39
1 Systemisches Denken und Handeln im Wandel - Impulse für systembezogenes Handeln in Beratung und Therapie - Arist v.Schlippe Wiesloch, 15.5.2014 Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft

Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

1

Systemisches Denken

und Handeln im Wandel

- Impulse für systembezogenes Handeln

in Beratung und Therapie -

Arist v.Schlippe

Wiesloch, 15.5.2014

Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft

Page 2: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

1. Thema und Orientierung

2. Systemische Landkarten: Logiken systemischer Intervention

2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.3 Narrative Theorien

2.4 Sinnbegriff als Klammer

3. Systemisches Instrumentarium

3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

3.5 Eine andere Geschichte erzählen

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen systemischer Praxis

5. Systemische Haltung

A g e n d a

Page 3: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Entstehung der Idee zu diesem Vortragsthema

� „Alles“ und „Nichts“ möglich

� Freiheit der Schwerpunktsetzung

� Aus der Hubschrauberperspektive auf ein Feld und auf eine

Entwicklung blicken

� Eine Art Zwischenbilanz: vieles wird bekannt sein, aber

vielleicht sieht es aus dem Hubschrauber ein wenig anders

aus...

1. Thema und Orientierung

Page 4: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Kernthema systemischer Praxis: Umgang mit Komplexität

� „I drown in their words!“

� Systemisches Denken und Handeln: sich in komplexen sozialen

Kontexten beweglich halten.

� Dafür ist der Hubschrauber vielleicht gar nicht so eine

schlechte Metapher.

1. Thema und Orientierung

Page 5: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

1. Thema und Orientierung

5

� Komplexität: eine unüberschaubare Zahl von Elementen und

Verknüpfungen – „Selektionsdruck und Kontingenzerfahrung“.

� Gefahr der Vereinfachung: „Das Einfache ist nicht der Gegenbegriff zum

Komplexen, sondern ein Moment der zur Steigerung von Komplexität

beitragenden Komplexitätsbewältigung“ (Baecker, 1999).

� Zum intelligenten Umgang mit Komplexität braucht es nach Wimmer et al.

drei Qualitäten :

» Eine Landkarte, die zugleich komplexitätsadäquat und praxistauglich ist

» Ein darauf aufbauendes, gut differenziertes Instrumentarium

» Eine konsequente Haltung kontinuierlicher Selbstbeobachtung und kritischer

Reflektion

� Vorschlag für ein weiteres Moment: Paradoxiebewusstheit

Baecker, D. (1999). Organisation als System. Frankfurt: Suhrkamp

Wimmer, R. et al. (Hg.)(2014). Beratung im dritten Modus. Die Kunst, Komplexität zu nutzen. Heidelberg: Carl Auer Systeme

Page 6: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

1. Thema und Orientierung

2. Systemische Landkarten: Logiken systemischer Intervention

2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.3 Narrative Theorien

2.4 Sinnbegriff als Klammer

3. Systemisches Instrumentarium

3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

3.5 Eine andere Geschichte erzählen

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen systemischer Praxis

5. Systemische Haltung

A g e n d a

Page 7: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

7

2. Systemische Landkarten

• Systemische Modelle der ersten Phase der Familientherapie/systemischer

Therapie waren „ontologische Modelle“: Systeme bestehen gegenständlich.

• Konzentrierten sich unhinterfragt auf Menschen als Bestandteile sozialer

Systeme (auf Akteure zentriert)

• Kybernetik: Suche nach Steuerungsmodellen für komplex-vernetzte Systeme

• „Babuschka“-Modell ineinander verschachtelter Systeme: das jeweils

kleinere ist in das nächsthöhere „eingebettet“.

• Kybernetik II. Ordnung führte die Theorie in eine andere

Richtung: Selbstorganisation und Einbezug des erkennen-

den Subjekts („Beobachten des Beobachters“).

