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Wissenschaft & Sicherheit Nr. 5/2006-10. Mai 2006
1
Der Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) ist der Dachverband sicherheitspolitischer Hochschulgruppen an deutschen Universitäten. Der BSH setzt sich aus sicherheitspolitisch interessierten Studierenden, Doktoranden und Lehrkräften aller Fachrichtungen zusammen. Die Mitgliedschaft im BSH steht allen sicherheitspolitisch interessierten Personen mit akademischem oder praktischem Hintergrund offen, welche die Grundsätze und Ziele des BSR teilen. Grundsätze des BSH Der BSH steht ein für die Verteidigung der Werteordnung des Grundgesetzes. In unserer sicherheitspolitischen Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit Bedrohungen dieser Werteordnung einen Schwerpunkt. Zudem ist uns die Aufrechterhaltung der akademischen Freiheit ein besonderes Anliegen. Die Schaffung von Erkenntnis im Wettbewerb der Ideen setzt voraus, daß alle Stimmen gehört werden. Die Arbeit des BSH Die Arbeit des BSH richtet sich an alle Studierenden und erfolgt überparteilich und überkonfessionell. Die Aktivitäten des BSH umfassen: • Sicherheitspolitische Bildungsarbeit an Hochschulen • Akademische Nachwuchsförderung im sicherheitspolitischen Bereich • Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragestellungen • Weiterbildung- und Qualifikation der Mitglieder im Bereich politische Bildung und Sicherheitspolitik Impressum Wissenschaft & Sicherheit wird herausgegeben durch die AG Wissenschaft & Sicherheit des BSH und erscheint in unregelmäßigen Abständen. Kontakt und kostenloses elektronisches Abonnement unter [email protected]. Kontakt Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen - Geschäftsstelle - Provinzialstr. 91 53127 Bonn Tel.: 0228/2590 914 Fax: 0228/2590 950 Im Internet: www.sicherheitspolitik.de ISSN: 1613-5245 (elektronische Ausgabe)
Der Zerfall
Jugoslawiens
Robert A.P. Glawe
Diese Veröffentlichung beschäftigt sich mit dem
Zerfall der einstigen Bundesrepublik Jugoslawien
aus völkerrechtlicher Perspektive. Eine
umfassende rechtshistorische Darstellung des
Sezessionsprozesses seit dem Tode von Josip
Broz „Tito“ ist unumgänglich. Die Komplexität der
Entstehung von insgesamt fünf Staatengebilden,
die dem einstigen Bundesstaat Jugoslawien
nachfolgen, verlangt eine Konzentration auf
einige ausgewählte Aspekte. Daher werde ich
insbesondere auf den Fall Bosnien-
Herzegowinas, der vor allem in Westeuropa
aufgrund der tragischen jahrelangen
kriegerischen Auseinandersetzung intensiv in der
öffentlichen Berichterstattung verfolgt wurde,
sowie auf die nach Unabhängigkeit strebende
Provinz Kosovo eingehen. Im Falle Bosnien-
Herzegowinas sollen auch insbesondere das
zögerliche Handeln der internationalen
Staatengemeinschaft und die entgegen-
stehenden Interessen der großen Weltmächte
kritisch betrachtet werden, während im Falle des
Kosovo die Frage erörtert werden soll, weshalb
sich auch nach den Erfahrungen mit der
bosnischen Lösung solche Gewaltexzesse
wiederholen konnten.
Die unschlüssige gerichtliche Bewertung der
Staatennachfolge auf dem Balkan soll kurz am
Beispiel der ambivalenten Rechtsprechung des
IGH zu Jugoslawien beleuchtet werden.
WWIISSSSEE NNSSCCHHAAFFTT && SSIICCHHEERRHHEE IITT oonnll iinnee Texte der Arbeitskreise Sicherheitspolitik an Hochschulen Nr. 5/2006-10. Mai 2006
Der Zerfall Jugoslawiens
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Abschließend werde ich einen vorsichtig optimistischen Ausblick auf die politische und völkerrechtliche
Entwicklung auf dem Balkan der kommenden Dekade wagen.
Gliederung:
A. Zur Geschichte Jugoslawiens bis 1980
I. Bildung des Vielvölkerstaats 1918 II. Idee und Scheitern von Titos Jugoslawien B. Der Zerfall Jugoslawiens 1980 bis heute I. Die fehlende territoriale Integrität als Erklärung II. Das Schicksal Bosnien-Herzegowinas III. Waffenembargo gegen Jugoslawien IV. Das Eingreifen der UNPROFOR V. Der Feind wird deutlich, die Unparteilichkeit bleibt gewahrt VI. Versuche einer friedlichen Lösung VII. Der Kriegsgerichtshof in Den Haag und weitere Schritte der UN VIII. Der Vance-Owen-Plan und seine Folgen IX. Der Rückzug der UN aus der Vermittlerrolle X. Der lange Weg von der Kooperation bis zum Dayton-Abkommen XI. Das General Framework Agreement for Peace XII. Völkerrechtliche Würdigung des GFAP XIII. Die Regelungen des GFAP XIV. Die Schwächen der UN bei der Konfliktlösung C. Die Folgen von Dayton am Beispiel des Kosovo I. Aufstand der Albaner II. Das Scheitern der Konferenz von Rambouillet III. Perspektiven des serbisch-albanischen Konflikts im Kosovo D. Das juristische Nachspiel I. Die Rolle des Internationalen Gerichtshofs II. Jugoslawien als Beklagter vor dem IGH III. Jugoslawien als Kläger vor dem IGH IV. Bewertung der beiden IGH-Entscheidungen V. Exkurs: Organisation und Arbeit des Internationale Strafgerichtshofs für das ehemalige
Jugoslawien E. Abschließende Betrachtung
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A. Zur Geschichte Jugoslawiens bis 1980
Die Geschichte des Vielvölkerstaates Jugoslawien ist es sehr komplex und es ist nicht leicht, Einblicke
in die Zusammenhänge zu erlangen. Geprägt ist die Geschichte des Landes durch Konflikte,
Zerrissenheit und Kriege. Die Ursprünge und Hintergründe dieser Konflikte sind im Nachhinein nur
sehr schwer zu erfassen.
I. Bildung des Vielvölkerstaats 1918
Das ehemalige Jugoslawien mit der Hauptstadt Belgrad entstand 1918 aus verschiedenen
südosteuropäischen Regionen. Dazu gehörten österreichische Kronländer, ein Teil des Königreiches
Ungarn, das Königreich Kroatien-Slawonien, Bosnien-Herzegowina, das Königreich Serbien, 1913 an
Serbien angeschlossene Gebiete sowie das Königreich Montenegro.
Die sechs jugoslawischen Staatsnationen unterschieden sich unter anderem nach Sprache und
Konfession. So haben Kroaten und Slowenen die gleiche Religion, sprechen aber unterschiedliche
Sprachen. Kroaten, Serben und bosnische Muslime haben dagegen keinerlei
Kommunikationsschwierigkeiten, unterscheiden sich aber in ihrem Glauben. Entstanden sind diese
sechs Staatsnationen aus mehr als zwanzig verschiedenen Völkerschaften, die jahrhundertelang
durch verschiedene Kulturräume geprägt wurden.
Durch das Vordringen der Osmanen auf dem Balkan seit dem 14. Jahrhundert gerieten Serben,
Montenegriner, Bosnier, Makedonier und Albaner in das islamische Osmanenreich und wurden
geprägt durch islamische Traditionen. Die Slowenen wurden hingegen bereits im 9. Jahrhundert
christianisiert und im folgenden durch die westkirchliche Zivilisation geprägt, als ihr Siedlungsgebiet im
14. Jahrhundert in den Besitzstand der Habsburger fiel.
Das herausragende, mythenbehaftete historische Ereignis für die Balkanvölker war die Schlacht auf
dem Amselfeld zwischen den Serben und ihren Verbündeten einerseits und den nach Westen
vorrückenden Osmanen am 23. Juni 1389. Die Heerführer auf beiden Seiten, der serbische Fürst
Lazar und der osmanische Sultan Murad I., überlebten die Schlacht nicht. Für das Verständnis der
späteren Jahrhunderte wichtig ist die serbische Legende, dass im Laufe der Schlacht die
Koalitionspartner – vor allem die Kroaten, wahrscheinlich auch Albaner – abgefallen seien und
dadurch ein Schlachtsieg verhindert worden sei. Seither gelten andere Balkanvölker aus serbischer
Sicht als illoyal, wenn nicht gar als Verräter und Feinde.1
Die Herausbildung eines südslawischen Staates nahm erst 1918 Gestalt an. Das
Vereinigungsbestreben der südslawischen Völker begann allerdings bereits im 19. Jahrhundert.
Zwischen 1830 und 1848 formierte sich in Kroatien der Illyrismus, aus dem später der Jugoslawismus
hervorgehen sollte. Geprägt waren diese Bewegungen durch den Wunsch nach Vereinigung der
südslawischen Länder. Die jahrhundertelange Fremdherrschaft sollte abgeschüttelt werden,
Streitigkeiten über die Zugehörigkeit ethnischer Mischregionen verhindert werden und ein ausreichend
großer und lebensfähiger Wirtschaftsraum sollte entstehen. Doch erst nach Abschluss des Ersten
Weltkrieges wurde mit Unterstützung der Siegermächte der erste südslawische Staat gegründet.
1 Petritsch/Kaser/Pichler, S. 49ff.
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Der neue Vielvölkerstaat2 umfasst außer den Serben, Kroaten und Slowenen auch die südslawischen
Völker der Bosniaken, Montenegriner und Makedonen; damals etwa zehn Millionen Menschen.
Außerdem leben dort weitere zwei Millionen Menschen anderer Nationalitäten als Staatsbürger ohne
besondere Minderheitenrechte; insbesondere Deutsche, Ungarn, Rumänen, Türken, Walachen,
Italiener u.v.a.
Interessant für die aktuelle Betrachtung der Staatennachfolge auf dem Balkan sind die vier damals
erörterten Staatsmodelle. Die energische Debatte in der Folgezeit gipfelte in dem Bürgerkrieg der 90er
Jahre.
Das integrative Modell hat als Vision zum Ziel, die Einzelnationalismen der Serben, Kroaten und
Slowenen zu überwinden.
Im föderativen Modell sollen alle südslawischen Nationen gleichberechtigt sein.
Das großserbische Modell zielt auf eine Ausweitung des serbischen Staatsverständnisses von
vor 1918 auf den neuen Staat.
Das separatistische Modell bevorzugt die völlige staatliche Trennung der einzelnen Nationen.
Der Streit um die Verfassung von 1921 ist beispielgebend für das Schicksal des Balkans. Die
Verfassung wird am serbischen Nationalfeiertag, dem 28. Juni, mit nur einfacher Mehrheit im
Parlament verabschiedet. Die meisten Abgeordneten aus Kroatien und Slowenien votieren mit Nein
oder bleiben aus Protest der Abstimmung fern. Die stark zentralistisch orientierte Verfassung
verhindert jetzt bereits eine Integration der verschiedenen Völker.3 Verschärft werden die Gegensätze
noch durch ein starkes Wirtschaftsgefälle von Norden nach Süden. Der einflussreiche Führer der
kroatischen Bauernpartei, Radic, betrachtet 1921 das kroatische Volk als „unterdrückt wie nie zuvor“.
