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Kampf um Maran'Thor

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ATLAN Die Lordrichter 6 – Kampf um Maran´Thor

Nr. 18

Kampf um Maran´Thor von Horst Hoffmann

Dank eines Zellaktivators hat der relativ unsterbliche Arkonide Atlan an der Seite Perry Rhodans schon zahlreiche Abenteuer erlebt. Und auch ohne den Terraner stellte er sich manch hartem Kampf erfolgreich: als verstoßener Kristallprinz im Untergrund des Arkon-reiches, im Abwehrkampf gegen außergalaktische Invasoren, als Imperator von Arkon, Protektor des Neuen Einsteinschen Imperiums, Orakel von Krandhor, Beauftragter der Kosmokraten, Ritter der Tiefe ... Im Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) macht sich Atlan zusammen mit der rätselhaften Varganin Kythara auf, einem Hilferuf aus der Galaxis Gruelfin zu folgen: Dort bedrohen die geheimnisvollen Lordrichter und das Schwert der Ordnung die gesamte Cappin-Zivilisation. Zunächst verschlägt es Atlan und Kythara allerdings noch in der Milch-straße auf den Planeten Narukku. Dort machen sie erstmals selbst Bekanntschaft mit den Truppen der Lordrichter und erkennen, dass diese die Psi-Quellen der Varganen pervertie-ren und missbrauchen. Um dem entgegenzuwirken, begeben sie sich auf die Suche nach der Sternenstadt VARXODON – doch zunächst führt sie ihr Weg nach Maran'Thor ...

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide stößt auf einen ge-heimnisvollen Würfel. Kythara – Die Varganin gerät in die Hän-de des Feindes. Torghunar – Ein Torghan-Kommandant wird seines Amtes enthoben. Erzherzog Garbhunar – Er versucht, vor den Lordrichtern seine Scharte auszuwet-zen.

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ATLAN Die Lordrichter 6 – Kampf um Maran´Thor

1.

Diesmal griffen sie nicht nur von vorne und

von den Seiten an. Diesmal kamen sie auch aus der Luft. Der Feuerschutz, den ihm seine Soldaten gegeben hatten, nützte ihm nichts mehr. Es ging alles viel zu schnell, als dass noch eine Gegenwehr möglich gewesen wäre.

Torghunar schrie noch Befehle, doch sie gingen im Fauchen der Strahlwaffen und dem Krachen der Explosionen unter. Aus seinem Helmfunkgerät drangen nur noch Knistern und Rauschen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass er von den anderen gehört wurde. Seinen Soldaten fehlte der Kopf, der Befehlshaber. Sie waren ohne Führung und wurden von den Arachnoiden abgeschossen wie Pappkamera-den.

Er lag in vorderster Front, einige Meter vor den Kriegern, die ihm noch bis hierher gefolgt waren, hinter einer Säule in Deckung, flach an den von Strahlbahnen zerfurchten Boden ge-presst, der teilweise noch flüssig war und brodelnde Blasen warf. Es stank fürchterlich nach verbranntem Plastik, und Torghunar wusste, dass er mit jedem Atemzug giftige Dämpfe in seinen Körper sog, denn zu allem Überfluss war die Luftversorgung des Kampfanzugs ausgefallen. Er kämpfte mit offenem Visier.

Aber machte das jetzt noch etwas aus? Es war egal, wie er starb, denn dass er das Schlachtfeld diesmal noch lebend verlassen würde, war mehr als unwahrscheinlich. Torg-hunar war ein kalter Rechner. Er machte sich nichts vor.

Das hieß nicht, dass er keinen Überlebens-willen besaß. Im Gegenteil! Er durfte noch nicht sterben, bevor ...

Gleich neben ihm schlugen mehrere aus der Luft abgegebene Strahlschüsse in das bro-delnde Etwas, das einmal der Plastiküberzug des Bodens gewesen war. Torghunar sprang auf und feuerte im Laufen. Gegen die Lande-truppen des Feindes konnte er nichts ausrich-ten, jedenfalls nicht, bevor sie am Boden wa-ren. Er sah sie über sich, Dutzende, und feuer-te blind. Die Antwort waren Thermoeinschlä-ge, die ihn nur ganz knapp verfehlten. Ge-duckt erreichte er eine Mulde. Hinter ihm explodierte die Säule. Er riss alle vier Arme

hoch und deckte schützend sein Gesicht ab. Trümmer schossen an ihm vorbei. Einer traf ihn im Rücken und warf ihn nach vorn. Das Geschoss rettete ihm vielleicht das Leben, denn so entging er wie durch ein Wunder (an die er nicht glaubte) um Zentimeter der rot flirrenden Bahn eines Thermostrahls.

Wahrscheinlich hätte sein Schutzschirm ihn absorbiert. Die Schirme der Feinde waren viel schwächer. Bei ihnen genügte in der Regel ein Treffer, um sie zu durchschlagen. Doch dafür waren sie in der hundertfachen Überzahl und schossen mit konzentriertem Punktfeuer, was auch die Schutzfelder seiner Truppe nicht aushielten.

Er sah den Schützen und schaltete ihn mit einem gezielten Schuss aus. Der Arachnoide verbrannte in einer aufflammenden Feuerlohe, doch noch bevor er am Boden zusammenge-sunken war, waren zwei andere heran.

Torghunar drückte sich so tief in die Mulde wie möglich. Er wartete ihre Schüsse ab. Die Hitze war fast noch unerträglicher als das Krachen, Fauchen, Blitzen und Flackern des Strahlgewitters.

Er lag mittendrin. Die Arachnoiden erschienen am Rand der

Mulde. Torghunar schoss sofort. Die beiden Spinnenwesen starben in der Feuerglut aus seiner Waffe. Er sprang auf, stürmte los und lief im Zickzack auf die nächstbeste Deckung zu. Meterdicke Säulen und die überall liegen-den Trümmerbrocken waren alles, was noch von der Tempelstadt geblieben war. Sie hatten sie schon so gut wie erobert gehabt, als die Arachnoiden wie aus dem Nichts auftauchten. Er verstand das alles noch nicht. Er wusste nur, dass sie keine Chance mehr hatten. Die Schlacht war für das »Schwert der Ordnung« verloren – und damit der strategisch uner-messlich wertvolle Stützpunkt unter den Rui-nen. Denn um ihn ging es, nicht um die lä-cherliche Anlage an der Oberfläche.

Torghunar schaffte es wie durch ein Wun-der, immer noch unverletzt bis zu drei halb aufeinander getürmten Trümmerklötzen zu gelangen, keine zwanzig Meter von dem nächsten in die Tiefe führenden Schacht ent-fernt. Verloren geglaubte Hoffnung keimte wieder in ihm auf. Gelang es ihm, den Schacht zu erreichen, war es vielleicht noch

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nicht ganz zu spät. Wenn die Station schon nicht für das Schwert der Ordnung gewonnen werden konnte, sollte sie wenigstens den achtbeinigen Teufeln nicht in die Klauen fal-len.

Er sah sich nach seinen Kriegern um, doch es waren keine mehr da. Zwischen den Trümmern war er so gut wie unsichtbar. Die Arachnos stakten bei ihrem Vormarsch an ihm vorbei, ohne dass ihnen nennenswerte Gegenwehr entgegenschlug. Hier und da blitzte es noch vereinzelt auf, aber das hatte nichts mehr zu bedeuten. Der Kampf war ent-schieden. Er hatte keine Armee mehr. Viel-leicht fünf, höchstens zehn Krieger – aber der Feind besaß die hundertfache Übermacht! Er konnte nur noch eines tun ...

Torghunar riss die Thermobombe vom Gür-tel und machte sie scharf. Die Spinnen waren an ihm vorbei und metzelten die letzten Ver-teidiger nieder. Die Verteidiger ... pah! Ero-berer waren sie gewesen, hatten bereits ge-glaubt, die Station gehöre ihnen. Sie waren so sicher gewesen, bis der plötzlich mitten in der vor Hitze flirrenden Luft entstandene riesige Ringtransmitter die Arachnos auszuspeien begann.

Torghunar zwang sich dazu, nach vorne zu denken. Er konnte es nicht mehr ändern. Ihre Überheblichkeit war ihnen zum Verhängnis geworden. Aber er hatte es noch in der Hand ...

