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hunger 3 Es ist eine erschütternde Zahl: 2009 sind rund zehn Millionen Menschen den Hunger- tod gestorben. Hinter jeder einzelnen Ziffer verbirgt sich ein Schicksal. Dabei geht es keinesfalls nur um die unmittelbar von Dürre oder anderen Naturkatastrophen Be- troffenen, nicht immer um die Menschen mit den hohlen Gesichtern und den aufge- triebenen Bäuchen. Oft sind es die Menschen, denen man den Hunger nicht ansieht, die nach einem anstrengenden Arbeitstag hungrig ins Bett gehen; diejenigen, die morgens nicht wissen, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen und an Krankheiten und Deformationen aufgrund von Mangelernährung leiden. Wer ahnt hierzulande schon, dass afrikanische Stämme kein Trinkwasser mehr haben, weil damit ganze Plantagen mit Rosen für den europäischen Markt bewässert wer- den? Oder dass die Meeresfrüchte auf unserem Teller mauretanischen Fischern weg- gefischt wurden und sie deshalb gezwungen sind, als Schlepper zu arbeiten? Dass große Konzerne in Indien Bauern erst teures Saatgut aufdrängen, das sich dann – trotz anderweitiger Versprechen – als nicht schädlingsresistent erweist und so ganze Land- striche in den Ruin treibt? Es sind oft unscheinbare Geschichten, die am besten die großen Zusammenhänge auf- zeigen; unspektakulär erscheinende Einzelfälle, hinter denen umstrittene globale Ent- wicklungen stehen. Dem SWR war das Thema »Hunger« so wichtig, dass er ihm einen 90-minütigen Dokumentarfilm gewidmet hat – unser Beitrag zur ARD-Themenwoche 2010 »Essen ist Leben«. Ich freue mich sehr, dass wir die renommierten Autoren Mar- cus Vetter und Karin Steinberger dafür gewinnen konnten. Der Film bleibt nicht bei den schrecklichen Bildern hungernder Kinder stehen. Er beleuchtet die Ursachen des Hun- gers, wie er sich auswirkt, und wie jeder einzelne von uns mit seinem Konsumverhalten das Schicksal von Menschen auf anderen Erdteilen mit beeinflussen kann. »Hunger« zeigt auf, weshalb viele Konzepte der Entwicklungshilfe nicht funktionieren, aber er porträtiert auch Menschen, die jeden Tag an Lösungen arbeiten und sich den Proble- men mutig stellen. Ich würde mich freuen, wenn »Hunger« zum Nachdenken anregt und in Zeiten von Überfluss und Wellness neue Diskussionen entfacht. Bernhard Nellessen, SWR-Fernsehdirektor Hunger Vorwort von Bernhard Nellessen, SWR-Fernsehdirektor

Hunger · Es ist eine erschütternde Zahl: ... die jeden Tag an Lösungen arbeiten und sich den Proble- ... um auf überfüllten Fischerbooten in eine Welt überzu-setzen,

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Es ist eine erschütternde Zahl: 2009 sind rund zehn Millionen Menschen den Hunger-

tod gestorben. Hinter jeder einzelnen Ziffer verbirgt sich ein Schicksal. Dabei geht es

keinesfalls nur um die unmittelbar von Dürre oder anderen Naturkatastrophen Be-

troffenen, nicht immer um die Menschen mit den hohlen Gesichtern und den aufge-

triebenen Bäuchen. Oft sind es die Menschen, denen man den Hunger nicht ansieht,

die nach einem anstrengenden Arbeitstag hungrig ins Bett gehen; diejenigen, die

morgens nicht wissen, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen und an Krankheiten

und Deformationen aufgrund von Mangelernährung leiden.

Wer ahnt hierzulande schon, dass afrikanische Stämme kein Trinkwasser mehr haben,

weil damit ganze Plantagen mit Rosen für den europäischen Markt bewässert wer-

den? Oder dass die Meeresfrüchte auf unserem Teller mauretanischen Fischern weg-

gefischt wurden und sie deshalb gezwungen sind, als Schlepper zu arbeiten? Dass

große Konzerne in Indien Bauern erst teures Saatgut aufdrängen, das sich dann – trotz

anderweitiger Versprechen – als nicht schädlingsresistent erweist und so ganze Land-

striche in den Ruin treibt?

Es sind oft unscheinbare Geschichten, die am besten die großen Zusammenhänge auf-

zeigen; unspektakulär erscheinende Einzelfälle, hinter denen umstrittene globale Ent-

wicklungen stehen. Dem SWR war das Thema »Hunger« so wichtig, dass er ihm einen

90-minütigen Dokumentarfilm gewidmet hat – unser Beitrag zur ARD-Themenwoche

2010 »Essen ist Leben«. Ich freue mich sehr, dass wir die renommierten Autoren Mar-

cus Vetter und Karin Steinberger dafür gewinnen konnten. Der Film bleibt nicht bei den

schrecklichen Bildern hungernder Kinder stehen. Er beleuchtet die Ursachen des Hun-

gers, wie er sich auswirkt, und wie jeder einzelne von uns mit seinem Konsumverhalten

das Schicksal von Menschen auf anderen Erdteilen mit beeinflussen kann. »Hunger«

zeigt auf, weshalb viele Konzepte der Entwicklungshilfe nicht funktionieren, aber er

porträtiert auch Menschen, die jeden Tag an Lösungen arbeiten und sich den Proble-

men mutig stellen. Ich würde mich freuen, wenn »Hunger« zum Nachdenken anregt

und in Zeiten von Überfluss und Wellness neue Diskussionen entfacht.

