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Identitätsbasierte Markenführung Grundlagen - Strategie -Umsetzung - Controlling Bearbeitet von Christoph Burmann, Tilo Halaszovich, Frank Hemmann 1. Auflage 2012. Buch. IX, 305 S. Kartoniert ISBN 978 3 8349 2990 7 Format (B x L): 16,8 x 24 cm Wirtschaft > Betriebswirtschaft > Marketing, Handelsmanagement Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Identitätsbasierte Markenführung

Grundlagen - Strategie -Umsetzung - Controlling

Bearbeitet vonChristoph Burmann, Tilo Halaszovich, Frank Hemmann

1. Auflage 2012. Buch. IX, 305 S. KartoniertISBN 978 3 8349 2990 7

Format (B x L): 16,8 x 24 cm

Wirtschaft > Betriebswirtschaft > Marketing, Handelsmanagement

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Fazit 19

2 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

2.1 Entstehung der identitätsbasierten Markenführung ................................................ 20 2.2 Aktueller Stand der Identitätsforschung .................................................................... 31 2.2.1 Sozialwissenschaftliche Ansätze der Identitätsforschung ........................................ 32 2.2.1.1 Ursprung der Identitätsforschung ............................................................................... 32 2.2.1.2 Psychoanalytische Ansätze der Identitätsforschung ................................................ 32 2.2.1.3 Interaktionistische Ansätze der Identitätsforschung ................................................ 33 2.2.1.4 Das Konzept der Patchwork-Identitäten .................................................................... 34 2.2.2 Sozialwissenschaftliche Identitätsforschung und die Identität von Marken ......... 34 2.2.2.1 Konstitutive Merkmale der Markenidentität ............................................................. 35 2.2.2.2 Gruppen als Gegenstand der Identitätszuschreibung .............................................. 38 2.2.3 Wirtschaftswissenschaftliche Ansätze der Identitätsforschung .............................. 40 2.3 Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung ................ 42 2.3.1 Die Markenidentität als internes Führungskonzept der Marke .............................. 42 2.3.1.1 Markenherkunft ............................................................................................................. 45 2.3.1.2 Markenvision ................................................................................................................. 49 2.3.1.3 Markenkompetenzen .................................................................................................... 50 2.3.1.4 Markenwerte .................................................................................................................. 52 2.3.1.5 Markenpersönlichkeit ................................................................................................... 54 2.3.1.6 Art der Markenleistungen ............................................................................................ 56 2.3.2 Das Markenimage als externes Wirkungskonzept der Marke ................................. 59 2.3.2.1 Gegenstand des Markenimages in der identitätsbasierten Markenführung ......... 59 2.3.2.2 Assoziative, neuronale Markennetzwerke als Grundlage der Reizverarbeitung im Gehirn .................................................................................. 62 2.3.2.3 Speicherung markenbezogener Informationen im Gedächtnis ............................... 67 2.3.2.4 Neurowissenschaftliche Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung .............................................................................................................. 70 2.3.3 Zusammenhang zwischen Markenidentität, Markenimage und Markenpositionierung .................................................................................................. 73 2.3.4 Die Marke-Kunde-Beziehung ...................................................................................... 74 2.4 Markenvertrauen in der identitätsbasierten Markenführung ................................. 78 2.4.1 Relevanz des Markenvertrauens ................................................................................. 78 2.4.2 Gegenstand des Markenvertrauens ............................................................................ 80 2.4.3 Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung ........................................ 84 2.5 Markenauthentizität in der identitätsbasierten Markenführung ............................ 85 2.5.1 Relevanz der Markenauthentizität .............................................................................. 85 2.5.2 Gegenstand der Markenauthentizität ......................................................................... 86 2.5.3 Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung ........................................ 87 2.6 Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung ................................ 91

C. Burmann et al., Identitätsbasierte Markenführung,DOI 10.1007/978-3-8349-3707-0_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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20 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Im zweiten Kapitel steht das Konzept der identitätsbasierten Markenführung im Vorder-grund. Die Gestaltung der Markenidentität als interne Seite einer Marke sowie das hieraus extern resultierende Markenimage bei den Nachfragern bilden das Fundament einer jeden nachhaltig erfolgreichen Marke. Eine einzigartige und differenzierende Positionierung ist in gesättigten Märkten eine große Herausforderung. Ohne eine solche Positionierung wird die langfristige Bindung von Nachfragern an die Marke erheblich erschwert. Im Folgenden beschäftigt sich dieses Kapitel daher mit den Fragen:

Welches Konzept der Markenführung ist geeignet, die aktuellen Herausforderungen in den Märkten zu bewältigen?

Worauf beruht die Identität einer Marke und wie kann sie gestaltet werden?

Wie bilden sich starke Marken in den Köpfen von Nachfragern? Welche Rückschlüsse für das Markenmanagement kann die Neuroökonomie bieten?

Wie kann Vertrauen in eine Marke aufgebaut werden und welchen Beitrag leistet es zum Markenerfolg?

Im Zusammenhang mit dem Markenvertrauen erwächst immer mehr ein Bedürfnis nach Authentizität von Marken. Wie kann diese durch das Markenmanagement entwickelt wer-den und wie wirkt sie auf den Markenerfolg?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird dem Leser zunächst ein Überblick über die Entwick-lung der Markenführung gegeben. Daran anschließend wird der Identitätsbegriff hergelei-tet und operationalisiert. Das Markenimage wird als Wirkungskonzept der Markenidentität vorgestellt und seine Bestandteile erläutert. Für ein tiefergehendes Verständnis des Nach-fragerverhaltens wird auf aktuelle Erkenntnisse der Neuroökonomie zurückgegriffen. Den Abschluss des zweiten Kapitels bilden die für eine erfolgreiche Markenführung zentralen Konzepte des Markenvertrauens und der Markenauthentizität.

2.1 Entstehung der identitätsbasierten Markenführung

Seit der Entstehung des klassischen Markenartikelkonzeptes zu Beginn des 20. Jahrhun-derts hat sich das Verständnis vom Wesen einer Marke aufgrund tiefgreifender Verände-rungen in den Markt- und Umweltbedingungen gewandelt. Die veränderten Rahmenbe-dingungen haben unterschiedliche Markenbegriffe und verschiedene Ansätze der Marken-führung hervorgebracht. Stark vereinfacht lassen sich in diesem Zusammenhang fünf Phasen der Markenentwicklung voneinander abgrenzen und deren Implikationen für die Markenführung aufzeigen (vgl. Tabelle 2.1).

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Entstehung der identitätsbasierten Markenführung 21

Tabelle 2.1 Entwicklungsphasen in der Markenführung

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Quelle: Eigene Darstellung.

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22 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Die einsetzende Industrialisierung und mit ihr die Massenproduktion vieler bis dato handwerklich erzeugter Konsumgüter führten ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Verlust der persönlichen Geschäftsbeziehungen zwischen produzierenden Unternehmen und dem Endverbraucher (vgl. Leitherer 1955 und 2001). An ihre Stelle trat der anonyme Massenmarkt. Die Hersteller verloren den direkten Kontakt zum Verbraucher. Die in vielen Branchen noch unausgereifte Produktionstechnik hatte zur Folge, dass die Qualität indust-rieller Fertigwaren oftmals erheblichen Schwankungen ausgesetzt war. Darüber hinaus begrenzte das erst rudimentäre Produktions- und Koordinations-Know-how die Betriebs-größe der Hersteller. Die Struktur des Warenangebotes blieb somit stark regional geprägt. Anonyme Waren beherrschten das Bild in fast allen Produktgruppen. In den Anfängen des letzten Jahrhunderts zeichnete sich im Handel ein wachsender Preiswettbewerb durch Warenhäuser, Filialisten und Konsumvereine als innovative Betriebsformen ab (vgl. Berekoven 1978, S. 36). Die Markierung von Waren diente in dieser Zeit in erster Linie als Eigentumskennzeichnung und Herkunftsnachweis (vgl. Linxweiler 2001, S. 49). Das Mar-kenverständnis war durch den bloßen Vorgang der Kennzeichnung bzw. Markierung ge-prägt. Markenführung als betriebswirtschaftliches Managementkonzept existierte noch nicht.

Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen sind die Entstehung und rasche Ver-breitung des vor allem von Domizlaff geprägten klassischen Markenartikelkonzeptes zu sehen (vgl. Domizlaff 1939). Dieses Konzept bot Konsumgüterherstellern die Chance, indi-rekt wieder mit dem Verbraucher in Kontakt zu treten und ihren Einfluss auf den Verkauf ihrer Waren im Handel deutlich zu vergrößern. Diese Ziele der Hersteller sollten durch eine hohe und vor allem konstante Warenqualität, eine gleichartige Aufmachung, den Ver-trieb in einem größeren, überregionalen Markt und insbesondere den Vorverkauf der Wa-ren durch klassische Werbung erreicht werden. Die zahlreichen im Zuge der Industrialisie-rung und Massenproduktion entstandenen technischen Innovationen bildeten zumeist den Kern für erfolgreiche Markenkommunikation und Markenbildung. Das starke wirtschaftli-che Wachstum und die in den meisten Warengruppen vorherrschende Situation des Verkäufermarktes förderten die schnelle Diffusion des klassischen Markenartikelkonzeptes. Unter diesen Marktbedingungen waren die Zusicherung einer zuverlässig hohen Qualität, eine durch die Werbung aufgebaute hohe Bekanntheit und eine bislang unbekannte Con-venience (Preisgleichheit und Verfügbarkeit in allen wichtigen Handelsgeschäften) die Schlüsselfaktoren für den Markterfolg.

Auch im Handel stieß das klassische Markenartikelkonzept zunächst auf Gegenliebe, denn die Preis- und Vertriebsbindung des Markenartikels verhinderte einen ruinösen Preiswett-bewerb. Darüber hinaus ließen sich bei den Betriebsabläufen im Handel erhebliche Produk-tivitätsfortschritte durch Einführung der Selbstbedienung und den weitgehenden Verzicht auf Dimensionierungs-, Verpackungs-, Qualitätssicherungs- und Informationsfunktionen realisieren. Die Übernahme dieser Funktionen durch die Hersteller (vgl. Meffert/Burmann 1991, S. 57) in Verbindung mit deren Betriebsgrößenwachstum durch Massenproduktion resultierte schließlich in einer starken Machtposition der Markenartikelhersteller. Immer öfter wurden der Vorwurf des „Meinungsmonopols der Markenartikel“ und die Klage über die zum Erfüllungsgehilfen degenerierte Funktion des Handels laut (vgl. Berekoven 1978, S. 37).

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Entstehung der identitätsbasierten Markenführung 23

In dieser zweiten Entwicklungsphase waren das Verständnis vom Wesen der Marke durch einen konsumgüterorientierten Warenfokus und die Suche nach konstitutiven Eigenschaf-ten gekennzeichnet. Der Markenbegriff wurde durch einen Merkmalskatalog gekennzeich-net, der sich stets auf physisch fassbare Konsumgüter bezog. Dienstleistungen, Investiti-onsgüter oder gar Vorprodukte waren nach damaligem Verständnis keine Marken (vgl. Mellerowicz 1963, S. 39). Konsequenterweise sprach man im unternehmerischen Alltag, in der Wissenschaft und sogar auf Seiten des Gesetzgebers ausschließlich von Markenartikeln oder Markenwaren. So definiert Mellerowicz Marken als „… für den privaten Bedarf ge-schaffene Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden Merkmal (Marke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher Menge sowie in gleichbleibender und verbesserter Güte erhältlich sind und sich dadurch sowie durch die für sie betriebene Werbung die Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler und Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung)“ (Mellerowicz 1963, S. 39). Wird mindestens eine Anforderung von einem Produkt nicht erfüllt, liegt bei strenger Auslegung des merkmalsorientierten Verständnisses kein Markenartikel vor (vgl. Leitherer 1954).

In der Markenführung herrschte ein instrumentell geprägtes Verständnis vor (vgl. Findei-sen 1925, S. 32; Goldack 1948, S. 22; Domizlaff 1951, S. 27 f.; Mellerowicz 1963, S. 12 f.; Hartmann 1966, S. 12 f.). Dieser instrumentelle Ansatz fand seinen Niederschlag in dem Begriff der Markentechnik, die sich vor allem mit der Namensfindung und -gestaltung, der Verpackungsform und dem Einsatz der klassischen Werbung beschäftigte. Einem naturge-setzlichen Zusammenhang vergleichbar, wurden – unabhängig von der Unternehmens- und Marktsituation – feste Grundregeln aufgestellt, bei deren Befolgung sich quasi automa-tisch der Erfolg einstellen sollte (vgl. Domizlaff 1951, S. 27 f.). So formulierte Domizlaff – der als einer der Väter der professionellen Markenpolitik gelten kann – im Jahre 1939 „22 Grundgesetze der natürlichen Markenbildung“. In diesen Grundgesetzen werden die konstitutiven Merkmale der Marke aufgegriffen und Instrumente zu ihrem Aufbau und ihrer Pflege beschrieben.

Mag diese Sichtweise der Markenführung aus heutiger Sicht auch teilweise befremdlich wirken, so ist zu berücksichtigen, dass unter den aufgezeigten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit dieser Art der Markenführung tatsächlich häufig der Erfolg beschieden war.

Die etwa ab Mitte der 60er Jahre einsetzende dritte Entwicklungsphase war gesamtwirt-schaftlich durch erstmals auftretende rezessive Tendenzen und im weiteren Verlauf durch die erste Ölkrise gekennzeichnet. Gleichzeitig wandelte sich in zahlreichen Warengruppen die Situation von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt. Das Warenangebot wuchs enorm, viele grundlegende Bedürfnisse sowohl im Bereich der Verbrauchsgüter des alltäg-lichen Bedarfs als auch bei langlebigen Gebrauchsgütern waren zunächst befriedigt.

Der Absatzbereich der Unternehmen entwickelte sich zum dominanten Engpassbereich und rückte in den Mittelpunkt des Interesses (vgl. Meffert 1994b, S. 4). Dies auch deshalb, weil die bis dato verlässlichste Größe im Absatzbereich, der stabile Stückpreis, durch die

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24 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Aufhebung der gesetzlichen Preisbindung der zweiten Hand im Jahre 1967 zu einer schein-bar unkalkulierbaren Absatzvariable wurde. Als Ergebnis dieser Situationsveränderung beschäftigten sich insbesondere die Markenartikelhersteller verstärkt mit der systemati-schen Gestaltung des Absatzbereiches. Dies führte auch in Deutschland zu einer Populari-sierung des in den USA entwickelten Marketing Know-hows und in der Folge zu einer asymmetrischen Wissensverteilung zwischen Hersteller und Handel. Dieses Gefälle im Marketing Know-how nutzten die Hersteller zur qualitätsorientierten Profilierung ihrer Markenartikel und zur Festigung ihrer Marktposition.

Dem Profilierungsstreben der Hersteller versuchte der Handel durch eine „me-too“-Strategie, der Einführung von Handelsmarken zu begegnen (vgl. Schenk 1994). Diese Kopien erfolgreicher Herstellermarken basierten auf dem verkürzten Markenverständnis der vorangegangenen Jahre, wonach sich Markenartikel vor allem durch eine konstante Qualität, eine gleichbleibende Aufmachung und die Verfügbarkeit in einem größeren Ab-satzraum auszeichneten. Auf dieser Grundlage gelang es dem Handel jedoch nicht, tatsäch-lich starke Marken zu etablieren. Handelsmarken konnten nur durch den erheblich niedri-geren Preis im Markt bestehen.

Das angebotsbezogene Markenverständnis war in dieser Phase stark an Produktions- und Vertriebsmethoden orientiert (vgl. Dichtl 1978, S. 19). Der Markenartikel wurde als „ge-schlossenes Absatzsystem“ (Hansen 1970, S. 64) definiert mit dem Ziel, unmittelbaren Kon-takt zum Verbraucher und größtmögliche Kundennähe zu erreichen. Der Markenartikel wurde als spezifische Vermarktungsform angesehen und somit nicht länger als Merkmals-bündel verstanden (vgl. Alewell 1974, S. 1218 f.).

In der Markenführung bildete sich ein funktionsorientierter Ansatz heraus. Im Unter-schied zum instrumentellen Ansatz wurde der Aufgabenbereich der Markenführung we-sentlich breiter gefasst. Während die Vertreter des instrumentellen Ansatzes die Marktfor-schung, die Produktentwicklung, die Preispolitik und auch die Distributionspolitik nicht zum Aufgabenspektrum der Markenführung zählten (vgl. Hartmann 1966, S. 13 f.), wurden diese Bereiche beim funktionsorientierten Ansatz in die Markenführung integriert (vgl. Angehrn 1969, S. 21 f.; Hansen 1970, S. 30 f.). Im Mittelpunkt stand die Frage, wie betriebli-che Funktionen ausgestaltet werden müssen, um den Erfolg eines Markenartikels zu ge-währleisten. Demgegenüber waren die Vertreter des instrumentellen Ansatzes der Marken-führung daran interessiert, diejenigen Absatzinstrumente zu identifizieren, deren Einsatz aus anonymen Waren einen Markenartikel werden lassen.

Die Ausgestaltung der zahlreichen Marketingfunktionen wird beim funktionsorientierten Ansatz der Markenführung als wichtiger Wettbewerbsvorteil gesehen. Dem Vertrieb kommt dabei für den Erfolg des Markenartikels eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. Dubber 1969, S. 17 f.; Hansen 1970, S. 41 f.). Im Gegensatz hierzu stellte der instrumentelle Ansatz die Markierungs- und Verpackungsgestaltung in den Mittelpunkt seiner Betrach-tung.

In der vierten Entwicklungsstufe, etwa ab Mitte der 70er Jahre bis Ende der 80er Jahre, waren die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch ausgeprägte Sättigungsten-

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Entstehung der identitätsbasierten Markenführung 25

denzen auf vielen Märkten, kritischere und vor allem preissensiblere Verbraucher, eine schnelle Imitation technischer Innovationen und einen als Folge der Markeninflation zu-nehmenden „information overload“ der Konsumenten gekennzeichnet (vgl. Kroeber-Riel 1988).

Demzufolge versuchten die Markenartikelhersteller, neue Formen der Zielgruppenanspra-che in Ergänzung zur klassischen Werbung für den Markenartikel zu erschließen (Sponso-ring, Event-Marketing etc.). Innovationen als traditioneller Markenkern konnten aufgrund der hohen Imitationsgeschwindigkeit oft nur noch kurzfristig für die Profilierung von Mar-ken verwendet werden. Die konstante und hohe Qualität verlor als Merkmal zur Abgren-zung von Markenartikeln gegenüber Nicht-Markenartikeln an Bedeutung, da sie von den meisten Nachfragern beim Kauf vorausgesetzt wurde. Die hohe Intensität im vertikalen und horizontalen Wettbewerb in Verbindung mit Sättigungstendenzen auf der Nachfrage-seite führten zu einer schnellen Weiterentwicklung des strategischen Marketing Know-hows vor allem auf Seiten der Hersteller. Dieses Know-how wurde zur Behauptung gegen-über einem im Markenbereich immer selbstbewusster auftretenden Handel eingesetzt.

Die wachsende Konzentration im Handel ließ die Absatzmittler zu „gate-keepern“, d. h. zu einem Nadelöhr auf dem Weg des Markenartikels vom Hersteller zum Verbraucher, wer-den (vgl. Lewin 1963, S. 206 f.). Dem gestiegenen Preisbewusstsein der Verbraucher kam der Handel durch die Einführung von Gattungsmarken entgegen (vgl. Meffert/Bruhn 1984, S. 7 f.). Der knappe Regalplatz und die Handelsforderung nach Listungsgebühren und anderen versteckten Rabatten bei der Aufnahme neuer Marken in das Sortiment hatten eine Verschärfung der Konflikte zwischen Handel und Herstellern zur Folge.

Das Markenverständnis wurde in dieser Phase von einer nachfragebezogenen, subjekti-ven Begriffsauffassung geprägt. Danach waren diejenigen Produkte oder Dienstleistungen als Markenartikel zu bezeichnen, welche von den Konsumenten als solche wahrgenommen werden (vgl. Berekoven 1978, S. 43; Meffert 1979, S. 23 f.). Dieses Markenverständnis löste sich bewusst von objektiv bestimmbaren Wareneigenschaften oder bestimmten Produkti-ons- und Vertriebsmethoden. Es zielte vielmehr auf die Gewinnung von Kunden ab und stellte die Wahrnehmung durch den Konsumenten in den Mittelpunkt.

Das subjektive Markenverständnis spiegelte sich auch in der Markenführung wider. In dieser Phase fand der verhaltens- bzw. imageorientierte Ansatz der Markenführung in Wissenschaft und Praxis größere Verbreitung (vgl. Berekoven 1978, S. 43 f.; Murphy 1987, S. 1 f.; Aaker/Keller 1990, S. 27 f.; Trommsdorff 1992, S. 458 f.). Dieser Ansatz basiert auf den Ergebnissen der umfangreichen Forschung zur Bedeutung, Entstehung und den Kompo-nenten des Markenimages (vgl. Keller 1993). Auf der Grundlage dieser Arbeiten wurden Handlungsempfehlungen zur zielgerichteten Beeinflussung des von den Nachfragern wahrgenommenen Markenimages entwickelt.

Im Gegensatz zum funktionsorientierten Ansatz, der die Markenführung lediglich als Teil des Markenartikel-Marketing verstand, fordert der imageorientierte Ansatz eine Gleichstel-lung von Marketing und Markenführung. Dieser Auffassung liegt die Überzeugung von der grundsätzlichen Imagerelevanz aller Marketingparameter eines Markenartikelherstel-

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26 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

lers zugrunde. Trotz dieses grundsätzlich breiten Aufgabenspektrums der Markenführung führte der ausgeprägte Imagefokus dieses Ansatzes zu einer Überbetonung von methodi-schen Aspekten (Operationalisierung des Markenimages, Determinanten des Marken-images, Einflussstärke der Determinanten etc.) und zu einer Vernachlässigung der Integra-tion aller Markenführungsmaßnahmen.

Parallel zum imageorientierten Ansatz entwickelte sich ein technokratisch-strategie-orientierter Ansatz der Markenführung (vgl. Meffert 1988, S. 115 f. und 289 f.; Brand-meyer/Schulz 1989; Franzen/Trommsdorff/Riedel 1994; Haedrich/Tomczak 2003). Dieser Ansatz versuchte, die Integrationsdefizite des imageorientierten Ansatzes zu beseitigen. Hierzu wurde ein Wechsel in der Betrachtungsweise von der Verhaltenskonstruktebene zur Unternehmensführungsebene vollzogen. Die Planung, Steuerung und Koordination aller auf den Absatzmarkt gerichteten Maßnahmen der Markengestaltung standen im Mittel-punkt des Interesses. Die in den 80er Jahren einsetzende intensive Beschäftigung mit dem ökonomischen Markenwert führte zu einer weiteren Popularisierung des strategischen Ansatzes der Markenführung. Allerdings mündete die stark formalisierte Darlegung der Markenbildung in der Folge in ein technokratisch-mechanistisches Vorstellungsbild von den Zielen und Aufgaben der Markenführung.

Die fünfte Entwicklungsphase, ab dem Beginn der 90er Jahre, ist bezüglich der Aufgaben-umwelt der Unternehmen von einer weiteren Angleichung der technisch-objektiven Pro-duktqualitäten gekennzeichnet. Dies ist vor allem eine Folge der zunehmenden Modulari-sierung von Produktkonzepten, beispielsweise bei Computern, Haushaltsgeräten oder Automobilen, und der damit einhergehenden Standardisierung. Das aus Kosten- und Fle-xibilitätsgesichtspunkten zunehmende Outsourcing trägt aufgrund der Nutzung identi-scher Lieferanten und Einbauteile durch direkte Wettbewerber, welche in der Vergangen-heit unabhängig voneinander Teile entwickelten, ebenfalls zu einer wachsenden Qualitäts-homogenität der Markenartikel bei.

Die wachsende internationale Verflechtung und Globalisierung des Wettbewerbs führten zu einer immer schnelleren Verbreitung neuen technologischen Know-hows. Diese Ent-wicklung förderte zusätzlich die Angleichung der technisch-objektiven Produkteigenschaf-ten konkurrierender Marken. Die zunehmende Qualitätsangleichung und Substituierbar-keit der Angebote erstrecken sich nicht nur auf Konsumgüter, sondern auch auf Dienstleis-tungen und Investitionsgüter. Dies erklärt, warum auch Dienstleister, Investitionsgüterher-steller und Zulieferer in den vergangenen Jahren in verstärktem Maße auf die Entwicklung eigener Marken zur Differenzierung ihrer Leistungen zurückgegriffen haben (vgl. Simon 1994).

Vor diesem Hintergrund ist auch das Vordringen von Dachmarkenstrategien zu sehen. Es erklärt sich einerseits aus der Tatsache, dass Dachmarken bei Dienstleistungsunternehmen gegenüber Einzelmarkenstrategien in der Regel vorteilhafter sind (vgl. Meffert/Bruhn 2003, S. 405). Andererseits erleichtern Dachmarken die Durchsetzung und Positionierung im „Dschungel“ der Markeninflation. Die Positionierungsenge und die aufgrund des hohen Mindestwerbedrucks gestiegenen Kosten der Markenführung lassen die Unternehmen

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Entstehung der identitätsbasierten Markenführung 27

immer häufiger bei Produktneueinführungen von Einzelmarkenkonzepten Abstand neh-men. Dieses Vorgehen entspricht auch den Anforderungen der Verbraucher, weil aufgrund des größeren Wissens über wirtschaftliche Zusammenhänge die Verantwortung von Un-ternehmen vom Nachfrager heute wesentlich breiter definiert wird und eine Verantwor-tungsverlagerung von Einzelmarken zum Gesamtunternehmen bzw. zur Firmendachmarke zu beobachten ist (vgl. Goodyear 1994, S. 66).

Eine weitere für die Markenpolitik wichtige Rahmenbedingung liegt im Zusammenwach-sen der Informations- und Kommunikationstechnologien und dem Bestehen weltweiter Kommunikationsnetze. Das Internet in Verbindung mit den sozialen Medien hat zu einer deutlichen Erhöhung der Markttransparenz geführt. Sie bietet dem Nachfrager das Poten-zial, sich vor einer Kaufentscheidung ohne große Mühen einen umfassenden Marktüber-blick zu verschaffen und dabei vor allem Preisvergleiche anzustellen und Leistungen von Anbietern zu beziehen, die bis vor wenigen Jahren aufgrund ihrer räumlichen Entfernung nicht zum „evoked set“ des Nachfragers gehörten.

Analysiert man die markenrelevanten Veränderungen in den Hersteller-Handels-Beziehungen, dann fällt in dieser Phase der enorme Zugewinn an Einfluss und Know-how auf Seiten des Handels auf. Das Vertrauen der Kunden gegenüber großen Einzelhandels-ketten und die Margenvorteile selbstmarkierter Produkte nutzt der Handel für den Ausbau seiner Handelsmarkenprogramme. Die problemlose Verfügbarkeit freier Produktionskapa-zitäten auf Seiten der Hersteller unterstützt diese Entwicklung massiv. Die flächendecken-de Verbreitung von Scannerkassen und die auf diesem Wege gewonnenen Kundendaten versetzen den Handel gegenüber den Herstellern in die Lage eines Informationsmonopolis-ten. Diesen Informationsvorsprung versucht der Handel durch den Ausbau des eigenen Marken-Know-hows, beispielsweise durch Abwerbung von Markenspezialisten bei Mar-kenartikelherstellern, für die Stärkung seiner Eigenmarken zu nutzen. Nicht zuletzt ist die Einführung des Category Managements Ausdruck dieser Entwicklung (vgl. Steiner 2007, S. 67 ff.).

