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Inhaltsverzeichnis - thinx.at · 2019. 5. 7. · 2 Inhaltsverzeichnis I. Der Wald 3 II. Die Hütte 7 III. Die Aufgabe 10 IV. Die Suche 13 V. Die Burgeule 16 VI. Die Verwandlung 21

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    Inhaltsverzeichnis

    I. Der Wald 3

    II. Die Hütte 7

    III. Die Aufgabe 10

    IV. Die Suche 13

    V. Die Burgeule 16

    VI. Die Verwandlung 21

    VII. Die Suche 24

    VIII. Der Turm 27

    IX. Die Rückkehr 30

    X. Die Vereinigung 32

  • 3

    I. Der Wald

    Ich erzähle Dir heute eine Geschichte von zwei Menschen, die durch das Band der Liebe vereint

    waren. Zwei Menschen, die das Schicksal zusammen brachte, um sie scheinbar wieder zu

    trennen. Ich erzähle Dir von abenteuerlichen Geschehnissen und fremden Ländern. Folge mir

    und wir tauchen ein in eine alte, längst vergessene Zeit. Und wie jedes gute Märchen fängt auch

    dieses mit den Worten an: „Es war einmal...“.

    Es war einmal vor langer, langer Zeit. Eine Zeit, als Menschen in großen Burgen

    wohnten und tapfere Ritter durch die Länder zogen. Es war einmal in einem Land, das

    wunderschön und friedlich war. Wunderschön, weil riesige, dunkle Wälder und weite,

    tiefe Seen sich über das Land erstreckten. Die Wälder waren voller großer, mächtiger

    Bäume mit Blättern, die im warmen Sonnenlicht in den verschiedensten Farben

    leuchteten. Am Boden der Wälder wuchsen weit und breit saftig grüne Gräser und

    Moos.

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    Es gab so viel davon, dass alle Tiere stets ausreichend zu essen fanden und die Wälder

    immer noch in den unterschiedlichsten Grüntönen strahlten. Die Tiere liebten ihre

    Wälder, nicht nur weil sie ihnen zu Essen gaben sondern auch, weil sie dort Schutz

    fanden. Schutz vor den Menschen. Aber nicht alle Menschen gingen in die Wälder, um

    zu jagen. Manche liebten und verehrten sie einfach ob ihrer Schönheit und Ruhe.

    So wie das kleine Mädchen, dass wieder einmal freudig und lachend allein durch ihren

    Wald lief. Vor ihr fürchteten sich die Tiere nicht, denn sie wussten, dass sie ihnen nichts

    böse wollte. Sie war fast eine von ihnen, denn der Wald war ihr heilig und vertraut. So

    vertraut, dass sie sogar mit ihm sprach. Und weil Tiere manchmal unhöfliche

    Geschöpfe sind, lauschten sie der Stimme des jungen Mädchens, als es eigentlich zu

    ihrem Wald sprach. So wussten die Tiere, dass ihr Name Annik und sie die Tochter des

    Königs Antal war. Dem König gehörten die Wälder und Felder und damit auch alle

    Tiere, die hier und dort wohnten. Aber Antal war ein gütiger und friedvoller Herrscher,

    der sich wenig aus der Jagd machte. Deshalb war den Tieren ein sicheres Leben gewiss,

    denn niemand außer dem König durfte in den Wäldern jagen. Des Königs Leidenschaft

    galt vielmehr der Philosophie. Jeden Tag wandelte er viele Stunden herum und machte

    sich Gedanken über dies und das. Er beobachtete sehr gern seine Untertanen und war

    stets bestrebt zu ergründen, was sie glücklich machte. Antal war deswegen aber nicht

    verschlossen oder in sich gekehrt. Er liebte es, mit jedem, der ihm begegnete zu reden.

    Am liebsten redete er mit seiner Tochter. Denn sie hatte stets eine Antwort auf seine

    Fragen und sah alles aus einem anderen Blickwinkel als er selbst.

    Die Tiere mochten Annik aber nicht nur ob ihres gütigen Vaters. Sie selbst war nicht

    nur wunderschön und stets fröhlich, sondern sie hatte auch großen Respekt vor der

    Natur und ihren Geschöpfen. Und wie die Tiere aus den Gesprächen Anniks mit dem

    Wald wussten, wünschte sich die kleine Prinzessin, sie könnte die Sprache der Tiere

    lernen. Das freute die Tiere natürlich, denn es gab nicht viele Menschen, die sich so um

    sie bemühten.

