe der Eisenmetalle gehören die inder 4. Periode der Nebengruppe VIIIA angeordnetenElemente Eisen Fe, Cobalt Co und Nickel Ni, vgl.Tabelle 10-14. Es sind Metalle mit hohem Schmelz-punkt und hoher Dichte. In ihren Verbindungen tretensie hauptsächlich mit den Oxidationszahlen II und IIIauf. Nickel kommt in seinen Verbindungen überwie-gend in der Oxidationsstufe II vor.Zur Elementgruppe der Platinmetalle gehören Ruthe-nium Ru, Rhodium Rh, Palladium Pd sowie OsmiumOs, Iridium Ir und Platin Pt, vgl. Tabelle 10-14. Die-se Elemente sind reaktionsträge. Sie zählen, da ih-re Standardelektrodenpotenziale positiv sind, zu denEdelmetallen.

10.15.1 Eisen

Vorkommen: Magneteisenstein (Magnetit) Fe3O4,Roteisenstein (Hämatit) Fe2O3, BrauneisensteinFe2O3 · xH2O, Spateisenstein (Siderit), FeCO3 undEisenkies (Pyrit) FeS2.

Eigenschaften, Verwendung, Darstellung: Reines Ei-sen ist ein silberweißes, verhältnismäßig weiches Me-tall. Es kommt in drei Modifikationen vor: α-Eisen(kubisch raumzentriert), γ-Eisen (kubisch dichtesteKugelpackung) und δ-Eisen (kubisch raumzentriert).Die Umwandlungstemperatur zwischen α- und γ-Febeträgt 906 ◦C, die zwischen γ- und δ-Fe 1401 ◦C.α-Eisen ist, wie auch Cobalt und Nickel, ferromagne-tisch.Bei der Curie-Temperatur von 768 ◦C wird esparamagnetisch. Das Standardelektrodenpotenzial(Fe/Fe2+) ist −0,440 V. Daher ist reines Eisen rechtreaktionsfähig. Von feuchter CO2-haltiger Luft wirdes angegriffen. Es bilden sich Eisen(III)-oxid-hydrate(Rost). Pulverförmiges, gittergestörtes Eisen entzün-det sich von selbst an der Luft (pyrophores Eisen).Weiteres siehe D 3.3.Zur Eisengewinnung werden die oxidischen Erze fastausschließlich in Hochöfen reduziert, vgl. 9.3.3.Eisenverbindungen: Eisen tritt in seinen Verbindun-gen hauptsächlich in den Oxidationszahlen II und IIIauf. Zwischen beiden Oxidationsstufen existiert fol-gendes Redoxgleichgewicht:

Fe2+ � Fe3+ + e− .

Beispiele für Eisen(II)-Verbindungen: EisensulfatFeSO4, Beispiele für Eisen(III)-Verbindungen: Fe3+-Ionen in Wasser: Beim Auflösen von Fe(III)-Salzenin Wasser bilden sich [Fe(H2O)6]3+-Ionen. BeiBasenzusatz entstehen unter Braunfärbung kolloideKondensate der Zusammensetzung (FeOOH)x ·yH2O.

10.15.2 Cobalt

Vorkommen: Speiskobalt (Skutterudit) (Co,Ni)As3,Kobaltglanz (Cobaltit) CoAsS, Kobaltkies (Linneit)Co3S4.

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10 Die Elementgruppen C81

Tabelle 10-14. Eigenschaften der Elemente der VIII. Nebengruppe

Eisen Cobalt NickelElektronenkonfiguration [Ar]3d64s2 [Ar]3d74s2 [Ar]3d84s2

Atomradius pm 124 125 125Schmelzpunkt ◦C 1538 1495 1455Siedepunkt ◦C 2861 2927 2913Dichte (20 ◦C) g/cm3 7,874 8,9 8,902 (25 ◦C)

Ruthenium Rhodium PalladiumElektronenkonfiguration [Kr]4d75s [Kr]4d85s [Kr]4d10

Atomradius pm 133 134 138Schmelzpunkt ◦C 2334 1964 1555Siedepunkt ◦C 4150 3695 2963Dichte (20 ◦C) g/cm3 12,41 12,41 12,02

Osmium Iridium PlatinElektronenkonfiguration [Xe]4f145d66s2 [Xe]4f145d76s2 [Xe]4f145d96sAtomradius pm 134 136 137Schmelzpunkt ◦C 3033 2446 1768Siedepunkt ◦C 5012 4428 3825Dichte g/cm3 22,57 22,42 (17 ◦C) 21,45 (20 ◦C)

Eigenschaften, Verwendung: Cobalt ist ein stahlgrau-es, glänzendes Metall. Von feuchter Luft wird Co-balt nicht angegriffen. Verwendet wird es z. B. als Be-standteil korrosionsbeständiger und hochwarmfesterLegierungen. Ein Sinterwerkstoff aus WolframcarbidWC in einer Cobaltmatrix von ca. 10 Gew.-% Cobaltwird als Widia („wie Diamant“) bezeichnet. Es dientzur Herstellung von Schneidwerkzeugen.

10.15.3 Nickel

Vorkommen: Rotnickelkies (Nickelin) NiAs.

Eigenschaften, Darstellung: Nickel ist ein silber-weißes, zähes Metall, das sich ziehen, walzen undschmieden lässt. Kompaktes Nickel ist gegenüberLuft und Wasser korrosionsbeständig. Weiteressiehe D 3.4.5. Da Nickelmineralien verhältnismä-ßig selten sind, wird es als Nebenprodukt bei derAufbereitung von Kupferkies CuFeS2 gewonnen.Nickelverbindungen: Mit Kohlenmonoxid bildet Ni-ckel bei hohen Temperaturen tetraedrisches Nickelte-tracarbonyl Ni(CO)4 (Oxidationszahl des Nickels 0).Die Bildung und anschließende Zersetzung von Ni-ckeltetracarbonyl dient zur Reindarstellung von Ni-ckel nach dem sog. Mond-Verfahren. Außer Nickelbilden auch andere Metalle der Nebengruppen VA bis

VIIIA Kohlenmonoxidverbindungen, die als Metall-carbonyle bezeichnet werden.

10.16 Kupfergruppe (I. Nebengruppe)

Zur Kupfergruppe, vgl. Tabelle 10-15, gehören Kup-fer Cu, Silber Ag und Gold Au. Sie besitzen positi-ve Standardelektrodenpotenzialeund sind daher Edel-metalle (vgl. 9.5.4). Kupfer, Silber und Gold kris-tallisieren in der kubisch-dichtesten Kugelpackung(vgl. 5.3.2).

10.16.1 Kupfer

Vorkommen: Kupferkies (Chalkopyrit) CuFeS2, Bunt-kupfererz (Bornit) Cu3FeS3, Rotkupfererz (Cuprit)Cu2O, Malachit Cu2(OH)2CO3 und gediegen (ele-mentar).

Eigenschaften, Verwendung: Kupfer ist ein hellrotes,verhältnismäßig weiches, schmied- und dehnbaresMetall. Bei Raumtemperatur besitzt es nach demSilber die zweithöchste elektrische Leitfähigkeit allerMetalle (59,59 · 106 S/m, 20 ◦C).Wichtiger Legierungsbestandteil z. B. in Messing(Cu-Zn-Legierungen), Bronzen (Kupferlegierungenmit mindestens 60% Cu) und Monel (Ni-Cu-

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C82 C Chemie

Tabelle 10-15. Eigenschaften der Elemente der Kupfergruppe

Kupfer Silber GoldElektronenkonfiguration [Ar]3d104s [Kr]4d105s [Xe]4f145d106sAtomradius pm 128 144 144Schmelzpunkt ◦C 1084,62a 961,78a 1064,18a

Siedepunkt ◦C 2562 2162 2856Dichte (20 ◦C) g/cm3 8,96 10,50 19,3

a Fixpunkt der ITS-90 .

Legierungen). Monel zeichnet sich durch großeKorrosionsbeständigkeit, auch gegenüber Chlor undFluor, aus. Weiteres siehe D 3.4.4.Kupferverbindungen: Kupfer tritt in seinen Verbin-dungen hauptsächlich in den Oxidationszahlen I undII auf. Kupfer(I)-Verbindungen können leicht zuKupfer(II)-Verbindungen oxidiert werden:

Cu+ → Cu2+ + e− .

10.16.2 Silber

Vorkommen: Silberglanz (Argenit) Ag2S, HornsilberAgCl, in silberhaltigen Erzen (z. B. Bleiglanz PbS(0,01 bis 1 Gew.-% Ag) und Kupferkies CuFeS2) undgediegen.

Eigenschaften, Verwendung: Silber ist ein weißglän-zendes, weiches, dehnbares Metall. Bei Raumtempe-ratur hat es die höchste elektrische Leitfähigkeit allerMetalle (63,01 · 106 S/m, 20 ◦C). Silber wird als kup-ferhaltige Legierung (zur Erhöhung der Härte) in derSchmuckindustrie, als Münzmetall und zum Versil-bern von Gebrauchsgegenständen verwendet. Insbe-sondere Silberbromid AgBr wird in der Photographieeingesetzt (s. u.).

Silberverbindungen: In seinen Verbindungen trittSilber hauptsächlich mit der Oxidationszahl I auf:Silberchlorid AgCl, Silberbromid AgBr und Silber-iodid AgI. Die genannten Halogenide sind in Wasserschwerlöslich (vgl. 8.8). Durch Licht werden siegemäß folgender Bilanzgleichung zersetzt:

AgX + hν → Ag + 1/2 X2

hν Photon hinreichend hoher Energie; X = Cl, Broder I.

10.16.3 Gold

Vorkommen: Hauptsächlich gediegen.

Eigenschaften, Verwendung: Gold ist ein rötlichgel-bes, weiches Metall. Neben Kupfer, Caesium, Calci-um, Strontium und Barium ist Gold das einzige Me-tall, das das Licht des sichtbaren Spektrums nicht fastvollständig reflektiert und deshalb farbig erscheint.Legiertes Gold wird u. a. zur Schmuckherstellung, alsZahngold und für elektrische Kontakte in der Elektro-nik verwendet. In seinen Verbindungen tritt Gold mitden Oxidationszahlen I, III und V auf. Beispiele fürGoldverbindungen sind: Gold(III)-chlorid AuCl3 undGold(V)-fluorid AuF5.

10.17 Zinkgruppe (II. Nebengruppe)

Zur Zinkgruppe, vgl. Tabelle 10-16, gehören Zink Zn,Cadmium Cd und Quecksilber Hg. Die Standardelek-trodenpotenziale von Zink und Cadmium sind nega-tiv, das des Quecksilbers ist positiv. Quecksilber istalso ein edles Metall. Zink und Cadmium kommenhauptsächlich in der Oxidationszahl II vor. Quecksil-ber tritt in seinen Verbindungen häufig auch in derOxidationsstufe I auf. An der Luft überziehen sichZink und Cadmium mit einer dünnen Deckschicht(Oxid, Hydroxid, Carbonat), die sie vor weiterem An-griff durch Wasser und Sauerstoff schützt.

10.17.1 Zink

Vorkommen: Zinkblende ZnS (kubisch) bzw. Wurt-zit ZnS (hexagonal) (natürliche Modifikationen desZinksulfids ZnS), Zinkspat ZnCO3.

Eigenschaften, Verwendung, Darstellung: Zink ist einbläulichweißes Metall, das bei Raumtemperatur rechtspröde ist. Seinem Standardelektrodenpotenzial ent-sprechend (–0,762 V bezogen auf die Elektrodenre-aktion Zn � Zn2+ + 2 e−) reagiert Zink mit Säurenunter Bildung von Wasserstoff, z. B.:

Zn + 2 HCl� ZnCl2 + H2(g) .

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10 Die Elementgruppen C83

Tabelle 10-16. Eigenschaften der Elemente der Zinkgruppe

Zink Cadmium QuecksilberElektronen- [Ar]3d104s2 [Kr]4d105s2 [Xe]4f145d106s2

konfigurationAtomradius pm 133 149 150Schmelzpunkt ◦C 419,527 a 321,1 -38,83Siedepunkt ◦C 907 767 356,73Dichte (20 ◦C) g/cm3 7,133 (25 ◦C) 8,65 13,546

a Fixpunkt der ITS-90 .

Zink ist Legierungsbestandteil z. B. von Messing (Cu-Zn-Legierung) und dient als dünner Überzug zumKorrosionsschutz von Eisen und Stahl. Über die An-wendung des Zinks in Primärelementen siehe 9.7.Die Darstellung erfolgt entweder durch Reduktionvon Zinkoxid ZnO mit Kohle oder elektrochemischdurch Elektrolyse wässriger Zinksulfatlösungen.

10.17.2 Quecksilber

Vorkommen: Zinnober HgS (Quecksilber(II)-sulfid),gediegen (elementar) in Form kleiner Tröpfchen.

Eigenschaften, Verwendung: Quecksilber ist das ein-zige bei Raumtemperatur flüssige Metall, Schmelz-punkt −38,84 ◦C, Dichte des flüssigen Quecksilbers13,546 g/cm3 (20 ◦C). Der Sättigungsdampfdruckdes flüssigen Hg beträgt bei 25 ◦C 0,25 Pa. Quecksil-berdämpfe sind stark toxisch (MAK-Wert: 0,01 ppm).Quecksilberlegierungen heißen Amalgame. EinigeAmalgame, wie z. B. Silberamalgam, sind unmit-telbar nach der Herstellung weich und knetbarund erhärten nach einiger Zeit. Aufgrund dieserEigenschaft wird Silberamalgam für Zahnfüllungeneingesetzt. Die Verwendung von reinem Quecksilberin Thermometern und Barometern läuft aus.