Mit wachsendem Marken-Know-how geht der Handel verstärkt dazu über, bislang beim Hersteller angesiedelte Funktionen zu übernehmen (vgl. Meffert/Burmann 1991, S. 57). Die weiter zunehmende Konzentration im Einzelhandel tut ein Übriges, die Markenwünsche der Händler gegenüber den Herstellern durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund dürften zukünftig nur die stärksten Herstellermarken einer Warengruppe (sog. A-Marken) eine realistische Listungschance im Handel besitzen (Steffenhagen 1995).

Die skizzierten Veränderungen in den Rahmenbedingungen haben seit den 90er Jahren wiederum zu einem veränderten Markenverständnis geführt. Die Marke wird heute vor allem unter sozialpsychologischen Aspekten betrachtet. Ging mit dem („harten“) techno-kratisch-strategieorientierten Ansatz der Markenführung eine stark formalisierte Vorstel-lung von der Markenbildung einher, welche der oftmals von subjektiven Einflüssen und emotionalen Aspekten geprägten „weichen“ Führung von Marken nur unzureichend ge-recht wurde, werden diese vor allem im Rahmen des identitätsbasierten Ansatzes der Markenführung stärker betont.

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28 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Vergleichbar mit der Synthese aus Markt- und Kompetenzperspektive in der strategischen Unternehmensführung (vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, S. 76 ff.), lässt sich auch die Notwendigkeit zu einer Neuausrichtung der Markenführung begründen. Basierten die Aussagen der Marketingwissenschaft zur Markenführung bis in die 1990er Jahre auf der Outside-In-Perspektive (Nachfrage- bzw. Imageorientierung), so ist diese Sicht heute iden-titätsbasiert um eine Inside-Out-Betrachtung (Mitarbeiter- und Kompetenzorientierung) zu ergänzen. Letztlich kann erst durch die Berücksichtigung beider Perspektiven den An-sprüchen an eine langfristig erfolgreiche Markenführung Rechnung getragen werden.

Der Markenbegriff im Sinne der identitätsbasierten Markenführung geht auf die Arbeiten von Meffert (1974), Meffert/Burmann (1996) und Keller (1993) zurück und versteht unter einer Marke „ein Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen, die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel gegenüber anderen Nutzenbündeln, welche dieselben Basisbedürf-nisse erfüllen, aus Sicht der relevanten Zielgruppen nachhaltig differenziert“ (Burmann/ Blinda/Nitschke 2003, S. 3).

Der identitätsbasierte Ansatz der Markenführung erweitert die bisher primär absatzmarkt-bezogene Sichtweise um eine innengerichtete Perspektive. Der Ansatz interpretiert die Identität und als deren Kernbestandteil die Kompetenz einer Marke als wichtigste Voraus-setzung, um das Vertrauen der Nachfrager zu gewinnen. Ältere Markenführungsansätze verstehen Markenkompetenz demgegenüber verkürzt als technisch-funktionale Qualität der markierten Produkte. Dabei ignorieren sie, dass eine Marke erst durch die Ressourcen und Fähigkeiten des Markeninhabers zum „Leben erweckt“ wird.

Dieses Defizit aufgreifend konstituiert sich die Markenidentität als Folge der Wechselwir-kungen von Entscheidungen und Handlungen der Markenmitarbeiter und der Wahrneh-mung dieser durch die Nachfrager und andere Anspruchsgruppen. Im Mittelpunkt steht somit die Wechselseitigkeit von Image (externe Wahrnehmung) und Identität einer Mar-ke (interne Reflexion des eigenen Tuns).

Das Konzept des identitätsbasierten Markenmanagements geht über die einseitige Ausrich-tung auf die Wahrnehmung der Marke beim Nachfrager (Markenimage) hinaus. Die „klas-sische“ Outside-in-Perspektive der Marke wird um eine Inside-out-Perspektive ergänzt. Diese analysiert das Selbstbild der Marke aus Sicht der internen Zielgruppen innerhalb derjenigen Institution, die die Marke trägt. Dieses Selbstbild wird als Markenidentität be-zeichnet (vgl. Abbildung 2.1).

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Entstehung der identitätsbasierten Markenführung 29

Abbildung 2.1 Grundidee des identitätsbasierten Markenmanagements

Quelle: Eigene Darstellung.

Die Markenidentität bringt die wesensprägenden Merkmale einer Marke, für welche die Marke zunächst nach innen und später auch nach außen stehen soll, zum Ausdruck. Dem-nach handelt es sich um ein Aussagenkonzept (vgl. Kapferer 1992, S. 44 f.), welches sich jedoch erst durch die Beziehung der internen Zielgruppen untereinander und der Interak-tion zwischen internen und externen Zielgruppen der Marke konstituiert (Meffert/Burmann 1996). Im Mittelpunkt der Markenidentität steht die Formulierung eines Kundennutzens, den die Marke aus Sicht des Anbieters erfüllen soll und der in der spezifischen (Kern-) Kompetenz der Marke verankert ist.

Während sich die Markenidentität im Unternehmen aktiv konstituiert, formt sich das Fremdbild bei den verschiedenen externen Zielgruppen erst später und verfestigt sich dann über einen längeren Zeitraum (vgl. Abbildung 2.2). Es schlägt sich letztlich im Image der Marke nieder (Meffert/Burmann 1996, S. 34). Das Markenimage ist somit als ein Akzep-tanzkonzept der Nachfrager bezüglich deren Beurteilung des von der Marke versproche-nen Kundennutzens zu interpretieren. Es stellt kein Managementkonzept dar, denn „um akzeptiert zu werden, muss die Marke zunächst konzipiert sein.“ (Kapferer 1992, S. 45).

Interne Zielgruppe

Markenidentität(Selbstbild der Marke)

Markenimage(Fremdbild der Marke)

Externe Zielgruppe

Kundennutzen(Positionierung)

Feedback

Marke

„Inside-out“-Perspektive

„Outside-in“-Perspektive

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30 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.2 Beziehung zwischen Marke, Markenidentität und Markenimage

Quelle: Eigene Darstellung.

Auch wenn die Integration der Identität den Anforderungen an ein modernes Markenma-nagement gerecht wird, zeigt sich doch, dass innerhalb der identitätsbasierten Markenfüh-rung unterschiedliche Herangehensweisen verfolgt werden.

Neben dem identitätsbasierten Markenführungsmodell nach Meffert/Burmann (1996) exis-tieren im Wesentlichen drei weitere Ansätze, die explizit die Identität einer Marke berück-sichtigen. Hierbei handelt es sich um die Ansätze nach Kapferer (1992), Aaker (1996) sowie Esch (2003). Das Verständnis und die Ausgestaltung der Identität variieren teils erheblich zwischen den Ansätzen (vgl. Welling 2006, S. 73 ff.).

Unterschiede zwischen den Ansätzen ergeben sich vorrangig aus dem jeweiligen Marken- und Identitätsverständnis. Während eine klare Definition des Markenverständnisses bei Kapferer (1992) fehlt, versteht Aaker (1996) hierunter die Marke als Zeichen (vgl. Welling 2006, S. 73). Dieses Begriffsverständnis folgt einem Markenverständnis, wie es in der Zeit vor den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verbreitet war (vgl. Tabelle 2.1). Eine Verkür-zung des Markenverständnisses als rein subjektives Vorstellungsbild in den Köpfen der Nachfrager verwendet Esch (2003). Er nutzt damit die Begriffe Marke und Markenimage synonym. Dadurch kommt es bei ihm zu einem logischen Widerspruch bei der Verwen-dung des Identitätskonstruktes, denn wenn eine Marke nur in den Köpfen der Nachfrager existiert, kann die Identität dieser Marke nicht von den Mitarbeitern gestaltet werden.

Markenimage(Fremdbild der

Marke)

Externe Zielgruppen

Markenidentität(Selbstbild der

Marke)

Die Markenidentität umfasst diejenigen

raum-zeitlich gleichartigen Merkmale der Marke, die aus Sicht der internen Zielgruppen

in nachhaltiger Weise den Charakter der Marke

prägen.

Eine Marke ist ein Nutzenbündel mit spezifischen

Merkmalen, die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel gegenüber anderen Nutzenbündeln, welche dieselben

Basisbedürfnisse erfüllen, aus Sicht relevanter Zielgruppen

nachhaltig differenziert.(Quelle: in Anlehnung an Keller 2003)

Interne Zielgruppen

Das Markenimage ist ein in der Psyche

relevanter externer Zielgruppen fest

verankertes, verdichtetes, wertendes

Vorstellungsbild von einer Marke.

Marke als Nutzenbündel mit differenzierenden Merkmalen

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Aktueller Stand der Identitätsforschung 31

Hinsichtlich des Verständnisses der Identität basieren alle drei Ansätze ausschließlich auf einer internen Betrachtung. Hierbei wird die Identität explizit nur durch Mitglieder der Markeninstitution geprägt (vgl. Welling 2006, S. 74). So bezeichnet Esch die Identität bspw. als „das Selbstbild einer Marke aus Sicht der Manager eines Unternehmens“ (Esch 2008, S. 81). Diese stark verengte, nur auf das Management bezogene Definition wird der Kom-plexität der Markenidentität jedoch nicht gerecht. Der identitätsbasierte Markenführungs-ansatz nach Meffert/Burmann berücksichtigt daher die Wechselbeziehungen aller die Mar-ke tragenden Personen, unabhängig davon, ob sie dem Management des Unternehmens angehören oder eine hierarchisch untergeordnete Rolle in der Leistungserbringung spielen.

Zusammenfassend zeigt sich, dass der identitätsbasierte Markenführungsansatz nach Mef-fert/Burmann als einziger Markenführungsansatz sowohl ein modernes Markenverständnis als auch eine umfassende Identitätsbasierung in sich integriert.

2.2 Aktueller Stand der Identitätsforschung

Der Begriff der Identität findet innerhalb zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen An-wendung. Bevor seine spezifische Bedeutung im Rahmen des identitätsbasierten Marken-managements im Detail behandelt wird, soll nachfolgend zunächst ein allgemeines Ver-ständnis für die Herkunft und Bedeutung der Identität geschaffen werden.

Etymologisch rührt der Begriff „Identität“ vom lateinischen Wort „idem“ her, welches „dasselbe“ bezeichnet. Aus diesem Grunde wird der Begriff oftmals als „völlige Gleichheit“ und „Wesenseinheit“ beschrieben (vgl. Welling 2003, S. 13). In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird der Begriff abhängig vom jeweiligen Forschungszweck sehr unterschied-lich verwendet – eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition existiert nicht (Frey/Haußer 1987; Achterholt 1988, S. 29 f.; Conzen 1990; Gugutzer 2002). Das Begriffsverständnis ist vielmehr geprägt von den jeweiligen Forschungszwecken und den betrachteten Untersu-chungsobjekten. So wird der Identitätsbegriff in der Soziologie vielfach zur Kennzeichnung eines Bündels typischer Rollen eines Individuums verwendet. In der Psychologie steht der Identitätsbegriff für das Selbstkonzept von Personen (vgl. Rosenberg 1979; Hogg/Cox/ Keeling 2000), während die Moraltheologen und Philosophen mit Identität ein über die Zeit relativ stabiles Set persönlicher Werthaltungen und ethischer Prinzipien beschreiben. Die Psychiatrie schließlich beschreibt mit Identität die Unversehrtheit und Funktionsfähigkeit aller Organisationsleistungen des Nervensystems (vgl. Conzen 1990).

In der Umgangssprache werden die Begriffe „Identität“ und „Persönlichkeit“ oft synonym verwendet. Allerdings handelt es sich bei der Identität um ein umfassenderes Konstrukt. In der Psychoanalyse repräsentiert die Identität die Ganzheit der Persönlichkeitseigen-schaften, die zu mehr als der Summe ihrer Teile verschmelzen. Sie erlauben, unabhängig von der Veränderung und der Weiterentwicklung einzelner Persönlichkeitseigenschaften, den Menschen als „denselben“ zu identifizieren und als im Zeitverlauf gleich bleibendes Wesen wiederzuerkennen (vgl. Conzen 1990, S. 69 f.). Hinsichtlich des Begriffsverständ-nisses innerhalb der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung haben sich zwei Heran-

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32 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

gehensweisen herausgebildet, die besondere Beachtung erlangten. Hierbei handelt es sich neben den psychoanalytischen Ansätzen nach Erikson (1950) und Marcia (1980), um die stärker soziologisch und interaktionistisch geprägten Ansätze nach Mead (1934), Goffmann (1959) und Krappmann (1971). Dabei gehen viele wesentliche Erkenntnisse zur Identität in der sozialwissenschaftlichen Forschung auf John Locke zurück (vgl. Thiel 2001).

Auch die Identität einer Marke basiert schlussendlich auf den Erkenntnissen der sozialwis-senschaftlichen Identitätsforschung. Nachfolgend werden daher zunächst die zentralen Ergebnisse aus den Sozialwissenschaften vorgestellt und auf dieser Grundlage die Marken-identität hergeleitet.

2.2.1 Sozialwissenschaftliche Ansätze der Identitätsforschung

2.2.1.1 Ursprung der Identitätsforschung

Ausgehend von den Ursprüngen der Identitätsforschung unterscheidet John Locke (1632-1704) zwischen der „Identität als Mensch“ und der „Identität als Person“. Die „Identität als Mensch“ bezieht sich alleinig auf die Existenz des materiellen Körpers und ist somit als gegeben anzusehen. Erst durch die Auflösung seines Körpers würde bei einem toten Men-schen auch seine Identität aufhören zu existieren. Die „Identität als Person“ hingegen kon-stituiert sich erst durch die Existenz eines Bewusstseins und des Denkens (vgl. Welling 2003, S. 13 ff.). Nach Locke bedarf die letztere Identitätsauffassung eines selbstreferenziel-len Bewusstseins, um reflektierend durch die Verknüpfung von Vergangenheit und Ge-genwart die Identität der eigenen Person festzustellen. Es handelt sich daher um eine sub-jektive Konstruktion der Identität, häufig auch als sog. „Ich-Identität“ bzw. „persönliche Identität“ bezeichnet, die beim Menschen erst durch einen Prozess des selbstreflexiven Denkens entsteht. D. h. die Person bildet ihre Identität, indem sie ihr Wissen und ihre Er-fahrungen über sich selbst in der Vergangenheit und Gegenwart verarbeitet. In diesem sog. Selbstkonzept vereinen sich das Identitätssubjekt und -objekt in einer Person (vgl. Frey/ Haußer 1987, S. 20). Mit seiner Theorie begründete John Locke die Identitätsforschung. Auch heute noch finden sich Teile seines Verständnisses in der modernen Wissenschaft.

2.2.1.2 Psychoanalytische Ansätze der Identitätsforschung

Einen bedeutenden Beitrag zur Identitätsforschung stellen die Arbeiten von Erik Erikson dar. Diese beruhen weitgehend auf der Freud’schen Psychoanalyse (vgl. Abels 2007a, S. 323). In seinem Modell stellt die Entstehung der Identität einer Person einen individual-psychologischen Entwicklungsprozess dar. Erikson geht in seinen Arbeiten von drei grundlegenden Annahmen aus (vgl. Becker 2012, S. 32 sowie Lührmann 2006, S. 154 f.):

Die Identität ist das Ergebnis eines psychosozialen Entwicklungsprozess.

Aus dem Wechselspiel zwischen psychischen und sozialen Mechanismen entstehen Krisen, deren Bewältigung die Grundlage der Identitätsentwicklung darstellen.

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Aktueller Stand der Identitätsforschung 33

Die Lösungen der Krisen werden über den gesamten Lebensweg des Individuums bei-behalten und prägen sein gesamtes Leben.

Identität bezeichnet Erikson damit als das Empfinden einer Person, trotz aller Erfahrungen und den damit immer wieder verbundenen Widersprüchen eigenständig und ganzheitlich zu sein. Ihren Ursprung hat die Identität damit vor allem in den Krisen früher Lebenspha-sen. Sie entsteht aufgrund der Fähigkeit einer Person zur inneren, subjektiven Synthese (vgl. Lührmann 2006, S. 155). Hieraus ergibt sich, dass Kontinuität und Konsistenz zwei konstitutive Merkmale der Identität nach Erikson sind.

Der Prozess der Identitätsentwicklung nach Erikson wird durch neuere Forschungsansätze vor allem deshalb kritisiert, weil die Identitätsfindung in seinem Verständnis ein einmali-ger und endgültig abschließbarer Prozess ist. Vor dem Hintergrund der modernen Gesell-schaft mit ständigen Wechseln fehlt der Endgültigkeit der Entwicklung in der heutigen Zeit die Basis (vgl. Keupp 1989, S. 60). Als Reaktion auf diese Änderung der Umwelt entwickel-te sich innerhalb der psychoanalytischen Identitätsforschung der offene Identitätsprozess, der insbesondere durch die Arbeiten von Marcia (1980) geprägt ist. Im Gegensatz zum endlichen Entwicklungsprozess nach Erikson, versteht der offene Identitätsprozess die Entwicklung einer individuellen Identität als lebenslange Entwicklungsaufgabe. Im Ver-lauf dieser offenen Entwicklung kommt es immer wieder zu temporären, für eine kurze Zeit stabilen Identitätsergebnissen. Diese müssen durch das Auftreten von Krisen im Ver-lauf des Lebens jedoch wieder neu stabilisiert und angepasst werden. In der Konsequenz verliert damit die Konsistenz im Gegensatz zu Eriksons Verständnis etwas an Bedeutung (vgl. Keupp et al. 1999, S. 90).

Eine grundlegende Kritik, der sämtliche Ansätze zur Bildung einer Identität aus der Per-spektive der Psychoanalyse ausgesetzt sind, betrifft den Umstand, dass sie die Identität nur aus der Perspektive des Individuums betrachten. Auch wenn die Bildung der Identität an der Schnittstelle zwischen dem Individuum und der Gesellschaft geschieht, handelt es sich im psychoanalytischen Verständnis um ein subjektives Empfinden der betroffenen Person (vgl. Lührmann 2006, S. 178).

2.2.1.3 Interaktionistische Ansätze der Identitätsforschung

Demgegenüber nehmen Kommunikations- und Interaktionsprozesse bei der Entstehung einer Identität im Rahmen der interaktionistischen Ansätze eine verstärkte Rolle ein. Die Bil-dung der Identität erfolgt hier verstärkt von außen nach innen (vgl. Keupp et al. 1999, S. 98).

Zurückgehend auf Mead muss hierzu bei einer Person zwischen dem „I“ und dem „me“ unterschieden werden. Das „I“ beschreibt dabei die individuellen Besonderheiten einer Person und ist dementsprechend weitgehend deckungsgleich mit dem psychoanalytischen Verständnis der Identitätsbildung. Im Unterschied zu diesen Ansätzen geht Mead jedoch davon aus, dass das „I“ sich nicht selbst erkennen kann. Hierzu bedarf es dem „me“. Es beschreibt das von einer Person wahrgenommene Bild von sich selbst bei den Interaktions-partnern (vgl. Joas 2000, S. 107). Dieses Bild ist nicht immer konsistent. Vielmehr besteht es aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zuschreibungen der unterschiedlichen Interaktions-partner, mit denen eine Person interagiert (vgl. Mead 1973, S. 184). Die Fremd- und Eigen-

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34 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

wahrnehmung ein und derselben Person sind in den meisten Fällen nicht deckungsgleich. Die individuellen Eigenschaften, die ihren Niederschlag im „I“ finden, unterscheiden sich von den zugeschriebenen Rollen, die im „me“ enthalten sind. Die Bildung einer Identität erfolgt durch die fortschreitende Anpassung von Selbst- und Fremdbild (vgl. Keupp et al. 1999, S. 95 f.).

2.2.1.4 Das Konzept der Patchwork-Identitäten

Die deutliche Zunahme von Dynamik, Komplexität und Unsicherheit im täglichen Leben haben zu einer neuerlichen Weiterentwicklung bestehender Identitätskonzepte geführt. Hier ist vor allem das Konzept der „Patchwork-Identitäten“ nach Keupp et al. (1999) zu nennen.

Patchwork oder zu Deutsch Stückwerk hat in dem Ansatz eine zeitliche und inhaltliche Bedeutung. Aus zeitlicher Sicht folgt die Bildung einer Identität keinem linearen Verlauf mit einem klaren Ziel, wie dies bei Erikson der Fall war. Durch immer neue Erfahrungen, die ein Individuum macht, muss die eigene Vorstellung der Identität ständig in Frage gestellt werden. Identitätsbildung ist damit ein anhaltender Prozess, in dessen Verlauf das Indivi-duum neue Erfahrungen mit dem bestehenden Identitätskonzept verknüpfen muss. Konti-nuität wird in diesem Verständnis zu einer zeitlichen Verknüpfung mit dem Ziel, ein stim-miges Gesamtkonzept aus Vergangenheit, Gegenwart und erwarteter Zukunft zu erhalten.

Die inhaltliche Sicht bezieht sich bei Keupp et al. (1999) auf die Notwendigkeit, unter-schiedlichen Rollen gerecht zu werden, denen sich ein Individuum in der Gesellschaft ständig wechselnd gegenüber sieht. Zu denken ist hier beispielsweise an unterschiedliche Rollen im Beruf, der Familie oder im Freundeskreis (vgl. Becker 2012, S. 41). Aus den Rol-lenunterschieden bilden sich Teilidentitäten, die auf die jeweiligen Rollenerwartungen abgestimmt sind (vgl. Luhmann 1994, S. 193). Vor diesem Hintergrund ist eine Integration sämtlicher Teilidentitäten in eine einzige Globalidentität nicht ohne weiteres möglich. Ebenso wenig dürfen die Teilidentitäten völlig losgelöst voneinander stehen, da sonst die Widersprüche zwischen ihnen zu einem Verlust der Authentizität des Individuums führen würden (vgl. Lührmann 2006, S. 203 f.).

Die zentrale Leistung der Identitätsbildung ergibt sich aus der inhaltlich stimmigen Ver-knüpfung der Teilidentitäten zu einem Gebilde, das Keupp et al. als Metaidentität be-zeichnen. Auf dieser übergeordneten Ebene müssen die Widersprüche zwischen den ein-zelnen Teilidentitäten möglichst gering gehalten werden, so dass es über alle Teile hinweg zu einer weitgehenden Konsistenz kommt. Hierzu müssen gemeinsame Schnittmengen der Teilidentitäten identifiziert werden, die in der Folge den Kern der Identität darstellen (vgl. Keupp et al. 1999, S. 217 ff.).

2.2.2 Sozialwissenschaftliche Identitätsforschung und die Identität von Marken

Nach dem aktuellen Verständnis der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung können zwei Ebenen der Identitätsfestlegung herausgestellt werden. Die Identität entsteht immer

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Aktueller Stand der Identitätsforschung 35

im Wechselspiel zwischen der internen Perspektive, dem Selbstbild und der externen Perspektive bzw. dem Fremdbild. Das Fremdbild ist dabei durch Rollenerwartungen ge-prägt. Bei diesen handelt es sich um die Erwartungen anderer, wie sich eine Person in einer bestimmten Rolle (z.B. als Kollege) verhalten sollte. Aus der internen Perspektive stehen den Rollenerwartungen Rollenverständnisse gegenüber, die ihren Niederschlag in den Teilidentitäten finden. Darüber hinaus muss bezüglich des Bezugsobjektes der Identität nach Keupp et al. (1999) zwischen Individuen und Gruppen von Menschen unterschieden werden. Die Umsetzung des eigenen Rollenverständnisses ist somit Bestandteil der Identi-tät. Die Rollenerwartung außenstehender Personen mit Blick auf ein Bezugsobjekt wird als Image bezeichnet.

Marken sind im Rahmen der Identitätszuschreibung ebenfalls als Gruppen zu verstehen. Diese Gruppe setzt sich zusammen aus den Führungskräften und Mitarbeitern einer Mar-ke. Tabelle 2.2 fasst die Perspektiven und Bezugsobjekte der Identitätsfestlegung zusam-men. Die Unterscheidung zwischen Individuen und Gruppen, als Bezugsobjekt der Identi-tätszuschreibung, wird in den folgenden Kapiteln detailliert behandelt.

Tabelle 2.2 Perspektive und Bezugsobjekt der Identitätsfestlegung

Perspektive der Identitätsfeststellung

Bezugsobjekt der Identitätszuschreibung

Interne Perspektive (Selbstbild)

Externe Perspektive (Fremdbild)

Individuen Identität einer Person Image einer Person

Gruppe von Menschen

Identität von Gruppen

(Wahrgenommene Identität der Gruppenmitglieder von ihrer eigenen Gruppe)

Image von Gruppen

(Subjektives Vorstellungsbild von Nichtgruppenmitgliedern über eine fremde Gruppe)

Marken (Gruppe der Führungskräfte und

Mitarbeiter einer Marke)

Internes Selbstbild der Marke = Markenidentität

Externes Fremdbild der Marke = Markenimage

Quelle: In Anlehnung an Haußer (1995).

2.2.2.1 Konstitutive Merkmale der Markenidentität

Die Identität einer Person beschreibt das Vorhandensein eines Bildes des Individuums von sich selbst (vgl. Conzen 1990, S. 72 f.). Dem Menschen dient es zur Abgrenzung von ande-ren Personen und als Orientierungsrahmen für sein Verhalten. In diesem Zusammenhang kann auch von einem individuellen Konzept der eigenen Person gesprochen werden (vgl. Müller 1987, S. 1098).

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36 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Im Vordergrund dieses Verständnisses steht neben der Selbstreflexion die Wechsel-seitigkeit einer Innen- und Außenperspektive. Die Wahrnehmung der Außenperspektive manifestiert sich im Image (vgl. Tabelle 2.2), d.h. dem Individuum wird von anderen Per-sonen ein Image im Sinne eines Merkmalsbündels zugeschrieben (vgl. Frey/Haußer 1987, S. 3). Die persönliche Identität wird laufend mit der Wahrnehmung dieser durch Dritte, d.h. dem Image, verglichen und bei Diskrepanzen angepasst (vgl. Weidenfeld 1983, S. 19). Eine Identität kann deswegen erst entstehen, wenn mindestens zwei Menschen sich in Beziehung zueinander setzen (vgl. Haußer 1995, S. 3 f.). Die Beziehung zwischen der per-sönlichen Identität und dem von außen zugeschriebenen Image ist demnach ein konstituti-ves Merkmal der Identität und dient dazu, diese fortzuentwickeln (im Sinne eines offenen Identitätsprozesses). Unabhängig von der im Einzelfall gewählten Identitätsdefinition las-sen sich aus den Arbeiten der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung vier grundle-gende, konstitutive Merkmale des Identitätsbegriffs ableiten (vgl. Tabelle 2.3):

Tabelle 2.3 Konstitutive Merkmale des Identitätsbegriffs

Konstitutive Merkmale Individuen Marken

Wechselseitigkeit

Identität entsteht erst durch die in Beziehung Setzung der eigenen Person zu anderen Menschen.

Die Markenidentität entsteht erst durch Beziehungsaufbau zu den Nachfragern und anderen Bezugsgruppen.

Kontinuität

Beibehaltung essenzieller Merk-male über die Zeit zur Identifika-tion der Person. Diese Merkmale beschreiben die Art und das Wesen der Person. Akzidentielle Merkmale der Identität können sich im Zeitverlauf verändern.

Beibehaltung der essenziellen Markenmerkmale im Zeitablauf.

Konsistenz

Widerspruchsfreie Kombination von Persönlichkeitsmerkmalen (zeitpunktbezogen).

Vermeidung von Widersprüchen im Markenauftritt und im Verhal-ten von Führungskräften und Mitarbeitern der Marke. Laufen-de Abstimmung der essenziellen und akzidentiellen Merkmale.

