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102 Mund Kiefer GesichtsChir 2 · 2003 Taurolidin (Taurolin) ist ein Derivat der Aminosäure Taurin und besitzt antimikrobielle Aktivität gegen ein brei- tes Spektrum von aeroben und anaero- ben Bakterien [3, 15, 16]. Es wird zu Tau- rin, Wasser und Kohlenwasserstoff me- tabolisiert, über die Lunge, die Nieren und die Leber ausgeschieden und ist in geringen Konzentrationen nicht toxisch [24]. Sein Wirkungsmechanismus soll auf seiner Fähigkeit beruhen, Endotoxi- ne oder Lipopolysaccharide (LPS) zu neutralisieren und die Adhärenz von Mikroorganismen an Zelloberflächen zu inhibieren [21, 26]. Diese Fähigkeiten des Taurolidins sind durch den erfolgrei- chen Einsatz in der Abdominalchirurgie zur Sepsisprophylaxe bei Peritonitis be- legt [18]. In den letzten Jahren konnte die antineoplastische Wirkung von Tauroli- din in In-vitro- und In-vivo-Studien bei verschiedenen Tumorzelllinien des Ade- no-, Ovarial- und Pankreaskarzinoms gezeigt werden [1, 5, 13, 14, 27]. Ob die Wirkung von Taurolidin durch direkten oder indirekten Einfluss an Karzinom- zellen zur Inhibition des Tumorwachs- tums führt, konnte bislang nicht eindeu- tig geklärt werden. Es konnte nachge- wiesen werden, dass die durch LPS in- duzierte Synthese der Zytokine TNFa (tumor necrosis factor alpha) und IL-1 (Interleukin 1) bei peripheren mononu- kleären Zellen gehemmt werden kann [5]. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Taurolidin, verglichen mit dem zy- totoxischen Antiseptikum Povidonjod, nicht nur zur Inhibition der Tumorzell- proliferation, sondern auch zur Induk- tion der Apoptose der untersuchten Zell- linie führt. Bei der Untersuchung von nicht pathologisch verändertem Gewe- be ergab die Wirkung von Taurolidin an normalen murinen Fibroblasten keine Suppression der Zellproliferation oder Induktion der Zellapoptose [5]. Eine entscheidende Beobachtung bei Patienten mit Plattenepithelkarzino- men sind der profunde Defekt des Im- munsystems und damit verbunden auch die mögliche Senkung der Überlebens- rate [8, 16]. Es ist bereits bekannt, dass Interleukine eine wichtige Funktion so- Mund Kiefer GesichtsChir 2003 · 7 : 102–107 DOI 10.1007/s10006-003-0452-5 Originalien L. Petrovic · K. A. Schlegel · J. Ries · J. Park · E. Diebel · S. Schultze-Mosgau · J.Wiltfang Klinik und Poliklinik für Mund-; Kiefer- und Gesichtschirurgie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Glückstraße 11, 91054 Erlangen In-vitro-Effekt von Taurolidin auf Plattenepithelkarzinomzellen der Mundhöhle Online publiziert: 14. Februar 2003 © Springer-Verlag 2003 Vortrag gehalten auf der 53. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie, Bad Homburg, Mai 2002 Förderung des Projekts durch ELAN-Fond für Forschung und Lehre der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg, AZ: 02.01.21.2 J. Wiltfang Klinik und Poliklinik für Mund-; Kiefer- und Gesichtschirurgie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg, Glückstraße 11, 91054 Erlangen Tel.: 09131-8533601,Fax: 09131-8534219, E-mail: [email protected] Zusammenfassung Taurolidin (Taurolin) ist ein Derivat der Ami- nosäure Taurin,ein antimikrobielles Agens, welches primär bei der Behandlung der Peri- tonitis viel versprechende Erfolge zeigte. In In-vitro- und In-vivo-Studien konnten mit Taurolidin eine Inhibition des Tumorwachs- tums und die Induktion der Apoptose bei verschiedenen Tumorzelllinien erreicht wer- den. Bisher liegen noch keine Untersuchun- gen bezüglich des Einsatzes von Taurolidin bei Zelllinien des Plattenepithelkarzinoms vor.Ziel der vorliegenden Arbeit war, die Pro- liferation und die Apoptose der Zelllinien SCC 4 und SCC 15 des Plattenepithelkarzi- noms nach Behandlung mit Taurolidin in Konzentrationen von 0,01%, 0,1% und 0,5% zu untersuchen. In Analogie zu den bereits bestehenden Untersuchungen an Zelllinien des Adenokarzinoms diente das zytotoxische Antiseptikum Povidonjod in den oben ge- nannten Konzentrationen als Referenzgrup- pe. Die nicht behandelten Zellen wurden als Kontrollgruppe herangezogen. Die Zellen wurden einmalig 2 h mit der zu untersu- chenden Substanz bei 37°C und 5% CO 2 in- kubiert. Nachfolgend wurde die Proliferation mittels des Proliferationsassays WST-1 nach 3, 24, 48, 72 und 96 h gemessen. Zusätzlich wurde die Apoptose mittels des ELISA PLUS - Detektionskits nach 0, 24 und 48 h be- stimmt. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Inhibition der Zellproliferation und der In- duktion der Apoptose der mit Taurolidin be- handelten Zelllinien SCC 4 und SCC 15 im Vergleich zur Kontrollgruppe.Demgegen- über konnte mit Povidonjod keine Suppres- sion der Zellproliferation erzielt werden. Schlüsselwörter Taurolidin · Plattenepithelkarzinome · In-vitro-Testung · Apoptose