Er will das Königreich in eine Konföderation umwandeln, wird aber 1928 im Parlament ermordet. In
diesem Königreich festigen die Serben zum ersten Mal ihre Vorherrschaft über die anderen Völker.4
1929 wird der Staat in Jugoslawien umbenannt. Die Regierungsgeschäfte übernimmt der König, der
sich im Wesentlichen auf die Armee stützt. Der serbische König Alexander wird 1934 von
makedonischen und kroatischen Nationalisten ermordet.
Auf Drängen Hitlers tritt Jugoslawien 1941 dem Dreimächtepakt bei. Nach einem Militärputsch wird
Belgrad jedoch ohne Kriegserklärung von der deutschen Luftwaffe angegriffen. Kurz darauf wird
Jugoslawien erobert und von Deutschen, Italienern, Bulgaren und Ungarn besetzt. Die Beziehungen
der einzelnen Nationen und Volksgruppen zu unterschiedlichen Besatzungsmächten führen zu
starken Verfeindungen innerhalb der Nationen5 und zur Polarisierung zwischen den Nationen.6
Obwohl rund ein Drittel der Bevölkerung Kroatiens Serben sind, strebt die neue kroatische Regierung
ein serbenfreies Kroatien an. Die unbewältigte Vergangenheit war ein idealer Nährboden für
nationalistische Parolen.
Die Bewegung der Partisanen im Zweiten Weltkrieg sollte für das zweite Jugoslawien eine
entscheidende Rolle spielen. Sie stand unter der Führung des Kroaten Josip Broz, der sich später den
Decknamen Tito gab und die größte und stärkste europäische Widerstandsbewegung gegen
2 genannt „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“. 3 Sundhaussen, Geschichte Jugoslawiens, Kap. II. 4 Jertz, S. 9. 5 so z.B. zwischen den kroatischen Ustaschen, die eng mit dem Deutschen Reich zusammenarbeiteten, und den kroatischen Partisanen. 6 so z.B. zwischen Serben und Kroaten.
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Besatzung und Terrorherrschaft einleitete. Sein Ziel war eine kommunistische und föderative
Umgestaltung des Landes, um die volle Gleichberechtigung der einzelnen Teilstaaten zu
gewährleisten. Am 7. März 1945 bekam der unbestrittene Führer der kommunistischen Partei die
Billigung der Alliierten, eine provisorische Regierung des neuen jugoslawischen Staates zu bilden. Am
29. November 1945 wurde dann die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien ausgerufen.
II. Idee und Scheitern von Titos Jugoslawien
Titos Jugoslawien begann mit hoffnungsvollen Perspektiven, denn neben den beiden großen
Nationalitäten der Serben und Kroaten wurden auch anderen Völkerschaften eigene Teilrepubliken
gewährt. Außerdem nahm Tito beim Umbau des politischen Systems geschickt Rücksicht auf die
historisch begründeten Empfindlichkeiten der verschiedenen Völker. Die Parole lautete nun
„Brüderlichkeit und Einheit“ zur Vermeidung des großserbischen Zentralismus.
Das föderative Jugoslawien bestand nun aus sechs Republiken (Serbien, Montenegro, Kroatien,
Slowenien, Makedonien und Bosnien-Herzegowina) und zwei autonomen Regionen, die aus Serbien
gelöst waren (Kosovo und Woiwodina). Serbien wurde durch die Herauslösung der Woiwodina und
des Kosovo territorial verkleinert, was dem Ziel diente, eine Hegemonie eines einzelnen Volkes zu
verhindern. Nur ein schwaches Serbien ermöglichte ein starkes Jugoslawien. Es folgten zahlreiche
Reformen und Verfassungsänderungen, die bereits darauf hinwiesen, dass das föderative System
offenbar seine Schwächen hatte. In der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien lebten die nationalen
Gegensätze und Feindschaften trotz der kommunistischen Parole „Brüderlichkeit und Einheit“ weiter
fort. So erhielt Bosnien-Herzegowina zwar den Status einer Republik, als Staatsvolk wurden die
Bosniaken aber erst 1968 anerkannt.
Serbiens Überlegenheit den anderen Staaten gegenüber konnte nicht vermieden werden und sie
behielten weiterhin ihr traditionelles Übergewicht in Partei, Armee und Verwaltung. Obwohl die
Nationalitätenfrage in der offiziellen Propaganda eine immer kleinere Rolle spielen sollte, blieb der
großserbische Nationalismus besonders in der Armee ungebrochen.
Titos Idee, die Interessen der einzelnen Nationalitäten zugunsten eines einigen Jugoslawiens
zurückzudrängen, scheiterte also daran, dass sich Serbien bis zuletzt an jugoslawische
Machtpositionen klammerte. Außerdem konnten Unterschiede in Religion und Kultur nicht völlig
ausgelöscht werden, obwohl die Religion durch die atheistische Staatsführung an Bedeutung verlieren
sollte. Rasch also lebte der historische Streit zwischen Völkern und Religionen wieder auf und die tief
greifenden Integrationsprobleme führten zu ständigen Rivalitäten und letztlich sogar zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen.
B. Der Zerfall Jugoslawiens 1980 bis heute
Nach mehr als sieben Jahrzehnten sollte Jugoslawien erneut zerbrechen. Der Tod Titos 1980 leitete
den Sezessionsprozess ein. Bereits ein Jahr nach seinem Tod forderten die Albaner im Kosovo eine
eigenständige Republik. Als Milosević seit 1986 der großserbischen Idee neuen Auftrieb gab und die
Autonomierechte der Provinzen Kosovo und Woiwodina aufhob, provozierte er dadurch Spannungen
und heizte die nationalistischen Stimmungen weiter an. Slowenen, Kroaten, Bosnier und Makedonier
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strebten verstärkt nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit und verloren mehr und mehr das
Vertrauen in den Gesamtstaat.
Nun sollten die eigene Sprache, die eigene Kultur und die eigene Geschichte wieder mehr Bedeutung
gewinnen. 1990 sah nur noch ein kleiner Teil die nationale Vielfalt des Vielvölkerstaates als eine
Bereicherung an.
Die schwierige und komplizierte Geschichte des Landes mit ihren vielen blutigen
Auseinandersetzungen und nicht zu überwindenden Interessenkonflikten trat Jahrzehnte später
wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung und trug zur Selbstzerstörung des Landes bei.
I. Die fehlende territoriale Integrität als Erklärung
Aufgrund der in Jahrhunderten entstandenen ethnisch-nationalen Konflikte war es nicht möglich, die
einzelnen Völker in territorial abgegrenzte Nationalstaaten oder geschlossene territoriale Autonomien
einzuteilen. Bei einem Zerfall Jugoslawiens und der Neubildung von sechs unabhängigen Staaten war
also in hohem Maße voraussehbar, dass zumindest in Kroatien, Serbien und auch Makedonien
national-ethnische und religiöse Konflikte unausweichlich scharfe Formen annehmen mussten. Mit der
Parole „Brüderlichkeit und Einheit“ hatten die Kommunisten zwar versucht, die nationalen Gegensätze
und Feindschaften zu verdrängen, aber die nationalen Vorurteile und Feindbilder in der Bevölkerung
ließen sich nicht unterdrücken und lebten fort.
Das starke Nationalbewusstsein führte dazu, dass man in Kroatien, Makedonien und Montenegro
mehr Recht forderte und bald der Ruf nach einem kroatischen Nationalstaat lauter wurde. Tito gelang
es, diese Forderungen zu unterdrücken, aber auslöschen konnte er sie aber nicht, sodass die
nationalistischen Bewegungen nach seinem Tod neuen Auftrieb erhielten, weil der Widerstand fehlte.
Der Wille der jugoslawischen Bevölkerung, ein geeintes Jugoslawien aufrecht zu erhalten, war so
gering, dass der Halt von innen nicht ausreichte, um die Stabilität des Staates auf Dauer aufrecht zu
erhalten.
Weitere Instabilitäten waren auch durch Verfassungsmängel bedingt. Seit der Gründung 1946 war
Jugoslawien bundesstaatlich und föderalistisch organisiert. Dennoch blieb eine maßgebliche
Mitbestimmung der einzelnen Republiken aus. Entscheidungen traf die kommunistische Regierung,
das höchste Exekutiv- und Verwaltungsorgan. Regionale und nationale
Selbstständigkeitsbewegungen und der Wunsch nach mehr Mitbestimmung wuchsen. Erst unter
diesem Druck wurden den einzelnen Republiken mehr Rechte zugewiesen und der Staat wurde
schrittweise föderalisiert. Die Kompetenzen, die die Verfassung von 1974 den Republiken und
autonomen Provinzen einräumte, waren so weitreichend, dass man von einer „Überföderalisierung“
des jugoslawischen Systems sprach. Nur wenige Aufgaben blieben in der Kompetenz des Bundes
und zu allen Beschlüssen des Bundes mussten die Republiken und Provinzen ihre Zustimmung
geben, wodurch sie die Entscheidungen der Bundesregierung blockieren konnten. In den achtziger
Jahren machten die einzelnen Regionen verstärkt von diesem Gesetz Gebrauch, um ihre
Selbstständigkeitsbestrebungen zu unterstützen. Dies führte vermehrt zu einer Handlungsunfähigkeit
der jugoslawischen Bundesregierung.
Ende der achtziger Jahre war der Kommunismus weitgehend durch die Demokratisierung unterdrückt,
was auch zur Folge hatte, dass durch die Presse- und Meinungsfreiheit nationalistische Parolen an die
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Öffentlichkeit geraten konnten und dass durch demokratische Wahlen nationalistische Parteien an die
Macht gerieten. Dies unterstützte weiterhin die Selbstständigkeitsbestrebungen der Republiken, allen
voran Slowenien und Kroatien, bei denen dieser Prozess als erstes begann.
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes zerbrachen mit dem Sozialismus die letzten Säulen des
titoistischen Jugoslawiens. Mit dem Verlorengehen der Balkan-Großmachtrolle der Sowjetunion ging
auch die herausragende, strategische Bedeutung Jugoslawiens an der Schnittstelle zwischen den
gegnerischen Blöcken verloren. Damit starb auch das Interesse der westlichen Welt an den
jugoslawischen Problemen, was mitunter dazu führte, dass sie nicht rechzeitig auf den drohenden
Zerfall aufmerksam wurde.
Mit dem Ausscheiden Kroatiens und Sloweniens aus dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens
zerbrach die Einheitspartei, die den Vielvölkerstaat formal zusammengehalten hatte. Dies geschah
1990, als man sich über die Frage der Reformierung des jugoslawischen Systems nicht einig werden
konnte. Die größten Spannungen traten zwischen Slowenien, das eine parlamentarische Demokratie
forderte, und Serbien, das an dem Einparteiensystem festhalten wollte, auf. Eine funktionierende
Bundespolitik war nicht länger möglich und nach und nach fiel auch der Wirtschaftsraum
auseinander; ein regelrechter Wirtschaftskrieg begann, der alle noch vorhandenen zentralistischen
Institutionen zerbrechen ließ.
Dadurch gingen jegliche konfliktregulierenden Gremien verloren. Von innen heraus war nicht mehr zu
verhindern, dass die Konflikte gewaltsam ausgetragen werden würden.