    Annik kam sehr oft in den Wald. Nicht nur zum spielen oder um sich ihre Zeit hier zu

    vertreiben. Oft kam sie, um dem Wald von ihren Gedanken und Gefühlen zu erzählen.

    Denn im Laufe der Zeit war der Wald zum besten Freund Anniks geworden. Sie

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    vertraute sich ihm an und er sprach zu ihr, indem er den Wind durch die Blätter

    streichen ließ, indem er mit den Ästen raschelte oder ganze Bäume wanken ließ. Annik

    fühlte sich so wohl in den Armen ihres Waldes. Sie war glücklich, sobald sie ihn betrat

    und die Welt hinter sich lassen konnte. Denn auch wenn Annik als Prinzessin geboren

    war, so war ihr Leben nicht immer leicht und einfach. Nicht nur, weil sie immer

    besonders brav und zuvorkommend sein musste, sondern auch, weil ihre Mutter,

    Königin Regina schon vor langer Zeit gestorben war. Annik wusste nicht, wie schwer

    die Zeit damals für ihren Vater Antal gewesen war. Sie wusste auch nicht, dass sie der

    einzige Grund für ihn gewesen war, nicht aufzugeben. Annik wusste nur, seitdem sie

    denken kann, dass ihr Vater immer für sie da war. Er erfüllte ihr zwar nicht jeden

    Wunsch und sie durfte auch nicht tun und lassen, was sie wollte. Aber er behandelte sie

    gütig und mit Umsicht. Und vor allem sprachen sie sehr viel miteinander. Und genauso

    wie ihre Gespräche mit dem Wald genoss die kleine Annik die stundenlangen

    Unterhaltungen mit ihrem Vater. Da ihr Vater aber nicht immer Zeit hatte, ging Annik

    zu ihrem Wald, als wäre es ihre Mutter.

    Auch an diesem wunderschönen, sonnigen Tag lief Annik in den Wald. Sie war

    glücklich, weil der Frühling gekommen war und ihr Wald jetzt besonders leuchtend

    grün war. Alles fing aufs Neue an, zu wachsen und zu blühen, und Annik wollte

    schauen, was sich im Wald alles verändert hat. Gleich beim Eingang zum Wald

    erfreuten Sträucher Anniks Augen, da sich bereits die ersten frische Triebe zeigten. Der

    Wald erwachte wieder zum Leben und Annik war entzückt! Jede Jahreszeit hatte ihren

    eigenen Reiz und je nach Saison zeigte sich ihr Wald von seiner schönsten Seite und in

    den unterschiedlichsten Farben. Aber im Frühling, im Frühling war es etwas

    Besonderes. Denn dann erfuhr Annik, was der Wald das restliche Jahr über tragen

    würde. Und welche Tiere in diesem Jahr in ihrem wundervollen Wald wohnen würden.

    Neugierig und voller Freude lief Annik so schnell in den Wald, dass sie beinahe das

    junge Eichhörnchen übersehen hätte, dass auf einem Ast saß und ganz vertieft an einer

    Nuss knabberte.

  • 6

    „Hallo Eichhörnchen“, rief Annik

    vergnügt dem kleinen

    Waldbewohner entgegen. „Wie

    geht es Dir an diesem herrlichen

    Tag?“. Annik fragte stets die

    Tiere nach ihrem Wohlbefinden,

    auch wenn sie noch nie eine

    Antwort erhalten hatte. Auch

    dieses Mal war es eher eine

    höfliche Geste der jungen

    Prinzessin. Umso mehr war sie

    erstaunt, als das Eichhörnchen

    sein knisterndes Knabbern

    unterbrach, den Kopf hob und

    ihr entgegnete: „Mir geht es an

    diesem herrlichen Frühlingstag

    wunderbar, Annik. Wie geht es Dir?“. Dazu muss man sagen, dass das Eichhörnchen

    sehr jung war und daher nicht wusste, dass den Tieren zwar Anniks wundersamer

    Wunsch, mit ihnen reden zu können, bestens bekannt war. Aber sie hatten bei einer

    ihren vielen Versammlungen beschlossen, noch zu warten – denn es barg nicht nur

    Vorteile, wenn Menschen die Tiere verstanden. Annik blieb überrascht stehen und sah

    das eifrige Eichhörnchen fragend an. ‚Hat es wirklich zu mir gesprochen?’, dachte

    Annik verwirrt. Aber sie kam nicht mehr dazu, dem Eichhörnchen zu antworten. Denn

    seine Mutter hatte die beiden beobachtet und etwas verärgert lief sie zu ihrem Jungen,

    packte ihn sanft an seinem kleinen Arm und zog ihn von der jungen Prinzessin weg.