Quecksilberverbindungen: Hg(I)-Verbindungenenthalten die dimeren Ionen Hg2+

2 , Beispiel: Queck-silber(I)chlorid (Kalomel) Hg2Cl2. Beispiel einerHg(II)-Verbindung: Quecksilber(II)-chlorid (Sub-limat) HgCl2. Im festen Zustand existiert dieseVerbindung in Form von HgCl2-Molekülen. Auch inwässriger Lösung bleiben diese Teilchen weitgehenderhalten. Das haben z. B. Untersuchungen der Ge-frierpunktserniedrigung (vgl. 8.2.2) und Messungendes osmotischen Druckes (vgl. 8.2.3) an wässrigenHgCl2-Lösungen bewiesen. Quecksilber(II)-chlorid

ist also kein typisches Salz, sondern eine Verbindungmit hohem kovalenten Bindungsanteil. HgCl2 hat denTrivialnamen Sublimat, weil es leicht sublimiert.

10.18 Die Lanthanoide

Bei der Elementgruppe der Lanthanoide (früher:Lanhanide) werden die 4f-Niveaus der Elektronen-hülle aufgebaut (vgl. 2.1). Zu dieser Gruppe gehörendie auf das Lanthan (57La) folgenden 14 ElementeCer Ce, Praseodym Pr, Neodym Nd, PromethiumPm, Samarium Sm, Europium Eu, Gadolinium Gd,Terbium Tb, Dysprosium Dy, Holmium Ho, ErbiumEr, Thulium Tm, Ytterbium Yb und Lutetium Lu, vgl.Tabelle 10-17. Heute wird häufig auch das Lanthanselbst zu den Lanthanoiden gerechnet.Der Sammelname Seltenerdmetalle bezeichnet dieLanthanoide zusammen mit Lanthan, Scandium undYttrium.

Lanthanoidenkontraktion: Unter der Lanthanoiden-kontraktion versteht man die monotone Abnahmeder Ionenradien mit steigender Ordnungszahl (vgl.Tabelle 10-17). Die Lanthanoidenkontraktion isteine Folge der wachsenden Kernladungszahl beigleichzeitiger Auffüllung der inneren 4f-Niveaus. Sieist der Grund dafür, dass die auf die Lanthanoide inder 6. Periode folgenden Elemente (Hafnium, Tantal,Wolfram usw.) fast die gleichen Ionenradien auf-weisen wie ihre leichteren Homologen (Zirconium,Niob, Molybdän usw.) in der 5. Periode.

Eigenschaften: Die Lanthanoide sind silberweiße,sehr reaktionsfähige Metalle. Die Standardelektro-denpotenziale liegen zwischen −2,48 V (Cer) und−2,25 V (Lutetium) (bezogen auf die Elektrodenre-aktion Me � Me3+ + 3 e−). Die Metalle reagierenmit Wasser unter Wasserstoffentwicklung. Da sich

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C84 C Chemie

Tabelle 10-17. Eigenschaften der Lanthanoide

Elektronen- Atomradius Radius des Schmelz- Siede- Kristall- Dichte (25 ◦C)konfiguration pm M3+-Ions pm punkt ◦C punkt ◦C struktur g/cm3

Cer [Xe]4f15d16s2 182,5 115 798 3443 kd 6,770Praseodym [Xe]4f36s2 182,8 113 931 3520 hds 6,773Neodym [Xe]4f46s2 182,1 112 1021 3074 hds 7,008Promethium [Xe]4f56s2 181,1 111 1042 3000 hds 7,264Samarium [Xe]4f66s2 180,4 110 1074 1794 rhomb 7,520Europium [Xe]4f76s2 204,2 109 822 1527 krz 5,244Gadolinium [Xe]4f75d6s2 180,1 108 1313 3273 hd 7,901Terbium [Xe]4f96s2 178,3 106 1356 3230 hd 8,230Dysprosium [Xe]4f106s2 177,4 105 1412 2567 hd 8,551Holmium [Xe]4f116s2 176,4 104 1474 2700 hd 8,795Erbium [Xe]4f126s2 175,7 103 1529 2868 hd 9,066Thulium [Xe]4fl36s2 174,6 102 1545 1950 hd 9,321Ytterbium [Xe]4fl46s2 193,9 101 819 1196 kd 6,966Lutetium [Xe]4f145d6s2 173,5 100 1663 3402 hd 9,841

kd kubisch dichteste Kugelpackung, hd hexagonal dichteste Kugelpackung, krz kubisch raumzentriert, rhomb rhombo-edrisch, hds dichteste Kugelpackung mit der Stapelsequenz A B A C . . . (Lanthan-Typ)

die Lanthanoide im Wesentlichen nur in der Elektro-nenkonfiguration des 4f-Niveaus, das nur geringenEinfluss auf die chemischen Eigenschaften hat,unterscheiden, ähneln sich diese Elemente chemischaußerordentlich. Daher bereitete ihre Trennung undReindarstellung lange Zeit erhebliche Schwierigkei-ten. Heute werden die Lanthanoide entweder durchIonenaustausch mit Kationenaustauschern oder durchFlüssig-Flüssig-Extraktionsverfahren getrennt.Die reinen Metalle werden durch Reduktion der Tri-chloride (Ce bis Gd) bzw. der Trifluoride (Tb, Dy, Ho,Er, Tm und Yb) mit Calcium bei 1000 ◦C dargestellt.Promethium wird durch Reduktion von PmF3 mit Li-thium erhalten.In den Verbindungen treten die Lanthanoide haupt-sächlich als Kationen mit der Ladungszahl +3 auf. Cerbildet auch Ce4+-Ionen, Samarium, Europium und Yt-terbium auch Me2+-Ionen.Verwendung: Aufgrund ihres Fluoreszenz- bzw.Lumineszenzverhaltens werden z. B. Terbium, Hol-mium und Europium als Oxidphospore in Bildröhrenverwendet. Eine Legierung, die neben Eisen leichtereLanthanoidmetalle enthält, wird als Zündstein inFeuerzeugen eingesetzt. Darüber hinaus findenLanthanoide u. a. zur Herstellung farbiger Gläser,in Feststoffasern (z. B. Nd-Laser) und als Legie-

rungsbestandteile in hartmagnetischen WerkstoffenVerwendung.

10.19 Die Actinoide

Bei der Elementgruppe der Actinoide (früher: Actini-de) werden die 5f-Niveaus der Elektronenhülle aufge-baut (vgl. 2.1). Die Gruppe umfasst die auf das Actini-um (89Ac) folgenden 14 Elemente Thorium Th, Prot-actinium Pa, Uran U, Neptunium Np, Plutonium Pu,Americium Am, Curium Cm, Berkelium Bk, Califor-nium Cf, Einsteinium Es, Fermium Fm, MendeleviumMd, Nobelium No und Lawrencium Lr, vgl. Tabel-le 10-18. Heute wird häufig auch das Actinium selbstmit zu den Actinoiden gerechnet. Die auf das Uranfolgenden Elemente heißen Transurane.

Eigenschaften: Die Actinoide sind sehr reaktions-fähige Metalle. Die Standardelektrodenpotenzialeliegen zwischen −1,17 V (Thorium) und −2,07 V(Americium) (bezogen auf die ElektrodenreaktionMe � Me3+ + 3e−). Frische Metalloberflächenoxidieren rasch an der Luft. Im feinverteilten Zustandsind die Actinoide pyrophor, d. h. sie entzündensich von selbst an der Luft. Alle Actinoide und ihreVerbindungen sind stark toxisch. In den Verbin-dungen treten die Actinoide mit Oxidationszahlen

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10 Die Elementgruppen C85

Tabelle 10-18. Eigenschaften der Actinoide

Elektronen- Atomradius Schmelzpunkt Siedepunkt Dichtekonfiguration pm ◦C ◦C g/cm3

Thorium [Rn]6d27s2 180 1750 4788 11,72Protactinium [Rn]5f26d7s2 164 1572 15,37Uran [Rn]5f36d7s2 154 1132 4131 18,95Neptunium [Rn]5f57s2 150 640 3903 20,25Plutonium [Rn]5f67s2 152 641 3228 19,84Americium [Rn]5f77s2 173 994 2011 13,67Curium [Rn]5f76d7s2 174 1340 13,51Berkelium [Rn]5f97s2 170 986Californium [Rn]5f107s2 169 900Einsteinium [Rn]5f117s2 (169)Fermium [Rn]5f127s2 (194)Mendelevium [Rn]5f137s2 (194)Nobelium [Rn]5f147s2 (194)Lawrencium [Rn]5f146d7s2 (171)

zwischen II und VII auf. Thorium kommt in seinenVerbindungen praktisch nur mit der OxidationszahlIV vor (z. B. Thoriumnitrat ThIV(NO3)4). Bei Uran-verbindungen werden Oxidationszahlen zwischenIII und VI beobachtet, wobei IV und VI die be-ständigsten sind (z. B. Uranylnitrat UVIO2(NO3)2).Neptunium und Plutonium treten in ihren Verbin-dungen mit Oxidationszahlen zwischen III undVII auf, wobei V (Np) bzw. IV (Pu) die bestän-digsten sind. Bis auf die natürlich vorkommendenActinoide Thorium, Protactinium und Uran (inwinzigen Mengen kommen auch 237Np, 239Np und239Pu in Uranerzen vor) werden die Elemente dieserGruppe künstlich durch Kernreaktionen darge-stellt. Dabei wird vor allem die Bestrahlung vonUran, Plutonium und Americium mit Neutronenangewendet. Bei diesen Verfahren entstehen durchNeutroneneinfang bevorzugt β−-aktive Nuklide.Beim β−-Zerfall erhöht sich die Ordnungszahl umeine Einheit:

AZX

n,y−→ A+1ZX

β−−→ A+1

Z+1Y

X, Y Elemente der Ordnungszahl Z bzw. Z + 1,A Massenzahl.

10.19.1 Thorium

Vorkommen: Monazit (Ce,Th)[(P, Si)O4].

Wichtiges Isotop: 23290Th, Häufigkeit 100%, Halbwerts-

zeit T1/2 = 1,405 · 1010 a, Zerfall: α, γ. 232Th istAusgangsnuklid für die Gewinnung von 233U, das mitthermischen Neutronen spaltbar ist (vgl. B 17.4). DieDarstellung von 233U erfolgt in einem Brutreaktor.Der Zweck eines derartigen Brutreaktors ist die Er-zeugung von spaltbaren Stoffen aus nicht spaltbarenNukliden. Als Brutreaktoren für die Gewinnung von233U können z. B. gasgekühlte Hochtemperaturreak-toren eingesetzt werden. Der Brutvorgang kann mitfolgender Umsatzgleichung beschrieben werden:

232Th(n, γ) 233Th

β−−→ 233Pa

β−−→ 233U .

10.19.2 Uran

Vorkommen: Uranpecherz (Uranpechblende) UO2,Uraninit U3O8, Uranglimmer (z. B.: TorbernitCu(UO2)2(PO4)2 ·8 H2O), im Meerwasser mit 3,2 mgU pro Tonne.

Wichtige Isotope: 23892U relative Häufigkeit 99,276

Gew.-%, T1/2 = 4,468 · 109 a, Zerfall: α, γ; 235U, re-lative Häufigkeit 0,7205 Gew.-%, T1/2 = 7,038 ·108 a,Zerfall: α, γ; 233U T1/2 = 1,585 · 105 a, Zerfall: α, γ(Gewinnung von 233U siehe 10.19.1). Die Trennungder beiden natürlich vorkommenden Isotope 235Uund 238U kann durch fraktionierte Diffusion vongasförmigem Uranhexafluorid UF6 erfolgen. Weitere

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C86 C Chemie

Verfahren zur Isotopentrennung sind z. B. Ultrazen-trifugation, Thermodiffusion und optische Verfahren.Die Isotope 235U und 233U sind mit thermischen Neu-tronen spaltbar und dienen daher als Kernbrennstofffür Kernreaktoren. Anfangs wurde 235U auch zurHerstellung der Atombomben verwendet. 238

92U istAusgangsmaterial für die Gewinnung von spaltbaremPlutonium 239

94Pu in Brutreaktoren:

238U(n, γ) 239U

β−−→ 239Np

β−−→ 239Pu .

Die Trennung von Uran, Plutonium und Spaltpro-dukten erfolgt mit einem Wiederaufarbeitungsverfah-ren. Ein Beispiel ist das Purex-Verfahren (Plutoni-um and Uranium Recovery by Extraction). Bei die-sem Extraktionsverfahren werden die Kernbrennstof-fe in wässriger Salpetersäure gelöst und anschließendUran und Plutonium extrahiert. Als Extraktionsmitteldient ein Gemisch aus Tri-n-butylphosphat mit Dode-can oder mit Kerosin.

10.19.3 Plutonium

Wichtiges Isotop: 23994Pu, α-Strahler, Halbwertszeit

T1/2 = 2,411 · 104 a, wird bei der Bestrahlung von23892U mit Neutronen gebildet (siehe 10.19.2). Wie 233U

und 235U ist auch 239Pu durch thermische Neutronenspaltbar. Es ist daher als Brennstoff für Kernreaktorenund als Spaltmaterial für Kernwaffen geeignet.

11 Organische Verbindungen

11.1 Organische Chemie: Überblick

Als organische Chemie wird die Chemie der Kohlen-stoffverbindungen zusammengefasst. Jedoch werdendie verschiedenen Modifikationen des Kohlenstoffsund die Oxide des Kohlenstoffs, die Carbonate, Car-bide und die Metallcyanide, zur anorganischen Che-mie gerechnet. Die meisten organischen Verbindun-gen enthalten neben Kohlenstoff nur verhältnismäßigwenige andere Elemente, vor allem Wasserstoff, Sau-erstoff, Stickstoff und Halogene.Die Besonderheit des Kohlenstoffs besteht darin,dass er in fast unbegrenztem Maße Bindungenmit sich selbst eingehen und auf diese Weise

ketten- und ringförmige Strukturen ausbilden kann.Überschreitet die molare Masse einen gewissen,eigenschaftsabhängigen Wert, spricht man vonMakromolekülen (s. 12).Nach der Art des Aufbaus der Kohlenstoffgerüstewird zwischen folgenden Verbindungsklassen unter-schieden:

– Aliphatische Verbindungen enthalten unverzweigteoder verzweigte Kohlenstoffketten.