Individualität

Biologisch und soziologisch bedingte Einzigartigkeit des Individuums.

Einzigartigkeit wesentlicher Identitätsmerkmale im Vergleich zu konkurrierenden Leistungs-angeboten.

Quelle: In Anlehnung an Meffert/Burmann (1996).

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Wechselseitigkeit: Identität kann nur in der Wechselwirkung zwischen Menschen entste-hen. Diese Wechselseitigkeit der Identität wird auch als „Paradigma der Identitätsfor-schung“ bezeichnet (vgl. Frey/Haußer 1987, S. 17). Ähnlich verhält es sich mit Marken: Die Identität einer Marke bildet und verändert sich durch die Beziehung zu ihren Nachfragern (und anderen Bezugsgruppen) und den sich daraus ergebenden Interaktionen. Aus Sicht der Markenführung sind insbesondere langanhaltende Beziehungen zwischen der Marke und ihren Nachfragern relevant. Erst wenn es die Marke schafft, zeitlich stabile, wechselsei-tige Beziehungen zu einer Vielzahl individueller Nachfrager aufzubauen, kann sich die Markenidentität ausbilden und stabil bleiben. Die hieraus resultierende Marke-Kunde-Beziehung ist folglich ein Bestandteil der Identität.

Kontinuität kennzeichnet die Beibehaltung wesentlicher Merkmale einer Person oder einer Gruppe über einen Zeitraum mehrerer Jahre. Dieses Set essentieller Merkmale beschreibt das Wesen des Identitätsobjektes. Gehen diese essentiellen Merkmale verloren, erlischt die Identität. Die essentiellen Merkmale kennzeichnen die Identität als Institution (vgl. Bonus 1994). Im Gegensatz zu essentiellen Merkmalen können sich akzidentielle Merkmale eines Identitätsobjektes verändern, ohne dass die Person oder Gruppe ihre Identität verlieren (vgl. Böhm 1989, S. 48 f.). Für den Aufbau einer klaren Identität ist somit eine Kontinuität der akzidentiellen Merkmale nicht erforderlich. Allerdings üben auch akzidentielle Merk-male einen Einfluss auf die Identität aus, weil das Ausmaß der Passigkeit zwischen akzi-dentiellen und essentiellen Merkmalen die Klarheit und damit die Verhaltensrelevanz der Identität prägen. Zu den essentiellen Identitätsmerkmalen einer Person gehören bei-spielsweise das Geschlecht, Datum und Ort der Geburt oder bestimmte Körpermerkmale. Ein Mensch kann anhand seiner essentiellen Merkmale während des gesamten Lebens als ein und dieselbe Person identifiziert werden. Demgegenüber gehören u. a. die berufliche Stellung, die wirtschaftliche Situation oder der Kleidungsstil zu den akzidentiellen Merk-malen der Identität eines Menschen, die sich im Laufe der Zeit verändern können, ohne dass ein Individuum damit zwingend seine Identität verändert.

Konsistenz bezieht sich im Gegensatz zur Kontinuität nicht auf einen Zeitraum, sondern auf einen Zeitpunkt. Sie kennzeichnet die Vermeidung von Widersprüchen (vgl. Wied-mann 1994, S. 1041). Nur eine in sich und nach außen weitgehend widerspruchsfreie Kom-bination von Merkmalen führt zu einer klaren Identität. Mit anderen Worten, erst eine integrierte, innen- und außengerichtete Abstimmung aller Eigenschaften und Verhaltens-weisen einer Marke und ihrer Mitarbeiter kann (externe Rollenerwartungen und internes Rollenverständnis) zu einer klaren Markenidentität führen.

Individualität beschreibt die Einmaligkeit eines Identitätsobjektes. Diese Einzigartigkeit kann auf ein einzelnes, individuelles Merkmal oder die individuelle Kombination auch an-derweitig vorzufindender Merkmale zurückzuführen sein. Bei einem personenbezogenen Begriffsverständnis der Identität ist das Merkmal der Individualität bzw. Einzigartigkeit aus biologischen Gründen automatisch erfüllt. Demgegenüber ist die Identität vieler Marken heute gerade deshalb so schwach, weil den Marken in der Wahrnehmung der Nachfrager und der eigenen Mitarbeiter Individualität fehlt. In diesen Fällen kann nicht von Marken, sondern nur von „Labeln“ im Sinne einheitlich markierter Produkte gesprochen werden.

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38 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Im Rahmen der Wechselseitigkeit bei der Konstitution und Weiterentwicklung der Identität sind für einen Menschen die Rollenerwartungen der Umgebung von hoher Bedeutung. Da ein Individuum selten alle Rollenerwartungen der Gesellschaft und der persönlichen Um-gebung erfüllen kann und damit in Rollenkonflikte gerät, benötigt es eine starke persönli-che Identität (Ich-Identität), also ein sicheres Gefühl von sich selbst, um durch diese Kon-flikte nicht zermürbt zu werden (vgl. Bonus 1994, S. 3). Dieselbe Funktion übernimmt die Markenidentität für die Mitarbeiter einer Marke angesichts vielfältiger, konfliktärer Anfor-derungen an die Marke aus ihrem marktlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Die persön-liche Identität zeichnet sich durch eine zeitliche Konstanz aus. Ein Persönlichkeits- bzw. Identitätswandel vollzieht sich immer sehr langsam. Die Wurzeln der persönlichen Identi-tät sind in der Biographie des Menschen verankert (vgl. Krappmann 1988), die Wurzeln der Identität einer Marke in ihrer Herkunft.

Eine starke persönliche Identität ist die Voraussetzung der Verlässlichkeit einer Person. Vertrauen kann man nur demjenigen, der eine Identität besitzt. An dieser Stelle wird die Verbindung zwischen dem Identitäts- und dem Vertrauenskonstrukt deutlich. Vertrauen setzt Identität voraus (vgl. Luhmann 1973). Auf diesen Zusammenhang wird in Kapitel 2.4 näher eingegangen. Identität erzeugt klare Erwartungen und löst diese später auch ein. Kompetenz als Bestandteil von Identität sichert dabei die Leistungsfähigkeit, die übrigen Identitätskomponenten dagegen die Leistungsbereitschaft. Erst eine klare und gelebte Markenidentität hat das Vertrauen der Nachfrager in die Leistungsfähigkeit und Leis-tungsbereitschaft der Marke zur Folge.

Vertrauen hat in diesem Zusammenhang nicht nur eine sozialwissenschaftliche Bedeutung. Für Anbieter und Nachfrager ergibt sich vielmehr auch eine konkrete ökonomische Bedeu-tung (vgl. Ripperger 1998). Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive führt das Vorliegen von Vertrauen zur Einsparung von Transaktionskosten beim Anbieter. Darüber hinaus stellt das Vertrauen des Nachfragers einen sehr wichtigen Wettbewerbsvorteil dar, der sich für den Anbieter in entsprechenden ökonomischen Erfolgsgrößen niederschlägt (vgl. Kenning 2003). Für den Nachfrager reduziert sich mit wachsendem Vertrauen das wahr-genommene Risiko, vom Anbieter und dessen angebotenen Leistungen enttäuscht zu wer-den. Damit kann der Nachfrager Kosten einsparen, die anderweitig zur Reduzierung seines subjektiv wahrgenommenen Risikos anfallen würden (vgl. Plötner 1995, S. 11 f.). Beispiels-weise umfasst dies Kosten durch den Abschluss von Versicherungen, Informationskosten durch die Suche nach geeigneten Alternativen oder auch die Kosten der Bildung von finan-ziellen Reserven zur Abdeckung möglicher Risiken.

2.2.2.2 Gruppen als Gegenstand der Identitätszuschreibung

Gruppen von Menschen bilden die zweite Kategorie der Identitätsbezugsobjekte. Die Gruppenidentität kann zur Beschreibung der Identität sozialer Systeme (z.B. Kulturen, Vereine, Städte, Regionen, Unternehmen) verwendet werden. Konstituierend ist dabei die Selbstreflexion der Gruppenmitglieder bezüglich ihrer Existenz als Gruppe. Die Gruppen-identität umfasst diejenigen Eigenschaften einer Gruppe, die konstant bleiben, auch wenn einzelne Gruppenmitglieder die Gruppe verlassen (vgl. Werthmöller 1994, S. 39). Die

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Aktueller Stand der Identitätsforschung 39

Gruppenidentität drückt sich in gemeinsamen Werten, Überzeugungen, Eigenschaften und Verhalten aus, die aus gemeinsamen Erfahrungen und Lernen entstehen. Sie grenzt die Gruppe von anderen Gruppen ab (vgl. Schein 1985, S. 185 f.). Eine starke Gruppenidentität wird zu einem Bestandteil der persönlichen Identität und wirkt wie eine Klammer für den Zusammenhalt der Gruppe.

Auch Unternehmen und Marken als Gruppen von Menschen weisen eine solche Form der Gruppenidentität auf. Bereits Hans Domizlaff konstatierte in den 30er Jahren des vergan-genen Jahrhunderts, dass jede Marke über ein eigenes „Gesicht“ verfügt (vgl. Domizlaff 1994, S. 701). Damit verwies er auf eine Analogie zur menschlichen Identität, die sich letzt-lich aus verschiedenen, im Zeitverlauf konstanten essentiellen Merkmalen ergibt und für jeden Menschen einzigartig ist. Ebenso sollte es, nach Domizlaff, auch bei Marken sein.

Da im sozialwissenschaftlichen Verständnis die Identität grundsätzlich als Ergebnis mensch-licher Interaktion und Reflexion betrachtet wird, ist eine Übertragung des sozialwissen-schaftlichen Identitätsbegriffs auf „Marken“, hier interpretiert als Schutzrechte oder Zei-chenbündel, nicht möglich (vgl. Welling 2003, S.10 f.). Die Identität einer Marke bezieht sich deswegen auf die Identität der Gruppe an Menschen, die hinter der Marke stehen. Das die Marke tragende Personenkollektiv verfügt somit über eine selbstreflexive Identität, die sie von anderen Personenkollektiven (z.B. Wettbewerbern) und von anderen Individuen (z.B. Kunden) abgrenzt. Das Personenkollektiv ist dabei nicht notwendigerweise deckungs-gleich mit der juristischen Unternehmenszugehörigkeit. Beispielsweise kann die Marken-identität auch von den Mitarbeitern eines wirtschaftlich selbstständigen, markenexklusiv tätigen Händlers mitgetragen werden (vgl. Maloney 2007, S.17). Die Markenidentität lässt sich vor diesem Hintergrund definieren als (vgl. Burmann/Blinda/Nitschke 2003, S. 16):

„diejenigen raum-zeitlich gleichartigen Merkmale der Marke, die aus Sicht der internen Zielgruppen in nachhaltiger Weise den Charakter der Marke prägen.“

Hinsichtlich der Betrachtungsperspektive (vgl. Tabelle 2.2) kann zwischen der Marken-identität als Selbstbild aus Sicht der internen Zielgruppen (z.B. Eigentümer, Führungskräf-te, Mitarbeiter) und dem Markenimage als Fremdbild der Marke aus der Sicht der externen Zielgruppen (z. B. Kunden, Lieferanten, Verbraucherverbände, Umweltschutzgruppen, Be-hörden, Anwohnern) unterschieden werden. Die Markenidentität konstituiert sich daher in zweifacher Weise durch:

einen kollektiven, selbstreferenziellen Prozess des sich bewusst Machens der eigenen Gruppenexistenz und Gruppenzugehörigkeit bei allen für eine Marke arbeitenden Per-sonen. Hierbei handelt es sich um die internen Zielgruppen des Markenmanagements.

die Interaktion mit markenexternen Personen und Personengruppen und deren Wahr-nehmung der eigenen Marke und dem hinter der Marke stehenden Personenkollektiv.

Genauso wie sich die persönliche Identität und die Identität von Gruppen aus Komponen-ten zusammensetzt, ergibt sich auch die Markenidentität aus dem Zusammenwirken ver-schiedener Komponenten. Die Markenidentität wird jedoch wie die Identität einer Person ganzheitlich wahrgenommen. Die Ausprägung und Kombination der einzelnen Identitäts-

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40 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

komponenten einer Marke muss somit eine in sich widerspruchsfreie, schlüssige „Gestalt“ ergeben, die sich letztendlich von anderen Leistungsangeboten im relevanten Markt diffe-renziert (vgl. Meffert/Burmann 1996, S. 36 f.). Nicht zueinander passende Identitätskompo-nenten erschweren oder verhindern eine solche Differenzierung.

2.2.3 Wirtschaftswissenschaftliche Ansätze der Identitätsforschung

Die umfassende Analyse der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung könnte Zweifel an der ökonomischen Relevanz des Identitätskonstruktes aufkommen lassen. Mit Hilfe der Neuen Institutionenökonomie (z. B. Erlei/Leschke/Sauerland 1999) kann die ökonomische Bedeutung der Identität jedoch belegt werden (vgl. Dörtelmann 1997). Voraussetzung hier-für ist die Überwindung der verengten Vorstellung vom Menschen als „homo oeconomi-cus“ durch die Neue Institutionenökonomie und insbesondere die Arbeiten des Nobel-preisträgers Douglas C. North. Durch die Einführung mentaler Modelle als interne, subjek-tive Repräsentation der Außenwelt und sog. pfadabhängiger Prozesse, d. h. der Berücksich-tigung von Zufällen und Ungleichgewichtszuständen (vgl. North 1992, S. 96 f.), konnten auch komplexere Probleme der Nationalökonomie einer Lösung nähergebracht werden (vgl. Denzau/North 1994, S. 10 f.; Bonus 1995, S. 2).

Die neue Institutionenökonomie versteht unter einer Institution „ein System von Werten und Normen, das für den Fall von Verstößen mit Sanktionen bewährt ist“ (vgl. Bonus 1995, S. 4). Institutionen schaffen Rahmenbedingungen für menschliches Handeln. Institutio-nen sind mentale Modelle des Individuums (vgl. Denzau/North 1994, S. 4). Durch ihre zeit-liche Konstanz dienen sie dem Menschen zur Orientierung. Dabei wird zwischen funda-mentalen und sekundären Institutionen unterschieden (vgl. Dietl 1993, S. 71 f.).

Fundamentale Institutionen sind beispielsweise in der Geschichte einer Nation verankert und wandeln sich nur sehr langsam. Sie können vom Menschen nicht direkt verändert werden. Demgegenüber können sekundäre Institutionen bewusst gestaltet werden. Sekun-däre Institutionen sind immer nur dann „wirksam“, wenn sie in das Werte- und Normen-system der fundamentalen Institutionen eingebettet sind. Beispielsweise kann das Rechts-empfinden der Bevölkerung als fundamentale Institution, die konkreten Gesetze und die Justizverwaltung als sekundäre Institution interpretiert werden. Gesetze und Justiz-verwaltungen können nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie mit dem Rechtsempfinden der Bevölkerung harmonieren (vgl. Bonus 1995, S. 5).

Die Identität kann ebenfalls als Werte- und Normensystem von hoher zeitlicher Konstanz interpretiert werden, welches dem Menschen als Rahmen für sein Verhalten dient. Auch die Identität ist wie die Institution eine subjektive Repräsentation. Vor diesem Hintergrund kann die Gruppenidentität aller Mitarbeiter einer Marke als sekundäre Institution ver-standen werden. Die Markenidentität kann sich nur dann entwickeln und Einfluss auf das Verhalten von Mitarbeitern und Nachfragern ausüben, wenn sie in das Werte- und Nor-mengefüge der sie umgebenden Gesellschaft eingebettet ist. Insoweit ist die regionale bzw.

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Aktueller Stand der Identitätsforschung 41

nationale Kultur, in der das Unternehmen bzw. die Markenorganisation angesiedelt ist, für die Markenidentität eine fundamentale Institution im Sinne der Neuen Institutionenökonomie.

Der Identität kommt damit zur Erklärung und Beeinflussung ökonomischer Sachverhalte eine sehr hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus wandelt sich die Markenidentität der Mitar-beiter nur langsam und ist vom Management meist nicht kurzfristig und oft auch nicht direkt im Sinne einer deterministischen Mittel-Zweck-Beziehung zu steuern. Wichtig ist ferner, dass sich eine klare Markenidentität nur dann etabliert, wenn sie schlüssig in die Gesamtunternehmensidentität eingebettet wird und mit dieser harmoniert (vgl. Kapitel 3.4).

Neben der Neuen Institutionenökonomie hat sich auch die Betriebswirtschaftslehre mit dem Identitätskonstrukt beschäftigt. Dies geschah insbesondere im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Unternehmenskultur sowie zur Unternehmensphilosophie und Cor-porate Identity. Die Analyse der entsprechenden Publikationen zeigt zunächst, dass viele Autoren eine weitgehende Gleichsetzung zwischen dem Kultur- und dem Identitätsbegriff vornehmen (vgl. z.B. Deal/Kennedy 1982, S. 137; Schein 1985, S. 44; Heinen 1987, S. 31; Bonus 1994, S. 9). Danach ist eine starke Unternehmenskultur vor allem durch eine starke Gruppenidentität aller Unternehmensmitglieder geprägt. Vice versa lässt sich die Identität eines Unternehmens „kultivieren“ und durch geeignete Rituale und gemeinsam gelebte Werte und Normen sichtbar machen (vgl. Deal/Kennedy 1982, S. 59; Schein 1985, S. 14; Bonus 1994, S. 15).

Trotz der inhaltlichen Nähe zwischen dem Kultur- und Identitätsbegriff muss einer Gleich-setzung beider Begriffe widersprochen werden. Die Mehrzahl der Organisations- und Mar-kenforscher sieht die Unternehmenskultur als Kontextfaktor der Identität (vgl. Hatch/ Schulz 1997, S. 358; Berggold 2000, S. 27 ff.; Meffert 1994b, S. 427 f.). Sie umfasst die Ge-samtheit aller gemeinsamen Grundannahmen, Werte und Normen, die von Unterneh-mensmitgliedern geteilt und auf neue Mitglieder übertragen werden. Die Unternehmens-kultur prägt die Wahrnehmung, das Denken, die Entscheidungen und das Verhalten der Unternehmensmitglieder (vgl. Schein 1992a, S. 12). Grundannahmen sind zumeist selbst-verständliche, oft unbewusste und langfristige Auffassungen über die Umwelt, die Realität, das menschliche Wesen, Handlungen und Beziehungen. Werte drücken in der Unterneh-menskultur eine Auffassung von langfristig Wünschenswertem aus. Normen beschreiben konkrete Verhaltensregeln, die von den Mitgliedern des Unternehmens akzeptiert und bei Verstößen mit Sanktionen verknüpft sind. Unternehmenskulturen haben ihren Ursprung immer in der Vergangenheit eines Unternehmens, da sie sich über einen langen Zeitraum in der Gruppe gebildet haben. Im Laufe der Zeit verselbstständigt sich Kultur immer mehr und wird zu einem emergenten Phänomen des Gruppenverhaltens, welches sich der geziel-ten Steuerung durch das Management entzieht. Im Gegensatz zur Markenidentität stellt die Unternehmenskultur folglich kein Führungsinstrument dar. Der Einfluss der Unterneh-menskultur als Kontextfaktor der Markenidentität bezieht sich vorrangig auf die Marken-herkunft. Zudem üben die Normen der Unternehmenskultur einen Einfluss auf die Umset-zung der Markenidentität im Mitarbeiterverhalten aus (vgl. Kapitel 4.2).

Zur Beantwortung der Frage, aus welchen Komponenten sich die Markenidentität ergibt, liefern die Ergebnisse der Unternehmenskulturforschung erste Hinweise. Demnach müsste

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42 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

sich die Markenidentität auf für Nachfrager und Mitarbeiter „beobachtbare und erlebbare Artefakte“, wie charakteristische Merkmale der Produktion und der Produkte, besondere Merkmale der Sprache und der Kommunikation, spezifische Verhaltensweisen der Mit-arbeiter und markentypische Symbole, zurückführen lassen (vgl. Schein 1985, S. 14 f.).

Die Publikationen führen hinsichtlich der Struktur der Corporate Identity zu dem Ergebnis, dass zwischen Unternehmensphilosophie als Kern der Corporate Identity und dem Verhal-ten, der Kommunikation und dem formalen Erscheinungsbild des Unternehmens unter-schieden wird (vgl. Birkigt/Stadler/Funck 1992, S. 36; Meffert 1994b, S. 85 f.). Daneben wird zwischen dem formulierten Selbstbild der Corporate Identity (Vision, Unternehmensphilo-sophie), dem realisierten Selbstbild (Kommunikation, Erscheinungsbild, Verhalten) und dem Fremdbild der Corporate Identity differenziert (vgl. Achterholt 1988, S. 42).

2.3 Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung

2.3.1 Die Markenidentität als internes Führungskonzept der Marke

Aus den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung sind eine Reihe zentraler Anforderungen an die Identität einer Person und damit auch an die Identität einer Marke bekannt und im Kapitel 2.2 vorgestellt worden. Diese Anforderungen an die Identi-tätsbildung stellen zugleich die Grundlage dar, anhand derer eine starke Identität von einer schwachen unterschieden werden kann. Nach Keupp et al. (1999, S. 217 ff.) besteht die zentrale Leistung der Identitätsbildung darin, alle bei einem Menschen vorhandenen Teil-identitäten zu einer Metaidentität zu verdichten und dabei als gemeinsame Schnittstelle einen prägnanten Kern der Identität zu bilden. Diese Forderung nach Prägnanz bedingt, dass sich der Identitätskern einer starken Identität um wenige herausragende Merkmale einer Person manifestiert. Im Gegensatz dazu kennzeichnet es eine schwache Identität, wenn diese Reduktion ausbleibt und zahlreiche „besondere“ Merkmale vorhanden sind. Sämtliche interaktionistische Ansätze der Identitätsforschung (vgl. Kapitel 2.2.1.3) verwei-sen zudem darauf, dass die Bildung einer Identität ein fortlaufender Prozess ist, der stets hinterfragt und angepasst werden muss. Jede Anpassung der eigenen Identität birgt gewis-se Risiken. Personen, die dieses Risiko scheuen und darum bemüht sind, den Status quo zu erhalten, verhindern in der Folge die Anpassung ihrer eigenen Identität auch dann, wenn diese durch Krisen oder neue Interaktionen notwendig wird. Eine starke Identität hingegen zeichnet sich durch die notwendige Risikobereitschaft aus und verbindet mit dieser eine Innovationsfreude bei der persönlichen Weiterentwicklung.

Aus dem Prozess der Anpassung von Selbst- und Fremdbild, wie er in den interaktionisti-schen Ansätzen dargestellt wird, ergeben sich weitere Merkmale starker bzw. schwacher Identitäten. Die Individualität der eigenen Identität kann eine Person nur dann wahren, wenn sie keine vollständige Anpassung des Selbstbildes an das Fremdbild vornimmt. Da

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 43

Fremdbilder abhängig von denen mit ihnen verbundenen Rollenerwartungen sind, würde eine vollständige Übernahme aller dieser externen Werte und Visionen die Bildung einer konsistenten Kernidentität verhindern. Ein Merkmal starker Identitäten ist demnach die Prägung eigener Werte, anhand derer eine teilweise Anpassung von Selbst- und Fremdbild erfolgt. Ebenso verhält es sich für den Aufbau einer eigenen Vision, im Sinne einer Zu-kunftsorientierung, da ihr gegenüber eine starke Orientierung an den wandelnden Werten der Umwelt unweigerlich zu Inkonsistenzen der eigenen Identität führen muss. Um die willfährige Übernahme externer Einflüsse in die Selbstwahrnehmung zu verhindern, stellt ein hohes Selbstvertrauen ein weiteres Merkmal einer starken Identität dar. Eng mit dem Selbstvertrauen einer Person verbunden ist auch das letzte Merkmal starker Identitäten. Bereits John Locke stellte die Bedeutung eines selbstreferenziellen Bewusstseins, das die Erfahrungen der Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet, heraus (vgl. Frey/Hauser 1987, S. 20). Dieses Konzept findet sich auch in der modernen Identitätsforschung im Rah-men der Konsistenz wieder (vgl. Keupp et al. 1999, S. 95 f.). Das Bewusstsein über Leistun-gen und Errungenschaften der Vergangenheit stellt damit für eine starke Identität eine Mo-tivation für die weitere Entwicklung und Arbeit an der eigenen Identität dar. Eine schwa-che Identität ist im Gegensatz dazu durch das Fehlen eben dieses Bewusstseins geprägt.

Tabelle 2.4 Merkmale schwacher und starker Identitäten bei Menschen und Marken

Merkmale einer Übertragung auf

Markenidentitäten schwachen menschlichen Identität

starken menschlichen Identität

Viele „besondere“ Identitäts-merkmale

Wenige herausragende Identi-tätsmerkmale

Nutzenversprechen und Leis-tungsprogramm

Risikoscheue, „ängstliche“ Erhaltung des Status quo

Rollenkonflikte werden aktiv genutzt, um die eigene Identität in neue Bereiche weiterzuentwi-ckeln (Innovationsfreude)

Persönlichkeit

Übernahme von Werten anderer (fremder) Identitäten

Prägung eigener Werte Werte

Starke Orientierung an der Umwelt

Ausbildung einer klaren, eigenen Vision

Vision

Geringes Selbstvertrauen Hohes Selbstvertrauen Kompetenzen

Fehlendes Bewusstsein der eigenen Leistung(-sfähigkeit)

Leistungen und Errungenschaften der Vergangenheit motivieren zu Neuem

Herkunft

Quelle: Eigene Darstellung.

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44 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Die Merkmalspaare aus Tabelle 2.4 zeigen, dass sich starke Identitäten bei Menschen ins-besondere durch eine klare Akzentuierung ihrer Besonderheiten in Verbindung mit dem Bewusstsein des eigenen Könnens und der eigenen Vergangenheit auszeichnen. Dies gilt auch für Marken bzw. die Identität der Gruppe an Menschen, die hinter einer Marke stehen.

Auf dieser Grundlage und auf Basis der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Identitätsforschung lassen sich sechs konstitutive Komponenten identifizieren, die eine umfassende Beschreibung der Markenidentität ermöglichen (vgl. Abbildung 2.3). Die Mar-kenherkunft stellt die Basis der Markenidentität dar. Ohne die Verankerung in der eigenen Herkunft fehlt es einer Marke an einem Bezugspunkt zur Selbstreflexion. Die Markenkom-petenzen, welche auf den Ressourcen und organisationalen Fähigkeiten eines Unterneh-mens beruhen, begründen den bzw. die spezifischen Wettbewerbsvorteile der Marke und sichern diese ab. Gleichzeitig ermöglicht die klare Formulierung der Markenkompetenzen die notwendige motivationale Wirkung zur weiteren Identitätsarbeit, die Bestandteil einer starken Identität ist. Die grundsätzliche Art der Markenleistungen bestimmt, wie eine Mar-ke für den Nachfrager nutzbar wird. Die Gestaltung der Identität wird langfristig neben den Kompetenzen geleitet und motiviert durch die Markenvision. Die Markenwerte geben vor, woran die Marke und ihre Repräsentanten glauben. Die Markenpersönlichkeit legt den verbalen und nonverbalen Kommunikationsstil der Marke fest.

Abbildung 2.3 Komponenten der Markenidentität als internes Führungskonzept

Quelle: In enger Anlehnung an Burmann/Blinda/Nitschke 2003, S. 7.

HerkunftWoher kommen wir?

Kompetenzen Was können wir?

VisionWohin wollen wir?

PersönlichkeitWie kommunizieren wir?

WerteWoran glauben wir?

