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ehn mal öffnet und schließt sich eine schwere Tür, ein- mal durch eine Sicherheits- schleuse, 30 Meter durch einen seitlich von einem Zaun mit Sta- cheldraht begrenzten Außengang, noch eine Tür auf und zu, dann sind wir in der Aula der JVA Bre- mervörde. Ein schlichter Holz- tisch mit Kreuz dient als Altar. Sonntags wird hier Gottesdienst gehalten für die Häftlinge; mit mal mehr, mal weniger großer Be- teiligung. Heute ist hier Casting- Show. Kein Deutschland sucht den Superstar. Eher: Ich bin ein Star – holt mich hier raus. „Gemeinsames Musizieren lässt Mauern verblassen“ heißt das Projekt des Fördervereins der Justizvollzugs- anstalt Bremer- vörde. Mit fi- nanzieller Un- terstützung des Gefangenenfür- sorgevereins Stade und der Klosterkammer Hannover konnten Instru- mente gekauft werden. So ste- hen jetzt ein Schlagzeug, ein E-Bass, eine Gi- tarre und mehrere Percussionin- strumente bereit. Ein Klavier war schon da, gestellt von der Kirche. „Alt-Knacki“ Harald, Sportwart und Küster in der JVA, und Bü- cherwart Jörn bauen die Instru- mente auf. Das erste Problem: Beim Drum-Set fehlen die Be- cken. „Die müssen wir wohl nachordern“, sagt Alexander Fit- zon-van der Mond. Ein Schellen- kranz wird aufs Stativ montiert. Das muss reichen. „Wir haben keine Ahnung, was hier heute passiert“, sagt Fitzon- van der Mond. Er ist Strafvoll- zugsbeamter in Bremervörde und der erste Vorsitzende des Förder- vereins. Er hatte die Idee für die- ses ungewöhnliche Projekt. Vor einiger Zeit klagte ein Gefange- ner, dass er hinter den Mauern Z das Träumen verlerne. Doch dann hörte er einen Mitgefange- nen in der Aula Klavier spielen; setzte sich dazu und lauschte. Die Begegnung mit der Musik berühr- te ihn. Davon erzählte er Alexan- der Fitzon-van der Mond und der beschloss, der Musik in der JVA Raum zu geben. Hannes Gehring, Sänger und Gitarrist der „Horny Boys Rha- de“, dreht am Verstärker, checkt den Sound. Die „Horny Boys“ haben im Januar vor etwa 60 Ge- fangenen gespielt. „Die waren ganz aus dem Häuschen“, berich- tet er. „Ich bin ein Multiinstru- mentalist“, sagt Hannes von sich, „so etwas brauchen die hier.“ Er wird gemeinsam mit Bassist Tors- ten Wieland und dem Musik-Do- zenten der Ländlichen Erwachse- nenbildung (LEB) Sahin Kitay das Projekt begleiten. Konzert in Santa Fu? „Heute sollen sie uns vorsingen, Klavier spielen oder Gitarre. Wir müssen sehen, was bringen die für Fähigkeiten mit“, sagt Han- nes. „Und ich will wissen, warum sie heute hier sind. Schließlich stellen wir unse- re Zeit zur Ver- fügung, da muss schon eine Mo- tivation dahin- ter sein.“ Am Ende dieses Ta- ges soll eine Band stehen. Die soll am 11. Juli beim Som- merfest der JVA spielen. „Ich will mit ihnen auf Knast- Tour“, so Han- nes, „am liebs- ten auch in Fuhlsbüttel spielen“ im berüchtigten Santa Fu. In der ersten Begeisterung hatten sich 50 Häft- linge gemeldet, die mitmachen wollten. Geblieben sind sieben, die fürs Casting antreten. In der Jury sitzen elf Leute – Vollzugsbe- amte, Pädagogen, Musiker und der Gefängnispastor. Als Erster betritt Matthias den Raum; besser gesagt: Er rollt in den Raum. Mat- thias sitzt seit 16 Jahren im Roll- stuhl. Warum, ist hier kein The- ma. Auch nicht, weshalb er ein- sitzt. Allerdings, für wie lange noch. „Wir brauchen eine gewisse Kontinuität, um etwas auf die Beine zu stellen“, sagt Hannes. „Wenn’s gut läuft, bin ich noch ein paar Jahre hier“, sagt Matthi- as. So ändert sich die Perspektive. Nervös sind sie alle. Steffan et- wa, Typ „Balu“, kommt rein und weiß nicht, wohin mit sich. „Ich habe eben erst gelesen, dass ich was vorbereiten sollte. Habe ich nicht gemacht.