In-vitro-Effekt von Taurolidin auf Plattenepithelkarzinomzellen der Mundhöhle

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Page 1: In-vitro-Effekt von Taurolidin auf Plattenepithelkarzinomzellen der Mundhöhle

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Taurolidin (Taurolin) ist ein Derivatder Aminosäure Taurin und besitztantimikrobielle Aktivität gegen ein brei-tes Spektrum von aeroben und anaero-ben Bakterien [3, 15, 16]. Es wird zu Tau-rin, Wasser und Kohlenwasserstoff me-tabolisiert, über die Lunge, die Nierenund die Leber ausgeschieden und ist ingeringen Konzentrationen nicht toxisch[24]. Sein Wirkungsmechanismus sollauf seiner Fähigkeit beruhen, Endotoxi-ne oder Lipopolysaccharide (LPS) zuneutralisieren und die Adhärenz vonMikroorganismen an Zelloberflächen zuinhibieren [21,26].Diese Fähigkeiten desTaurolidins sind durch den erfolgrei-chen Einsatz in der Abdominalchirurgiezur Sepsisprophylaxe bei Peritonitis be-legt [18].

In den letzten Jahren konnte dieantineoplastische Wirkung von Tauroli-din in In-vitro- und In-vivo-Studien beiverschiedenen Tumorzelllinien des Ade-no-, Ovarial- und Pankreaskarzinomsgezeigt werden [1, 5, 13, 14, 27]. Ob dieWirkung von Taurolidin durch direktenoder indirekten Einfluss an Karzinom-zellen zur Inhibition des Tumorwachs-tums führt, konnte bislang nicht eindeu-tig geklärt werden. Es konnte nachge-wiesen werden, dass die durch LPS in-duzierte Synthese der Zytokine TNFa

(tumor necrosis factor alpha) und IL-1(Interleukin 1) bei peripheren mononu-kleären Zellen gehemmt werden kann[5]. Weiterhin konnte gezeigt werden,dass Taurolidin, verglichen mit dem zy-totoxischen Antiseptikum Povidonjod,nicht nur zur Inhibition der Tumorzell-proliferation, sondern auch zur Induk-tion der Apoptose der untersuchten Zell-linie führt. Bei der Untersuchung vonnicht pathologisch verändertem Gewe-be ergab die Wirkung von Taurolidin annormalen murinen Fibroblasten keineSuppression der Zellproliferation oderInduktion der Zellapoptose [5].