Leis

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enW

as v

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arkt

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Markenidentität als Selbstbild derinternen Zielgruppen von der Marke

Markenidentität

Markenimage

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 45

Wie Abbildung 2.3 zeigt, bilden Herkunft und Vision der Marke den zeitlichen Rahmen für die Ausgestaltung der übrigen Komponenten. Die Bedeutung dieser beiden zeitlich in die Zukunft bzw. Vergangenheit weisenden Komponenten zeigte sich bereits bei der theoreti-schen Analyse des Resource- und Competence-based Views im Kapitel 1.3. Vor dem Hin-tergrund der Identitätsforschung zeigt sich zudem, dass beide Komponenten die Basis für die anhaltende Entwicklung und Anpassung der Markenidentität darstellen.

2.3.1.1 Markenherkunft

Die Herkunft der Marke bildet das Fundament der Markenidentität. Sie beantwortet die Frage: „Woher kommen wir?“ Die Markenherkunft ist für die Markenführung von hoher Relevanz, da eine Marke von den internen und externen Zielgruppen zunächst im Kontext ihres Ursprungs wahrgenommen und interpretiert wird. „Knowing the roots of a person, place, or firm can help create interest and a bond. The same is true for a brand.“ (Aaker/ Joachimsthaler 2000, S. 249). Die Bedeutung der Herkunft ist auch in der Psychoanalyse, der neuen Institutionenökonomie und in der Managementtheorie unter dem Begriff der Pfadabhängigkeit ein vielbeachtetes Phänomen. Das sogenannte „History Matters“ Argu-ment beschreibt dabei den Prozess, dass Entscheidungen aus der Vergangenheit zukünftige Entscheidungen prägen. Hierdurch verringert sich im Zeitablauf die Anzahl an möglichen Handlungsalternativen, da die Verantwortlichen zunehmend von den Entscheidungspfa-den in ihrer Herkunft abhängen (vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 261 ff.; Burmann 2002).

Die Markenherkunft ist eng mit der Historie einer Marke verbunden, darf jedoch nicht mit dieser gleichgestellt oder verwechselt werden. Während die Markenherkunft einzelne Fa-cetten der Markenhistorie herausgreift und in besonderer Weise betont, umfasst die Mar-kenhistorie sämtliche Ereignisse der Vergangenheit, die mit der Marke in Verbindung ge-bracht werden. Die Markenherkunft ist daher im Gegensatz zur Markenhistorie eine durch das Markenmanagement langfristig gestaltbare Identitätskomponente. Im Idealfall verleiht sie allen weiteren Aktivitäten des Markenmanagements ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Authentizität. In diesem Zusammenhang kann sie als eine Art Speicher bereits voll-brachter Leistungen bzw. der „akkumulierten Leistungsgeschichte“ (vgl. Menninger/ Robers 2006, S. 256) betrachtet werden.

Die Markenherkunft basiert auf drei unterschiedlichen Facetten: der räumlichen Herkunft, der Unternehmensherkunft und der Branchenherkunft (vgl. Becker 2012, S. 59).

Untersuchungen aus dem Bereich der Country-of-Origin-Forschung beleuchten die Ver-bindung zwischen dem Herstellungsland eines Produktes und der damit verbundenen Qualitätswahrnehmung der Nachfrager (vgl. Usunier 2006, S. 68). Der Einfluss des Her-kunftslandes ist eng verbunden mit den Kompetenzstrukturen, die einem Land oder einer Region zugesprochen werden (vgl. Stolle 2011, S. 95). Beispielsweise wird Deutschland traditionell eine hohe Kompetenz bezüglich Ingenieursleistungen zugesprochen. Konse-quenterweise führt die Marke VW auch international den deutschen Zusatz „Das Auto.“ in ihrer Kommunikation und unterstreicht damit ihre deutschen Wurzeln. Ein zentrales Prob-

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46 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

lem der Country-of-Origin-Forschung liegt in der zunehmenden Globalisierung von Un-ternehmen. Im Zuge internationaler Geschäftstätigkeiten vollziehen zahlreiche Unterneh-men eine Trennung zwischen Herkunft- und Produktionsland. Um diesem Problem zu begegnen, haben sich in den letzten Jahren Erweiterungen des Country-of-Origin-Ansatzes herausgebildet, wie z.B. die Unterscheidung in Country-of-Manufacture (dem Land der Herstellung), Country-of-Corporate-Ownership (dem Land, in dem die Firma rechtlich angesiedelt ist), Country-of-Design (dem Land in dem Produkte entworfen werden) und Country-of-Parts (dem Land in dem Zulieferer angesiedelt sind) (vgl. Becker 2012, S. 52). Die Zuordnung einer Marke zu einem Land kann zwischen den unterschiedlichen Perspek-tiven stark variieren. Abbildung 2.4 zeigt beispielhaft die Zuordnung der „schwedischen“ Marke IKEA, die einzig nach dem Country-of-Design-Ansatz als schwedische bezeichnet werden kann. Vor diesem Hintergrund gewinnt die von der Marke aktiv gestaltete und kommunizierte Herkunft und auch die nachfragerseitig wahrgenommene Herkunft der Marke an Bedeutung (vgl. Thakor/Kohli 1996, S. 27 ff.).

Abbildung 2.4 Herkunftsbezüge der Marke IKEA

Quelle: Becker (2012), S. 52.

Die identitätsbasierte Markenherkunft bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf die regi-onale Herkunftsdimension. Aufbauend auf Erkenntnissen der Culture-of-Brand-Origin-Forschung kann auch die kulturelle Herkunft die Identität einer Marke in signifikanter Weise prägen. Da es Nachfragern durch die heute vorherrschende internationale Konfigu-ration von Unternehmensaktivitäten oftmals schwer möglich ist, ein spezielles Land als das Herkunftsland einer Marke zu identifizieren, greifen sie eher auf „cultural cues“ bei der Identifizierung der Herkunft einer Marke zurück. Nach Lim/O’Cass sind Nachfrager diese „cultural cues“ wesentlich verfügbarer als Informationen zum juristisch bestimmten Her-kunftsland (Lim/O’Cass 2001). Beispielsweise kann allein der Name der Automobilmarke

Herkunftsbezüge derCountry-of-Origin-Forschung

Country ofManufacture

Country of Corpo-rate Ownership Country of Design Country of Parts

Endproduktion durch dieTochter Swedwood

in 12 Ländern aus dreiKontinenten

(z.B. China, Deutschland,Polen, Portugal,

Schweden, Ungarn,USA)

IKEA Group ist im Besitzder Stichting INGKA

Foundation (Niederlande)

Markenrechte sind imBesitz von IKEA ServicesB.V. und IKEA ServicesAB (Niederlande und

Schweden)

Produktentwicklungdurch IKEA of Sweden

AB in Älmhult(Schweden)

1.200 Lieferanten aus 55Ländern, insb. China(20%), Polen (18%),

Italien (18%),Deutschland (6%) und

Schweden (5%)

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 47

Hyundai bereits asiatische Herkunftsassoziationen hervorrufen, ohne dass der Nachfrager weiß, dass es sich hierbei um eine koreanische Marke handelt. Die Biermarke Paulaner kann als eine durch die bayerische Kultur geprägte Biermarke und nicht lediglich als deut-sches Bier identifiziert werden. Die regionale und die kulturelle Herkunft einer Marke umfassen demnach sämtliche Einflüsse, die sich aus den Herkunftsländern und -regionen für die Markenidentität ergeben und diese stärken können (Charmasson 1988; Lec-lerc/Schmitt/Dube 1994, S. 263 f.). Allerdings stellen sämtliche bisher vorgestellten Ansätze primär auf die Wahrnehmung der Herkunft durch Nachfrager bzw. externe Zielgruppen ab. Im Verständnis des identitätsbasierten Markenmanagements greifen sie damit zu kurz.

Die Markenherkunft im Rahmen des identitätsbasierten Markenführungsansatzes be-schreibt den Teil der Markenidentität, der sich aus der Identifikation der markenführen-den Organisation mit einem Raum (Kultur), einer Branche oder einer Organisation ergibt (in Anlehnung an Becker 2012, S. 59).

Die Unternehmensherkunft umfasst die Zuordnung einer Marke zu einer Organisation bzw. eines Unternehmens. Im Falle eines Unternehmens mit nur einer Marke ist diese Zu-ordnung weitgehend trivial. Führt ein Unternehmen hingegen mehrere Marken, können diese verschieden stark der Unternehmensmarke zugeordnet werden (vgl. hierzu die Aus-führungen zur Markenarchitektur in Kapitel 3.4). Hieraus ergibt sich für die Markenfüh-rung ein erheblicher Gestaltungsspielraum in der Ausgestaltung der Markenherkunft (vgl. Becker 2012, S. 59). Weitere wichtige Determinanten in diesem Zusammenhang sind die Branchenusancen, die Unternehmenskultur und die Unternehmensgründer (vgl. Burmann/ Maloney 2004, S. 3). Insbesondere die Unternehmensgründer und -führer können die Mar-kenidentität des Unternehmens und auch die Identitäten einzelner Produktmarken ent-scheidend prägen. Beispielsweise haben die Unternehmensgründer von Aldi, Theo und Karl Albrecht, die auf Sparsamkeit und Effizienz ausgerichtete Unternehmenskultur des Konzerns entscheidend geprägt. Ebenso steht Dr. Claus Hipp als Unternehmensführer und Nachfahre des Firmengründers „mit seinem Namen“ für den biologischen Anbau der Zuta-ten und die Qualität der Produkte der Babynahrungsmarke Hipp. Andererseits wird die Wahrnehmung von Uhren, Handtaschen, Sonnenbrillen, Parfum und Schuhen der Marke Gucci von der institutionellen Herkunft der Marke aus der Bekleidungsindustrie geprägt. Die Unternehmensherkunft kann zudem auch über die Produktentwicklung einer Marke ausgedrückt werden. Abbildung 2.5 zeigt hierzu ausgewählte Fahrzeugmodelle der Auto-mobilmarken Volkswagen und Fiat. Einzelne berühmte und klassische Fahrzeugmodelle, die jeweils einen deutlichen Bezug zur Vergangenheit der Marken aufweisen, wurden in den letzten Jahren mit modernisiertem Design neu aufgelegt und erfolgreich in den Markt eingeführt.

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48 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.5 Modellentwicklung VW Käfer/The Beetle und Fiat 500

Quelle: Volkswagen AG und Wikipedia.

Auch bei der Ausgestaltung der Branchenherkunft bieten sich dem Unternehmen oftmals Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. Schäfer 2006, S. 170 ff.). So ist beispielsweise der Konzern Siemens u.a. in den Branchen Antriebstechnik, Automatisierung, Beleuchtung, Energie, Gebäudetechnik, Gesundheitswesen und Kommunikationsnetze tätig. Welche dieser Bran-chen durch den Konzern als Herkunft definiert wird, liegt in weiten Teilen im Ermessen der Markenführung (vgl. Becker 2012, S. 60).

Das Markenmanagement kann durch eine Betonung einzelner Herkunftsfacetten die wahr-genommene Herkunft einer Marke langfristig verändern. Ebenso kann die Markenherkunft durch Kooperationen und Unternehmensfusionen erweitert, angereichert, aber auch ver-wässert werden. Darüber hinaus können sich Outsourcing-Entscheidungen oder die Verla-gerung wichtiger Unternehmensteile ins Ausland langfristig signifikant auf die Wahrneh-mung der Markenherkunft und letztlich der Markenstärke auswirken.

Fiat 500 - 2004Fiat 500 - 1957

VW Käfer - 1950 The Beetle - 2011

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 49

2.3.1.2 Markenvision

Die Markenvision gibt die langfristige Entwicklungsrichtung einer Marke vor. Hierfür sollte ein Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren anvisiert werden. Die Markenvision sollte allen internen und externen Zielgruppen eine wichtige Motivation für ihr Arbeits- bzw. Kaufverhalten sein. Ind spricht in diesem Zusammenhang von einer sog. „Ideologie“, wel-che in der Lage ist, allen Mitarbeitern ein gemeinsames Credo zu bieten, an das diese glau-ben und mit dem sie sich identifizieren können (vgl. Ind 2003, S. 395). Mittels bildhaft-emotionaler Leitlinien sollen die Bedeutung und die Funktion der Marke bei der Realisie-rung der langfristigen Unternehmensziele dargestellt werden. Von der Markenvision abzu-grenzen ist der Begriff der Unternehmensphilosophie. Im Gegensatz zur Vision handelt es sich bei der Unternehmensphilosophie um eine zusammengesetzte Größe, die die funda-mentalen Wertvorstellungen und Annahmen eines Unternehmens umfasst (vgl. Melewar/ Karaosmanoglu 2005, S. 855). Die damit einhergehende Komplexität der Unternehmensphi-losophie steht einer Operationalisierung der Markenidentität oft entgegen. Im Vergleich zur Markenvision sind Markenziele durch einen höheren Konkretisierungsgrad und einen kürzeren Zeithorizont gekennzeichnet.

Die Markenvision übernimmt eine Koordinationsfunktion über die Zeit und dient der Si-cherstellung eines unternehmensweiten, mit den Markenzielen konformen Handelns. Sie sollte sowohl die anvisierten Marktsegmente, als auch die grundlegenden Differenzie-rungsmerkmale gegenüber Wettbewerbern beinhalten. Die Markenvision muss dabei eine langfristig realisierbare Wunschvorstellung zum Ausdruck bringen, um intern Motivations- und Identifikationskraft entfalten zu können (vgl. Kapferer 1992, S. 110 f.). Gleichzeitig gibt eine klar formulierte Vision eine Leitlinie vor, anhand derer die Mitarbeiter einer Marke zukünftig aufzubauende Kompetenzen erkennen können, die zur Erfüllung der Vision notwendig sind. Werden hingegen unrealistische Vorstellungen in die Vision aufgenom-men, im Sinne einer Utopie, verliert sie ihren motivierenden Charakter, da sie für die Mit-arbeiter nicht erreichbar ist, unabhängig davon, wie sehr sie sich anstrengen. Besonders kritisch zu bewerten ist die Vorgabe unrealistischer oder dem Kern der Markenidentität zuwiderlaufender Visionen durch das Top-Management einer Marke.

Bereits zweifach von dieser Problematik betroffen war in der Vergangenheit die Mercedes-Benz AG. Für Edzard Reuter, der 1987 zum Vorstandsvorsitzenden der Mercedes-Benz AG ernannt wurde, bestand seine Vision darin, dass Unternehmen von einem reinen Automo-bilhersteller zu einem integrierten Technologiekonzern zu wandeln. In der Folge wurden zahlreiche große Akquisitionen und Mehrheitsbeteiligungen realisiert, wie z.B. bei den Unternehmen AEG oder dem Luft- und Raumfahrtskonzern Dornier. Bereits innerhalb weniger Jahre führte diese Abweichung vom Kern der Markenidentität zu erheblichen Verlusten. 1995 verließ Reuter schließlich den Konzern. Auch sein Nachfolger, Jürgen Schrempp (Vorstandsvorsitzender von 1995 bis 2005), verfolgte eine neue, utopische Vision. Unter seiner Führung sollte Mercedes-Benz zum Weltkonzern in der Automobilbranche ausgebaut werden. Hierzu wurde die Mercedes-Benz AG mit dem drittgrößten amerikani-schen Automobilhersteller Chrysler Corp. fusioniert und Beteiligungen an zahlreichen Automobilunternehmen erworben. Die Vision vom „Weltkonzern“ demotivierte zunächst

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die Belegschaft, weil sie die intern verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen des Unter-nehmens überforderte und führte in der Folge zu schwerwiegenden Qualitätsproblemen bei Mercedes-Benz und zu einem Verlust der einst überlegenen Positionierung (vgl. Tietz 2009, S. 220).

2.3.1.3 Markenkompetenzen

Neben der Markenherkunft basiert die Identität einer Marke vor allem auf den Kompeten-zen der markenführenden Institution, die sich als Folge von pfadabhängigen Akkumulati-onsprozessen aus der Herkunft ableiten. Sie repräsentieren die spezifischen organisationa-len Fähigkeiten eines Unternehmens zur marktgerechten Identifikation, Veredelung und Kombination von Ressourcen.

Die Bewährung im Markt bzw. Dominanz gegenüber Wettbewerbern ist nur möglich, wenn die Marke einen der Konkurrenz ebenbürtigen bzw. überlegenen Kundennutzen stiftet. Ein dauerhaft überlegener Kundenutzen basiert immer auf den Kernkompetenzen einer Marke, wohingegen zur „einfachen“ Behauptung im Markt die Verfügbarkeit von Kompetenzen ausreicht (vgl. Freiling 2001, S. 26 ff.). Der ökonomische Wert von Kompetenzen und Kern-kompetenzen bemisst sich aus der Perspektive der identitätsbasierten Markenführung somit stets an der Erzeugung von mit Preisbereitschaft verknüpftem Kundennutzen durch die Marke.

Aufbauend auf den Erkenntnissen von Blinda (2006) können die notwendigen Kompeten-zen eines Unternehmens zur Markenführung in drei Bereiche gegliedert werden. Hierbei handelt es sich um Veredlungs-, Marktzufuhr- und Meta-Kompetenzen (vgl. Abbildung 2.6).

Den Bereich der Veredlungskompetenzen bilden die Markeninformationsabsorptions-kompetenz sowie die strategische Markenplanungskompetenz. Zusammen schaffen sie die Handlungspotenziale einer Marke bei der Gestaltung der Leistungsbereitschaft. Besondere Bedeutung erfährt die Markeninformationsabsorptionskompetenz. Sie berücksichtigt die Fähigkeit relevante Informationen am Markt, bspw. Trends, wahrzunehmen und darüber hinaus intern darauf zu reagieren (vgl. Stichnoth 2013, S. 115). Damit stellt sie die Voraus-setzung für einen nachhaltigen Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit einer Marke dar. Aufgabe der strategischen Markenplanung ist die konsequente Ausrichtung der Wertschöpfungsket-te auf die Einhaltung des Nutzenversprechens der Marke. Hiervon betroffen sind Entschei-dungen über Out- oder Insourcing von Teilbereichen der Wertschöpfungskette. Auf dieser Kompetenz aufbauend muss zudem die zukünftige, strategische Entwicklung des Marken-nutzenversprechens erfolgen (vgl. Blinda 2006, S. 326).

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Abbildung 2.6 Relevante Kompetenzen in der identitätsbasierten Markenführung

Quelle: In enger Anlehnung an Blinda (2006), S. 322.

Marktzufuhrkompetenzen ermöglichen die Gestaltung der Leistungserstellung. Auf Basis der Markenevolutionskompetenz wird die Marke im Zeitablauf den wandelnden Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen angepasst. Das Ziel hierbei ist die Aufrechterhaltung eines hohen Differenzierungspotentials der Marke gegenüber den Wettbewerbern. Die Kompe-tenz zur internen Markendurchsetzung beinhaltet alle Maßnahmen der Markenführung, die auf die interne Zielgruppe abstellen. Im Rahmen der identitätsbasierten Markenfüh-rung wird hierunter auch die interne Markenführung verstanden (vgl. Kapitel 4.2). Die operative Markenumsetzungskompetenz schließlich dient der Sicherstellung eines hohen Fits zwischen der Markenidentität und dem Leistungsprogramm sowie der Markenkom-munikation (vgl. Kapitel 4.3).

Neben den Veredelungs- und Marktzufuhrkompetenzen spielen für die identitätsbasierte Markenführung noch zwei übergeordnete Meta-Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Mit der Kundenakquisitionskompetenz und der Kundenbindungskompetenz ist ein Unternehmen in der Lage, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden an die Mar-ke zu binden. Im Vergleich zwischen beiden Meta-Kompetenzen konnte Blinda einen höhe-

Marken-Meta-Kompetenzen

Kundenbindungskompetenz

Kundenakquisitionskompetenz

Marken-Veredlungskompetenzen

Markeninforma-tionsabsorptions-

kompetenz

Strategische Markenplanungs-

kompetenz

Marken-Marktzufuhrkompetenzen

Markenevolutions-kompetenz

Interne Marken-durchsetzungs-

kompetenz

Operative Marken-umsetzungs-kompetenz

Gestaltung der Leistungsbereitschaft Gestaltung der Leistungserstellung

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ren Erfolgsbeitrag der Kundenbindungskompetenz nachweisen (vgl. Blinda 2006, S. 328). Dieses Ergebnis belegt die hohe Relevanz und Werthaltigkeit langanhaltender Marke-Kunde-Beziehungen, die das Resultat einer konsequenten Erfüllung des Markennutzenver-sprechens gegenüber den Nachfragern ist.

Da die Kompetenzen und Kernkompetenzen einer Marke auf Wissensvorsprüngen gegen-über dem Wettbewerb basieren, sind sie stets temporär. Es bedarf somit permanenter Inves-titionen in die Erneuerung von Kompetenzen und Kernkompetenzen, um Wissensvor-sprünge und die mit ihnen verknüpften Wettbewerbsvorteile der Marke zu verteidigen. Ebenso bedarf es kontinuierlicher Investitionen in die Bindung derjenigen Humanressour-cen, die für die Entstehung der Kompetenzen und Kernkompetenzen einer Marke verant-wortlich sind. Eine langfristig erfolgreiche Markenführung ist deswegen ohne eine identi-tätskonforme Ausgestaltung von organisatorischen Strukturen und Prozessen, des Perso-nalbereichs, des Führungsverhaltens im Management und letztlich der Anreizsysteme nicht möglich. Identitätsbasierte Markenführung ist immer zuerst und primär die Führung von Mitarbeitern und nicht die werbliche Dekoration von Fassaden, schon gar nicht der Aufbau Potemkin’scher Fassaden!

2.3.1.4 Markenwerte

Markenwerte repräsentieren die Grundüberzeugungen der hinter einer Marke stehenden Führungskräfte und Mitarbeiter. Sie bringen wichtige emotionale Komponenten der Mar-kenidentität sowie die Wünsche der relevanten Zielgruppen an eine ideale Marke zum Ausdruck. Damit bringen sie zum Ausdruck, woran die Marke „glaubt“. Fokussiert auf wenige Aussagen sollen sie vor allem den symbolischen Nutzen der Marke transportieren. In der Unternehmenspraxis finden sich oft Markenwerte, die für einen verantwortlichen Umgang mit den eigenen Mitarbeitern und der Umwelt stehen. Darüber hinaus formulie-ren viele Marken ihre Werte mit Bezug auf ihre hohe Produktqualität. So adressiert die Robert Bosch GmbH in ihren Werten unter anderem Verantwortung, Fairness und Zuver-lässigkeit. Die Firma Henkel KG & Co. KGaA führt auf ihrer Internetseite unter anderem die Werte „Wir stellen unsere Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns.“, „Wir schät-zen, fordern und fördern unsere Mitarbeiter.“ sowie „Wir verpflichten uns, unsere führen-de Rolle im Bereich Nachhaltigkeit auszubauen.“. Die Markenwerte spielen für die Authen-tizität der Marke eine wichtige Rolle (vgl. Schallehn 2012, S. 31). Sie müssen daher von den Mitarbeitern tatsächlich gelebt werden, denn nur dann können die Markenwerte ein integ-raler Teil der Markenidentität werden und die Marke tatsächlich emotional aufladen.

Ein geeignetes Beispiel einer Marke mit besonders ausgeprägten Markenwerten ist „The Body Shop“. Die Markenführenden von „The Body Shop“ haben für ihre Marke fünf klare Werte formuliert und diese in den letzten Jahren strikt beibehalten (vgl. Abbildung 2.7).

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Abbildung 2.7 Die Markenwerte von „The Body Shop“

Quelle: The Body Shop (2012).

Die positive Außenwirkung einer authentischen Verkörperung von Markenwerten zeigt sich an einem sehr gegensätzlichen Beispielpaar aus dem deutschen Drogeriemarkt. Die Drogeriemarktkette dm setzt, im Gegensatz zum Ex-Konkurrenten Schlecker, konsequent auf die eigenen Markenwerte. Götz W. Werner, Gründer und Aufsichtsrat des Unterneh-mens, fasst diesen Anspruch wie folgt zusammen: „Wenn es keine Menschen gäbe, gäbe es keine Wirtschaft. Folglich ist die Wirtschaft für den Menschen da und nicht umgekehrt.“ Hieraus abgeleitet orientiert sich dm an den drei zentralen Werten „Verantwortlich leben“, „Menschlich sein“ und „Nachhaltig handeln“. Im Gegensatz dazu stand bei Schlecker, einem Unternehmen, das insbesondere wegen schwerer Mängel in der Mitarbeiterführung immer wieder in der öffentlichen Kritik stand, statt Werten die Kostenminimierung im Mittelpunkt der Markenführung. So schloss Schlecker beispielsweise im Jahr 2009 rund 800 kleinere Filialen und eröffnete an ihrer Stelle sogenannte XL-Läden, die sich oftmals in direkter Nachbarschaft zu den ehemaligen Ladenlokalen befanden. Den bisherigen Mitar-beitern wurde angeboten, anstelle der Anstellung direkt bei Schlecker über eine Zeitarbeits-firma als Leiharbeiter in den neuen Filialen zu arbeiten. Im Unterschied zu ihren tariflich festgesetzten Löhnen von 12 Euro pro Stunde erfolgte die Einstellung über die Zeitarbeits-firma mit einem Lohn von 6,50 Euro pro Stunde. Mitarbeiter, die sich hierauf nicht einlas-

TIERSCHUTZ: The Body Shop setzt sich aktiv für ein Verbot von Tierversuchen in der Kosmetikindustrie ein. Als eines der ersten Unternehmen hat The Body Shop das internationale Humane Cosmetic Standard-Logo erhalten.

HILFE DURCH HANDEL: Mit seinem „Hilfe durch Handel“ Programm baut The Body Shop langfristige Handelsbeziehungen zu Partnern in allen Teilen der Welt auf und bezahlt den Produzenten faire Preise für hervorragende natürliche Inhaltsstoffe und Accessoires.

SELBSTACHTUNG: Jeder Mensch ist schön – jeder auf seine eigene Weise. The Body Shop glaubt, dass Make-up, Düfte und Feuchtigkeitscremes zwar die Persönlichkeit und Individualität von Menschen untersteichen, sie aber nicht einem festgelegten Schönheitsideal entsprechen sollten.

MENSCHENRECHTE: Mit Kampagnen für die Rechte von Menschen will The Body Shop das öffentliche Bewusstsein aufrütteln und Betroffenen helfen. The Body Shop ist überzeugt, dass Unternehmen die Macht haben, Veränderungen in Gang zu bringen.

UMWELTSCHUTZ: The Body Shop nimmt Umweltschutz sehr ernst. Deshalb enthalten die Verpackungen kein PVC und ein Großteil der Flaschen basiert auf einem hohen Anteil an recyceltem Kunststoff. Außerdem hat die Unternehmenszentrale sowie viele Filialen auf erneuerbare Energie umgestellt.

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sen wollten, wurden in weiter entfernte Filialen versetzt (vgl. Spiegel online vom 23.12.2009). Im Gegensatz zur Konkurrenz, die in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum verzeichnete, erwirtschaftete Schlecker 2011 einen Verlust von 200 Millionen Euro. In der Folge musste das Unternehmen im Januar 2012 Insolvenz anmelden. Die letzten Filialen in Deutschland schlossen am 27. Juni 2012 (vgl. Frankfurter Rundschau vom 27.06.2012). Das Fehlen einer durch eine klare Identität geleiteten Markenführung bei Schlecker zeigt sich auch im früheren und aktuellen Verhalten des Gründers und Firmenchefs Anton Schlecker. Für seine Mitarbeiter blieb er stets unsichtbar und betrat die Firmenzentrale immer über die Tiefgarage und einen privaten Aufzug. Auch nach der Insolvenz gab es von seiner Seite keine Stellungnahme oder Ansprache an die Belegschaft (vgl. Spiegel 26/2012, S. 68 ff.). Die Außenwirkung der sehr gegensätzlichen Markenidentitäten von dm und Schlecker wird in der Bewertung beider Unternehmen auf dem Bewertungsportal dooyoo.de deutlich. Dm erzielt hier mit fünf Sternen eine sehr gute Wertung. Schlecker hingegen erzielte nur drei Sterne.