Als er keine Angreifer mehr über sich sah, sprang er auf und rannte los. Er hatte den Schacht fast erreicht, als ihn der Strahl traf und den Schutzschirm zum Aufflammen brachte. Weitere Schüsse schlugen in das e-nergetische Feld, brachten es zur Überlastung. Der Schirm brach zusammen. Torghunar war vollkommen ungeschützt. Etwas schlug gegen sein hinteres Bein. Er stürzte und sah entsetzt, dass das Bein fort war.

Der Schacht!, dachte er in Panik. Seine Selbstbeherrschung brach zusammen wie das Schutzfeld. Die Angst, endgültig zu versagen, lähmte ihn fast. Weitere Schüsse fauchten heran. Die Spinnen hatten ihn entdeckt und rückten zu mehreren auf ihn an.

Sie wussten, was er vorhatte! Aber sie kamen zu spät. Torghunar warf die

Bombe. Er sah, wie sie nur zwei Meter vor

der Schachtöffnung auf dem Plastikboden aufprallte. Noch einmal griff das Entsetzen nach ihm. Er hatte seine Kräfte überschätzt. Es hatte nicht gereicht. Die Anlagen würden ...

Aber dann sah er, wie die Bombe weiter-rollte. Einen Meter, dann nur noch Zentimeter ... und sie fiel in den Schacht!

Ein greller Blitz blendete ihn, gefolgt von einer schrecklichen Detonation. Dann noch eine – und die nächste. Die Luft schien plötz-lich zu kochen.

Es wurde wieder gekämpft! Die Bombe musste den Schachtboden erreicht haben und jede Sekunde explodieren. Torghunar verstand nicht, was um ihn herum vorging. Etwas traf seinen rechten Vorderarm. Ein furchtbarer Schmerz fuhr durch seinen Kör-per. Dann schlug etwas gegen seinen Panzer und presste die Luft aus seinen Tracheen. Er hörte sich schreien. Es wurde schwarz um ihn herum. Er glaubte, sein Schrei müsse die gan-ze Welt zerreißen – bis er mit einem letzten Rest Verstand begriff, dass es etwas ganz an-deres war.

Es war kein Schrei. Ein Kreischen und Jau-len erfüllte die Luft. Das Jaulen eines Alarms. Er versuchte, die allerletzten Kräfte zu mobi-lisieren und sich umzudrehen. Aber es ging nicht. Etwas oder jemand hielt ihn fest. Je-mand rüttelte an seinen Schultern und schrie etwas.

Es ging im Kreischen des Alarms unter. Dann eine Explosion, der Boden wölbte sich, brach auf und warf ihn hoch ... hoch, immer höher. Er war leicht, stieg ins Licht. Der A-larm ...

*

Der Alarm hallte in seinen Ohren. Er tat es

auch noch, als er die Wärme spürte, die sich in seinem Körper ausbreitete. Das Gefühl für seine Gliedmaßen kehrte zurück; jedenfalls für die, die er noch hatte ...

Die Helligkeit schwand. Er kehrte endgül-tig ins Leben zurück und sah zwei seiner Of-fiziere und einen Medo vor sich. Er erkannte seinen Adjutanten Saghor-25 und den Medi-ker Dolozar-14. Ihre Fühler waren auf ihn gerichtet. Sie blickten besorgt.

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»Eines Tages wirst du nicht mehr aus dem

Traum erwachen«, sagte Dolozar. »Du musst dir helfen lassen, sonst ...«

Torghunar richtete sich auf und winkte ab. Sein dunkelbrauner Chitinpanzer schimmerte feucht und klebrig und war heiß unter der gelben Uniform. Er schob seine Beine über den Rand der Liege – seine beiden Beine. Unwillkürlich warf er einen Blick auf den Stummel dort, wo das dritte sich hätte befin-den müssen. Für einen ganz kurzen Moment sah er sich noch einmal zwischen den Säulen und Trümmern liegen und spürte den Schmerz wie damals auf Xanton-4.

Mit einem Anflug von Zorn verscheuchte er die Erinnerung. Das war vorbei. Er hasste die Träume, ganz besonders diesen Traum. Aber er dachte nicht daran, Dolozars Drängen nachzugeben und sich von ihm »behandeln« zu lassen.

Die Tür seiner Kabine stand offen. Vom Korridor hörte er schnelle Schritte und Rufe. Er schüttelte die Benommenheit endgültig ab und sah seinen Adjutanten aus den beiden vorderen, großen Facettenaugen fragend an. Er beherrschte sich wie immer, aber vor Sag-hor-25 konnte er seine Aufregung nicht ver-bergen.

»Was soll der Alarm? Wer hat ihn veran-lasst?«

»Niemand, General«, antwortete der junge Torghan. Seine vier Hände waren vor der tonnenförmigen Brust gefaltet, unmittelbar über der Einschnürung seines zweieinhalb Meter großen Wespenkörpers. Die Geste schien Ruhe zu signalisieren, doch seine Fin-ger bewegten sich hektisch und verräterisch. »Er ist automatisch ausgelöst worden. Es ist keine Übung, General.«

Torghunar stand mit einem Ruck ganz auf. »Der Transmitter?« Es war keine Frage. Es war schlimmer. Saghors Bestätigung war ü-berflüssig »wie ein vierter Arm«, wie Torg-hunar oft sagte. Der General war von höchster Stelle vorgewarnt worden. Was man befürch-tet hatte, hatte sich schneller erfüllt als erwar-tet.

Torghunar humpelte an ihm vorbei. Er stieß Dolozar-14 grob aus dem Weg. »Lass endlich den Alarm abstellen!«, rief er Saghor zu, als er schon auf dem Korridor und dem Weg zu

seiner Zentrale war. Wenige Sekunden später hörte das Geheul

auf. Torghunar beeilte sich, rempelte Soldaten an, die ihm entgegenkamen und nicht schnell genug auswichen, und versuchte, kalt zu blei-ben. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, sagte er sich. Er hatte sich in seine Kabine zurückge-zogen, um optimal auf diesen Moment vorbe-reitet zu sein, den er gleichermaßen herbeige-sehnt und gefürchtet hatte.

Eigentlich schon seit Xanton-4 ... In der Zentrale im Zentrumsdreieck des

Stützpunkt wimmelte es von Torghan, Ur'ogh und anderen Kriegern und Wissenschaftlern des »Schwerts der Ordnung«. Sie liefen und redeten in heller Aufregung durcheinander. Torghunar musste schreien, um Ruhe zu schaffen.

Er winkte mit dem linken Vorderarm – dem einzigen, den er noch besaß – einen unterge-ordneten Offizier herbei, einen Torghan, der noch einen klaren Kopf bewahrt zu haben schien. Dorghon-77 erstattete auf seinen Be-fehl hin Bericht. Torghunar hörte regungslos zu.

Dann gab er mit zitternden Fühlern seine Kommandos.

Von seiner Benommenheit war nichts mehr zu spüren. Der Kommandant der Truppen des »Schwerts der Ordnung« auf Maran'Thor hat-te sich jetzt völlig unter Kontrolle – auch wenn er die Holoschirme noch vergeblich nach den Fremden absuchte, die in den Stütz-punkt eingedrungen waren. Nach den erhalte-nen Warnungen konnte es nicht anders sein.

Viele Jahre lang hatte er auf diesen Mo-ment gewartet. Und diesmal, das schwor er sich, würde er nicht versagen.

Nicht noch einmal.

2. 14. Mai 1225 NGZ

Ich sah noch, wie Kythara mir zunickte, ein

scheues, fast verlegen wirkendes Lächeln auf dem schönen, kupferfarbenen, von goldenen Haaren umrahmten Gesicht hinter der Sicht-scheibe ihres geschlossenen Helms. Ich nickte zurück. Es war, wie um uns gegenseitig noch ein letztes Mal Mut zu machen, Mut vor dem großen Sprung ins Ungewisse.

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Sie reichte mir ihre Hand. Ich ergriff sie.

Das rötliche Leuchten rings um die Transmit-terplatte hatte sich schon aufgebaut. Ich schloss unwillkürlich die Augen und dachte an unser Ziel, 23.000 Lichtjahre entfernt.

Ich weiß nicht, wie viel tausend Male ich in meinem langen Leben schon einen Transmit-ter benutzt hatte. Es hätte längst pure Routine sein müssen, wie das Gehen über eine Tür-schwelle, aber das war es nicht. Es würde es nie werden. Es war immer ein Augenblick des kurzen Luftanhaltens. Vor allem dann, wenn man sich einer technischen Anlage anvertrau-te, die wahrscheinlich vor Jahrtausenden zum letzten Mal benutzt worden war.

Ein kurzer Moment nur, nein, nicht einmal das, und doch eine Ewigkeit ...