    Annik beobachtete diese seltsame Szene, die sie sonst nur von den Menschen kannte,

    und meinte noch vernommen zu haben, wie die Eichhörnchen-Mama ihr ein

    beschwichtigendes „Entschuldige Annik“ nachrief. Verwundert schüttelte Annik den

    Kopf – doch der Gedanke hatte sich bereits festgesetzt: ‚Ich kann die Tiere verstehen!

    Sie reden mit mir!’. Annik war entzückt und überglücklich, denn wie oft erfüllt sich so

    plötzlich der sehnlichste Wunsch, den man sein Leben lang in seinem Herzen getragen

    hatte. Aber das war nicht die einzige Überraschung, die Annik an diesem Tag erleben

    sollte…

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    II. Die Hütte

    Fröhlich heiter lief Annik weiter in den Wald hinein. Sie wollte schauen, ob sie noch ein

    Tier fand, dass mit ihr reden wollte. Denn schließlich musste ihre Theorie bewiesen

    werden. Nicht weil Annik nicht glaubte, was sie gehört hatte. Sie wollte einfach nur

    auch andere Tiere reden hören. Und sich mit ihnen unterhalten. All die Jahre war es nur

    der Wald, der ihr zu antworten schien. Und heute, heute hatte endlich ein Tier zu ihr

    gesprochen. Die Tiere hatten sicher viel zu erzählen – und Annik wollte ihnen allen

    geduldig zuhören. Lachend lief die Prinzessin immer tiefer in den erwachenden Wald.

    Plötzlich kam Annik zu einem kleinen Bach, über den eine hölzerne Brücke führte.

    ‚Hier war ich noch nie’, dachte sie, als sie ihren Fuß auf den ersten Balken der Brücke

    setzte. Hinter dem Bach wartete eine kleine Lichtung auf der sich eine langsam

    verfallende Hütte befand. Annik war überrascht darüber, dass sie im Wald immer

    wieder etwas Neues entdeckte, obwohl sie doch schon so viel Zeit hier verbracht hatte.

    Neugierig wie Annik nun mal war, beschloss sie ihre Entdeckung genauer zu

    erkunden. Die Hütte war sehr alt und nicht besonders groß, und dennoch strahlte sie

    etwas Vertrautes und Sicheres aus. ‚Ob hier wohl jemand wohnt?’, fragte sich die kleine

    Prinzessin, als sie sich dem Holzhaus langsam näherte. Hinter der Hütte war Stroh

    gelagert, aber Annik konnte weder ein Tier noch einen Menschen ausmachen. Da sie

    vom vielen Laufen durch den Wald ein wenig müde geworden ist, beschloss sie

    einfach, hier kurz zu rasten. Und natürlich hoffte sie, dass sich inzwischen die

    Bewohner dieser einfachen Behausung zeigen würden. Außerdem gefiel Annik dieser

    Ort, der so viel Ruhe und Vertrautheit ausstrahlte. Durch die Bäume an der Lichtung

    schien wärmend die Sonne und die einzelnen Sonnenstrahlen tauchten den Platz in ein

    besonderes Licht. Kaum dass sich Annik an einen Heuballen anlehnend hingesetzt

    hatte, schlief sie auch schon sanft ein. Ihr Wald würde über sie wachen.

    Wie lange Annik im Land der Träume war, vermochte sie nicht zu sagen. Und auch, als

    sie langsam wieder ihre Augen öffnete, war sie sich nicht sicher, ob sie nicht noch

    träumte. Denn noch vom Schlaf trunken und blinzelnd blickte sie in die schönsten

    Augen, die sie jemals gesehen hatte. Zwei Augen, blau funkelnd wie die Seen in ihrem

    Wald und strahlend grün wie die Blätter ihres Waldes im Sonnenlicht.

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    Zwei Augen, in denen Annik sich für immer verlieren mochte. Zwei Augen, die so viel

    Güte und Liebe ausstrahlten. Zwei Augen, die sie freundlich fragend anschauten: „Wer

    bist Du?“ vernahm Annik eine junge, sanfte Stimme. „Und was machst Du hier?“ folgte

    sogleich. Annik setzte sich ein wenig auf und die Augen wichen von ihr zurück. Jetzt

    konnte die kleine Prinzessin erkennen, dass ein Junge – etwa in ihrem Alter – vor ihr

    kniete. „Ich bin Annik, die Prinzessin“, antwortete sie dem Jungen mit den

    wunderschönen Augen. „Prinzessin wovon?“ kam als einfache Erwiderung. Weil

    Annik in dem Augenblick nichts Besseres einfiel, sagte sie nur: „Prinzessin des Waldes“

    und lächelte bei ihrer Antwort. Der Junge sah sie überrascht an – und lächelte ebenfalls.

