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Ich seh‘ dir zu… Kinder professionell beobachten Skript zur Vorlesung „Beobachtung & Dokumentation in Kindertageseinrichtungen – am Beispiel des Verfahrens ‚Bildungs- und Lerngeschichten’ vom Deutschen Jugendinstitut“ Bernhard Schoch Oktober 2008

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Ich seh‘ dir zu… Kinder professionell beobachten

Skript zur Vorlesung „Beobachtung & Dokumentation in Kindertageseinrichtungen – am Beispiel des Verfahrens

‚Bildungs- und Lerngeschichten’ vom Deutschen Jugendinstitut“

Bernhard Schoch Oktober 2008

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FEB / OK: Lern- und Bildungsprozesse eröffnen und begleiten II © Schoch 2008

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1. Einleitung

Spätestens mit den in den jeweiligen Bundesländern auch als Folge des

PISA-Schocks entwickelten Bildungsplänen (in Baden-Württemberg = „O-

rientierungsplan“) für die Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen wur-

de die Beobachtung von Kindern zu einer vorrangigen Aufgabe der dort

arbeitenden Fachkräften (= Erzieherinnen). Um verstehen zu können, wa-

rum gerade Beobachtung wichtig ist, um die Unterstützung der Bildungs-

bemühungen von Kindern in den Kindergärten, Krippen und Kindertages-

stätten effektiver und zuverlässiger zielführend gestalten zu können, muss

man sich vor allem die folgenden beiden Sachverhalte vor Augen führen:

1. Wie Bildung bei Kindern vonstatten geht und

2. Wie Erwachsene „Zugang“ zu den kindlichen Bildungsprozessen be-

kommen können.

Zum ersten Punkt sei in diesem Zusammenhang nur daran erinnert, was

im Unterricht in GEB zum Thema „Didaktische Konzepte“ erarbeitet wur-

de:

Bildung wurde damals allgemein definiert als Selbst-Bildung im Span-

nungsfeld zwischen Eigenleben und Sozialintegration und mit dem Ziel ei-

nes gelingenden Lebens, eines Lebens in größtmöglicher subjektiver Fülle.

Bildung ist also als ein Prozess, in dem „je“ ich

• mir selbst ein Bild von mir, den anderen und der Welt zu mache und

• mir dabei selbstgesteuert Erkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten

aneigne und entwickle,

die mich in die Lage versetzen,

• zu verstehen, was mich selbst, die anderen und die Welt umtreibt

und

• mich von den überkommenen Verhältnissen zu emanzipieren sowie

• die Gestaltung meines Lebens in die eigenen Hände zu nehmen und

• meine eigene individuelle Persönlichkeit entlang meines selbst ge-

wählten und selbst verantworteten Lebensentwurfs auszubilden.

Bildung speziell beim Kind verläuft darüber hinaus als:

• eigenständige, selbst gesteuerte Aktivität und Auseinandersetzung

mit der Umwelt

• über alle Sinneskanäle und ist

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• orientiert an dem, was für das Kind selbst bedeutsam und (emotio-

nal) wichtig ist.

• Hierbei entwickeln Kinder permanent innere Bilder, sogenannte

„kognitive Landkarten“, die sie ständig korrigierend, erweiternd und

differenzierend überarbeiten, und zwar

• in der aktiven Auseinandersetzung mit der sozialen und materialen

Umwelt sowie deren Reaktionen.

Wenn die Unterstützung der Kinder in ihren Selbstbildungsprozessen grei-

fen soll, reicht es also nicht, nur irgendein Programm zu gestalten, ir-

gendwelche Angebote zu machen, irgendwelches Material und Räume zur

Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen Programm, Angebote und Materi-

al/Räume anknüpfen können an solchen Themen und Inhalten, die für die

Kinder gerade bedeutsam sind und mit denen die Kinder auch subjektiv

etwas anfangen können, weil sie eine Überarbeitung der bereits entwickel-

ten „kognitiven Landkarten“ ermöglichen.

Auf den zweiten Punkt soll im Folgenden nun ausführlicher eingegangen

werden.

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2. Das Bewusstheitsrad (nach MILLER/MILLER 1972)

Bevor geklärt werden kann, wie Erwachsene „Zugang“ zu den kindlichen

Bildungsprozessen bekommen können, muss erinnert werden an jene Di-

mensionen, die Einfluss nehmen auf menschliches Erleben und Handeln

und mithin auf Bildungsprozesse von Menschen.