2.3.1.5 Markenpersönlichkeit

Die Markenpersönlichkeit findet ihren Ausdruck im verbalen und non-verbalen Kommu-nikationsstil einer Marke (vgl. Schade 2011, S. 10). Der markenspezifische Kommunikati-onsstil wird dabei sowohl von den typischen Repräsentanten einer Marke, als auch von der Herkunft der Marke geprägt (Aaker 1997, S. 348; Burmann/Blinda/Nitschke 2003, S. 23).

Theoretisch fundiert werden kann die Markenpersönlichkeit über die Forschung zur Per-sönlichkeitspsychologie. Diese verfolgt das Ziel einer ganzheitlichen Messung der Persön-lichkeit eines Menschen über die Reduktion der zahlreichen Facetten unterschiedlicher Persönlichkeiten zu wenigen, allgemeingültigen und trennscharfen Hauptdimensionen. Diese zentralen Dimensionen bilden die Grundbausteine der menschlichen Persönlichkeit. McCrae/Costa definieren Persönlichkeitsmerkmale als „relative enduring styles of thinking, feeling and acting“ (McCrae/Costa 1997).

Ursprünglich nur auf den Menschen bezogen, kann die Theorie der Persönlichkeit auch auf Marken bzw. Markenpersönlichkeiten übertragen werden. Azoulay und Kapferer definie-ren die Markenpersönlichkeit als „the set of human personality traits that are both applica-ble and relevant for brands“ (Azoulay/Kapferer 2003, S. 151). Diese Auffassung der Mar-kenpersönlichkeit wird durch Gilmores „Theorie des Animismus“ gestützt (Gilmore 1919). Sie besagt, dass Menschen grundsätzlich dazu neigen, leblose Artefakte durch die Verlei-hung menschlicher Eigenschaften zu „beseelen“, um die Interaktion mit diesen Artefakten zu vereinfachen. Aus dieser Perspektive verfügen auch Marken über „menschliche“ Merk-male im Sinne einer eigenen Persönlichkeit (Aaker 1997; Fournier 1998; Huber/Herrmann/ Weis 2001; Hermann/Huber/Braunstein 2001).

Bei der Gestaltung der Markenidentität muss demnach auch die angestrebte Persönlichkeit der Marke definiert werden. In diesem Zusammenhang spricht man von der Soll-Markenpersönlichkeit. Sie beschreibt, welche „menschlichen Wesenszüge“ interne und externe Zielgruppen einer Marke mit dieser verbinden sollen. Um Differenzierungskraft

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und Verhaltensrelevanz zu entfalten, muss die Markenpersönlichkeit mit Bezug auf die relevanten Wettbewerber und das Selbstkonzept der Zielgruppe entwickelt werden (vgl. Schade 2012). Um dies zu bewerkstelligen, muss die Markenpersönlichkeit operationalisiert und messbar gemacht werden. Diese Messung erfolgt in aller Regel anhand von Marken-persönlichkeitsskalen. In den vergangenen Jahren wurden in der Wissenschaft und Praxis zahlreiche Markenpersönlichkeitsskalen vorgestellt. Diese Skalen basieren auf Erkenntnis-sen der Persönlichkeitspsychologie. Demnach lässt sich die menschliche Persönlichkeit sich anhand von fünf Dimensionen, den sogenannten „Big Five“, beschreiben (vgl. Cattell 1944, S. 55 ff; Eysenck/Eysenck 1987, S. 123; Fisseni 1998, S. 405 ff.; Goldberg 1990, S. 1220). Die „Big Five“ umfassen die Dimensionen „Extraversion“, „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftig-keit“, „emotionale Stabilität“ und „Offenheit“ (vgl. McCrae/Costa 1997, S. 514 f.).

Eine Übertragung dieses Konzeptes auf Marken wurde bereits 1957 durch Wells et al. sowie in den folgenden Jahren von Plummer, Alt und Griggs (1988) sowie Batra, Lehmann und Singh (1993) versucht. Keiner dieser drei Ansätze konnte jedoch empirisch belegt werden. Den bislang prominentesten, wenn auch stark kritisierten, Ansatz lieferte 1997 Jennifer Aaker mit der von ihr entwickelten Brand Personality Scale. Aaker identifiziert fünf Di-mensionen der Markenpersönlichkeit: „Aufrichtigkeit“ (Sincerity), „Erregung/Spannung“ (Excitement), „Kompetenz“ (Competence), „Kultiviertheit“ (Sophistication) und „Robust-heit“ (Ruggedness).

Die Brand Personality Scale wurde in den letzten Jahren vielfach mit dem Ziel untersucht, ihre Allgemeingültigkeit zu belegen. Dies ist bislang nicht gelungen. Vielmehr zeigte sich, dass insbesondere bei einer Übertragung auf verschiedene Länder unterschiedliche Dimen-sionen gebildet werden müssen (vgl. u.a. Aaker/Benet-Martinez/Garloera 2001; Ferrandi/ Valette-Florence/Fine-Falcy 2000; Grönhaug/Supphellen 2003). Aufgrund dieser Problema-tik existieren heute zahlreiche Skalen der Markenpersönlichkeit, die spezifisch auf einzelne Länder oder Produktkategorien ausgerichtet sind.

Solche spezifischen Skalen müssen nach Schade (2012) vier Anforderungen erfüllen: 1) Die Skala darf nur Persönlichkeitsmerkmale beinhalten, 2) die Skala muss ein statistisch reliables und valides Messinstrument darstellen, 3) alle enthaltenen Merkmale müssen zur Beschreibung der spezifischen Markenpersönlichkeiten geeignet sein und 4) die Erfassung sämtlicher differenzierender Persönlichkeitsmerkmale ist zu gewährleisten. Nur wenn alle Persönlichkeitsmerkmale in der Skala enthalten sind, können diejenigen Persönlichkeitsdi-mensionen identifiziert werden, die eine Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern ermöglichen. Diese Analyse des Differenzierungspotentials bildet die Grundvoraussetzung zur Formulierung einer profilierenden Soll-Markenpersönlichkeit.

Exemplarisch für eine auf dieser Grundlage entwickelte Markenpersönlichkeitsskala soll abschließend die von Schade (2012) entwickelte German Sport Team Brand Personality Scale (GSBPS) vorgestellt werden. Entsprechend der Ergebnisse seiner Untersuchung setzt sich die Markenpersönlichkeit eines Sportvereins, bspw. eines Vereins aus der 1. Fußball-bundesliga, aus insgesamt fünf Dimensionen zusammen (vgl. Tabelle 2.5).

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56 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Tabelle 2.5 German Sport Team Brand Personality Scale (GSBPS)

Dimension Fröhlicher Familiärer

Selbstironi-scher Rebell

Toleranter sozial

Engagierter

Willensstarker Kämpfer

Bescheidener Boden-

ständiger

Eige

nsch

afte

n

Gesellig Rebellisch Kultiviert Hart arbeitend Bescheiden

Fröhlich Frech Glamourös Kämpferisch Bodenständig

Humorvoll Alternativ Weltoffen Fleißig

Treu Selbstironisch Trend setzend Willensstark

Traditions-bewusst

Pfiffig Soz. verantwor-tungsbewusst

Ehrlich

Familiär Freiheits-liebend

Tolerant

Optimistisch

Quelle: Schade 2012, S. 151.

Auch wenn die fünf von Schade identifizierten Dimensionen Ähnlichkeiten zur BPS von Aaker aufweisen, weichen sie in der konkreten Definition doch von diesen ab. Eine Sport-vereinsmarke kann beispielsweise dann als selbstironischer Rebell gekennzeichnet werden, wenn die Ausgestaltung der Persönlichkeit humorvolle, freche Elemente enthält, die zu-dem eine gewisse Selbstironie erkennen lassen.

2.3.1.6 Art der Markenleistungen

Die Festlegung der grundsätzlichen Form und Art der Produkte und Dienstleistungen einer Marke basiert vor allem auf den Markenkompetenzen. Die grundsätzliche Art der Marken-leistungen determiniert, wie eine Marke für den Nachfrager nutzbar wird. Es muss die grundsätzliche Form und Ausstattung von Produkten und Dienstleistungen, die eine Mar-ke anbieten soll, festgelegt werden. Ebenso wie ein Mensch im Rahmen seiner persönlichen Identität für sich bestimmt, welche Rolle und Funktion er in der Gesellschaft erfüllen möch-te (z.B. in Form seines ausgeübten Berufes), wird bei der Gestaltung dieser Identitätskom-ponente festgelegt, welchen funktionalen Nutzen eine Marke dem Nachfrager bieten soll. Klar abzugrenzen von der Art der Markenleistung im Sinne der identitätsbasierten Mar-kenführung ist die Produktpolitik eines Unternehmens. Letztere beinhaltet die konkrete Ausgestaltung der anzubietenden Leistungen am Absatzmarkt. Dabei handelt es sich um operative Entscheidungen, mit denen die Inhalte eines Leistungsbündels definiert werden. Stellt die Art der Markenleistung also im übertragenen Sinne die Berufswahl dar (z.B. Fri-sör), handelt es sich bei der Produktpolitik um das zu definierende Angebot in diesem Beruf (z.B. Färben, Auswahl der angebotenen Haarfarben, Art und Weise der Haarschnitte).

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Diese Unterscheidung tritt sehr deutlich bei der Marke Dyson zu Tage. Das ursprüngliche Produkt, mit dem James Dyson in den 1980er Jahren sein Unternehmen gründete, war ein revolutionärer Staubsauger ohne Beutel. Die Art der Markenleistung bei Dyson ist jedoch nicht die Entwicklung von beutellosen Staubsaugern. Vielmehr sieht James Dyson die Leis-tung seiner Marke darin, existierende Produkte besser zu machen. Aus diesem Leistungs-versprechen sind, neben einer ganzen Serie von beutellosen Staubsaugern, auch Produkte in anderen Kategorien entstanden. So stellt der Sea Truck ein effizientes Wassertransport-mittel dar. Ballbarrow ist der Name einer Schubkarre, die anstelle eines Rads einen Gum-miball besitzt und innerhalb von nur drei Jahren Marktführer in England wurde (vgl. Dyson 2012). Darüber hinaus gehören u.a. innovative Handtrockner in Gaststätten und Ventilatoren ohne Luftschraube zum Produktprogramm (vgl. Abbildung 2.8).

Abbildung 2.8 Ausgewählte Produkte der Firma Dyson

Quelle: Dyson (2012).

Erster Staubsauger

aktueller Staubsauger Handtrockner Ventilator

Sea Truck Ballbarrow

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Zusammenfassend ist für die Markenidentität festzuhalten, dass Aussagen über die Bedeu-tung der sechs hier vorgestellten Identitätskomponenten für die konkrete Ausprägung der Markenidentität nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen im Ein-zelfall zu treffen sind. Aaker/Joachimsthaler (2000, S. 57) entwickeln in diesem Zusammen-hang fünf Fragen, die bei der Identifikation der im Einzelfall relevanter Identitätskompo-nenten helfen können:

1. Does it capture an element important to the brand and its ability to provide the custom-er value or support customer relationships?

Diese Frage liefert Hinweise darauf, welche Komponenten deutlicher hervortreten sollten als andere. So nimmt die Herkunft bei einem alteingesessenen Familienunternehmen einen bedeutenderen Stellenwert für die Markenidentität ein, als dies beispielsweise bei einer erst vor kurzem geschaffenen künstlichen Marke der Fall ist.

2. Does it help differentiate the brand from its competitors?

Die Frage nach dem Differenzierungspotential spielt eine wichtige Rolle bei der Ausgestal-tung der eigenen Identität. Identitätskomponenten, die eine hohe Handlungsrelevanz und Differenzierungskraft bieten, sollten stets besonders hervorgehoben werden.

3. Does it resonate with the customer?

Eine Identitätskomponente kann nur dann einen positiven Beitrag zur Imagebildung einer Marke liefern, wenn sie auf Seiten der Nachfrager positiv beurteilt wird. Dies schafft bei-spielsweise die Kompetenz dynamische Motoren und Fahrzeuge zu bauen bei BMW.

4. Does it energize employees?

Jede Identitätskomponente sollte in der Lage sein, die Markenmitarbeiter zu motivieren. Bei der Ausgestaltung der Markenidentität muss dies stets hinterfragt werden.

5. Is it believable?

Die letzte Frage nach der Glaubwürdigkeit der einzelnen Identitätskomponenten findet seinen Niederschlag in der Authentizität einer Marke (vgl. Kapitel 2.5). Nur eine authenti-sche Marke wird von den internen und externen Zielgruppe akzeptiert.

Der Stellenwert der einzelnen Identitätskomponenten hängt letztlich auch von der betrach-teten Produktkategorie ab (Dienstleistungen, Investitionsgüter, Convenience-, Shopping-, Specialty Goods etc.) (vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2012, S. 24 ff.). Darüber hinaus stellen die Zielgruppenstruktur, die Art des zentralen Markennutzens, die Markenidentität der Hauptwettbewerber und die Struktur des Markenportfolios eines Unternehmens we-sentliche Determinanten dar.

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 59

2.3.2 Das Markenimage als externes Wirkungskonzept der Marke

Beim Markenimage handelt es sich um ein mehrdimensionales Einstellungskonstrukt (vgl. Foscht/Swoboda 2011, S. 126), welches das in der Psyche relevanter externer Zielgruppen fest verankerte, verdichtete und wertende Vorstellungsbild von einer Marke wiedergibt. Das Markenimage ist das Ergebnis der subjektiven Wahrnehmung und Dekodierung aller von der Marke ausgesendeten Signale durch ein Individuum. Dies bezieht sich insbesonde-re auf die subjektiv wahrgenommene Eignung einer Marke zur Befriedigung der Bedürf-nisse des Individuums. Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen ist zunächst das Markenimageverständnis im Rahmen der identitätsbasierten Markenführung.

Im Anschluss daran wird die Speicherung von Markeninformationen und darauf aufbau-end die Bildung eines Markenimages aus neuroökonomischer Perspektive behandelt. Die Neuroökonomie hat das Ziel, das Verhalten von Nachfragern über neuronale Zusammen-hänge im Gehirn zu erklären. Im Gegensatz zu klassischen Ansätzen des Konsumentenver-haltens (vgl. z.B. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009), verknüpft die Neuroökono-mie psychologische, neurologische und ökonomische Erkenntnisse, um die (mentalen) Vorgänge im Nachfrager zu erklären (vgl. Bielefeld 2012, S. 6). Zunächst wird das Konzept assoziativer Markennetzwerke vorgestellt. Assoziative Markennetzwerke beinhalten sämt-liche markenrelevanten Informationen, die im Gehirn des Nachfragers gespeichert sind und die Präferenzbildung für Marken steuern.

2.3.2.1 Gegenstand des Markenimages in der identitätsbasierten Markenführung

Voraussetzung für die Bildung eines Markenimages bei den externen Zielgruppen ist die Bekanntheit einer Marke. Die Markenbekanntheit misst die Fähigkeit potentieller Nach-frager, sich an ein Markenzeichen zu erinnern (Brand Recall) oder es nach akustischer und/oder visueller Stützung wieder zu erkennen (Brand Recognition) und diese Kenntnisse einer Produktkategorie zuzuordnen (Aaker 1991, S. 61). Synonym wird Brand Recall auch als ungestützte Markenbekanntheit und Brand Recognition als gestützte Markenbekannt-heit bezeichnet. Markenbekanntheit als Voraussetzung für die Entstehung eines Vorstel-lungsbildes im Kopf der Zielgruppen kann definitorisch keine Komponente des Marken-images sein.

Im Rahmen der identitätsbasierten Markenführung wird das Markenimage in zwei Haupt-komponenten aufgespalten: das subjektive Markenwissen sowie den aus diesem Wissen abgeleiteten Nutzen der Marke für den jeweiligen Nachfrager vor dem Hintergrund seiner individuellen Bedürfnisse (Vershofen 1940, Keller 1993, S. 17). Neben dem funktionalen Nutzen kommt vor allem dem symbolischen Nutzen einer Marke eine sehr hohe Bedeu-tung für das Kaufverhalten der Nachfrager zu (Burmann/Meffert/Feddersen 2007, S. 10). Dies ist ein Ergebnis der heute in vielen Branchen oft sehr ähnlichen funktionalen Nutzen konkurrierender Marken. Typischerweise zeigt sich diese Situation mit zunehmendem Alter von Märkten immer häufiger und ausgeprägter.

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60 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.9 Komponenten des Markenimages als externes Wirkungskonzept

Quelle: Eigene Darstellung.

Das subjektive Markenwissen repräsentiert das wahrgenommene und gespeicherte Wis-sen der Nachfrager über die Markenidentität. Im Gegensatz zur Markenidentität können das subjektive Markenwissen und die subjektiv wahrgenommenen Markennutzen nicht direkt vom Management einer Marke gesteuert werden, sondern hängen primär von der Art der Übermittlung der Markenidentität nach außen ab. Die Informationsübermittlung erfolgt an sämtlichen Brand Touch Points, also an allen Stellen, an denen ein Nachfrager Kontakt zu einer Marke hat (für eine beispielhafte Übersicht über mögliche Brand Touch Points vgl. Abbildung 3 in Kapitel 4.2). Dies beinhaltet unter anderem die tatsächliche Marken- bzw. Produktverwendung, sämtliche Maßnahmen der Markenkommunikation (neben der eigenen Werbung betrifft dieser Kontaktpunkt auch Pressemitteilungen, Be-richterstattungen in den Medien und im zunehmendem Maße die Kommunikation über soziale Medien im Web 2.0) sowie den direkten oder indirekten Kontakt zu Vertretern der Marke. An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie wichtig die professionelle Einbindung aller Markenmitarbeiter für den Erfolg der identitätsbasierten Markenführung ist, denn nur so kann ein klares und verhaltensrelevantes Markenimage an allen Brand touch Points entstehen.

Der von einem Nachfrager wahrgenommene funktionale Nutzen basiert primär auf dem subjektiven Wissen des Nachfragers über die Produkte und Dienstleistungen, Kompeten-zen und die Herkunft der Marke. Während der symbolische Nutzen primär vom subjekti-ven Wissen über die Vision, die Persönlichkeit, die Werte und die Herkunft abhängt.

Markenbekanntheit

Markenimage als Fremdbild derexternen Zielgruppen von der Marke

Funk

tiona

le u

nd

sym

bolis

che

Mar

kenn

utze

n

Subjektives Markenwissen:

Persönlichkeit

Vision

Leistungen

Kompetenzen

Herkunf t

Werte

Markenidentität

Prägen vor allem den funktionalen

Markennutzen

Prägen vor allem den symbolischenMarkennutzen

Markenimage

Bedürfnisse

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 61

Im Marketing wird unter Nutzen stets der Grad der Befriedigung von Bedürfnissen, den ein Objekt aus all seinen Merkmalen für den Nachfrager erbringt, verstanden (Diller 1992, S. 826; Perrey 1998, S. 12; Meffert 2000, S. 333). Die funktionale Nutzenebene umfasst den utilitaristischen Nutzen und den ökonomischen Nutzen (vgl. Abbildung 2.10). Der utilita-ristische Nutzen basiert auf den physikalisch-technischen Eigenschaften eines Markenan-gebots. Beispielsweise zeigt sich dieser Nutzen bei einem Fahrzeug der Marke BMW in seiner Fähigkeit, die Fahrzeuginsassen von Ort A nach Ort B zu transportieren, aber ebenso in den spezifischen Eigenschaften des Wagens, wie z.B. seiner besonders ausgeprägten Fahrdynamik. Der ökonomische Nutzen der Marke ergibt sich aus dem Preis-Leistungs-Verhältnis und aus den finanziellen Konsequenzen der Markennutzung für den Nachfrager (vgl. Burmann/Eilers/Hemmann 2010, S. 16). Bei einem Fahrzeug sind dies u.a. Kosten für Wartungen und Treibstoff.

Ebenfalls dem funktionalen Nutzen einer Marke zuzuordnen ist deren Eignung zur Risiko-reduktion (Vertrauensfunktion). Marken können die von Nachfragern wahrgenommenen Risiken verringern, beispielsweise Risiken im Bereich der Produktsicherheit (z.B. Crash-sicherheit eines Autos, Gefahr von Krankheitserregern in Nahrungsmitteln), der langfristi-gen Ersatzteilversorgung, des Angebots technischer Kundendienstleistungen, des finanziel-len Risikos oder des sozialen Risikos (z.B. mangelnde Akzeptanz im Freundeskreis). Der Erfolg der meisten Marken baut jedoch nicht allein auf ihrem funktionalen Markennutzen auf, sondern beruht immer stärker auf der symbolischen Bedeutung der Marke beim Nach-frager.

Ein symbolischer Nutzen entsteht immer dann, wenn eine Marke losgelöst von ihrer funk-tionalen Nutzenstiftung dem Nachfrager einen zusätzlichen Nutzen stiftet (vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 2011, S. 364). Aus der neuroökonomischen Forschung ist bekannt, dass symbolische Markennutzen vor dem individuellen Hintergrund der persönlichen Lebenserfahrung des Nachfragers entstehen (vgl. Bielefeld 2012, S. 177). Weitergehend untergliedert wird der symbolische Nutzen einer Marke in die soziale und die persönliche Nutzenebene (vgl. Abbildung 2.10). Die sozialen Nutzen einer Marke ergeben sich für den Nachfrager aus einer extrinsischen Befriedigung seiner Bedürfnisse nach externer Wert-schätzung, Gruppenzugehörigkeit und der Selbstdarstellung der eigenen Persönlichkeit im sozialen Kontext (vgl. Stolle 2012, S. 262). Die persönliche Nutzenebene umfasst den sinn-lich-ästhetischen Nutzen einer Marke sowie den hedonistischen Nutzen. Der sinnlich-ästhetische Markennutzen resultiert aus der Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Schönheit. Bei einem Automobil kann dies bspw. durch das Design der Karosserie und des Innenraums sowie durch die generelle Verarbeitung erfolgen. Der hedonistische Nutzen einer Marke beruht hingegen ausschließlich auf intrinsischen Prozessen des Nach-fragers. Er befriedigt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, Lust und Genuss sowie kognitiver und emotionaler Stimulation (vgl. Stolle 2012, S. 263 f.).

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62 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.10 Markennutzenebenen

Quelle: In Anlehnung an Burmann/Stolle (2007), S. 15.

2.3.2.2 Assoziative, neuronale Markennetzwerke als Grundlage der Reizverarbeitung im Gehirn

Nach dem aktuellen Stand der Hirnforschung (vgl. Roth 2003) ist bekannt, dass sämtliche Sinneseindrücke wie bspw. Fühlen und Riechen oder auch mentale Vorstellungen zu Mar-ken im Gehirn in Form von neuronalen Netzwerken abgelegt werden, d.h. als miteinander verbundene Nervenzellen (vgl. Bielefeld 2012, S. 155 f.). In diesen neuronalen Netzwerken werden alle mit einer Marke subjektiv verknüpften Fakten, Erfahrungen, Bewertungen, Emotionen usw. abgelegt.

Der Teil dieses neuronalen Netzwerkes, der durch den Nachfrager sprachlich artikuliert werden kann, wird als assoziatives Netzwerk bezeichnet (vgl. Spitzer 2008, S. 243). Gegenstand dieser Assoziationen bezogen auf Marken sind unter anderem die von der Marke kommunizierten und vom Nachfrager wahrgenommenen Nutzen. Neben diesen vom Markenmanagement gesteuerten Assoziationen, nimmt der Nachfrager weitere mar-kenbezogene Informationen in sein persönliches Markennetzwerk auf. Hierbei kann es sich beispielsweise um episodische Erinnerungen des Nachfragers handeln, d.h. besondere Vorkommnisse oder Geschichten, die er in der Vergangenheit mit einer Marke erlebt hat. Diese Erinnerungen können wiederum in Form von Emotionen, Gefühlen und Gedanken gespeichert werden (vgl. Bielefeld 2012, S. 156). Die Unterscheidung zwischen Emotionen als physiologischem Erregungszustand und Gefühlen ergibt sich aus dem Grad des Be-wusstseins, mit dem die physiologischen Zustände vom Menschen erlebt und artikuliert werden. Während Emotionen unbewusst erlebt werden, handelt es sich bei Gefühlen um sensorische Muster, die bereits als Vorstellung im Kopf des Menschen bestehen und des-wegen artikuliert werden können (vgl. Bielefeld 2012, S. 200).

Abbildung 2.11 zeigt den schematischen Aufbau eines neuronalen Markennetzwerks im Gehirn eines Nachfragers in Form vernetzter Sub-Netzwerke.

HedonistischSinnlich-ästhetisch

ÖkonomischUtilitaristisch

Sozial

Persönliche Nutzenebene

Soziale NutzenebeneSy

mbo

lisch

e N

utze

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ne

Funktionale Nutzenebene

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 63

Abbildung 2.11 Assoziatives, neuronales Markennetzwerk

Quelle: In enger Anlehnung an Bielefeld (2012), S. 175.

Die Ovale in den Netzen symbolisieren dabei spezifische Inhalte, bei denen es sich um Informationen oder auch um Assoziationen handeln kann. Informationen bezeichnen in-nerhalb des Netzwerks weitgehend objektives Wissen mit einem direkten Bezug zur Marke (z.B. „Milka ist eine Schokoladenmarke“). Demgegenüber stellen Assoziationen Wissen dar, das nur einen indirekten und zumeist persönlichen Bezug zur Marke aufweist und nicht direkt von dieser kommuniziert wurde (z.B. „Meine Großmutter hat mir Milka früher im-mer zum Geburtstag geschenkt“). Die Linien zwischen den Inhalten zeigen Verbindungen zwischen den einzelnen Informationen. Die Art und Weise wie diese im Netzwerk ver-knüpft werden, ist von der subjektiven Wahrnehmung des einzelnen Nachfragers ab-hängig.

Die Gedächtnisinhalte, die ein Nachfrager mit einer bestimmten Marke verknüpft, auf der rechten Seite von Abbildung 2.11, können danach gegliedert werden, ob sie einen engen oder weiten Bezug zur Marke besitzen. Bei Assoziationen im engeren Sinne handelt es sich

Komprimiertes Markennetz

Gedächtnisinhalte:

Markeninformationen sowie -assoziationen, Emotionen, Bedürfnisse, Verhaltensmuster, Anspruchsniveaus etc.

Messbares Markenimage

funktionale und symbolische Nutzenassoziationen

... im engeren Sinne: ... im weiteren Sinne:

episodische und autobio-

graphische Erinnerung

BewertungenBedürfnisse

gespeichert als Gedächtnisinhalte

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64 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

um Informationen, die unmittelbar mit den von der Marke ausgehenden funktionalen und symbolischen Nutzenversprechen verbunden sind. In diesem Zusammenhang wird auch von semantischen Assoziationen gesprochen. Semantische Assoziationen stellen für die Marke typische Zusammenhänge her und schaffen darüber einen spezifischen Kontext sowie eine einzigartige Bedeutung der Marke (vgl. Bielefeld 2012, S. 177). Sie beinhalten alle Assoziationen zur Marke, die der Nachfrager „gelernt“ hat und aus seiner subjektiven Perspektive als wichtig im Gedächtnis gespeichert hat (Vgl. Birbaumer/Schmidt 2006, S. 596 f.). Von zentraler Bedeutung für die Aufnahme einer Information in das assoziative Netzwerk ist die subjektive Wichtigkeit einer Information (ihr Belohnungswert), da nur „wichtige“ Informationen relevant genug sind, um im Netzwerk abgelegt zu werden. Da-rüber hinaus werden auch solche Informationen über die Marke abgelegt, die eine visuelle, verbale oder andere sinnliche Identifizierung der Marke ermöglichen. Die Identifizierung bezieht sich zum einen auf die konkrete Gestaltung, z.B. Logo, Jingle, Slogan, zum anderen aber auch auf symbolische Merkmale wie bspw. die typische Dünenlandschaft in der Kommunikation der Biermarke Jever. Assoziationen im engeren Sinne bilden damit direkt die Wirkung der identitätsbasierten Markenführung im Kopf des Nachfragers ab und wer-den vom Markenmanagement als Sender dieser Informationen gezielt beeinflusst (vgl. Bielefeld 2012, S. 177).