Bernhard Nellessen, SWR-Fernsehdirektor

HungerVorwort von Bernhard Nellessen, SWR-Fernsehdirektor

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InhaltVorwort 3

FünfLänder–FünfHintergründeMauretanienIKeniaIIndienIBrasilienIHaiti 6

Sendetermine 7

Mauretanien 8

Kenia 10

Indien 12

Brasilien 14

Haiti 16

EinErfahrungsberichtvonKarinSteinberger 18

Biografien

MarcusVetter 20

KarinSteinberger 21

ThomasMauch 22

Dr.SumanSahai 23

Hunger–Online-Special 25

Presseservice 26

Filmteam in Schlachterkleidung

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Inhalt

Man kennt das Bild mittlerweile. Ein Boot voller Men-

schen am Touristenstrand auf Gran Canaria. Sie schlep-

pen sich durch den Sand, halb verhungert, bleiben einfach

liegen und schauen auf die unter Sonnenschirmen lie-

genden Touristen. Sie sind Boten eines explosionsartigen

Bevölkerungswachstums, das zu 95 Prozent in den Ent-

wicklungsländern stattfindet. Sie zahlen ein Vermögen,

um auf überfüllten Fischerbooten in eine Welt überzu-

setzen, die sie nicht kennen, aber von der sie wunderbare

Dinge gehört haben. Unvorstellbaren Reichtum glauben

sie dort zu finden, und Glück. Was aber treibt Menschen

dazu, ihre Familien und ihre Heimat zurückzulassen und

ihr Leben für eine ungewisse Zukunft zu riskieren?

FünfLänder–FünfHintergründe

Warum ist die Bekämpfung von Hunger so schwierig?

Fakt ist: Es werden zehn Prozent mehr Lebensmittel

produziert als man benötigt, um alle Menschen satt zu

bekommen. Marcus Vetter und Karin Steinberger sind

in fünf Ländern auf Spurensuche gewesen: Was sind die

Gründe für Hunger?

Mauretanien86 Millionen Euro zahlt die EU dem westafrikanischen

Land, damit mächtige EU-Fangflotten die artenreichen

Gewässer vor Mauretanien abfischen dürfen. So effi-

zient wird das Meer ausgeräumt, dass die Fischernetze

der Mauretanier oft leer bleiben. Weil sie vom Meer nicht

mehr leben können, verkaufen viele ihre Boote an Men-

schenhändler. So wurde aus der Fischerstadt Nouadhi-

bou in den letzten Jahren eine Flüchtlingsstadt. Hier geht

sie für Tausende los, die Reise ins vermeintliche Paradies

– oder in den Tod.

tigsten klimatischen Lungen dieser Welt. 20 Prozent des

Amazonas sind bereits gefällt. Immer weiter frisst sich

die Gier in den Regenwald, Aktivisten und Kleinbauern

sind Freiwild. Alles nur, damit die Erste Welt mit Fleisch

versorgt werden kann, und mit Soja, das zu großen Teilen

zu Viehfutter wird.

HaitiDem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre wurden

blühende Landschaften versprochen, wenn der Agrar-

staat der internationalen Freihandelszone beitritt. Mit

der Öffnung des Marktes fielen jedoch die Preise für Roh-

stoffe so stark, dass Importprodukte billiger wurden als

die Erzeugnisse der Einheimischen – so wurde den Bau-

ern jegliche Existenzgrundlage entzogen. Dazu kommt

eine korrupte Regierung und eine Natur, die kein Erbar-

men kennt. Das Erdbeben im vergangenen Jahr hat die

zuvor schon dramatische Situation weiter verschärft.

Der 90-minütige Dokumentarfilm »Hunger« erzählt, wie

Menschen, Gruppen und Organisationen darum ringen,

eine der schlimmsten sozialen, politischen und ökonomi-

schen Probleme unserer Tage zu lösen: den Hunger in der

Welt. In fünf Ländern stellen Marcus Vetter (SWR) und Karin

Steinberger (SZ) die Frage, wie Menschen mit dem Hunger

leben, und warum so viele Konzepte der Entwicklungspoli-

tik versagt haben. Von Haiti, wo die mittellosen Bauern mit

den Zauberworten Freihandelspolitik und Strukturan-

passung gelockt wurden, bis nach Kenia, wo ganze Land-

Über den Filmstriche seit Jahren von Lebensmittelhilfe abhängig sind.

Marcus Vetter und Karin Steinberger suchen nach An-

sätzen, wie sich die Entwicklungsländer aus der Um-

klammerung der Ersten – der reichen Welt – lösen können.

Marcus Vetter (Buch und Regie) hat für seine Dokumen-

tationen bereits zahlreiche Preise (u. a. Deutscher Film-

preis, Grimmepreis) erhalten. Karin Steinberger (Autorin)

ist Redakteurin der Süddeutschen Zeitung und wurde für

ihre Reportagen mehrfach ausgezeichnet, darunter mit

dem Medienpreis für Menschenrechte.

Sendetermine

Der Film wird im Rahmen der ARD-Themenwoche »Essen

ist Leben«, einem Programmschwerpunkt in Hörfunk,

Fernsehen und Internet der ARD, am 25. Oktober um 22.45

Uhr im Ersten gezeigt. Die ARD-Themenwoche läuft vom

23. bis 29. Oktober und umfasst ein breites Spektrum,

darunter gesunde Ernährung, Übergewicht bei Kindern,

fairer Handel, Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz.

Um dem herausragenden Dokumentarfilm von Karin

Steinberger und Marcus Vetter einen weiteren Prime-

timeplatz zu bieten, strahlt PHOENIX den Film am

Dienstag, den 26. Oktober um 20.45 Uhr aus. Anschlie-

ßend wird die PHOENIX-Runde unter dem Thema »Hun-

ger – Sind wir schuld?« das Thema diskutieren.

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Die vier mal 15-minütige Sendereihe »Hunger« auf

Planet Schule zeigt anhand von Filmmaterial aus

dem Dokumentarfilm Fehlentwicklungen auf und

macht den Schülern deutlich, wie weit die Weltbevöl-

kerung von der Erreichung der Milleniumsziele der Ver-

einten Nationen noch entfernt ist. So bietet sie eine

Grundlage für Analyse und Bewertung im Unterricht.

˘ 5. November 2010, 7.30 Uhr: Kenia: Der Kampf ums

Wasser ˘ 5. November 2010, 7.45 Uhr: Indien: Sack-

gasse Gen-Technologie ˘ 12. November 2010, 7.30 Uhr:

Brasilien: Ausverkauf im Regenwald ˘ 12. November

2010, 7.45 Uhr: Haiti: Dem Weltmarkt ausgeliefert

27. Oktober, 20.15 Uhr

KeniaIm Norden von Kenia lebt das Volk der Turkana. Jahrhun-

dertelang haben sie in dieser kargen Region als Viehhir-

ten gelebt. Seit Jahren wird ihr Land immer öfter von

Dürren überzogen, ihre Herden werden dahingerafft.