Ein hilfreiches Modell dafür ist das von Sherod Miller und Phyllis Miller

entwickelte „Bewusstheitsrad“. Diesem Modell zufolge wirken bei jedem

Menschen in jeder Situation und in Sekundenbruchteilen fünf Kräfte zu-

sammen, die sich gegenseitig beeinflussen.

1. Wahrnehmung innerer und äußerer Vorgänge über die Sinnesorgane

(unsere „Sensoren“),

2. „gedankliche“ Bilder und „innere „Landkarten“ zur Erklärung und

Deutung wahrgenommener Vorgänge,

3. Gefühle (=spontane physiologische „Antworten“ auf die Deutungen

und Wahrnehmungen), vor allem: Glücksgefühl, Traurigkeit, Wut,

Angst, Ekel, Staunen,

4. Absichten und Wünsche für sich selbst und für andere,

5. Handeln und Verhalten, all das, was man tut oder auch lässt ein-

schließlich dessen, was man sagt (oder worüber man schweigt).

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Vier von fünf Einflussvariablen spielen sich also im „Innern“ des Menschen

ab. Wenn ich mir also „Zugang“ zu diesen Wirkfaktoren verschaffen will,

so geht das nicht direkt, sondern nur indirekt. Wenn ich wissen will, was

ein anderer Mensch wahrnimmt, wie er das Wahrgenommene deutet, wel-

che Gefühle es in ihm auslöst und welche Absichten er deshalb entwickelt,

so kann ich dieses „Innenleben“ des anderen Menschen nicht direkt in

mich hinein „übertragen“. Ich habe kein „Netzwerkkabel“, das ich nur ir-

gendwie bei meinem Gegenüber einstöpseln muss, um dann Daten aus

seinem Körper direkt auf mein Gehirn übertragen zu können – wie dies bei

einer LAN-Party beispielsweise der Fall ist. Zwischen mir und meinem Ge-

genüber ist gleichsam eine Mauer. Mir bleibt nur der Weg über das äußer-

liche Tun meines Gegenübers. Dieses kann ich mit meinen Sensoren

wahrnehmen (ich kann ihn hören, sehen, riechen, spüren,…).

Bei Jugendlichen und Erwachsenen kann ich aber immerhin fragen, was in

ihnen vorgeht. Sie können mir dann meist detailliert über ihre Wahrneh-

mungen, Gedanken, Gefühle und Absichten erzählen.

Handeln

Wahr-nehmen

Absicht Wollen

Fühlen Werten

Deuten

Kind Erzieherin

Handeln

Wahr-nehmen

Absicht Wollen

Fühlen Werten

Deuten

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Bei Kindern ist das ungemein schwieriger. Warum?

� Weil sich Kinder über viel mehr Weisen als nur über die gesprochene

Sprache ausdrücken und mitteilen, sondern über „99 weitere Spra-

chen“ (und weil sie gerade bezogen auf die verbale Sprache noch

nicht die Übung und Beredsamkeit haben, das sprachlich verständ-

lich wiederzugeben, was in ihnen vorgeht).

Deshalb ist es wichtig, noch weitere, andere Wege zu finden, Zugang zu

den Innenwelten von Kindern zu bekommen.

� Es reicht nicht aus, mit Kindern zu sprechen, um herauszufinden,

was und wie Kinder wahrnehmen, was sie bewegt, was sie wissen

und können, wie sie sich die Welt um sie herum erklären, warum sie

eines wollen und anderes nicht, eines tun und anderes lassen,…

� Das müssen Erzieherinnen aber alles wissen, um Kinder wirklich be-

gleiten zu können auf deren – bisweilen ungewöhnlichen – Wegen in

ihr eigenes Leben (also bei ihren Selbstbildungsprozessen).

Deshalb ist Beobachtung für die Arbeit mit Kindern in Kindertageseinrich-

tungen wichtig!

„In den elementarpädagogischen Bildungsplänen, die ab 2003 vor al-

lem als Reaktion auf die unbefriedigenden Ergebnisse der PISA-

Studie von den Bundesländern vorgelegt wurden, wird nun die Beo-

bachtung von Kindern und deren Dokumentation in den Kanon der

zentralen Aufgaben der Erzieherin aufgenommen. Die gewachsene

Beobachtungspraxis in Kindertageseinrichtungen wird dabei implizit

als unzulänglich und unsystematisch unterstellt“ (KNAUF 2005)

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3. Systematische Beobachtung

Erzieherinnen sind in der alltäglichen Arbeit oft damit beschäftigt Kinder

zu beobachten, um situativ angemessen reagieren zu können. Beispiels-

weise in der Freispielzeit, wenn Kinder in der Bauecke in Streit geraten

oder ein Kind, das eben in den Kindergarten gekommen ist, noch etwas

„verloren“ mitten im Gruppenraum steht, dann beobachtet die Erzieherin

dieses Situation, um entscheiden zu können, ob und wie sie in diesen Si-

tuationen eingreifen muss oder kann. Solche Beobachtungen sind wichtig,

aber im Zusammenhang mit der Forderung nach systematischer Beobach-

tung nicht gemeint.