Eine entscheidende Beobachtungbei Patienten mit Plattenepithelkarzino-men sind der profunde Defekt des Im-munsystems und damit verbunden auchdie mögliche Senkung der Überlebens-rate [8, 16]. Es ist bereits bekannt, dassInterleukine eine wichtige Funktion so-

Mund Kiefer GesichtsChir 2003 · 7 : 102–107DOI 10.1007/s10006-003-0452-5 Originalien

L. Petrovic · K. A. Schlegel · J. Ries · J. Park · E. Diebel · S. Schultze-Mosgau · J.WiltfangKlinik und Poliklinik für Mund-; Kiefer- und Gesichtschirurgie,Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Glückstraße 11, 91054 Erlangen

In-vitro-Effekt von Taurolidin auf Plattenepithelkarzinomzellender Mundhöhle

Online publiziert: 14. Februar 2003 © Springer-Verlag 2003

Vortrag gehalten auf der 53. Jahrestagung derArbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie,Bad Homburg, Mai 2002

Förderung des Projekts durch ELAN-Fond fürForschung und Lehre der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, AZ: 02.01.21.2

J.WiltfangKlinik und Poliklinik für Mund-; Kiefer- und Gesichtschirurgie,Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Glückstraße 11, 91054 ErlangenTel.: 09131-8533601, Fax: 09131-8534219,E-mail:[email protected]

Zusammenfassung

Taurolidin (Taurolin) ist ein Derivat der Ami-nosäure Taurin, ein antimikrobielles Agens,welches primär bei der Behandlung der Peri-tonitis viel versprechende Erfolge zeigte. InIn-vitro- und In-vivo-Studien konnten mitTaurolidin eine Inhibition des Tumorwachs-tums und die Induktion der Apoptose beiverschiedenen Tumorzelllinien erreicht wer-den. Bisher liegen noch keine Untersuchun-gen bezüglich des Einsatzes von Taurolidinbei Zelllinien des Plattenepithelkarzinomsvor. Ziel der vorliegenden Arbeit war, die Pro-liferation und die Apoptose der ZelllinienSCC 4 und SCC 15 des Plattenepithelkarzi-noms nach Behandlung mit Taurolidin inKonzentrationen von 0,01%, 0,1% und 0,5%zu untersuchen. In Analogie zu den bereitsbestehenden Untersuchungen an Zellliniendes Adenokarzinoms diente das zytotoxischeAntiseptikum Povidonjod in den oben ge-nannten Konzentrationen als Referenzgrup-pe. Die nicht behandelten Zellen wurden alsKontrollgruppe herangezogen. Die Zellenwurden einmalig 2 h mit der zu untersu-chenden Substanz bei 37°C und 5% CO2 in-kubiert. Nachfolgend wurde die Proliferationmittels des Proliferationsassays WST-1 nach3, 24, 48, 72 und 96 h gemessen. Zusätzlichwurde die Apoptose mittels des ELISAPLUS-Detektionskits nach 0, 24 und 48 h be-stimmt. Die Ergebnisse zeigen eine deutlicheInhibition der Zellproliferation und der In-duktion der Apoptose der mit Taurolidin be-handelten Zelllinien SCC 4 und SCC 15 imVergleich zur Kontrollgruppe. Demgegen-über konnte mit Povidonjod keine Suppres-sion der Zellproliferation erzielt werden.

Schlüsselwörter

Taurolidin · Plattenepithelkarzinome · In-vitro-Testung · Apoptose

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L. Petrovic · K. A. Schlegel · J. Ries · J. Park ·E. Diebel · S. Schultze-Mosgau · J.Wiltfang