    „Nun Prinzessin vom Wald, ihr habt sicher Hunger.“, sagte der Junge und reichte

    Annik seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Annik konnte nicht sagen, worüber sie mehr

    erfreut war, als sie seine Hand ergriff. Über die Entdeckung, dass die Tiere mit ihr

    reden konnten oder über die Begegnung mit diesem unbekannten Jungen.

    Er führte sie in die einfache Hütte, in der ein wärmendes Feuer brannte. Denn auch

    wenn es Frühling geworden ist, so war es doch noch kalt und die Sonne senkte sich

    schon langsam am Horizont. Durch den kargen Feuerschein konnte Annik nur wenig

    von der Hütte ausmachen, aber sie ahnte, dass die Einrichtung sehr einfach sein würde.

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    Und auch das Essen, das ihr der Junge reichte, zeugte von seiner Herkunft. Es gab nur

    etwas Brot und gekochtes Gemüse – und dennoch, Annik schien es, als ob sie noch nie

    etwas Besseres gegessen hätte. Allein seine Anwesenheit vermochte die einfachsten

    Dinge in etwas Besonderes zu verwandeln. Beide setzten sich mit ihrer Schüssel und

    dem Brot an den Tisch und Annik fiel ein, dass sie gar nicht wusste, wie der Junge hieß.

    So fragte sie nach seinem Namen, was er denn im Wald mache und vieles, vieles mehr.

    Annik erfuhr, dass André – so hieß der Junge – im und vom Wald lebte. Er war hier

    geboren und aufgewachsen und kannte den Wald ebenso gut wie Annik. Mehr noch,

    der Wald war seine Familie, die ihn ernährte. Denn Andrés Mutter war bei seiner

    Geburt gestorben und sein Vater war im letzten Winter losgezogen, um Lebensmittel

    aus der Stadt zu holen. Seitdem war er jedoch nicht wieder gekommen. André wartete

    jeden Morgen und jeden Abend auf seine Rückkehr. „Er wird wieder kommen.“

    versuchte Annik ihn aufzumuntern, als sie die Traurigkeit in seinen Augen bemerkte.

    Das Blau schien jetzt sehr dunkel, gleich dem Himmel, wenn sich die Sonne bereits

    gesenkt hat und das grün glich jener Farbe des Waldes an einem traurigen Regentag.

    Annik nahm seine Hand, nachdem sie fertig gegessen hatten und drückte sie sanft. Sie

    sah ihm einfach nur in die Augen und lächelte ihn freundlich an – für einen Augenblick

    schien die Welt, der Wald sich um sie herum aufzulösen. „Ich muss gehen!“,

    durchbrach Annik die Stille des Moments. „Aber ich komme morgen wieder, wenn ich

    darf.“, fügte sie rasch hinzu, als sie merkte, dass ihre Worte ihn erschrocken hatten.

    Und so war es auch. Annik kam wieder in den Wald. Jeden Tag. Aber sie kam nicht

    mehr nur wegen dem Wald. Sie hatte einen Schatz gefunden, den sie gut hütete, von

    dem sie keinem erzählte – den sie jedoch jeden Tag besuchen kam. Der Wald hatte nicht

    nur seine eigene Schönheit für sie, er hatte ihr auch André geschenkt. Und sie

    verbrachte sehr viel Zeit mit dem Jungen, aber sein Vater kam nie mehr zurück.

    Irgendwann redeten sie nicht mehr von ihm. Es gab andere Dinge. Sie wanderten

    gemeinsam durch den Wald und jeder erzählte dem anderen, was er im Laufe der Zeit

    über seinen Wald entdeckt hatte. Im Sommer gingen sie in einem der vielen Seen

    schwimmen oder rannten tief in den Wald hinein, wo es besonders kühl und ruhig war.

    Im Herbst liefen sie fröhlich über das bunte Laub, sprangen in einen Blätterhaufen und

    warfen die Blätter wieder in die Luft. Im Winter tollten sie im Schnee herum, gruben für

    die Tiere nach Gras und zeichneten in der weißen Pracht ganz viele Engel, indem sie

  • 10

    sich in den Schnee warfen und mit ausgestreckten Beinen und Armen ruderten. So

    verging Jahr um Jahr und Annik und André wuchsen langsam heran. Bis eines Tages...