Systematische Beobachtung meint vielmehr jene Beobachtungen, die re-

gelmäßig, geplant und mit dem Ziel durchgeführt werden, kindliche Le-

bensäußerungen und kindliche Lebensbewältigungsmuster zu erfassen, zu

dokumentieren und daraus Folgerungen für das längerfristige pädagogi-

sche Handeln abzuleiten.

Hierbei lassen laut Barachino und seinen KollegInnen von der Abteilung

Kindertageseinrichtungen des Diözesan-Caritasverbandes Trier drei Ziel-

richtungen von Beobachtungen unterscheiden:

„Beobachtung bezogen auf Messung und Diagnostik

dient dem Ziel, die Fähigkeiten und Kompetenzen des einzelnen

Kindes vergleichend zu erfassen, um z.B. Entwicklungsauffälligkei-

ten frühzeitig zu erkennen.

Beobachtung bezogen auf die Bildungs- und Entwicklungsverläu-

fe jedes einzelnen Kindes

dient dem Ziel der Dokumentation und Erstellung einer Bildungs-

biographie (in Entwicklungsbüchern, -ordnern, Portfolios u.a.) vor

allem auch für das Kind, aber auch als Grundlage für Entwicklungs-

gespräche mit Eltern.

Beobachtung bezogen auf die Bildungsthemen und Fragen der

Kinder und der Kindergruppe

dient dem Ziel der Entwicklung von pädagogischen Angeboten, die

die Fähigkeit der Kinder sich zu bilden angemessen und individuell

begleiten, unterstützen und herausfordern“ (BARACHINO et al.

2006:9, Hervorh. auch i.Orig.).

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3.1 Aktuelle Trends bei Beobachtungsverfahren

Bei den derzeit ins Spiel gebrachten Beobachtungsverfahren lassen sich

zwei gegensätzliche Grundtypen unterscheiden (vgl. KNAUF 2005 oder

auch SCHÄFER/STRÄTZ 2005:7-15):

� offenere, wenig formalisierte und nur niedrig strukturierte bzw. stan-

dardisierte Verfahren, die auch „freie Beobachtung“ genannt werden

� deutlich geschlossenere, hoch formalisierte und strukturierte bzw.

standardisierte Verfahren

Im Folgenden werden die Begriffe „niedrig strukturierten Verfahren“ und

„hoch strukturierten Verfahren“ verwendet. Die oft verwendeten Bezeich-

nungen „unsystematische Beobachtung“ versus „systematische Beobach-

tung“ bzw. „strukturierte“ versus „unstrukturierte Beobachtung“ lehne ich

als unzutreffend ab, insofern auch die offenen Verfahren durchaus über

eine interne Systematik und Struktur verfügen. Der diesbezügliche Unter-

schied liegt meines Erachtens lediglich im Grad der Systematisierung bzw.

Strukturierung.

� Perspektive des Kindes

� offen / ungerichtet � orientiert am Einzigartigen /

Besonderen � ressourcenorientiert � zur Begleitung / Ermutigung � individualisieren / freisetzen

� Perspektive der Erwachse-nen / Gesellschaft

� geschlossen / gerichtet � orientiert an Normal-

erwartungen / Durchschnitt � defizitorientiert � zur Kontrolle / Prüfung � anpassen / eingliedern

niedrig strukturiert hoch strukturiert

zwei gegenläufige Grundtypen

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3.2 Hoch strukturierte Verfahren

Es gibt eine Fülle an hoch strukturierten Verfahren, an dieser Stelle folg-

lich nur eine ganz kleine willkürliche Auswahl:

� PERiK – Positive Entwicklung und Resilienz im Kindergartenalltag

(Mayr&Ulich / IFP)

� Seldak – Sprachentwicklung und Literacy bei deutschsprachig auf-

wachsenden Kindern (Mayr&Ulich / IFP)

� BEK – Beobachtungsbogen zur Erfassung von Entwicklungsrückstän-

den und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindergartenkindern (Mayr /

IFP)

� Ravensburger Bogen zur Entwicklungsbeobachtung (Stübner u.a. /

FB-BW)

� Grenzsteine der Entwicklung – Instrument zur Früherkennung (Mi-

chaelis & Haas)

� Bildungsbereiche / Zugangsformen für Kinder ab drei Jahre (Lae-

wen / Infans)

� Entwicklungs- und Kompetenzprofil (Knauf / Universität Duisburg-

Essen)

Gefahren von hoch strukturierten Verfahren

� Fordern zu einer zusammenfassenden Beurteilung auf, die nicht

durch ausdrückliche und dokumentierte Beobachtung belegt werden

muss.