Ich spürte das kurze Ziehen im Nacken und den Druck von Kytharas Hand. Ein Herz-schlag nur. Ich schlug die Augen wieder auf. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verän-dert. Auch das kannte ich. Das bange Gefühl, dass es nicht geklappt hatte. Es hatte wohl damit zu tun, dass der menschliche Verstand sich immer noch weigerte, das Nichterfassba-re zu akzeptieren. In Nullzeit von einem Ende des Universums zum anderen.

Närrisch und überflüssig!, wisperte mir mein Logiksektor zu, auf seine gewohnt freundliche Weise. Ihr habt die beiden Robo-ter vorausgeschickt, um die Strecke zu che-cken! Sie haben das »Keine Gefahr«-Signal gesendet – was brauchst du noch mehr?

Nichts. Ich ließ Kytharas Hand los und machte mich bereit, von der 15 Meter durch-messenden Metallplatte zu steigen, die auf vier achteckigen Säulen ruhte – genau wie auf Narukku. Diese Station hier befand sich aber nicht mehr Narukku. Narukku lag hinter uns, zwar ebenfalls am Rand der galaktischen Southside, aber nun 23.000 Lichtjahre in westlicher Richtung entfernt.

Dies hier war Maran'Thor, die »Welt mit den feurigen Ringen« – eine Umschreibung, die ich aus meiner Jugendzeit kannte. Was ich mir unten den »feurigen Ringen« vorzustellen hatte, wusste ich nicht. Kythara würde es mir sagen können. Im Gegensatz zu mir war sie schon selbst hier gewesen.

Varg 1 und Varg 2, die beiden vargani-schen Kugelroboter von je 52 Zentimetern

Durchmesser, schwebten vor uns. Wir warte-ten, bis der dunkelrot glühende Ring aus pul-sierender Energie rings um die Metallplatte erloschen war. Dann stiegen wir zu ihnen hin-ab. Galanterweise half ich Kythara und ver-suchte erst gar nicht, mir den Kopf über ihr leicht spöttisches Lächeln zu zerbrechen. Die Varganin war mir immer noch ein Rätsel, trotz allem, was wir nach ihrer Befreiung aus der Obsidian-Kluft zusammen erlebt hatten, in der sie 21.000 Jahre lang gefangen gewe-sen war.

Du bist dir selbst ein Rätsel, kommentierte der Extrasinn. Weil du es einfach nicht zugeben willst!

Ich ignorierte ihn. Wenn er das meinte, war es sein Problem. Ich hatte im Moment andere – und die düstere Ahnung, dass sehr bald noch eine Menge dazukommen würden.

»Die Halle ist größer als die auf Narukku«, stellte Kythara fest. Ich folgte ihrem nach oben gewandten Blick. Jetzt stachen die Un-terschiede ins Auge. Wir befanden uns in ei-ner Kuppelhalle von rund fünfzig Metern Durchmesser und dreißig Metern Zenithöhe. Über die pechschwarze Gewölbedecke zogen sich acht meterdicke, aus einem golden-metallisch schimmernden Material bestehende Rippen, die der Kuppel die Form eines Stern-gewölbes verliehen. Sie mündeten in eben-falls meterdicke Halbsäulen entlang der um-laufenden, fünf Meter hohen, senkrechten Wand.

Varg 1 und Varg 2 sicherten mit ausgefah-renen Stabwaffen die Umgebung, was inso-fern überflüssig erschien, als die Halle leer war. Außer uns befand sich niemand in der Kuppel, vielleicht schon seit Jahrtausenden nicht mehr. Aber Narukku hatte gezeigt, wie wenig sicher man vor Überraschungen war – gerade dort, wo man sie nicht vermutete.

Kythara zeigte auf ein vor dem Transmitter befindliches, hufeisenförmiges Schaltpult. Ich folgte ihr und sah zu, wie sie sich darüber beugte. Unter ihren geschickten Fingern er-wachte das Pult zum Leben. Bunte Lichter und kleine Displays leuchteten auf. Ich war zwar mit der varganischen Technik mittler-weile fast genauso vertraut wie sie, wartete aber, bis sie mit der Überprüfung fertig war und sich zu mir umdrehte.

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»Maran'Thor«, sagte sie. »Die Displays

bestätigen es. Eine weitere Versunkene Welt meines Volkes.« Stolz schwang in ihrer Stimme mit, und dazu hatte sie wohl auch allen Grund. Selbst ich konnte mich der zeit-losen Erhabenheit, die die offenbar überall über die Milchstraße verstreuten Hinterlas-senschaften der alten Varganen ausstrahlten, nicht entziehen. Sie hatten mich in meiner Jugend schon fasziniert, als ich mit Fartuloon, Ra und den anderen Freunden meine Aben-teuer auf ihren Spuren erlebte, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert, nachdem ich wieder auf die Varganen gestoßen war.

Vergiss Ischtar nicht, spottete der Extra-sinn. Ohne sie wäre die Aufzählung nicht komplett. Immerhin wärst du dir mit Ra ih-retwegen oft genug fast gegenseitig an die Gurgel gegangen. Würdest du das auch für Kythara tun?

Ich musste auf diesen Unsinn nicht antwor-ten. Stattdessen sagte ich: »Aber Maran'Thor ist nicht unser Ziel. Es ist lediglich die einzige Welt, die von Narukku aus zu erreichen war.«

»Sicher.« Kythara arbeitete schon wieder am Schaltpult. »Unser Ziel ist immer noch die ferne Sternenstadt VARXODON – einst das Zentrum des varganischen Reiches und später unser Versteck vor dem Henker Magantilli-ken, den du ja ebenfalls kennen lernen durf-test, wie ich mittlerweile weiß. Gedulde dich noch einen Augenblick, dann sehen wir wei-ter.«

Natürlich hatte sie mir schon von VAR-XODON berichtet. Ich rief es mir in Erinne-rung, während ich ihr zusah. Die Stille in der Kuppelhalle machte mich leicht nervös. Sie war unheimlich – aber was hatte ich erwartet?

Krieger des »Schwerts der Ordnung«, flüs-terte der Extrasinn. So wie auf Narukku. Ge-steh es dir ein. Davor hast du doch Angst. Denn es würde bedeuten ...

Die Schlussfolgerung überließ er großzügi-gerweise mir. Aber er hatte ja Recht. Es war genau das, was wir beide befürchteten, Kytha-ra so gut wie ich, denn es würde nichts ande-res bedeuten, als dass das mysteriöse »Schwert der Ordnung«, untrennbar verbun-den mit dem Begriff Lordrichter von Garb, auch auf anderen ehemaligen Varganenwelten aktiv war, nicht nur auf Narukku und im Mur-

loth-Emissionsnebel; nicht nur bei der Psi-Quelle und ihren Ablegern, die bereits eine ganze Raumregion ins Chaos gestürzt hatten. In falschen Händen konnte diese ungeheure Konzentration psionischer Energien eine Waffe darstellen, wie die Galaxis sie noch nicht gesehen hatte.

Und die Taten jener geheimnisvollen In-stanz, die die ehemalige varganische Station zur Sammlung und Speicherung psionischer Energien im intergalaktischen Leerraum von ihrem ursprünglichen Standort in den Mur-loth-Nebel versetzt hatte und anscheinend massiv missbrauchte, konnten falscher nicht sein ...

Wie von meinen eigenen düsteren Gedan-ken heraufbeschworen, keimte und wuchs in mir die Ahnung drohender Gefahr. Ich hatte das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobach-tet zu werden. Ich versuchte, es meiner Unge-duld zuzuschieben, aber es ließ sich nicht ver-scheuchen.

Jemand war da. Ich war kein Telepath, aber Kythara verfügte über eine parapsychische Begabung, wenn sie auch nicht an das heran-reichte, was ich zum Beispiel von terrani-schen Mutanten her kannte.

»Spürst du nichts?«, fragte ich sie leise. Sie drehte sich halb zu mir um, sah mich an

und schüttelte stumm den Kopf. Aber ihr Blick verriet alles andere als Sicherheit.

»Beeil dich«, forderte ich sie auf. Ich sah zu den beiden Robotern hinüber, wie sie son-dierten und den Raum überwachten. Wenn es hier plötzlich erwachende energetische Akti-vität gab, dann würden sie es anmessen. Ich wusste nicht, was ich eigentlich erwartete, aber es hätte mir Sicherheit geben sollen.

Leider tat es das ganz und gar nicht.