– Alicydische Verbindungen sind durch unterschied-lich große Kohlenstoffringe charakterisiert. In derBindungsart ähneln sie den aliphatischen Verbin-dungen.

– Aromatische Verbindungen sind zusätzlich zueinem ebenen, ringförmigen Aufbau durch be-sondere Bindungsverhältnisse charakterisiert(siehe 11.3.3).

– Heterocyclische Verbindungen sind ebenfalls ring-förmig aufgebaut. Der Ring enthält jedoch nebenKohlenstoff auch andere Atome (sog. Heteroato-me), vgl. Tabelle 11-7.

11.2 Isomerie bei organischen Molekülen

Chemische Verbindungen nennt man isomer, wennsie bei gleicher quantitativer Zusammensetzung – alsobei gleicher Summenformel – strukturell verschiedenaufgebaut sind. Im Folgenden wird zwischen Struk-tur- und Stereoisomerie unterschieden.Isomere Stoffe unterscheiden sich in physikalischenund chemischen Eigenschaften, z. B. durch dieSchmelz- und Siedepunkte, die Löslichkeit, die Kris-tallform sowie durch ihr Verhalten im polarisiertenLicht.

11.2.1 Strukturisomerie

Strukturisomere Verbindungen unterscheiden sichvoneinander durch eine unterschiedliche Atom-verknüpfung in den Molekülen. Zum Teil tretenbei diesem Isomerietyp auch unterschiedlicheBindungsarten auf.

Beispiele

– Die strukturisomeren Verbindungen Ethanol(Ethylalkohol) und Dimethylether haben bei-

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11 Organische Verbindungen C87

de dieselbe Summenformel C2H6O, weisenaber verschiedene Strukturen mit unterschied-lichen Atomverknüpfungen auf. Ethanol undDimethylether zeigen neben unterschiedlichenphysikalisch-chemischen Eigenschaften auchverschiedenartiges chemisches Verhalten. Soreagiert Ethanol im Gegensatz zu Dimethylethermit metallischem Natrium unter Bildung vongasförmigem Wasserstoff und Natriumalkoholat.

– Bei dem gesättigten Kohlenwasserstoff Butan(vgl. 11.3.1) sind folgende strukturisomere Verbin-dungen möglich (Summenformel C4H10):

11.2.2 Stereoisomerie

Stereoisomere Verbindungen zeigen unterschiedlicheräumliche Anordnung von Atomen oder Atomgrup-pen im Molekül.Nachfolgend werden zwei Typen der Stereoisome-rie näher beschrieben: die cis-trans-Isomerie und dieSpiegelbildisomerie.

Cis-trans-IsomerieDieser Isomerietyp tritt z. B. bei den Derivaten desEthylens auf, bei denen infolge der Doppelbindungdie freie Drehbarkeit um die C–C-Achse durch einehohe Energiebarriere aufgehoben ist (vgl. 11.3.1). DieAtome oder Atomgruppen können zwei stabile, durchunterschiedliche Atomabstände gekennzeichnete La-gen einnehmen.

Beispiel: 1,2-Dichlorethylen C2H2Cl2:

Der Abstand der Cl-Atome unterscheidet sich beiden beiden Chlorkohlenwasserstoffen. Er beträgt beider cis-Form dieser Verbindung 370 pm und bei dertrans-Form 470 pm.

SpiegelbildisomerieSpiegelbildisomerie tritt bei Molekülen auf, die inzwei zueinander spiegelbildlichen, aber nicht de-ckungsgleichen Formen auftreten. Dieser Isomerietypist bei allen Verbindungen, die ein asymmetrischesKohlenstoffatom enthalten, vorhanden. Ein sol-ches C-Atom ist dadurch gekennzeichnet, dassan ihm vier unterschiedliche Atome oder Atom-gruppen (sog. Liganden) tetraedrisch gebundensind. Das chemische Verhalten der beiden spie-gelbildisomeren Formen, die auch als optischeAntipoden bezeichnet werden, ist bei fast allenReaktionen völlig gleich. Zwei Spiegelbildisomereunterscheiden sich aber z. B. dadurch, dass sie dieEbene des linear polarisierten Lichtes in entge-gengesetzte Richtung drehen. Spiegelbildisomeriewird bei den meisten organischen Naturstoffen, soz. B. bei Kohlenhydraten und Proteinen, beobach-tet.

Beispiel:

Die Buchstaben D und L kennzeichnen die Konfigura-tion am asymmetrischen C-Atom. Die Vorzeichen +und − geben die Drehrichtung der Polarisationsebenedes linear polarisierten Lichtes an.

11.3 Kohlenwassersto−e

Kohlenwasserstoffe sind ausschließlich aus Kohlen-stoff und Wasserstoff aufgebaut. Kohlenwasserstof-

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C88 C Chemie

Tabelle 11-1. Einteilung der Kohlenwasserstoffe (KW)

fe mit kettenförmiger Anordnung der C-Atome hei-ßen aliphatische Kohlenwasserstoffe. Sind die Koh-lenstoffatome ringförmig angeordnet, so spricht manvon ringförmigen oder cyclischen Kohlenwasserstof-fen. Diese werden nach der Art der Bindung in ali-cyclische und aromatische Kohlenwasserstoffe unter-teilt (vgl. Tabelle 11-1).

11.3.1 Aliphatische Kohlenwassersto−e

Alkane CnH2n+2

Alkane (früher: Paraffine) sind unver-zweigte und verzweigte Kohlenwasser-stoffe, die ausschließlich C–H- und C–C-Einfachbindungen enthalten. Verbindungen,die nur einfache C–C-Bindungen enthalten,werden als gesättigt bezeichnet.

Die Zusammensetzung der Alkane wird durch dieSummenformel

CnH2n+2

beschrieben. Die Alkane sind das einfachste Beispieleiner homologen Reihe. Darunter versteht man ei-ne Gruppe von Verbindungen, deren einzelne Glie-der sich durch eine bestimmte Atomgruppierung (hierCH2) oder ein Vielfaches davon unterscheiden. Glie-der einer homologen Reihe zeigen große Ähnlichkeitim chemischen Verhalten.

NomenklaturDie ersten vier Glieder der Alkane werden mit sog.Trivialnamen bezeichnet und heißen:Methan CH4

Ethan H3C–CH3

Propan H3C–CH2–CH3

Butan H3C–CH2–CH2–CH3 .Die Namen der höheren Glieder bestehen aus einemStamm, der von einem griechischen Zahlwort herge-leitet ist, und der Endung -an (siehe Tabelle 11-2).Benennung verzweigter Alkane: Die Bezeichnungender Seitenketten werden der längsten vorhandenenKette vorangestellt. Die längste Kette wird von einemEnde zum anderen nummeriert. Dabei wählt man dieRichtung derart, dass Verzweigungsstellen möglichstniedrige Nummern erhalten.

Beispiel: Die Verbindung Isobutan (vgl. 11.2.1)

hat den systematischen Namen 2-Methylpropan.

Tabelle 11-2. Schmelz- und Siedepunkte der Alkane, Tsl

und Tlg (bezogen auf 101 325 Pa) (vgl. auch Tabelle 5-2)

Name Formel Tsl/◦C Tlg/

◦C

Methan CH4 −182 −164Ethan C2H6 −183,3 −88,6Propan C3H8 −189,7 −42,1Butan C4H10 −138,4 −0,5Pentan C5H12 −130 36,1Hexan C6H14 −95,0 69,0Heptan C7H16 −90,6 98,4Octan C8H18 −56,8 125,7Nonan C9H20 −51 150,8Decan C10H22 −29,7 174,1Undecan C11H24 −25,6 196,8Dodecan C12H26 −9,6 216,3

Page 89: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

11 Organische Verbindungen C89

Benennung der Alkyl-Reste: Alkyl-Reste entstehenaus Alkanen durch Wegnahme eines endständigenWasserstoffatoms. Diese Reste werden benannt,indem man die Endung -an im Namen des entspre-chenden Alkans durch -yl ersetzt.

Beispiele: Die Alkyl-Reste CH3–, CH3–CH2–, undCH3–CH2–CH2– heißen Methyl, Ethyl bzw. Propyl.Für die folgenden verzweigten Alkyl-Reste werdenunsystematische Namen verwendet:Isopropyl (CH3)2CH–Isobutyl (CH3)2CH–CH–sec-Butyl H3C–CH2–(CH3)CH–tert-Butyl (CH3)3C–(sec sekundär, tert tertiär)

Struktur des MethansIm Methanmolekül sind die vier C–H-Bindungen te-traedrisch angeordnet. Der Valenzwinkel (H–C–H-Winkel) ist 109°28′. Die Elektronenzustände am C-Atom sind beim Methan wie auch bei allen anderenAlkanen sp3-hybridisiert (vgl. 3.1.3).

Eigenschaften, ReaktionenDie Alkane sind farblose Verbindungen. Die niedri-gen Glieder der Reihe bis einschließlich Butan sindbei Raumtemperatur gasförmig, die mittleren bis zumHexadekan (C16H34) flüssig und die höheren fest (vgl.Tabellen 5-2 und 11-2).Die Alkane sind recht reaktionsträge und verbindensich nur mit wenigen Substanzen direkt, so z. B. mitSauerstoff.

Verbrennungsreaktionen der AlkaneDie Verbrennungsreaktionen (vgl. 9.3.1) der Alkanesind wie die aller Kohlenwasserstoffe stark exotherm.Daher werden diese Reaktionen technisch in großemMaße zur Energiegewinnung genutzt (Alkane sind dieHauptbestandteile von Erdgas, Benzin, Heizöl undDieselkraftstoff).Gasmischungen, die aus Alkanen oder aus anderenKohlenwasserstoffen und Luft bestehen, reagieren inbestimmten Bereichen der Zusammensetzung explo-siv, teilweise sogar detonativ (vgl. 7.8). ÄhnlichesVerhalten zeigen auch viele andere organische Ver-bindungen. In Tabelle 11-3 sind die Explosionsgren-zen für einige organische Substanzen aufgeführt.

Tabelle 11-3. Explosionsgrenzen des Wasserstoffs und ei-niger organischer Verbindungen in Luft bei 20 ◦C und101 325 Pa. Die oberen Explosionsgrenzen der bei Raum-bedingungen flüssigen Verbindungen wurden bei den inKlammern aufgeführten Temperaturen angegeben. φuL, φoL

Volumenanteil des Brennstoffs an der unteren bzw. oberenExplosionsgrenzek. A.: keine TemperaturangabeZ: reines Acetylen kann explosiv in die Elemente zerfallen.Die aufgeführten Werte sind der Datenbank chemsafe unddem Tabellenwerk Brandes, W.; Möller, W.: Sicherheits-technische Kenngrößen. Bremerhaven: WirtschaftsverlagNW 2003 entnommen.

Substanz φuL (%) φoL (%)

Methan 4,4 17,0Ethan 2,4 14,3Propan 1,7 10,8Butan 1,4 9,4Ethylen 2,4 32,6Acetylen 2,3 100 (Z)Benzol 1,2 ≈ 8,6 (k. A.)Toluol 1,1 7,8 (k. A.)Methanol 6,0 50 (100 ◦C)Ethanol 3,1 27,7 (100 ◦C)Formaldehyd 7,0 73,0 (k. A.)Acetaldehyd 4,0 57,0 (k. A.)Aceton 2,5 14,3 (100 ◦C)Ameisensäure 10,0 45,5 (k. A.)Essigsäure ≈ 4,0 ≈ 17,0 (k. A.)Essigsäureethylester 2,0 12,8 (100 ◦C)Diethylether 1,7 36,0 (k. A.)Wasserstoff 4,0 77,0

Wichtige AlkaneSchmelz- und Siedepunkte, kritische Daten und dieMAK-Werte einiger wichtiger Alkane sind in den Ta-bellen 5-2 und 11-2 aufgeführt.

Alkene CnH2n

Alkene (früher: Olefine) sind Kohlen-wasserstoffe, die außer C–H– und C–C-Einfachbindungen auch eine C==C-Doppelbindung im Molekül enthalten.Alkene haben die allgemeine SummenformelCnH2n. Kohlenwasserstoffe mit Doppel- oderDreifachbindungen werden als ungesättigtbezeichnet.

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C90 C Chemie

Nomenklatur

Das erste Glied der Alkene heißt:

Ethylen H2C==CH2

(systematischer Name: Ethen).Die Namen der höheren Glieder der homologen Rei-he entsprechen denen der Alkane, jedoch wird hieranstelle der Endung -an die Endung -en verwendet;Beispiel:

Propen H3C–CH=CH2.

Bei höheren Gliedern der Alkene wird die Kette sonummeriert, dass die an den Doppelbindungen be-teiligten Atome möglichst niedrige Zahlen erhalten.Man kennzeichnet die Lage der Doppelbindung durchAnführen der Nummer desjenigen C-Atoms, von demaus sich die Doppelbindung zum nächst höheren C-Atom erstreckt.

Beispiel:

2-Hexen6

H3C–5CH2–

4CH2–

3CH=

2CH–

1CH3 .

Benennung der Alkylen-Reste: Alkylen-Reste entste-hen aus Alkenen durch Wegnahme eines Wasserstof-fatoms. Die ersten Glieder dieser Reihe werden nichtsystematisch benannt. Sie heißen vielmehr:

Vinyl H2C=CH–

Allyl H2C=CH–CH2–

Isopropenyl H2C=C|H3C

Die Namen der höheren Glieder entsprechen denender Alkene. Sie haben jedoch die Endung -enyl.