II. Das Schicksal Bosnien-Herzegowinas
Die Teilrepublik Bosnien-Herzegowina erklärte am 03. März 1992 ihre Unabhängigkeit. Sie wurde mit
ihrer ethnisch-religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung (44% moslemische Bosnier, 31%
Serben, 17% Kroaten) oft als „Jugoslawien im Kleinen“ bezeichnet. Die nichtserbische Bevölkerung
hatte mit 99,4% für die Unabhängigkeit gestimmt, woraufhin die Serben im April eine eigene Republik
ausriefen. Der Krieg, der bis 1995 andauerte und in den sich auch die kroatischen Bosnier
einmischten, verlief unvorstellbar brutal und forderte besonders auf bosnischer Seite eine große
Anzahl an Opfern. Charakteristisch waren die Vertreibungen der jeweils anderen Gruppen aus
eroberten Gebieten. Bis 1994 gelang es Serbien, welches durch die BR Jugoslawien gestützt und
dadurch militärisch stärker war, fast 70% des Territoriums von Bosnien-Herzegowina unter seine
Kontrolle zu bringen.
Ein Ende der blutigen Auseinandersetzungen war erst in Sicht, als die NATO unter Führung der USA
mit ihren Militärschlägen begann und die Einigung von Kroaten und Bosniern zu einer gemeinsame
Föderation auf dem Staatsgebiet von Bosnien-Herzegowina forderte.
III. Waffenembargo gegen Jugoslawien
Das Eingreifen der UN-Friedenstruppen in den Krieg auf dem Balkan lässt sich generell in zwei Teile
unterteilen. Der zehntägige Kampf gegen die Jugoslawische Volksarmee, der Slowenien am Ende
eigenständige Republik werden ließ, erforderte noch kein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft
durch UNPROFOR.7 Das ,,Peace Keeping" beschränkte sich auf die beiden anderen Krisenherde.
7 United Nations Protection Force 1992-1995.
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Zum einen versuchten die VN, beim Krieg zwischen Kroaten und Serben um kroatische Grenzgebiete
zu vermitteln, zum anderen galt es, der Bevölkerung in Bosnien Herzegowina humanitäre Hilfe zu
gewährleisten. Am 25. September 1991 verhängten die VN gegen alle Nachfolgestaaten der
ehemaligen jugoslawischen Föderation ein zuvor schon von der EG beschlossenes Waffenembargo.
Diese Entscheidung wird teilweise als sehr folgenschwer und unüberlegt betrachtet: ,,[...] aber es trug
der Tatsache nicht Rechnung, dass es sich einseitig gegen jene Konfliktparteien richtete, welche noch
keine Waffen besaßen, und dass das Embargo diejenigen begünstigte, welche über insbesondere
schwere Waffen bereits verfügten."8 Den Serben war es gelungen, die Waffen der Jugoslawischen
Volksarmee (JNA) zu beschlagnahmen, Kroatien und Bosnien-Herzegowina waren insofern Verlierer
dieses Waffenembargos. Die Situation wäre aber auch nach einer weiteren Ansicht nach Aufhebung
des Waffenembargos für Bosnien im späteren Verlauf des Krieges nicht einfacher gewesen: ,,All das
Gerede im Verlauf der bosnischen Kämpfe, dass der Westen nur das einseitige Waffenembargo
gegen die bosnische Regierung aufheben und ein paar ,,chirurgische Luftangriffe" ausführen müsse,
sollte man als das sehen, was es war: Als hoffnungsloses Lavieren."9 Hier wird deutlich, dass der einst
begangene Fehler später nicht mehr korrigierbar war. Die eigentliche Absicht der VN war
undurchdacht: ,,The Council, under Chapter VII of the UN Charta, decided that all States should, for
the purpose of establishing peace and stability in Jugoslawia, immediately implement a general and
complete embargo on all deliveries."10 Hier zeigt sich, dass einige Führungspersonen der VN zwar
generell Lösungen für eine Wiederherstellung der friedlichen Verhältnisse auf dem Balkan suchten,
ihre Überlegungen aber oft nicht die Konsequenzen der nicht strategisch durchdachten
Lösungsversuche einschlossen.
IV. Das Eingreifen der UNPROFOR
Das erste aktive Eingreifen der VN war die Entsendung von mehr als 14.000 Soldaten, Polizisten und
zivilen Verwaltungsfachleuten in die von Serben beherrschten Teile Kroatiens. Am 21. Februar 1992
richteten die VN die UNPROFOR ein. Dieser Aktion waren schon Waffenstillstände vorausgegangen,
die am 23.11.1991 in Genf und am 02.01.1992 in Sarajevo unterzeichnet worden waren, jedoch in der
Folgezeit weder von den Serben noch von den Kroaten konsequent eingehalten wurden. UNPROFOR
bestand aus Beobachtern und Inspekteuren, den ,,Observer Missions", sowie aus militärischen
Einheiten, den eigentlichen ,,Peace Keeping Forces". Sie sollten durch Präsenz zwischen den Fronten
einem Wiederaufleben der Kämpfe vorbeugen.11
Kritik am UNPROFOR-Plan der UN kam von den Kroaten und den Serben gleichermaßen. Die
politische Lösung, so kritisierte unter anderem der Serbenführer in Ostslawonien Milan Babic, werde
schon vorweggenommen. Ein Teil erkennt eindeutig einen Nutzen für die Serben aus der
Stationierung der UN-Truppen: ,,Für Serbien dagegen bedeutete die Stationierung von UN-Truppen
eine Verfestigung des in den Kämpfen des Jahres 1991 erreichten Status quo".12 Dem steht die
Meinung des amerikanischen Journalisten Rieff gegenüber. Er sagte zur Positionierung der
UNPROFOR: ,,Das heißt, der Sicherheitsrat hat das DPKO (Department of Peace Keeping
8 Rieff, S. 235. 9 Rieff, S. 15. 10 Parties to conflict in Yugoslawia urged to settle their disputes peacefully. In: UN Chronicle, Dezember 1991, Seite 35 11 Arnold, S. 35. 12 Kind, S. 148.
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Operations) ermächtigt, Truppen zwischen zwei Parteien zu stationieren, die bereits den Wunsch
hatten, die Kämpfe zu beenden, aber noch neutrale Truppen brauchten..."13 Fest steht, dass zu dieser
Zeit zwischen den Parteien Serbien und Kroatien nicht annähernd derartige Einigkeit bestand, dass
die UNPROFOR ihre Aufgaben als neutrale Beobachtertruppe hätte wahrnehmen können. Zu dieser
Zeit war für die UN an eine Konfliktverlagerung und ein Eingreifen in den Krieg um Bosnien-
Herzegowina noch gar nicht zu denken. Bereits am 29. Februar 1992 kam es auf dem Gebiet von
Bosnien-Herzegowina zu Ausschreitungen bei einer Volksabstimmung zur Unabhängigkeit der
Republik. Die bosnischen Serben boykottierten die Abstimmung, während sich 63% der Bevölkerung
für die Unabhängigkeit aussprachen.
Die Vereinten Nationen reagierten darauf mit einer Verlegung eines Teiles der Truppen von Kroatien
nach Bosnien-Herzegowina. In Bosnien-Herzegowina lebten Bosnier, Serben und Kroaten zusammen,
doch die Vereinten Nationen erkannten das Konfliktpotential dieser Region erst spät. Die Aufgabe für
die Einheiten der UN bestand darin, die humanitäre Versorgung der Zivilisten und die Routen der
Hilfstransporte zu sichern. Verschiedene Aufteilungspläne für Bosnien-Herzegowina wurden
präsentiert, doch sie scheiterten stets an der Unzufriedenheit einer oder mehrerer der drei Parteien.
Immerhin wurden am 22. Mai 1992 die Staaten Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina in das
Staatenbündnis der Vereinten Nationen aufgenommen. Die UN folgte damit dem Beispiel der USA, die
jene drei Staaten schon am 07. April 1992 anerkannt hatten. Die europäischen Staaten und die USA
weckten damit in der dortigen Bevölkerung wiederholt die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage.
Für die bosnische Bevölkerung war unverständlich, dass auf der einen Seite der Staat Bosnien-
Herzegowina anerkannt war, andererseits die Akzeptanten den Völkermord auf dem Balkan indirekt
tolerierten.
V. Der Feind wird deutlich, die Unparteilichkeit bleibt gewahrt
Kroatien erkannte am 16. Juni 1992 das unabhängige Bosnien-Herzegowina an. Beide Regierungen
beschlossen eine militärische Intervention gegen Serbien. Der Feind der Vereinten Nationen wurde zu
dieser Zeit immer deutlicher ausgemacht. Der Truppenrückzug der JNA aus Kroatien, den Tudjman für
die Seite der Kroaten und Cosic für die serbische Partei am 30. September 1992 beschlossen, war
auch ein Erfolg für die UN. Kleinere Fortschritte wurden sofort durch erneute Rückschläge wieder aufgehoben, so schreibt der UN Chronical im März 1993 weiter: ,,...the wide ranking embargo against
federal Republic of Yugoslawia was tightened"14 In ihrer Jugoslawienpolitik sahen sich die Vereinten
Nationen immer wieder gezwungen, die Länder mit Sanktionen zu bestrafen. Die Parteien schreckten
vor diesen immer wiederkehrenden Sanktionen jedoch schon lange nicht mehr zurück. Der UN
Chronical veröffentlichte in dieser Zeit eine Fülle von Resolutionen gegen Serbien. Verschiedene
Repräsentanten, im besonderen Generalsekretär Boutros Ghali, verurteilten den Völkermord in
Bosnien und Kroatien auf das Schärfste. Auf viele Zivilisten wirkten die verbalen Mahnungen jedoch
schon wie ein Resignieren. Jeder Veröffentlichung einer neuen Gräueltat folgte eine Verurteilung
seitens der Menschenrechtskommission, jedoch in ihrem Resultat wirkungslos.
13 Rieff, S. 235. 14 Embargo against Federal republic of Yugoslawia tightened. War crimes investigative body created. in: UN Chronical, März 1993, S. 5.
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Die UN versuchte sich jedoch im Jugoslawienkonflikt unparteiisch zu verhalten und berief sich darauf,
dass es nicht ihre Aufgabe sei, den Feind zu erkennen und deutlich zu machen, sondern Frieden zu
schaffen und humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Vielleicht hätte die UN jedoch besser daran getan,
schon frühzeitig die Urheber der Auseinandersetzungen zu bekämpfen, als sich auf ihre
Unparteilichkeit zu versteifen. Christian Kind meint, die USA und Europa hätten ein begründbares
Interesse, dass es um einen dreiseitigen Bürgerkrieg gehe, der durch Verhandlung und Vermittlung
rasch beendet werden solle. ,,Von dieser Warte aus waren alle Streitparteien gleich zu behandeln, auf
deren allseitige Zustimmung und Duldung auch die UN- Truppen in all ihren Aktivitäten angewiesen
waren."15
VI. Versuche einer friedlichen Lösung
Ein weiterer Schritt der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens zwischen den jugoslawischen
Völkern erfolgte am 26. und 27. August 1992. Der ,,permanenten Konferenz" in Genf, die aus der
Internationalen Konferenz in London resultierte, saß neben Lord Owen als Vertreter der EG auch
Cyrus Vance als Vertreter der UN bei. Die Agitation der UNPROFOR weitete sich jetzt auch auf
Makedonien aus. Hier kooperierte die UNPROFOR auch mit dem KSZE. Am 18. Dezember 1992
befreite die UN Bosnien-Herzegowina vom Embargo und korrigierte somit indirekt einen vorher
begangenen Fehler. Daraufhin verkündete der UN-Generalsekretär am 20. Januar 1993, dass die
verfassungsmäßigen Bedingungen für Bosnien-Herzegowina von allen Seiten bedingungslos
akzeptiert würden. Optimistisch teilte er weiterhin mit, nach geographischen Einteilungen würde noch
gesucht.16 Auf Drängen der UN nahmen jetzt auch die USA eine aktivere Rolle in der Balkanpolitik ein. Der “UN Chronicle” begrüßte dieses Eingreifen: ,,On 11. February the Co-Chairman welcomed the
United States decision to take an active role in the former jugoslawia."17 Die Gespräche mit den drei
Mächten auf dem Balkan vom 26. und 27. Dezember 1992 in Genf beschrieb Boutros-Ghali trotz
verschiedener Standpunkte als konstruktiv. Das Ziel der UN hieß jetzt, die Unabhängigkeit Bosnien-
Herzegowinas erreichen.