Die Menschen werden mit Lebensmittelhilfe versorgt,

Hilfe, die sie zu Bittstellern degradiert. Wenig daran ist

nachhaltig, vieles sinnlos. Den Massai im Süden des

Landes geht es nicht viel besser. Dort wird das Wasser

des Kilimandscharo in einer Pipeline nach Nairobi ge-

schleust, an den Massai vorbei. Am Ende der Pipeline

liegt eine Blumenfarm, in der Rosen für die Erste Welt

produziert werden.

IndienSeit Jahren kämpft Suman Sahai gegen die Macht der

Lebensmittelkonzerne. Sie bringt indischen Bauern

bei, dass der Samen ihnen gehört, nicht Firmen wie

Monsanto. Sie richtet in Dörfern Samenbanken ein, in

denen der einheimische Samen erhalten wird. Weiter

südlich sind die einheimischen Samen der Baumwolle

fast verschwunden. Es gibt nur noch genmanipuliertes

Saatgut. Doch keiner erklärt den Menschen den richti-

gen Umgang damit. Die Kleinbauern verschulden sich,

weil das teure, empfindliche Saatgut auf ihren Feldern

vertrocknet, weil sie viel zu viel Dünger benutzen, weil

sie jedes Jahr neuen Samen kaufen müssen. Tausende

haben sich in den letzten Jahren wegen Überschuldung

umgebracht.

BrasilienHolzfirmen, Kleinbauern, Rinderzüchter, Sojafarmer:

Das ist der Lauf der Zerstörung im Amazonas. Menschen

verdienen viel Geld mit der Vernichtung einer der wich-

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MauretanienDiese Geschichte fängt dort an, wo sie eigentlich aufhört. Bei denen, die vor dem Hunger fliehen. In Mau-

retanien, Nouadhibou, im Norden des Landes. Manche sagen, Nouadhibou ist die südlichste Stadt Spa-

niens. Manche sagen, Nouadhibou ist das Tor nach Europa. Für viele ist sie nur das Tor in den Tod. Auch

Modou Lô Diop kennt die Geschichten von den Toten, die über Bord geworfen werden, er hat gehört von

den Stürmen auf der Überfahrt und den Friedhöfen voller toter Flüchtlinge in Marokko. Doch für ihn sind

das alles Lügen, die ihn davon abhalten sollen, nach Europa zu gehen. Nicht deswegen ist er noch hier,

sondern weil die Überfahrt viel Geld kostet. 900 Euro und mehr, die Menschenhändler sind gierig.

Und so wartet Modou Lô Diop nun schon seit Monaten in Nouadhibou. Die ganze Stadt ist voller jun-

ger Männer von überall her, aus dem Senegal, aus Mali, aus Guinea, von der Elfenbeinküste, manche

sind seit Jahren unterwegs. Modou Lô Diop hat seine Eltern, seine Frau und seine Kinder im Senegal

zurückgelassen, weil es dort nichts gibt. Es ist ja nicht nur der Hunger auf Nahrung, der sie hierher

treibt. Es ist auch der Hunger auf eine Chance, auf ein Leben. Und so sitzt er in den dunklen Nächten

auf der Straße und verkauft seinen duftenden Kaffee an die Fischer, die in ihren sperrigen Anzügen

zum Hafen gehen. Aber die Geschäfte laufen nicht gut. Nicht für Modou Lô Diop und nicht für die

Fischer. Das Meer ist unruhig, der Welthandel auch. Und draußen sind die Fremden unterwegs mit

Schiffen, groß wie Fabriken.

Dass vor Mauretanien viel Fisch ist, haben auch die Europäer gemerkt, die seit Jahren ihre eigenen

Gewässer leer fischen. Für 86 Millionen Euro hat Europa Mauretanien die Fischereirechte abgekauft.

Die kleinen Fischer können sich noch erinnern an die Zeiten, als das Meer sie ernähren konnte. Aber

jetzt ist alles anders. Jetzt kommen die Fischer oft zurück ohne Fisch. Und sehen die ganze Zeit Schif-

fe wie die »Kristina«: Isländische Besatzung, belgische Flagge. Sie fangen an einem Tag so viel wie

ein kleiner Fischer in Jahren nicht. Sie fangen an einem Tag so viel wie ein kleiner Fischer in Jahren

nicht.

Tausende Tonnen Proteine, riesige Fangmengen für Europa, gefischt von Ausländern – und an Land

hungern die Menschen und verstehen das Meer nicht mehr. So ist das in Nouadhibou, Mauretanien.

Nur eines verstehen sie: Man kann mittlerweile nicht mehr leben vom Fisch, aber man kann davon

leben, wenn man Menschen nach Europa bringt.

NouadhibouFisch für den afrikanischen Markt

Fischmarkt in Nouadhibou

Fischer in Mauretanien

Modou Lô Diop, Kaffeeverkäufer aus dem Senegal

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KeniaDie junge Frau sitzt vor ihrer Hütte und erzählt, wie das ist mit dem Hunger. Und dann fragt sie, ob es

stimmt, dass es in Europa Länder gibt, in denen die Menschen immerzu nur essen, am Morgen und

am Mittag und am Abend. Und dass sie danach noch eine Tasse Tee trinken? Dann geht sie los, weil

dies der Tag ist, an dem das Essen nach Digboi kommt. Hier oben im Norden, wo Kenia so anders ist

als das, was die Touristen von diesem Land kennen, hilft die Erste Welt. Regelmäßig, zuverlässig und

erstaunlich pünktlich treffen die Laster in dem kleinen Dorf Digboi ein, vollgestopft mit Nahrungs-

mitteln. Wenn sie ankommen, warten die Menschen schon, brav in der Schlange, wie jedesmal.

Seit Jahren läuft das so. In Digboi wissen sie gar nicht mehr, wie das ist, ein Leben, in dem das Essen

nicht vom Lastwagen kommt. Es wurde ja immer schlimmer. Früher konnten sie hier gut leben, die

Menschen vom Volk der Turkana hatten Vieh, aßen Fleisch, tranken Milch und Blut. Alle zehn Jahre

kam eine Dürre, es brauchte seine Zeit, dann war alles wieder wie davor.