“ Bass könne er spielen, sagt er. Unbeholfen greift er zum Instrument, will es wieder wegstellen. „Das ist sechs Jahre her, dass ich das letzte Mal ge- spielt habe.“ Seit sechs Jah- ren ist er in Haft, vier Jahre wird er noch bleiben. Er will gehen, da fällt ihm ein: „Ich könnte auch singen, habe aber nichts vor- bereitet.“ „Kennst Du ,Marmor, Stein und Eisen bricht’?“, fragt Hannes, „wir drucken Dir schnell den Text aus.“ Inzwischen kommt Konstantin rein. „Ich spiele Gitarre, kann aber keine Noten lesen.“ Aber die Akkorde kennt er. Er hängt sich die Gitarre um den Hals und legt los. Sofort wippt Hannes’ Fuß mit. Die Juroren schauen sich an. „Könntest du Dir vorstellen, auch Bass zu spielen?“, fragt Torsten. „Mit ein bisschen Übung geht al- les“, antwortet Konstantin. Der erste Mann der Band steht fest. „Ich mache Hip-Hop-Rap und Realitäts-Rap“, erzählt André. Vor sieben Jahren habe er damit angefangen. „Das ist meine eige- ne Therapie, und meine Freunde sagen, dass ich ganz gut den Takt treffe.“ So ist es. Mit einer Stim- me, wie Marius Müller-Western- hagen rockt er den Saal. Paul spielt alles: Klavier, Schlagzeug, Gitarre. „Ich wollte Gitarre lernen, aber meine Eltern haben mich zu Klavier gezwun- gen. Später machte er doch, was er wollte. Ob 70er-Jahre-Rock oder Blues – er kann alles. „Ich war auf dem besten Weg, von der Musik leben zu können“, erzählt er, „aber dann kam meine krimi- nelle Laufbahn dazwischen.“ Er ist in Untersuchungshaft. Also für das Musikprojekt ein unsicherer Kandidat. Aber er ist der Musiker mit dem meisten Potenzial. Am Ende stehen drei Sänger: Neben André, „dem klassischen Rapper mit böser Stimme“, so Hannes, und Steffan – „den krie- gen wir schon zum Singen, der hat echt Bock“ – noch Gunnar. „Der ist taktsicher, und trifft den Ton“, sagt Torsten. Drei Sänger machen keine Band. Bei den In- strumentalisten ist die Auswahl mehr als begrenzt. Matthias, der Rollstuhlfahrer, ist vorerst drau- ßen. Sein Spasmus im Bein sorgt für einen recht einseitigen Beat. Bleiben das Multi-Talent Paul und Konstantin, der eigentlich Gitarre spielt. Hannes will Paul am Schlagzeug und Konstantin am Bass: „Wer so gut Gitarre spielt, kann auch Bass.“ Es fehlt die Gitarre. Vollzugsbeamter Franz Ristau hat eine Idee: „Da gibt’s noch ei- nen, der heute lieber Fußball spielen wollte.“ 15 Minuten spä- ter ist er zurück, mit Eugen und Vagahn. Eugen ist völlig unvor- bereitet. „Ich habe früher Akustikgitarre gespielt, aber ich habe sie nach Hause ge- schickt, weil ich sie hier nicht behalten durf- te.“ Er nimmt das Instrument in die Hand, setzt sich hin und fängt an zu spielen. Einfach so, ganz für sich, zupft er die Saiten. Und es klingt richtig gut. Ohne Wor- te ist die Ent- scheidung gefallen. „Wir sorgen dafür, dass Du eine Gitarre tags- über auf die Zelle kriegst“, ver- spricht Hannes. Bleibt Vagahn. „Beim Trom- melspielen bin ich ganz gut“, sagt er, „mein Vater ist professioneller Trommler. Allerdings spielen wir auf Darbucas.“ Er setzt sich auf die Cajon und lässt seine Finger tanzen. Torsten und Hannes grin- sen sich an. „Kannst Du auch Schlagzeug? Lass mal sehen, ob Du einen Rhythmus nachspielen kannst.