Page 8: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

Drei Theoriestränge der Kybernetik 2. Ordnung

� Theorie komplexer dynamischer Systeme (Synergetik)

- naturwissenschaftliche Tradition

- begründet von H. Haken

- übertragen ins Feld Systemischer Praxis z.B. von Autoren

wie G. Schiepek, J. Kriz, W. Tschacher, J.E.Brunner, G. Strunk

� Theorie Sozialer Systeme

- sozialwissenschaftliche Tradition

- begründet von N. Luhmann (aufbauend auf Maturana & Varela)

- übertragen in Systemische Praxis von zahlreichen Autoren, z.B. F.B. Simon,

K. Ludewig, R. Wimmer

� Narrative Theorien

- eher sprach- und kulturwissenschaftliche Tradition

- verbunden mit Namen wie J. Bruner, K. Gergen

- übertragen in systemische Praxis z.B. von M.White

2. Systemische Landkarten

Page 9: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Kernfrage: Unter welchen Randbedingungen kommt es zu dynamischen (also

immer nur vorläufigen) Ordnungsbildungen? Wie bilden sich über die Iteration von

Prozessen Attraktoren, die als Ordner die Prozesse „versklaven“, wie entwickeln sich

also aus mikroskopischer Oszillation makroskopische Ordnungsstrukturen, die

anschließend auf die Mikroprozesse zurückwirken?

2. Systemische Landkarten2. 1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

Kriz, J., 2004, Personzentrierte Systemtheorie. In: Schlippe, A.v., Kriz, W. (Hg.) Personzentrierung und Systemtheorie. Göttingen, S. 13-67

Page 10: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

10

• Iteration: die wiederholte Anwendung einfacher Regeln bringt erstaunliche, uns seltsam vertraute Formen hervor

• z.B. aus der Iteration des Wortes „Kriz“ erzeugte Jürgen Kriz die nebenstehende Figur

2. Systemische Landkarten

Page 11: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� In chaotischen Systemen gelten Prinzipien starker Kausalität nicht, die sensible

Abhängigkeit von kleinsten Verstörungen macht es unmöglich, das Systemverhalten

über einen längeren Zeitraum zu prognostizieren, selbst subtile Einflüsse können

verschiedene, entscheidende Auswirkungen nach sich ziehen.

� Systeme verhalten sich in unterschiedlichen Phasen völlig

unterschiedlich: Stabilität und Instabilität, Schmetterlings-

effekte.

� Im Zusammenhang mit psychischen und sozialen Systemen

wird auch von „Sinn-Attraktoren“ (Kriz, 2004) gesprochen:

wie ordnen Menschen die prozesshafte, komplexe und

chaotische Welt der Ereignisse und ihrer Erfahrungen so,

dass sie sie als hinreichend stabil, vorhersagbar und fassbar erleben (und welche

Probleme können dabei entstehen, wenn sich problematische Attraktoren bilden?)

2. Systemische Landkarten2. 1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

Kriz, J., 2004, Personzentrierte Systemtheorie. In: Schlippe, A.v., Kriz, W. (Hg.) Personzentrierung und Systemtheorie. Göttingen, S. 13-67

Page 12: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

12

2. 1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

Attraktorbildung...

Page 13: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)� Diese Theorie geht das Thema

„Systeme“ ganz anders an. Sie

schaut eher auf die Erzeugung

von Differenz (Differenztheorie).

Nicht „das System“ ist Gegen-

stand der Beobachtung, sondern

die Differenz zwischen System

und Umwelt.

� Leben, Bewusstsein und Kommunikation stellen füreinander Umwelten dar.

� Systemelemente werden nicht gegenständlich gedacht, sondern „temporalisiert“,

also zeitlich und damit flüchtig: es geht um das Muster, wie Prozesse sich

konfigurieren, wie eine Kommunikation an die andere anschließt.

� Erwartungsstrukturen und Erwartungs-Erwartungen (EE) gelten als Grundlage

sozialer Systembildung.

2. Systemische Landkarten2.2 Theorie Sozialer Systeme

Page 14: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)� „Die Leute meiden Situationen, in denen ihre standardisier-

ten Erwartungen einer Bewährungsprobe ausgesetzt

würden. Das ist der sichere Weg in unechtes Wissen, in

Wissen, dass wir zu haben glauben, weil wir es niemals

testen. Alle handeln konformistisch, weil sie irrtümlich

annehmen, dass es erwartet wird, und da sie überall Kon-

formismus sehen und die Probe aufs Exempel nie machen,

sehen sich alle in ihrer Erwartung bestätigt und verwechseln

es mit Wissen und Erfahrung“ (Ortmann 2011, S. 83).

� „Rüstungsspiralen zwischen Eheleuten, ethnischen Gruppen,

Nationen, Firmen oder Abteilungen in Organisationen

nehmen ihren Lauf und dauern an wegen solcher Inter-

punktionen und Antizipationen“ (Ortmann, 2011, S. 33).