Den rechten Teil des Doppelfeldes, die Markenassoziationen im weiteren Sinne, bilden alle Assoziationen eines Nachfragers, die für ihn mit der Marke in Verbindung stehen, deren Ursprung aber nicht in den von der Marke vermittelten funktionalen und symboli-schen Nutzenversprechen liegt (z.B. eine besondere Begebenheit bei der Nutzung einer Marke). Die Quelle dieser Assoziationen liegt in den Erfahrungen des individuellen Nach-fragers, seinem spezifischen Wissen und Emotionen. Diese Assoziationen sind dem Nach-frager oft nicht vollständig bewusst (vgl. Koch 2008, S. 262 ff.). Nichtsdestotrotz nimmt die Verknüpfung der Assoziationen im weiteren Sinne mit den bewussten Assoziationen im engeren Sinne eine zentrale Stellung in der Beurteilung einer Marke ein. Erst dieser indivi-duelle Hintergrund erlaubt es dem Nachfrager, das Wissen über eine Marke in seine neuronalen Netzwerkstrukturen einzubinden und gibt den Informationen gleichzeitig eine subjektive Bedeutung. Die Bedeutung einzelner Markeninformationen innerhalb eines Netzwerkes ist individuell von Nachfrager zu Nachfrager verschieden. Je wichtiger eine Assoziationen für einen Nachfrager ist, desto einfacher und schneller kann er diese auch abrufen. Wichtige Informationen und Verbindungen sind in Abbildung 2.11 durch dickere Konturen gekennzeichnet (vgl. Bielefeld 2012, S. 182; Recke 2011, S. 77 ff.). Je stärker eine Verbindung zwischen zwei Gedächtnisinhalten ist, desto dominanter ist die Aktivierung dieser Assoziationen beim Aufruf im Gedächtnis des Nachfragers (vgl. Spitzer 2008, S. 243 f.). Bei den in Abbildung 2.11 dunkel hinterlegten Knoten handelt es sich um Infor-mationen, die sowohl „wichtig“ sind, als auch einen direkten Bezug zum funktionalen und symbolischen Nutzen der Marke aufweisen. Durch diese herausragende Stellung prägen sie das Markenimage eines individuellen Nachfragers in besonderer Weise. Lediglich dieser verhältnismäßig kleine Teil des Markennetzwerkes ist dem Nachfrager sehr stark bewusst und wird bei Auswahlentscheidungen, z.B. am Supermarktregal von ihm aufgerufen (vgl. Bielefeld 2012, S. 183).

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 65

Der Aufbau des bewussten Teils des Markennetzwerks setzt sich dabei aus zwei Ebenen zusammen (vgl. Abbildung 2.12). Den inneren Kern des bewussten Markennetzwerks bilden einerseits die vom Nachfrager mit der Marke verknüpften funktionalen Assoziatio-nen, andererseits die unmittelbar mit diesen verbundenen symbolischen Assoziationen. Beides zusammen bildet das einfach abrufbare Markenwissen des Nachfragers. Dieses kann beispielsweise in Befragungen durch den Nachfrager problemlos abgerufen und arti-kuliert werden. Um den inneren Kern herum finden sich individuelle biographische Asso-ziationen des Nachfragers zu einer Marke (vgl. Feld 2 in Abbildung 2.12). Hierunter fallen beispielsweise seine persönlichen Bedürfnisse, Erfahrungen und anlassbezogene Konsum-motive. Im Unterschied zu den Informationen im inneren Bereich, handelt es sich hierbei nahezu ausschließlich um symbolische Nutzenassoziationen, die gerade durch die Interpre-tation anhand persönlicher Erfahrungen eine sehr starke Bedeutung für das Kaufverhalten haben (vgl. Bielefeld 2012, S. 158).

Abbildung 2.12 Grundlegendes Netzwerkschema am Beispiel der Marke Milka

Quelle: In Anlehnung an Bielefeld (2012), S. 157.

Dieser Zusammenhang ist beispielhaft anhand von Milka-Schokolade in Abbildung 2.12 dargestellt: Die zart schmelzende Schokolade der Marke Milka wird beworben mit dem Slogan „die zarteste Versuchung“. Das zarte Schmelzen der Schokolade im Mund stellt zunächst einen funktionalen Nutzen dar. Dieser ist innerhalb der schematischen Netz-werkdarstellung im Bereich (1), dem inneren Kern des bewussten Markennetzwerks, abge-legt. Der Werbeslogan erweitert diesen funktionalen Nutzen zusätzlich symbolisch, da das zarte Schmelzen mit dem Terminus der Versuchung emotional aufgeladen wird. Diese Information wird im Netzwerk dem Bereich (2) zugeordnet, wenn auch noch nahe am

1 2weich süß

zart schmelzend

aus AlpenmilchLange

Tradition

Schöne Bergwelt

Weihnachten bei den Großeltern

Erfolg im Studium

gutschmeckend

Versuchung

Esse ich immer gerneLieblings-

schokoladeaus der Kindheit

Erinnertmich an Früher

1 = Innerer Kern des bewussten Markennetzwerkes2 = Individuell-emotionale, biographisch verankerte Assoziationen zur Marke

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66 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Bereich (1), da noch immer ein klarer Bezug zum formal kommunizierten Markenerlebnis besteht. Verbindet der Nachfrager mit dem zarten Schmelzen der Schokolade zusätzlich noch eine persönliche Erfahrung, rückt die Informationen immer tiefer in den peripheren, individuell-emotionalen Bereich (2). Zu denken ist hier beispielsweise an eine Kindheitser-innerung mit gemütlichen Weihnachtsfeiern bei der Großmutter, zu denen jedes Kind eine Tafel Milka Schokolade geschenkt bekommen hat. Ebenso kann eine persönliche Erfahrung darin bestehen, dass sich ein Student nach erfolgreichen Prüfungen stets selbst mit einer Tafel Milka Schokolade „belohnt“ hat oder Milka die Lieblingsschokolade in der Kindheit war.

„Alpenmilch“ und „Bergwelt“ repräsentieren subjektives Markenwissen und sind unmit-telbar mit der kommunizierten Herkunft der Marke verknüpft. Diese Verknüpfung besteht unabhängig davon, dass die Marke Milka zwar ursprünglich aus der Schweiz stammt, wo sie 1901 registriert wurde, seit 1990 aber zum Kraft Foods Konzern gehört. Assoziationen wie „Tradition“ und „heile Welt“ wiederum spiegeln das subjektive Wissen des Nachfra-gers über die Markenwerte und die Vision der Marke wider. Assoziationen zur Qualität und Beschaffenheit der Produkte („gut schmeckend“, „weich“, „süß“) sind mit den Kompe-tenzen der Marke sowie der konkreten Markenleistung verbunden.

Die in Abbildung 2.11 dargestellte Vernetzung der Assoziationen spiegelt nach heutigem Kenntnisstand ebenfalls die neurale Struktur der Wissensvernetzung im Gehirn wider. Zusammenhängende und gemeinsam leicht zu aktivierende Gedächtnisinhalte zeichnen sich auch im Gehirn durch stärker ausgeprägte Synapsen aus (vgl. Bielefeld 2012, S. 184).

Die Bewertung der Wichtigkeit von Reizen, wie bspw. unterschiedliche Marken in einem Supermarktregal oder werbliche Botschaften, erfolgt zunächst auf Basis der in den assozia-tiven, neuronalen Netzwerken eines Nachfragers gespeicherten Informationen. Die Bewer-tung erfolgt anhand von zwei Kriterien: „Handelt es sich um einen neuen Reiz/ein neues Objekt?“ und „Ist dieser Reiz wichtig für mich?“ (vgl. Roth 1997, S. 229 f.). Die möglichen Kombinationen dieser Bewertung ergeben die Matrix in Tabelle 2.6.

Tabelle 2.6 Schema der Reizbewertung

Bekannt („Alt“)

Unbekannt („Neu“)

Wichtig (1) (2)

Unwichtig (3) (4)

Quelle: In enger Anlehnung an Bielefeld (2012), S. 187.

Reize, die sowohl unwichtig als auch unbekannt sind (Feld 4), werden im Gehirn nicht weiterverarbeitet und deswegen nicht bewusst wahrgenommen. Ebenso verhält es sich bei Reizen, die zwar bekannt aber als unwichtig klassifiziert werden. Ein Reiz der bekannt und

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 67

wichtig ist, wird vom Gehirn mit geringem Bewusstseinsaufwand verarbeitet. Zu dem Reiz bestehende neuronale Netze werden aktiviert und eine kognitive Beschäftigung mit dem Objekt ausgelöst (vgl. Roth/Menzel 1996, S. 273). Aus Sicht der Markenführung ermöglicht also erst ein im neuronalen Netzwerk des Nachfragers verankertes Marken-Netzwerk die bewusste Beachtung der betroffenen Marke (Feld 1). Die geringe Bewusstseinsanstrengung des Nachfragers kann in diesem Fall allerdings auch nachteilige Wirkungen haben: Durch die geringe Aufmerksamkeit, die der Prozess erzeugt, können neue Informationen, wie bspw. zusätzliche Packungshinweise oder Informationen zu einer neuen Rezeptur eines Produktes, beim Nachfrager unberücksichtigt bleiben (vgl. Bielefeld 2012, S. 188).

Die stärkste Aufmerksamkeits- und damit auch Bewusstseinswirkung erzeugen Reize, die sowohl wichtig als auch neu sind (Feld 2). Wobei sowohl die Einschätzung der Wichtigkeit als auch der Neuheit eines Reizes in Bezug zum individuell bereits Bekannten gesehen werden muss. Um als wichtig und neu erkannt zu werden, muss eine Verknüpfung mit den bestehenden assoziativen, neuronalen Netzwerken eines Nachfragers möglich sein. Eine starke Reizwirkung kann daher nur von einer Marke ausgehen, zu der ein Nachfrager ein solches Netzwerk bereits aufgebaut hat (vgl. Bielefeld 2012, S. 188).

Ist ein Reiz stark genug, weitere Aufmerksamkeit zu erhalten, erfolgt eine umfassende Bewertung. Diese erfolgt erneut auf Grundlage der im Gedächtnis bereits gespeicherten Informationen. Die Bewertung einer Marke erfolgt dabei zumeist entweder im Vergleich zu alternativen Angeboten („Ist Marke A oder Marke B besser?“) oder auch im Vergleich zum Nichtkauf („Ist mir diese Marke im Augenblick so viel Aufmerksamkeit wert?“). In diesen Bewertungsprozess fließt eine Fülle von Informationen ein, die dem Nachfrager zum Zeit-punkt der Bewertung nur zu einem Teil bewusst sind. Je alltäglicher ein Kaufprozess dabei ist, z.B. beim Kauf von Kaffee im Supermarkt, desto stärker wird die Bewertung von Gefüh-len wie Freude oder Genuss (allgemein: Belohnungen) bestimmt, die mit der Marke assozi-iert werden. Die gespeicherten Gefühle basieren dabei unmittelbar auf den vermittelten symbolischen Nutzenassoziationen einer Marke zur Bedürfnisbefriedigung (vgl. Bielefeld 2012, S. 192).

Zusammenfassend zeigen die Ausführungen, dass die Verhaltensrelevanz einer Marke sich vor allem aus der Wahrnehmung und Einspeicherung der symbolischen Nutzenassoziatio-nen beim Nachfrager ergibt. Je ausführlicher und tiefer diese Codierung ist (zu erreichen vor allem durch episodisch-autobiographische Erinnerungen), desto verhaltensrelevanter und damit stärker ist die Marke (vgl. Bielefeld 2012, S. 232).

2.3.2.3 Speicherung markenbezogener Informationen im Gedächtnis

Nach der neuroökonomischen Forschung unterscheiden sich starke von schwachen Marken durch stärker verfestigte assoziative, neuronale Netzwerke. Dieser Zusammenhang kann auch als Vertrautheit des Nachfragers mit einer Marke beschrieben werden. Die Marken-vertrautheit gibt dem Nachfrager dabei die Sicherheit beim Kauf einer Marke die für ihn subjektiv wichtige Belohnung zu erhalten (vgl. Birbaumer/Schmidt 2006, S. 617). Die Erfül-lung der erwarteten Belohnung bzw. das Ausbleiben dieser Belohnung wird vom Nachfra-

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68 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

ger in seinem Belohnungsgedächtnis gespeichert. Die in der Vergangenheit erlebten Beloh-nungen im Gedächtnis erzeugen als Belohnungserwartungen die Motivation zur erneuten Auswahl einer Marke (vgl. Roth 2007a, S. 149 ff.). Der mit der Wahrnehmung von Marken einhergehende Prozess der Speicherung und Abrufung von Informationen in und aus asso-ziativen, neuralen Netzwerken ist Gegenstand von Abbildung 2.13.

Abbildung 2.13 Prozess der Informationsverarbeitung, Gedächtnissysteme und Marken-wirkung

Quelle: In enger Anlehnung an Bielefeld (2012), S. 244.

Die Darstellung zeigt die Verarbeitung von Markenreizen in den Gedächtnissystemen ent-sprechend ihrer inhaltlich-hierarchischen Bedeutung für den Menschen. Der Prozess der Informationsverarbeitung beginnt mit der Wahrnehmung der Markenreize. Diese werden zunächst im Ultrakurzzeitgedächtnis vorverarbeitet. Hier zerfällt der Reiz ohne bewusste

Gedächtnissysteme neuropsychologische Prozesse Markenwirkungen

Wahrnehmung der Markenreize (Ultrakurzzeit-Gedächtnis)

6. autobiograf isches Gedächtnis

5. episodisches Gedächtnis

3. semantisches Gedächtnis

2. perzeptuelles Gedächtnis

1. Priming

6.1 Selbst-Bezug der Assoziationen

6.2 Persönliche Identif ikation mit der Marke

5.1 Ereignisse und Erfahrungen in Zeit und Raum

4.1 Belohnungswert undemotionale Bedeutung

3.1 semantische/ kognitive Bedeutung

2.1 perzeptuelle Verarbeitung

5.2 symbolisch vermitteltes Nutzenerleben

4.2 symbolische Nutzenassoziationen undemotionale Auf ladung

3.2 Erkennen des Nutzenversprechens

2.2 passive (visuelle) Marken(wieder-)erkennung(gestützte Markenbekanntheit)

1.1 Priming-Effekt: „Bahnung“

Unterschwellige, nicht bewusst verarbeitete Reize

1.2 vorbewusste „Bekanntheit“ als Folge von Wiederholungen („Vertrautheit“)

Reize zerfallen sofort nach ihrer Wahrnehmung im Ultrakurzzeit-Gedächtnis

4. emotionales Gedächtnis

Wahrnehmungsschwelle (Verarbeitungsfilter)

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 69

Wahrnehmung, wenn er nur sehr kurz wahrgenommen wird (nicht länger als 50 Millise-kunden) und nicht im Fokus der Aufmerksamkeit liegt, nicht von stärkeren Reizen überla-gert oder als unwichtig eingestuft wird (vgl. Roth 2003a, S. 229 sowie Dehaene et al. 2006, S. 3 f.).

Ist der Reiz hingegen ausreichend stark, erfolgt auf der nächsten Ebene das sog. Priming, bei dem ein vorangegangener Reiz bereits vorhandene Gedächtnisinhalte aktiviert und somit eine etwas leichtere Verarbeitung ermöglicht. Priming ermöglicht einem Nachfrager damit die schnellere Wahrnehmung bei wiederholter Präsentation des Reizes, bspw. bei der Suche nach einer nur sehr vage und flüchtig bekannten Marke im Supermarktregal (vgl. Roth 2003a, S. 229).

Steigt die Reizwirkung einer Marke weiter (vgl. Abbildung 2.13), wird der Reiz also be-wusst beachtet, folgt die eigentliche perzeptuelle Verarbeitung des Stimulus. Die perzep-tuelle Verarbeitung beschränkt sich dabei zunächst auf die tatsächlich Wahrnehmung, ohne dass bereits das gesamte Markennetzwerk aktiviert wird. Der Reiz wird mit den im Ge-dächtnis gespeicherten Informationen verglichen, so dass ein Erkennen der Marke z.B. anhand der typischen Verpackungsgestaltung oder des Logos möglich wird. Konkret han-delt es sich bei diesem Effekt um gestützte Markenbekanntheit, da eine (im Regal) präsen-tierte Marke vom Nachfrager wiedererkannt wird (vgl. Bielefeld 2012, S. 246).

Die nächste Ebene des Verarbeitungsprozesses bildet das semantische Gedächtnis. Der Nachfrager nimmt auf dieser Stufe die Bezeichnung und Bedeutung der Marke wahr. Hier-bei handelt es sich um die Marke, ihre Produkte, ihre Eigenschaften, den Preis usw. Diese Art der Information wird zunächst nur als Nutzenversprechen im semantisch-kognitiven Sinne, also rational, wahrgenommen. Dies umfasst noch keine assoziative Verknüpfung mit den im assoziativen, neuronalen Netzwerk hinterlegten Informationen. Es handelt sich auf dieser Verarbeitungsebene demnach um ein rein rationales Verstehen der betrachteten Marke (vgl. Bielefeld 2012, S. 247; Roth 2003, S.91).

Die emotionale Interpretation der Marke erfolgt auf der nächsten Stufe der Reizverarbei-tung im emotionalen Gedächtnis. Hierzu werden die semantisch und symbolisch vermit-telten Markenreize anhand der im Gedächtnis gespeicherten Emotionen bewertet und ge-wichtet. Dieser Schritt ist für das Markenmanagement von entscheidender Bedeutung, da durch die Verknüpfung der Markenreize mit den gespeicherten Emotionen die Marke emo-tional aufgeladen wird. Das Nutzenversprechen wird zu emotionalen Nutzenassoziationen transformiert. Dieses Wissen wird gleichzeitig in die neuronalen Netzwerke integriert, wodurch die Marke einen subjektiven Belohnungswert für den Nachfrager erhält (vgl. Bielefeld 2012, S. 247 f.).

Bei wiederholter Verwendung einer Marke verbinden sich diese Informationen im episodi-schen Gedächtnis zu gespeicherten Verhaltensmustern (Handlungsabläufen). Finden die wiederholten Verwendungen zu typischen Anlässen statt, wie bspw. der morgendlichen Gesichtspflege mit derselben Kosmetikmarke, so wird ebenfalls die Verhaltensgewohnheit mit den Markenassoziationen verbunden.

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70 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Eine noch stärkere emotionale Relevanz entsteht, wenn die Verwendung einer Marke eine autobiographische Bedeutung besitzt und somit im autobiographischen Gedächtnis ge-speichert wird. Hierdurch erlangen die symbolischen Nutzenassoziationen der Marke ei-nen individuellen Selbstbezug für den Nachfrager, in dessen Folge eine ausgeprägte Identi-fikation mit der Marke entsteht. Dies gilt insbesondere für Marken, die für die Persönlich-keitsstruktur eines Nachfragers wichtig sind, wie bspw. sein Streben nach Prestige, Aner-kennung und Selbstbelohnung (vgl. Bielefeld 2012, S. 248).

Ein aus Sicht der Marke erfolgreiches Ablaufen der Wahrnehmungs- und Gedächtnispro-zesse aus Abbildung 2.13 kann demnach nur erfolgen, wenn der Markenreiz zunächst die Wahrnehmungsschwelle übersteigt. Hierzu muss er vom Nachfrager bereits unbewusst als relevant wahrgenommen werden. Je höher die Vertrautheit eines Nachfragers mit einer Marke ist, desto eher kann die Wahrnehmungsschwelle mit Hilfe des Priming-Effekts überwunden werden. Die bewusste Wahrnehmung und die damit ausgelöste tiefere Reiz-verarbeitung erfolgt in den oben beschriebenen weiteren Schritten. Um diesen Prozess ganzheitlich durchlaufen zu können, ist abermals die Vertrautheit des Nachfragers mit der Marke, zunächst auf der Ebene ihrer physischen Erscheinung (z.B. einheitliche Packungsgestaltung und gleichbleibende Logos) erforderlich. Von zentraler Bedeutung für die Markenführung ist die Erkenntnis, dass symbolische Nutzen, die ein Nachfrager einer Marke zuschreibt, nur durch die Verknüpfung der von der Marke gesendeten Informatio-nen mit dem individuellen, höchst subjektiven Wissen des jeweiligen Individuums entstehen.

2.3.2.4 Neurowissenschaftliche Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung

Von zentraler Bedeutung ist zunächst, dass Marken im Gehirn des Nachfragers durch den Vergleich der Wahrnehmung von Markenreizen mit individuellen Gedächtnisinhalten entstehen. Deswegen nehmen Nachfrager Marken meistens nicht so wahr und erleben sie nicht so, wie dies das verantwortliche Markenmanagement beabsichtigt. Im Gegensatz zu einem realen Gegenstand, der in eine konkrete und immer gleiche Form gebracht werden kann, entsteht die Markenwahrnehmung auf Basis der persönlichen und höchst subjektiven Gedächtnisinhalte jedes einzelnen Nachfragers. Um dennoch eine möglichst homogene Wahrnehmung einer Marke zu gewährleisten, muss in der Konzeption einer Marke stets überlegt und regelmäßig geprüft werden, welche kaufauslösenden Emotionen und Gefühle die Marke vermitteln soll und mit welchen assoziativen Markennetzwerken diese beim Nachfrager zu verknüpfen sind.

Von Bedeutung ist hierbei die Unterscheidung zwischen Emotionen und Gefühlen. Auch wenn beide Begriffe im üblichen Sprachgebrauch vielfach synonym verwendet werden, bezeichnen sie in der Neurowissenschaft zwei unterschiedliche Dinge. Emotionen sind den Gefühlen stets vorgelagert und lösen diese aus. Emotionen sind dabei generell nicht direkt mit dem Objekt verbunden, welches sie auslöst. Vielmehr handelt es sich um stereotype Abläufe. Die sechs universellen Emotionen sind Furcht, Glück/Freude, Trauer, Ärger, Überraschung sowie Ekel (vgl. Damasio 2000, S. 67 ff.). Die Emotionen, die ein Objekt her-vorruft, z.B. die Freude über ein kühles Glas Bier einer bestimmten Marke an einem war-

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 71

men Sommerabend, werden vom Menschen als Gefühl erlebt und neuronal direkt mit die-sem Objekt verknüpft. Im Gedächtnis wird das Gefühl in Verbindung mit dem Objekt, hier also dem Glas kühlen Biers, abgelegt und gegebenenfalls später abgerufen. Die Emotion hingegen wird nicht erinnert.

Die Reizwirkung, die eine Marke auf den Nachfrager ausübt, wird hierarchisch verarbeitet und gespeichert. Die wahrgenommenen Reize werden dabei zunächst anhand von marken-typischen Gestaltungsmerkmalen identifiziert und erst im nächsten Schritt mit gespeicher-ten Gefühlen angereichert. Damit eine Marke vom Nachfrager wahrgenommen wird, muss die Reizwirkung bereits auf einer unbewussten Ebene als subjektiv wichtig eingestuft wer-den. Bereits diese Einstufung wird im Gehirn gespeichert.

Sämtliche Informationen über eine Marke, z.B. Markenlogo, Verpackung, Produkte, Jingle etc. werden durch den Nachfrager nicht ganzheitlich wahrgenommen und gespeichert. Vielmehr werden diese Informationen in kleinste Informationseinheiten zerlegt, wahrge-nommen und danach in Form von assoziativen, neuronalen Markennetzen zusammenge-setzt und gespeichert. Je markentypischer bestimmte Gestaltungsmerkmale sind, sowohl bzgl. unterschiedlicher Produkte unter dem Dach einer Marke als auch im Zeitverlauf, desto stärker kann sich das neuronale Markennetzwerk beim Nachfrager verfestigen. Je stärker das Netzwerk gefestigt wurde, desto verhaltensrelevanter und damit stärker ist die Marke. Gleichzeitig kann sie sich dadurch auch besser gegen andere Marken, deren Netz-werke nicht so stark verfestigt sind, durchsetzen. Umgekehrt verhält es sich bei mangeln-der Konstanz und Konsistenz in der Markengestaltung. Häufige Wechsel und uneinheitli-che Gestaltungen führen zu einer Erhöhung der notwendigen neuronalen Sub-Netze, da für jede Gestaltungsvariante ein eigenes Netz gebildet werden muss. Dies verhindert die Verfestigung eines neuronalen „Kern-“Netzes und schwächt damit die Repräsentation der Marke im Gehirn des Nachfragers (vgl. Bielefeld 2012, S. 444).

Die sensorischen Informationen ermöglichen dem Nachfrager die Zuordnung eines Mar-kenreizes zu der entsprechenden Marke. Darüber hinaus bieten sie ihm erst die Möglich-keit, die Markenbotschaft aufzunehmen und zu verstehen. Darüber hinaus werden die Informationen im neuronalen Markennetzwerk mit Emotionen und Gefühlen sowie indivi-duellen episodischen Erinnerungen verknüpft. Durch diese Verbindung wird eine Bewer-tung der Markenreize hinsichtlich der persönlichen Relevanz und dem Grad der Neuheit für den Nachfrager möglich. Diese Bewertung entscheidet darüber, ob ein Nachfrager ei-nem Markenreiz Aufmerksamkeit zuwendet und somit letztlich, ob eine Marke gekauft wird oder unbeachtet bleibt. Emotionen können dabei für unterschiedliche Marken einheit-lich sein. Zu denken ist bspw. an die Emotionen der „Freude“ eines überzeugten Biertrin-kers bei den Biermarken Jever oder Paulaner. Gefühle hingegen unterscheiden sich teils erheblich zwischen den Marken (vgl. Bielefeld 2012, S. 445 f.). Bei den obigen Biermarken kann davon ausgegangen werden, dass die Gefühle zwischen der „nordischen“ Marke Jever und dem „bayrischen“ Paulaner sehr unterschiedlich ausfallen. Die von einer Marke beim Nachfrager ausgelösten Gefühle bilden damit den Kern des Markenerlebnisses und sind als Differenzierungsmerkmal der zentrale Ansatzpunkt für das identitätsba-sierte Markenmanagement.

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72 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Je stärker die von den Markenreizen vermittelten symbolischen Nutzenassoziationen mit den Persönlichkeits- und Bedürfnisstrukturen eines Nachfragers verknüpft sind (autobio-graphische Markeninformationen), desto stärker ist auch die Identifikation und in der Folge die Bindung des Nachfragers an die Marke. Symbolische Nutzenassoziationen können allerdings nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie für den Nachfrager eine individuelle Bedeutung und Relevanz aufweisen (vgl. Bielefeld 2012, S. 447). Als Konsequenz für das Markenmanagement bedeutet dies, dass eine Marke nur bei einem weitgehend homogenen Teil der Nachfrager, mit ähnlichen neuronalen Netzwerkinhalten, die beabsichtigten sym-bolischen Nutzenassoziationen fest verankern kann. Die Auswahl der Nutzendimensionen und ihr Abgleich mit den relevanten Nachfragergruppen im Sinne einer Markenpositionie-rung erhält damit auch aus neurowissenschaftlicher Sicht einen zentralen Stellenwert für die Markenführung.