Am 02. Januar 1993 wurde in Genf der Vance-Owen-Plan vorgestellt. Dieser Plan sah die Aufteilung
Bosnien Herzegowinas in zehn Provinzen vor; drei Provinzen davon sollten die Serben, drei die
Kroaten und drei die Muslime erhalten, für Sarajewo war ein Sonderstatus vorgesehen. Der Vance-
Owen-Plan hatte sich mit einer Aufteilung nach ethnischen Kriterien also schon abgefunden. Er wurde
von den Kroaten angenommen, von den anderen Parteien jedoch nicht akzeptiert. Die bosnische
Seite hegte immer noch Hoffnung auf ein Intervenieren der USA und wollte außerdem den Plan
deshalb nicht anerkennen, weil dieser die ethnischen Säuberungen legitimiere.18 Weitere
Friedensgespräche fanden vom 23. bis zum 30. Januar in Genf und vom 03. bis zum 08. Februar
1993 in New York statt. Cyrus Vance19, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, teilte mit, nach
seiner und der Ansicht von Lord Owen bestehe die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts auf den
ganzen Balkan. Insofern hatten die beiden nach einer schnellen friedlichen Lösung für das
Krisengebiet gesucht.
15 Kind, S. 154. 16 Situation worsens as Peace process continues. In: UN Chronicle, Juni 1993, S. 7. 17 a.a.O., S. 8. 18 Rieff, S. 212. 19 Cyrus Robert Vance (1917-2002) war US-Außenminister der Regierung Carter von 1977-1980.
Der Zerfall Jugoslawiens
Wissenschaft & Sicherheit Nr. 5/2006-10. Mai 2006 11
Inzwischen hatte sich der Konflikt schon auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina ausgeweitet. Die
Serben nahmen weite Teile des Gebietes ein. Am 17. Februar 1993 beschloss die UN die
Unterbrechung der Hilfslieferungen in die bosnischen Enklaven Srebrenica, Gorazde und Creska,
nachdem die bosnische Regierung die Versorgung von Sarajewo blockierte. Die Unterbrechung war
auch ein Resultat der bosnischen Politik. Es ist symptomatisch für die problematische Lage auf dem
Balkan, dass die bosnische Regierung aus Enttäuschung über die UN-Politik den Hilfstransport nach
Sarajewo blockierte. Oberflächlich betrachtet hatte es den Anschein, als sei es die bosnische Politik
gewesen, die sich gegen den Friedensschluss aussprach. Dabei waren die Politiker einzig nicht mit
der Aufteilung ihres Landes auf Serben und Kroaten einverstanden. Trotzdem gab es, obwohl die
UNPROFOR den am bosnischen Volk begangenen Genozid nie leugnete, keine Fürsprache für die
blockierende Politik Bosniens.
VII. Der Kriegsgerichtshof in Den Haag und weitere Schritte der UN
Die UN beschloss am 22. Februar 1993 in ihrer Resolution 808 die Schaffung eines Internationalen
Kriegsverbrecherhofes. Dieser Resolution folgte am 25. Mai 1993 in der Resolution 827 die
Einsetzung des Internationalen Strafgerichtes in Den Haag. Im Statut des Internationalen Gerichts ist
als Grund für die Erschaffung des Kriegsgerichtes ,,die seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen
Jugoslawien begangenen schweren Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht"20 festgehalten.
Diese zu bestrafenden Personen, so heißt es weiter, sei das Gericht befugt, strafrechtlich zu
verfolgen. Ohne den Wert eines solchen Tribunals in Frage stellen zu wollen, ist dies eine Maßnahme,
die erst zu späterer Zeit in Kraft treten konnte. Am 19. Februar 1993 beschloss der UN-Sicherheitsrat,
dass die Blauhelmsoldaten zum Eigenschutz auch Waffen benutzen dürfen, später wurde in
Resolution 816 beschlossen, dass auch die von der UN eingeführten Schutzzonen mit Waffengewalt
gesichert werden dürfen. Allmählich setzte sich die Erkenntnis auch bei den militärischen
Befehlshabern durch, dass „Peace Keeping“ zumindest Waffenbesitz erforderte. Am 17. März 1993
wurde von Seiten der UN über die Verletzung der Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina
berichtet. Die bosnischen Serben hatten die beiden bosnischen Städte Gladovici und Osatica
bombardiert.
VIII. Der Vance-Owen-Plan und seine Folgen
Die Serben erweckten den Anschein, auf formeller Ebene dem Plan zuzustimmen, nahmen jedoch bei
militärischen Operationen auf die Zugeständnisse keine Rücksicht. Während am 25. März 1993 auch
die bosnische Seite in Person des Präsidenten Izetbegovic bereit war, den Vance-Owen-Plan zu
unterschreiben, lehnten die Serben diesen weiter ab. Der UN Chronicle berief sich auf die
Kooperationsbereitschaft der Serben, während in Bosnien-Herzegowina die ethnischen Säuberungen
ungehindert weitergeführt werden konnten. Die UN wies immer wieder darauf hin, dass ihre Aufgabe
nicht der Schutz der bosnischen Bevölkerung sei, sondern der Schutz der humanitären Hilfe. So
wurde das Friedensangebot für Bosnien-Herzegowina, welches in Verhandlungen vom September
1992 bis zum März 1993 ausgearbeitet wurde, nach Darstellung des UN Chronicle zu großen Teilen
20 Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien. In: Europa- Archiv, Folge 3 / 1994, Seite D89.
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von den Kriegsparteien schon akzeptiert. Diskussionspunkte waren ein dauerhaftes Einstellen der
Feindseligkeiten, die Entmilitarisierung von Sarajevo, ein Rückzug aus den Militärgebieten und die
Garantie für die Bürger, freien Zugang zu allen Gebieten zu haben. Rieff kritisiert die Aufteilung
Bosniens nach dem Vance-Owen-Plan als eine Schwächung Bosnien-Herzegowinas: ,,Dieser Plan
opferte zugunsten einer Autonomie ethnischer Kantone das Recht Bosniens."22
Die bosnischen Serben beanspruchten weiterhin große Teile der Gebiete für sich, die UN lehnte die
Forderung mit Fingerzeig auf die ethnischen Säuberungen in diesem Gebiet aber strikt ab. In einer
Volksabstimmung sprachen sich 96% der bosnischen Serben gegen den Vance-Owen-Plan aus. Als
Konsequenz aus den dauerhaften militärischen Aktionen aller Kriegsparteien vereinbarten die
Vertreter der USA, der EG und Russlands in Washington ein gemeinsames ,,Aktionsprogramm": Dies
bedeutete das endgültige Ende des Vance-Owen-Plans. Am 1. Mai 1993 löste der Norweger Thorvard
Stoltenberg den US-Amerikaner Cyrus Vance in seiner vermittelnden Rolle ab.
IX. Der Rückzug der UN aus der Vermittlerrolle
Die Vereinten Nationen zogen sich daraufhin mehr und mehr aus der Vermittlerrolle zurück. An ihre
Stelle traten andere Organisationen, wie die ,,Außenminister der Zwölf", die auf Einberufung von
Frankreich und Deutschland eine Friedensinitiative für Bosnien gründeten. Am 15. und 16. Juni 1993
vereinbarten Milosevic und Tudjman in Genf eine Einteilung Bosnien-Herzegowinas in drei ethnische
Einheiten im Rahmen einer Konföderation. Sowohl Izetbegovic als auch die der Führer der bosnischen
Serben Karadzic und der Kroatenführer Boban lehnten den Vorschlag ab. Im Juni 1993
verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Bildung von sechs ,,Schutzzonen" für die
bosnischen Muslime; nämlich Bihaç, Tuzla, Srebrenica, Zepa, Gorazde und Sarajevo. Der Rückzug in
die Schutzzonen bedeutete immer auch die Aufgabe des Landes. Insofern war es auch Kapitulation
vor Praktiken wie der ethnischen Säuberung. Dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)
bot sich jedoch oft keine andere Möglichkeit, als die Leute aufzufordern, die Gebiete zu verlassen und
in die Schutzzonen zu fliehen. Die humanitären Hilfsmaßnahmen der UN brachen folglich unterdessen
nicht ab. Sie wurden jedoch bei der westlichen Bevölkerung in Frage gestellt, als am 5. Februar 1994
auf einem Marktplatz in der Schutzzone Sarajevo ein Granateinschlag in eine Menschenmenge 70
Todesopfer forderte. Boutros Ghali drängte daraufhin die NATO, Luftunterstützung für UNPROFOR zu
stellen. Die US-Luftwaffe bombardierte Ende Februar 1994 vier Flugzeuge, die in der Kraijna gestartet
waren und über Bosnien die Flugverbotszone verletzten. Die Hoffnungen der bosnischen Bevölkerung
auf ein militärisches Intervenieren wurden durch solche Maßnahmen immer wieder geweckt. So hatte
der amerikanische Präsident vor seiner Wahl immer wieder eine aktivere Rolle Amerikas in der
Jugoslawienpolitik versprochen und Präsident Bush für sein passives Verhalten gerügt. Nach seiner
Wahl konzentrierte Clinton seine Politik entgegen aller Versprechen und Hoffnungen aus Bosnien-
Herzegowina auf den innenpolitischen Bereich. Zu durchgreifenden Maßnahmen, die das Ende des
Konfliktes auf dem Balkan hätten herbeiführen können, konnte sich keine westliche Großmacht
entschließen.
Die UNPROFOR nahm in Tuzlar den dortigen Flughafen unter ihre Kontrolle. Ende März griffen die
bosnischen Serben die UN-Schutzzone Gorazde an. Sogar Schutzzonen mussten von der UN
verloren gegeben werden. Unterdessen gingen aber die Friedensverhandlungen weiter. Je nach
Der Zerfall Jugoslawiens
Wissenschaft & Sicherheit Nr. 5/2006-10. Mai 2006 13
Kriegslage und Truppenstärke arrangierten sich die Bürgerkriegsparteien immer wieder neu;
eigentliche Kriegsgegner wurden so zu Verbündeten. Die UN hatte in dieser unsicheren
Balkanordnung sicherlich keinen leichten Stand.