Beispiele:

2-Butenyl4

H3C–3CH=

2CH–

1CH2−

3-Pentenyl5

H3C–4CH=

3CH–

2CH2–

4CH2−

Entfernt man beim Ethylen an einem C-Atom zweiWasserstoffatome, erhält man den Vinyliden-Rest:

Vinyliden H2C=C= .

Struktur des EthylensIm Ethylenmolekül sind vier C–H-Bindungen und ei-ne C=C-Doppelbindung vorhanden. Die Elektronen-zustände an den beiden C-Atomen sind in diesem Mo-

lekül sp2-hybridisiert (vgl. 3.1.3). Die Hybridorbitalesind planar unter einem Winkel von 120° (trigonal)angeordnet. An jedem Kohlenstoffatom verbleibt einp-Orbital, das senkrecht zur Ebene der Hybridorbita-le steht. Die beiden sp2-Hybrid-Orbitale bilden eineσ-Bindung zwischen den beiden C-Atomen aus. Zu-sätzlich überlappen sich die beiden p-Orbitale. Dabeientsteht eine π-Bindung. Die π-Bindung ist wegender geringen Überlappung der p-Elektronenzuständenicht so fest wie die σ-Bindung. Sie besitzt eine ge-ringere Bindungsenergie als die σ-Bindung.Als Folge der geschilderten Bindungsverhältnis-se ist das Ethylen-Molekül eben aufgebaut. DerHCH-Winkel beträgt 120°. Dieses Bindungsmodellerklärt die Aufhebung der freien Drehbarkeit um dieC–C-Atome folgendermaßen: Jede Drehung um dieseAchse führt zu einer weniger guten Überlappungder beiden p-Elektronenzustände, was nur durchEnergiezufuhr ermöglicht wird.

Eigenschaften und Reaktionen der AlkeneIn ihren physikalischen Eigenschaften ähneln die Al-kene den Alkanen. So sind z. B. die Alkene bis ein-schließlich des Butens bei Raumtemperatur gasför-mig. Aufgrund ihrer Doppelbindung sind die Alkenereaktionsfähiger als die Alkane. Typisch für die Al-kene sind Additionsreaktionen (z. B. Hydrierung undHalogenierung, siehe unten). Dabei werden aus der π-Bindung zwei neue Einfachbindungen (σ-Bindungen)gebildet.Einige physikalisch-chemische Eigenschaften deswichtigsten Alkens, des Ethylens, sind in Tabelle 5-2

aufgeführt.

1. VerbrennungDie leichtflüssigen Alkene bilden im Gemisch mitLuft explosionsfähige Gasmischungen. Die Explosi-onsgrenzen des Ethylens sind in Tabelle 11-3 angege-ben.

2. Hydrierung (Anlagerung von Wasserstoff)Mit Wasserstoff reagieren die Alkene in Gegenwartvon Katalysatoren zu Alkanen:

Beispiel: H2C=CH2Ethylen

+ H2 → H3C–CH3Ethan

3. Halogenierung (Anlagerung von Halogenenen)Die Anlagerung von Halogenen führt spontan zu Di-halogenalkanen:

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11 Organische Verbindungen C91

Beispiel: H2C=CH2 + Br2 →H2C–CH2|Br

|Br

1,2-Dibromethan

4. Polymerisation (s. 12.1)Verschiedene Alkene lagern sich unter Umwandlungder Doppelbindung zu längeren Kettenmolekülen zu-sammen. Dieser Reaktionstyp wird als Polymerisati-on bezeichnet.

Alkine CnH2n−2

Alkine (früher: Acetylene) sind Koh-lenwasserstoffe, die außer C–H- undC–C-Einfachbindungen eine C≡C-Drei-fachbindung im Molekül enthalten.

NomenklaturDas erste Glied der Alkine heißt:Acetylen HC≡CH.(systematischer Name: Ethin)Die Namen der höheren Glieder der homologen Rei-he (Summenformel CnH2n−2) entsprechen denen derAlkane, jedoch wird bei den Alkinen anstelle der En-dung -an die Endung -in verwendet.

Struktur des AcetylenmolekülsIm Acetylenmolekül sind zwei C–H-Bindungenund eine C≡C-Dreifachbindung vorhanden. DieElektronenzustände an den beiden C-Atomen sindsp-hybridisiert (vgl. 3.1.3). Mit diesen Orbitalenwerden σ-Bindungen zwischen den Kohlenstoff-und Wasserstoffatomen und zwischen den bei-den C-Atomen ausgebildet. Hinzu kommen zweiπ-Bindungen durch das Überlappen der jeweilszwei p-Orbitale der beiden Kohlenstoffatome, diesenkrecht zur Molekülachse angeordnet sind. DasAcetylenmolekül ist linear.

Eigenschaften und Reaktionen des AcetylensDer wichtigste Vertreter der homologen Reihe der Al-kine ist das Acetylen. Acetylen ist bei Raumtempera-tur gasförmig (vgl. Tabelle 5-2).

1. Verbrennungsreaktionen des AcetylensMit Luft und besonders mit reinem Sauerstoff bildetAcetylen außerordentlich reaktionsfähige Gemische,die in einem großen Bereich der Zusammensetzung

explosions- oder detonationsfähig sind (vgl. Tabel-le 11-3).Die Temperatur von Acetylen-Sauerstoff-Flammenist ungewöhnlich hoch und erreicht ca. 3400 K(Acetylen-Luft-Flammen erreichen maximal2500 K). Daher werden Acetylen-Sauerstoff-Flammen zum autogenen Schneiden und zumSchweißen von Stahlteilen eingesetzt.

2. Zerfallsreaktion des AcetylensAcetylen kann gemäß folgender Umsatzgleichungin die Elemente zerfallen (Reaktionsenthalpievgl. 6.2.5):

HC≡CH(g)→ 2 C(s) + H2

(g).

Diese Reaktion kann als Deflagration oder als De-tonation ablaufen. Aus diesem Grunde darf Acety-len nur in speziellen Druckgasflaschen in den Han-del kommen. Der Hohlraum dieser Acetylenflaschenist mit einer porösen Masse, in der sich ein geeigne-tes Lösungsmittel (z. B. Aceton) befindet, ausgefüllt.Diese Füllung verhindert die explosionsartige Zerset-zung des Acetylens in der Flasche.

3. AdditionsreaktionenÄhnlich wie bei den Alkenen werden auch beim Ace-tylen zahlreiche Additionsreaktionen beobachtet, sodie folgenden:

3.1 HydrierungAcetylen kann katalytisch über Ethylen als Zwischen-produkt zum Ethan hydriert werden:

HC≡CHAcetylen

H2−→ H2C=CH2Ethylen

H2−→ H3C−CH3Ethan

.

3.2 HalogenierungDie Anlagerung von Halogen an Acetylen verläuft,wie am Beispiel der Bromierung gezeigt wird, überdie Zwischenstufe des 1,2-Dibromethylens:

HC≡CHBr2−→ BrHC=CHBr

1,2-Dibromethylen

Br2−→ Br2HC–CHBr2

1,1,2,2-Tetrabromethan

3.3 Addition von HalogenwasserstoffenDiese Reaktion dient hauptsächlich zur Herstellungvon Vinylhalogeniden

Page 92: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C92 C Chemie

(Beispiel: Anlagerung von Chlorwasserstoff):

HC≡CHAcetylen

+ HCl → H2C=CHClVinylchlorid

Die Polymerisation von Vinylchlorid führt zum Poly-vinylchlorid (PVC) (vgl. 12.1.1 und D 5.3).

Kohlenwassersto−e mit zweioder mehr DoppelbindungenEnthalten Kohlenwasserstoffe zwei oder mehr C=C-Doppelbindungen im Molekül, so kann man je nachLage dieser Doppelbindungen drei verschiedene Ver-bindungstypen unterscheiden:

– Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbin-dungenBei diesem Verbindungstyp sind im Molekülmehrere Doppelbindungen unmittelbar benach-bart. Kohlenwasserstoffe mit zwei kumuliertenDoppelbindungen werden Allene genannt. Dereinfachste Vertreter dieser Verbindungsgruppeheißt:Allen H2C=C=CH2

(systematischer Name: Propadien).– Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbin-

dungenZwei oder mehr C=C-Doppelbindungen werdenals konjugiert bezeichnet, wenn sich zwischenihnen jeweils eine C–C-Einfachbindung befindet.Verbindungen mit zwei konjugierten C=C-Doppelbindungen heißen Diene. Die wichtigstenVertreter dieser Verbindungsgruppe sind:

1,3-Butadien H2C=CH–CH=CH2 und

Isopren H2C=CH–C|CH3

=CH2

(systematischer Name des Isoprens: 2-Methyl-1,3-butadien).1,3-Butadien und Isopren sind Ausgangsstoffe zurHerstellung von synthetischem Kautschuk.Bei Dienen und anderen Verbindungen mit konju-gierten Doppelbindungen liegen in gewissem Aus-maß delokalisierte π-Elektronenzustände vor. Die-se Delokalisation ist mit einer energetischen Sta-bilisierung des Moleküls verbunden (vgl. 11.3.3).Die formelmäßige Wiedergabe der Delokalisationder π-Elektronenzustände geschieht mithilfe so ge-nannter mesomerer Grenzformeln, die durch das

Mesomeriezeichen (↔) verbunden sind. Im Falledes Butadiens werden folgende Grenzformeln for-muliert:

CH2=CH–CH=CH2

" ⊕↔ |CH2–CH=CH–CH2

⊕ "↔ CH2–CH=CH–CH2 .

– Kohlenwasserstoffe mit isolierten Doppelbindun-genSind die C=C-Doppelbindungen eines Koh-lenwasserstoffes durch mehr als eine C–C-Einfachbindung getrennt, so spricht man vonisolierten Doppelbindungen. Die Wechselwirkun-gen zwischen derartigen Doppelbindungen könnenvernachlässigt werden. Kohlenwasserstoffe mitisolierten Doppelbindungen verhalten sich wieAlkene.

11.3.2 Alicyclische Kohlenwassersto−e

Als monocyclische Kohlenwasserstoffe werden dieje-nigen Kohlenwasserstoffe bezeichnet, die aus nur ei-nem Ringsystem aufgebaut sind. Derartige alicycli-sche Verbindungen werden folgendermaßen benannt:Dem Präfix Cyclo- folgt der Name des analogen acy-clischen Kohlenwasserstoffs.

Beispiele:

11.3.3 Aromatische Kohlenwassersto−e

Aromatische Kohlenwasserstoffe sind durch folgendeEigenschaften charakterisiert:

– Sie bestehen aus eben aufgebauten Kohlenstoffrin-gen.

Page 93: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

11 Organische Verbindungen C93

– Im Kohlenstoffring sind abwechselnd C–C-Einfach- und C=C-Doppelbindungen vorhanden,die C=C-Doppelbindungen sind also konjugiertangeordnet (vgl. 11.3.1). Nach der Hückel’schenRegel muss die Zahl der im Ring vorhandenenπ-Elektronen 4n + 2 betragen (n = 0, 1, . . .).

– Die π-Elektronenzustände sind delokalisiert.Dadurch wird eine energetische Stabilisierung desMoleküls erreicht.

Die Namen und Formeln einiger aromatischer Koh-lenwasserstoffe sind in der Tabelle 11-4 zusammen-gestellt.

Benzol C6H6

Struktur des BenzolmolekülsBenzol – der wichtigste aromatische Kohlenwas-serstoff – hat die Summenformel C6H6 und wirddurch folgende Strukturformel beschrieben. ZurVereinfachung werden die C- und H-Atome häufignicht einzeln dargestellt (rechts).

Tabelle 11-4. Die wichtigsten aromatischen Kohlenwasser-stoffe o ortho, m meta, p para

Das Benzolmolekül ist – wie alle aromatischenVerbindungen – eben aufgebaut. Sämtliche Bin-dungswinkel betragen 120°. In seinen Bindungsver-hältnissen ähnelt das Benzolmolekül dem Graphit(vgl. 5.3.2). Die Elektronenzustände der C-Atomesind sp2-hybridisiert. Es entsteht ein cyclischesGerüst aus C–C-σ-Bindungen. Das an jedem Koh-lenstoffatom verbleibende dritte sp2-Orbital bildetmit dem 1s-Orbital des Wasserstoffatoms eine C–H-Bindung aus. Die p-Orbitale ergeben ein cyclischesGerüst aus delokalisierten C–C-π-Bindungen. DiesenBindungszustand des Benzols symbolisiert die Kurz-formel:

Die Delokalisation des π-Elektronensystems führtzu einer energetischen Stabilisierung des Benzol-moleküls. Die molare Stabilisierungsenergie kanntheoretisch abgeschätzt werden. Sie beträgt ca.−150 kJ/mol.Aufgrund des großen Betrages dieser Energie sindReaktionen, die die Aromatizität des Ringsystemsaufheben würden (z. B. Addition von Halogenen,vgl. 11.3.1), nur sehr schwer durchführbar.

Nomenklatur von Abkömmlingen des BenzolsDer Rest, der durch Entfernen eines H-Atoms vomBenzol entsteht, heißt

Als Biphenyl C12H10 wird der Kohlenwasserstoff be-zeichnet, der aus zwei Phenylresten aufgebaut ist:

Sind zwei Substituenten am Benzolrest vorhanden, sowerden die Kennzeichnungen o- (ortho), m- (meta)oder p- (para) verwendet. Einzelheiten siehe Tabel-le 11-4.