� Ermuntern dazu, auf den Prozess der Reflexion von Situationen und

Interaktionen zu verzichten und stattdessen einfach alles, was die

Erzieherin wahrnimmt, dem Kind als Eigenschaft zuzuschreiben.

� Die Beurteilerin hat nicht oder kaum die Möglichkeit, ihre Aussagen

zu gewichten oder sich auf die Dinge zu konzentrieren, die bei die-

sem Kind besonders wichtig sind.

Einige dieser hoch strukturierten Verfahren sind insofern keine echten Be-

obachtungsverfahren, sondern eigentlich Beurteilungsinstrumente (vgl.

KNAUF 2005 oder SCHÄFER/STRÄTZ 2005:15)!

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3.3 Niedrig strukturierte Verfahren

Wichtig sind demgegenüber echte Beobachtungen. Also Verfahren, die auf

dem aufmerksamen Wahrnehmen von Kindern über die beiden Fernsinne

(Sehen und Hören) beruhen.

Dazu gibt es zwei Wege:

1. die Erzieherin setzt sich ein wenig abseits, bewaffnet mit Stift und

Papier und notiert in der zu beobachtende Situation stichwortartige

das, was sie hört und sieht, anschließend kann sie diese Notizen

noch ausformulieren.

2. die Erzieherin sitzt abseits oder ist am Geschehen beteiligt, sie

nimmt sich erst unmittelbar nach Beendigung der Situation die Zeit,

aus dem Gedächtnis ihre Beobachtungen zu notieren.

Beide Strategien haben ihre Vor- und Nachteile:

Die Chance der ersten Methode liegt darin, sich ganz auf das Geschehen

einzulassen, um jeden Moment der Situation miterleben zu können. Je

früher diese Eindrücke im Anschluss an die Beobachtung festgehalten

werden, desto eher kann einer möglichen Gefahr begegnet werden: den

Lücken in der Erinnerung, z.B. Was ist zuerst geschehen? Was kam da-

nach? Was hat das Kind gesagt?

Bei der zweiten Methode muss die Erzieherin, die sich kurz etwas notieren

will, ab und zu den Blick auf das Papier richten. Sie wendet ihre Aufmerk-

samkeit für einige Momente ab. Dies kann - je nach der Länge der Ablen-

kung - dazu führen, dass sie einige wichtige Sequenzen „verpasst”, z.B.

ein kurzes Aufhellen in der Mimik, einen kleinen, schnellen Blick zum

Spielgeschehen nebenan. Trotz dieses Nachteils können auf diese Weise

für die spätere Verschriftlichung wichtige Informationen festgehalten wer-

den: z.B. der genaue Wortlaut der Aussagen der Kinder, zeitliche Abläufe

in komplizierten und längeren Situationen.

Beide Methoden können im Alltag unterschiedlich genutzt werden.

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3.3.1 Unterschiede zwischen Beobachtung, Deutung, Gefühlen

und Motivationen (Wiederholung BK-Stoff)

Vor dem Hintergrund der Unterscheidungen, die im „Bewusstheitsrad“

gemacht wurden, ist es auch wichtig, im Zusammenhang mit der Doku-

mentation von Beobachtungen wie folgt zu unterscheiden:

Beispiel:

Was sehe ich?

„Sophia spielt mit einem Jungen ein Angelspiel. Sie hält die Angel ganz

ruhig und geht langsam mit ihrer Angel an die Fische. Während sie einen

Fisch angelt, schaut sie nur auf ihn und hat dabei einen leicht geöffneten

Mund. Als sie einen Fisch geangelt hat, lächelt sie den Jungen an, dann

legt sie den Fisch langsam auf den Boden.“

Wie deute ich das?

„Sophias Mimik drückt vermutlich zunächst Konzentration und Anstren-

gung aus. Danach Freude und Stolz über ihren Erfolg. Diese Freude will sie

dem Jungen mitteilen.“

Was löst das bei mir aus?

