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Leseprobe Damm, Sigrid "Einmal nur blick ich zurück" Auskünfte Herausgegeben von Hans-Joachim Simm © Insel Verlag insel taschenbuch 3643 978-3-458-35343-0 Insel Verlag

Insel Verlag - bücher.de...Sigrid Damm »Einmal nur blick ich zurck« Ausknfte Herausgegeben von Hans-Joachim Simm Mit zahlreichen Abbildungen Insel Verlag Umschlagfoto: Karen Seggelke

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Page 1: Insel Verlag - bücher.de...Sigrid Damm »Einmal nur blick ich zurck« Ausknfte Herausgegeben von Hans-Joachim Simm Mit zahlreichen Abbildungen Insel Verlag Umschlagfoto: Karen Seggelke

Leseprobe

Damm, Sigrid

"Einmal nur blick ich zurück"

Auskünfte

Herausgegeben von Hans-Joachim Simm

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3643

978-3-458-35343-0

Insel Verlag

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Der mit vielen Fotos ausgestattete Band gibt faszinierend Auskunft�ber Sigrid Damm, eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerin-nen. Interviews, Laudationes und Dankreden, Texte von und �berSigrid Damm zeigen ihren Werdegang und die Entstehung und Rezep-tion ihrer Werke. Zugleich wird ihre Wanderung zwischen den geogra-phisch-politischen R�umen und zwischen den Zeiten dokumentiert,eine Wanderung, die sie einf�hlsam und kritisch unternimmt sowiemeisterhaft gestaltet in ihren Gegenwartsromanen und in ihren histo-rischen B�chern, die zu den erfolgreichsten der letzten Jahrzehnte z�h-len. Aufzeichnungen �ber Begegnungen mit ihrem Verleger SiegfriedUnseld, ihrem Mentor Franz F�hmann, mit Christa Wolf und Eva Stritt-matter vermitteln dar�ber hinaus nicht nur ein St�ck deutsch-deut-sche Zeitgeschichte, sondern gew�hren auch sehr persçnliche Einblickein Sigrid Damms Leben.

Der Titel von Sigrid Damms neuem Buch stammt aus dem fr�hen Ge-dicht von Joachim Ringelnatz »Hinaus an den Strand will ich gehen«.

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insel taschenbuch 3643Sigrid Damm

»Einmal nur blick ich zur�ck«Ausk�nfte

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Sigrid Damm»Einmal nur blick

ich zur�ck«Ausk�nfte

Herausgegebenvon Hans-Joachim Simm

Mit zahlreichen AbbildungenInsel Verlag

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Umschlagfoto: Karen Seggelke

insel taschenbuch 3643Originalausgabe

Erste Auflage 2010� Insel Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in GermanyISBN 978-3-458-35343-0

1 2 3 4 5 6 – 15 14 13 12 11 10

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Inhalt

Gespr�che 1985-2009

Schreib-Auskunft. Achim Roscher im Gespr�chmit Sigrid Damm (1985) . . . . . . . . . . . . . . 13

T�glich steht Lenz vor unserer T�r. Michael H�hnelim Gespr�ch mit Sigrid Damm (1987) . . . . . . . 20

Mein Thema ist Cornelia. Ursula Emmerichim Gespr�ch mit Sigrid Damm (1987) . . . . . . . 27

So kçnnte es gewesen sein. Karlheinz Fingerhutim Gespr�ch mit Sigrid Damm (1989) . . . . . . . 34

Christiane und Goethe. Eine Recherche.Ulrich Kaufmann im Gespr�ch mit Sigrid Damm(1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Eine kleine Wolke sein. Heinz Stade �berSigrid Damm (1998) . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Ich maße mir nicht an, Leben beschreiben zu kçnnen.Sigrid Damm auf Fragen von Sigrid Lçffler �ber

ihre Arbeit an »Christiane und Goethe.Eine Recherche« (2001) . . . . . . . . . . . . . . 66

Vielleicht ist der Stil der Mensch. Andreas Nentwichim Gespr�ch mit Sigrid Damm (2002) . . . . . . . 74

Er gibt uns zu tun, dieser Schiller.Reinhard Leipert im Gespr�ch mit Sigrid Damm�ber »Das Leben des Friedrich Schiller.Eine Wanderung« (2005) . . . . . . . . . . . . . . 145

Der wilde Gestus des Aufbegehrens.Ulrich Kaufmann im Gespr�ch mit Sigrid Damm�ber »Das Leben des Friedrich Schiller.Eine Wanderung« (2005) . . . . . . . . . . . . . . 152