In vitro effect of taurolidine on squamous cell carcinoma in the oral cavity

Abstract

Taurolidine (Taurolin) is a derivative of theamino acid taurine, successfully used in thetreatment of peritonitis. In vitro and in vivostudies have shown that taurolidine inhibitscell proliferation and induces apoptosis in avariety of tumor cell lines. At present thereare no published studies on the use of tauro-lidine in the treatment of squamous cell car-cinoma. Our aim was to examine the inhibi-tion of cell proliferation and induction ofapoptosis in cell lines SCC 4 and SCC 15treated with taurolidine in concentrations of0.01%, 0.1%, and 0.5%. Analogue to the pre-sent investigations on adenocarcinoma celllines, we used toxic antiseptic povidone io-dine in the same concentration as for the ref-erence group. Untreated cells were used as acontrol group.The cells were incubated withtaurolidine or povidone iodine once for 2 hat 37°C in 5% CO2. Cell proliferation was as-sessed using WST-1 labeling kit after 3, 24,48, 72, and 96 h.The additional measure-ment of cell apoptosis was examined usingELISAPLUS cell death detection kit and per-formed after 0, 24, and 48 h.The findingsshowed a significant inhibition of cell prolif-eration and induction of apoptosis in tauroli-dine-treated cells SCC 4 and SCC 15 in con-trast to the reference group treated withpovidone iodine or the untreated controlgroup.

Keywords

Taurolidine · Squamous cell carcinoma · In vitro examination · Apoptosis

wohl bei der Immunreaktion als auchbei der Neoangiogenese im Tumoraus-breitungsgebiet aufweisen [10, 11,23].Be-sonders die Induktion der Neoangioge-nese ist sowohl für das weitere Tumor-wachstum als auch für die Metastasie-rung des Tumors von wesentlicher Be-deutung [17].

Bislang wurden keine Untersuchun-gen über den Einfluss von Taurolidin anPlattenepithelkarzinomzellen des Kopf-Hals-Bereichs in der Literatur beschrie-ben. Basierend auf den bereits vorlie-genden Untersuchungen von Taurolidinan unterschiedlichen Tumorzelllinienwar es Aufgabe der vorliegenden Arbeit,den Einfluss von Taurolidin auf Zellli-nien des Plattenepithelkarzinoms zuanalysieren, um Antworten auf folgendeFragen zu finden:

– Inwieweit beeinflusst Taurolidin die Prolifera-tion der untersuchten Zelllinien des Platten-epithelkarzinoms?

– Wie verhält sich Taurolidin bezüglich derProliferation der Tumorzellen im Vergleich zuPovidonjod als klinisch relevantem Antisep-tikum?

– Ist die Apoptoseinduktion durch Taurolidinein möglicher Wirkungsmechanismus derTumorinhibition bei den untersuchten Zell-linien?

Material und Methoden

Die Zelllinien SCC 4 und SCC 15 (ATCCCRL, Dana-Faber Cancer Institute, Bos-ton, USA), isoliert aus einem Plattenepi-thelkarzinom der Zunge, wurden zurEvaluation herangezogen.

Hierbei wurden in der Kontroll-und der Testgruppe 3¥104 Zellen derSCC 4- bzw. SCC 15-Zelllinie auf 24-Loch-Platten (Falcon, Lincoln Park, NJ,USA) für 24 h bei 37°C und 5% CO2 imKulturmedium[MEM/NUT MIX F 12,10% fetales Kälberserum (FKS), Penizil-lin, Streptomycin, GibcoBRL, Paisley,Scotland, UK] angezüchtet. Das Kultur-medium wurde danach gewechselt. Inder Testgruppe wurde das Kulturme-dium zusätzlich mit einem Gemisch ausTaurolidin (Taurolin als 2%ige Lösung inAqua dest., Geistlich Pharma GmbHWolhusen, Schweiz) bzw. Povidonjod(Betaisadona 11%,Mundipharma GmbH,Limburg/Lahn, Deutschland) in Kon-zentrationen von 500 mg/ml (0,5%),100 mg/ml (0,1%) und 10 mg/ml (0,01%)kombiniert. Anschließend wurden dieZellen für weitere 2 h unter gleich blei-benden Bedingungen inkubiert. Es folg-ten eine einmalige Waschung der Zellenund ein erneuter, analoger Medium-wechsel.