“ Zelle mit sechs Saiten Nach anderthalb Stunden steht die Band. Jeden Dienstag soll nun von 17 bis 19 Uhr geprobt wer- den. Matthias und Juri gehen in eine Vorbereitungsgruppe. Sie sollen aufgebaut werden. „Ihr be- kommt Noten, Texte und CDs mit den Stücken“, sagt Ristau, „und Möglichkeiten zu üben.“ „Wir sind also im Recall?“, fragt Steffan. So ist es. Vier Wochen später: Zehn Tü- ren, die Sicherheitsschleuse, der eingezäunte Gang. Das Dröhnen des E-Bass ist schon deutlich vor- her zu hören, ebenso das Schlag- zeug. Ein scharfes Pling verrät: Die Becken sind nachgeliefert. Vagahn sitzt am Drumset. Paul, das Multitalent, wurde schon we- nige Tage nach dem Casting in ei- ne andere Haftanstalt verlegt. Steffan läuft mit Textblättern durch den Raum. Gunnar und André singen ins Mikro. Kon- stantin lässt die Gitarre jaulen. Eugen am Bass. Eine Melodie ist nicht zu erkennen. Hannes und Thorsten kommen rein und beenden das akustische Tohuwabohu. „Es ist wichtig, dass ihr zusammenkommt“, sagt Hannes, und dafür muss es einen Chef geben. Eugen und Vagahn sind die Chefs für den Rhythmus, auf die müsst ihr hören.“ Viermal hat die Gefängnisband inzwi- schen geübt. „Eye of the tiger“ von der Band Survivor spielt sie – mit drei Sängern. Nach der ersten Strophe gibt es einen Cut und André setzt zum Rap an: „Halb vier heißt Einschluss oder Frei- stunde, jeder Tag im Knast ist wie Salz in der Fleischwunde ...“, da- nach geht es weiter im Song: „It’s the eye of the tiger, it’s the thrill of the fight, ...“ Vielleicht macht die Musik den Knackis den täglichen Kampf ge- gen die eigene Geschichte erträg- licher. „Wir tref- fen uns jetzt auch donners- tags“, erzählt André in der Pause. Dann probe die Band für sich. Eugen hat tagsüber die Gitarre auf der Zelle, Konstan- tin sowieso. An- dré schreibt sei- ne Texte – seine Therapie. Und Vagahn darf die Sticks mitneh- men. „Ich übe auf dem Tisch, auf dem Bett. Ist ja nicht so, dass wir nur Gitter auf der Zelle haben.“ Für Alexander Fitzon-van der Mond war die Band ein Projekt mit ungewissem Ausgang. Es scheint zu glücken: „Wir haben hier russische Folklore, Hip-Hop und Schlagermusik und es funktioniert.“ „Wenn wir errei- chen, dass sie von diesem Projekt was für sich später mit nach drau- ßen nehmen, dann haben wir viel erreicht“, sagt Torsten Wieland, „schließlich muss hinterher jeder für sich zurechtkommen.“ „Jailhouse Rock“ an der Oste In Bremervörde rockt der Knast. Zweimal die Woche probt in der Justizvollzugsanstalt eine anstaltseigene Band. Vorausgegangen ist ein professionelles Casting. Nicht Deutschland sucht den Superstar, eher: Ich bin ein Star, holt mich hier raus. VON SUSANNE HELFFERICH Musiker ohne Notenkenntnisse. Hannes geht mit Steffan (links) den Lied- text durch, Torsten Wieland (Zweiter von rechts) zeigt Eugen (rechts) die Akkorde auf dem Bass. Foto: st/Helfferich » Ich will wis- sen, warum sie hier sind. Schließlich stel- len wir unsere Zeit zur Verfü- gung, da muss schon eine Mo- tivation dahin- ter sein. « HANNES GEHRING MUSIKER » Ich mache Hip-Hop-Rap und Realitäts- Rap. Das ist meine eigene Therapie, und meine Freunde sagen, dass ich ganz gut den Takt treffe. « KONSTANTIN, JVA-HÄFTLING » Wenn wir er- reichen, dass sie von diesem Projekt was für sich später mit nach draußen nehmen, dann haben wir viel erreicht. « TORSTEN WIELAND, ;MUSIKER Dank eines Projektes des Fördervereins der JVA Bremervörde klingt der Knastalltag einiger Insassen seit ein paar Wochen harmonischer: In einer Rockband proben diese Insassen für ein Konzert, das beim Sommerfest über die Bühne gehen soll. Fotomontage: Algermissen