X. Der lange Weg von der Kooperation bis zum Dayton-Abkommen
Der Krieg auf dem Balken nahm in der Folgezeit immer absurdere Ausmaße an. Während die Führer
der Kriegsparteien miteinander verhandelten, wurden in Bosnien-Herzegowina schuldlose Zivilisten
ermordet. Parteien, die sich kurz zuvor noch beschossen hatten, kooperierten in bestimmten Gebieten
miteinander, bei der nächsten Gelegenheit schon war die Kooperation vergessen und man verbündete
sich mit dem anderen Partner. Galt es zu Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina noch als
gemeinsames Ziel von Kroaten und Serben, das Land zu besetzen, so verbündeten sich die Kroaten
am 1. März 1994 in einer Föderation mit den Muslimen Bosniens. Das ehemalige Mitglied von Titos
Politbüro, Milovan Djilas, warf dem kroatischen Präsidenten einmal in einem Interview vor, janusköpfig
gehandelt zu haben."25
Im Januar 1995 beendeten die Kroaten den Vertrag zur Stationierung von Blauhelmtruppen auf ihrem
Territorium. Grund dafür war, dass die Kroaten bei der Entwaffnung der Serben und bei der Rückkehr
der Flüchtlinge keine Fortschritte erkannten. Kurz nachher, erst auf Druck der EU, ließen sie ihre
Forderung nach Rückzug wieder fallen, die Truppenzahl der Blauhelme sollte jedoch auf 5000
reduziert werden. Die UN wurde hier deutlich immer mehr zum Spielball der kroatischen und
serbischen Kriegsparteien. Resolutionen und Drohungen konnten die beiden Nationen schon lange
nicht mehr verunsichern.
Ende Mai 1995 flog die Nato als Reaktion auf einen serbischen Raketenangriff auf Tuzla Angriffe
gegen serbische Munitionsdepots. Die Serben reagierten darauf mit der Gefangennahme von
mehreren hundert UNPROFOR Soldaten und drohten im Falle der Fortführung der Luftangriffe mit
deren Ermordung. Alle Vereinbarungen, die mit der UN gemacht worden waren, wurden von den
Serben für ungültig erklärt. Auch hier zeigte sich wieder die Schwäche der UN. Sie hielt für eine Aktion
her, an der sie direkt nicht beteiligt war. Sie war für die Serben und Kroaten der Repräsentant des
eingreifenden Westens. Mitte Juni wurden die Blauhelmsoldaten von den Serben wieder freigelassen.
Am 10. Juli 1995 eroberten die bosnischen Serben die Schutzzone von Srebrenica und griffen
weiterhin die UN-Schutzzone Zepa an. UN-Soldaten wurden bei dieser Aktion unter dem Kommando
des serbischen Generals Ratko Mladic wieder als Geiseln genommen, über 7.000 Muslime wurden
von den Serben ermordet.21
Am 19. Juli 1995 griffen Serben aus der Krajina die moslemische Enklave Bihac in Nordwest-Bosnien
an. Kroatien griff daraufhin ein und eroberte die Stadt. Nach der Eroberung Westslawoniens durch die
Kroaten im Mai 1995 waren die Serben somit auch in der Krajina geschlagen. Die Lage der
bosnischen Serben hatte sich gravierend verschlechtert. Die bosnische Armee eroberte indes große
Teile Westbosniens zurück. Im Juli schlossen Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein Militärbündnis
und kontrollierten damit fast 50% des Territoriums von Bosnien-Herzegowina. Nach einem
Mörserangriff auf den Markt von Sarajevo entschloss sich die NATO am 30. August 1995 zum Angriff
21 Der Fall Srebrenica ist eingehend dokumentiert in: Annette Simon/Brecht Vandenberghe, ZaöRV 2001, S. 681ff.
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serbischer Stellungen. Es war die bis dahin größte Militäraktion der NATO.22 Damit gaben die USA
ihre ursprüngliche Absicht, die politische Konfliktlösung den UN und den westeuropäischen Staaten zu
überlassen, auf.23 Die Einschätzung der Europäer, sie könnten eigenständig Herr der Lage werden,
war mithin gescheitert. Die USA verstärkten nun ihre diplomatischen Aktivitäten um Ex-Jugoslawien
und entsandten ein Verhandlungsteam unter der Leitung von Richard Holbrooke.24
Am 08. September 1995 wurden in Genf sog. „Grundprinzipien“ mit folgendem Inhalt vereinbart:25
Bosnien und Herzegowina sollte als Gesamtstaat in seinen Grenzen aus seiner Zeit als
jugoslawische Republik weiterexistieren;
es sollte aus zwei Entitäten, nämlich der Föderation von Bosnien und Herzegowina sowie der
Republik Srpska bestehen;
das Territorium zwischen diesen beiden Gebieten sollte 51:49 aufgeteilt werden;
beide Entitäten sollten das Recht haben, eigenständige Beziehungen zu den Nachbarländern
– also Kroatien und Serbien/Montenegro – zu haben;
Die Bewegungsfreiheit aller Bürger wurde garantiert und den Vertriebenen sollte eine
Rückkehr in ihre Heimat oder eine Entschädigung ermöglicht werden.
XI. Das General Framework Agreement for Peace
Am 21. November 1995 wurde auf der Wright Patterson Air Force Base in Dayton im US-Bundesstaat
Ohio ein Friedensabkommen vorbereitet, welches am 14. Dezember schließlich auf Vermittlung von
US-Präsident Clinton von den Präsidenten der drei Konfliktparteien unterzeichnet wurde. Der seit
Oktober geltende Waffenstillstand wurde dadurch vertraglich abgesichert.
Dieses Abkommen erklärte den Konflikt in Bosnien-Herzegowina offiziell für beendet und erkannte den
Staat auch formell an. Im neuen Bosnien-Herzegowina wurden 51% der Gebiete der muslimisch
kroatischen Föderation zugesprochen, 49 % der Gebiete erhielt der serbische Teil von Bosnien. Für
die serbische Republik Srpska unterzeichnete Slobodan Milosevic, da Karadzic in Den Haag als
Kriegsverbrecher angeklagt worden war. Von Seiten der UN wurde das Dokument nicht unterzeichnet;
die UN wurden lediglich in friedensschaffende Aktivitäten eingebunden.
Nach dramatischen Verhandlungen während ihrer dreiwöchigen Klausur paraphierten die beteiligten
Parteien das 170 Seiten starke General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina
(GFAP).
Die einzelnen Konfliktparteien hatten zunächst unvereinbare Vorstellungen bezüglich der territorialen
und politischen Verfassung des Vielvölkerstaats.26 Die Bosniaken waren am Erhalt Bosnien-
Herzegowinas als multiethischem Zentralstaat interessiert. Bosnische Kroaten wie Serben strebten
eine möglichst große Unabhängigkeit der von ihnen kontrollierten Gebiete durch Sezession samt
Beitritt zum jeweiligen Nationalstaat oder Kantonisierung an. Diese beiden Alternativen bedeuteten
eine faktische Auflösung Bosnien-Herzegowinas. In Dayton wurden mehrere Ansätze zur Neuordnung
des Landes unterbreitet, wie
22 Ripley, Operation Deliberate Force. The UN and NATO Campaign in Bosnia 1995. 23 Dadler, S. 162. 24 Weitere Mitglieder waren Wesley Clark, James Pardew, Donald Kerrick, Christopher Hill und Robert Owen. Drei Mitglieder des ersten Teams starben am 19.08.1995 bei einem Minenunfall am Berg Igman bei Sarajevo. 25 Petritsch, S. 52. 26 Probst, S. 3.
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ein Kantonsmodell,
ein Regionalisierungsmodell (im Wesentlichen der Vance-Owen-Plan),
ein Konföderationsmodell (wie der Owen-Stoltenberg-Plan).
Alle Vorschläge scheiterten jedoch am Widerstand zumindest einer Volksgruppe. In Bosnien-
Herzegowina herrschte sprichwörtlich der Konsens, keinen Konsens zu haben.
Die VR Jugoslawien wollte die gegen sie verhängten internationalen Sanktionen schnellstmöglich
aufgehoben wissen, während die USA verschiedentlich mit deren Aufrechterhaltung drohten.27 Für die
europäischen Staaten war es vorrangiges Ziel, eine starke Stellung des Hohen Repräsentanten der
Internationalen Gemeinschaft herbeizuführen. Dessen Aufgaben sollte stets ein Europäer
wahrnehmen.28 Dafür war Europa bereit, einen hohen Anteil der Kosten der zivilen Implementierung
zu übernehmen. Vorrangiges Interesse Deutschland war wiederum, eine schnelle und geordnete
Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen zu ermöglichen.
Die US-amerikanischen Militärs lehnten die Übernahme von zivilen Aufgaben strikt ab. Die
Implementation Force (IFOR) sollte nur für den militärischen Bereich zuständig sein. Entsprechend
wurde sie vom Aufgabenbereich des Hohen Repräsentanten strikt getrennt. Dem Hohen
Repräsentanten obliegt laut Annex 10 zum GFAP die Überwachung der Durchführung des Vertrages,
die Beibehaltung engen Kontaktes zu allen Parteien sowie deren Unterstützung bei der Erfüllung der
Vertragspflichten und bei der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen.29
Amerikaner und Europäer folgten der Grundidee, den Konflikt zwischen den Ethnien durch Schaffung
eines dezentralen Staatenverbandes zu entschärfen. Hinsichtlich der USA kann diese Absicht
durchaus in dem weltpolitischen Kontext gesehen werden, einer erneuten Erstarkung Europas
dadurch vorzubeugen, indem nur noch kleinere Staaten die Staatennachfolge antreten. Allerdings
sollte eine noch weitergehende Aufspaltung in Einzelstaaten („Balkanisierung“) verhindert werden.30
XII. Völkerrechtliche Würdigung des GFAP
Das GFAP vereinigt Einzelverträge von unterschiedlichen Rechtssubjekten und stellt daher einen
völkerrechtlichen Rahmenvertrag dar.
Ein Blick in die Originaltexte zeigt, dass die in der öffentlichen Berichterstattung verwendete
Kurzformel „Dayton-Abkommen“ in Wirklichkeit für ein ganzes Bündel von Vereinbarungen höchst
unterschiedlichen Inhalts sowie zwischen wechselnden Vertragspartnern steht.31 Grundsätzlich
handelt es sich um ein Rechtsdokument. Auffällig ist jedoch, dass innerhalb des Vertragswerkes an
verschiedenen Stellen politische Begriffe und politische Absichtserklärungen auftauchen. So lautet
z.B. Artikel X Annex 1a (Cooperation):
„The parties shall cooperate fully with all entities involved in implementation of this peace settlement,
as described in the General Framework Agreement, or which are otherwise authorized by the United
Nation Security Coucil, including the International Tribunal for the Former Yugoslavia.”
27 Petritsch, S. 56. 28 In der Folgezeit wurde das Amt des HR wahrgenommen durch: Carl Bildt (Schweden, 1995-1997), Carlos Westendorp (Spanien, 1997-1999), Wolfgang Petritsch (Österreich, 1999-2002), Paddy Ashdown (Großbritannien, 2002-2006). Ende Januar 2006 hat der Deutsche Christian Schwarz-Schilling das Amt übernommen. 29 Nebelung, S. 107ff. 30 Stahn, S. 663. 31 Die vollständige Textfassung veröffentlichte das U.S. State Department im Internet unter www.state.gov/www/current/bosnia/bosagree.html.
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Außergewöhnlich ist für ein Rechtsdokument ferner, dass die Kooperation der Parteien mit den an der
Herstellung des Friedens beteiligten Internationalen Organisationen (IO) betont wird. Grundsätzlich ist
die Zusammenarbeit zwischen den im Vertrag genannten Gruppen Vertragsgrundlage.
Im GFAP wird erstmals der Begriff International Community (IC) verwendet. So postuliert Artikel 1 Nr.
1a Annex 1a GFAP:
The parties undertake to recreate as quickly as possible normal conditions of life in Bosnia and
Herzegovina. They understand that this requires a major contribution on their part in which they will
make strenuous efforts to cooperate which each other and with the international organizations and
agencies, which are assisting them on the ground. They welcome the willingness of the international
community to send to the region, for a period of approximately one year, a force to assist in
implementation of the territorial and other military related provisions of the agreement as described
herein.