2. Systemische Landkarten2.2 Theorie Sozialer Systeme

Ortmann, G. (2011). Die Kunst des Entscheidens.Ein Quantum Trost für Zweifler und Zauderer. Weilerswist: Velbrück

Page 15: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

15

Erwartungsstrukturen und Paradoxien...

Page 16: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

16

Erwartungsstrukturen und Paradoxien...

Page 17: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Dieses Denkmodell ist streng genommen keine Systemtheorie. Es entstammt einer

ganz anderen Theorietradition, eher den Literatur- und Kulturwissenschaften. Es liegt

also eher „quer“ zu den anderen Richtungen, passt aber gut dazu und ergänzt sie.

� Ausgangspunkt: Menschliches Leben findet nicht abstrakt in Sprache, sondern in einer

Welt von gemeinsam geteilten und mit-geteilten Bedeutungen statt, in der „Allgegen-

wart der Erzählungen“. Denn: „Was nicht narrativ strukturiert wird, geht dem Gedächt-

nis verloren“ (Bruner, 1997).

� Wir leben unser Leben innerhalb einer Erzählung, in einem „Gewebe aus Bedeutun-

gen“, in das hinein ein Mensch hineingeboren und in dem er sozialisiert wird (Gergen,

2002, S. 124).

� In ständiger Konversation, im Gespräch und im Erzählen von Geschichten halten

Menschen ihre Wirklichkeit stabil und bestätigen sich ihre Identitäten wechselseitig.

2. Systemische Landkarten2.3 Narrative Theorien

Bruner, J. (1997). Sinn, Kultur und Ich-Identität. Heidelberg: Carl Auer Systeme

Gergen, K. (2002). Soziale Wirklichkeiten. Stuttgart: Kohlhammer

Page 18: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

2.3 Narrative Theorien

Narrativierung und Selbsterzählung...

Cartoon angeregt durch: Manteufel, A. (2012). Nerven bewahren. Alltag in der Akutpsychiatrie. Neumünster: Paranus

Page 19: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

2.3 Narrative Theorien

Narrativierung und Selbsterzählung...

Page 20: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Die verschiedenen Ansätze stehen mehr oder weniger unverbunden

nebeneinander. „Man“ zitiert einander i.d.R. nicht oder eher knapp und

polemisch.

� Dabei haben die drei Theoriestränge viel gemeinsam. Sie gehen davon aus,

soziale Wirklichkeiten als Ergebnis komplexer gemeinsamer Konstruktions-

prozesse zu sehen.

� Der Sinnbegriff bildet dabei eine Klammer: alle Theorien haben mit der

Frage zu tun, wie in psychischen oder sozialen Zusammenhängen Sinn

konstituiert und prozessiert wird und wie sich Beratung und Therapie in

diese Erzeugungsprozesse „einklinken“ und Veränderungsoptionen

erarbeiten.

� Fazit: Die Landkarten für systemische Praxis dienen dazu, Sinn bearbeitbar

zu machen. Jede Landkarte bietet dabei einen etwas anderen Zugang.

2. Systemische Landkarten2.4 Sinnbegriff als Klammer

Page 21: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

1. Thema und Orientierung

2. Systemische Landkarten: Logiken systemischer Intervention

2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.3 Narrative Theorien

2.4 Sinnbegriff als Klammer

3. Systemisches Instrumentarium

3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

3.5 Eine andere Geschichte erzählen

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen systemischer Praxis

5. Systemische Haltung

A g e n d a

Page 22: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

� Systemische Praxis bezieht sich auf verschie-

dene Theorien und Konzepte: „Learning from

many masters“ (Orlinsky, 1994).

� Es „gibt“ keine „systemischen“ Interventionen:

Interventionen können so wenig „systemisch“

sein, wie „grün“ oder „katholisch“ (Simon, 2012).

� Ausgehend von den „Landkarten“ werden im

Folgenden daher eher die Logiken systemischen

Intervenierens beschrieben.

� Gemeinsam ist ihnen: sie bearbeiten Sinn.

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention

Orlinsky, D. (1994). »Learning from Many Masters«. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Integration psychotherapeutischer Behandlungsmodelle. In: Psychotherapeut 39, S. 2–9

Simon, F.B. (2012). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg: Carl Auer Systeme, S. 13

Page 23: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Jede systemische Praxis arbeitet auf kreative und wertschätzende Weise an der

Konstruktion neuer Sinnwelten.