„Ich freue mich mit ihr. Und staune über die Ruhe, die sie hier im Gegen-

satz zu sonstigen Situationen aufbringen kann. Ich möchte, dass sie noch

mehr aus sich heraus und auf andere zugeht, Freunde findet.“

Unterscheiden Sie!

was kann ich wirklich sehen?

wie erkläre ich mir das, was ich sehe?

sachliche Verhaltens-

beschreibung

Deutung

was löst das, was ich sehe, in mir aus?

Bewertung und

Motivation

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Ein Negativbeispiel:

„Matthias kommt total aggressiv in die Gruppe und wirft wild mit Spiel-

zeug um sich. Dann stört er auch noch Laura beim Spielen und schikaniert

Juli beim Malen. Er ist richtig gemein zu den Kindern seiner Gruppe.“

Hier: Vermengung von Beobachtungsbeschreibung, Deutung und emotio-

naler Bewertung

Wie beschreibe ich also beobachtetes Verhalten richtig?:

1. wertneutral

2. sachlich-nüchtern

3. angemessen detailliert / stichwortartig

3.3.2 Beispiele für niedrig strukturierte Verfahren

Verfahren, die auf solchen wertfreien Schilderungen von Beobachtungsse-

quenzen basieren:

� Wahrnehmende, entdeckende Beobachtung (Schäfer/NRW)

� Lerngeschichten (Leu/DJI)

� Themen des Kindes (Laewen/Infans)

� Verhaltensprotokoll (Bensel und Haug-Schnabel)

3.3.3 Zum Sinn niedrig strukturierter Verfahren

Wertfreies Beobachten macht nur Sinn, wenn die dokumentierten Beo-

bachtungen ausgewertet werden und die Erkenntnisse wieder in die päda-

gogische Arbeit zurückfließen.

Beobachtungen zu schreiben, nur um sie dann im Portfolio abzuheften, ist

unsinnig!

„Was geht in den Köpfen von Tim, Gunnar und Jakob vor? Was denken

sie? Worum geht es bei ihnen gerade? Häufig bleibt das Tun der Kinder

fremd. Allgemein gehaltene Aussagen lassen vieles offen: „Die Kinder

spielen im Sand“, „da haben die Jungs aber toll gespielt“, was sagen diese

Worte über die Kinder, über Tim, Gunnar und ihre Tätigkeiten aus?

Beobachtendes Wahrnehmen ist ein Anfang, um über solche kurzen, ver-

einfachenden Aussagen hinaus, ein tieferes Verständnis für das Tun der

Kinder zu gewinnen. Beobachtungen, die schriftlich festgehalten werden,

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sind der Ausgangspunkt eines Nachdenkens über das, was wahrgenom-

men wurde. Nur wenn versucht wird, sich wie ein Forscher an die Wirk-

lichkeiten der Kinder anzunähern, können sie in ihren Bildungsprozessen

angemessen begleitet werden.

Kinder beobachtend wahrzunehmen, ist Basis jedes pädagogischen Han-

delns. Sie stellt die Grundlage dar, auf der der Alltag in der Einrichtung

gestaltet wird. Nur wenn eine Ahnung davon besteht, was die Kinder mit

ihrem Tun im Sinn haben, können die Umgebungen und der Tagesablauf

so gestaltet werden, dass er den Interessen der Kinder wenigstens annähe-

rungsweise entspricht. Auch Bildungsdokumentationen sind angewiesen

auf solche Annäherungen. Bildungsprozesse müssen zunächst wahrge-

nommen werden, bevor sie später reflektiert und dokumentiert werden

können“ (SCHÄFER/STRÄTZ 2005:20).

3.3.4 Auswertung von Beobachtungen

Für die Auswertung von sachlich, wertfrei und angemessen detailliert do-

kumentierten Beobachtungssequenzen haben unterschiedliche Forscher-

teams unterschiedliche Leitkategorien entwickelt. Sie legen dabei folgende

unterschiedlichen Schwerpunkte:

� Individuelle Selbstbildungsprozesse des Kindes (Schäfer/NRW)

� Soziale Bildungs- und Lernprozesse des Kindes (Leu/DJI)

� Engagiertheit und Themen des Kindes (Laewen/Infans)

� Stärken und Kompetenzen des Kindes (Bensel/Haug-Schnabel)

Diese Leitkategorien sollen nun an zwei der oben genannten niedrig struk-

turierten Verfahren noch weiter vorgestellt werden: am Beispiel der „Bil-

dungs- und Lerngeschichten“ vom DJI München unter Federführung von

Rudolf Leu und am Beispiel des „Wahrnehmenden, entdeckenden Beo-

bachtens“ von Schäfer und Strätz.