    III. Die Aufgabe

    Bis eines schönen Frühlingstages König Antal beschloss, dass seine Tochter nun alt

    genug sei, um zu heiraten. Er hatte trotz ihrer viele Gespräche und Unterhaltungen nie

    mit Annik darüber geredet, denn es war ihm etwas unangenehm gewesen. Da ihm aber

    das Glück seiner einzigen Tochter sehr am Herzen lag und er der Meinung war, dass sie

    sich jetzt den Mann fürs Leben suchen müsse, fragte er sie eines Tages direkt: „Annik,

    willst Du nicht heiraten?“. Als ob Annik noch nie darüber nachgedacht hätte! Wie jede

    kleine Prinzessin träumte Annik von einer wunderschönen weißen Hochzeit. Aber

    nicht so wie die anderen Mädchen von einem großen rauschenden Fest. Nein, Annik

    wollte im stillen Wald umgeben von ihren Freunden heiraten. Und sie wusste auch

    schon, wen sie heiraten wollte. Das wusste sie schon nach der ersten Begegnung mit

    André, denn in dieser Nacht träumte sie das erste Mal von ihrer Hochzeit mit ihm.

    Doch jetzt, da ihr königlicher Vater sie danach fragte, wusste Annik nicht, was sie

    antworten sollte. Was würde ihr geliebter Vater denn auch dazu sagen, wenn Annik

    ihm offenbaren würde, dass sie bereits einen Geliebten hätte. So antwortete sie: „Lieber

    Vater, nichts liegt mir ferner als nicht zu heiraten. Nur habe ich eine Bitte: Lasst mich

    selbst entscheiden, wen ich mir erwählen möchte.“. Annik wusste, dass ihr Vater von

    dem Standesdenken, das andere Königshäuser so gern zelebrierten, wenig hielt.

    Dennoch konnte sie ihm nicht so einfach die Wahrheit über André erzählen. Sie

    brauchte Zeit, um sich einen Plan zu überlegen und um André als ihren Geliebten

    heiraten zu können.

    Aber nicht nur Annik war daran, einen Plan zu schmieden. Denn auch wenn der König

    und seine Tochter im ganzen Land für ihre Güte und Freundlichkeit geliebt wurden, so

    gab es doch einen am Königshof, den kaum jemand wirklich mochte: Damian, der

    Berater des Königs. So gutmütig und großherzig König Antal war, sein Berater schien

    das Gegenteil zu sein. Viele vermuteten, dass Damian den König verzaubert hatte, um

    seine Stelle als Berater zu bekommen. Doch der Grund war wesentlich einfacher. Antal

  • 11

    war in seinen Entscheidungen schwach und oft zu nachdenklich. Er wollte stets alles

    gut abwägen, die Vorteile sowie die Nachteile – und dabei vergaß er nur allzu oft, dass

    die Entscheidung noch ausstand. Und dafür war Damian der richtige. Er sorgte dafür,

    dass der König auch zu einem Entschluss kam und dass diese Entscheidungen

    umgesetzt wurden. Für die Menschen schien es aber, als ob Damian so manches zu

    seinem Vorteil lenkte. Und in diesem Fall hätten die Menschen wirklich recht gehabt:

    Denn Damian wollte Annik zu seiner Frau haben. Nicht unbedingt, weil er König

    werden wollte, das wäre bloß ein nettes Hochzeitsgeschenk für ihn. Nein, es war Liebe,

    die er für Annik empfand. Seitdem er am Königshof seinen Dienst versah, verehrte er

    die junge Prinzessin. Und er hoffte, dass sie ihn irgendwann auch bemerken würde.

    Wenn sie nur nicht so viel Zeit im Wald verbringen würde, denn Damian konnte mit

    der Natur wenig anfangen... Er hatte sich schon oft gefragt, was sie jeden Tag für so

    viele Stunden im Wald machte – und stets kam sie glücklicher zurück als am Morgen,

    als sie fort ging. So beschloss er eines Tages, ihr zu folgen in den dunklen Wald – und

    was er dort sah, zerriss beinahe sein liebendes Herz. Annik traf sich mit einem jungen

    Mann, den Damian noch nie zuvor gesehen hatte. Und wie vertraut er seiner geliebten

    Prinzessin war. Wie zwei Schmetterlinge flogen sie fast durch den Wald und lachten

    dabei. Damian war schnell bewusst, dass Annik längst ihren Geliebten gefunden hatte –

    und er musste etwas dagegen unternehmen. Er musste Zeit gewinnen und ihn

    loswerden, damit er sie für sich allein haben konnte.