Damit verwendet das Rechtswerk GFAP einen Begriff, der sich nicht klar einem Völkerrechtssubjekt
zuordnen lässt. Somit wird ein neuer, nur schwer definierbarer politischer Begriff Bestandteil eines
völkerrechtlichen Vertrages. Der Bezug auf eine IC als Gesamtheit ohne eine dahinter stehende
Organisation ist der klassischen Rechtssubjektlehre fremd. Die in den Vereinten Nationen
repräsentierten Staaten sind mit der im GFAP genannten IC keinesfalls identisch.32
XIII. Die Regelungen des GFAP
Die Vereinbarung besteht aus einem Rahmenvertrag, der allgemeine Verpflichtungen enthält.
Vertragsbestandteil sind zudem elf Anhänge zum Vertrag. Betont wurde die ausdrückliche
Anerkennung der Grundsätze der UN-Charta, der Schlussakte von Helsinki sowie weiterer OSZE-
Dokumente. Außerdem begrüßen und bekräftigen die Parteien einen Teil der in den Anhängen
kodifizierten Regelungen. Sie erklären hier ihre Bereitschaft, mit allen mit der Umsetzung des
Vertrages befassten Organisationen und Organen zusammenzuarbeiten und bei der Verfolgung und
Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen mitzuwirken. Dies ist sinnig, da die Unterzeichner der
einzelnen Anhänge oftmals nicht mit den Unterzeichnern des Rahmenabkommens identisch sind. Die
Bekenntnisse stellen neben der Übernahme politischer Verantwortung auch die Übernahme einer
völkerrechtlichen Treuepflicht dar.33
Die militärischen Vereinbarungen des GFAP gliedern sich in die Waffenstillstandsvereinbarungen der
Kriegsparteien sowie in die Bestimmungen über die Stationierung und die Kompetenzen der
Implementierungstruppe IFOR. Die einzelnen Rechte und Pflichten sind detailliert vorgeschrieben.
IFOR hat demnach das Recht, nach eigenem ermessen über den Einsatz von Waffen zu entscheiden,
solange dies zum eigenen Schutz oder zur Erfüllung der in Annex 1a zum GFAP übertragenen
Aufgaben erforderlich ist. Bereits Ende 1996 lief das IFOR-Mandat aus. Unter weitgehender
Beibehaltung der Truppenstärke schloss sich die SFOR-Folgemission34 unter Beibehaltung aller
Regelungen an. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der militärische Annex zum GFAP
bereits in die Tat umgesetzt worden sei.
32 Insofern findet sich im GFAP die oft unilaterale Ansicht der USA wieder, dass viele UN-Mitgliedsstaaten aufgrund ihrer inneren Verfassung und Praktiken nicht das Auftreten der USA rechtlich bewerten können. 33 Dörr, S. 141. 34 SFOR: abgekürzt für Stabilisation Force.
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Als weitaus schwieriger erwies sich die Umsetzung des politischen Teils. Hierzu gehört der Aufbau
politischer Institutionen der Republik Bosnien-Herzegowina und die Klärung des Verhältnisses der
beiden Teilgebiete „Föderation Bosnien-Herzegowina“ (dem Zusammenschluss des kroatischen und
des bosniakischen Territoriums) und der „Serbischen Republik“ zum Gesamtstaat. Außerdem umfasst
dieser Teil des GFAP die Rückführung der Flüchtlinge, die Durchführung freier Wahlen sowie den
Verwaltungsaufbau für die in einen kroatischen und einen bosniakischen (muslimischen) Teil
getrennte Stadt Mostar sowie das Problem des Brcko-Korridors.
Hier zeigt sich das Problem, dass der gewissermaßen erzwungene Frieden von Dayton das
zusammenführen will, was ja gerade nach Ansicht sowohl der Serben als auch der Kroaten nicht
zusammengehört. Sowohl Serben als auch Kroaten betrachten die Republik Bosnien-Herzegowina
denn eher als Übergangslösung und setzen langfristig darauf, die bosnischen Teilgebiete mit dem
jeweiligen „Mutterland“ zu vereinen.
Die Frage des nur wenige Kilometer breiten Brcko-Korridors, der die Gebiete der „Serbischen
Republik“ verbindet und im Norden von Kroatien, im Süden bosniakisch begrenzt wird, erwies sich gar
als so kompliziert, dass sie aus dem GFAP ausgeklammert und einer Schiedskommission übergeben
wurde. In Brcko leben zurzeit Serben; die Stadt wird aber von den Bosniaken beansprucht. Sie bleibt
unter internationaler Kontrolle.
Der von der EU geleitete und finanzierte Versuch, eine gemeinsame Verwaltung für die Stadt Mostar
aufzubauen, muss als gescheitert betrachtet werden. Multiethische Konzepte werden in der Republik
nur von den Bosniaken akzeptiert, während die Serben und die Kroaten nach wie vor auf Trennung
setzen. So ist auch die Lebensfähigkeit der beiden Korridorlösungen von Brcko und dem
bosniakischen Gorazde fragwürdig.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass durch das GFAP eine Verfassung geschaffen worden ist, durch
die die ehemalige sozialistische Republik Bosnien und Herzegowina in einen demokratischen Staat
überführt wurde.35 Dieser ist Rechtsnachfolger der Republik Bosnien-Herzegowina und besteht
seinerseits aus den beiden Entitäten „Föderation Bosnien und Herzegowina“ und „Republik Srpska“,
die jeweils über eigene Staatsangehörigkeiten, Verfassungen, Parlamente und Regierungen verfügen.
Das alte jugoslawische Recht gilt dabei insoweit als fortbestehend, als dass es nicht gegen die
Verfassungen oder gegen höherrangiges Recht (Menschenrechte, insb. EMRK) verstößt oder durch
neu geschaffenes Recht verdrängt wird.
Am 14. Dezember 1995 wurde das GFAP in Rambouillet bei Paris in einer feierlichen diplomatischen
Zeremonie von den Parteien unterzeichnet. Im Anschluss daran verabschiedete der UN-Sicherheitsrat
seine Resolution 1031, mit der die NATO beauftragt wurde, die Einhaltung des GFAP zu überwachen
und notfalls auch militärisch durchzusetzen.36 Aber auch zehn Jahre nach Vertragsschluss in Dayton
ist Bosnien und Herzegowina kein unabhängiger, im Frieden befindlicher und sich selbst tragender
Staat. Viele der Faktoren, die einen souveränen Staat ausmachen, und die Voraussetzung eines
friedlichen Miteinanders der Bürger sind, werden nach wie vor durch die Unterstützung der
35 Schwarz, Justizreform in Bosnien, S. 79. 36 UNSCR 1031 (1995) vom 15.12.1995.
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Internationalen Staatengemeinschaft sichergestellt.37 Beklagt wird vor allem, dass Teile aller
ethnischen Gruppen in nationalistischen Positionen verharren und mafiöse Strukturen fortbestehen.38
Schneider bemerkt zum GFAP, dass es ohne westliche Mächte niemals zu einer Realisierung eines
permanenten Friedens auf dem Balkan käme. Er beschreibt einige Lösungskonstruktionen als
waghalsig, so zum Beispiel die Annahme: ,,[...], dass die verfeindeten Völker außerstande sind, ohne
die Mitwirkung Außenstehender friedlich miteinander auszukommen."39 Frankreich unternahm als
erstes Land in Westeuropa den Schritt der Anerkennung; die anderen europäischen Staaten vollzogen
diesen Schritt nur kurze Zeit später. Dem folgte am 1. Oktober des Jahres 1996 die Aufhebung aller
Sanktionen seitens des UN-Sicherheitsrates gegen die Föderative Republik Jugoslawien.
XIV. Die Schwächen der UN bei der Konfliktlösung
Boutros Ghali, der Generalsekretär der UN, wies im Kommentar zum GFAP alle Vorwürfe von sich,
wie der UN Chronicle im Frühjahr 1996 schrieb: ,,[...] Secretary Boutros Ghali on 13 December stated
that it`s original and primary mission - to protect humanitarian activities - had been successfully carried
out."27 Er stellt die UN im Bezug auf humanitäre Hilfe als fehlerfrei dar und negiert damit indirekt, dass
eine für den Weltfrieden so wichtige Organisation einen Fehler begehen könne. Fast schon makaber
wirkt es, als er sagt, die UN habe ihre Lektion aus Bosnien gelernt. Im Folgenden bezeichnet er den
Einsatz der UN als ,,most difficult test for the transition from a divided Europe to a new Europe."28
Angesichts der Vielzahl von Kriegsopfern und Gräueltaten von einem Test für ein neues Europa zu
sprechen, erscheint hier fragwürdig.
Ein Vorwurf an die UN richtet sich aber vielmehr an die sie tragenden großen Mächte. Die Frage, ob
die Internationale Staatengemeinschaft hätte intervenieren sollen, steht dabei im Mittelpunkt. Die UN
hatte es sich im Balkankonflikt zum Ziel gesetzt, unparteiisch zu handeln, um den
Verhandlungsprozess auf dem Weg hin zum Frieden nicht zu gefährden. Insofern hätte sich bei
militärischem Intervenieren durch UN-Truppen stets die Frage des eigentlichen Feindes gestellt und
die vermeintlichen Urheber, die die westliche Öffentlichkeit allzu oft im Aggressor Serbien sahen,
wären dem Friedensprozess sicherlich noch ablehnender entgegengetreten.
C. Die Folgen von Dayton am Beispiel des Kosovo
Der Ratifizierung des GFAP am 14. Dezember 1995 in Paris folgte, bei aller Genugtuung über das
Ende der Kämpfe, bald die Warnung, dass nur Teilaspekte der die Stabilität Südosteuropas
gefährdenden Risiken vorläufig gelöst worden seien. Kritik entzündete sich in erster Linie daran, dass
die Kosovoproblematik nicht auf die Tagesordnung von Dayton gesetzt worden war. Die politische
Agenda war durch den Krieg in Bosnien-Herzegowina bestimmt, wodurch der Konflikt um die
autonome Provinz Kosovo aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit verschwand. Dass die
Kosovokrise nicht Bestandteil der Friedensverhandlungen geworden war, verdeutlichte ihre
Vernachlässigung und erwies sich im Rückblick als verhängnisvoller Fehler. Aus damaliger Sicht war
dies aber alternativlos.
37 Melcic, S. 451. 38 Vitzhum/Winkelmann, S. 110. 39 Schneider, S. 37ff.
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I. Aufstand der Albaner
Gerade den Albanern im Kosovo blieb nicht verborgen, dass der Westen sichtlich bemüht war, seine
Beziehungen zur Regierung Milosevic allmählich zu normalisieren, nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der Implementierung des GFAP und einer Demokratisierung der Region.40 Es ist deshalb nicht
erstaunlich, dass sich abseits von Präsident Rugova der Glaube durchzusetzen begann, dass allein
eine kriegerische Eskalation des Konflikts die internationale Aufmerksamkeit auf die Provinz lenken
würde. Im nachhinein muss es sogar überraschen, dass der für die albanische Mehrheit unerträgliche
Status Quo überhaupt so lange halten konnte.