„Jailhouse Rock“ an der Oste - jva-brv-foerderverein.de · ehn mal öffnet und schließt sich eine schwere Tür, ein-mal durch eine Sicherheits-schleuse, 30 Meter durch einen

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ehn mal öffnet und schließtsich eine schwere Tür, ein-mal durch eine Sicherheits-

schleuse, 30 Meter durch einenseitlich von einem Zaun mit Sta-cheldraht begrenzten Außengang,noch eine Tür auf und zu, dannsind wir in der Aula der JVA Bre-mervörde. Ein schlichter Holz-tisch mit Kreuz dient als Altar.Sonntags wird hier Gottesdienstgehalten für die Häftlinge; mitmal mehr, mal weniger großer Be-teiligung. Heute ist hier Casting-Show. Kein Deutschland suchtden Superstar. Eher: Ich bin einStar – holt mich hier raus.„Gemeinsames Musizieren

lässt Mauern verblassen“ heißtdas Projekt des Fördervereins der

Justizvollzugs-anstalt Bremer-vörde. Mit fi-nanzieller Un-terstützung desGefangenenfür-sorgevereinsStade und derKlosterkammerHannoverkonnten Instru-mente gekauftwerden. So ste-hen jetzt ein

Schlagzeug, ein E-Bass, eine Gi-tarre und mehrere Percussionin-strumente bereit. Ein Klavier warschon da, gestellt von der Kirche.„Alt-Knacki“ Harald, Sportwartund Küster in der JVA, und Bü-cherwart Jörn bauen die Instru-mente auf. Das erste Problem:Beim Drum-Set fehlen die Be-cken. „Die müssen wir wohlnachordern“, sagt Alexander Fit-zon-van der Mond. Ein Schellen-kranz wird aufs Stativ montiert.Das muss reichen.„Wir haben keine Ahnung, was

hier heute passiert“, sagt Fitzon-van der Mond. Er ist Strafvoll-zugsbeamter in Bremervörde undder erste Vorsitzende des Förder-vereins. Er hatte die Idee für die-ses ungewöhnliche Projekt. Voreiniger Zeit klagte ein Gefange-ner, dass er hinter den Mauern

Z

das Träumen verlerne. Dochdann hörte er einen Mitgefange-nen in der Aula Klavier spielen;setzte sich dazu und lauschte. DieBegegnung mit der Musik berühr-te ihn. Davon erzählte er Alexan-der Fitzon-van der Mond und derbeschloss, der Musik in der JVARaum zu geben.Hannes Gehring, Sänger und

Gitarrist der „Horny Boys Rha-de“, dreht am Verstärker, checktden Sound. Die „Horny Boys“haben im Januar vor etwa 60 Ge-fangenen gespielt. „Die warenganz aus dem Häuschen“, berich-tet er. „Ich bin ein Multiinstru-mentalist“, sagt Hannes von sich,„so etwas brauchen die hier.“ Erwird gemeinsam mit Bassist Tors-ten Wieland und dem Musik-Do-zenten der Ländlichen Erwachse-nenbildung (LEB) Sahin Kitaydas Projekt begleiten.

Konzert in Santa Fu?„Heute sollen sie uns vorsingen,Klavier spielen oder Gitarre. Wirmüssen sehen, was bringen diefür Fähigkeiten mit“, sagt Han-nes. „Und ich will wissen, warumsie heute hier sind. Schließlichstellen wir unse-re Zeit zur Ver-fügung, da mussschon eine Mo-tivation dahin-ter sein.“ AmEnde dieses Ta-ges soll eineBand stehen.Die soll am 11.Juli beim Som-merfest der JVAspielen. „Ichwill mit ihnenauf Knast-Tour“, so Han-nes, „am liebs-ten auch inFuhlsbüttelspielen“ – imberüchtigtenSanta Fu.In der ersten

Begeisterung hatten sich 50 Häft-linge gemeldet, die mitmachenwollten. Geblieben sind sieben,die fürs Casting antreten. In derJury sitzen elf Leute – Vollzugsbe-amte, Pädagogen, Musiker undder Gefängnispastor. Als Ersterbetritt Matthias den Raum; bessergesagt: Er rollt in den Raum. Mat-thias sitzt seit 16 Jahren im Roll-stuhl. Warum, ist hier kein The-ma. Auch nicht, weshalb er ein-sitzt. Allerdings, für wie langenoch. „Wir brauchen eine gewisseKontinuität, um etwas auf dieBeine zu stellen“, sagt Hannes.„Wenn’s gut läuft, bin ich nochein paar Jahre hier“, sagt Matthi-as. So ändert sich die Perspektive.Nervös sind sie alle. Steffan et-