* Die Minuten verrannen, dehnten sich für

mich zu kleinen Ewigkeiten. Kythara hantier-te wie besessen am Schaltpult der Transmit-ter-Steuerung. Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Sie schien sich an einem Problem festgebissen zu haben. Dass sie nichts sagte, machte es mir nicht gerade leichter.

Bis sie sich plötzlich kerzengerade aufrich-tete.

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Sie drehte den Kopf. Unwillkürlich und

obwohl sie wie ich den Helm ihres Kampfan-zugs noch geschlossen hielt, fiel mir der Ver-gleich zu einem Tier ein, das witterte. Eben noch hatte sie mich mit einem spöttischen Lächeln bedacht, als sie sah, dass meine Hand auf dem Griff des stabförmigen Strahlers an meinem rechten Oberschenkel lag. Jetzt war davon nichts mehr zu sehen.

Ganz im Gegenteil. In ihren Augen funkelte es verräterisch.

»Was ist?«, fragte ich leise. »Du hattest Recht«, sagte sie, ebenfalls mit

gedämpfter Stimme. »Da ist jemand. Er kommt näher. Nein, es sind mehrere ...«

»Von wo?«, fragte ich und sah mich nach einem Schott um. Natürlich musste es Aus-gänge aus der Kuppelhalle geben, aber dann waren sie gut verborgen. »Aus welcher Rich-tung?«

»Ich kann es noch nicht sagen, aber ich empfange keine freundlichen Eindrücke.«

»Wir sind also entdeckt?« Sie nickte fahrig. »Sieht ganz so aus. Ich

...« »Wie lange brauchst du denn noch?«, un-

terbrach ich sie. »Was ... wonach suchst du überhaupt?«

»Wir wollen doch nach VARXODON, o-der? Um einen Kardenmogher zu finden und damit die verdammte Psi-Quelle auszuschal-ten! Aber ... es führt kein Weg dorthin, nicht von hier aus.«

»Sondern?« »Daran arbeite ich ja gerade! Wenn wir

weiterkommen wollen, müssen wir eine ande-re Gegenstation finden, nach der wir uns ab-strahlen lassen können. Aber es hat von vor-neherein nur wenige erreichbare Transmitter-Gegenstationen gegeben – und von diesen wenigen reagiert auch nur eine mit einem Bereitschaftssignal, wenn ich sie anwähle.«

»Wo?«, fragte ich, während ich angestrengt die Wände absuchte. »Welche?«

»Die von Stempoolten! Sagt dir das et-was?«

»Ja«, antwortete ich. »Wie nahe sind die Impulse?«

»Zu nahe.« »Kennst du sie? Kannst du sie zuordnen?« »Verdammt, ja! Dreimal darfst du raten!«

Unvermittelt beugte sie sich wieder über die Kontrollen. Ich hatte sie in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft noch nie so fluchen hören. Sie arbeitete fieberhaft weiter. Immer wieder erschienen neue Anzeigen. Offenbar versuchte sie, den Transmitter zu program-mieren, damit er aktiviert werden konnte. So-fern wir entdeckt waren, würden sie uns ein-gekreist haben. So würde jedenfalls ich han-deln, wenn ich unser Gegner wäre, über des-sen Identität es – so, wie Kythara ausgesehen hatte – kaum einen Zweifel gab.

Unsere schlimmsten Befürchtungen schie-nen wahr zu werden. Und wir saßen in der Falle. Jetzt reagierten auch die beiden Robo-ter. Sie fuhren weitere Tentakelarme mit Waf-fen aus und richteten sie auf ganz bestimmte Stellen in den Wänden.

Stempoolten!, dachte ich fieberhaft. Eine weitere Versunkene Varganenwelt, deren Namen ich aus meiner Jugendzeit kannte – und mehr leider nicht. Damals wurde sie an-geblich von dem Varganenrebellen Drock-maider bewohnt. Aber wenn die Krieger des »Schwerts der Ordnung« schon auf Ma-ran'Thor waren, mussten wir dann nicht auch davon ausgehen, dass sie uns auf Stempoolten ebenfalls erwarteten?

Das Ausmaß der »Verschwörung« – oder wie immer man es nennen wollte – des »Schwerts der Ordnung« schien größer zu sein, als wir uns vorzustellen gewagt hatten. Alles, was wir konkret darüber wussten, war das, was der sterbende Cappin Carscann vor seinem Tod gestammelt hatte. Dass seiner Heimatgalaxis Gruelfin eine tödliche Gefahr drohte, wenn die Lordrichter von Garb erst dort erschienen. Aber nicht nur Gruelfin droh-ten schreckliche Kriege und Verderben, wenn sich die Truppen dieser Macht offensichtlich bereits in der Milchstraße festgesetzt hatten. Was wussten die Cappins, das uns bisher ver-borgen geblieben war? Alle Indizien sprachen dafür, dass sich die Lordrichter und das »Schwert der Ordnung« hinter der Macht verbargen, die die varganische Psi-Quelle versetzt und manipuliert hatte. Und dass eine pervertierte Psi-Quelle zur tödlichen Gefahr werden konnte, hatten wir zuletzt auf Naruk-ku erlebt.

Es musste verhindert werden. Und dazu

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brauchten wir einen – oder mehrere – Kar-denmogher, die »ultimate Waffe« der alten Varganen, die ganze Planetenbevölkerungen auslöschen konnte. Ich dachte mit Grausen daran. Die Arkonbombe, der Planetenvernich-ter, der uns früher als Gipfel der lebensver-achtenden Zerstörung vorgekommen war, nahm sich gegen ein solches Instrument fast schon lachhaft harmlos an. Doch in unserem Fall war ein Kardenmogher die einzig denk-bare Möglichkeit, einer unvorstellbaren Ge-fahr zu begegnen.

Um nun einen solchen Kardenmogher in die Finger zu bekommen, mussten wir VAR-XODON, die Sternenstadt, erreichen! Kein Weg führte daran vorbei. Blieb nur zu hoffen, dass das »Schwert der Ordnung« nicht eben-falls schon dort war. Wenn es über Psi-Quellen und Kardenmogher gebot, wer sollte es dann noch aufhalten?

Und vor allem: wobei? Nichts als nebulöse Andeutungen, kommentierte der Extrasinn. Wobei die durchaus zu berechtigter Sorge Anlass geben, setzte er rasch hinzu.

Ich sah, wie Kytharas Bewegungen immer hektischer wurden. Anscheinend führte von hier aus kein Weg nach VARXODON. Hatten Sicherheitsschaltungen alle Zugangsmöglich-keiten blockiert, als diese Station in die Hand des Feindes gefallen war?

»Ich habe es gleich!«, rief Kythara. »Nur noch eine Minute, höchstens zwei! Der Kode ist so verdammt schwierig ...«

Schon wieder der Fluch. Heute übertraf sie sich selbst.

Aber ich bezweifelte, dass das viel half. Ich bezweifelte, dass die eine Minute reichen würde.

Deine Gefühle, ja?, stichelte der Extrasinn. Mach dich nur lustig. Meine Gefühle haben

mich selten getäuscht. Logik ist nicht alles. Ich zähle dir bei Gelegenheit auf, in wel-

chen Fällen dein Gefühl dich bereits getrogen hat und in wie vielen Fällen die Logik dane-benlag, konterte die Stimme in meinem Hin-terkopf. Aber jetzt musst du dich um die ge-genwärtigen Probleme kümmern.

Und dann ging alles ganz schnell. Instinktiv versuchte ich, unsere Chancen

abzuschätzen, aber das war von vorneherein sinnlos.

Nach allem menschlichen Ermessen hatten wir keine.

3.

Erzherzog Garbhunar hörte immer noch das

laute, grausame Lachen des Lordrichters, nachdem endlich wieder eine Verbindung zu Stande gekommen war und er ihm berichtet hatte, dass auf Narukku soeben ein Personen-Ferntransmitter aktiviert worden war. Als Gegenstation war die Versunkene Welt Ma-ran'Thor ermittelt worden. Die Fremden, die er für all das verantwortlich machte, was auf Narukku geschehen war, waren ganz offen-sichtlich dorthin unterwegs oder schon abge-strahlt worden. Für Garbhunar bestand kein Zweifel daran, dass es sich bei ihnen um Var-ganen handelte.

Der Lordrichter, dessen Gesicht er zu kei-nem Augenblick gesehen hatte, hatte mit dröhnender Stimme befohlen, den Vorgang genau zu untersuchen. Wenn tatsächlich Var-ganen die Aktivitäten des »Schwerts der Ord-nung« entdeckt hatten und dagegen vorzuge-hen versuchten, mussten sie gestoppt werden – unter allen Umständen. Deshalb sollten Torghan-Truppen den Fremden folgen, ent-weder ebenfalls per Transmitter oder mit Raumschiffen, und sie ausschalten.