Aber dann kam die große Dürre, in den achtziger Jahren. Seitdem spielt die Natur verrückt. Peter Ekai

Lokoel weiß noch, wie erst das Vieh starb, dann die Menschen. Plötzlich waren sie Hirten ohne Rinder,

Menschen ohne Ansehen. Seitdem sind sie gefangen in dem, was Wissenschaftler Teufelskreis der Ar-

mut nennen: mangelnde Ernährung, schlechte Gesundheit, geringe Leistungsfähigkeit, keine Arbeit,

geringe Steuereinnahmen, schlechtes Bildungssystem, mangelnde Bildung, geringe Produktivität.

Am Ende ist immer nur Hunger.

Wenn ein Mann vom Stamm der Turkana keine Tiere hat, ist es, als hätte man ihm das Leben genom-

men. Sie sind trotzdem geblieben in diesem Land, das keinen mehr leben lässt. Und das doch immer

voller wird, weil die internationale Hilfsmaschinerie sie versorgt. Was würden sie sonst auch tun an

diesem Ort, an den man sie damals gekarrt hat? Zum Turkana-See, hin zum Fisch. Die Frauen haben

gelernt, geduldig zu warten. Auf die Fischer am See, die ihnen manchmal einen Nilbarsch zuwerfen.

Und auf die Lieferungen der Entwicklungshelfer, meist Essen.

500 Kilometer weiter südlich, im Land der Massai, hat Meitamei Ole Dapash, Direktor der Maasai En-

vironmental Resource Coalition, ganz andere Probleme. Die Massai haben Rechnungen bekommen

für Wasser, das ihre Tiere getrunken haben sollen. Rechnungen, die kein Mensch hier bezahlen kann.

So ist das, seitdem Wasser ein Wirtschaftsfaktor ist. Es rauscht jetzt an ihnen vorbei, unterirdisch und

unerreichbar, in einer Pipeline, die es direkt vom Kilimandscharo in die Stadt transportiert. Der Fluss,

den der Berg einst speiste, ist fast verschwunden. Der Berg sei wohl wütend, sagen die alten Frauen.

Meiatmei Ole Dapash sagt, sie sollten lieber selber wütend sein.

Er hat sich auf den Weg gemacht, immer der Pipeline entlang, vom Berg bis in die Stadt. Weil er

wissen will, wem es jetzt gehört, das Wasser, das immer auch ihres war. Kurz vor Nairobi steht Vijay

Kumar inmitten seiner Blumen. Bei 30 Grad wachsen hier Rosen für Europa, exportfähig, stabil, ge-

drillt zur Höchstleistung. Vijay ist Direktor der Blumenfarm, er ist der, der das Wasser bekommen soll.

Eigentlich. Noch sei nichts gekommen. Und vom Himmel komme auch immer weniger, sagt er und

streichelt seine Rosen. Der Markt ist gnadenlos. Erst ist Valentinstag, dann Muttertag und immer will

die Welt Rosen. Und die Rosen wollen Wasser.

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Fischer auf dem Turkana-See

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Junger Massai

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Dr. Suman Sahai besucht Bauern in Jharkhand

Indische Bäuerin

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IndienSuman Sahai sitzt in ihrem cremefarbenen Ambassador und lächelt. Vor dem Autofenster rauschen

Reisfelder vorbei. Schönes Jharkhand, Wiege des Reises. Es ist kein Zufall, dass die habilitierte Human-

genetikerin mit ihrer »Gene Campaign« gerade hier aktiv ist. Auch sie will das Ernährungsproblem

der Welt lösen – nur anders. Seit Jahren versucht sie nun schon, die Menschen davon zu überzeugen,

dass die Bauern Indiens über die Jahrtausende das beste Saatgut gezüchtet haben. Wo es viele Fluten

gab, gab es flutresistente Sorten, in Dürreregionen dürreresistente. All das, was die Genmanipulato-

ren jetzt erschaffen wollen, gebe es schon. Man müsse nur das alte Wissen bewahren. Warum also

alte Reissorten durch Hochertragssorten internationaler Konzerne ersetzen? Das führe doch nur zu

gefährlichen Abhängigkeiten.

Im Dorf Bhandra steigt sie aus. An den Wänden der Hütten stehen die Slogans der »Gene Campaign«:

»Der einzige Besitzer von Saatgut ist der Bauer.« Suman Sahai geht hinein in einen dunklen Raum,

keine Elektrizität, nur Regale voller Gläser, gefüllt mit Reis. Bishnu Bhagat ist zuständig für diese Glä-

ser. Er sagt, jeder im Dorf, der Saat brauche, könne sie sich hier holen, er müsse nur nach der Ernte

etwas zurückgeben. Das ist das Prinzip. Keine Bezahlung, keine Schulden. So ist das in Jharkhand.

Es sind kleine Bauern – aber letztlich, sagt Suman Sahai, sind sie es, die das große Indien ernähren.

Kishor Tiwari sieht das so ähnlich. Er ist Aktivist, kein Wissenschaftler, er ist jemand, der handelt.

Wenn eine Witwe in seinem Büro sitzt, verweint, weil sich ihr Mann mit Pestizid umgebracht hat,

drückt er ihr Geld in die Hand. Das ist seine Art, die Welt zu retten. Tiwari lebt in Vidarbha, im Baum-

wollgürtel Indiens, dort, wo sich viele Bauern das Leben nehmen. So viele, dass die Leute sagen, das

Einzige, was hier noch boome, sei die Beerdigungsindustrie. Vom »GM Genozid« schrieben die Zei-

tungen und von der Killersaat, von Menschen, die eingesperrt seien im Käfig der Weltwirtschaft, von

internationalen Konzernen missbraucht, von Geldleihern ausgesaugt und von der Politik vergessen.

Tiwari hat die Welt aufmerksam gemacht auf das, was hier passiert. Es geht trotzdem weiter.

Das »weiße Gold« nannten sie hier früher die Baumwolle. Doch jetzt bringt die Baumwolle immer öf-

ter den Tod. Denn es gebe nur noch das teure, amerikanische Gensaatgut und die dazugehörigen teu-

ren Pestizide und Düngemittel. Sie seien Sklaven von Monsanto, sagen die Bauern. Und dann kaufen

sie doch Gensaatgut, weil es eine Wundersaat sein soll und weil man damit doppelt so viel verdienen

soll. So sagen die, die sie verkaufen.