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Heiter annehmen. Karim Saab im Gespr�ch mitSigrid Damm �ber »Das Leben des FriedrichSchiller. Eine Wanderung« (2005) . . . . . . . . . 165

Albert von Schirnding: Sigrid Damm zu Gastmit den »Tage- und N�chteb�chern aus Lappland«(2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Das bewege ich im Kopf. Arno Widmann im Gespr�chmit Sigrid Damm �ber Freiheit, den alten Goetheund das Ende der DDR (2008) . . . . . . . . . . . 177

Gabriela Jaskulla im Gespr�ch mit Sigrid Damm�ber Caroline Schlegel-Schelling (2009) . . . . . . 189

Laudationes und Dankreden

Volker Ebersbach zur Verleihung des Lion-Feuchtwanger-Preises der Akademie der K�nsteder DDR an Sigrid Damm (1987) . . . . . . . . . 199

Lenz – eine geheime Lernfigur. Dankrede zurVerleihung des Lion-Feuchtwanger-Preises(1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Kyra Stromberg, Das Verlorene der Geschichte.Zur Verleihung des Evangelischen Buchpreisesan Sigrid Damm (1989) . . . . . . . . . . . . . . . 224

Helmuth N�rnberger zur Verleihung des Fontane-Preises an Sigrid Damm (1994) . . . . . . . . . . . 241

Dankrede zur Verleihung des Fontane-Preises (1994) 254Albert von Schirnding zur Verleihung des Mçrike-

Preises an Sigrid Damm (1994) . . . . . . . . . . . 256Eduard Mçrike: ». . . und mçchte mein Schicksal

mit F�ßen zertreten«. Dankrede zur Verleihungdes Mçrike-Preises (1994) . . . . . . . . . . . . . 269

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Hans-Joachim Simm, Zu Sigrid Damms Werk.Rede zur Verleihung des Th�ringer Literaturpreisesan Sigrid Damm (2005) . . . . . . . . . . . . . . . 282

Dankrede zur Verleihung des Th�ringerLiteraturpreises (2005) . . . . . . . . . . . . . . . 294

Texte �ber Kollegen, Freunde und�ber Stipendienaufenthalte

Georg B�chner und Jakob Lenz (1987) . . . . . . . . 307Hans-Gerhard Templin (1987) . . . . . . . . . . . . 316Zwei Texte zu Fotos. Der Augenblick, Erinnerung

beim Anblick eines Fotos (1989) . . . . . . . . . . 319�ber Franz F�hmann (1993) . . . . . . . . . . . . . 321Siegfried Unseld zum 70. Geburtstag (1994) . . . . . 328Der Zeitverlust, das schçne Geschlecht und Goethes

Werk. �ber Goethe und die Frauen (1999) . . . . . 335Nicht viel werden wir mehr von Liebe reden.

Goethes Schwester (1999) . . . . . . . . . . . . . 3431999: ein halbes Jahr in Rom (2003) . . . . . . . . . 355Christa Wolf zum 75. Geburtstag (2004) . . . . . . . 362Arbeit als Lebenselixier. F�r Peter Deilmann (2005) 365Eva Strittmatter zum 75. Geburtstag (2005) . . . . . 373Der Luftsprung. Zur Schiller-Ehrengabe (2005) . . . 379Zum 200. Hochzeitstag von Christiane und Goethe

(2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384Antrittsrede zur Wahl als Mitglied der Mainzer

Akademie der Wissenschaften und Literatur(2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Frank Schneider zum Abschied vom KonzerthausBerlin (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

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Ein heißer Sommer: drei Monate als Stipendiatinder Hermann-Hesse-Stiftung in Calw (2009) . . . 411

»Dreh dich nur beil�ufig um«. Zum 60. Geburtstagvon Angela Krauß (2010) . . . . . . . . . . . . . . 436

Hans-Joachim Simm: Recherche und Begegnung . . 444Sigrid Damm Verzeichnis der Publikationen . . . . . 453Die Interviewpartner und Laudatoren . . . . . . . . 457Textnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459Bildlegenden und Fotonachweise . . . . . . . . . . . 463

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Gespr�che 1985-2009

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Schreib-Auskunft

Achim Roscher im Gespr�ch mit Sigrid Damm

1985

Achim Roscher: Weshalb schreiben Sie ein Buch �ber JakobMichael Reinhold Lenz – »Vçgel, die verk�nden Land . . .«,wodurch wurden Sie zu diesem Stoff angeregt?