Eigenschaften und Reaktionen des BenzolsBenzol ist eine bei Raumtemperatur farblose Flüssig-keit, die bei 80,1 ◦C siedet (Schmelzpunkt 5,5 ◦C).Benzol (auch Benzoldampf) ist stark giftig und dar-über hinaus kanzerogen. Informationen über kanze-

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C94 C Chemie

rogene Substanzen finden sich in der Gefahrstoffver-ordnung (GefStoffV). Nähere Angaben zum Umgangmit diesen Stoffen können den Technischen Regelnfür Gefahrstoffe (TRGS) entnommen werden.

SubstitutionsreaktionenCharakteristisch für aromatische Verbindungen sindSubstitutionsreaktionen. Hierbei wird ein H-Atomdurch einen anderen Rest (einen anderen Liganden)ersetzt.

Beispiele:1. HalogenierungDie Reaktion gelingt nur in Gegenwart eines Kataly-sators (z. B. Eisen(III)-chlorid):

2. NitrierungBenzol kann mit Nitriersäure, ein Salpetersäure-Schwefelsäure-Gemisch, in Nitrobenzol umgewan-delt werden:

11.4 Verbindungenmit funktionellen Gruppen

Unter funktionellen Gruppen versteht manAtomgruppen in organischen Verbindungen,die charakteristische Eigenschaften und einbestimmtes Reaktionsverhalten verursachen.

Hierzu gehören z. B. die Carboxylgruppe –

O‖C–OH und

die Hydroxylgruppe –OH. Organische Verbindungenmit diesen funktionellen Gruppen heißen Carbonsäu-ren bzw. Alkohole oder Phenole. Bei den Alkoholenist die Hydroxylgruppe an einen aliphatischen Rest,bei den Phenolen direkt an einen aromatischenRest gebunden. Einen Überblick über organischeVerbindungen mit funktionellen Gruppen gibt die Ta-belle 11-5. Die Namen von Verbindungen, bei denenfunktionelle Gruppen direkt am Benzol gebundensind, können Tabelle 11-6 entnommen werden.

11.4.1 Halogenderivateder aliphatischen Kohlenwassersto−e

Unter Halogenkohlenwasserstoffen ver-steht man Verbindungen, bei denen einoder mehrere Halogenatome an Stelle vonWasserstoffatomen an einem Kohlenwasser-stoff gebunden sind.

Bei Raumbedingungen sind die Halogenkohlen-wasserstoffe häufig Flüssigkeiten mit relativ hoherDichte. Sie werden in großem Umfang als Lösungs-und/oder Entfettungsmittel (besonders Chlorkoh-lenwasserstoffe), als Kältemittel und Treibgase(besonders Fluorchlorkohlenwasserstoffe, FCKW)verwendet. Einige dieser Substanzen dienen zur Ein-führung von Alkylgruppen in andere Verbindungen(Alkylierungsmittel).

Wichtige Halogenkohlenwassersto−eIn Klammern sind hinter den Formeln der Substanzendie Siedepunkte und die MAK-Werte (vgl. Tabel-le 5-2) angegeben.– Dichlormethan (Methylenchlorid) CH2Cl2 (40 ◦C,

100 ppm),– Trichlormethan (Chloroform) CHCl3 (61,7 ◦C,

10 ppm),– Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) CCl4

(76,5 ◦C, 10 ppm),– 1,1,1-Trichlorethan Cl3C–CH3 (74,1 ◦C, 200 ppm),– Trichlorethylen („Tri“) Cl2C=CHCl(87 ◦C,50 ppm)

und– Tetrachlorethylen („Perchlorethylen“, „Per“)

Cl2C=CCl2 (121 ◦C, 50 ppm)werden vornehmlich als Lösungs-, Reinigungs-und/oder Entfettungsmittel eingesetzt.– Trichlorfluormethan („R11“) CCl3F (23,6 ◦C,

1000 ppm) und Dichlordifluormethan CCl2F2

(„R12“) (vgl. Tabelle 5-2) sind die Verbindungen,die aus der Gruppe der Fluorchlorkohlenwasser-stoffe hauptsächlich verwendet werden.

Das Freisetzen von Fluorchlorkohlenwasserstoffenverursacht Umweltschäden, vgl. Tabelle 5-2.– Vinylchlorid H2C=CHCl (kanzerogenes Gas,

−13,9 ◦C) ist Ausgangsstoff zur Herstellung vonPolyvinylchlorid (PVC) (vgl. 12.1.1 und D 5.5).

– Tetrafluorethylen (TFE) F2C=CF2 (−76,3 ◦C, gif-tig) ist Ausgangsstoff für die Herstellung des Poly-merwerkstoffes Polytetrafluorethylen (PTFE). Die-

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11 Organische Verbindungen C95

Tabelle 11-5. Organische Verbindungen mit funktionellen Gruppen (mit Beispielen). R, R1, und R2 stehen für Kohlenwas-serstoffreste

Verbindungstyp Beispiel

ser Kunststoff zeichnet sich durch relativ hohe Hit-zebeständigkeit und chemische Widerstandsfähig-keit aus (vgl. D 5.5). Zur Verhinderung der Po-lymerisation von TFE, die äußerst heftig ablau-fen kann, werden dem handelsüblichen monome-ren Produkt Stabilisatoren zugesetzt. TFE zerfälltauch gemäß folgen der Gleichung in Kohlenstoffund Tetrafluormethan (siehe auch 6.3.4):

F2C=CF2

Tetrafluor-ethylen

→ C(s) + CF4

Tetrafluor-methan

.

Diese Zerfallsreaktion kann als Explosion ablau-fen. Als Zündquelle kann die Polymerisationsreak-tion des TFE fungieren.

11.4.2 Alkohole

Alkohole sind Verbindungen, die eine odermehrere Hydroxylgruppen (OH-Gruppen)

im Molekül enthalten. Die Kohlenstoffatome,an denen eine Hydroxylgruppe gebundenist, dürfen außerdem nur noch C–H- oderC–C-Einfachbindungen eingehen.

Verbindungen mit einer direkt am aromatischen Restgebundenen OH-Gruppe heißen Phenole (vgl. Tabel-le 11-6).Nach der Zahl der C–C-Bindungen, an denen dasKohlenstoffatom beteiligt ist, an dem sich die Hydro-xylgruppe befindet, unterscheidet man

Alkohole werden auch nach der Zahl der im Molekülenthaltenen OH-Gruppen in ein- und mehrwertige Al-kohole unterteilt:

Page 96: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C96 C Chemie

Beispiele:

Einwertiger Alkohol Zweiwertiger Alkohol

H3C–CH2–OH H2C–OH|

H2C–OH

Ethanol (Ethylalkohol) Ethylenglykol (Glykol) .

Tabelle 11-6. Derivate des Benzols

Tabelle 11-7. Heterocyclische Verbindungen

Reaktionen1. Intramolekulare Wasserabspaltung (Bildung vonAlkenen)Die innerhalb eines Moleküls stattfindende (intramo-lekulare) Wasserabspaltung erfolgt in der Hitze in Ge-genwart von Katalysatoren oder von starken Säuren:

H3C–CH2–OHEthanol

→ H2C=CH2Ethylen

+ H2O .

2. Intermolekulare Wasserabspaltung (Bildung vonEthern)An der intermolekularen Wasserabspaltung sind zweiMoleküle beteiligt. Bei Alkoholen bilden sich in die-sem Fall Ether R–O–R (Erhitzen in Gegenwart vonkonzentrierter Schwefelsäure):

H3C–CH2–OHEthanol

+ H3C–CH2–OHEthanol

→H3C–CH2–O–CH2–CH3Diethylether

+ H2O .

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11 Organische Verbindungen C97

3. Verbrennung, OxidationLeichtflüchtige Alkohole bilden mit Luft explosions-fähige Gasmischungen (vgl. Tabelle 11-3).Primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole un-terscheiden sich in ihrem Verhalten gegenüberOxidationsmitteln. So können primäre und sekundäreAlkohole bis zu Carbonsäuren bzw. zu Ketonenoxidiert werden. Die Oxidation von tertiären Alko-holen gelingt nicht, ohne dass das Kohlenstoffgerüstzerstört wird:

4. VeresterungSäuren und Alkohole reagieren in Gegenwart von Ka-talysatoren unter Bildung von Estern (siehe 11.4.5).

Wichtige AlkoholeMethanol (Methylalkohol) H3C–OH, Siedepunkt65,1 ◦C, giftig (letale Dosis: etwa 25 g), MAK-Wert:200 ppm).Verwendung: Treibstoffzusatz, Lösungsmittel, Aus-gangsstoff für Synthesen (z. B. Formaldehyd, Polyes-ter).

Ethanol (Ethylalkohol) C2H5–OH, Siedepunkt78,5 ◦C. Verwendung: verdünnt als Genussmittel(letale Dosis ca. 300 g, MAK-Wert: 1000 ppm).Lösungsmittel, Ausgangsstoff für Synthesen (z. B.Essigsäure), technischer Ethylalkohol wird durchVergällungsmittel (z. B. Pyridin, Benzin, Campher)ungenießbar gemacht.

Ethylenglykol (Glykol), Siedetem-peratur 198,9 ◦C, giftig, in jedemVerhältnis mit Wasser mischbar.Verwendung: Frostschutzmittel.

CH2–OH|CH2–OH

Glycerin, Siedetemperatur 290 ◦C, injedem Verhältnis mit Wasser mischbar.Vorkommen: Bestandteil aller Fette(vgl. 11.4.5).Verwendung: Frostschutzmittel, in

CH2–OH|CH–OH|CH2–OH

pharmazeutischen Präparaten, Herstel-lung von Nitroglycerin, Lösungsmittel.

Nitroglycerin (Salpetersäuretri-ester des Glycerins) detonations-fähiger Stoff (vgl. 7.8), außer-ordentlich schlagempfindlich.Verwendung: einer der wichtig-

CH2–O–NO2

|CH–O–NO2

|CH2–O–NO2

sten und meistgebrauchten Spreng-stoffbestandteile; Mischungen vonNitroglycerin und Nitrocellulosesind Bestandteile von Treibmittelnund Raketentreibstoffen.

11.4.3 Aldehyde

Aldehyde sind durch die funktionelle Gruppe

H|C=O charakterisiert. Sie haben die allge-

meine Formel R–CH=O. R kann hierbei einaliphatischer, aromatischer oder heteroeycli-scher Rest sein.

Reaktionen1. Verbrennung, OxidationLeichtflüchtige Aldehyde bilden mit Luft explosions-fähige Gasmischungen (vgl. Tabelle 11-3).Die Oxidation der Aldehyde führt unter milderen Be-dingungen zu Carbonsäuren:

H3C–CHOAcetaldehyd

+ 1/2 O2 → H3C–COOHEssigsäure

.

2. ReduktionAldehyde werden katalytisch mit Wasserstoff zu pri-mären Alkoholen reduziert:

H3C–CHOAcetaldehyd

+ H2 → H3C–CH2–OHEthanol

.

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C98 C Chemie

3. PolymerisationAldehyde können wie die Alkene polymerisieren. Soführt z. B. die Polymerisation von Formaldehyd zukettenförmig aufgebautem Polyoxymethylen (POM,Polyformaldehyd) (vgl. D 5.5):

n H2C=OFormaldehyd

→ HO[CH2–O]nHPolyoxymethylen

.

4. PolykondensationUnter einer Kondensation versteht man eine Re-aktion, bei der C–C-Einfach- oder auch C=C-Doppelbindungen unter Abspaltung kleiner Moleküle(z. B. Wasser) entstehen. Werden hierbei poly-mere Verbindungen gebildet, so spricht man vonPolykondensation, vgl. 12.1 und D 5.3.Von den unter Wasserabspaltung verlaufenden Po-lykondensationsreaktionen soll hier die Bildung vonPhenoplasten aus Formaldehyd und Phenol angeführtwerden.

Durch weitere Kondensationsvorgänge bilden sichdreidimensional vernetzte Makromoleküle.

Wichtige Aldehyde

Formaldehyd H–

H|C=O, Siedepunkt −21 ◦C, MAK-

Wert: 0,5 ppm.Verwendung: Desinfektionsmittel. Ausgangsstofffür Polymerwerkstoffe: Polykondensation mit Harn-stoff H2N–CO–NH2 (Harnstoff-Formaldehydharze),Melamin (Formel, siehe Tabelle 11-7) (Melamin-Formaldehydharze, MF) und mit Phenol (Phenol-Formaldehydharze, PF).Polymerisation zu Polyoxymethylen (Einzelheitensiehe D 5.5).

Acetaldehyd H3C–

H|C=O, Siedepunkt 20,8 ◦C, MAK-

Wert: 50 ppm.

11.4.4 Ketone

Ketone sind durch die Carbonylgruppe –

O‖C– ,

die sich mittelständig in einer Kohlenstoffket-te befinden muss, gekennzeichnet. Ketone ha-ben die allgemeine Formel R1–CO–R2.

Reaktionen1. Verbrennung, OxidationLeichtflüchtige Ketone bilden mit Luft explosionsfä-hige Gasmischungen (vgl. Tabelle 11-3).Die Oxidation unter Spaltung der Kohlenstoffkettegelingt nur mit starken Oxidationsmitteln (z. B.Chromtrioxid CrO3). Hierbei wird die von der Car-bonylgruppe ausgehende C–C-Bindung gespalten, esentstehen zwei Carbonsäuren:

R1–CH2–CO–CH2–R2 + 3/2 O2

→ R1COOH + HOOC–CH2–R2 .

2. ReduktionKetone werden katalytisch oder mit starken Reduk-tionsmitteln (z. B. Lithiumaluminiumhydrid LiAlH4)zu sekundären Alkoholen reduziert:

H3C–CO–CH3Aceton

+ H2 → H3C–CHOH–CH3Isopropanol

.

Beispiel für ein Keton:Aceton H3C–CO–CH3, Siedepunkt 56,2 ◦C, MAK-Wert: 500 ppm.Verwendung: Lösungsmittel für Harze, Lacke, Far-ben.