Alles eine große Lüge, sagt Tiwari. Er sieht die Leichen von denen, die diesen Versprechungen gefolgt

sind und die das traditionelle Saatgut eingetauscht haben gegen das Gensaatgut. Aber keiner erklärt

den Bauern, wie man mit dem neuen, hochempfindlichen Saatgut umgehen muss. Und so vernich-

ten die Würmer auch die Gensaat, und bei Dürre vertrocknet die Wundersaat noch viel schneller. Nur

die reichen Bauern mit ihren Bewässerungsanlagen machen damit Geld. Der kleine Bauer aber habe

nur höhere Schulden. Tödlich hohe Schulden.

Schulspeisung

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Kleinbauer Francisco de Lima

Getreidesilos

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Schlachthof in Brasilien

BrasilienAndré Muggiatti sieht auf den ersten Blick nicht aus wie ein Kämpfer. Er kennt die Gefahren der

Monokulturen und die Probleme der gigantischen Rinderfarmen im Amazonas. Und er kennt die Be-

deutung des Regenwaldes für das Weltklima. Denn dass es nicht gut ausgeht, wenn der Mensch die

Natur gnadenlos zerstört, ist für einen wie ihn eine Binsenwahrheit. Gemeinsam mit Sergio da Silva

fährt er die BR-163 entlang. Wer von Cuiaba im Süden Richtung Santarem im Norden fährt, wird

oben, am Ende, eine andere Sicht der Dinge haben. Es ist, als würde man die Entwicklung rückwärts

im Zeitraffer durchlaufen. Erst kommen die Holzfirmen und holen sich die Edelhölzer, die viel Geld

einbringen, heraus, der Rest wird niedergewalzt und abgebrannt. Dann kommen die Kleinbauern, die

der Hunger treibt. Dann kommen die Rinderzüchter, von denen einige von sich behaupten können,

die größten individuellen Zerstörer des Regenwaldes zu sein. Und dann, ganz am Schluss, kommen

die Sojafarmer.

Die beiden Männer fahren hinein ins Sojaland um Cuiaba, Kilometer auf Kilometer, Felder ohne Ende.

Dazwischen stehen Silos, groß wie Atommeiler. Die gehören den Sojabaronen. Die Pivettas und die

Maggis, und wie sie alle heißen, und auch Fabiano Martini gehört dazu. Manchmal kann er sein Glück

nicht fassen, dass Gott ihnen Soja geschenkt hat. Das satte Grün macht ihn glücklich. Es ist das pure

Geld, sagt er. Angefangen hat Martinis Glück mit der BSE-Krise. Europa brauchte als Ersatz für Tier-

mehl pflanzliches Eiweiß, seitdem boomt Soja. 57 Millionen Tonnen der eiweißhaltigen Bohnen hat

allein Brasilien im letzten Jahr produziert, auf Feldern, die sich immer weiter Richtung Norden fres-

sen. Ihm macht es keine Angst, dass 20 Prozent des Regenwaldes im Amazonas bereits gefällt sind, er

hat kein Problem damit, dass 80 Prozent von dem, was sie hier produzieren, Viehfutter wird.

Sergio da Silva schon, er ist an dieser Straße aufgewachsen. Er kann sich noch daran erinnern, wie es

war, früher, als der Wald noch stand. Doch die Welt hat Appetit auf Fleisch. Und immer mehr können

es auch bezahlen. Also braucht es mehr Rinder, und die brauchen mehr Weiden. Der Fleischkonsum in

den Entwicklungs- und Schwellenländern soll sich bis 2030 fast verdoppeln, im Westen soll er um ein

Fünftel steigen. Statt 260 würden dann 373 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr benötigt, 40 Prozent

mehr als jetzt. Für den Urwald bedeutet das nichts Gutes, sagt Muggiatti.

Denn während das Getreide für einen Laib Brot etwa 500 Liter Wasser zum Wachsen braucht, ver-

schlingt ein Brathühnchen in seinem kurzen Leben mindestens die zwölffache Menge in Form von

Futtermitteln. Und ein Kilogramm Rindfleisch ist das Produkt von acht Kilogramm Getreide, das ent-

spricht 20.000 Litern Wasser. In einem Steak steckt Duschwasser für ein Jahr. Die Tiere produzieren

obendrein noch gigantische Mengen an Abgas: Aus den Mägen der Rinder und Schafe kommt ein

Großteil des weltweit ausgestoßenen Methans, eines Treibhausgases, das 23-mal so aggressiv ist

wie Kohlendioxid.

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Reisernte

Port-au-Prince, Armenviertel Cité Soleil

Eine Frau stellt Lehmkekse her

Die Brüder Granquille,

HaitiEin paar Stunden muss man fahren von der Hauptstadt Port-au-Prince, immer Richtung Norden, dann steht

man mittendrin, im Tal des Flusses Artibonite. Grün und weit öffnet sich das Land. In den achtziger Jahren

schien hier alles möglich. Als sie in Desarmes noch ein Bewässerungssystem hatten und die Bauern billigen

Dünger kauften, der von der Regierung subventioniert wurde. In den besten Zeiten produzierten sie 100.000

Tonnen Reis im Jahr. Aber das ist lange her. Der Niedergang begann mit einem Versprechen. Weltbank und

Internationaler Währungsfonds (IWF) benutzten Zauberworte wie Strukturanpassung und Freihandelspo-

litik. Man müsse nur die Handelsbarrieren abbauen, sich den Industrieländern öffnen, dann würden Millio-

nenkredite die marode Finanzlage des Landes stützen. Die Haitianer hatten ohnehin keine Wahl.

Keiner sagte den Reisbauern in Desarmes, dass mit dem Geld auch Reis kommen würde. Viel billiger,

als der von ihnen produzierte, viel sauberer und ansehnlicher. Produziert von amerikanischen Bauern,

die so viele Subventionen für ihren Reis bekamen, dass der einheimische Reis dagegen keine Chance

hatte. Der Import wuchs in kürzester Zeit von null auf 200.000 Tonnen im Jahr. Und auf den Säcken,

die plötzlich die Märkte und Läden überfluteten, standen Namen wie aus einem Comic: »Lucky Rice«.