Die letzten Worte seines Gebieters hallten wie ein Echo in Garbhunar wider: »Und soll-ten die Fremden wider Erwarten doch ent-kommen und vielleicht sogar die Sternenstadt VARXODON als Ziel ausgewählt haben – nun, dann werden sie bereits erwartet wer-den!«

Mit seinem Schauder erregenden Lachen hatte er die Verbindung unterbrochen. Erz-herzog Garbhunar hatte für einen Moment wie versteinert vor dem Schirm gestanden und in das leere Holofeld gestarrt. Dabei wa-ren die Befehle unmissverständlich gewesen.

Der Erzherzog sah sich um. Der furchtbare Psi-Sturm, ausgelöst durch die unvorherseh-bare Materialisation des Narukku-Ablegers hier im Zentrum des Murloth-Nebels, war abgeflaut, aber er konnte jeden Moment wie-der einsetzen. Was hier einmal entfesselt worden war, war mit den Mitteln, die Garb-hunar zur Verfügung standen, nicht zu kon-

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trollieren. Immer noch lagen überall in der Schaltzentrale der gigantischen Station Trümmer und Tote herum, Verletzte oder irre gewordene Torghan, in deren Umfeld sich vorübergehend Raum und Zeit in ihr Gegen-teil verkehrt und die Psi-Kräfte der Quelle alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt hatten. Dut-zende Roboter waren an der Arbeit, aber bis die Zentrale wieder einigermaßen hergerichtet wäre, würden noch Stunden vergehen.

So viel Zeit blieb dem Erzherzog nicht. Für einen unbekannten Zeitraum, der sich

bisher noch nicht exakt ermitteln ließ, aber von den Betroffenen als Ewigkeit empfunden worden war, hatten sich die Kräfte, die gegen den Feind des »Schwerts der Ordnung« ein-gesetzt werden sollten, gegen die eigenen Krieger gerichtet. Die so unerwartet aufge-tauchten Fremden hatten das erhabene Pro-jekt der Lordrichter von Garb auf das Äußers-te gefährdet und das Narukku-Projekt, die Umkehrung und Optimierung der dortigen Varganen-Androiden zu einer beispiellosen Armee von Superkriegern, zum Scheitern gebracht.

Sie durften keine Gelegenheit bekommen, noch weiteren Schaden anzurichten.

Der Lordrichter hatte ihn nicht explizit an-gesprochen, aber er kannte seinen Zorn und beschloss, nichts dem Zufall zu überlassen. Der Gebieter hatte es nicht mit Worten zum Ausdruck gebracht, aber zwischen den Zeilen glaubte Garbhunar herausgehört zu haben, dass er sehr wohl ihm die Verantwortung für den Fehlschlag auf Narukku gab.

Seine Stellung war vielleicht noch unan-tastbar, aber der Erzherzog wusste auch, dass nichts für ewig Gültigkeit besaß. Und deshalb beschloss er, die Angelegenheit in die eigenen Hände zu nehmen.

Garbhunar besann sich wieder auf seine Fähigkeiten als eiskalter Rechner und Strate-ge. Er begann, seine Befehle zu erteilen. Noch waren die Störungen im Funkäther gering. Bevor sich das eventuell wieder änderte, musste alles bereit sein.

Er nahm Kontakt mit verschiedenen Statio-nen auf und gab seine Befehle. Er stellte einen Trupp seiner besten Offiziere und Krieger zusammen und beorderte sie zum Transmitter in der Psi-Quelle, von wo aus er allerdings

wenig Hoffnung auf einen schnellen Trans-port gemacht bekam. Noch waren die Störun-gen im Hyperbereich zu stark, um eine Be-nutzung wagen zu können.

Der Gedanke an den Zorn der Lordrichter und eine mögliche Strafe war zwar überhaupt nicht erbauend – der an ein Verschwinden irgendwo im Hyperraum allerdings noch viel weniger ...

So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis ein sicherer Transport mit einer akzeptablen Wahrscheinlichkeit gewährleistet werden konnte. Zur Sicherheit schickte er fünf Tropfenraumer, voll gepackt mit Krie-gern und Kriegsmaterial, auf den Weg nach Maran'Thor, aber auch wenn er und sein Einsatztrupp noch Stunden warten mussten, würden sie die 23.000 Lichtjahre bis zu der Versunkenen Welt auf jeden Fall schneller überwinden als auf konventionelle Weise mit einem Schiff.

Vielleicht machte er sich auch ganz um-sonst Sorgen, und die Kräfte auf Maran'Thor wurden schon selbst mit den Varganen fertig, noch bevor er eintraf. Er ging fest davon aus, dass die Lordrichter schon Verbindung mit dort aufgenommen hatten, obwohl das kei-neswegs feststand. Im Grunde wusste er nichts über die Mächte oberhalb seiner Positi-on in der Hierarchie. Doch seine Anwesenheit am Ort des Sieges war gewiss auch nicht falsch. Er konnte eigentlich nur gewinnen. Wenn die Festsetzung oder Vernichtung der Varganen gelang.

Sicher konnte er sich des Erfolgs allerdings nicht sein, denn was wusste er schon von den Herren und dem »Schwert der Ordnung«? Im Grunde nichts. Er bekam seine Befehle, hatte zu gehorchen und keine Fragen zu stellen.

Erzherzog Garbhunar gefiel sich in dieser Rolle gar nicht. Wie so oft tröstete er sich mit dem Gedanken, dass er der mächtigste Beauf-tragte des »Schwerts der Ordnung« in dieser Galaxis war, die ihre Bewohner »Milchstra-ße« nannten.

Aber manchmal fragte er sich, ob er sich da nicht etwas vormachte ...

4.

Ich konnte Kythara gerade noch am rechten

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ATLAN Die Lordrichter 6 – Kampf um Maran´Thor

Arm packen und vom Hufeisenpult wegzie-hen – und fort vom Transmitter. Extrasinn, auch wenn du es nicht hören willst: Ich hatte von einem Augenblick zum anderen das Ge-fühl einer drohenden Gefahr, die genau von dort ausging, wo wir gerade noch gestanden hatten. Ich kann es weder erklären noch be-gründen, aber ich wusste, dass wir hier nicht mehr sicher waren, genau an dem Ort, wo wir uns befunden hatten – und ich behielt Recht.

Sicher waren wir nirgendwo in der Kuppel-halle mehr – aber hier, genau an dieser Stelle zwischen Transmitter und Kontrollpult, fing es an.

In der ersten Sekunde wölbte sich über die Metallplatte und das Hufeisenpult eine gol-den-transparente Schutzglocke. Sie über-spannte beides. Die Götter allein mochten wissen, wen oder was sie zu schützen hatte – wir wären jedenfalls in ihr gefangen gewesen.

In der zweiten Sekunde begann ein Alarm zu heulen. Gleichzeitig ertönte eine Robot-stimme und verkündete auf Varganisch, dass sich Fremde in dem Stützpunkt befanden und für die weitere Benutzung der Anlagen – ge-meint konnte nur der Transmitter sein – der Berechtigungsnachweis zu erbringen sei.

Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Mit der linken Hand hielt ich eine sich heftig wehrende und zappelnde Varganin, in der rechten den schussbereiten Strahler. Fremde? Wer war gemeint? Wir? Dann hätte der Stati-onsrechner oder was immer den Transmitter überwachte, verdammt langsam geschaltet. Und wenn diejenigen gemeint waren, die auf dem Weg hierher waren – nun, diese »Frem-den« waren sicherlich auch nicht in diesem Moment gerade erst angekommen.

Auf jeden Fall wären wir jetzt unter der Schutzglocke gefangen gewesen, wenn ich Kythara nicht vom Pult fortgerissen hätte.

Für weitere Fragen blieb mir keine Zeit mehr. Ich konnte gerade den Robotern und Kythara noch zurufen, ihre Deflektorfelder und Schutzschirme zu aktivieren – keinen Augenblick zu früh, denn in der nächsten Se-kunde flog an gleich zwei Stellen gleichzeitig die Wand auf, und mehrere Gestalten stürm-ten herein. Ich konnte sie im hellen einfallen-den Licht, viel greller als die eher gedämpfte Beleuchtung der Kuppelhalle, kaum richtig

erkennen, aber was ich schemenhaft sah, be-seitigte auch den letzten Zweifel.