11.4.5 Carbonsäuren und ihre Derivate

Stoffe, die eine oder mehrere Carboxyl-

gruppen –

O‖C–OH enthalten, werden als

Carbonsäuren bezeichnet. AllgemeineFormel der Carbonsäuren: R–COOH.

Namen und Formeln einiger Carbonsäurengesättigte Carbonsäuren

Ameisensäure H–COOHEssigsäure CH3–COOH

Page 99: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

11 Organische Verbindungen C99

Propionsäure C2H5–COOHButtersäure C3H7–COOHPalmitinsäure C15H31–COOHStearinsäure C17H35–COOHOxalsäure HOOC–COOHMalonsäure HOOC–CH2-COOH

ungesättigte Carbonsäuren

ÖlsäureH3C–(CH2)7-CH=CH–(CH2)7–COOHLinolsäureH3C–(CH2)4–CH=CH–CH2–CH=CH–(CH2)7–COOHLinolensäureH3C–CH2–CH=CH–CH2–CH=CH–CH2–CH=CH–(CH2)7–COOH

aromatische Carbonsäuren (siehe Tabelle 11-6)

Reaktionen1. Elektrolytische Dissoziation, SalzbildungCarbonsäuren dissoziieren in wässriger Lösung ge-mäß der Gleichung:

R–COOH � RCOO− + H+ .

Das Dissoziationsgleichgewicht liegt ganz oder über-wiegend auf der Seite der undissoziierten Säure; Car-bonsäuren sind schwache Säuren.Mit Basen wie NaOH und KOH reagieren Carbon-säuren unter Salzbildung. Wässrige Lösungen dieserSalze reagieren alkalisch (vgl. 8.7.6).Seifen sind die Natriumsalze der höheren Carbonsäu-ren (z. B. Palmitin-, Stearin- und Ölsäure).

2. VerbrennungExplosionsgrenzen von Ameisen- und Essigsäuresind in Tabelle 11-3 angegeben.

3. VeresterungMit Alkoholen reagieren Carbonsäuren in einerGleichgewichtsreaktion unter Bildung von Carbon-säureestern und Wasser:

H3C–COOHEssigsäure

+ HO–C2H5Ethanol

� H3

O‖C–C–O–C2H5

Essigsäureethylester+ H2O .

Der umgekehrte Vorgang – also die Spaltung einesEsters in Carbonsäure und Alkohol – heißt Versei-fung.

Wichtige CarbonsäurenAmeisensäure HCOOH, Siedepunkt 100,7 ◦C, MAK-Wert: 5 ppm.Essigsäure H3C–COOH, Siedepunkt 117,9 ◦C,MAK-Wert: 10 ppm.Verwendung: Speiseessig H3C–COOH-Massenanteil:ca. 5 bis 10%.

CarbonsäurederivateCarbonsäurehalogenide. Bei diesen Verbindungenist die OH-Gruppe des Carboxylrestes durch ein Ha-logenatom ersetzt.Beispiel:

H3C–

O‖C–Cl Acetylchlorid

(Säurechlorid der Essigsäure) .

Carbonsäureester. Anstelle der OH-Gruppedes Carboxylrestes haben Carbonsäureester ei-ne O–R-Gruppierung. Allgemeine Formel dieserVerbindungen:

R1–

O‖C–OR2

Fette und Öle sind die Glycerinester der höherenCarbonsäuren. Tierische Fette enthalten hauptsäch-lich gemischte Glycerinester von Palmitin-, Stearin-und Ölsäure. Pflanzliche Öle bestehen zusätzlichaus Glycerinestern der mehrfach ungesättigtenhöheren Carbonsäuren (Linol- und Linolensäu-re).

Carbonsäureamide. Bei diesen Verbindungen istdie OH-Gruppe der Carbonsäure durch eine NH2-Gruppe ersetzt. Säureamide haben die allgemeineFormel

R–

O‖C—NH2 .

Page 100: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C100 C Chemie

11.4.6 Aminocarbonsäuren (Aminosäuren)

Aminocarbonsäuren – oder kurz Aminosäu-ren – enthalten neben der Carboxylgruppeeine Aminogruppe im Molekül. Sind dieNH2– und die COOH-Gruppe benachbart,liegen α-Aminosäuren vor. α-Aminosäurenhaben die allgemeine Formel:

R–CH| —COOH

NH2

.

Namen und Formeln einiger α-Aminosäuren:Aminosäuren mit unpolarem RestGlycin (Glykokoll) (Gly) H2N—CH2–COOHAlanin (Ala) H3C—CH(NH2)–COOHValin (Val) (CH3)2CH—CH(NH2)–COOHLeucin (Leu) (CH3)2CH—CH2–CH(NH2)–COOHIsoleucin (Ile) (C2H5)CH(CH3)–CH(NH2)–COOH

In dieser und in den folgenden Formeln sind zurbesseren Übersicht die C-Atome und die an den C-Atomen befindlichen Wasserstoffatome weggelassenworden.

Aminosäuren mit polaren RestenSerin (Ser) HO–H2C—CH(NH2)–COOHThreonin (Thr) HO–CH(H3C)—CH(NH2)–COOH

Asparagin (Asn)

Saure Aminosäuren

Basische Aminosäuren

Bis auf Glycin besitzen alle α-Aminosäuren ein odermehrere asymmetrische Kohlenstoffatome, sie sindalso optisch aktive Verbindungen (vgl. 11.2.2). Diein Proteinen vorkommenden Aminosäuren weisendurchweg die L-Konfiguration auf.

Page 101: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

12 Synthetische und natürliche Makromoleküle C101

ReaktionenBei neutralem pH-Wert im wässrigen Milieu ist dieCarbonsäuregruppe dissoziiert und die Aminogrup-pe protoniert, sodass die Aminosäuren in zwitterioni-scher Form vorliegen.Aminosäuren kondensieren un-ter Bildung von Peptiden. Die in diesen Verbindungenenthaltene Säureamid-Bindung heißt Peptidbindung;Beispiel:

H2N–CH–OOH|R1

+ H–NH–CH–COOH|R2

Aminosäure 1 Aminosäure 2

→ H2N–CH|R1

–CO–NH–CH–COOH|R2

+ H2O .

Dipeptid

Proteine (Eiweißstoffe) sind Polypeptide. Sie gehö-ren zu den wichtigsten Grundbausteinen des mensch-lichen und des tierischen Körpers (s. 12.5.1).

12 Synthetischeund natürliche Makromoleküle

Unter Makromolekülen versteht man Moleküle mitMolmassen in der Größenordnung 104–107 g/mol. Siesind in der Regel organischer Natur. Der Grund füreine gesonderte Behandlung liegt darin, dass einigewesentliche Eigenschaften von Stoffen, die aus sol-chen Molekülen aufgebaut sind, mehr von der Grö-ße der Moleküle als von ihrer individuellen chemi-schen Zusammensetzung abhängen. Des Weiteren be-sitzen Stoffe aus solchen Molekülen als Kunststof-fe eine erhebliche technische Bedeutung, und natür-liche Makromoleküle sind wesentlich am Aufbau le-bender Organismen und an den Lebensvorgängen be-teiligt.

12.1 Synthetische Polymere

Oft wird synonym zum Begriff Makromolekül auchdas Wort Polymer (gr.: viele Teile) benutzt, um her-vorzuheben, dass ein Makromolekül aus einer großenZahl kleiner, im einfachsten Fall identischer Baustei-

ne besteht, die durch kovalente Bindungen miteinan-der verknüpft sind. Ein Monomer ist ein kleines Mo-lekül, das eine oder mehrere polymerisationsfähigeGruppen besitzt und das bei der Polymerisation ineinen Baustein des Polymers überführt wird.Monomere können zu einem linearen Makromolekül(auch Fadenmoleküle oder Kettenmoleküle genannt)verknüpft sein, wie in Bild 12-1a dargestellt. Ande-re Molekülarchitekturen sind in verzweigten (12-1b)oder vernetzten (12-1c) Polymeren realisiert.Eines der einfachsten linearen Polymere ist Polyethy-len, das aus einer Aneinanderreihung von Methylen-gruppen –CH2– besteht. Der Name Polyethylen leitetsich von der Tatsache ab, dass es durch Polymerisati-on von Ethylen (systematischer Name: Ethen) herge-stellt wird.Ausgehend von der Struktur des Polymers könntees auch Polymethylen genannt werden. In der Regelerfolgt die Bezeichnung des Polymers aber nach denAusgangsmonomeren, die mit der Vorsilbe Poly-

Bild 12-1. Lineare (a), verzweigte (b) und vernetzte (c) Ma-kromoleküle

Page 102: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

C102 C Chemie

versehen werden. Die Synthese von Polyethylen lässtsich formal folgendermaßen darstellen:

n H2C=CH2 → –[CH2–CH2]n– n � 1

12.1.1 Verknüpfung von Monomeren

Es gibt drei grundsätzliche Möglichkeiten, um dieVerknüpfung von Monomeren zu einem Polymer zuerreichen:

a) Öffnen einer Doppelbindung,b) Öffnen eines ringförmigen Moleküls,c) Verwendung von Monomeren mit zwei funktionel-

len Gruppen.

Eine große Zahl von Polymeren leitet sich von Mo-nomeren des Typs CH2=CHX ab, wobei X ein Sub-stituent ist. Diese Polymere werden Vinyl-Polymeregenannt. Wichtige Beispiele sind:

Polypropylen

Polystyrol

Polyvinylchlorid

Polyacrylnitril

Ein ähnlicher Typ ist:Polymethylmethacrylat (Acrylglas Plexiglas ™)

Nach dem Mechanismus b) werden z. B.Polyoxymethylen

und Polycaprolactam (Nylon 6)

gebildet.

Wichtige Vertreter der Möglichkeit c) sind:Polyethylenterephthalat

Polyhexamethylenadipinamid (Nylon 66)

12.1.2 Mittelwerte der Molmassen

Die Zahl n nennt man den Polymerisationsgrad. Zwi-schen der Molmasse des Polymers M und dem Poly-merisationsgrad besteht die Beziehung

M = n M0 ,

wobei M0 die Molmasse der Wiederholungseinheitdarstellt. Bei dieser Betrachtungsweise vernachlässigtman den Einfluss der Kettenenden. In der Regel wer-den die Kettenenden auch in der Formeldarstellungnicht angegeben; häufig sind sie nicht genau bekannt.n bzw. M weisen in der Regel für ein bestimmtes Ma-terial eine Verteilung auf, die man durch Mittelwerte

Page 103: HÜTTE - Das Ingenieurwissen || C Chemie

12 Synthetische und natürliche Makromoleküle C103

charakterisieren kann. Der Zahlenmittelwert der Mol-masse MN berechnet sich nach

MN =∑

NiMi/∑

Ni . (12-1)

Hierin bedeutet Ni die Zahl der Moleküle mit derMolmasse Mi. Alle Moleküle werden bei der Mittel-wertbildung gleich gewichtet, obwohl sie sich deut-lich im Polymerisationsgrad unterscheiden können.Ein anderer wichtiger Mittelwert ist der Massenmit-telwert der Molmasse Mw.

Mw =∑

wi Mi/∑

wi =∑

NiM2i /∑

Ni Mi .

(12-2)

Bei dieser Mittelwertbildung wird mit dem Massen-anteil wi der Moleküle mit der Molmasse Mi gewich-tet. Als Maß für die Breite der Verteilung (Uneinheit-lichkeit) wird häufig das Verhältnis Mw/MN angege-ben.Homopolymere bestehen aus nur einer Sorte vonWiederholungseinheiten (alle bisher vorgestelltenBeispiele sind Homopolymere), während Copolyme-re aus zwei oder mehr unterschiedlichen Monomerengebildet werden, die wiederum in statistischerAbfolge (–A–A–B–A–B–B–A–B–B–B–B–A–), al-ternierend (–A–B–A–B–A–B–A–B–) oder blockartig(–A–A–A–A–A–B–B–B–B–B–B–) miteinander ver-knüpft sein können. Eine weitere wichtige Klasse vonCopolymeren sind Pfropfcopolymere, die allerdingszu den verzweigten Polymeren gehören.

12.1.3 Synthese von Polymeren

Es existieren zwei grundsätzlich verschiedene Artender Polymerisation, die man als Kettenwachstumsre-aktion und Stufenwachstumsreaktion bezeichnet.

KettenwachstumsreaktionDie Kettenwachstumsreaktion ist eine typische Ket-tenreaktion (vgl. 7.7) mit den Schritten Kettenstart(Initiierung), Kettenwachstum und Kettenabbruch.Für den Fall einer radikalischen Polymerisationergibt sich folgendes Schema:

Start:

I → 2 R• ; R• +M → R–M•

Der Initiator I zerfällt thermisch oder lichtinduziert inzwei Radikale R•, die jeweils an ein Monomermole-kül M addiert werden. Alternative Mechanismen zurGenerierung von Radikalen sind ebenfalls möglich.

Wachstum:

R–M• +M → R–M–M•

R–M–M• +M → R–M–M–M• etc.

allgemein

R–M•n +M → R–M•

n+1 oder

Pn +M → P•n+1

Das Radikal addiert sukzessive Monomere, wobei derRadikalcharakter immer auf das zuletzt addierte Mo-nomer übertragen wird. Diese Reaktion erfolgt sehrschnell, sodass eine einmal gestartete Reaktion zu re-lativ großen (n � 1) Polyradikalen führt.