� Interventionen können also darauf befragt werden, ob sie jeweils Angebote zur

Wirklichkeitsbeschreibung machen, die dafür sorgen, dass mehr Möglichkeiten

erkennbar werden, dass die Wahrscheinlichkeit konstruktiver Anschlussinter-

aktionen steigt und das System „anregungsoffen für Zufälle“ werden kann

(Luhmann 1988, S. 132).

� Man kann den Kern systemischer Praxis in diesem Sinn auch als „engagierten

Austausch von Wirklichkeitsbeschreibungen“ bezeichnen (v. Schlippe et al., 1998):

Ratsuchende und BeraterInnen machen sich jeweils wechselseitige Angebote, wie

die Wirklichkeit zu beschreiben sei und entwickeln, wenn es gut geht, Beschrei-

bungen, die mehr Möglichkeiten enthalten als die vorhergehenden.

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

Luhmann, N. (1988). Selbstreferentielle Systeme. In: Simon, F.B. (Hg.). Lebende Systeme. Berlin: Springer

Schlippe, A.v., Braun-Brönneke, A., Schröder, K. (1998). Systemische Therapie als engagierter Austausch von Wirklichkeitsbeschreibungen. Empirische Rekonstruktionen therapeutischer Interaktionen. System Familie 11(2), S. 70-79

Page 24: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

• Eine Intervention, wenn sie als „systemisch“ bezeichnet werden soll, vermittelt implizit eine Form der systemischen Beschreibung von Wirklichkeit.

• Systemische Fragen sind z.B. alles andere als harmlose Bitten um Information. Sie vermitteln implizite Angebote, Wirklichkeit anders zu beschreiben. Es ist leicht, die Form der Frage abzulehnen, elegant sind sie, weil mit der Beantwortung der Frage meist auch das implizite Angebot der Wirklichkeitsbeschreibung mit akzeptiert wird: „Mein Kind ist hyperaktiv!“ – „Verhält es sich eher zu Hause oder in der Schule auf diese Weise, die Sie als hyperaktiv bezeichnen?“.

• Ähnlich ist es mit dem Reframing, also der Suche nach einer Umdeutung der angebotenen Beschreibung.

• Beispiel: Minuchin zur Aussage eines Vaters, er sei wegen seiner magersüchtigen Tochter gekommen: „Anorexia nervosa? - Ach ja, das griechische Wort für ‚Eigensinn’. Sie sind also hergekommen, weil Sie eine eigensinnige Tochter haben, aha!“ (Boscolo et al., 1993).

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

Boscolo, L., Bertrando, P., Fiocco, P., Palvarini, R., & Pereira, J. (1993). Sprache und Veränderung. Die Verwendung von Schlüsselwörtern in der Therapie. Familiendynamik, 18(2), 107–124.

Page 25: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)• Wir haben mit Beobachtern zu tun, die beschrei-

ben. Jede Beschreibung spiegelt einen Standpunkt.

• Probleme als Prozessgeschehen werden von mit-einander interagierenden Personen gemeinsam sprachlich erzeugt, sie sind keine „Dinge“, die man „haben“ könnte.

• So wird in jeder Intervention der Beobachter mit gedacht und mit erfragt.

• Fokusverschiebung von den Dingen („Seit wann, wie lange, wie schwer?“ usw.) zu Perspektiven („Wer sieht es wie?“, „Wer beschreibt es anders?“).

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

• „Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen“ (Wittgenstein, 1994, S. 343).

Wittgenstein, L. (1994). Ein Reader. Stuttgart: Reclam

Page 26: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

• Man kann sich vorstellen, dass über unseren Köpfen eine „Nebelwolke der doppelten Kontingenz“ schwebt: wir wissen nicht, was im Kopf der anderen vor sich geht und umgekehrt. Wir sind darauf angewiesen, Erwartungs-Erwartungen zu entwickeln.

• Dies sind Vermutungen darüber, wie man vom anderen wohl gesehen wird und wie der andere wohl seinerseits glaubt, gesehen zu werden.

• Das Gewebe aus Erwartungs-Erwartungen macht jeweils ein soziales System aus. Diese Erwartungs-Erwartungen werden ja nur selten ausgesprochen und geklärt, oft sind sie nicht einmal bewusst, sondern nur diffus gefühlt.