Kythara hatte mittlerweile ihren Deflektor-schirm aktiviert, obwohl sie sich heftig gegen meine (wie sie später sagte) »Bevormundung« sträubte. Zum Glück tat sie das lautlos. Sie und die Roboter waren wie ich unsichtbar geworden. Natürlich konnten wir uns dank der Antiflex-Schaltung der geschlossenen Helmvisiere gegenseitig sehen – die Angreifer dagegen vermochten dies nicht. Für sie muss-te die Halle leer sein, das bewiesen sie schon dadurch, dass sie einen kurzen Augenblick zögerten, bevor sie das Feuer eröffneten. Und für diesen Moment war ich ihnen ausgespro-chen dankbar.

Ich ließ Kythara los. Beide warfen wir uns gleichzeitig zu Boden und blieben flach lie-gen in der Hoffnung, dass die Insektoiden unseren Aufprall im Lärm der Sirenen nicht gehört hatten. Dann eröffneten sie das Feuer.

Die Thermostrahlen aus ihren Waffen fuh-ren über uns hinweg und schlugen entweder in die Schutzglocke oder in die Wände dahin-ter. Sie bildeten ein grellrotes Gitter über uns, aber sie trafen uns nicht. Um die Roboter machte ich mir in diesem Moment mehr Sor-gen. Die Insektoiden feuerten blindwütig in die Kuppelhalle, auf Gegner, die sie nicht sehen konnten, von denen sie aber wissen mussten, dass sie da waren. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie damit Erfolg hat-ten. Vielleicht wären wir unter dem Kuppel-schirm in diesen Augenblicken doch besser aufgehoben gewesen ...

Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende ge-dacht, als es auch schon geschah. Varg 1 und Varg 2 waren zum Glück nicht auf die Idee gekommen, uns beschützen zu müssen. Sie hatten sich stattdessen getrennt und waren auseinander gestoben. Trotzdem wurde Varg 2 von einem der blind abgefeuerten Schüsse getroffen, mit der Folge, dass sein Schutz-schirm für einen Moment grell aufleuchtete.

»Spätestens jetzt wissen die Burschen, was hier gespielt wird«, flüsterte ich Kythara im Liegen zu. Sie hatte mir das Gesicht zuge-dreht. Ihr Blick hinter der Helmscheibe war klar. Sie hatte begriffen. Vielleicht leistete sie mir in diesen Augenblicken innerlich Abbitte.

Viel wichtiger war, dass sie jetzt auch ihre

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beiden zur Kampfausrüstung gehörenden Strahler in Händen hatte und entschlossen genug aussah, sie auch zu benutzen. Wir ver-standen uns. Es gab nur den Weg hinaus aus der Halle. Wir mussten uns in einer größeren Station befinden. Alle alten varganischen Stützpunkte, die wir bisher kennen gelernt hatten, waren riesig gewesen und meistens unterirdisch, so wie zuletzt auf Narukku. Hier waren wir die Ratten im Käfig.

Ich hatte keine Lust zu warten, bis ein an-derer ziellos abgefeuerter Schuss einen von uns traf, und genauso wenig konnte mir daran gelegen sein zuzusehen, wie sich die Insek-tenkrieger auf Varg 2 einschossen und seinen Schutzschirm durch Überlastung zum Zu-sammenbruch brachten. Denn genau das ver-suchten sie jetzt.

Varg 2 wich aus, aber das Dauerfeuer aus mindestens einem Dutzend Energiewaffen folgte ihm. Er schwebte wie eine lodernde Fackel durch die Kuppelhalle, bis ich Kythara das Zeichen gab. Dabei deutete ich auf die rechte der beiden Wandöffnungen, durch die die Angreifer gekommen waren.

Wir sprangen gleichzeitig auf und eröffne-ten unsererseits das Feuer. Ich hörte, wie Kythara die Kugelroboter aufforderte, sich zu uns zu gesellen. Beide zögerten nicht lange, und im nächsten Moment waren wir zwar alle vier in heftiges Thermofeuer gebadet, aber dafür schlugen unsere eigenen Schüsse nun in die Reihen der völlig überrumpelten Torghan, und diesen Moment der Überraschung nutzten wir eiskalt aus.

Wir rannten los, schossen uns einen Weg durch die Reihen der Gegner frei, die zwar ebenfalls über Schutzschirme verfügten, aber nun entsetzt zurückwichen. Mit derart hefti-gem Gegenfeuer hatten sie nicht gerechnet. Mit der Emotionslosigkeit von Insekten fin-gen sie sich schnell wieder und deckten nun uns mit konzentriertem Feuer ein. Ich warf nur einen kurzen Blick in die ins Helmvisier eingeblendete Belastungsanzeige. Dann ließ ich es lieber ganz schnell wieder sein. Es war hart an der Grenze.

»Weiter!«, schrie ich und konnte nur hof-fen, dass die anderen mich in dem energeti-schen Gewitter über Funk hörten. Kythara war dicht neben mir. Ich blieb stehen und

winkte ihr, dass sie vorauslaufen solle. Sie drehte sich einmal um die eigene Achse, schoss dabei ununterbrochen auf alles, was wie Riesenwespen aussah, und stürzte sich dann durch den Ausgang aus der Halle. Ich ging rückwärts und bis zur Öffnung in der Wand, ließ mich in die Knie sinken und hielt trotz des drohenden Zusammenbruchs des Energieschirms die Torghan auf Distanz, die jetzt an unserer Stelle in der Transmitterhalle gefangen waren. Varg 1 und Varg 2 schweb-ten »rückwärts« feuernd an mir vorbei. Sie schossen mit Paralysestrahlen, und als ich den Erfolg sah, schaltete ich die eigenen Waffen ebenfalls in diesen Modus.

Es erfüllte auch seinen Zweck. Die Schirme unserer Gegner schützten nicht vor den Lähmstrahlen. Sie fielen reihenweise um. Normalerweise hätte ich von Anfang an auf diese »humanere« Weise gekämpft. Es war sonst nicht meine Art, unnötig Leben auszulö-schen, wenn es auch eine andere Möglichkeit gab. Das war nicht zuletzt natürlich auch eine Folge meines langen Lebens unter den Terra-nern – in meinen jungen Jahren wäre ich nicht so zimperlich gewesen.

Aber die Angreifer hatten uns überhaupt keine Zeit gelassen, lange zu überlegen, und wir hatten auf ihre Attacke mit den gleichen Waffen geantwortet, ohne lange zu überlegen.

Die Insektoiden wurden dezimiert. Als ich den Rücken frei hatte, wirbelte ich herum und folgte Kythara, Varg 1 und Varg 2. Kythara hatte auf mich gewartet. Jetzt rannte sie wie-der los. Dutzende gelähmter Torghan lagen am Boden eines geraden Korridors von fünf mal fünf Metern im Querschnitt. Weitere tauchten im weißblauen Licht aus indirekten Quellen vor uns auf. Kythara, nun auch mit Paralysestrahlen, machte kurzen Prozess mit ihnen.

Der Zustrom von Insektoiden schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Wie viele Krie-ger des »Schwerts der Ordnung« befanden sich bereits auf Maran'Thor? Hunderte? Tau-sende? Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen.

Ich schloss zu Kythara auf. In dem breiten Gang konnten wir nebeneinander laufen, ohne uns gegenseitig zu behindern. Rechts und links bogen kleinere Gänge ab, doch die Var-

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ganin lief weiter. Im uralten Stützpunkt auf Narukku hatte es sich gezeigt, wie gut sie sich in den Stationen ihres Volkes auskannte, selbst in solchen, die sie nie zuvor aufgesucht hatte. Also gab es keinen Grund, ihr hier nicht zu vertrauen.

Der Albtraum schien dennoch kein Ende nehmen zu wollen. Wenigstens schien endlich jemand ein Einsehen mit meinen Nerven ge-habt und den Alarm abgeschaltet zu haben. Wir rannten durch das Strahlgewitter der im-mer wieder vor uns auftauchenden, sofort feuernden Gegner, und als ich ernsthaft die Geduld zu verlieren drohte, deutete Kythara nach links.