Sigrid Damm: Wenn man f�nf Jahre an dem Manuskriptgesessen hat und dieser Jakob Michael Reinhold Lenz ei-nem dadurch sehr vertraut und nahe ist, f�llt es schwer,�ber Schreibmotive zu sprechen. Weshalb schrieb ich die-ses Buch? Ich glaube, aus Neugier; ja, aus Neugier. Ich wuß-te fast nichts �ber Lenz beziehungsweise nur die g�ngigenKlischees, daß er – ich vergrçbere – Goethe, seinem Freund,die Frauen abspenstig gemacht habe, sp�ter in Moskau zehnJahre in geistiger Umnachtung dahinged�mmert sei und im�brigen, man kann das in »Dichtung und Wahrheit« nach-lesen, ein intriganter, unsteter und nicht gerade sympathi-scher Mensch war. Und dann las ich Texte von ihm, Dra-men, Gedichte, Prosa, und davon ging eine Faszinationaus – und eine Beunruhigung, eine untergr�ndige Beunruhi-gung. Der Abstand der zweihundert Jahre schwand. Undda wollte ich wissen, wie dieser Mann im 18. Jahrhundert,zur Zeit schlimmer »deutscher Misere«, in dem »grçßtenGef�hl seiner Existenz, seiner F�higkeiten, seines Selbst«leben und handeln wollte (»handeln, nicht spitzf�ndeln, . . .daß handeln, handeln die Seele der Welt sei«), ein Theater»f�r das ganze Volk unter freyem Himmel« ertr�umte –ein Plebejer, der er zwar nicht der Herkunft, doch der Hal-tung nach war, sich selbst als den »stinkenden Athem des

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Volks« bezeichnete; ich wollte herausfinden, wo die Ur-spr�nge seiner Schreibantriebe lagen, wo die Schreibhem-mungen einsetzten, die Qual des Schweigens begann, desVerstummens. Letztlich des tragischen Scheiterns. Ich woll-te seinen Weg �ber die einundvierzig Jahre seines Lebensverfolgen, nicht allein die wenigen Jahre, die man in der Li-teraturgeschichte gemeinhin »Sturm und Drang« nennt.

Lenz ist in der Tat die »jammervollste aller Literaturlei-chen«, und dieser Widerspruch zu der Lebendigkeit, mitder er mich mit seinem Werk ber�hrte, war mein Antrieb.Adolf Muschg sagt: »Die Zukunft wird auf dem Niveauunseres Umgangs mit der Vergangenheit gewonnen oderverloren, und es gibt keine dauerhaftere Aktualit�t als dieder Opfer, auf denen eine andere Zeit sich erhebt.« In die-sem Sinne geht Lenz uns an, der Dichter und der Mensch.

Roscher: Wie w�rden Sie Ihre Schreibhaltung charakte-risieren?

Damm: Das ist schwierig, ich glaube, ich kann es kaumsagen, formuliere vielleicht nur eine Wunschhaltung,der ichtats�chlich gar nicht entspreche. Ich w�rde meine Schreib-haltung als vorsichtig charakterisieren. Ich n�here michLenz �ußerst vorsichtig. Ein Satz von Walter Benjamin warmir beim Schreiben immer wichtig, ich hatte ihn st�ndigim Kopf: »Es gibt im Bereich der Biographik weder Kom-mentar noch Kritik.« Ich bin gewagten Hypothesen be-wußt ausgewichen, auch wenn ich sie bei anderen durchausinteressant finde – ich nenne als Beispiel Bertaux’ Hçlder-lin-Buch. Die Versuchung dazu h�tte bei Lenz mit den zahl-reichen Legenden, Halbwahrheiten und Dunkelheiten �berseinen Lebensweg nahegelegen. Ich glaube �berdies, daßman auch die Intimsph�re eines Autors, der vor zweihun-dert Jahren gelebt hat, respektieren muß. So empfinde ich

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es jedenfalls. Und man muß sich als analytisch Schreiben-der zur�ckhalten. Ich versuchte daher sehr vorsichtig, ledig-lich mit authentisch �berliefertem, mit Dokumenten, sei-nen und denen seiner Zeit, eine nacherlebbare Vorstellungseines Lebens zu geben. Leerstellen verschweige ich nicht.Es ist selbstverst�ndlich nur eine Ann�herung – die meine –mit der sich der Leser anfreunden oder zu der er in Wider-spruch treten kann.

Roscher: Welche Mçglichkeiten der Stoffbew�ltigung er-gaben sich, f�r welche haben Sie sich entschieden und wes-halb?