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3.3.5 Leitkategorien in den Bildungs- und Lerngeschichten (DJI)

Bezogen auf soziale Bildungs- und Lernprozesse des Kindes

� Interessiert sein

� Engagiert sein

� Standhalten bei Herausforderungen und Schwierigkeiten

� Sich ausdrücken und mitteilen

� An der Lerngemeinschaft mitwirken und Verantwortung überneh-

men.

� Um welches Lernen geht es hier? Welche Bildungsbereiche (oder

Lernfelder) werden berührt? Trägt diese Situation ausreichend dazu

bei, dass das Kind seinen Interessen nachgehen kann?

� Zeigt sich ein roter Faden über mehrere Beobachtungen? Welche

Beobachtungen gibt es darüber hinaus? Was finden wir bemerkens-

wert?

� Worauf habe ich/haben wir bereits reagiert? Was könnte

ich/könnten wir anregen und ausprobieren? Gibt es Anknüpfungs-

punkte zu Interessen anderer Kinder?

„Grundsätzlich lassen sich fünf Arten von ‚Lerndispositionen’ finden, die

als grundlegende Voraussetzung für Lern- und Bildungsprozesse zu ver-

stehen sind und die schon sehr früh bei Kindern als Merkmale ihrer Art

der Auseinandersetzung mit der Umwelt zu beobachten sind.

Eine erste solche Lerndisposition besteht darin, dass Kinder an etwas Inte-

resse zeigen, sich Dingen oder Personen aufmerksam zuwenden, sich da-

mit auseinander setzen und so auch Kenntnisse bzw. Fähigkeiten erwer-

ben. Solche Interessen müssen keineswegs nur im Bereich von kognitivem

Verstehen liegen. Genauso gut kann es beispielsweise um körperliche,

künstlerische oder soziale Aktivitäten gehen.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf etwas

einzulassen, sich für eine gewisse Zeit einem bestimmten Thema zu wid-

men und sich damit auch ein Stück weit zu identifizieren, wahrzunehmen,

dass es Teil der eigenen Person ist, sich dafür zu interessieren und damit

auszukennen.

Eine dritte Lerndisposition ist die Fähigkeit, auch bei Schwierigkeiten und

Unsicherheiten eine Tätigkeit weiterzuführen. Es geht dabei auch um Fähig-

keiten und Wissen zur Formulierung von Fragen und Entwicklung von

Problemlösungen samt der Erfahrung, dass Fehler unter Umständen ein

wesentlicher Bestandteil von Problemlösungen sind.

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Als Viertes geht es darum, sich mit anderen auszutauschen, Ideen und Ge-

fühle auszudrücken und sich selber als jemand wahrzunehmen, der sich

anderen mitteilt. Das setzt auch voraus, dass Kinder etwas zu sagen haben

und gehört werden.

Als eine weitere Lerndisposition nennt Carr die Übernahme von Verant-

wortung. Dazu gehört die Bereitschaft, Dinge auch von einem anderen

Standpunkt aus zu sehen und eine Vorstellung von Gerechtigkeit und Un-

recht zu entwickeln, Entscheidungen zu treffen oder um Rat gefragt zu

werden.

Inwiefern in den Tätigkeiten der Kinder diese Dispositionen zum Tragen

kommen, ist ein wesentlicher Indikator für die ‚Bildungsrelevanz’ ihres

Tuns. Dabei ist davon auszugehen, dass sie sich als Ergebnis einer solchen

interessierten und engagierten Auseinandersetzung auch wichtige Fertig-

keiten und Wissen aneignen“ (LEU 2002:10f).

Bezogen auf die Reaktionen der Erzieherinnen auf die Bildungs- und Lern-

prozesse (formuliert als „Fragen des Kindes an die Erzieherin“):

� Kann ich Dir vertrauen? Auf welche Art und Weise berücksichtigst

Du meine alltäglichen Bedürfnisse?

� Kennst du mich und meine Interessen? Auf welche Art und Weise

bringst du meinen Interessen und Fähigkeiten Wertschätzung ent-

gegen?

� Gibst Du mir Gelegenheit und ermunterst mich, mich in etwas zu

vertiefen?

� Lässt Du mich meine Umwelt erkunden? Auf welche Art und Weise

trägst Du dazu bei, mich meine eigenen Lösungswege finden zu las-

sen?

� Hörst und siehst du mir zu? Wie sprichst Du mich an? Wie tauschst

Du Dich mit mir aus?

� Auf welche Art und Weise unterstützt Du meine Bemühungen, Teil

der Gruppe zu sein? Nimmst Du wahr, wie wir miteinander und von-

einander lernen?