Die feste Verankerung der Marke im neuronalen Netzwerk eines Nachfragers kann aus neurologischer Sicht als Markenstärke und damit als Verhaltensrelevanz einer Marke ver-standen werden. In diesem Sinne besitzen starke Marken eine Fülle synaptischer Verbin-dungen, in denen die typischen, prägnanten sensorischen Merkmale einer Marke mit den emotional getönten Nutzenassoziationen des Nachfragers verbunden sind. Markennetz-werke werden durch immer wieder neue Wahrnehmungen der Marke und mit ihr assozi-iertem Verhalten verstärkt. Gespeichert werden dabei Informationen über das eigene Ver-halten, z.B. Kauf, Verwendung und Verwendungsanlässe, sowie das Erleben, z.B. Erfah-rungen und Bestätigung durch Dritte. Bei jeder ähnlichen Situation wird das so gefestigte Markennetzwerk aktiviert und wirkt verhaltenssteuernd auf den Nachfrager (vgl. Bielefeld 2012, S. 447).

Die dargestellten Erkenntnisse der Neurowissenschaften für die Markenführung besitzen für das tiefergehende Verständnis des Nachfragerverhaltens einen großen Wert. Dieser liegt allerdings weniger in radikalen neuen Erkenntnissen, als vielmehr in Vertiefungen, einer stärkeren Ausdifferenzierung und der Bestätigung grundlegend bereits bekannter Erkenntnisse. Die Existenz eines Zusammenhangs zwischen neuralen Vorgängen und dem Verhalten ist in der Psychobiologie bereits in den 1970er Jahren untersucht worden (vgl. Birbaumer 1975, S. 3). Bereits damals wurde erkannt, dass die Wahrnehmung von Reizen über Mustervergleiche mit gespeichertem Wissen erfolgt und Informationen in neuralen Zellverbänden abgelegt werden (vgl. Birbaumer 1975, S. 147). Auch die große Bedeutung von Gefühlen für Kaufentscheidungen ist im Marketing seit über 50 Jahren bekannt, kann nun aber dank neurobiologischer Analysen fundiert nachgewiesen werden.

Die heutige Entwicklung und insbesondere die große Popularität der Neuroökonomie basiert vielfach auf technischen Entwicklungen, mit deren Hilfe Vorgänge im Gehirn bild-haft dargestellt werden können. Mit Hilfe dieser bildgebenden Verfahren, z.B. der Magnet-resonanztomographie (MRT), kann grob verdeutlicht werden, welche Hirnregionen bei bestimmten Reizen aktiviert werden. Doch sind die Erkenntnisse aus diesen Untersuchun-gen mit sehr großer Vorsicht zu betrachten. Dies liegt einerseits an der unzureichenden Auflösungsqualität der bildgebenden Verfahren und an der hohen Beeinflussbarkeit der Bildgebung durch den Anwender (vgl. Vul et al. 2009); andererseits an der oft sachlich

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 73

falschen und „marktschreierisch-verkürzten“ Interpretation bildgebender Analysen durch selbsternannte Experten aus der Betriebswirtschaftslehre und insbesondere im Marketing (vgl. Bielefeld 2012, S. 264 ff.).

Wie Bielefeld (2012) anhand zahlreicher Beispiele zeigt, kann auch die Neurowissenschaft keinen „Kaufknopf“ im Gehirn der Nachfrager identifizieren. Einer großen Popularität erfreut sich in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass Menschen die Fronten von Autos wie menschliche Gesichter wahrnehmen. Eine Konsequenz hieraus soll, so die Ver-treter dieser Ansicht, darin bestehen, dass sympathische Autofronten positiver empfunden werden und in der Folge zu höheren Absatzzahlen führen. Grundlage dieser Interpretation ist die Erkenntnis bildgebender Verfahren, dass gleiche Hirnareale aktiviert werden, wenn Probanden Fotos von Gesichtern und Autofronten sehen. Ob es sich hierbei allerdings tat-sächlich um eine Gleichstellung von Gesicht und Autofront handelt, kann anhand dieses Befundes nicht belegt werden (vgl. Bielefeld 2012, S. 276 ff.).

2.3.3 Zusammenhang zwischen Markenidentität, Markenimage und Markenpositionierung

Den Zusammenhang zwischen der Gestaltung der Markenidentität und dem Markenimage zeigt zusammenfassend Abbildung 2.14. Die Ausgestaltung der sechs Komponenten der Markenidentität bestimmt das Markennutzenversprechen. Es verdichtet die Komponenten der Markenidentität zu sehr wenigen, kurzen Aussagen und übersetzt diesen verdichteten Kern in ein für die externe Zielgruppe leicht verständliches Versprechen über die von der Marke gebotene Bedürfnisbefriedigung. Das Markennutzenversprechen basiert auf den Komponenten der Identität und versucht, die für das Kaufverhalten der anvisierten Ziel-gruppe wichtigsten Bedürfnisse gegenüber Marken im jeweiligen Markt wettbewerbsdiffe-renzierend abzudecken. Die Markenerwartungen der externen Zielgruppen werden nicht nur vom Markennutzenversprechen, sondern vor allem von den Motiven der Zielgruppe und den mit der Marke gesammelten Erfahrungen aus der Vergangenheit bestimmt. Diese Erfahrungen schlagen sich im Markenimage nieder.

Das Markenverhalten umfasst sowohl die technisch-funktionalen Leistungen der Marke (bspw. die Reinigungsleistung und den Duft der Marke Pril), als auch das Verhalten sämtli-cher Mitarbeiter einer Marke im Kontakt zum Nachfrager und alle weiteren Kontakte des Nachfragers mit der Marke (bspw. in der klassischen Werbung oder im Internet). Dem Markenverhalten steht somit unmittelbar das tatsächliche Markenerlebnis des Nachfra-gers, also seine Eindrücke bei der Interaktion mit der Marke, gegenüber. In diesem Zu-sammenhang können das Markenversprechen und die Bedürfnisse der Nachfrager gegen-über der Marke als „Soll-Größe“ verstanden werden, wohingegen das Markenverhalten und das -erlebnis tatsächliche „Ist-Größen“ bilden. Eine tiefergehende Darstellung der Interaktion zwischen der Markenidentität und dem Markenimage erfolgt im Rahmen des operativen Markenmanagements in Kapitel 4 des vorliegenden Buches. Die Analyse mögli-cher Abweichungen von „Soll-“ und „Ist-Zustand“ ist Gegenstand des Markencontrollings und wird im 5. Kapitel vertieft.

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74 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.14 Zusammenhang zwischen Markenidentität und Markenimage

Quelle: Eigene Darstellung.

2.3.4 Die Marke-Kunde-Beziehung

Im Rahmen der identitätsbasierten Markenführung ist es ein vorrangiges Ziel der Marke, über einen einmaligen Austauschprozess mit einem Nachfrager eine langanhaltende und stabile Beziehung aufzubauen. Bereits in den Ausführungen zur Markenidentität in Kapitel 2.2 wurde festgestellt, dass die Wechselseitigkeit zwischen der internen und externen Ziel-gruppe einer Marke ein konstitutives Merkmal der Markenidentität ist. Der wechselseitige Austausch zwischen den Beteiligten drückt sich im Beziehungsaufbau zwischen der Marke und ihren Kunden aus. Gelingt es dem markenführenden Unternehmen nach dem Erstkon-takt wiederholte Kontakte zum Nachfrager aufzubauen, kann hieraus eine Marke-Kunde-Beziehung erwachsen (vgl. Wenske 2008, S. 91). Die Marke-Kunde-Beziehung beschreibt den Grad der subjektiv wahrgenommenen, kognitiven und affektiven Verbundenheit eines Nachfragers mit einer Marke (in Anlehnung an Burmann/Meffert 2005b, S. 101).

Eine stabile Marke-Kunde-Beziehung bietet sowohl dem Unternehmen als auch dem Nach-frager eine Reihe wichtiger Vorteile. Aus Anbietersicht eröffnet die Beziehung insbesondere erlösseitige Vorteile, die sich primär in einer höheren Güte der Absatzprognose nieder-schlagen. Die verbesserte Vorhersagbarkeit zukünftiger Verkäufe führt dabei zu stabileren

Marken-bedürfnisse

Marken-erlebnis

Markennutzen-versprechen

Marken-verhalten

Marke-Kunden-Beziehung

Externes Marktwirkungskonzept:Markenimage

Markenbekanntheit

Internes Führungskonzept:Markenidentität

HerkunftWoher kommen wir?

Kompetenzen Was können wir?

VisionWohin wollen wir?

PersönlichkeitWie kommunizieren wir?

WerteWoran glauben wir?

Leis

tung

enW

as v

erm

arkt

en w

ir?

Fremdbild derexternen Zielgruppen

Selbstbild derinternen Zielgruppen

Funk

tiona

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Mar

kenn

utze

n

Subjektives Markenwissen:

Kompetenzen

Werte

Leistungen

Vision

Persönlichkeit

Herkunf t

Bedürfnisse

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 75

Preisen, einer besseren Planung der Produktionskapazitäten (vgl. Han/Wilson/Dant 1993, S. 335) und vor allem zu einer reduzierten Volatilität der Zahlungsströme einer Marke (Risikoreduktion) und damit zu einem niedrigeren Diskontierungszinssatz. Dies erklärt ceteris paribus den ökonomischen Wert einer Marke. Darüber hinaus führt der wechselsei-tige Austausch mit Nachfragern zu einem besseren Verständnis der Kundenbedürfnisse. Dieser Informationsvorteil auf Seiten der Markenführung führt zur Stabilisierung und Ausdehnung der Umsätze (vgl. Bruhn 2001, S. 3).

Abbildung 2.15 Zusammenhang zwischen der Marke-Kunde-Beziehung und dem Share of Wallet sowie der Abwanderungsrate

Quelle: Wenske (2008), S. 16.

Share of Wallet

gering hoch

gering hoch

Festigkeit der Marke-Kunden-Beziehung

Festigkeit der Marke-Kunden-Beziehung

AbwanderungsrateInnerhalb von

18 Monaten

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76 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Empirisch konnte gezeigt werden, dass die Verbundenheit von Nachfragern mit einer Mar-ke zu einer Ausdehnung des Anteils am Beschaffungsvolumen der Kunden in einer Pro-duktkategorie mit dieser Marke führt (vgl. Diller 1995, S. 445 f.). Dieser sog. Share of Wallet misst den prozentualen Anteil der Ausgaben eines Nachfragers in einer Produktkategorie, den er für eine bestimmte Marke aufwendet. Ein Share of Wallet von 100% impliziert, dass ein Nachfrager in einer bestimmten Produktkategorie ausschließlich eine Marke kauft. Ein niedriger Share of Wallet hingegen zeigt, dass der Nachfrager in dieser Produktkategorie weitgehend indifferent zwischen vielen verfügbaren Marken hin und her wechselt. Damit steht diese Maßzahl in unmittelbarem Zusammenhang zur Loyalität der Nachfrager. Eine stabile Marke-Kunde-Beziehung steigert die Loyalität der Nachfrager. Diese Zusammen-hänge belegt eine Studie von TNS Emnid auf Grundlage von Verkaufszahlen in unter-schiedlichen Produktkategorien aus dem Jahr 2002 (vgl. Abbildung 2.15).

Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, steigt der Share of Wallet im Vergleich von Nachfra-gern mit einer geringen zu einer starken Marke-Kunde-Beziehung nahezu um das Fünf-fache an. Parallel dazu sinkt die tatsächliche Abwanderungsrate der Nachfrager zu anderen Marken von 61% auf 13%. Wenske (2008, S. 269) und Stichnoth (2008, S. 95) konnten zudem empirisch in ihren Befragungen von 2.403 bzw. 2.121 Nachfragern nachweisen, dass die Festigung der Marke-Kunde-Beziehung zu einer Steigerung der Wiederkaufintention, einer höheren Preisbereitschaft sowie einer höheren Weiterempfehlungsintention führt. Die Rela-tion der Beziehungsdauer zu den daraus resultierenden Gewinnen zeigt im Überblick Ab-bildung 2.16.

Abbildung 2.16 Gründe für die höhere Profitabilität gebundener Kunden

Quelle: In enger Anlehnung an Reichheld/Sasser Jr. (1990), S. 108.

Kunden-akquisitions-kosten

Jahr

Grundgewinn

Gewinn durch Steigerungder Kauffrequenz

Gewinn durch reduzierteBearbeitungskosten

Gewinn durch Weiterempfehlungen

Gewinn durch höherePreisbereitschaft

Unternehmensgewinn

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Konzeptionelle Ausgestaltung der identitätsbasierten Markenführung 77

Auffällig in den Ergebnissen der in Abbildung 2.16 zitierten Autoren ist der Umstand, dass der Gewinn eines Unternehmens durch einen neuen Kunden in Jahr 1 gerade die Kosten für seine Akquisition aufwiegt. Eine anhaltende Beziehung zu diesem Kunden versechs-facht den Gewinn, den das Unternehmen mit ihm erzielt.

Die Bindung von Kunden ist jedoch nicht nur aus Sicht des Unternehmens vorteilhaft. Auch für die Nachfrager eröffnen sich Vorteile durch die Bindung zu einer Marke. Auf Grundlage einer Befragung von 299 Nachfragern im Dienstleistungssektor wiesen Gwinner/Gremler/Bitner (1998) drei zentrale Nachfragernutzen nach, die sich aus der Be-ziehung zu einer Marke ergeben (vgl. Abbildung 2.17).

Abbildung 2.17 Nachfragerseitige Nutzen einer Marke-Kunde-Beziehung

Quelle: Wenske 2008, S. 20.

So ergeben sich durch die positiven Erfahrungen, die ein Nachfrager bei wiederholtem Kontakt zu einer Marke macht, zunächst Vorteile durch hieraus erwachsendes Vertrauen und die erlebte Zufriedenheit (psychologische Belohnungen). Zusammen führt dies zu einer Reduktion der wahrgenommenen Unsicherheit. Der soziale Nutzen, den ein Nachfra-ger bei wiederholtem Kontakt zu einer Marke erzielt, erwächst vorrangig aus dem qualita-tiv hochwertigerem Kontakt zu den Markenmitarbeitern. Beispielsweise können ihm die Mitarbeiter, mit denen er Kontakt hat nach einer gewissen Zeit vertraut sein. Gleichzeitig

Confidence benefits

SozialeKontakte mitdem Anbieter

Preis-nachlässe

Reduzierte Unsicherheit

Vertrauen

Zufriedenheit

Kunden-spezifischeLeistungs-anpassung

SchnellereLeistungs-erfüllung

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78 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

ist auch der Nachfrager den Mitarbeitern bekannt und kann je nach Branche persönlich oder zumindest personalisiert angesprochen werden. Als dritte Nutzenkategorie erwach-sen dem Nachfrager aus einer anhaltenden Marke-Kunde-Beziehung Vorteile durch kun-denspezifische Anpassungen der Markenleistung. Hierzu zählen Preisnachlässe, Prämien oder bevorzugte Behandlung durch Kundentreueprogramme wie beispielsweise das Viel-fliegerprogramm „Miles & More“ der Lufthansa. Zudem erfahren Nachfrager bei anhalten-den Beziehungen zu Marken häufig auch eine schnellere Leistungserfüllung durch die Mitarbeiter. Eine weitere Zeitersparnis ergibt sich zudem durch den Wegfall der Zeit, die sonst für die Suche nach Alternativen aufgewendet werden müsste.

Zum Aufbau von dauerhaften Beziehungen ist sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch zwischen Marken und ihren Nachfragern eine klare, d. h. eine zeitpunkt- und zeitraumbezogen (Konsistenz, Kontinuität) stimmige Identität notwendig. Der Beziehungs-aufbau benötigt jedoch Geduld und ein hohes Maß an Marktorientierung (vgl. Hanser 2007, S. 26 ff.). Zusammenfassend ist die Marke-Kunde-Beziehung durch ihren monetären Erfolgs-beitrag die Grundlage für den ökonomischen Wert einer Marke (vgl. Burmann 2005, S. 856).

2.4 Markenvertrauen in der identitätsbasierten Markenführung

2.4.1 Relevanz des Markenvertrauens

Eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau starker Marken ist das Vertrauen der Nach-frager in die Marke. In diesem Zusammenhang untersuchte die Firma Brands & Values mit dem Markenverband 2009 den Zusammenhang zwischen Markenimage und -präferenz und dem Vertrauen gegenüber einer Marke, ihrer emotionalen Nähe, der Differenzierungs-kraft und ihrer technologischen Fortschrittlichkeit. Im Rahmen der Untersuchung wurden 5.028 Personen online zu insgesamt 357 Marken befragt. Die Studie zeigte, dass Vertrauen den stärksten Zusammenhang zum Markenimage aufweist und auch bezüglich der Mar-kenpräferenz eine herausragende Stellung einnimmt (vgl. Abbildung 2.18).

Darüber hinaus besitzt das Vertrauen der Nachfrager in eine Marke auch einen direkten Zusammenhang zum Markenwert. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse der BrandZ Mar-kenwertstudie von Millward Brown einen starken Anstieg des Markenwerts bei zunehmen-dem Vertrauen der Nachfrager in die Marke. Für die BrandZ Markenwertstudie werden jähr-lich ca. 150.000 Personen weltweit zu über 60.000 Marken befragt (Millward Brown 2012).

Vertrauen konnte auch als ein wichtiges Differenzierungsmerkmal identifiziert werden. TNS Infratest (2009) zeigte in der Studie „Building Brands in Troubled Times“ auf Grund-lage von 1.026 Befragten in Deutschland, dass das Vertrauen beispielsweise im Automobil-bereich ein wichtiger Treiber für die Markendifferenzierung ist. Qualität wird in dieser Studie den Automobilmarken in Deutschland zwar stark zugesprochen, besitzt aber nicht die differenzierende Kraft des Vertrauens.

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Markenvertrauen in der identitätsbasierten Markenführung 79

Abbildung 2.18 Korrelationsergebnisse der Ethical Brand Monitor Studie

Quelle: Brands & Values, Markenverband (2009).

Hegner (2012) konnte im Rahmen einer internationalen Studie ebenfalls nachweisen, dass Markenvertrauen eine sehr starke Wirkung auf das Kaufverhalten der Nachfrager in Deutschland, Südafrika und Indien besitzt (vgl. Hegner 2012, S. 248). Ihre Studie wurde 2012 mit dem Wissenschaftspreis des deutschen Markenverbandes ausgezeichnet (vgl. Pressemitteilung des Markenverbandes vom 06.06.2012).

Die herausragende Bedeutung von Vertrauen für den Markenerfolg wird heute in der Wis-senschaft nicht mehr bestritten (vgl. Bruhn/Eichen 2007, S. 245; Plötner 1995, S. 50). Auch in der Praxis setzt sich diese Erkenntnis zunehmend durch. Nicht zuletzt auch deswegen, weil das Beispiel der Banken und vieler Finanzdienstleister gezeigt hat, dass bei einem massiven Vertrauensverlust Unternehmen zunächst ihre Legitimität in der Gesellschaft verlieren, danach ihre Rentabilität einbricht und am Ende die Insolvenz droht. Vor diesem Hinter-grund schrieb das Management von Pampers im Rahmen einer Rückrufaktion aus dem Jahr 2010 auf Facebook: „TRUST: To those of us who work at Pampers, trust is more than a word. It's our mission. Parents trust us with their babies, and that is a responsibility that we take to heart. For nearly 50 years, we've worked with parents and babies to continually improve the way our diapers wrap babies in comfort and protect them as they grow. We're humbled by the trust parents place in us, and we work hard each day to earn and keep it.”

Die klare Kommunikation des Vertrauens in die Marke im Rahmen der Rückrufaktion zeigt zudem einen weiteren positiven Aspekt des Markenvertrauens: Bringen Nachfrager einer Marke Vertrauen entgegen, wirkt dieses wie ein Schutzschild gegen potentielle Schäden durch zukünftige Krisen (vgl. Edelmann 2011).

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80 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

2.4.2 Gegenstand des Markenvertrauens

Markenvertrauen ist die Bereitschaft eines Nachfragers, sich gegenüber der Marke verletz-bar zu machen. Diese Bereitschaft beruht auf der Überzeugung, dass eine Marke sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft aufweist, ihr Nutzenversprechen zu erfüllen (vgl. Hegner 2012, S. 59). Markenvertrauen ist somit nur bei der Existenz subjektiv empfundener Risiken relevant, weil erst diese Risiken den Nachfrager „verletzbar“ machen. Je größer subjektiv empfundene Risiken sind, desto wichtiger wird das Markenvertrauen als Deter-minante des Kaufverhaltens.

Marken genießen Vertrauen, wenn sie die von ihnen abgegebenen Versprechen halten. Indem sie heute das Vertrauen nicht enttäuschen, rechtfertigen sie das Vertrauen in der Zukunft. Der Aufbau des Vertrauens setzt damit bereits vor den eigentlichen Transaktio-nen zwischen der Marke und dem Nachfrager an. Voraussetzung für Vertrauen ist die Konsistenz und Kontinuität der Identität einer Marke (vgl. Burmann/Meffert 2005, S. 67). Konsistenz als Grundlage für Vertrauen ergibt sich aus der Übereinstimmung zwischen Markennutzenversprechen und Markenverhalten. Nur wenn Nachfrager beide Komponen-ten als identisch wahrnehmen, erscheint eine Marke zuverlässig und beweist damit ihre Leistungsfähigkeit (vgl. Blinda 2007, S. 107). Kontinuität beschreibt über die reine Zeit-punktbetrachtung hinaus die zeitliche Stabilität der essentiellen Markenidentitätsmerkma-le. Die zeitliche Stabilität versetzt den Nachfrager in die Lage, das Markennutzenverspre-chen mit dem historischen Markenverhalten zu vergleichen. Nur wenn auch hier eine hohe Deckungsgleichheit besteht, signalisiert die Marke eine nachhaltige Bereitschaft, das Mar-kennutzenversprechen auch längerfristig einzuhalten. Es bedarf demnach sowohl der wahrnehmbaren Leistungsfähigkeit als auch der Leistungsbereitschaft einer Marke, damit ein Nachfrager einer Marke Vertrauen entgegenbringt (vgl. Hegner 2012, S. 52).

Die Beurteilung des Vertrauens in eine Marke findet durch den Nachfrager allerdings nicht als direkter Vergleich zwischen Markenversprechen und Markenerlebnis statt. Vielmehr setzt sich das Markenvertrauen aus insgesamt vier Dimensionen zusammen (vgl. Hegner 2012, S. 111). Diese können unterteilt werden in zwei kognitive und zwei affektive Dimen-sionen. Zu den kognitiven Dimensionen des Vertrauens gehören die einer Marke zugespro-chene Kompetenz sowie ihre Berechenbarkeit. Demgegenüber bilden das wahrgenommene Wohlwollen einer Marke und deren empfundene Integrität die affektiven Dimensionen. Markenvertrauen entsteht somit kognitiv und affektiv. Könnte Vertrauen auf rein kogniti-ver Basis beurteilt werden, würde es sich um gesichertes Wissen handeln. Bei einer rein affektiven Beurteilung wäre „blinder“ Glauben der passendere Begriff (vgl. Hegner 2012, S. 14).

Inhaltlich spiegelt die Beurteilung der Kompetenz einer Marke die Zuversicht des Nach-fragers wider, dass die Marke alle nötigen organisatorischen Fähigkeiten zur Erbringung des versprochenen Markennutzens besitzt (vgl. z.B. Brodie/Whittome/Brush 2009). Im Hin-blick auf die Vertrauenswirkung der wahrgenommenen Kompetenz einer Marke konnte Hegner zeigen, dass sich diese in die einzelnen Faktoren Produktkompetenz, Marktwissen und Leistungsgüte aufteilt (vgl. Hegner 2012, S. 250). Produktkompetenz und Leistungsgü-te spiegeln dabei die Fähigkeit zur Umsetzung des Markennutzenversprechens wider. Das

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Markenvertrauen in der identitätsbasierten Markenführung 81

Marktwissen hingegen ist ein Maß dafür, inwieweit Nachfrager den Eindruck haben, dass ein Unternehmen relevante Informationen über seinen Markt besitzt. Um eine Stärkung des Vertrauens über die wahrgenommene Kompetenz bei den Nachfragern zu erzielen, muss innerhalb des Unternehmens zunächst ermittelt werden, welche Kompetenzen es besitzt. Entsprechend des Competence-based View (vgl. Kapitel 1) kann hierzu zwischen Vered-lungs-, Marktzufuhr- und Metakompetenzen unterschieden werden. So erreicht Audi eine deutliche Vertrauenssteigerung durch eine Konzentration der Markenführung auf die eige-nen Kompetenzen. Durch regelmäßige und akzeptanzstarke Innovationen wurde die tech-nische Leistungsfähigkeit von Audi durch Nachfrager stets sehr hoch bewertet. Unterstützt wurde dies vom Management zusätzlich durch die Kommunikation des Claims „Vor-sprung durch Technik“ (vgl. Berger/Willner/Einhorn 2007, S. 971). Erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts erkannte das Management von Audi, dass die eigene Technikkompetenz auch nutzbar ist, um wegweisendes Design, hochwertige Anmutung und Verarbeitungs-qualität zu entwickeln (vgl. Hegner 2012, S. 251). Durch diese Erkenntnis erweiterte Audi die Wirkung der eigenen Kompetenz von einer reinen Produktkompetenz auch auf die Bereiche Marktwissen und Leistungsgüte.

Abbildung 2.19 Modell zur Erklärung des Markenvertrauens

Quelle: In Anlehnung an Hegner (2012), S. 117.

KognitiveDimensionen des Vertrauens

AffektiveDimensionen des Vertrauens

Kompetenz

Berechenbarkeit

Wohlwollen

Integrität

Markenvertrauen

Produktkompetenz

Marktwissen

Leistungsgüte

Konsistenz

Kontinuität

Prinzipientreue

Sicherheit

Kundeninteresse

Kundenorientierung

Problemorientierung

Fairness

Offenheit

Ehrlichkeit

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82 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Die Berechenbarkeit einer Marke spiegelt das Ausmaß der wahrgenommenen Konstanz in dessen Verhalten wider (vgl. bspw. Einwiller 2003b, S. 81). Die wahrgenommene Berechen-barkeit setzt sich nach Hegner zusammen aus den Bestandteilen Konsistenz, Kontinuität, Prinzipientreue und Sicherheit (vgl. Hegner 2012, S. 251). Neben der zeitpunkt- und zeit-raumbezogenen Einhaltung des Markennutzenversprechens (Konsistenz und Kontinuität) setzt Prinzipientreue eine strikte Einhaltung der Grundwerte des eigenen Handelns einer Marke voraus. Sicherheit als Bestandteil der Berechenbarkeit zielt darauf ab, dass Nachfra-ger das Gefühl haben, sich auf die hohen Qualitätsstandards der Produkte verlassen zu können. Eine Marke, die sämtliche Aspekte der Berechenbarkeit besonders gut erfüllt, ist Porsche (vgl. Burmann/Schallehn 2010, S. 60). Kontinuität kommuniziert Porsche bspw. über die Darstellung der Markenhistorie, in der stets das Markennutzenversprechen einge-halten wurde (vgl. Schallehn 2011, S. 162). Im eigenen Museum in Zuffenhausen haben Nachfrager zudem die Möglichkeit, die Kontinuität der Marke unmittelbar zu erleben. Zur Sicherstellung der Konsistenz werden sämtliche Tochtergesellschaften in über 100 Ländern zentral gesteuert, um ein identisches Markenerlebnis für den Nachfrager an allen weltwei-ten Brand Touch Points zu garantieren (vgl. Porsche 2011b, S. 25). Des Weiteren ist die Prinzipientreue fest in der Markenidentität verankert: „Porsche ist ein einzigartiges Unter-nehmen mit starken Idealen. Alles, was wir tun, ist von unseren Werten und unserer Philo-sophie geprägt. Wir haben eine klare Vorstellung davon, wer wir sind und wie wir die Dinge angehen. So gelingt es uns, unseren Prinzipien treu zu bleiben und die hohen Anfor-derungen an uns selbst zu erfüllen“ (Porsche 2011b, S. 5). Letztlich ist auch die Produktsi-cherheit durch hohe Qualitätsstandards bei Porsche gesichert (vgl. Porsche 2011b, S. 5).