Sie blieb stehen, schaltete ihre Waffen um und brannte einfach ein Loch in die Wand, so selbstverständlich, als habe jemand eine Ziel-scheibe darauf gemalt. Einen Augenblick lang dachte ich, dass sie jetzt durchgedreht habe, aber schon im nächsten Moment nahm ich alles zurück. In der Wand entstand eine dunk-le Öffnung. Als sie groß genug war, huschte die Varganin geduckt hindurch, obwohl die scharfen Kanten noch glühten, und ver-schwand in der Dunkelheit. Das weißblaue Licht, das, wie auf Narukku, alle Korridore und Räumlichkeiten des Stützpunkts auszu-füllen schien, reichte nur wenige Meter in den Hohlraum hinein, in den ich zuerst die beiden Roboter schweben ließ, bis auch ich, noch wild um mich feuernd, folgte.

Kythara wartete wieder. Ihr Helmschein-werfer, oben in den halb transparenten »Si-chelkamm« integriert, flammte auf und ließ mich eine gespenstische Umgebung erkennen, mit der ich nichts anfangen konnte.

Die Varganin winkte wieder. Ich vertraute ihr und lähmte noch eine Hand voll Insektoi-de, die vor der Öffnung erschienen. Dann folgte ich ihr ins Dunkel.

Ich hoffte wirklich, dass sie wusste, was sie tat.

*

General Torghunar konnte es nicht fassen. Er ließ sich die Bilder vom Stationsrechner

immer wieder vorführen, bis er sie nicht mehr ertragen konnte. Die optische Erfassung der glühenden Energieschirme war klar. Dazu

kam die Energieortung der Schutz- und De-flektorschirme, hinter denen die Fremden sich verbargen. Er wandte sich ab und sah in das starre Gesicht von Saghor-25, das den glei-chen Unglauben verriet, die ganze Verwir-rung, eingefroren in der starren Maske aus Chitin, knackenden Mandibeln und Facetten-augen.

»Wie konnte das geschehen?«, schrie der General. Saghor zuckte heftig zusammen. Seine Fühler richteten sich senkrecht auf. »Wie, bei den Geistern der grünen Sonne, konnte das passieren!«

»Ich ... es ist mir unerklärlich, General«, stammelte der Adjutant. »Dorghon-77 ...«

»Ist ein Narr!«, fuhr Torghunar ihn an. »Er hat sich überrumpeln lassen wie ein blutiger Anfänger! Und ich hielt ihn für einen fähigen Offizier, einen meiner Besten!«

»Das ist er auch, General«, wagte Saghor zu sagen. »Er hat alles richtig gemacht, bis ...« Er suchte nach Worten. »Er konnte nicht darauf vorbereitet sein. Es ... sind furchtbare Kämpfer.«

»Varganen«, hörte Torghunar. Er drehte den tropfenförmigen Kopf. Ein älterer Offi-zier war einen Schritt vorgetreten. Sein Ton war respektvoll, aber bestimmt. »Es sind Var-ganen, General, die, vor denen der Lordrich-ter uns gewarnt hat.«

»Das ist mir nicht neu!«, bellte Torghunar. »Ich habe ihnen eine halbe Armee entgegen-geschickt!«

Tukhor-147 schwieg. Torghunar tat sein Ausbruch schon wieder Leid. Tukhor war ein alter, in vielen Schlachten bewährter Kämpfer – älter noch als er selbst. Und er war weitaus mehr als nur das: Tukhor war es gewesen, der die Landetruppen befehligt hatte, die ihn als einzigen Überlebenden aus dem Hexenkessel von Xanton-4 herausgeholt hatten. Er war Zeuge seiner schlimmsten Demütigung gewe-sen, doch er hatte nie auch nur ein Wort dar-über verloren.

Er hatte sein Leben gerettet, die Ehre aber ...

Torghunar wollte nicht daran denken. Es gehörte nicht hierhin! Aber sie beide waren Veteranen und hatten auf mehr als nur dem einen Kriegsschauplatz zusammen gekämpft; in mehr als nur einer Galaxis für das

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»Schwert der Ordnung« das Leben riskiert. Er war zwar jetzt sein Vorgesetzter, aber manchmal zweifelte er daran, dass dies so richtig sei ...

Tukhor und, auf der anderen Seite, der jun-ge Saghor. Er war noch nicht einmal Offizier, aber auf dem besten Weg dazu. Er war ein tüchtiger Adjutant.

Sie alle, auch die anderen Offiziere und Soldaten, die jetzt in der Zentrale um ihn he-rumstanden und auf Befehle warteten, erfüll-ten ihre Funktion. Sie hatten es bisher immer gut getan, sonst wären sie nicht auf Ma-ran'Thor. Es war falsch, irgendeinen von ih-nen für das Geschehene verantwortlich ma-chen zu wollen. Tukhor hatte Recht: Die Fremden waren nicht irgendwelche Eindring-linge. Es waren Varganen!

Und sie waren so gefährlich, dass ein Lord-richter persönlich vor ihnen gewarnt hatte.

»Die Tatsachen«, sagte Torghunar gepresst. Der Schaden war da. Jetzt zählten nur nackte Fakten, keine Gefühle. Er musste sie eliminie-ren – auch die Angst, die wieder in ihm hoch-stieg, so wie immer, wenn die Dinge sich sei-ner Kontrolle zu entziehen drohten. Dann kamen auch die Phantomschmerzen. Er muss-te mit dem Albtraum leben! Es war sein Schicksal. Er durfte nicht andere darunter leiden lassen!

Logisch denken ... Er durfte sich nicht von Emotionen beherr-

schen lassen! Es würde ihn disqualifizieren! Seine grausame Angst würde ihn noch um-bringen – und um sein Kommando; die letzte Chance, die er bekommen hatte!

Logisches Denken ... »Dorghon-77 und sein Trupp liegen paraly-

siert in der Transmitterhalle und im zu ihr führenden Korridor. Sie fallen für Stunden aus. Die Varganen sind verschwunden. Ein weiterer Trupp unter Führung von Damghar-210 ist ihnen auf den Fersen, ohne bisher ei-nen Erfolg vermelden zu können.« Er hob die Stimme und rief laut: »Zentralgehirn: Abfrage Sicherheitsstatus!«

Sofort meldete sich die Stimme des Stati-onsrechners.

»Es besteht keine unmittelbare Gefahr für den Stützpunkt«, verkündete er auf seine nüchterne, ruhige Art.

Viel zu ruhig! »Was soll das heißen?«, fuhr Torghunar mit

bebenden Fühlern auf. »Es sind gefährliche Fremde nach Maran'Thor gekommen! Wie kannst du behaupten, von ihnen ginge keine Gefahr aus?«

Der Rechner wiederholte seine Auskunft. »In welcher Sektion des Stützpunkts befin-

den sich die ...« Es war Tukhor, der sich ein-gemischt hatte. Nur er durfte sich das erlau-ben. Aber fast hätte er einen Fehler gemacht. Torghunar sah ihn warnend an. »Die ... Frem-den«, brachte der Veteran seine Frage zu En-de.

»Es besteht keine unmittelbare Gefahr für den Stützpunkt«, hörten sie zum dritten Mal.

Torghunar gab es auf. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Rechengehirn. Aber er hatte keine Zeit, sich jetzt darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen. Er funkte Damghar-210 an und ließ sich einen kurzen Bericht geben. Es gab keinen Erfolg zu vermelden. Die Ein-dringlinge waren wie vom Stationsboden ver-schwunden.

Der General sah Tukhor herausfordernd an. Was würdest du an meiner Stelle tun?,

wollte er fragen, aber im letzten Augenblick korrigierte er sich. Er durfte keine Schwäche zeigen. Nicht noch mehr. »Was würdest du an Stelle der Varganen tun?«

Der alte Torghan neigte den Kopf. Seine Mandibeln klickten.

»Ich würde abwarten, bis wir die Suche nach ihnen aufgeben«, sagte er.

»Das wäre unsinnig!«, erwiderte Torghu-nar. »Sie müssen wissen, dass das niemals der Fall sein wird!«

»Danach würde ich versuchen, den Stütz-punkt in meine Hand zu bringen«, überging der Alte den Einwand des Generals.

Als ob ich mir das nicht selbst hätte denken können! Torghunar hatte das Gefühl, von To-ren umgeben zu sein.

Saghor-25 trat vor. Torghunar klickte ihn auffordernd an.

»Ich an ihrer Stelle würde ...«, begann der Adjutant. Weiter kam er nicht. Der Stations-rechner meldete sich und gab bekannt, dass ein Hyperfunkanruf aus dem Murloth-Nebel empfangen worden sei.