• Wenn die Selbstverständlichkeit eines entspannten Umgangs miteinander verlorengegangen ist, wird viel Zeit darauf verwendet, darüber nachzugrübeln ob, oder sogar ganz sicher davon auszugehen, dass man nicht geschätzt, nicht geachtet oder geliebt wird. Im Sinn selbsterfüllender Prophezeiung erzeugt das Verhalten des einen beim anderen die Anspannung, die nötig ist, um die negativen Erwartungs-Erwartungen des einen zu bestätigen: die Selbstorganisation zwischenmenschlichen Unglücks.

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

Page 27: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

• Viele systemische Interventionen setzen an dieser „Wolke“ aus Vermutungen und Vorannahmen an, richten „Nebelscheinwerfer“ auf sie und arbeiten hartnäckig daran, Licht in sie hineinzubringen.

• Beispiel zirkuläres Fragen: eine Person wird im Beisein anderer über diese befragt. Die anderen bekommen Informationen darüber, wie sie von ihr wahrgenommen werden: „Herr Meier, was glauben Sie, was Herr Müller meint, warum sich die Chefin so verhält?“ – „Ich denke mir, er glaubt, dass sie ihn nicht besonders schätzt!“ In der Antwort bekommen Kollege und Chefin eine klärende Rückmeldung über ihre eigenen Erwartungs-Erwartungen.

• Beispiel Skulptur: einer stellt seine Sicht der Beziehungen in einer Skulptur in Gesten und Positionen, das Bild korrigiert beim anderen die EE: „Ich hätte nie gedacht, dass er mich da oben auf den Tisch stellt!“

• Beispiel reflektierendes Team: eine ratsuchende Gruppe hört zu, wie sich Beobachter über das Gespräch unterhalten. Dieser Rahmen ermöglicht es, über die eigenen Erwartungs-Erwartungen nachzudenken: Man hört sozusagen dem „Generalisierten Anderen“ direkt zu und denkt dabei darüber nach, welche anderen Möglichkeiten es noch gibt, die eigenen Beziehungen zu den Beziehungspartnern zu beschreiben

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

Page 28: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

• „Sisyphos in der Potentialmulde“ (Strunk & Schiepek, 2006, S. 283) versucht verzweifelt, das festgefahrene System in eineandere Richtung zu schieben.

• Systemische Praxis sucht als Heuristik eher danach, die Potential-landschaft zu verändern.

• Jeder Auftrag, der die Veränderungsenergie beim Berater lässt, wird mit Skepsis beurteilt: „Warum wollen Sie das verändern? Was wäre der Vorteil, wenn alles so bliebe? Ich weiß nicht, ob ich Ihnen im Moment empfehlen kann, etwas zu ändern“ o.ä.

• Starre Ordnungsmuster und verfestigte Attraktoren werden freundlich und humorvoll erschüttert, z.B. indem gewohnte Erklärungsmuster auf den Kopf gestellt werden: „Vielleicht ist es ja gerade anders herum, als Sie es gerade gesagt haben?“

• Ziel ist es, „Ordnungs-Ordnungs-Übergänge“ zu ermöglichen, so dass leidvolle „Sinnattraktoren“ verlassen werden können.

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

Strunk, G., Schiepek, G. (2006). Systemische Psychologie. München: Spektrum

Page 29: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)• Übergänge können so leicht sein, dass der Flügelschlag

eines Schmetterlings genügt.

• Man muss nur den „Kairos“ abpassen, den richtigen Moment.

• Und an der Potentiallandschaft arbeiten statt sich in der Mulde abzumühen.

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

Page 30: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)• Systemische Praxis hinterfragt die spezifische Selektivität, mit der Erfahrungen

rekonstruiert werden.

• Welche anderen Möglichkeiten der Erzählung könnten noch bestehen? Welchen Geschichten erlaubt man, das eigene Leben zu bestimmen: „Willst du, dass diese Geschichten dein Leben regieren? Wer könntest du sein, wenn du ihnen nicht mehr folgen würdest? Welche Personen aus deiner Geschichte könnten uns helfen, diesen Menschen kennenzulernen, der du auch sein könntest?“

• Es wird nach alternativem Wissen gesucht, etwa durch die Suche nach Ausnahmen: „Was war die Einladung der Geschichte und wie konnten Sie ›nein‹ dazu sagen?“

• So kann ein Raum neuer Möglichkeiten entstehen, der in einen Prozess des Neu-Erzählens der eigenen Lebensgeschichte münden kann(„Re-Authoring“).