    So kam es, dass nicht nur Annik an einem Plan schmiedete. Es war nicht einfach für sie,

    denn sie konnte André nicht ohne weiteres vom Wunsch ihres Vaters erzählen.

    Vielleicht schämte sich Annik auch ein wenig für André, denn er war offensichtlich

    kein reicher Edelmann – auch wenn das für Annik nicht wichtig war. Sie wusste um

    seine inneren Werte und dass er sie glücklich machte. Mit ihm konnte sie über alles

    reden, sie konnte einfach so sein, wie sie war. Und sie fühlte sich bei ihm geborgen und

    sicher. All das liebte sie an ihm. Ja, sie liebte André und da ihr das bewusst war, musste

    sie einen Weg finden, wie er sie heiraten konnte. Die einzige, der sich Annik in diesem

    Fall anvertrauen konnte, war ihre Zofe und beste Freundin Sophie. Sophie war von

    einfachem Gemüt aber umso freundlicher. Immer, wenn Annik ein wenig traurig war,

    konnte Sophie sie aufheitern – zumeist unfreiwillig, weil Sophie etwas tollpatschig war.

    Aber in diesem Fall hatte sie eine ausgezeichnete Idee. So schien es jedenfalls Annik.

  • 12

    „Warum lässt Du Dir nicht einfach einen Turm bauen als Dein Hochzeitsgeschenk. Und

    solange an dem Turm gebaut wird, kannst Du Dir überlegen, wie Du André zu Deinem

    Ehemann machen kannst.“ fragte Sophie beiläufig, als wäre dieser Plan mehr als

    offensichtlich gewesen. Sophie kannte diesen André zwar nicht, aber sie wusste von

    den Berichten Anniks, dass er ihre große Liebe war. Und weil Sophie eine romantische

    Ader hatte und Annik liebte, wollte sie ihrer Prinzessin zu ihrem Glück verhelfen.

    „Sophie, Du bist die Beste!“, rief Annik erfreut und eilte sogleich zu ihrem Vater, um

    ihm vom Turm zu berichten. „Was willst Du denn mit einem Turm?“, fragte Antal

    verwirrt seine Tochter. „Darin wohnen Vater und von oben meinen geliebten Wald

    überblicken.“, antwortete Annik rasch. Ihr gefiel dieser Plan immer besser, denn ihr fiel

    erst jetzt ein, dass sie diesen Turm auch nutzen könnte. Und von oben ihren Wald zu

    jeder Zeit betrachten zu können, dieser Gedanke gefiel Annik sehr gut.

    Was Annik jedoch nicht wusste, war die Tatsache, dass auch Damian dem König bereits

    einen Plan verraten hatte. Einen Plan, wie denn der richtige Ehemann für die junge

    Prinzessin zu finden sei: „Gut.“, sagte der König zu seiner Tochter. „Du sollst Deinen

    Turm bekommen, aber...“, Annik sah ihren Vater überrascht an, „Dein Ehemann wird

    nur derjenige, der Dir einen vollkommenen Ring bringt.“. „Was?“, fragte Annik entsetzt

    und aufgelöst. Sie wusste, dass André kein Geld hatte und woher sollte er dann einen

    vollkommenen Ring besorgen. „Was meinst Du mit einem vollkommenen Ring

    überhaupt?“, entgegnete Annik traurig. „Ein Ring so wunderschön wie Du mein Kind,

    der Dir auf Anhieb passt. Wer diesen Ring besitzt, soll auch Dein Ehemann werden.“,

    antwortete König Antal, der diese Aufgabe, die ihm von Damian eingeredet wurde, als

    hervorragend befand. Damian besaß natürlich nicht diesen Ring, aber es würde ihm

    Zeit verschaffen, um mit der Prinzessin allein zu sein. Um sie von seinen Gefühlen zu

    überzeugen. Denn so wie er es geplant hatte, berichtete Annik am nächsten Tag tief

    traurig André vom Plan ihres Vaters. Und wie Damian es sich vorgestellt hatte, machte

    sich André auf die Suche nach dem vollkommenen Ring. Denn seit der ersten Begegnung

    mit Annik war es sein sehnlichster Wunsch, für immer mit ihr zusammen zu sein. Und

    das ging natürlich am besten – jetzt, da sie beide erwachsen waren – als Ehemann.