Das GFAP erwähnte das Kosovo nur im Zusammenhang mit Bedingungen, die Serbien und
Montenegro zur endgültigen Aufhebung aller Sanktionen erfüllen mussten. Die Wirtschaftssanktionen
der UN hatte der Sicherheitsrat im November 1995 bereits aufgehoben.41 Auf Initiative der USA blieb
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien jedoch eine „äußere Sanktionsmauer“ bestehen, die Belgrad
weiterhin von internationalen Foren und den internationalen Finanzmärkten abschnitt.42 Die
vollständige internationale Anerkennung und Rückkehr in die Vereinten Nationen, in die OSZE wie
auch in die Weltbank und den Internationalen Währungsfond wollte der Westen u.a. von einem
konstruktiven Dialog zwischen Serben und Kosovoalbanern und einer merklichen Verbesserung der
Menschenrechtslage im Kosovo abhängig machen.43 So verfolgte die Mehrheit der europäischen
Regierungen das Ziel, Jugoslawien wieder in die internationalen Kooperationsstrukturen
einzugliedern. Der Krieg und die internationale Sanktionspolitik hatten das politische, wirtschaftliche
und gesellschaftliche System Serbiens deformiert und weite Teile der Bevölkerung in soziale Not
gestürzt. Zur dauerhaften Stabilisierung des Balkans präsentierte die Europäische Union im Oktober
1995 das Konzept des „Regionalen Ansatzes“, das vor allem den Nachfolgestaaten des ehemaligen
Jugoslawien Hilfe bei der Durchführung demokratischer und wirtschaftlicher Reformen gewähren
sollte.44
Diese beiden widersprüchlichen Zielvorgaben, die sowohl konfrontativ als auch kooperativ
ausgerichtet waren, beschreiben das Dilemma, in dem sich die EU-Partner seit Dayton befanden. Die
inkonsequente Politik Westeuropas gegenüber Milosevic seit Herbst 1995 ist nicht zuletzt auch auf
diesen Widerspruch zurückzuführen.
Es ist bemerkenswert, dass bereits Anfang 1996 die kooperative Haltung einiger europäischer
Regierungen gegenüber der BR Jugoslawien, die vor allem Frankreich forcierte, die einst selbst
gesteckten, an Fortschritte zur Lösung des Kosovokonflikts gebundenen Bedingungen unterlief. Im
Unterschied zu den USA, aber auch zu EU-Partnern wie Deutschland, propagierte die französische
Regierung eine weniger harte Linie gegenüber Serbien und erklärte verschiedentlich ihre Ablehnung
einer Verknüpfung zwischen der internationalen Rehabilitation Belgrads und einer Lösung des
Kosovokonflikts.45 Die US-Regierung zeigte sich verärgert über das einseitige Ausscheren der
Europäer aus der gemeinsamen Linie. US-Außenminister Warren Christopher betonte ausdrücklich,
dass die USA notfalls auch ohne die Unterstützung ihrer europäischen Verbündeten die noch
40 Ischinger, S. 58. 41 VNSR-Resolution 1022 vom 22. November 1995. 42 Schmidt, S. 18. 43 ”Schlussfolgerungen des Rates zum ehemaligen Jugoslawien” vom 30. Oktober 1995, in: Bulletin EU 10-1995. 44 Lippert; Mittel- und Osteuropa, in: Weidenfeld / Wessels, S. 238f. 45 Clewing, S. 184f.
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bestehenden Sanktionen aufrechterhalten und Belgrad die volle diplomatische Anerkennung so lange
verweigern würden, bis substantielle Fortschritte hinsichtlich einer Lösung des Kosovokonflikts erreicht
seien.46
Weder der Anerkennungsbeschluss noch die ihm vorangegangenen und nachfolgenden Wochen
waren ein Glanzstück gemeinsamer europäischer Außenpolitik. Nachdem sich Frankreich auf die
Anerkennung im Februar festgelegt hatte, waren die EU-Partner genötigt nachzuziehen.
Die gemeinsame Anerkennung musste Milosevic geradezu zu einem unnachgiebigen Vorgehen im
Kosovo ermuntern und diskreditierte in den Augen vieler Kosovoalbaner die Europäer als Vermittler
nachhaltig.
Im Dezember 1998 kommt es wieder verstärkt zu Auseinandersetzungen unter Verwendung schwerer
Waffen, die jedoch zum Jahresende abflauen. Als einziger Hoffnungsschimmer bleibt ein weiterer
Flüchtlingsrückgang auf etwa 175.000 und das Forcieren der Verhandlungen zur friedlichen Beilegung
des Konfliktes. Doch ab Januar 1999 nimmt die Anzahl der Auseinandersetzungen wieder dramatisch
zu und die Flüchtlingszahlen steigen wieder. Daraufhin werden die diplomatischen Bemühungen
erneut verstärkt. Die NATO entsendet ranghöchste Militärs nach Belgrad, um Milosevic den Ernst der
Lage zu verdeutlichen.47 Die Kontaktgruppe in London beschließt schließlich die Einbestellung der
Konfliktparteien zu direkten Verhandlungen, die am 06. Februar 1999 auf Schloss Rambouillet bei
Paris beginnen sollen.
II. Das Scheitern der Konferenz von Rambouillet
Durch die restriktive Verhandlungstaktik der Serben kommt es zu keiner Annäherung. Belgrad ist nicht
zu ernsthaften Gesprächen über bestehende Entwürfe bereit, legt ausschließlich eigene
Gegenentwürfe vor und erklärt schließlich das Treffen für gescheitert. Gegen Ende der Verhandlungen
nimmt die Anzahl der Zwischenfälle im Kosovo wieder zu; die Flüchtlingszahlen steigen auf 230.000.
Das Scheitern dieser Konferenz führte schließlich zu den Luftangriffen der NATO-Staaten auf die BR
Jugoslawien, die am 24. März 2003 begannen. Nach 78 Tagen Bombardement stimmte die BR
Jugoslawien einer Verwaltung des Kosovo durch die UN zu, was entsprechend der Resolution 1244
dann auch in die Tat umgesetzt wurde.48 Die UN-Verwaltung ist demnach nur für eine
Übergangsphase angelegt. Eine endgültige Klärung des Status’ des Kosovo ist derzeit wohl kaum
absehbar, ebenso wenig ein Ende der UN- oder KFOR-Präsenz. Bemerkenswert ist, dass Kapitel 8
des Entwurfs von Rambouillet eine Entscheidung über den endgültigen Status bereits nach drei
Jahren vorsah.49
Der einstige Kriegsgegner existiert derweil nicht mehr: Das Parlament in Belgrad hat Anfang Februar
2003 formell die Auflösung der BR Jugoslawien beschlossen. Aus dem bisherigen Bundesstaat wurde
ein lockeres Bündnis namens "Serbien und Montenegro“.
III. Perspektiven des serbisch-albanischen Konflikts im Kosovo
46 OMRI Daily Report vom 10. Mai 1996. 47 Die Gespräche des Vorsitzenden des NATO-Miliärausschusses, General Klaus Naumann, und des NATO-Oberbefehlshaber Europa, General Wesley Clark, mit Milosevic am 19.01.99 verlaufen jedoch ergebnislos, da sich Milosevic weiterhin hartnäckig weigert, Zugeständnisse zu machen. 48 United Nations Mission in Kosovo – UNMIK. 49 Petritsch/Kaser/Pichler, Anhang S. XLIII.
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Offenkundig haben weder die UN-Verwaltung noch die Ablösung des Milosevic-Regimes im Oktober
2000 den Konflikt zwischen Serben und Albanern entschärfen können.50 Jede Seite kann nicht ohne
Grund darauf verweisen, dass sie aus ethischen oder religiösen Gründen in der jüngeren
Vergangenheit Gewaltakten der anderen Seite ausgesetzt worden ist.
Unter Kosovo-Albanern führt die Freude über das Ende direkter serbischer Herrschaft zu großem
Optimismus über die politische Zukunft. Eine Wiedereingliederung in einen serbisch dominierten Staat
stellt für viele Kosovaren keine realistische Perspektive dar.51
Die im Kosovo wohnhaften Serben befinden sich hingegen in einer sehr schwierigen Lage. Bereits vor
1999 hatte das Milosevic-Regime subtil Druck auf Einzelne ausgeübt. So konnte z.B. die
Mitgliedschaft in der „richtigen“ Partei darüber entscheiden, ob man zu den wenigen Personen mit
Arbeitsplatz gehören durfte.
Infolge des Krieges 1999 wurde die Bevölkerung im Kosovo ethnisch getrennt. Die serbische
Minderheit hat sich an mehreren Punkten konzentriert, da viele Serben nicht alleine in albanischer
Umgebung leben möchten. So bildet der Fluss Ibar eine ethnische Grenze mitten durch die Stadt
Mitrovica. Trotz der formalen Zuständigkeit der UN-Verwaltung ist hier der Einfluss Belgrads sehr stark
zu spüren, was auch anhand der üblichen Währungen auffällt.52 Nördlich und östlich von Mitrovica
befindet sich eine kaum zu kontrollierende Grenze zu Serbien. An solchen Stellen zeigt sich, dass die
Gliedstaatengrenzen im ehemaligen Jugoslawien gerade keine Volksgruppengrenzen sind, zumal das
Kosovo nicht als Gliedstaat betrachtet werden kann.
Im Zusammenhang mit den ungelösten Volksgruppenkonflikten müssen sich auch die westlichen
Regierungen ihrem zögerlichen Handeln und damit ihrer Verantwortung für die Sezession des Kosovo
bewusst werden. Es stellt die westlichen Länder, EU und UN gleichermaßen vor ein scheinbar
unlösbares Problem, die verbliebenen serbischen Minderheiten im praktisch „serbenfreien“ Kosovo zu
schützen. Da dies in den Augen vieler einen zu großen Aufwand bedeutet, erwägen manche Länder,
alle verbliebenen Serben zum Verlassen des Kosovo anzuhalten. Der Schutz durch internationale
Organisationen ist für die kosovarischen Serben derweil ungleich höher als für die Minderheiten in den
anderen ex-jugoslawischen Gliedstaaten, so z.B. für die Serben in der kroatischen Kraijna.
D. Das juristische Nachspiel
I. Die Rolle des Internationalen Gerichtshofs53
Der IGH ist das Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und hat seinen Sitz in Den Haag /
Niederlande. Seine Funktionsweise und Zuständigkeit sind in der UN-Charta und maßgeblich im IGH-
Statut geregelt. Die 15 Richter des IGH werden gemeinsam von der UN-Generalversammlung und
dem UN-Sicherheitsrat gewählt. Bei der Wahl achten die Staaten auf eine vorher in Form von
„understandings“ festgelegte geografische Repräsentation der fünf Weltregionen. Das bedeutet, dass
nach einem bestimmten Verteilerschlüssel freie Richterstellen durch Richter aus einer Region besetzt
werden. Alle drei Jahre wird ein Drittel der Richter neu gewählt. Bei ihrer Rechtsprechung vertreten die
50 Dies zeigen nicht zuletzt die blutigen Unruhen im März 2004. 51 So genießen z.B. die USA im Kosovo recht hohes Ansehen, da sie als treibende Kraft zur Intervention gegen das von Milosevic dominierte Jugoslawien wahrgenommen wurde. 52 Während die UN dn Euro als Währung im Kosovo bestimmt hat, wird in Nord-Mitrovica mit dem Dinar bezahlt. 53 im Folgenden abgekürzt: IGH.
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Richter nicht ihr Land, sondern müssen völlig unabhängig urteilen. Hierzu ist kritisch zu bemerken,
dass diese Anforderung in der Praxis meist nur bei solchen Richtern der Fall ist, die aus
demokratischen Staaten stammen. Ebenso muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass die
Existenz des IGH von der Finanzierung insbesondere der einflussreichen Staaten der Welt abhängig
ist.