Damm: Da ich Germanistin bin, lag es zun�chst nahe,eine rein literaturhistorische beziehungsweise literaturwis-senschaftliche Arbeit zu schreiben. So habe ich angefan-gen,und die Methode der Quellenaufarbeitung war dem ent-sprechend, zumal da ich zeitgleich eine dreib�ndige Lenz-Ausgabe,Werke und Briefe, vorbereitet habe. Die Schreib-art des Lenz-Buches ist eine ganz andere geworden. Es wirdein Leben erz�hlt – mit einem durchg�ngigen Erz�hlgestus.Dies ergab sich im Laufe der Arbeit, es erwuchs aus demst�ndigen Mißvergn�gen und Unbehagen an dem schonGeschriebenen. Ich hatte das Gef�hl, daß Lenz immer fern-bleibt, f�r mich und damit auch f�r den Leser. Meine Be-troffenheit, meine durch ihn ausgelçste Beunruhigung konn-te ich nur so mitteilen, wie ich es jetzt getan habe.

Roscher: Welche Gelegenheiten des Recherchierens hat-ten Sie, wie nutzten Sie sie?

Damm: Vieles ist unrettbar verloren, im Dunkel der Ver-gangenheit versunken. Vieles �ber Lenz – �ber sein Land-l�ufer-Dasein, seine Aufbr�che und Fluchten – ist aus Do-kumenten nicht mehr zu analysieren. F�r seinen Vater undf�r seine Br�der war Lenz ein Außenseiter, ein Narr, ein

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Dichter eben; sie hielten es nicht f�r wert, seinen Nach-laß zu bewahren. Anderes ist durch �ußere Einwirkungenvernichtet. Bei der Belagerung Straßburgs 1870 branntezum Beispiel die Bibliothek. Besonders bitter sind die Ver-luste von Dokumenten aus der Moskauer Zeit. Lenz selbsthat wohl vieles verbrannt – aus gutem Grund: Er gehçrtedem fortschrittlichen Kreis um Nowikow, Karamsin, Pe-trow, Kutusow und – im weiteren Sinne – Radistschew an.Schon vor der Franzçsischen Revolution beargwçhnte dieZarin Katharina die einstmals von ihr gefçrderte Intelli-genz. Die Revolution in Frankreich ließ sie in allen Jako-biner vermuten, sie verfolgte sie erbarmungslos. Was dannbei den Polizeiaktionen konfisziert worden war, ging 1812beim Brand von Moskau unter. Zeugnisse des Verh�ltnis-ses zwischen Goethe und Lenz aus der Weimarer Zeit sindaus anderen Motiven vernichtet worden. Der von Goetheunerbittlich forcierte und f�r Lenz tragische Bruch derFreundschaft – Goethe veranlaßte Lenzens Ausweisung ausder Stadt – wurde mit Schweigen belegt, und Goethe wußteoffenbar auch andere zum Schweigen zu bringen: Herder,Wieland, Charlotte von Stein . . .

Nun habe ich bisher nur Auskunft �ber das Verlorene ge-geben. Aber ich konnte auch einiges finden. So habe ichdie Archive in Basel und Z�rich, in Straßburg und Walders-bach befragt, Ausk�nfte von Freunden in Sesenheim be-kommen. Zum Schluß, das Manuskript war bereits abge-schlossen, habe ich im Staatsarchiv Weimar im Nachlaßdes Herzogs Carl August �berraschend Aufschlußreichesentdeckt. Sehr wichtig war f�r mich eine Reise in die Sow-jetunion: Moskau, Lettland, Estland. Ich lernte die Land-schaft kennen, in der Lenz aufgewachsen ist, arbeitete imFamilienarchiv in Riga und in Tartu, dem ehemaligen Dor-

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pat. Aber ich glaube, ich muß hier nicht Einzelheiten be-richten, f�r den Leser kann eigentlich nur das Ergebnis mei-ner Bem�hung von Interesse sein.

Roscher: War es notwendig,den Realit�tsgehalt der B�ch-nerschen Erz�hlung zu revidieren, soweit er auf den vonB�chner verwendeten Aufzeichnungen des Pfarrers Ober-lin beruht?

Damm: B�chners Lenz-Novelle ist und bleibt einer derbeeindruckendsten Prosatexte der deutschen Literatur.Aber was die Aufzeichnungen Oberlins angeht, die B�ch-ner zu großen Teilen wortwçrtlich �bernommen hat, sow�re da einiges zu sagen.

