Johannes Tauler Predigt 50

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  • 8/9/2019 Johannes Tauler Predigt 50

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    Johannes Tauler Predigt 50

    Diese Predigt aus dem Brief des heiligen Paulus auf den zwlften Sonntag (nachDreifaltigkeit) lehrt, wie wir Gottes Schickungen in wahrer Langmut ber uns ergehenlassen sollen, seine Gaben (ebenso) wie die Lasten (die er uns auferlegt).

    "DER BUCHSTABE TTET, der Geist macht lebendig." Es gibt zweierlei Wesen,zweierlei Weisen des Volkes und der Freunde Gottes: die eine Weise war der AlteBund, das alte Gesetz; die andere der Neue Bund, das neue Gesetz. Das alte Gesetzmuten alle Menschen beobachten, die gerettet werden wollten, bis zur GeburtChristi, mit all seinen Diensten, bis der Neue Bund kam mit seinen Gesetzen undseinem Gottesdienst.

    Das alte Gesetz war ein Weg, ein ganzes Abbild des neuen, ein jegliches seiner Stckeist wie im Hinblick auf das neue (gestaltet)1, und durch das alte Gesetz wird man aufdas neue vorbereitet; den; jedes Ding, das empfangen soll, mu zuerst empfnglichwerden. Das alte Gesetz hatte viel unertrgliche Lasten und furchtbare Verurteilungenund strenge Beweise fr Gottes Gerechtigkeit und (nur) eine dunkle und entfernteHoffnung auf Erlsung; denn die Tore (des Himmels) waren (dem Menschen) ganzund gar verschlossen, da sie mit all ihrem Leid und ihren Werken sie nichtdurchschreiten konnten. Aber sie sehnten sich sehr und muten lange und mit

    Schmerzen warten, bis der Neue Bund kam, das bedeutet: Friede und Freude imHeiligen Geist.

    Wer in den Neuen Bund eintreten will, mu ohne Zweifel durch den Alten vorbereitet2sein, er mu leiden, Lasten tragen und sich unter die gewaltige Hand Gottes beugen,da er in Geduld das Leid ertrgt, innen oder auen, von wo (es) auch immerkommen mag. Liebe Schwestern! Seht euch vor, die Dinge mssen ganz anders laufen,als ihr denkt. Haltet Gottes lehre fest; wer empfangen hat, der halte klug fest daran,solange ihr sie habt; unterwerft euch und ertraget3 Gott (es Schickung) in jeder Art,

    und durch wen sie kommt.

    1Der Sinn: Jeder Vorschrift des Alten Bundes steht eine solche des Neuen Bundes gegen ber. Vgl. Lesarten und

    Erluterung hierzu bei Corin, Wi 2, S. 265,10.

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    Die Lesungen bei Vetter 395,20 und in den Drucken, dem LT, AT, KT, geben keinen befriedigenden Sinn. Cod. Wi 2verdient hier den Vorzug: Corin, S. 266,6 und Lesarten.3Auch hier, 395,25, ist Vetters Lesart nicht verwendbar. Corin, Wi 2, S. 266,zu Z. 11 hat drait" = traget: nmlich Gottes

    Schickung.

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    Wollt ihr jemals zu dem Neuen Bund gelangen, so mt ihr den Alten zuvor ertragen;frchtet euch in der Demut eures Herzens, von wo euch auch immer Trost zuteil wird,von innen oder auen; denn man kommt mit diesem Weg nicht zum Ziel4 ihr mtden Weg des Alten Bundes und keinen anderen gehen, versucht es, wie ihr wollt, es

    mu (so) sein. Sucht also im Sakrament in geistlicher Erleuchtung, in gttlichemGefhl und menschlicher Hilfe nicht die Trstung.

    Ihr Lieben! Beuget den alten Menschen unter den Dienst des Alten Bundes in alIerDemut und Gelassenheit und ertraget Gott in allem, was er schickt, in allen seinenBrden. Ist doch in Wahrheit seine Brde leicht und sein Joch sanft. Ich befehle euchvom Grunde meines Herzens in die Gefangenschaft des Kreuzes unseres Herrn JesusChristus, auf da dieses Kreuz in und auer euch sei, vor und hinter euch und (daihr) den starken Druck in unergrndlicher Gelassenheit traget, wie Gott will und von

    Ewigkeit her gewollt hat; das Kreuz sei vor euch und gebe euch Mut zuknftigenLeidens, es sei hinter euch in der Verachtung, der Verschmhung, der Verleumdungaller Menschen. Also beuget den alten Menschen unter (die Last) des Alten Bundes,bis Christus in Wahrheit in ' euch geboren werde im Neuen Bund, wo wahrhaft Friedeund Freude ersteht. Die heiligen Patriarchen, wie sehr sie sich auch sehnten, mutendennoch fnftausend Jahre warten. Aber, wahrlich, wolltet ihr (Gottes Wille) an euchgeschehen lassen, so brauchtet ihr nicht einmal ein Jahr zu warten. Bedenket, wenn ihrein oder zwei Jahre lang das viertgige Fieber httet, ihr mtet es aushalten.