Zu den vordefinierten Zeitpunktenvon 3, 24, 48, 72 und 96 h wurden das

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Abb. 1 � Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus

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Originalien

Medium wiederum entfernt und 500 mlfrisches Medium, versehen mit 50 ml Te-trazoliumsalz WST-1-Kit (Cell Prolifera-tion Reagent WST-1, ROCHE Diagnos-tics GmbH, Mannheim, Deutschland)hinzugefügt und eine Absorptionsmes-sung durchgeführt. Hierbei diente daszugesetzte Tetrazoliumsalz WST-1-Kitzur quantitativen Untersuchung derZellproliferation, basierend auf der Um-wandlung von Tetrazoliumsalz zu For-mazan mittels mitochondrialer Dehy-drogenase der Zellen. Die nachfolgendeAbsorptionsmessung der Proben erfolg-te mit Hilfe des MTP-ELISA-Readers bei450–650 nm (Vmax, Molecular Devices,München, Deutschland) (Abb. 1).

Auf den Wirkungsmechanismus ein-gehend wurde die Zellapoptose in derTaurolidingruppe mit Hilfe des Cell-death-detection-ELISAPLUS (ROCHE Di-agnostics GmbH, Mannheim, Deutsch-land) untersucht. Dieser ELISA basiertauf einer Antikörperreaktion gegenMono- und Oligonukleosomen in derzytoplasmatischen Fraktion der Zell-lysate. Die Messungen wurden zu dendefinierten Zeitpunkten nach 0, 24 und48 h mit Hilfe des MTP-ELISA-Readersbei 450–650 nm (Vmax, Molecular De-vices, München, Deutschland) durchge-führt.Als Positivkontrolle dienten dabeidie mit Epopodophyllotoxin (EtoposidVP16) (80mg/Loch), basierend auf derApoptoseinduktion via TopoisomeraseII, herangezogenen Absorptionswerteder in gleicher Weise behandelten Zel-len SCC 4 und SCC 15 [25].

Statistische Auswertung

Die Ergebnisse wurden durch eine Vari-anzanalyse der erhobenen Absorptions-werte mit dem Student-t-Test (SPSS 10für Windows) statistisch ausgewertet.Aufgrund der niedrigen Fallzahlen wur-de die deskriptive Analyse der Durch-schnittswerte der statistischen Signifi-kanzberechnung vorgezogen.

Ergebnisse

Die Suppressionen der Zellproliferationdurch die Substanzen Taurolidin undPovidonjod an den untersuchten Zellli-

nien SCC 4 und SCC 15 in den Konzen-trationen 0,5%, 0,1% und 0,01% zeigtenin der Darstellung ihrer Absorptions-werte zu den untersuchten Messzeit-punkten von 3, 24, 48, 72 und 96 h Unter-schiede. Im Vergleich zur Kontrollgrup-pe der nicht behandelten Zellen führtTaurolidin zur deutlichen Inhibition derProliferation bei beiden Zelllinien SCC4 und SCC 15 (Abb. 2, 3). Die Hemmungder anhand der gemessenen Absorp-tionswerte ermittelten Zellproliferationim Vergleich zu nicht behandelten Zel-len war bei einer Konzentration von0,1% Taurolidin im Durchschnitt deut-lich höher (>50%) als bei einer Konzen-tration von 0,01% (20%).

Das antiseptisch wirksame Povi-donjod zeigte in den gleichen Konzen-trationen von 0,1% und 0,01% nur einegeringe oder keine Suppression der Zell-proliferation (Abb. 4, 5).

Die Proliferationen sowohl der mit0,5% Povidonjod als auch der mit 0,5%Taurolidin behandelten Zellen wiesenüber den gesamten Beobachtungszeit-raum einen annährend gleich bleiben-den Verlauf auf, der ein absolutes Sistie-ren der Proliferation widerspiegelt. DieHemmung der Proliferation ist mit einertoxischen Wirkung der untersuchtenSubstanzen vereinbar und sollte nichtals Suppression der Zellproliferationinterpretiert werden.