    Annik verabschiedete sich mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss von ihrem

    geliebten André und blickte ein letztes Mal in seine wunderschönen Augen. „Ich werde

    wieder kommen – mit dem Ring“, sagt er, als er ihre Arme losließ und sich auf den

  • 13

    weiten Weg machte. „Ich werde warten!“, rief sie ihm noch nach, als er im Dunkel des

    Waldes verschwand. Eine Träne kullerte über Anniks Wange und fiel sanft auf den

    weichen Waldboden…

    IV. Die Suche

    Damian musste sehr schnell erfahren, dass Pläne sich nicht immer so entwickeln, wie

    man sich das vorstellt. André hatte sich zwar wie erwartet sofort auf die aussichtslose

    Suche nach dem vollkommenen Ring gemacht, aber Annik... – Annik verbrachte noch

    mehr Zeit im Wald, weil dies der Ort war, an dem sie glücklich gewesen war. Glücklich

    mit André, der jetzt schon sehr lange fort war. Damian begegnete ihr nun noch seltener

    als früher und es ergab sich kaum eine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Und so konnte

    er ihr auch nie seine Gefühle für sie gestehen. Es hätte wohl auch wenig gebracht, denn

    Anniks Gedanken waren nur bei André. Bei ihrem Geliebten. Sie dachte an ihn, wo er

    jetzt wohl war und wie es ihm ginge...

    André war auf der Suche nach dem vollkommenen Ring durch den ganzen Wald

    gewandert. Als Annik ihm von der Idee ihres Vaters erzählt hatte, wollte er nicht

    zugeben, dass er sich unter dem vollkommenen Ring eigentlich nichts vorstellen konnte.

    Er wollte nicht zugeben, dass er kein Geld besaß, um Annik einen Ring zu kaufen und

    so machte er sich auf die Suche nach etwas, von dem er keinerlei Vorstellung hatte, was

    es sein könnte. Aber tief in seinem Herzen fühlte er, dass er wissen würde, was der

    vollkommene Ring sei, wenn er ihn nur sehen würde. Und da er Annik über alles liebte

    und für immer bei ihr sein wollte, ging er von ihr weg. André wusste nicht, wie viele

    Tage es dauern würde, um den großen Wald zu durchqueren. Er wusste eigentlich auch

    nicht, wo er überhaupt suchen sollte, er machte sich einfach nur auf den Weg. Denn oft

    findet man etwas nur, wenn man gar nicht danach sucht. Und André wusste, dass man

    das Ziel erst dann wirklich kennt, wenn man den Weg gegangen ist.

    Am anderen Ende des großen Waldes kam André zu einem kleinen Dorf mit einer alten

    Burg. André kannte diesen Ort nicht, weil er den Wald noch nie so weit durchquert

    hatte. Da er aber seit vielen Tagen unterwegs war und schon lange nichts mehr

  • 14

    gegessen hatte, beschloss er, hier kurz Rast zu machen. Außerdem war es bereits

    wieder Herbst und die Nacht würde bald hereinbrechen. Es wäre kein Nachteil, ein

    Dach über den Kopf zu haben. So ging André ins Dorf hinunter. Die Häuser hier waren

    sehr alt und klein. Auf der Straße war niemand zu sehen, was André ein wenig

    verwunderte. Er war die Welt der Dörfer und Städte nicht gewöhnt, aber jedes Mal

    wenn er diese für ihn fremde Welt betrat, traf er auf Dutzende von Menschen.

    Nur hier, hier war vieles anders. In jedem Fenster der Häuser brannte eine Kerze, was

    André freute. Nicht nur, weil das Dorf dadurch eine eigene Atmosphäre erhielt. Auch

    sein Weg wurde dadurch erhellt und André musste nicht gänzlich im Dunkeln durch

    die Straßen laufen. Endlich entdeckte er das Schild eines Gasthauses, das ihn

    willkommen hieß. Knarrend öffnete André die alte hölzerne Tür und eine gänzlich

    andere Welt empfing ihn. So ruhig und verlassen die Straßen auch waren, hier herinnen

    herrschte das Leben. Fast alle Tische des kleinen Gasthauses waren besetzt und die

    Menschen aßen und tranken, lachten und redeten miteinander. André lächelte bei

    diesem Anblick und schloss die Türe hinter sich. Er setzte sich an einen leeren Tisch

    und winkte den Schankmeister zu sich. André hatte kaum Geld, aber für eine warme

  • 15

    Suppe und etwas Brot sollte es reichen – und vielleicht könnte er auch noch ein warmes

    Plätzchen für die Nacht bekommen.