    Die anderen Leiden des Alten Bundes bestanden in furchtbaren Verurteilungen undstrengen Offenbarungen der Gerechtigkeit Gottes. Das zeigt sich an in mancher Weise, im Leiden und in Gewissensbissen; das wollen etliche durch Beichten wegschaffen; aber du knntest tausendmal beichten, das hlfe dir nichts. Ist eineTodsnde erst durch Genugtuen geshnt, so soll man das andere Gott berlassen undgeduldig leiden, bis Gott es gutmacht: beichte ihm. Andere sind beladen mit innererDunkelheit; die wollen sie loswerden durch Fragen und Hren und hoffen stets, etwasNeues 'zu hren, und sehnen sich danach.

    Aber lauf in dieser Absicht all deine Lebtage: es hilft dir nichts; von innen mut du

    Hilfe erwarten und sie da ergreifen, oder es wird nichts daraus. Ich habe auch gesehen,wie der heiligste Mensch, den ich je kennenlernte, innerlich und von auen, nie mehrals fnf Predigten all sein Leben gehrt hat; als er wusste und sah, was da verkndigtwurde, dachte er, es sei genug: er starb, dem er sterben sollte, und lebte, dem er lebensollte. La das (einfache) Volk (zu den Predigern) laufen und (ihnen) zuhren, damitsie nicht verzweifeln oder in Unglauben fallen.

    4Gemeint ist .der Weg der Trstung": das geht aus den Lesarten zu der ganzen Stelle hervor; s. dieselben, Corin, Wi 2,

    S.266 zu Z. 13-15.

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    Alle aber, die Gott innen und auen angehren wollen, die kehren sich zu sich selberund in sich selbst; und wollt ihr jemals (Gott) teuer werden, so mt ihr euerauswrtiges Suchen aufgeben und euch nach innen kehren; durch Worte gelangt ihrnie dahin, ihr mgt hren, soviel ihr wollt; sondern liebet Gott allein von Grund eures

    Herzens und habt ihn im Sinn und eure Nchsten wie euch selber; lat alle Dinge, wiesie sind. Lat eure Herzen nach Gott verlangen, wie es die heiligen Patriarchen taten,begehrt, wessen ihr begehren (sollt), und lat alle Dinge auf sich beruhen.

    Das Dritte, was der Alte Bund kannte, war die dunkle und ferne Hoffnung aufErlsung; denn die Pforte (des Himmels) war verschlossen, und kein Prophet vermochte zu sagen, wann die Erlsung geschehen werde. So mu der Mensch sichGott berlassen, schlicht und in vollem Vertrauen in seinen ewigen Willen, ingeduldiger Gelassenheit, wenn er will, da die Erlsung geschehe. Dann wird Gott

    sicher kommen, er wird (in dir) geboren werden. Aber wann? Das berla ihm; beieinigen in ihrem Alter, bei anderen in ihrer Todesstunde, das befiehl ihm! Du brauchstauch keine besonderen bungen vorzunehmen: halte die Gebote und den heiligenGlauben! Lerne die Glaubensartikel und die heiligen Gebote, und dulde und berlassedich Gott in allen Dingen; so wird Christus sicher in dir geboren, der Neue Bund,Friede in der Wahrheit und Freude im Heiligen Geist; wenn in euch ein Lebengeboren wrde, dem der Engel vergleichbar an Schrfe des Geistes5, das dnkte euchetwas Groes: nein, das, was ich meine, ist (noch) viel mehr; der Geist erweckt (ineuch) ein wahrhaft gttliches Leben seiner selbst; bersteigend alles engelhafte Leben

    oder menschliche Verstndnis, alle Sinne und alle Vernunft; aber (nur) auf diesem Weg, den ich anzeigte, und auf keinem anderen lt es sich verwirklichen. Wohlvermag der Mensch dazu kommen, dieses edle Leben6 zu verstehen, er .gefllt sich inVorstellungen und Gedanken ber diesen Gegenstand; aber dieses Leben zu erreichenund zu fhren, dazu kommt man nur auf dem (angegebenen) Weg: durch wahreGelassenheit; dann findet man es sicher.

    Die Leviten trugen die Bundeslade. Hier aber trgt die Lade uns. Wer also Gott nichtertragen will in seiner Gerechtigkeit und in seinen Urteilen, der verfllt ohne Zweifelfr alle Ewigkeit seiner Gerechtigkeit und seinem Urteil. Es kann nicht anders sein,wende es her und hin, wie du willst: du mut dich lassen und geduldig tragen; danntrgt uns Gott wahrlich in allen Dingen, in allem Leid, bei allen Brden; Gott schiebtseine Schulter unter unsere Last und hilft uns, unser Leid tragen. Leidet Gottes Willens wegen; denn litten wir, indem wir uns Gott wahrhaft unterwrfen, so wre uns keinLeiden und berhaupt nichts unertrglich.

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    Vetters Lesung 397,14 ist verdorben. Der Vorschlag Corins, Sermons II, 324 Anm. 2 d rfte dem Sinngehalt der Stelleentsprechen: er findet Sttze durch die Lesart Wi 2, S. 270,9-10 und andere z. B. in F1 und Str (A 89).6Corin, Sermons II, 324 verdeutlicht den Text Vetters 397,17 und der Hs. Wi 1, S. 271,1 durch die bersetzung ce

    noble etre", die er dann = cette noble vie" setzt (Anm. 3).

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    Aber weil wir jetzt ohne Gott sind und in unserer eigenen Schwche befangen, darumknnen wir nichts dulden, nichts wirken.

    Da wir dieses Joch Gottes alle mit Wrde tragen, dazu helfe uns Gott.

    AMEN.