Unter Wohlwollen wird der Glaube des Nachfragers daran verstanden, dass die Marke neben ihren eigenen Interessen auch das Wohlergehen ihrer Nachfrager in angemessener Weise berücksichtigt (vgl. Li et al. 2008). Konkret muss deswegen die gelebte Kundenorien-tierung einen unternehmensexternen, wahrnehmbar hohen Stellenwert besitzen und in einem subjektiv akzeptablen Verhältnis zum Gewinnstreben stehen. Der massive Vertrau-ensverlust vieler Banken (vgl. Branchenkompass 2011 Kreditinstitute) ist auf den vollstän-digen Verlust des Wohlwollens gegenüber diesen Banken zurückzuführen, deren Verhalten ausschließlich durch „gierige“ Maximierung des individuellen Gewinnstrebens ihrer Ma-nager geprägt ist. Der Gipfel dieses Verhaltens ist der Betrug am Kunden, weswegen viele Banken heute vor Gericht stehen. Die Wahrnehmung des Wohlwollens einer Marke kann nach Hegner über ihr Kundeninteresse, ihre Kundenorientierung sowie ihre Problemori-entierung operationalisiert werden (vgl. Hegner 2012, S. 252). Kundeninteresse drückt dabei den empfundenen Grad des aufrichtigen Interesses einer Marke an ihren Kunden und deren Problemen aus. Wird dieses Interesse auch in die Markenleistung übersetzt, handelt eine Marke kundenorientiert. Die Problemorientierung einer Marke zeigt sich da-rin, dass bei Nachfragern auftretende Probleme schnellstmöglich behoben werden. Um die Kundenorientierung und das Interesse am Kunden für Nachfrager erlebbar zu machen, kann die Marke beispielsweise Nachfrager in den Innovationsprozess einbinden (vgl. Fül-ler/Mühlbacher/Bartl 2009, S. 198 ff.). Hierdurch bietet sich dem Unternehmen die Möglich-keit, mit engagierten Kunden in den Dialog zu treten. Die so entstehende Interaktion mit Nachfragern kann dazu genutzt werden, die eigene Leistungsfähigkeit und den eigenen

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Markenvertrauen in der identitätsbasierten Markenführung 83

Leistungswillen unter Beweis zu stellen. Die Marke BMW hat zu diesem Zweck eigens das Internetportal „Customer Innovation Lab“ ins Leben gerufen, dass Nachfragern die Mög-lichkeit bietet, neue Ideen und Konzepte mit zu entwickeln (vgl. BMW Group 2003). Der Aspekt der Problemorientierung setzt voraus, dass das Markenmanagement in der Lage ist, potentielle und aktuelle Nachfragerprobleme frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Dies kann durch die Errichtung eines umfassenden Beschwerdemanagements erreicht werden (vgl. Borth 2004, S. 28 ff.). Durch die eingehenden Beschwerden wird eine Identifikation von nachfragerseitigen Problemen möglich, die ohne ein solches System von der Marke nicht wahrgenommen werden könnten. Zur Implementierung eines professionellen Be-schwerdemanagements bieten soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube heutzutage zusätzliche Informationskanäle für Unternehmen. Durch ein konstantes Monitoring sozia-ler Medien können Informationen über Probleme von Nachfragern schnell erfasst werden. Darüber hinaus kann der Absender der Information vielfach auch direkt adressiert werden, um auch in Einzelfällen eine schnelle Problemlösung zu bieten.

Integrität schließlich beinhaltet den subjektiven Glauben der Nachfrager an einen vorbild-lichen Umgang der Marke mit dem Nachfrager (vgl. u.a. Füller/Matzler/Hoppe 2008; Ipsos Mori 2009). Die Integrität einer Marke lässt sich nach Hegner weiter untergliedern in die Aspekte Fairness, Offenheit und Ehrlichkeit (vgl. Hegner 2012, S. 254). Fairness fordert dabei, dass eine Marke ihre Nachfrager nicht übervorteilt. Unter Offenheit wird der Aus-tausch aller relevanten Informationen von der Marke mit ihren Nachfragern verstanden. Ehrlichkeit fordert von einer Marke, dass sie nur richtige und wahre Informationen kom-muniziert. Im Kern fordert Integrität, dass eine Marke bei jeder direkten und indirekten Kommunikation mit Nachfragern den Wahrheitsgehalt sämtlicher Aussagen stets genau prüfen muss (vgl. Neumann 2007, S. 196). Bereits geringe Abweichungen zwischen Kom-munikation und Realität, wie sie von Nachfragern wahrgenommen werden, können die Integrität einer Marke beschädigen. Besondere Relevanz erfährt Integrität zudem in Krisen-situationen z.B. bei Produktmängeln. In einer solchen Situation befand sich die kanadische Lebensmittelkette Maple Leaf Foods im Jahr 2008. Durch Produkte der Marke hatte sich eine Reihe von Nachfragern mit der Krankheit Listeriose infiziert. In der Folge starben 21 Menschen an der Infektion (vgl. Charvet 2010, S. 155 ff.). In dieser Situation zeichnete sich der CEO der Marke, Michael McCain, durch sein sehr integres Verhalten aus. Er sorgte umgehend dafür, dass sämtliche Produkte von Maple Leaf Foods zurückgerufen wurden und gleichzeitig auf sein Bestreben hin TV-Werbespots die kanadische Bevölkerung über die Gefahr informierten. Die Kosten für die Spots übernahm Maple Leaf Foods. Zudem arbeitete der CEO sehr eng mit den Gesundheitsbehörden zusammen und übernahm auch vor den Medien die Verantwortung. Darüber hinaus setzte er sich massiv dafür ein, die Sicherheitsvorschriften in der Branche zu erhöhen, um zukünftig Infektionen zu verhin-dern. Trotz der verheerenden Ereignisse im Jahr 2008 hat sich das Vertrauen der Nachfra-ger in Maple Leaf Foods nicht verringert. Der Respekt und die Loyalität der Kunden blieb erhalten (vgl. Hegner 2012, S. 255).

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84 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

2.4.3 Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung

Die hohe Relevanz des Vertrauens der Nachfrager für den Erfolg einer Marke wirft die Frage auf, wie das Markenmanagement Vertrauen aufbauen kann (vgl. auch Abbildung 2.19). Die Basis für den Aufbau von Vertrauen ist immer die konsequente Erfüllung des Markennutzenversprechens an allen Brand Touch Points. An erster Stelle stehen hierbei stets die Einhaltung der versprochenen Qualität der Produkte und Dienstleistungen einer Marke sowie das klar vermittelte Markenbild. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Um-frage bei 10.653 Nachfragern in Deutschland durch den GfK Verein (2010). Erst in zweiter Linie spielt das Verständnis der Marke für die Bedürfnisse der Nachfrager und ihr guter Ruf eine Rolle für den Vertrauensaufbau (vgl. Abbildung 2.20).

Abbildung 2.20 Vertrauenspyramide

Quelle: GfK Verein (2010).

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die bevölkerungsrepräsentative Studie zum Markenvertrauen unter 1.000 Personen der Lebensmittel Zeitung und Musiol Munzinger Sasserath (2012). Zum Aufbau von Vertrauen ist auch in dieser Studie die Qualität der Produkte und Dienstleistungen die wichtigste Voraussetzung. Danach kommen die Ver-lässlichkeit der Marke, ihre Kulanz im Umgang mit Problemen und die Kompetenz der Mitarbeiter (vgl. Abbildung 2.21).

Forschung,Umweltschutz,

Regionale Wurzeln,Mitarbeiterorientierung

Tradition,Transparenz,

Interessante neue Produkte

Für besondere Situationen,Versteht Verbraucherbedürfnisse,

Guter Ruf

Produktqualität Klares Markenbild

gering

hoch

Gewicht: 30 – 40%

Gewicht: 60 – 70%

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Markenauthentizität in der identitätsbasierten Markenführung 85

Abbildung 2.21 Treiber des Markenvertrauens

Quelle: Studie Markenvertrauen (2012), S. 18.

Zusammenfassend ergibt sich damit eine sehr starke Bedeutung der Markenidentität für den Aufbau und Erhalt des Vertrauens der Nachfrager. Nur eine starke Markenidentität ist in der Lage, die dauerhafte Einhaltung des Markennutzenversprechens zu gewährleisten, da diese über ihre Komponenten sowohl die Qualität der Leistungserbringung als auch ein klares und verlässliches Markenimage sicherstellt.

2.5 Markenauthentizität in der identitätsbasierten Markenführung

2.5.1 Relevanz der Markenauthentizität

Die Authentizität einer Marke ist als Stellhebel zur Differenzierung in den letzten Jahren zunehmend wichtiger geworden. Ursache hierfür ist der starke Vertrauensverlust aufgrund nicht authentischen Verhaltens, der bei vielen Marken, z.B. aus dem Bankensektor, der

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86 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Lebensmittelindustrie oder dem Energiesektor zu beobachten ist. Während identische, sehr ähnliche oder unscharfe Markenpositionierungen zu einer Reduktion der Glaubwürdigkeit des Markenversprechens führen, bietet eine authentische Marke einen Garant für die „Echtheit“ des Markenversprechens. Hierüber stärken authentische Marken das Vertrauen ihnen gegenüber. Markenauthentizität ist damit eine dem Vertrauen vorgelagerte Ein-flussgröße.

Die hohe Relevanz von Authentizität ergibt sich aus einem wachsenden nachfragerseitigen Authentizitätsbedürfnis (vgl. Brown/Kozinets/Sherry Jr. 2003, S. 21, Schallehn 2012, S. 10). Dieses Bedürfnis erwächst auch aus der wahrgenommenen Gleichartigkeit von Angeboten und der hohen Zahl von „Me-too“-Marken (vgl. Luckner 2008, S. 6). Zudem kann wissen-schaftlich nachgewiesen werden, dass Nachfrager in zunehmendem Maße fragliche, nicht authentische Angebote konsequent zurückweisen (vgl. Gilmore/Pine II 2007, S. 5).

2.5.2 Gegenstand der Markenauthentizität

Definitorisch ist die Authentizität einer Marke das Ausmaß ihrer identitätsbezogenen Handlungsverursachung (vgl. Schallehn 2012, S. 38). Grundlage für dieses Verständnis sind die Handlungen einer Marke bzw. der hinter ihr stehenden Mitarbeiter. Diese können prinzipiell aus zwei Motiven entstehen. Zum einen kann es sich um eine Motivation han-deln, die durch Umweltreize ausgelöst wird. In diesem Fall würde eine Marke stets versu-chen, auf neue Umweltbedingungen zu reagieren und beispielsweise Wettbewerbsmarken unreflektiert zu kopieren. Die andere mögliche Motivation wird aus der Identität einer Marke gespeist. Die Handlungen der Marke basieren dann auf ihrem Selbstverständnis. Bestimmt die Identität einer Marke stets und in hohem Maße ihre Handlungen und ihr Verhalten, so kann von einer sehr authentischen Marke gesprochen werden.

Aus der Perspektive der Nachfrager ist eine objektive Beurteilung der Handlungsmotivati-on einer Marke und deren Mitarbeitern nicht ohne weiteres möglich. Vielmehr bilden Nachfrager ihr subjektives Wissen über die Identität einer Marke auf Grundlage ihrer per-sönlichen Erfahrungen. Somit ist die Authentizitätsbeurteilung durch Nachfrager abhängig von extern wahrnehmbaren Indikatoren.

Das von Schallehn (2012, S. 125 ff.) entwickelte und empirisch geprüfte Modell zur Erklä-rung von Markenauthentizität identifiziert drei Dimensionen, über die Nachfrager Authen-tizität von Marken wahrnehmen (vgl. Abbildung 2.22): die Kontinuität, Konsistenz und Individualität einer Marke.

Die Konsistenz einer Marke entspricht der vom Nachfrager wahrgenommenen Überein-stimmung zwischen dem Markennutzenversprechen und den Merkmalen einer Marke, die diese durch ihr derzeitiges Verhalten an allen Brand Touch Points zum Ausdruck bringt. Im Falle eines konsistenten Verhaltens löst die Marke zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihr Nutzenversprechen an allen Markenberührungspunkten ohne Widersprüche und vollstän-dig ein. In der Wahrnehmung der Authentizität spiegelt die Konsistenz damit die gegen-wartsbezogene, aktuelle Perspektive wider.

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Markenauthentizität in der identitätsbasierten Markenführung 87

Abbildung 2.22 Modell zur Erklärung der wahrgenommenen Markenauthentizität

Quelle: Schallehn (2012), S.168.

Eine andere Perspektive nimmt die Kontinuität ein. Sie entspricht der wahrgenommenen Übereinstimmung zwischen dem Markennutzenversprechen und den Merkmalen einer Marke, die diese über einen längeren Zeitraum beibehalten hat. Weist eine Marke ein hohes Maß an Kontinuität auf, kann das gegenwärtige Nutzenversprechen über das vergangene Verhalten der Marke weitgehend bestätigt werden (vgl. Schallehn 2012, S. 128).

Die letzte Dimension bildet die Individualität einer Marke. Die Individualität einer Marke ist definiert als „wahrgenommene Übereinstimmung des Markennutzenversprechens mit denjenigen Merkmalen, die eine Marke im Vergleich zu Wettbewerbern einzigartig und unverwechselbar machen“ (Schallehn 2012, S. 83). Die Wahrnehmung der Individualität einer Marke durch den Nachfrager beruht auf einem individuellen Markenverhalten an allen Brand Touch Points.

2.5.3 Implikationen für die identitätsbasierte Markenführung

Auch wenn die wahrgenommene Authentizität einer Marke grundsätzlich von allen drei Dimensionen Konsistenz, Kontinuität und Individualität abhängt, zeigen die Untersuchun-gen auf Grundlage einer Online-Befragung von 510 Probanden durch Schallehn, dass Indi-vidualität einen schwächeren Einfluss aufweist, als dies bei den beiden übrigen Dimensio-nen der Fall ist (vgl. Abbildung 2.23). Die Einzigartigkeit des Leistungsangebots nimmt mit einem Pfadkoeffizienten von lediglich 0,154 eine untergeordnete Stellung bei der Vermitt-lung von Authentizität ein. Im Gegensatz dazu wirken die Dimensionen Kontinuität und Konsistenz mit Koeffizienten von 0,366 bzw. 0,360 weitgehend gleichstark auf die wahrge-nommene Markenauthentizität.

Kontinuität

Konsistenz

Individualität

Wahrgenommene Marken-

authentizitätMarkenvertrauen

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88 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

Abbildung 2.23 Wirkungsbeziehungen zur Bildung von Markenauthentizität

Quelle: Schallehn (2012), S. 168.

Diese erste Implikation daraus für das Management mag zunächst überraschen. Führt man sich jedoch die Ursachen der steigenden Bedeutung von Authentizität erneut vor Augen, so ergibt sich, dass Nachfrager ein Bedürfnis nach authentischen Marken haben, weil früher einzigartige Leistungen in den Märkten heute oft schnell imitiert werden. Einzigartigkeit ist bei dieser Dynamik nur von kurzer Dauer und kann in der Folge auch keine dauerhafte Basis für eine authentische Markenwahrnehmung mehr sein.

Zum Aufbau und Erhalt einer authentischen Marke bieten sich dem Management deswe-gen vor allem die beiden Dimensionen Konsistenz und Kontinuität an. Wie Schallehn (2012, S. 170) zeigen konnte, nehmen insbesondere die Produktqualität und die Produktpalette eine zentrale Stellung bei der Wahrnehmung der Konsistenz einer Marke ein. Eine Marke, die konsequent bestrebt ist, eine hohe Konsistenz zu wahren, ist die Biermarke Oettinger. Das Markenversprechen von Oettinger konzentriert sich darauf, dem Nachfrager qualitativ hochwertiges Bier zu einem günstigen Preis zu bieten (vgl. Mehringer/Vossen 2010, S. 29 f.). Konsistenz und in der Folge auch Authentizität gewinnt Oettinger primär durch eine nied-rige Preisstellung von ca. 5 bis 6 Euro pro Kasten Bier, den völligen Verzicht auf Print-, Funk- oder Fernsehwerbung und den konsequenten Fokus auf wenige Kernprodukte. Dass dem niedrigen Preis tatsächlich ein passendes Selbstbild der Marke zu Grunde liegt, wird auch in der Produktgestaltung deutlich. Hierzu werden ausschließlich unbedruckte und damit preiswertere Kronkorken verwendet. Zudem wird auf Rückenetiketten verzichtet, die ansonsten im Biermarkt üblich sind. Auch hinsichtlich der Distribution ist die Marke nur über den Einzelhandel erhältlich und wird nicht an Gastronomiebetriebe geliefert. Dirk Kollmar, geschäftsführender Gesellschafter von Oettinger, fasst das Selbstverständnis der Marke wie folgt zusammen: „Wir sind nicht billig. Billig sind die, die uns imitieren. Oettin-ger ist konsequent preiswert. Wir sind Meister im kontrollierten Verzicht und stecken alles in die Qualität.“ (Mehringer/Vossen 2010, S. 29). Die hohe Konsistenz zeigt sich auch im Erfolg der Marke. Oettinger ist die meistverkaufte Biermarke in Deutschland (vgl. Abbil-dung 2.24).

Kontinuität

Konsistenz

Individualität

Wahrgenommene Marken-

authentizitätMarkenvertrauen

0,366

0,360

0,154

0,709

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Markenauthentizität in der identitätsbasierten Markenführung 89

Abbildung 2.24 Top 10 Biermarken in Deutschland 2010

Quelle: Inside (2012).

Anders als bei der Konsistenz beruht die wahrgenommene Kontinuität einer Marke weni-ger auf ihren aktuellen Markenleistungen, als vielmehr auf der Aufrechterhaltung der Mar-kenleistungen über einen längeren Zeitpunkt. Dementsprechend ist eine positive Beeinflus-sung der Kontinuitätswahrnehmung über aktuelle Produkte alleine schwierig. Um die Kontinuitätswahrnehmung dennoch für das Markenmanagement steuerbar zu machen, kann sich das Management sog. Strategien der Selbstdarstellung bedienen. Das Ziel hierbei ist es, durch die Betonung bestimmter Sachverhalte in der Kommunikation die Interpretati-on der kommunizierten Inhalte zu beeinflussen. Im Wesentlichen wird durch die gezielte Selbstdarstellung somit ein Rahmen geschaffen, mit dem alle weiteren Informationen ver-bunden werden können und nicht mehr unabhängig interpretiert werden (vgl. Rhodewalt 1998, S. 373). In Bezug auf die wahrgenommene Kontinuität einer Marke bietet sich als Grundlage für diesen Rahmen in der Markenführung die Markenherkunft an. Hierzu kann das Markennutzenversprechen kommunikativ in einen historischen Kontext zur Marken-historie gesetzt werden (vgl. Schallehn 2012, S. 173). Dieser Kontext bietet dem Nachfrager einen authentifizierenden Interpretationsrahmen (vgl. Jones/Anand/Alvarez 2005, S. 897). Der positive Effekt dieses Vorgehens wurde u.a. von einer Studie des Instituts für Automo-bilwirtschaft nachgewiesen. So zeigte die Studie, dass Nachfrager mit Kenntnissen darüber, dass Mercedes bereits in den 1950er Jahren intensive Crashtests durchführte, die Qualität der Fahrzeuge deutlich besser bewerteten, als Nachfrager, denen dieser Umstand nicht

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90 Das Konzept der identitätsbasierten Markenführung

bekannt war (vgl. Diez 2006, S. 189). Der Sportartikelhersteller Adidas bedient sich eben-falls dieser Vorgehensweise bei der Eröffnung sog. „Originals Stores“, die unter dem Motto „Once innovative, now classic, always authentic“ stehen und bewusst Modelinien führen, die einen direkten Zusammenhang mit der Vergangenheit der Marke aufweisen (vgl. Hofer 2008, S. 14). Nachfrager können über den kommunikativen Rahmen, den die „Originals Stores“ bieten, die Historie der Marke Adidas mit ihren eigenen sportlichen Erfahrungen und Erlebnissen verbinden, wie bspw. dem „Wunder von Bern“, bei dem die deutsche Fußballnationalmannschaft 1954 in der Schweiz Weltmeister wurde. Ein Ereignis, an dem Adi Dassler als Zeugwart der deutschen Nationalmannschaft einen Anteil hatte. Abbil-dung 2.25 stellt diesen Prozess grafisch dar.

Abbildung 2.25 Kommunikationsmodell zur Vermittlung von Kontinuität

Quelle: Schallehn (2012), S. 174.

Eine besonders starke Wirkung auf die kommunikative Vermittlung der Markenauthentizi-tät zeigt sich zudem, wenn die Kommunikation in Form von Geschichten, dem sog. Storytelling, erfolgt (vgl. Mangold 2008, S. 15). Hierzu werden gezielt emotionsgeladene Geschichten rund um eine Marke entwickelt und verbreitet. Das Ziel des Storytelling liegt darin, die eigene Marke im Kontext einer sinnhaften, für den Nachfrager interessanten Geschichte darzustellen und dabei gleichzeitig die Vorzüge der Marke in den Vordergrund zu rücken. Kann ein Nachfrager die Geschichte einer Marke mit eigenen Erfahrungen ver-knüpfen, steigert sich die Wirkung zusätzlich. Die Informationen aus dem Storytelling können durch den Nachfrager direkt mit seinem episodischen und autobiographischen Gedächtnis verknüpft werden und in der Folge einfach in sein neuronales Markennetzwerk integriert werden. Die hierdurch geschaffene Verbindung zwischen der eigenen Historie des Nachfragers und der Historie der Marke steigert zudem die subjektive Wichtigkeit einer Marke und verfestigt damit das Markenimage (vgl. Kapitel 2.3.2.3). Die Marke Coca-Cola rückt seit 2011 unter dem Titel „Content 2020“ das Storytelling bewusst in das Zent-

Markenhistorie als authentifizierender

Rahmen

Markennutzen-versprechen

Markenkommunikation alsProzess der Selbstdarstellung

RahmeninduzierteWahrnehmung

Markenidentität Markenimage

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Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung 91

rum der eigenen Kommunikation. Jonathan Mildenhall, Vizepräsident Global Advertising Strategy und Creative Excellence, ruft im Rahmen der Initiative Nachfrager bewusst dazu auf, ihre Erfahrungen mit Coca-Cola im Rahmen von Geschichten zu beschreiben. Die so entstehenden Beiträge sollen über soziale Medien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Neben dem Storytelling bietet sich insbesondere für junge Marken durch das Mimikry-Marketing eine Möglichkeit, Authentizität zu vermitteln. Der Begriff Mimikry entstammt ursprünglich der Biologie, wo er das Verhalten einiger Tierarten beschreibt, andere Tiere nachzuahmen. So sieht beispielsweise der Hornissenschwärmer einer Hornisse sehr ähn-lich, ist jedoch im Gegensatz zu dieser vollkommen ungefährlich, da es sich in Wirklichkeit um einen Schmetterling handelt. Übertragen auf das Marketing beinhaltet eine Mimikry-Strategie die Anpassung des Aussehens und Verhaltens der eigenen Marke an einen vorge-gebenen Kontext (vgl. Schallehn 2012, S. 185 f.). Für junge Marken bietet sich als Vorlage vor allem ein kultureller Kontext an, der für die angestrebte Zielgruppe relevant ist. Als Auswahlkriterium kann dazu die Bekanntheit dieses kulturellen Kontexts in der Zielgrup-pe dienen. Die gezielte Inszenierung der Authentizität über die Mimikry-Strategie versetzt junge Marken in die Lage, die eigene Authentizität von Beginn an zu kontrollieren. Erfolg-reich genutzt hat dieses Vorgehen beispielsweise die Marke Landliebe, die erst Mitte der 1980er Jahre in den Markt eingeführt wurde und die Vorstellungswelt des typischen Land-lebens für den Aufbau ihrer Markenidentität nutzte. Diese Vorstellungswelt findet sich neben den traditionell gestalteten Verpackungen auch in der Markenschrift und dem Mar-kennamen wieder. Die Tatsache, dass über Mimikry eine Markenidentität inszeniert wird, ohne dass diese tatsächlich gewachsen ist, stellt jedoch auch ein Risiko dieser Strategie dar. So sah sich die Marke Landliebe mit dem Vorwurf konfrontiert, für die Milchproduktion genverändertes Futter zu verwenden (vgl. Franzenburg 2007). Dieses Verhalten stand da-mit im direkten Gegensatz zum inszenierten kulturellen Kontext des typischen Landlebens. Mimikry kann zwar zu einem schnellen Aufbau einer Identität genutzt werden, zur lang-fristigen Gewährung von Markenauthentizität bedarf es jedoch immer einer dauerhaften Konsistenz zwischen dem Markennutzenversprechen und dem Markenverhalten (vgl. Schallehn 2012, S. 187).

2.6 Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung

Zur Planung, Koordination und Kontrolle aller Maßnahmen, die den Aufbau starker Mar-ken bei allen relevanten Zielgruppen verfolgen, dient der nachfolgende Managementpro-zess der identitätsbasierten Markenführung. Er soll eine funktions- und unternehmens-übergreifende Integration aller die Markenführung betreffenden Entscheidungen und Ak-tivitäten ermöglichen.

Der Managementprozess setzt sich dazu aus den drei Teilprozessen des strategischen und operativen Markenmanagements sowie dem Markencontrolling zusammen und ist in Ab-

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bildung 2.26 dargestellt. Die Durchführung der drei Teilprozesse darf dabei nicht als ein-maliger Vorgang verstanden werden. Vielmehr ergibt sich aus den Ergebnissen des Mar-ken-Controllings ein Feedback für das strategische Markenmanagement, das somit in die Lage versetzt wird, die strategische Planung zu optimieren. Diese optimierte Strategie geht wiederum erneut in die operative Ausgestaltung ein und mündet erneut im Controlling, an dessen Ende eine neuerliche Feedbackschleife beginnt.

Abbildung 2.26 Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung

Quelle: Eigene Darstellung.

3.1 Situationsanalyse & Markenziele

3.2 Markenidentität

3.3 Markenpositionierung

3.4 Markenarchitektur

3.6 Markenbudgetierung

3.5 Markenevolution

4.1 Interne Markenführung

4.2 Externe Markenführung

Konkretisierung und Integration:

5.2 IdentitätsbasierteMarkenbewertung

5.1 Interne & externe Markenerfolgsmessung

3. S

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Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung 93

Die Kapitel 3 bis 5 des vorliegenden Buches orientieren sich an den Prozessschritten des identitätsbasierten Managementprozesses. In Kapitel 3 wird daher zunächst ausführlich auf das strategische Markenmanagement eingegangen. Kapitel 4 widmet sich dem operativen Markenmanagement. Im fünften Kapitel wird abschließend das Marken-Controlling er-örtert.

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