    Normalerweise begegnet man Fremden äußerst misstrauisch, aber der Schankmeister

    behandelte André sehr zuvorkommend und freundlich. Darüber hinaus war der

    Schankmeister sehr redselig. Er fragte André woher er denn komme und was er hier im

    Dorfe wolle und vieles mehr. André war höflich und beantwortete die meisten Fragen,

    nur den Grund für seine Reise gab er nicht bekannt. Das war sein kleines Geheimnis

    und nur er allein konnte finden, was er Annik versprochen hatte. Als André die

    Neugierde des Schankmeisters befriedigt hatte, war es an ihm, etwas über das Dorf zu

    erzählen. Und so offen und neugierig der Schankmeister eben noch war, so

    verschlossen und ablehnend gab er sich zunächst. Anscheinend lag nicht nur eine

    besondere Atmosphäre über dem Dorf sondern auch ein außergewöhnliches

    Geheimnis.

    Die alte Burg, die über dem Dorf ragte, war schon lange nicht mehr bewohnt –

    zumindest nicht mehr von Menschen. Denn, wie André erfuhr, trieb in den alten

    Mauern seit langer Zeit ein Geist sein Unwesen. Es hatte zwar noch kein Mensch dieses

    Gespenst gesehen, aber jede Nacht konnte man sein unheilvolles Kreischen und

    Jammern vernehmen. Damit es sich auch künftig vom Dorf fern hielt, entzündeten die

    Menschen jeden Abend in jedem Fenster ihres Hauses eine Kerze – denn, so glaubten

    die Menschen, würde das Licht den Geist abschrecken. Trotzdem hatten die Bewohner

    des Dorfes Angst, denn wer wisse schon, wie lange sich das Ungeheuer noch von den

    einfachen Kerzen abhalten ließe.

    André fragte den Schrankmeister, ob noch niemand versucht habe, das Gespenst aus

    den alten Mauern zu vertrieben, damit endlich wieder Ruhe in das friedvolle Dorfleben

    einkehren könne. Der Schrankmeister wusste nicht, ob er über diese Worte lachen oder

    verschreckt sein solle – so wahnwitzig erschien ihm diese Idee. Aber nach kurzer Pause

    kam ihm eine Idee und so drehte er sich zu den anderen Gästen in seiner Stube und rief

    laut: „Liebe Freunde, wir haben hier einen Helden vor uns, der uns von unserem

    unsäglichen Ungeheuer befreien will!“. Während die Anwesenden laut zu klatschen

    begannen, sah André den Schrankmeister nur überrascht an. „Aber..., aber so habe ich

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    das nicht gemeint, guter Mann.“, stammelte André. Der Schrankmeister zwinkerte ihm

    vertrauensvoll zu, beugte sich zu André hinunter und sagt bloß: „Vertrauen Sie mir

    ruhig.“. Dann drehte er sich wieder zu den anderen und rief: „Ach, es soll ihr Schaden

    nicht sein, guter Herr, wenn Sie uns heldenhaft helfen. Liebe Leute, was ist uns unsere

    Ruhe und Frieden wert?“. Und tatsächlich, André konnte sich auf den Schankmeister

    verlassen. Denn was er dann sah, überraschte ihn noch mehr als die seltsamen Worte

    des alten Herren.

    Die Gäste in der Stube, die kaum reicher als André selbst gewesen sein dürften, holten

    unzählige Goldmünzen aus ihren Taschen, Jacken und auch unter ihren Mützen hervor.

    All das legten sie auf den Tisch vor André und das alte Holz hatte offensichtlich Mühe,

    unter dem Gewicht nicht zusammen zu brechen. André kam sofort ein Gedanke:

    vielleicht war das der vollkommene Ring, den Annik gemeint hatte. Denn mit so viel

    Geld konnte er sich ohne Zweifel vieles leisten und er müsste sich nicht mehr ob seiner

    Armut im Wald verstecken!

    „Das alles soll Dein Lohn sein, junger Freund, wenn Du uns von dem Ungeheuer in der

    alten Burg befreist!“, rief ihm der Schankmeister zu und klopfte André ein paar Mal

    kräftig auf die Schulter, wodurch dieser fast auf den Goldhaufen vor ihm fiel. Die

    Dorfbewohner in der Stube klatschten laut Beifall und ließen André hochleben, als ob er

    schon siegreich von seinem Abenteuer zurückgekehrt sei. „Dann wird es wohl nichts

    mit einem warmen Plätzchen zum Schlafen.“, sagt André noch immer verdutzt und

    stand vom Tisch voller Gold auf. „Später, später!“, erwiderte der Schankmeister

    lachend, während er André zur Tür begleitete…

    Fortsetzung folgt…

    Falls dir das Märchen soweit gefallen hat und du wissen möchtest, wie es weiter geht,

    dann nimm doch einfach mit mir Kontakt auf - am schnellsten geht es über das

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