Abbruch:

P•n + P•

m → Pn+m oder

P•n + P•

m → Pn + Pm

Der Kettenabbruch erfolgt durch Kombination zweierPolyradikale oder durch Disproportionierung (Über-tragung eines Wasserstoffatoms).Die kinetische Behandlung dieser Prozesse, bei dervon Quasistationarität bezüglich der Radikalkonzen-trationen ausgegangen wird, liefert als Bruttopolyme-risationsgeschwindigkeit:

rp = −dc(M)/dt ∼ c(M)√

c(I) , (12-3)

d. h. rp ist proportional zur Monomerkonzentrationund zur Wurzel aus der Initiatorkonzentration. Indie Proportionalitätskonstante gehen die Geschwin-digkeitskonstanten der einzelnen Teilreaktionenein. Als weitere und wichtigere Konsequenz derkinetischen Behandlung ergibt sich für die Molmassedes Produkts:

MN ∼ c(M)/√

c(I) , (12-4)

d. h. der Zahlenmittelwert der Molmasse ist eben-falls proportional zur Monomerkonzentration, aberumgekehrt proportional zur Wurzel aus der Initia-torkonzentration. Die Eigenschaften des Produktssind demnach kinetisch kontrolliert und lassen sichüber diese beiden Konzentrationen steuern. DieVerteilungsfunktion der Molmasse hängt davon ab,ob der Abbruch überwiegend durch Kombination

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C104 C Chemie

oder Disproportionierung erfolgt. In guter Nähe-rung erwartet man im ersten Fall Mw/MN = 1,5,im zweiten Fall Mw/MN = 2. Allerdings erge-ben sich bei der Polymerisation in Masse oder inhochkonzentrierter Lösung zu hohen UmsätzenAbweichungen zu deutlich höheren Molmassen, dieauf starke Viskositätserhöhung und daraus folgendeUnterdrückung der Abbruchreaktion zurückzuführensind.Eine andere Steuerungsmöglichkeit für die erzielteMolmasse bietet der Zusatz eines Reglers. Dabei han-delt es sich um ein Agens S, auf das der Radikalcha-rakter übertragen werden kann, ohne dass die kineti-sche Kette unterbrochen wird. Als zusätzliche Reak-tion im Wachstumsschritt tritt dann

P•n + S → Pn + S•

S• +M → S–M•

auf, wodurch die Länge der Molekülkette begrenztwird. Sehr wirksame Regler sind zum Beispiel Mer-captane. Übertragungen können aber auch auf das Lö-semittel, das Monomer, den Initiator oder das Poly-mer selber erfolgen.Neben der radikalischen Polymerisation gehören dieionischen (anionischen und kationischen) Polymeri-sationen und die koordinative Polymerisation zu denKettenwachstumsreaktionen. Die einzelnen Schritteverlaufen ähnlich wie bei der radikalischen Polyme-risation mit dem Unterschied, dass die reaktiven Spe-zies als Anionen P−

n , Kationen P+n oder koordinativ aneinen Katalysator gebunden vorliegen.Als Initiatoren verwendet man bei der anionischenPolymerisation typischerweise Alkylverbindungender Alkalimetalle, z. B. Butyl-Li, bei der katio-nischen Polymerisation kommen Protonen- oderLewis-Säuren oder Carbeniumsalze zum Einsatz.Die Polarität des Lösemittels und die Natur desGegenions sind entscheidend dafür, ob der In-itiator in dissoziierter Form, als Ionenpaar oderkovalent vorliegt. Davon hängen wiederum Reakti-onsgeschwindigkeiten und Mechanismen ab. EineBesonderheit, die vor allem bei der anionischenPolymerisation genutzt wird, ist die Vermeidung vonAbbruch und Übertragungsreaktionen (sog. lebendePolymerisation). Durch geeignete Reaktionsführunglassen sich so sehr enge Molmassenverteilungenerzielen (Mw/MN < 1,05).

Bei der koordinativen Polymerisation, auch Ziegler-Natta-Polymerisation genannt, werden Mischkataly-satoren aus einer Verbindung eines Übergangsmetalls(z. B. TiCl4) und einer metallorganischen Verbindung(z. B. Al(C2H5)3) verwendet. Neuere Katalysatorensind sog. Metallocene, z. B. Bis-cyclopentadienyl-Metall-Komplexe. Die koordinative Polymerisationwird zur Herstellung von linearem Polyethylen,stereoregulärem Polypropylen und Polybutadieneingesetzt.

StufenwachstumsreaktionMonomere mit zwei funktionellen Gruppen polyme-risieren in der Regel nach dem Stufenwachstumsme-chanismus. Ein typisches Beispiel ist die Polykon-densation von Adipinsäure mit Hexamethylendiaminzum Nylon 66, einem Polyamid (s. vorige S.) oder dieKondensation von Terephthalsäure mit Ethylenglykolzum Polyethylenterephthalat (PET), einem Polyester(s. S.102).Nach dem gleichen Schema, aber ohne Abspaltungniedermolekularer Substanzen, erfolgt die Bildungvon Polyurethanen aus Diisocyanaten und Diolen:

Die statistische Behandlung der Stufenwachstums-reaktion zeigt, dass hohe Molmassen nur bei sehrgroßen Umsätzen p erreicht werden. Dies wird in derCarothers-Gleichung ausgedrückt:

MN = M0/(1 − p) (12-5)

Hierin ist M0 die Molmasse der Wiederholungsein-heit, also die Summe aus der Molmase der beidenMonomere abzüglich der Summe der Molmasse derggf. abgespaltenen Verbindungen (in obigen Beispie-len Wasser). Für den Massenmittelwert ergibt sich:

Mw = M0(1 + p)/(1 − p) . (12-6)

und für p → 1 folgt Mw/MN = 2, wie bei der radikali-schen Polymerisation mit Abbruch durch Dispropor-tionierung.Wenn bei einer Stufenwachstumsreaktion auch Mo-nomere eingesetzt werden, die über mehr als zwei

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12 Synthetische und natürliche Makromoleküle C105

funktionelle Gruppen verfügen, bilden sich bei ge-ringem Umsatz verzweigte Polymere, bei höheremUmsatz dreidimensionale Netzwerke. Die Netzwerk-bildung äußert sich in einem plötzlichen drastischenAnstieg der Viskosität. Dieser Vorgang wird als Ge-lierung bezeichnet. Der Übergang von einem lösli-chen verzweigten Polymer zu einem vernetzten un-löslichen Polymer erfolgt am Gelpunkt. Technischwichtige Beispiele für derartige vernetzte Polymere,die man auch als Duroplaste bezeichnet, sind Phenol-Formaldehyd-Harze, Melamin-Harze und Epoxidhar-ze (s. 11.4.3 und D 5.6).

12.2 Gestalt synthetischer Makromoleküle12.2.1 Knäuelmoleküle

Die Gestalt einer flexiblen Kette aus identischenBausteinen, die keine speziellen Wechselwirkungenaufeinander ausüben, ist ein statistisches Knäuel.Flexibel bedeutet in diesem Zusammenhang, dassdurch Rotation um Einfachbindungen unterschied-liche räumliche Anordnungen (Konformationen)ermöglicht werden. Diese Voraussetzung ist für dieallermeisten synthetischen Polymere gegeben.Bei einer Kette mit nur durch Einfachbindungenverknüpften C-Atomen im Rückgrat (z. B. einemVinylpolymeren) beträgt der Bindungswinkel etwa109° (Tetraederwinkel). Bezüglich einer herausge-griffenen C–C-Bindung sind die 3 Konformationen,anti, gauche(+) und gauche(−), energetisch in etwagleich günstig.

Besteht eine Polymerkette aus n solchen Bindungen,existieren folglich etwa 3n (genau: 3(n−2)) energetischgünstige Konformationen, bei großem n also eine sehrgroße Zahl. Deshalb ist nur eine Beschreibung mitgeeigneten Mittelwerten, die als Maß für die wahr-scheinlichste Gestalt des Makromoleküls dienen, undmit Verteilungsfunktionen sinnvoll. Die komplexeProblematik wird dadurch etwas erleichtert, als einereale Polymerkette sich in sehr guter Näherung aufeine Zufallskette, deren Bindungen überhaupt keineKorrelationen zueinander aufweisen, abbilden lässt.

12.2.2 Charakterisierung der Gestalt

Eine wichtige Größe ist der End-zu-End Abstand ei-ner Polymerkette, für dessen quadratisch gemitteltenMittelwert gilt:

〈r2〉 = C∞nl2 . (12-7)

Hierin ist n die Zahl der Bindungen, l deren Länge,und C∞ stellt einen durch bestimmte Bindungswin-kel, Konformationsverhältnisse sowie sterische Ef-fekte für das betreffende Polymer individuellen Pa-rameter dar. C∞ wird deshalb als charakteristischesVerhältnis bezeichnet. Es liegt für zahlreiche Polyme-re im Bereich 4 < C∞ < 10.Für die Verteilungsfunktion des Betrags des End-zu-End-Abstands ergibt sich in guter Näherung (fürr � nl, nl ist die hypothetische Länge des vollständiggestreckten Moleküls und wird auch als Konturlängebezeichnet):

P(r)dr = const · r2 exp(−3r2/2〈r2〉)dr . (12-8)

Hieraus folgt über statistisch-thermodynamische Be-trachtungen, dass eine Polymerkette, deren End-zu-End Vektor auf einem Wert r gehalten wird, eine rück-treibende elastische Kraft f entgegen die Richtungdes End-zu-End Vektors ausübt.

f (r) = −(3kT/〈r2〉)r . (12-9)

Eine Polymerkette verhält sich wie eine Hooke’scheFeder. Die Elastizität hat ihre Ursache darin, dass mandas Molekül bei einer Vergrößerung des End-zu-End-Abstands aus einer wahrscheinlicheren Konformati-on in eine weniger wahrscheinliche bringt. Dadurchverringert sich die Entropie. Man spricht deshalb vonEntropieelastizität. Dies kommt dadurch zum Aus-druck, dass die Federkonstante in erster Näherung zurabsoluten Temperatur proportional ist. Die Entropie-elastizität einzelner Polymerketten wirkt sich makro-skopisch als Kautschuk- bzw. Gummielastizität aus.Als weitere wichtige Größe für die mittlere Ausdeh-nung eines Polymermoleküls wird der Trägheitsra-dius (Gyrationsradius) RG verwendet, der als qua-dratisch gemittelter Abstand aller Kettenatome vomSchwerpunkt des Moleküls definiert ist. Er steht zu〈r2〉 in Beziehung über

R2G = 〈r2〉/6 . (12-10)

RG lässt sich mit Streumethoden (Licht-, Neutronen-streuung) experimentell ermitteln.

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C106 C Chemie

Die mittlere Knäueldichte � ergibt sich als Quotientaus der Molekülmasse einer Polymerkette und demmittleren Volumen des Knäuels. Wenn letzteres als(4π/3) R3

G angenähert wird, ergibt sich:

� = nM0/NA(4π/3)R3G ∼ n−1/2 . (12-11)

Hierin wird unter n wieder der Polymerisationsgradverstanden. Mit zunehmendem Polymerisationsgradsinkt die Knäueldichte auf recht kleine Werte; eineRechnung mit typischen Zahlen ergibt eine Größen-ordnung von etwa 0,01 g/ml, d. h. das Knäuel einertypischen Polymerkette umfasst ein Volumen, das et-wa 100-mal so groß ist wie das Eigenvolumen derMonomereinheiten. Der freie Raum wird im Falle ei-ner verdünnten Polymerlösung von Lösemittelmole-külen eingenommen, im Falle eines reinen Polymersvon den Segmenten anderer Polymermoleküle, d. h.die Moleküle sind stark miteinander verschlauft.

12.3 Konšguration

Ein wesentliches Strukturmerkmal v. a. von Vinyl-polymeren ist die stereochemische Konfiguration.Wegen der Tetraedersymmetrie am C-Atom kannjedes unsymmetrisch substituierte C-Atom in zweiKonfigurationen vorliegen (vgl. 11.2.2):

Die beiden Konfigurationen können nicht durchRotation um Einfachbindungen ineinander überführtwerden. Die sterische Ordnung entlang der Haupt-kette bezeichnet man mit dem Begriff Taktizität.Isotaktische Vinylpolymere sind solche, die alleSubstituenten auf einer Seite tragen, wenn die Haupt-kette in der Zick-Zack-Konformation dargestellt wird.

Bei syndiotaktischen Polymeren sind die Substituen-ten abwechseln vorn und hinten angeordnet.

Beide Formen werden als stereoreguläre Polymerebezeichnet. Demgegenüber spricht man bei einerungeordneten Abfolge von Konfigurationen voneinem ataktischen Polymer.Die Stereoregularität hat eine wichtige Konsequenz:Stereoreguläre Polymere haben einen regelmäßigenMolekülaufbau und können deshalb kristallisieren,ataktische wegen der unregelmäßigen Abfolge derMonomerbausteine hingegen nicht.Die radikalische Polymerisation von Vinylmonome-ren führt in der Regel zu überwiegend ataktischen Po-lymeren. Zum Aufbau stereoregulärer Polymere wer-den die koordinative Polymerisation oder ionischePolymerisationen genutzt.Neben der Taktizität spielen bei einigen Polymerenandere geometrische Isomerien (vgl. 11.2) eine Rol-le. Bei der Polymerisation von Butadien entstehen jenach Katalysator überwiegend

cis-1,4-Polybutadien,

trans-1,4-Polybutadien

oder 1,2–Polybutadien

die sich in ihren Eigenschaften deutlich unterschei-den.