Zun�chst ist Oberlin von den zweiundzwanzig Tagen,die Lenz in seinem Haus verbringt, mehr als die H�lftegar nicht anwesend, er gibt also zum großen Teil BerichteDritter wieder. Und er schreibt seine Aufzeichnungen auseiner Art Rechtfertigungshaltung, denn man hatte ihm vor-geworfen, er habe Lenz zu schnell wegschaffen lassen. Erschreibt Wochen danach lange, angeblich wçrtliche �uße-rungen Lenzens nieder – suggestiv wertend. Hier ist Skep-sis angebracht. Das Entscheidende aber: Oberlin verurteiltLenz, sieht seinen Krankheitsausbruch als selbstverschul-det, als Strafe Gottes, als Folge von Lenzens »Ungehorsamgegen seinen Vater«, seiner »herumschweifenden Lebens-art, seiner unzweckm�ßigen Besch�ftigungen« – das heißtseines Dichtens. Georg B�chner, der das Material verwen-det, bezieht eine ganz andere Haltung. Er versteht LenzensEinsamkeit als Folge des Wunsches, ohne verbildende Kom-promisse leben zu wollen, begreift seine Unf�higkeit zurAnpassung, sieht seine panische Flucht vor dem Wahnsinnals Leiden an der Welt. Der »Riß«, der durch die Welt geht,spaltet Lenz, zerreißt ihn. B�chner kannte nat�rlich weitaus

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mehr als den Oberlin-Bericht. Oberlin war erst zehn Jahretot, der Vater von B�chners Braut hatte ihm die Leichenpre-digt gehalten. B�chners Straßburger Freunde August undAdolf Stçber hatten Briefe und Aufzeichnungen von Lenz.Und B�chner besaß die erste Lenz-Ausgabe, die LudwigTieck herausgegeben hatte. Auch ist B�chners »Woyzeck«ohne Lenzens »Soldaten« nicht denkbar.

Jahre bevor die Lenz-Novelle entstand, dienten die An-fangszeilen eines Lenz-Gedichtes als Geheimschrift-Codeim B�chner-Weidig-Kreis f�r den Kassiberwechsel mit denpolitischen Gefangenen. Das heißt, B�chner ist der erste,der aus seiner eigenen revolution�ren Haltung heraus Len-zens große poetische und soziale Leistung begreift, seineschon vergessene, scheinbar historisch besiegte Positionfreilegt, die Alternative zur Klassik n�mlich, die Lenz, der»stinkende Athem des Volks«, in der Tat darstellt.

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T�glich steht Lenz vor unserer T�r

Michael H�hnel im Gespr�ch mit Sigrid Damm

1987

Michael H�hnel: »Vçgel, die verk�nden Land. Das Lebendes Jakob Michael Reinhold Lenz« heißt Ihre erste Prosa-arbeit, die 1985 im Aufbau-Verlag erschienen ist. Die Aka-demie der K�nste der DDR hat Sie f�r dieses Buch mit demLion-Feuchtwanger-Preis 1987 ausgezeichnet. Sie sind Ger-manistin. Haben Sie mit dem Lenz-Buch einen Wechselvon wissenschaftlicher zu k�nstlerischer Arbeit vollzogen?

Sigrid Damm: Nicht als Wechsel, als Entwicklung w�r-de ich es sehen, nicht planbar. Es passierte einfach. In denJahren,da ich am Lenz-Buch arbeitete, suchte ich nach einerSprachform f�r das, was ich sagen wollte. Das fiel mir sehrschwer. Ich brauchte lange dazu. Dann entdeckte ich, daßich mich in dieser neugewonnenen Sprachform »ausleben«konnte, sagen, was mich bedr�ngte. Sprache verbarg nichtmehr Gedanken – ein Vorgang, den jeder aus dem Alltagkennt und den ich bei Kritik-Arbeiten an mir wahrnahm.Ich f�hlte mich gefordert, nichts war vorgedacht, der Aus-gang ungewiß. Ich war allein verantwortlich, ein Gef�hl,das ich oft schmerzhaft vermißt hatte.

H�hnel: Ihre literaturwissenschaftlichen Arbeiten, IhreKritiken in den siebziger Jahren hatten vor allem die j�ng-ste DDR-Literatur zum Gegenstand. Jetzt haben Sie sichder Geschichte zugewandt.

Damm: Ja, warum nicht? F�r mich ist der geschichtlicheRaum sehr durchl�ssig. 200 Jahre, 100, 10, das Jetzt, wof�ngt Geschichte an? F�r mich gibt es keine W�nde,die tren-

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