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Die Auswertung der schriftlich protokollierten Beobachtungen mündet

schließlich

� in die pädagogische Arbeit (neue Angebote, verändertes pädagogi-

sches Programm, anderer Umgang mit dem Kind,…) und

� in eine sogenannte „Lerngeschichte“ (vgl. LEU et al. 2007).

Diese Lerngeschichte ist zum Beispiel als „Brief an das Kind“ formuliert.

Und wird auch tatsächlich dem Kind vorgelesen und mit dem Kind im Dia-

log reflektiert. Ferner kann sie im Portfolio abgeheftet werden und zu-

sammen mit den dort gesammelten Unterlagen als Grundlage für Entwick-

lungsgespräche mit den Eltern dienen.

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3.3.6 Leitkategorien bei Schäfer und Strätz/NRW

Bezogen auf das kindliche Selbstbildungspotential

� Differenzierung von Wahrnehmungserfahrungen

� Innere Verarbeitung

� Soziale Beziehungen und Beziehungen zur sachlichen Umwelt

� Umgang mit Komplexität und Lernen in Sinnzusammenhängen

� Forschendes Lernen

„Fragen an die Beobachtung zu dem Selbstbildungspotenzial Differen-zierung von Wahrnehmungserfahrungen: � Welche Wahrnehmungserfahrungen macht das Kind? � Welche Differenzierungen und Qualitäten werden dabei erkennbar?

o Was hört, sieht und riecht das Kind (Wahrnehmung über die Fern- und Körpersinne)?

o Was fühlt und spürt es über seinen Körper? o Welche Gefühle des Kindes sind wahrnehmbar? (…)

Fragen an die Beobachtung zu dem Selbstbildungspotenzial innere Ver-arbeitung: � Welche Bilder und Gedanken werden aus den Wahrnehmungserfah-

rungen erzeugt? o Welche Themen beschäftigen die Kinder? o Welche Handlungsformen und welches Können setzen die Kinder

ein? o Welche Vorstellungen oder Bilder entwickeln sie dazu? o Welche Fantasien werden weitergesponnen? o Was wird davon gesprochen/ in Worte gefasst? o Gibt es Ansätze für ein Denken in Zahlen oder Mengen/ mathe-

matischen Vorformen? o Gibt es Ansätze für biologische, physikalische oder chemische Ein-

sichten? (…)

Fragen an die Beobachtung zu dem Selbstbildungspotenzial soziale Be-ziehungen und Beziehungen zur sachlichen Umwelt: � Welche Formen von Beziehungen werden deutlich?

o Wie verständigen sich die Kinder untereinander, mit oder ohne Worte?

o Wie verständigen sich die Kinder mit Erwachsenen, mit oder ohne Worte?

o Wie gehen die Kinder miteinander um? o Welche Ideen und Gedanken tauschen Kinder untereinander aus? o Wie geht das Kind mit Dingen um, die es interessieren? (…)

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Fragen an die Beobachtung zu dem Selbstbildungspotenzial Umgang mit Komplexität und Lernen in Sinnzusammenhängen: � Wie geht das Kind mit Komplexität um?

o Welche der hier aufgeführten Selbstbildungspotenziale nutzt das Kind gleichzeitig?

o Welchen Sinn gibt das Kind seinem Tun? o Welche Handlungsmöglichkeiten nutzt das Kind in der Situation? o Auf welche Weise ist die beobachtete Situation komplex und viel-

fältig? o Auf welche Weise ist die Situation für das Kind nachvollziehbar

und sinnvoll? o Auf welche Weise greift das Kind auf vorhandene Erfahrungen

zurück? (…) Fragen an die Beobachtung zu dem Selbstbildungspotenzial forschendes Lernen: � Welche Hinweise gibt es für forschendes Lernen? � Worum geht es dem Kind in der Situation?

o Wie stark lässt sich das Kind auf seine Tätigkeit ein und bleibt es bei der Sache?

o Werden neue Ideen entwickelt, besprochen, ausprobiert? o Greift das Kind sein Thema wieder auf? o Welche Fragen könnten sich hinter der Tätigkeit der Kinder ver-

bergen? Was fragen o die Kinder tatsächlich? o Welche Erklärungen äußern die Kinder zu ihren Themen? o Auf welche Weise geht das Kind in Bewegung und Handeln an

die Grenzen seiner o Möglichkeiten?“ (SCHÄFER/STRÄTZ 2005:23-29).

Bezogen auf (äußere) Einflussfaktoren

� Welche Reaktionen werden bei mir (Erzieherin) wachgerufen?

� Welche Bedeutung hat aus meiner Sicht die Situation für das Kind?