12.4 Kristallisation von Polymeren

Kristallisation setzt die Möglichkeit einer regelmä-ßigen Packung von Einheiten in einem Kristallgitter

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12 Synthetische und natürliche Makromoleküle C107

voraus. Polymere können deshalb nur dann kristal-lisieren, wenn es sich um regelmäßig aufgebaute li-neare Ketten handelt. Stark vernetzte und verzweig-te Polymere, ataktische Polymere und statistische Co-polymere sind in der Regel nicht kristallisierbar; beihinreichend niedrigen Temperaturen bilden diese Po-lymere ein Glas (s. 5.2.4).Beim Abkühlen der Schmelze eines kristallisations-fähigen Polymers kommt es nur zu einer teilweisenKristallisation. Der erreichte Kristallisationsgradhängt stark von der thermischen Vorgeschichte ab,oft lässt sich aber ein Wert in der Größenordnungvon 50% kaum überschreiten (eine Ausnahme istPolyethylen). Das Material liegt dann zweiphasigvor; der andere Teil ist amorph und befindet sich im(im Prinzip) flüssigen Zustand oder im Glaszustand.Die Ursache für die Teilkristallinität liegt in derVerschlaufung der Ketten in der Schmelze und istkinetisch bedingt. Die einzelnen Kristallite sind oftsehr klein, was zu einem breiten Schmelzbereichführt, und sie weisen untereinander eine Korrelati-on auf, die zu überkristallinen Morphologien wieSphäroliten oder Fibrillen führt.

12.5 Biopolymere(natürliche Makromoleküle)

In der belebten Natur spielen Makromoleküle einewichtige Rolle. Die wesentlichen Typen von Biopo-lymeren sind

– Polypeptide und Proteine,

– Polynukleotide und

– Polysaccharide.

12.5.1 Polypeptide und Proteine

Polypeptide oder Proteine lassen sich als Polykon-densate aus α-Aminosäuren auffassen. Dabei wirdder Begriff Polypeptid meist für Makromolekülemit Polymerisationsgraden bis etwa 50–100 verwen-det, während als Proteine höhermolekulare Stoffebezeichnet werden, manchmal auch Aggregate ausmehreren solchen Makromolekülen. Die Abgrenzungist nicht scharf.Natürlich vorkommende Proteine sind Copolymereaus etwa 20 verschiedenen Aminosäuren (s. 11.4.6).

Ihre Primärstruktur lässt sich wie folgt darstel-len:

Im Gegensatz zu synthetische Polymeren, die i. Allg.eine statistische Abfolge der unterschiedlichen Mo-nomerbausteine aufweisen, kommt es bei Proteinenauf die exakte Abfolge (Sequenz) der einzelnenAminosäurereste an. Diese bestimmt die Struktur desProteins und ist wesentlich für dessen Funktion.Die räumliche Gestalt eines Proteins (die Art der Fal-tung; Sekundärstruktur) wird wesentlich durch intra-oder intermolekulare Wechselwirkungen, insbes.Wasserstoffbrückenbindungen, bestimmt. Die Carbo-namidgruppierung kann zu anderen solchen GruppenH-Brücken ausbilden, es ist aber auch möglich, dassdie Funktionalitäten der Seitenketten daran beteiligtsind. Hydrophobe Wechselwirkungen spielen beiAminosäuresequenzen mit aliphatischen Seitenketteneine Rolle. Darüber hinaus kann es durch Cystein-Cystin Umwandlung zu kovalenten Verknüpfungen(Disulfidbrücken) kommen. Im Cystin sind zweiCysteinmoleküle unter Wasserstoffabspaltung amSchwefel verbrückt.Die C–N-Bindung in der Carbonamidgruppe trägtwegen der Mesomerie:

partiellen Doppelbindungscharakter und weist keinefreie Drehbarkeit auf. Alle Atome der Einheit liegendeshalb in einer Ebene, Drehbarkeit in der Hauptketteist nur um die Bindungen am α-C-Atom gegeben:

Proteine fallen grob in zwei Gruppen, die Faser- oderSkleroproteine einerseits und die globulären Proteineandererseits.

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C108 C Chemie

FaserproteineDie i. Allg. unlöslichen Faserproteine finden sich alsStütz- und Gerüstmaterial in Haaren, Haut, Nägelnund Krallen, Vogelfedern, Muskeln und Sehnen. Siehaben von Natur aus eine Faserstruktur, bei der Poly-peptidketten zu Strängen vereint und ggf. umeinandergewunden sind.In der β-Faltblattstruktur liegen mehrere Polypeptid-ketten so parallel oder antiparallel zueinander, dass je-weils intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungenzwischen benachbarten Carbonamidgruppen ausge-bildet werden. Das Kettenrückgrat ist dabei leichtgefaltet, um dem Platzbedarf der Aminosäurerestezu genügen. Die Seitenketten der Aminosäuren ra-gen dabei abwechselnd nach beiden Seiten senkrechtvon der Faltblatt-Ebene. Die β-Faltblattstruktur findetman gut ausgebildet bei natürlicher Seide.In der α-Helix werden die Wasserstoffbrückenbin-dungen intramolekular ausgebildet. Die Polypeptid-kette ist dazu in Form einer Helix gewunden, bei derdie Seitengruppen nach außen weisen und bei derWasserstoffbrückenbindungen zwischen der 1. und 5.,2. und 6., 3. und 7., etc., Aminosäure auftreten. Meh-rere solcher Helices werden zu Fibrillen umeinan-der gewunden.α-Helix-Strukturen findet man z. B. imKeratin und in den globulären Proteinen.

Globuläre ProteineGlobuläre Proteine existieren als kompakte, mehroder weniger sphärische Gebilde aus einer oder weni-gen Polypeptidketten, in die ggf. andere funktionaleStruktureinheiten eingelagert sind. Beispiele sind En-zyme, Hämoglobin, Myoglobin. Die Polypeptidketteist dazu in bestimmter Weise gefaltet und wird durchDisulfidbindungen und Nebenvalenzkräfte in dieserLage gehalten. Abschnittsweise spielen α-Helixund β-Faltblattstruktur als Ordnungsprinzipien eineRolle.

12.5.2 Polynucleotide

Polynucleotide, auch Nucleinsäuren genannt, setzensich aus über Phosphorsäure esterartig verknüpftenZuckerbausteinen zusammen, die an jedem Zucker ei-ne Pyrimidin- oder Purinbase tragen.Es gibt zwei Sorten von Polynucleotiden: Ribo-nucleinsäuren (RNA) enthalten als Zucker dieRibose, Desoxyribonukleinsäuren (DNA) enthalten

2-Desoxyribose.

Die Einheit aus Base und Zucker heißt Nucleosid, dieEinheit aus Base, Zucker und Phosphorsäure Nucleo-tid. Die DNA kommt u. a. im Zellkern vor und ist dortin Chromosomen angeordnet. Sie ist das genetischeMaterial, das die Information für die Synthese derProteine von einer Generation auf die nächste weiter-gibt. Ein Gen ist ein Abschnitt der DNA,der die dafürnotwendige Information beinhaltet. Viren besitzen ca.50 Gene, Bakterien in der Größenordnung von 1000,höhere Säugetiere 50 000. Die RNA überträgt dieInformation und ist bei der Biosynthese der Proteinedirekt beteiligt.Die Hauptkette beider Polynucleo-tide ist streng alternierend aus den entsprechendenZucker- und Phosphorsäureeinheiten aufgebaut. Diedarauf gespeicherte Information liegt in der Sequenzder verschiedenen Basen. Dabei handelt es sich umfünf organische Stickstoffbasen: Adenin (A) undGuanin (G) sind Derivate der Grundstruktur Purin;Cytosin (C), Thymin (T) und Uracil (U) leiten sichvon Pyrimidin ab (T kommt in DNA vor, U in RNA.).Eine Sequenz aus drei Basen codiert eine Aminosäurebei der Proteinsynthese (genetischer Code).

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12 Synthetische und natürliche Makromoleküle C109

Native DNA-Moleküle weisen einen außerordentlichhohen Polymerisationsgrad auf, die Molmassen kön-nen in der Größenordnung 109–1012 g/mol liegen.Zwei solcher Moleküle bilden eine Doppelhelix, beider die Basen zum Zentrum zeigen und jeweils zweiBasen miteinander mehrere Wasserstoffbrückenbin-dungen ausbilden. Dies ist nur für die Paarungen A-T(bzw. A-U) und C-G möglich. Auf Grund dieser Ba-senpaarung legt die Sequenz in einem DNA-Moleküldie Sequenz im komplementären Molekül vollständigfest. Die Wasserstoffbrückenbindungen halten diebeiden Stränge der Doppelhelix zusammen undstabilisieren sie (s. Bild 12-2). Für ein menschlichesGen sind ca. 70 000 Basenpaare erforderlich.Die Analyse der Reihenfolge der Bausteine der DNA(Sequenzanalyse) geschieht heute weitgehend auto-matisiert. Dabei wird die DNA normalerweise durchEnzyme in kürzere Bruchstücke geschnitten, dievervielfältigt, gelelektrophoretisch aufgetrennt undschließlich spektroskopisch und mit Unterstützungbioinformatischer Methoden analysiert werden. Beider Teilung von Zellen wird die DNA als Ganzeskopiert. Im Labor dient die sogenannte polymerase-chain-reaction (PCR) zur Vervielfältigung der DNA.Dabei können durch enzymatische Katalyse große

Bild 12-2. Struktur der Basenpaare in einem Ausschnitt der DNA-Doppelhelix

Mengen identischen Materials hergestellt werden.Auf diese Weise erfolgen Identitätsbestimmungen inder forensischen Medizin.

12.5.3 PolysaccharideSaccharid ist ein anderes Wort für Zucker. Manbezeichnet solche Verbindungen auch als Kohlen-hydrate, weil sie die Summenformel Cx(H2O)y

aufweisen, wobei x und y ganze Zahlen sind. Ausdieser Summenformel leitet sich der BegriffKohlenhydrat für Hydrat des Kohlenstoffs ab.Einfache Zucker, sog. Monosaccharide, haben dieZusammensetzung (CH2O)n mit 3 ≤ n ≤ 6. DieRibose mit n = 5 (eine Pentose) ist der Zucker, der in der RNA auftritt. Desoxyribose ist einDerivat davon und findet sich in der DNA.Der am weitesten verbreitete Zucker ist die Gluco-se, eine Hexose mit n = 6 und der SummenformelC6H12O6; die Strukturformel ist aus Bild 12-3 ersicht-lich. Von der Glucose leiten sich die beiden wichtigs-ten Polysaccharide ab: Cellulose und Stärke.Cellulose ist das am weitesten verbreitete natürlichePolymer. Sie bildet das strukturelle Gerüst von Holz(s. D 5.1.1) und findet sich in der Zellwand fast allerPflanzen. In nahezu reiner Form kommt sie in Baum-

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C110 C Chemie

Bild 12-3. Struktur der Cellulose. Die Glucoseringe sind β-1,4-glykosidisch verknüpft

Bild 12-4. Struktur der Stärke; Stärke besteht aus Amylose (ca. 25%), die vom (verzweigten) Amylopektin umhüllt wird.Die Glucoseringe sind α-1,4-glykosidisch (im Amylopektin auch α-1,6-glykosidisch) verknüpft

wolle vor. Die globale biologische Produktion vonCellulose beträgt etwa 1011 t/Jahr.

Cellulose ist ein unverzweigtes β-1,4-Polymerder Glucose mit Polymerisationsgraden in der

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Literatur C111

Größenordnung 500–5000. Intramolekulare Was-serstoffbrückenbindungen sorgen dafür, dass keinefreie Drehbarkeit um die glykosidischen Bindungenbesteht; glykosidische Bedingungen sind Etherbin-dungen (vgl. 11-5). Cellulose ist deshalb ein rechtsteifes, bändchenförmiges Molekül. Cellulose isthoch kristallin, wobei intermolekulare Wasserstoff-brückenbindungen ausgebildet werden. Aufgrundder starken intermolekularen Wechselwirkungen istCellulose wasserunlöslich.Stärke ist ebenfalls aus Glukose-Einheiten aufgebaut,allerdings erfolgt die Verknüpfung hier im Gegen-satz zur Cellulose über eine α-glykosidische Bindung.Stärke besteht zu ca. 25% aus Amylose, die vomAmylopektin umhüllt wird. Amylopektin enthält au-ßer den α-1,4- auch α-1,6-glykosidische Bindungen,die eine verzweigte Struktur ermöglichen, sowie ge-ringe Anteile von Phosphatgruppen. Das Amylopek-tin ist für die Quellfähigkeit der Stärke in Wasser ver-antwortlich.

Formelzeichen der Chemie

a, b van-der-Waals’sche Konstantenb Molalität

cB Konzentration des Stoffes BcS Sättigungskonzentration

Cp, CV Wärmekapazität bei konstantem

Druck bzw. Volumene Elementarladung

E EnergieEA Aktivierungsenergie

EG Gitterenergie

EI IonisierungsenergieF Faraday-Konstante

G Freie Enthalpie

ΔrG Freie ReaktionsenthalpieΔrG0 Freie Standardreaktionsenthalpie

H EnthalpieHm = H/n molare Enthalpie

ΔrH molare Reaktionsenthalpie

ΔrH0 molare StandardreaktionsenthalpieΔBHm molare Bildungsenthalpie

ΔBH0m molare Standardbildungsenthalpie

k Reaktionsgeschwindigkeitskonstante

KB, KS Dissoziationskonstanten von Basenbzw. Säuren

Kc, Kp, Kx GleichgewichtskonstantenKW Ionenprodukt des WassersL LöslichkeitsproduktMB molare Masse des Stoffes Bn StoffmengeN TeilchenzahlNA Avogadro-Konstantep Druck; ImpulsQ Wärmer ReaktionsgeschwindigkeitR universelle GaskonstanteRG GyrationsradiusS EntropieΔrS Reaktionsentropiet ZeitT (thermodynamische) TemperaturT1/2 HalbwertszeitU innere EnergieΔrU ReaktionsenergieV VolumenwB Massenanteil des Stoffes BxB Stoffmengenanteil des Stoffes Bz Ladungszahl von IonenμB chemisches Potenzial des Stoffes Bμ0

B chemisches Standardpotenzialdes Stoffes B

νB Stöchiometrische Zahl des Stoffes Bin einer Reaktion

ξ Umsatzvariableπ osmotischer Druck� Dichte�B Massenkonzentration des Stoffes Bχ Elektronegativität

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