wa, Typ „Balu“, kommt rein undweiß nicht, wohin mit sich. „Ich

habe eben erst gelesen, dass ichwas vorbereiten sollte. Habe ichnicht gemacht.“ Bass könne erspielen, sagt er. Unbeholfen greifter zum Instrument, will es wiederwegstellen. „Das ist sechs Jahre

her, dass ich dasletzte Mal ge-spielt habe.“Seit sechs Jah-ren ist er inHaft, vier Jahrewird er nochbleiben. Er willgehen, da fälltihm ein: „Ichkönnte auchsingen, habeaber nichts vor-bereitet.“

„Kennst Du ,Marmor, Stein undEisen bricht’?“, fragt Hannes,„wir drucken Dir schnell den Textaus.“Inzwischen kommt Konstantin

rein. „Ich spiele Gitarre, kannaber keine Noten lesen.“ Aber dieAkkorde kennt er. Er hängt sichdie Gitarre um den Hals und legtlos. Sofort wippt Hannes’ Fußmit. Die Juroren schauen sich an.„Könntest du Dir vorstellen, auch

Bass zu spielen?“, fragt Torsten.„Mit ein bisschen Übung geht al-les“, antwortet Konstantin. Dererste Mann der Band steht fest.„Ich mache Hip-Hop-Rap und

Realitäts-Rap“, erzählt André.Vor sieben Jahren habe er damitangefangen. „Das ist meine eige-ne Therapie, und meine Freundesagen, dass ich ganz gut den Takttreffe.“ So ist es. Mit einer Stim-me, wie Marius Müller-Western-hagen rockt er den Saal.Paul spielt alles: Klavier,

Schlagzeug, Gitarre. „Ich wollteGitarre lernen, aber meine Elternhaben mich zu Klavier gezwun-gen. Später machte er doch, waser wollte. Ob 70er-Jahre-Rockoder Blues – er kann alles. „Ichwar auf dem besten Weg, von derMusik leben zu können“, erzählt

er, „aber dann kam meine krimi-nelle Laufbahn dazwischen.“ Erist in Untersuchungshaft. Also fürdas Musikprojekt ein unsichererKandidat. Aber er ist der Musikermit dem meisten Potenzial.Am Ende stehen drei Sänger:

Neben André, „dem klassischenRapper mit böser Stimme“, soHannes, und Steffan – „den krie-gen wir schon zum Singen, derhat echt Bock“ – noch Gunnar.„Der ist taktsicher, und trifft denTon“, sagt Torsten. Drei Sängermachen keine Band. Bei den In-strumentalisten ist die Auswahlmehr als begrenzt. Matthias, derRollstuhlfahrer, ist vorerst drau-ßen. Sein Spasmus im Bein sorgtfür einen recht einseitigen Beat.Bleiben das Multi-Talent Paulund Konstantin, der eigentlichGitarre spielt. Hannes will Paulam Schlagzeug und Konstantinam Bass: „Wer so gut Gitarrespielt, kann auch Bass.“ Es fehltdie Gitarre.Vollzugsbeamter Franz Ristau

hat eine Idee: „Da gibt’s noch ei-nen, der heute lieber Fußballspielen wollte.“ 15 Minuten spä-ter ist er zurück, mit Eugen und

Vagahn. Eugenist völlig unvor-bereitet. „Ichhabe früherAkustikgitarregespielt, aberich habe sienach Hause ge-schickt, weil ichsie hier nichtbehalten durf-te.“ Er nimmtdas Instrumentin die Hand,setzt sich hinund fängt an zuspielen. Einfachso, ganz fürsich, zupft erdie Saiten. Undes klingt richtiggut. Ohne Wor-te ist die Ent-

scheidung gefallen. „Wir sorgendafür, dass Du eine Gitarre tags-über auf die Zelle kriegst“, ver-spricht Hannes.Bleibt Vagahn. „Beim Trom-

melspielen bin ich ganz gut“, sagter, „mein Vater ist professionellerTrommler. Allerdings spielen wirauf Darbucas.“ Er setzt sich aufdie Cajon und lässt seine Fingertanzen. Torsten und Hannes grin-sen sich an. „Kannst Du auchSchlagzeug? Lass mal sehen, obDu einen Rhythmus nachspielenkannst.“