In den Städten freuten sie sich, und im Tal des Artibonite lernten sie den Hunger kennen.

Mittlerweile kommen 46 Prozent aller Importe in Haiti aus den USA, 12,5 Prozent aus anderen ka-

ribischen Ländern und 11,5 Prozent aus Europa. Die Eigenproduktion Haitis ist mehr oder weniger

kollabiert. 830.000 Arbeitsplätze sollen durch die Freihandelspolitik verloren gegangen sein. Das war

der Anfang vom Ende, sagt Harry Nicolas, der nach Desarmes gekommen ist, um zu kämpfen. »Kore

Pwodiksyon Lokal« heißt seine Organisation. Sein Ziel ist klar: Er möchte die Haitianer davon über-

zeugen, dass sie es sind, die die Dinge ändern können. Sie sind die Käufer. Wenn sie lokale Waren

kaufen, wird es mit der lokalen Produktion auch wieder aufwärts gehen.

Er hat einen Werbespot produziert, der im Fernsehen und im Radio läuft. Drei Mädchen kaufen Bohnen,

Reis und Bananen, made in Haiti. Harry Nicolas will die Menschen davon überzeugen, dass sie ihr

eigenes Land unterstützen können. Er weiß, dass ein Gourde, der lokal ausgegeben wird, zweimal so

viel Einkommen generiert für die lokale Wirtschaft wie ein Gourde, der in Exportgüter investiert wird.

Gerdy Saintard hingegen muss ihre Kundschaft nicht wirklich überzeugen. Sie hockt vor ihrer Hütte

in Cité Soleil und macht Lehmkekse. In Haiti essen sie Erde, schrieb die Weltpresse entsetzt. Aber die

haben sie hier in Haiti schon immer gegessen, besonders die Schwangeren. Trotzdem, das Geschäft

von Gerdy Saintard geht immer besser. Weil es wenig gibt, was billiger ist, wenn man Hunger hat.

Und hier haben alle Hunger. Sie versuchen hier einfach nur zu überleben zwischen Bandenkriegen

und Naturkatastrophen. Junge Männer wie die Brüder Paul Ezert, Ismael Fritzson und Luderson Gran-

quille erwartet man hier nicht zu finden. Doch auch sie leben hier. Im besten Französisch erzählen

sie von ihrer Ausbildung, von ihren Hoffnungen. Und dann sitzen sie in den schäbigen Hütten ihrer

Eltern und reden vom Hunger, dem sie nicht entrinnen können.

12. Januar 2010: Ein Erdbeben der Stärke 7.0 erschüttert Port-au-Prince, mindestens 250.000 Men-

schen sterben, mehr als 1,5 Millionen werden obdachlos. Auch Monate nach dem Beben ist die Stadt

noch ein Trümmerfeld. Die Brüder Granquille erzählen von ihren Geschwistern und ihrer Mutter, die

verschüttet wurden. Und sie erzählen davon, dass jetzt alles noch schwieriger geworden ist.

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KarinSteinberger

Ein Erfahrungsbericht Es war klar, dass es keinen anderen Namen für diese Dokumentation geben kann als - Hunger. Um nichts anderes

geht es. Wie sieht er aus? Wo kommt er her? Wie fühlt er sich an? Wie ist er zu bekämpfen? Wieso gibt es ihn?

Das ist doch das Empörendste, dass es ihn immer noch gibt. Obwohl die Menschen in der Ersten Welt so viel

zu essen haben, dass sie nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Übergewicht. 3400 Kilokalorien am Tag - im

Durchschnitt. Das große Fressen.

Die Welt produziert so viele Nahrungsmittel wie nie zuvor. Und dann trifft man Kinder, die sich in der Hitze

einer afrikanischen Nacht um einen fast leeren Topf balgen, Kinder, die kleinwüchsig sind und manchmal

auch ein wenig zurückgeblieben, weil kein Körper den ewigen Mangel verkraftet. Man sieht ihnen den Hun-

ger nicht einmal an, sind ja alle unterernährt, sind ja alle klein. Hidden Hunger – verdeckter Hunger, eben

keine spendenaufrufkompatiblen Hungerbäuche.

Die Wissenschaftler postulieren die dritte Welternährungskrise und hantieren mit ihren Zahlen und Fakten,

malen Hunger-Diagramme auf, die aussehen wie Kinderphantasien, weil keiner mehr wirklich durchblickt

im Geflecht der Marktanalysen und Weltbevölkerungsvorhersagen, der nationalen Nahrungsbilanzen und

persönlichen Verbraucherpräferenzen. So viele Ursachen, so viele Faktoren, so viele Unwägbarkeiten.

25.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen ihrer Mangelernährung. Fast neun Millionen Menschen

im Jahr, mehr, als im Großraum London leben. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind. Abstruse Zahlen in

einer Welt, in der Millionen von Tonnen Getreide als Kraftstoff an Autos verfüttert werden. Eine wahnwitzi-

ge Konkurrenz zwischen Essen und Energie. Trotzdem: 925 Millionen Menschen gehen abends hungrig zu

Bett und wachen morgens hungrig auf. Und es wird nicht besser, im Gegenteil. In Asien werden dieses Jahr

100 Millionen Menschen mehr hungern als vor zwei Jahren. Das ist weit entfernt von dem UN-Milleniums-

ziel, den Hunger bis 2015 zu halbieren.

Warum? Wer ist schuld? Die Erste Welt, die sich mit Zöllen und Handelsbarrieren abschottet, die ihre Bau-

ern mit Subventionen aufpäppelt und ihre übriggebliebenen Geflügelteile in Entwicklungsländern zu Dum-

pingpreisen auf die Märkte wirft? Liegt es daran, dass sich immer mehr Menschen Fleisch leisten können,

wo doch für jede tierische Kalorie sieben pflanzliche verbraucht werden? Ist der Klimawandel schuld, die

sich ausbreitenden Wüsten, die immer häufigeren Dürren und Fluten? Oder die Cash-Crop-Monokulturen,

die auf Märkte reagieren, nicht auf Bedürfnisse? Sind es die Investoren, die nach den Immobilien nun mit

den Nahrungsmitteln spekulieren, oder die Multis, für die Saatgut eine Ware ist? Sind es die korrupten

Regierungen oder die veralteten Methoden der Subsistenzbauern? Eines ist sicher: Jeden Morgen gibt es

224.488 Menschen mehr. Jeden Morgen ein neues Oberhausen. Im Jahr 2050 werden 9,3 Milliarden Men-

schen auf der Erde leben. Sie werden Hunger haben, aber nicht mehr Platz, um Nahrung anzubauen.