3. Instrumentarium: Logiken systemischer Intervention3.5 Eine andere Geschichte erzählen

Page 31: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

1. Thema und Orientierung

2. Systemische Landkarten: Logiken systemischer Intervention

2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.3 Narrative Theorien

2.4 Sinnbegriff als Klammer

3. Systemisches Instrumentarium

3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

3.5 Eine andere Geschichte erzählen

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen systemischer Praxis

5. Systemische Haltung

A g e n d a

Page 32: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

• Erkenntnis ist immer nur vorläufig, und egal wie bewusst wir uns der Mechanismen unserer Wirklichkeitskonstruktionen sind: Paradoxien sind unvermeidbar.

• „Die primitiven Formen unserer Sprache: Substantiv, Eigenschaftswort und Tätigkeitswort zeigen das einfache Bild, auf dessen Form sie alles zu bringen versucht“ (Wittgenstein, 1994, p. 337).

• Erkenntnis ist immer nur vorläufig und egal wie bewusst wir uns die Mechanismen unserer Wirklichkeitskonstruktionen bewusst machen. Bewusstheit für Paradoxien heißt nicht, ihnen zu entgehen, sondern dass man lernt, sie nicht durch vorschnelle Entparadoxierung zu vermeiden (Vereinfachung steigert die Komplexität!, s.o.).

• Im Folgenden werden sieben Paradoxien aufgeführt, ich habe sie jeweils als einander widersprechende Verhaltenserwartungen formuliert (Grundbedingung der pragmatischen Paradoxie). Es sind Punkte, an denen sich in der systemischen Community mehr oder weniger heftige Kontroversen entzündet haben.

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen

Page 33: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

• Paradoxie I: „Sei neugierig, werte nicht!“ vs. „Beziehe klar Stellung!“

Die personenbezogene Zurechnung von Ursachen auf eine Person wird als unangemes-sene Simplifizierung angesehen und vermieden. Zugleich kommt man in der Praxis immer wieder in eine Lage, in der man nicht umhinkommt, konkreten Personen auch konkrete Verantwortung zuzurechnen – und damit auch klar Stellung zu beziehen. Sehr scharf konturiert wird dies deutlich bei Themen wie Missbrauch, Misshandlung.

• Paradoxie II: „Siehe das System als Kommunikationssystem!“ vs. „Beziehe

Ungerechtigkeit und Ungleichheit auf unterschiedlichen Systemebenen mit ein!“

Die feministische Kritik an der Familientherapie machte auf die Paradoxie aufmerksam, die entsteht, wenn man an ungleich strukturierte gesellschaftliche Kontexte mit der Idee von Gleichheit des Einflusses, Gleichheit der Wirkmöglichkeiten herangeht.

• Paradoxie III: „Sei nicht-normativ!“ vs. „Vermittle ein Bild vom ‚guten‘, vom ‚richtigen‘

Leben!“

Eine besondere Herausforderung systemischer Praxis war die Konfrontation mit der Aufstellungsarbeit, vor allem mit den ihr unterlegten Überlegungen über eine „Ordnung jenseits von Konstruktion“. Die sich hier einstellende Paradoxie hält die SG und nicht nur sie ja bis heute in Spannung.

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen

Page 34: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

• Paradoxie IV: „Sei allparteilich in Bezug auf die Familie!“ vs. „Stelle dich eindeutig

auf eine Seite!“

Mit dem systemischen Elterncoaching nach Haim Omer und mir kam ein Ansatz in die Diskussion, bei dem die BeraterInnen sich explizit hinter die Eltern stellen und sie darin unterstützen, mit den Mitteln der Gewaltlosigkeit mit ihren Kindern auseinanderzusetzen. Diese sind im Gespräch in der Regel nicht dabei.

• Paradoxie V: „Sei neutral in Bezug auf das Ergebnis!“ vs. „Orientiere Dich an den

Gesetzmäßigkeiten kindlicher (menschlicher) Entwicklung!“

Gerade die Arbeit im Bereich frühkindlicher Entwicklungsförderung erfordert es, in die systemische Praxis entwicklungspsychologisches Wissen einzubeziehen. Damit steht man potentiell in der Spannung zwischen dem Wissen um die optimalen Randbedingungen „guter Entwicklung“ und dem Prinzip der Nichteinmischung.