Die observierte Inhibition der Zell-proliferation durch Taurolidin kann ent-weder die Hemmung des Zellwachstumsund/oder die Induktion des program-

Abb. 2 � Proliferation der mit Taurolidin behandelten Zelllinie SCC 15, T mit Taurolidin behandelteZellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

Abb. 3 � Proliferation der mit Taurolidin behandelten Zelllinie SCC 4, T mit Taurolidin behandelteZellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

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mierten Zelltods reflektieren. Bei weite-ren Untersuchungen der behandeltenZelllinien zeigte sich in der Taurolidin-gruppe nach 24 h bei beiden Zelllinien(SCC 4 und SCC 15) eine deutliche, kon-zentrationsabhängige Induktion derApoptose im Vergleich zur unbehandel-ten Kontrollgruppe und der mit Etopo-sid behandelten Positivkontrolle (Abb.6, 7). Bei der Zelllinie SCC 4 wurde eineApoptoseinduktion von >60%, bei derZelllinie SCC 15 von >20% in allen ge-wählten Konzentrationen erreicht, wo-bei die höchsten gemessenen Werte fürdie Apoptose bei der Zelllinie SCC 15 beiTaurolidinkonzentrationen von 0,1%,bei der Zelllinie SCC 4 bei Taurolidin-konzentrationen von 0,5% erreicht wur-den.

Diskussion

Bislang war der klinische Einsatz vonTaurolidin auf die antimikrobielle Be-handlung infizierter Gewebe sowie aufdie Prophylaxe von Sepsis beschränkt[20, 22, 29]. In neuester Zeit konnte dieantineoplastische Potenz von Taurolidinin In-vitro- und In-vivo-Studien anunterschiedlichen Tumorzelllinien ge-zeigt werden. Taurolidin führt zur signi-fikanten Suppression des Tumorwachs-tums und zur Induktion der Apoptosebei Zelllinien des Adeno-, Ovarial- undPankreaskarzinoms in vitro und in vivound wird bereits klinisch als antineo-plastisch wirksames Chemotherapeuti-kum in der Abdominalchirurgie und

Gynäkologie untersucht [1, 5, 9, 13, 14, 20,27].

Derzeit gibt es keine in der Litera-tur beschriebenen Untersuchungen vonTaurolidin an Zelllinien des Plattenepi-thelkarzinoms.Wir konnten zeigen, dassTaurolidin konzentrationsabhängig zurdeutlichen Inhibition (>20%) der Zell-proliferation an Zelllinien des Platten-epithelkarzinoms (SCC 4 und SCC 15)im Vergleich zu Povidonjod und dernicht behandelten Kontrollgruppe führt.Insbesondere bei der Taurolidinkonzen-tration von 0,1% kam es zu einer konti-

nuierlichen Hemmung der Zellprolife-ration (>60%) in der gesamten von unsobservierten Zeit (3–96 h). Die obser-vierte Inhibition der Zellproliferationkönnte entweder die Hemmung des Zell-wachstums und/oder die Induktion desprogrammierten Zelltods reflektieren.In unseren Untersuchungen zeigte sicheine deutliche Apoptoseinduktion derdurch Taurolidin behandelten Zellen inallen genannten Konzentrationen, wasam ehesten die Inhibition der Prolifera-tion erklären könnte. Die von uns unter-suchten Konzentrationen entsprechender von Calabresi et al. [5] beschriebe-nen konzentrationsabhängigen antipro-liferativen Wirkung von Taurolidin anZellen des Ovarialkarzinoms. Die ver-wendete maximale Taurolidinkonzen-tration von 0,5% ist dabei 100fach nie-driger als die in der Literatur beschrie-bene effektive antimikrobielle Dosis [3].Ob die durch Taurolidin induzierte Frei-setzung von Hydroxymethylgruppen,welche an der Oberfläche von Bakte-rienwänden ansetzen und dadurch ei-nen bakteriostatischen Effekt haben,auch zur direkten Suppression des Tu-morzellwachstums und zur Induktionder Zellapoptose führen, konnte bis jetztnoch nicht sicher bestätigt werden [2].Soweit in der Literatur beschrieben, ba-siert die antineoplastische Wirkung vonTaurolidin auf der Syntheseinhibitionder Zytokine TNFa (tumor necrosis fac-tor alpha) und IL-1 (Interleukin 1). Stu-