Zelle mit sechs SaitenNach anderthalb Stunden stehtdie Band. Jeden Dienstag soll nunvon 17 bis 19 Uhr geprobt wer-den. Matthias und Juri gehen ineine Vorbereitungsgruppe. Sie

sollen aufgebaut werden. „Ihr be-kommt Noten, Texte und CDsmit den Stücken“, sagt Ristau,„und Möglichkeiten zu üben.“„Wir sind also im Recall?“, fragtSteffan. So ist es.Vier Wochen später: Zehn Tü-

ren, die Sicherheitsschleuse, dereingezäunte Gang. Das Dröhnendes E-Bass ist schon deutlich vor-her zu hören, ebenso das Schlag-zeug. Ein scharfes Pling verrät:Die Becken sind nachgeliefert.Vagahn sitzt am Drumset. Paul,das Multitalent, wurde schon we-nige Tage nach dem Casting in ei-ne andere Haftanstalt verlegt.Steffan läuft mit Textblätterndurch den Raum. Gunnar undAndré singen ins Mikro. Kon-stantin lässt die Gitarre jaulen.Eugen am Bass. Eine Melodie istnicht zu erkennen.Hannes und Thorsten kommen

rein und beenden das akustischeTohuwabohu. „Es ist wichtig,dass ihr zusammenkommt“, sagtHannes, und dafür muss es einenChef geben. Eugen und Vagahnsind die Chefs für den Rhythmus,auf die müsst ihr hören.“ Viermalhat die Gefängnisband inzwi-schen geübt. „Eye of the tiger“von der Band Survivor spielt sie –mit drei Sängern. Nach der erstenStrophe gibt es einen Cut undAndré setzt zum Rap an: „Halbvier heißt Einschluss oder Frei-stunde, jeder Tag im Knast ist wieSalz in der Fleischwunde ...“, da-nach geht es weiter im Song: „It’sthe eye of the tiger, it’s the thrillof the fight, ...“Vielleicht macht die Musik den

Knackis den täglichen Kampf ge-gen die eigene Geschichte erträg-

licher. „Wir tref-fen uns jetztauch donners-tags“, erzähltAndré in derPause. Dannprobe die Bandfür sich. Eugenhat tagsüber dieGitarre auf derZelle, Konstan-tin sowieso. An-dré schreibt sei-

ne Texte – seine Therapie. UndVagahn darf die Sticks mitneh-men. „Ich übe auf dem Tisch, aufdem Bett. Ist ja nicht so, dass wirnur Gitter auf der Zelle haben.“Für Alexander Fitzon-van der

Mond war die Band ein Projektmit ungewissem Ausgang. Esscheint zu glücken: „Wir habenhier russische Folklore, Hip-Hopund Schlagermusik – und esfunktioniert.“ „Wenn wir errei-chen, dass sie von diesem Projektwas für sich später mit nach drau-ßen nehmen, dann haben wir vielerreicht“, sagt Torsten Wieland,„schließlich muss hinterher jederfür sich zurechtkommen.“

„Jailhouse Rock“ an der OsteIn Bremervörde rockt derKnast. Zweimal dieWoche probt in derJustizvollzugsanstalt eineanstaltseigene Band.Vorausgegangen ist einprofessionelles Casting.Nicht Deutschland suchtden Superstar, eher: Ichbin ein Star, holt michhier raus.VON SUSANNE HELFFERICH

Musiker ohne Notenkenntnisse. Hannes geht mit Steffan (links) den Lied-text durch, Torsten Wieland (Zweiter von rechts) zeigt Eugen (rechts) dieAkkorde auf dem Bass. Foto: st/Helfferich

» Ich will wis-sen, warum siehier sind.Schließlich stel-len wir unsereZeit zur Verfü-gung, da mussschon eine Mo-tivation dahin-ter sein. «HANNES GEHRINGMUSIKER

» Ich macheHip-Hop-Rapund Realitäts-Rap. Das istmeine eigeneTherapie, undmeine Freundesagen, dass ichganz gut denTakt treffe. «KONSTANTIN,JVA-HÄFTLING

»Wenn wir er-reichen, dasssie von diesemProjekt was fürsich später mitnach draußennehmen, dannhaben wir vielerreicht. «TORSTEN WIELAND,;MUSIKER

Dank einesProjektes desFördervereins

der JVABremervörde

klingt derKnastalltag

einiger Insassenseit ein paar

Wochenharmonischer:

In einerRockband

proben dieseInsassen fürein Konzert,

das beimSommerfest

über dieBühne gehen

soll.Fotomontage:Algermissen