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen

Page 35: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

• Paradoxie VI: „Vermeide es, von psychischer ‚Krankheit‘ zu sprechen!“ vs. „Behandle

störungsspezifisch!“

Ein weiteres Spannungsfeld, in dem es gilt, paradoxiefreundliche Wege zu finden zwischen der grundsätzlichen Unvereinbarkeit systemischen Denkens mit Bildern von „Krankheit“ und der Konfrontation mit Störungsbildern im psychiatrischen, therapeutischen Alltag.

• Paradoxie VII: „Suche nach Formen wissenschaftlicher Praxis, die sich nicht auf feste

‚Tatsachen‘ unabhängig von kulturellen Bedingungen beziehen!“ vs. „Verfolge die

Anerkennung Deines Konzepts in genau dieser anderen Tradition!“

Die letzte große Paradoxie, die uns über mehr als 15 Jahre beschäftigt, wird uns auch weiter beschäftigen: „Damned if you do, and damned if you don’t“ – that’s paradox.

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen

Page 36: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

1. Thema und Orientierung

2. Systemische Landkarten: Logiken systemischer Intervention

2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme

2.3 Narrative Theorien

2.4 Sinnbegriff als Klammer

3. Systemisches Instrumentarium

3.1 Konstruktionen alternativer Sinnwelten

3.2 Beobachterabhängigkeit jeder Aussage

3.3 Eine Wolke aus Erwartungs-Erwartungen

3.4 Potentiallandschaften hinterfragen

3.5 Eine andere Geschichte erzählen

4. Sieben Paradoxien und Herausforderungen systemischer Praxis

5. Eine systemische Haltung

A g e n d a

Page 37: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)� Landkarten und Instrumentarien verführen, technizistisch zu werden, Para-

doxien verleiten zu vorschneller Entparadoxierung (entweder-oder).

� Eine Haltung der Paradoxiefreundlichkeit sucht die Lösung nicht auf einer der

beiden Seiten der Paradoxie, sucht vielleicht gar nicht nach einer Lösung,

sondern lernt, die Paradoxien selbst „zu lieben“.

� In der systemischen Praxis ist eine besondere Art von Haltung sozusagen

„eingebaut“: die Selbst-Beobachtung.

� Systemische Praxis als „angewandte Erkenntnistheorie“ fragt immer wieder

danach, wie sie selbst an den Konstruktionsprozessen beteiligt ist, die sie

scheinbar nur beobachtet und beschreibt.

� Das geschieht unabhängig von der jeweiligen Wertorientierung des einzelnen.

� Wer weiß, dass seine Beschreibung das Beschriebene verändert, befragt sich

zwangsläufig im Prozess immer wieder selbst danach, wie er selbst beschreibt:

„Ist meine Beschreibung geeignet, die Zahl der zur Verfügung stehenden

Optionen zu vergrößern?“ (Heinz v.Foerster, 1973).

5. Eine systemische Haltung: Paradoxiefreundlichkeit und Selbstbeobachtung

Förster, H. v. (1973) Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke, Frankfurt: Suhrkamp

Page 38: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)

� Selbstbeobachtung, Selbstreferenz

5. Eine systemische Haltung

Page 39: Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft Systemisches ... · 2.1 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.2 Theorie komplexer dynamischer Systeme 2.3 Narrative Theorien 2.4 Sinnbegriff

ZU FAMILIENUNTERNEHMEN (1/2)� Mit dieser „eingebauten Selbstkorrektur“ ist systemische Praxis in der Lage, sich auf

Komplexität einzulassen und sich in ihr in dem Bewusstsein zu bewegen, dass es

immer wieder darauf ankommt, den Möglichkeitsraum zu vergrößern.

� Das Prinzip der mitlaufenden Selbstbeobachtung gilt dabei sowohl für die

beraterische Arbeit selbst als auch für ihre Reflexion: Sich beobachten heißt, sich

verändern!

� Paradoxiefreundlichkeit heißt, die Fragen mehr zu lieben als die Antworten: „Wenn

man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines

fremden Tages in die Antwort hinein“ (R.Rilke).

5. Eine systemische Haltung: Paradoxiefreundlichkeit und Selbstbeobachtung