Niemand wird behaupten, er kenne die eine, große, weltumspannende Ursache für den Hunger - oder die

eine Lösung. Vielleicht sind es viele kleine Lösungen, die man suchen muss, ganz nahe bei den Menschen. In

Mauretanien, Kenia, Indien, Brasilien, Haiti - fünf Länder. Man hätte auch in hundert andere fahren können.

Das Kamerateam ist für die Kinder von Cité Soleil

eine willkommene Abwechslung

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Marcus Vetterwurde 1967 in Stuttgart geboren und studierte European Business Management in Worms, Buenos

Aires und Madrid. Nach einem Volontariat bei der Bavaria Film in München absolvierte er das Aufbau-

studium Medienwissenschaft/Medienpraxis an der Universität Tübingen. Seit 1994 ist Marcus Vetter

als freier Redakteur und Dokumentarfilmer beim SWR tätig. Sein autobiographischer Film »Mein Va-

ter, der Türke« erhielt 2006 den Prix Europa für Dokumentarfilme. Für die Filme »Der Tunnel« (2000),

»Wo das Geld wächst« (2001) und »Broadway Bruchsal« (2002) bekam er jeweils den Adolf-Grimme-

Preis. Sein aktueller Film »Das Herz von Jenin« hat insgesamt bereits fünf Preise gewonnen: Unter an-

derem den Deutschen Filmpreis 2010, den DEFA Förderpreis für Dokumentar- und Animationsfilme

2008 und den Publikumspreis auf dem Amnesty International Film Festival »Movies that Matter« in

Den Haag 2009.

Filmografie(Auswahl)

2008DasHerzvonJenin

2007 Trader´sDreams–theebayworld

2006 DieUnterzerbrechlichen,MeinVater,derTürke

2003LaFlorida

2002 Wargames

2001 BroadwayBruchsal

2000 WodasGeldwächst

1999 DerTunnel

1999 EinSchweinegeld

Auszeichnungen

2010DeutscherFilmpreisDas Herz von Jenin

2009CinemaforPeaceAward Das Herz von Jenin

2006 PrixEuropa Mein Vater, der Türke

2002 Adolf-Grimme-Preis,SonderpreisdesLandesNordrhein-WestfalenBroadway Bruchsal

2000 Adolf-Grimme-Preis:Der Tunnel, DeutscherFernsehpreis: Der Tunnel,

AxelSpringerPreis:Ein Schweinegeld

2001 Adolf-Grimme-PreisWo das Geld wächst

Karin Steinbergerwurde in Gräfelfing bei München geboren. Nach mehrmonatigen Aufenthalten in China, Australien

und Guatemala begann sie ein Komparatistik- und Sinologiestudium an der Ludwig-Maximilians-

Universität in München, das sie zugunsten der Deutschen Journalistenschule aufgab. Seit 1991 ist

sie bei der Süddeutschen Zeitung tätig, die ersten Jahre in der Feuilletonbeilage »SZ am Wochenen-

de«, seit 2001 ist sie Redakteurin im Reportage-Ressort »Seite 3«. Für ihre Reportage über Säureopfer

in Bangladesch bekam sie 2000 den Medienpreis Entwicklungspolitik vom Bundesministerium für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im gleichen Jahr wurde sie »Fellow of the Ger-

man Marshall Fund of the United States«. Ihr Text »Die Kinder von Poipet« über den Kinderhandel an

der kambodschanisch-thailändischen Grenze wurde 2002 mit dem Medienpreis »Kinderrechte in der

Einen Welt« ausgezeichnet. Vom Indischen Kulturrat wurde sie 2003 für ihre Berichterstattung über

Indien mit dem Gisela-Bonn-Award geehrt. 2005 gewann sie für eine Reportage über den Bau des

Airbus A 380 den Ludwig-Bölkow-Preis.

Cité Soleil

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Thomas MauchWurde 1937 in Heidenheim geboren. Zunächst arbeitete er als Kameraassistent und als Kameramann für Doku-

mentar- und Industriefilme. Ende der fünfziger Jahre begegnete er Edgar Reitz, dessen Kameraassistent er wur-

de. 1966 übernahm er dann die Kamera bei »Mahlzeiten« von Edgar Reitz. Seine präzise, fast dokumentarisch

wirkende Kameraführung gab dem Neuen Deutschen Film Realitätscharakter und entsprach dem damaligen

Zeitgefühl. Mit seiner Arbeit konnte Thomas Mauch bereits dreimal den Bundesfilmpreis gewinnen: »Aguirre,

der Zorn Gottes« von Werner Herzog (1973), »Neapolitanische Geschichten« von Werner Schroeter (1979) »Wal-

lers letzter Gang« (1989)

Filmografie(Auswahl)

1965 Abschiedvongestern

1973 Aguirre,derZornGottes

1979 DiePatriotin

1982 KriegundFrieden

1983 DieMachtderGefühle

1985DerAngriffderGegenwartaufdieübrigeZeit

1989 WallersletzterGang

1994AufWiedersehenAmerika

2004Heimat3

Dr. Suman SahaiSuman Sahai ist habilitierte Humangenetikerin der Universität Heidelberg und Direktorin der indi-

schen »Gene Campaign«, einer nationalen Organisation, die auf die indische Gesetzgebung und For-

schungspolitik Einfluss nimmt. Doch sie verfolgt einen anderen Ansatz als die in Indien stark vertrete-

ne Gen-Forschung in Saatgut- und Nahrungsmitteln, weil sie darin zu viele Risiken sieht.

Suman Sahai hat ihre »Gene Campaign« 1993 in dem indischen Bundesstaat Jharkhand aufgebaut.