Als Partei können vor den IGH nur Staaten treten. Diese müssen aber sowohl die UN-Charta als auch
das Statut des IGH anerkennen. Zurzeit sind alle Mitgliedsstaaten der UN berechtigt als Partei vor den
IGH zu treten. Der IGH hat nur Rechtsprechungskompetenz über einen Fall, wenn alle Parteien diese
für den jeweiligen Fall oder in abstrakter Form anerkannt haben. Die Entscheidungen des IGH sind für
die jeweiligen Parteien bindend.
II. Jugoslawien als Beklagter vor dem IGH
Dieser Fall behandelt die Klage Bosnien-Herzegowinas gegen die Bundesrepublik Jugoslawien,54 in
der der IGH eine Verletzung der Genozid-Konvention seitens der BRJ feststellen soll.55 In der
Entscheidung des IGH galt es vor allem, zwei problematische Fragen zu klären: Zum einen galt es, die
Parteifähigkeit der BRJ und damit zusammenhängend deren Mitgliedschaft in der UN zu klären, zum
anderen stellte sich die Frage nach der Rechtsnachfolge in Verträgen, insbesondere hinsichtlich der
von Bosnien-Herzegowina abgegebenen Rückwirkungsklausel.
Der IGH bejahte lediglich seine Zuständigkeit hinsichtlich der Genozid-Konvention, lehnte jedoch eine
weitere Zuständigkeit ab.56
III. Jugoslawien als Kläger vor dem IGH
Nachdem die NATO-Staaten beginnend mit dem 24. März 1999 Gebiete in „Rest-Jugoslawien“ und
dem Kosovo bombardiert hatten, um die drohende humanitäre Katastrophe durch die Einsätze der
serbischen Armee und Sonderpolizei gegen die albanische Zivilbevölkerung im Kosovo zu
unterbinden, reichte Serbien am 29. April 1999 vor dem IGH Klage gegen die zehn NATO-
Mitgliedsstaaten wegen Verletzung von Art. 2 IV UN-Charta57 und wegen Verstößen gegen Art. 2
Genozid-Konvention ein.58 Gegenstand der Klage waren u.a. folgende Punkte: Ungerechtfertigter
Einsatz von Gewalt gegen einen anderen Staat; Ausbildung und Finanzierung einer terroristischen
Gruppierung (nämlich der UCK); Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Objekte; Einsatz von
Waffen, die nachhaltige gesundheitliche Schäden und Umweltzerstörung hervorrufen;59 Verletzung
der Genozid-Konvention. Daraus ergeben sich die Forderungen Jugoslawiens nach der sofortigen
Beendigung der Kampfhandlungen sowie der Leistung von Entschädigungszahlungen zur
Wiedergutmachung.
IV. Bewertung der beiden IGH-Entscheidungen
54 im Folgenden abgekürzt: BRJ. 55 “Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide“ vom 20.03.1992. 56 Meyer-Ohlendorf, S. 189. 57 Art. 2 IV UN-Charta verbietet die Gewaltanwendung von Staaten gegen die Integrität, Souverenität oder Unabhängigkeit eines anderen Staates. 58 ICJ General List No. 105-114. 59 insb. gerichtet auf die US-amerikanische Verwendung von DU-Munition aus abgereichertem Uran.
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Im Fall Bosnien-Herzegowinas bleibt nach wie vor fraglich, ob eine Zuständigkeit, wie vom IGH
angenommen, tatsächlich gegeben ist. In dieser Entscheidung wurde die Frage der UN-Mitgliedschaft,
die auch im zweiten Fall eine zentrale Rolle spielt, unverständlicherweise vom IGH völlig
vernachlässigt.
Genau entgegengesetzt hat der IGH im Fall Jugoslawien gegen die NATO-Staaten entschieden.
Wiederum ist der IGH in der Frage nach der UN-Mitgliedschaft der BRJ eine Antwort schuldig
geblieben. Ebenso ist die für diese Seminararbeit zentrale Frage nach der Bewertung des Zerfalls der
Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) vom IGH nicht beantwortet worden. Die
Gründe für das Verhalten des IGH sind mitunter in den politischen Zielen der internationalen
Staatengemeinschaft begründet. Der Wille, dass die BRJ die UN-Mitgliedschaft der SFRJ nicht
einfach fortsetzen kann, sondern sich vielmehr um Neuaufnahme bemühen muss, ist nachvollziehbar.
Auf der anderen Seite soll aber eine Verurteilung Jugoslawiens wegen Verletzung der Genozid-
Konvention erreicht werden. Nach alledem dürfte das eine das andere Ziel ausschließen.
V. Exkurs: Organisation und Arbeit des Internationale Strafgerichtshofs für das ehemalige
Jugoslawien
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien60 mit Sitz in Den Haag ist ein durch
Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats vom 25. Mai 1993 geschaffener Ad-hoc-Strafgerichtshof. Er ist
zuständig für die Verfolgung von schweren Verbrechen, die seit 1991 auf dem Territorium des
ehemaligen Jugoslawien begangen wurden – während des jugoslawischen Bürgerkriegs bzw. des
Kosovo-Kriegs. Verkürzend ist in den Medien häufig vom UN-Kriegsverbrechertribunal die Rede.
Die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs erstreckt sich auf die strafrechtliche Verfolgung von
schweren Verletzungen der Genfer Abkommen
Verstößen gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges
Völkermord
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der ICTY kann lediglich Einzelpersonen, nicht aber Organisationen oder Regierungen anklagen und
aburteilen. Prozesse können nur gegen persönlich Anwesende geführt werden. Den Angeklagten
droht als Höchststrafe lebenslange Freiheitsstrafe. Der Strafvollzug erfolgt in einem der Staaten, die
sich in Verträgen mit den Vereinten Nationen bereit erklärt haben, Verurteilte entgegenzunehmen. Der
ICTY besteht aus der Gerichtsverwaltung, zuständig auch für das Haager Gefängnis in Scheveningen,
in dem die Verdächtigten in Untersuchungshaft sitzen, einer Anklagebehörde sowie den
Spruchkammern.
Der Anklagebehörde steht ein unabhängig arbeitender Chefankläger vor. Ernannt wird dieser auf
Vorschlag des UN-Generalsekretärs vom UN-Sicherheitsrat. Derzeitige Chefanklägerin ist die
Schweizerin Carla del Ponte, die 1999 der Kanadierin Louise Arbour gefolgt war. Anklageschriften
müssen von einem der Richter geprüft und bestätigt sein, bevor sie wirksam werden.
Dem Gerichtshof gehören 16 von der UN-Generalversammlung gewählte Richter an, die sich auf
insgesamt vier Spruchkammern verteilen. Sie wählen aus ihren Reihen den Präsidenten des
60 engl.: International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia; im weiteren abgekürzt: ICTY.
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Strafgerichtshofes.61 Neben den festen Richtern stehen jederzeit weitere neun Richter (aus insgesamt
27 Richtern) zur temporären Verstärkung für einzelne Prozesse bereit. Drei der Kammern verhandeln
in erster Instanz. Die vierte ist eine Berufungskammer.
Seitdem der Strafgerichtshof im Dezember 1994 seine Tätigkeit voll aufnehmen konnte, wurde gegen
161 Verdächtigte Anklage erhoben, 126 davon fanden sich (zwangsweise oder freiwillig) beim Tribunal
ein und neun sind flüchtig. In den weiteren Fällen wurde die Anklage zurückgezogen. Besonderes
Interesse erregt der im Februar 2002 begonnene Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten
Jugoslawiens Slobodan Milošević. In den rechtsgültigen Urteilen des Strafgerichtshofes kam es bisher
zu 40 Schuld- und fünf Freisprüchen.62
E. Abschließende Betrachtung
Offenkundig steht Jugoslawien nicht nur für das Leid von Millionen Menschen, sondern auch für die
Ohnmacht der Weltgemeinschaft und die Handlungsunfähigkeit Europas. Hätten die
Integrationsprobleme des Vielvölkerstaates frühzeitig mehr Aufmerksamkeit gefunden, wäre vielleicht
die Weltöffentlichkeit dem gewaltsamen Sezessionsprozess Jugoslawiens nicht derart sprach- und
tatenlos begegnet.
Der Aufbau eines unabhängigen und effektiven Justizsystems wurde seit Dayton viel zu sehr
vernachlässigt. Die Philosophie der Internationalen Gemeinschaft war, so schnell und so viele Wahlen
wie möglich abzuhalten, dann würden sich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wohl schon von alleine
einstellen. Dies stellte sich als fundamentaler Irrtum heraus, denn die frühen Wahlen im September
1996 zementierten auf Jahre hinaus die Machtpositionen der nationalistischen Parteien.63 Für eine
„Abkühlung“ nach dem Krieg gab es keine Zeit. Die Angst der Menschen vor der Dominanz der jeweils
anderen Ethnie spielt bis heute eine große Rolle in der bosnischen Politik.
Das anfangs schwache Mandat des Hohen Repräsentanten war ebenfalls ein Grund für die
Verzögerungen bei der Friedensimplementierung. Dem wurde durch eine Stärkung seiner Befugnisse
im Jahre 1997 abgeholfen. Infolgedessen wurden z.B. über 20 Bürgermeister und Lokalpolitiker
wegen Behinderung der Flüchtlingsrückkehr entlassen.
Der Zukunft der Nachfolgestaaten ist dennoch mit einem vorsichtigem Optimismus entgegen zu
sehen. Trotz kleiner Erfolge steht Europa vor großen Herausforderungen, was den wirtschaftlichen
Wiederaufbau, die Rückführung der Flüchtlinge in ihre Heimat, die Normalisierung der Beziehungen
zwischen den einzelnen Nachfolgestaaten und die Entschärfung der regionalen Konflikte angeht. Die
Erfüllung dieser Ziele hängt wohl in erster Linie von den Parteien vor Ort ab, aber auch die Aufgabe
der internationalen Gemeinschaften ist nicht zu unterschätzen, denn diese können helfen beim Aufbau
von Stabilität und Demokratie, sowie bei der Verwirklichung einer sicheren Zukunft für die
Balkanstaaten.
Unter der Anleitung der Internationalen Gemeinschaft wachsen in Bosnien-Herzegowina junge, von
der unmittelbaren Kriegsführung unbelastete Generationen heran. Wo Kinder unfreiwillig Zeugen von
Massakern und Vergewaltigungen wurden, ziehen solche Opfer unweigerlich Rachegefühle nach sich.
Es wird ausgesprochen schwierig werden, diese Konflikte zu beenden. Bosnien-Herzegowina und die
61 derzeitiger Amtsinhaber ist der US-Amerikaner Theodor Meron. 62 alle Angaben: Stand Dezember 2005. 63 Wnendt, S. 39.
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Internationale Gemeinschaft stehen vor den Aufgaben, weitere Auseinandersetzungen zu verhindern,
eine objektive Aufarbeitung des Geschehenen zu ermöglichen und ein stabiles demokratisches
Gemeinwesen zu schaffen.
Hinsichtlich der nach wie vor ungelösten Kosovo-Problematik darf der Faktor des geographischen
Umfelds nicht verkannt werden. Die heutigen Grenzen der Provinz Kosovo wurden 1913 weitgehend
unter machtpolitischen Aspekten bestimmt und berücksichtigten nicht die Zusammensetzung der
Bevölkerung in der Region.
Der Zerfall Jugoslawiens
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