Was ist ihm wichtig?

� Welche Wirkungen haben Räumlichkeiten, Tagesablauf und Materia-

len auf die kindliche Tätigkeit?

� Was ist mir in der Situation für das Kind wichtig?

� Welche Anregungen gewinne ich für die Gestaltung meiner Arbeit?

Im Gegensatz zu den Lerngeschichten verzichtet dieses Verfahren auf die

Ausformulierung der Auswertungsergebnisse in Briefform. Die Erkenntnis-

se fließen direkt in die pädagogische Arbeit und in die Portfolios der Kinder

ein (vgl. ebd.).

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4. Handwerkliche Tipps

� Stift und Klemmbrett oder Notizblock immer griffbereit halten, um

„Sternstunden“ dokumentieren zu können.

� Skizzen zeichnen, das erspart lange Beschreibungen.

� Beobachtungen stichwortar-

tig protokollieren, um wäh-

rend dem Schreiben tat-

sächlich auch noch „beo-

bachten“ zu können (vgl.

KAZEMI-VEISARI, zit. nach

ZIESCHE 2008:169).

� Fotos machen, die die ge-

schilderten Beobachtungen

veranschaulichen können.

� Die Kinder beim Spielen und

in ihren Beschäftigungen

filmen, das sichert eine we-

nigstens intersubjektive1

Übereinstimmung bei der

Deutung und ermöglicht dif-

ferenziertere Analysen.

5. Schlusswort

„Statt Kinder Wissen zu lehren, statt ihnen beizubringen, was sie lernen sollen, was Erwachsene festgelegt haben, statt sie so zu for-men, wie es dem Bild von Erwachsenen entspricht, kommt es darauf an, Kinder kennen zu lernen, sich ein Bild von ihren Fähigkeiten und Interessen zu machen und darauf aufbauend, geeignete Impulse zur Unterstützung der Neugier und des Forschergeistes von Kindern zu finden“ (SCHNEIDER, zit. nach BARACHINO et.al. 2006:8).

1 Eine „objektiv wahre“ Deutung ist prinzipiell nicht möglich, aber eine, die von mehreren Personen gleicherma-ßen als passende akzeptiert wird. Weil dann nicht nur eine subjektive Meinung Gültigkeit erlangt, sondern meh-rere subjektive Meinungen verglichen werden und so gegenseitig auf einander abgestimmt werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die „intersubjektiv“ gefundene Deutung der „Wahrheit“ näher kommt, wie wenn nur die subjektive Deutung einer einzigen Person gelten soll.

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Literatur

BARACHINO, Renato / BOLLIG, Sabine / FRITZEN, Brigitte / GROß, Silvia: Schau an! Arbeitshilfe

zur Beobachtung und Dokumentation in Kindertageseinrichtungen [online]. Hrsg. v. Diö-

zesan-Caritasverband Trier e.V., Abteilung Kindertageseinrichtungen. März 2006.

http://www.caritas-trier.de/8152.html (Download: 12.11.2007)

KNAUF, Tassilo: Beobachtung und Dokumentation: Stärken- statt Defizitorientierung [on-

line]. 2005 http://www.kindergartenpaedagogik.de/1319.html (20.02.2006)

LEU, Hans Rudolf: Zum Bildungsauftrag von Kindertagesstätten. Bildungs- und Lernge-

schichten von Kindern. In: DJI Biulletin 60/61 2002, S. 8-12

LEU, Hans Rudolf / FLÄMIG, Katja / FRANKENSTEIN, Yvonne / KOCH, Sandra / PACK, Irene /

SCHNEIDER, Kornelia / SCHWEIGER, Martina: Bildungs- und Lerngeschichten. Bildungspro-

zesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen. Mit CD und DVD.

1. Aufl. Weimar, Berlin: Verlag das netz 2007

MILLER, Sherod /MILLER, Phyllis: Core Communication: Skills and Processes 1972

SCHÄFER, Gerd E. / STRÄTZ, Rainer: Beobachtung und Dokumentation in der Praxis. Ar-

beitshilfen zur professionellen Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen. Handbuch zur

gleichnamigen CD-ROM. Hrsg. v. Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und In-

tegration des Landes Nordrhein-Westfalen. 1. Aufl. Kronach: Wolters Kluwer 2005

ZIESCHE, Ulrike: Frühe Bildung beobachten und dokumentieren. Leitfaden zur Einführung

der Bildungs- und Lerngeschichten in Kindertageseinrichtungen. Hrsg. v. Bertelsmann

Stiftung. 1. Aufl. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2008