Ihrer Meinung nach darf vor allem eines nicht passieren. Das Wissen der indischen Bauern darf nicht

verloren gehen. Sie sieht mit Sorge, dass die lokal angepassten Reissorten in Indien immer mehr durch

Hochertragssorten internationaler Konzerne verdrängt werden.

Suman Sahai ist Gewinnerin des Borlaug Preises im Jahre 2002, einer der höchsten Auszeichnungen der

internationalen Agrarforschung. Sie ist in verschiedenen Kommissionen der indischen Regierung zu Land-

wirtschaft und Gentechnik vertreten. außerdem lehrt sie weltweit an Universitäten, darunter auch in Hei-

delberg. Weitere Informationen, auch zu ihren zahlreichen Publikationen unter www.genecampaign.org

Auszeichnungen(Auswahl)

2008OutstandingWomanAchieverAwardLucknowManagementAssociation,

Lucknow,Indien

2008FICCI(FederationofIndianChambersofCommerce)OutstandingWomanAchiever

Awardfor»ExcellenceinScience«,Indien

2004BorlaugAwardfor‘OutstandingContributiontoAgricultureandtheEnvironment’,

NeuDelhi,Indien

2003KissanSamman,Farmers’Forum,for»YeomanServicetoIndianFarmers«,

AndhraPradesh,Indien

2010KnightofTheOrderoftheGoldenArk,for»Valuablecontributiontobiodiversityby

establishingGeneCampaign«,Amsterdam,Niederlande

1998NationalServiceAward,,PragatiTrust,for»FightingforIndia’sFoodSecurity«,

Hyderabad,Indien

Auszeichnungen(Auswahl)

1973FilmbandinGold:Aguirre,derZornGottes

1976FilmfestivalMannheim–GoldenerDukat:

Strafprotokollallerundjeder...

1979FilmbandinGold:NeapolitanischeGeschwister

1980InternationaleFilmfestspieleBerlin–GoldenerBär:

PalermooderWolfsburg

1989FilmbandinGold:WallersletzterGang

1991HessischerFilmpreis:UnsichtbareTage

Reisernte auf Haiti

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Hunger – das Online-SpecialDer Film »Hunger« wirft viele Fragen auf. Zuschauer, die noch mehr ins Thema einsteigen

möchten, können dies im begleitenden Online-Angebot tun.

InformierenunddiskutierenDie Zusammenhänge des Themas sind komplex. Umso wichtiger ist es, sie klar und

anschaulich zu zeigen: Über eine interaktive Weltkarte können Videos, atmosphä-

rische Bildstrecken, Grafiken, aktuelle Texte, Interviews und interaktive Wissensele-

mente ausgewählt werden. Unkompliziert und leicht verständlich können die Nutzer

ihr Wissen zum Thema vertiefen und mit anderen Nutzern diskutieren.

SelbstaktivwerdenDie wohl wichtigste Frage, die der Film aufwirft, ist: Was kann ich tun? Auch auf diese

Frage gibt das Online-Special Antworten. Von bewussten Entscheidungen beim Ein-

kauf über die Unterstützung von Projekten bis zu eigenen Aktionen werden Möglich-

keiten vorgestellt, selbst aktiv zu werden.

MosaikderInformationenWie tief sie ins Thema einsteigen und über welche Themenaspekte sie sich ausführlicher

informieren wollen, können die Nutzer individuell entscheiden. Je nach Interessens-

schwerpunkt kann man thematischen Verbindungslinien folgen und überraschende

Zusammenhänge entdecken. Das Online-Special wird sukzessive aufgebaut. So werden

immer wieder aktuelle Themen aufgegriffen und neue Verknüpfungen geschaffen.

MultimedialesBildungsangebotDas Online-Special begleitet den Film, aber es ist auch ein Angebot für alle, die mehr

wissen wollen: einfach statt vereinfachend, komplex statt kompliziert, informativ

statt belehrend. Im wahrsten Wortsinn hilft das multimediale Bildungsangebot den

Nutzern, sich über ein schwieriges Thema eine eigene Meinung zu bilden.

HungerStabliste

Buch: Karin Steinberger, Marcus Vetter

Regie: Marcus Vetter]Kamera: Thomas Mauch,

Marcus Vetter]Ton: Klaus-Peter Schmitt

Schnitt: Saskia Metten]Musik: Peter Scherer

Projektkoordination: Bernhard Foos (SWR)

Online-Betreuung: Marion Dilg, Matthias Gerlach (SWR)

Producerin: Axelle Hourrier (Eikon)]Herstellungs-

leitung: Kristin Holst (Eikon), Thomas Lorenz (SWR)

Produzenten: Ulli Pfau, Ernst Ludwig Ganzert

Redaktion: Gudrun Hanke-El Ghomri, Peter Latzel

Eine Produktion von Eikon Südwest im Auftrag des SWR

Gegründet in München 1960 und seit 2003 in Berlin an-

sässig, produziert die Eikon Kino- und Fernsehfilme, Do-

kumentationen und Kinderprogramme. Größter Gesell-

schafter ist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).

Eikon produziert Kinofilme wie »Krücke« (Filmbänder in

Gold 1993), »Unter dem Eis« (Grimmepreis 2007) und

»So glücklich war ich noch nie« (2008); Fernsehfilme wie

»Jahrestage« (2000 /2001) und »Tatorte« wie »Hitchcock

und Frau Wernicke« (2010). Im dokumentarischen Bereich

entstanden unter anderem: »Das Reichsorchester – Die

Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus«

(Diapason d‘Or 2008), »Am Pier von Apolonovka« (2008),

»Auf der Jagd nach Dr. Tod« (2008) und »Das Herz von

Jenin« (SWR-Koproduktion, Deutscher Filmpreis 2010).

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Turkana-See in Kenia

Presseservice des SWRLeitungProgrammpresse

Anja Görzel

Telefon: 0711/929-1046]Fax: 0711/929-1035

E-Mail: [email protected]

PresseDer Dokumentarfilm

Daniela Kress

Telefon: 07221/929-3800]Fax: 07221/929-2059

E-Mail: [email protected]

Fotoredaktion

Cornelia Fritz

Telefon: 07221/929-3852]Fax: 07221/929-2059

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