Abb. 4 � Proliferation der mit Povidonjod behandelten Zelllinie SCC 15, J mit Povidonjod behandel-te Zellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

Abb. 5 � Proliferation der mit Povidonjod behandelten Zelllinie SCC 4, J mit Povidonjod behandelteZellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

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Originalien

dien an verschieden Zelllinien des Plat-tenepithelkarzinoms konnten zeigen,dass Zytokine eine wichtige Funktionsowohl bei der Immunreaktion als auchbei der Neoangiogenese im Tumoraus-breitungsgebiet haben [6, 7, 28]. Die In-hibition dieser Zytokine könnte einmöglicher Wirkungsmechanismus vonTaurolidin bei der Inhibition der Proli-feration von Zellen des Plattenepithel-karzinoms erklären.

Eine entscheidende Beobachtung beiPlattenepithelkarzinomen der Mund-höhle ist ein hohes Risiko (20%) der lo-koregionalen Rezidivierung („local resi-dual disease“) nach durchgeführter The-

rapie [19]. In Abhängigkeit von der Tu-morgröße und dem Befall von Lymph-knoten konnte in der intraoperativenSpülflüssigkeit von Patienten mit Platten-epithelkarzinomen auch nach vorheri-ger Bestrahlung noch eine hohe Zahlvon Karzinomzellen nachgewiesen wer-den [12]. Tumorausläufer von nur eini-gen Zellschichten infiltrieren das umlie-gende Gewebe und können bei der his-tologischen Untersuchung des Tumor-randgebiets nicht erfasst werden [10, 11,23]. Im Folgenden kann es zur weiterenlymphogenen Streuung und Metastasie-rung der verblieben Tumorzellen inLymphknoten verschiedener Regionen

kommen,was für die Überlebensrate derbetroffenen Patienten ausschlaggebendist [4]. In der In-vivo-Studie von Da Cos-ta et al. [9] konnte eine Senkung sowohlder Tumorproliferation als auch derMetastasierungsrate von Zelllinien desAdenokarzinoms nach intraperitonealerApplikation von Taurolidin und nach-folgend durchgeführter Laparotomienachgewiesen werden. Diese Beobach-tung impliziert die Bedeutung der intra-operativen lokoregionalen Behandlungdurch antineoplastisch wirksame Che-motherapeutika.Anhand der vorliegen-den Untersuchungen hinsichtlich derProliferationsinhibition und der Apop-toseinduktion bei Zellen des Plattenepi-thelkarzinoms und der bereits beschrie-benen Studien in der Literatur würdeTaurolidin als additives Chemothera-peutikum einen wesentlichen Beitragzur Prophylaxe von Tumorrezidivenleisten. In Gegensatz zu Povidonjod sindbislang noch keine Überempfindlich-keitsreaktionen oder toxische Neben-wirkungen von Taurolidin in geringenKonzentrationen bekannt.

Schlussfolgernd kann gesagt wer-den, dass Taurolidin in vitro zur deut-lichen Inhibition der Zellproliferationund Induktion der Apoptose zumindestbei den observierten Zelllinien des Plat-tenepithelkarzinoms führt.

Um den Wirkungsmechanismusvon Taurolidin noch besser verdeut-lichen zu können, bedarf es noch weite-rer In-vitro- und In-vivo-Untersuchun-gen der Apoptoseinduktion und insbe-sondere der Inhibition der Synthese derZytokine TNFa und IL-1.

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Abb. 6 � Apoptose der mit Taurolidin behandelten Zelllinie SCC 15, T mit Taurolidin behandelte Zel-len, Etoposid mit Etoposid behandelte Zellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

Abb. 7 � Apoptose der mit Taurolidin behandelten Zelllinie SCC 4, T mit Taurolidin behandelte Zel-len, Etoposid mit Etoposid behandelte Zellen, Kontrolle nicht behandelte Zellen

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