»Worauf wartest du noch?«, fragte Torghu-

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nar, von einer bösen Ahnung erfüllt. »Spiel ihn ab!«

Fast im gleichen Moment baute sich ein Holo in der Mitte der Zentrale auf. Kein ande-rer als Erzherzog Garbhunar persönlich kün-digte sein Kommen an – per Transmitter! General Torghunar sollte ihn in der Kuppel-halle erwarten.

Das Holo erlosch, ohne dass Torghunar ei-ne Antwort geben konnte. Wieder wechselte er einen Blick mit Tukhor.

»Der Transmitter ... ist blockiert«, sagte der Befehlshaber. »Das Rechengehirn ist dafür verantwortlich. Wir müssen ...«

Er unterbrach sich. Denk logisch! Torghunar sah eine furchtbare Katastrophe

kommen. Wenn der Erzherzog sich dem Transmitter in seiner Station anvertraute; wenn dieser ihm keine Warnmeldung gab ... Er durfte nicht daran denken. Die Vorstellung war zu grauenvoll.

»Transmitter freigeben!«, rief er in den Raum. »Sofort! Ist ein einwandfreier Emp-fang gewährleistet?«

Er erhielt keine Antwort. Der Stationsrech-ner schwieg.

Torghunar spürte jäh seinen verlorenen Arm und das ebenfalls fehlende Bein. Er kannte und hasste die Phantomschmerzen, die immer dann einsetzten, wenn sich eine Ka-tastrophe anbahnte.

Und davon hatte es in seinem Leben schon zu viele gegeben.

*

Wir befanden uns in einem halbdunklen

Raum. Es war still um uns. Die Orter unserer Anzüge zeigten keine Energiequellen in der unmittelbaren Umgebung an. Unsere eigenen Schutzschirme und die Deflektoren hatten wir desaktiviert. Nur die Helmscheinwerfer spen-deten gerade so viel Licht, wie wir brauchten, um unsere Umgebung zu erkennen.

Viel gab es nicht zu sehen. Wir waren durch endlos erscheinende, dunkle Gänge und Schächte geflohen, schräge Rampen hinauf und primitive Nottreppen hinunter. Es war ein Labyrinth gewesen, aber Kythara hatte sich offenbar zurechtgefunden. Sie hatte gesagt, dass wir vorerst in Sicherheit seien. Ich muss-

te ihr das glauben. Jetzt saßen wir uns auf dem nackten Boden

gegenüber. Der Raum war nicht groß, viel-leicht acht mal acht Meter und drei Meter hoch. Es gab keine Einrichtungsgegenstände, nur kleine Container aufeinander gestapelt an den Wänden.

Varg 1 und Varg 2 schwebten neben uns auf der Stelle. Auch sie hatten alle energiein-tensiven und daher verräterischen Systeme desaktiviert.

»Wenn sie hier sind«, sagte die Varganin, nachdem wir uns lange genug angeschwiegen hatten, jeder mit seinen eigenen, düsteren Ge-danken beschäftigt, »dann können sie überall sein – verstehst du, Atlan?« Sie hob den Kopf und sah mir in die Augen. Die Helme hatten wir zurückgefaltet. »Wirklich überall! Auf jeder unserer Versunkenen Welten.«

»Und auf VARXODON«, sprach ich ihre schlimmsten Gedanken aus. Dazu brauchte ich kein Telepath zu sein. »Das würde bedeu-ten, dass wir den Kardenmogher vergessen können. Unsere schönen Pläne – zerplatzt wie eine Seifenblase.«

Sie funkelte mich wütend an. »Sag so etwas nicht! Sag das nicht!«

»Aber es ist die Wahrheit, du weißt es.« »Sicher weiß ich es! Aber du brauchst es

nicht auszusprechen!« »Also die Augen vor der Wahrheit ver-

schließen?«, fragte ich gereizt. Sie wollte erneut auffahren, doch dann ließ

sie die Schultern sinken. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Selbst jetzt, in all ihrer Wut und Verzweiflung, war sie schön. Eine faszinierende, atemberaubende junge Frau mit der Erfahrung einer Unsterbli-chen. Die lange Zeit in der Obsidian-Kluft hatte keine äußeren Spuren an ihr hinterlas-sen. Sie war begehrenswert wie vor 21.000 Jahren – wahrhaftig eine Göttin.

Und du bist wahrhaftig ein alter Narr!, kam es vom Extrasinn. Ein alter Narr und ein verliebter Gockel! Hat dir eine Göttin denn immer noch nicht gereicht?

Lass Ischtar aus dem Spiel!, dachte ich zu-rück. Ich musste eine ziemlich grimmige Miene aufgesetzt haben, denn Kythara sah mich verwundert an und fragte, was in mir vorginge.

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»Es ist nichts«, sagte ich und versuchte,

meine Verlegenheit zu übertünchen, indem ich sofort die nächste – und auch nächstlie-gende – Frage stellte. »Die Insektoiden wer-den den Stützpunkt auf den Kopf stellen, bis sie uns gefunden haben. Was können wir also tun? Vergiss jetzt die anderen Versunkenen Welten. Wo befinden wir uns? Was weißt du über den Stützpunkt? Welche Möglichkeiten haben wir hier?«

Sie lachte rau. »Hier?« Die Varganin stand auf. »Alle, At-

lan! Alle und keine!« Sie begann im dunklen Raum auf und ab zu

gehen. Ich sagte nichts und wartete, bis sie vor mir stehen blieb. Ihr Blick war jetzt voll-kommen klar. Ihre Miene strahlte wieder die erhabene Entschlossenheit aus, die ich von ihr gewohnt war. Sie war irritiert gewesen. In der Transmitterhalle hatte ich vorübergehend die Initiative übernommen. Das war sie nicht ge-wohnt – vor allem nicht in einer Station ihres Volkes.

»Es kommt alles auf den Zentralrechner der Station an, von ihm hängt alles ab«, erklärte sie, um danach weiter auszuholen. Sie breitete die Arme aus. »Es gibt insgesamt sechs Stützpunkte auf Maran'Thor. Ich bin mir in-zwischen sicher, dass wir uns in Mara-IV be-finden. Er liegt im östlichen Küstengebirge des Nordkontinents Kollarschordek.«

»Woher nimmst du diese Sicherheit?«, wollte ich wissen. »Gibt es nur in Mara-IV einen Transmitter?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber die Daten, die ich am Schaltpult abrufen konnte, waren eindeutig. Dies ist Mara-IV. Stell dir die Station als ein sehr ausgedehntes Kaver-nensystem von annähernd vierzig Kilometern Durchmesser vor, das neben drei riesigen subplanetaren Kuppelstädten auch zwei ober-irdische Ansiedlungen umfasst. Du würdest sie wohl als idyllisch bezeichnen. Sie waren es jedenfalls noch bei meinem letzten Besuch auf Maran'Thor – vor mehr als dreißigtausend Jahren.«

Ich pfiff durch die Zähne. »Das ist eine lange Zeit, in der sich vieles verändert haben kann.«

»An der Oberfläche«, sagte sie. »Nicht hier unten. Varganische Stützpunkte verfallen

nicht – es sei denn, man lässt es zu wie hier –, dazu gibt es hoch effiziente Instandhaltungs-routinen. Vergiss einmal die Oberflächensied-lungen. Sie sind unsere letzte mögliche Zu-flucht, wenn wir hier unten nicht bleiben kön-nen.«

»Wonach es aber ganz aussieht«, bemerkte ich.

Sie schüttelte den Kopf. Goldene Haare fie-len ihr ins Gesicht. Sie blies sie fort. »Noch lange nicht, Atlan. Denn wie schon gesagt, es hängt alles vom Zentralrechner der Station ab. Wenn wir ihn auf unsere Seite bringen, kön-nen die Insektoiden die tausendfache Über-macht haben. Sie würde ihnen nichts mehr nützen. Ohne den Rechner läuft gar nichts, Atlan. Wer ihn kontrolliert, kontrolliert den Stützpunkt.«

»So wie auf Narukku«, sagte ich. »Auch da hatten die Torghan ihn manipuliert. Du muss-test dich erst legitimieren, um als befehlsbe-rechtigt anerkannt zu werden. Danach war alles ganz einfach.« Ich lachte trocken, als ich an die Fallen denken musste, die uns um ein Haar zum Verhängnis geworden wären, und wie sich dann plötzlich das Blatt gewendet hatte. »Fast wie ein Spaziergang.«

»Erwarte lieber nicht, dass es hier genauso werden wird«, warnte sie mit ernstem Ge-sicht. »Natürlich hast du Recht: Der Rechner ist ebenfalls von den Insektoiden manipuliert worden. Ansonsten wäre es niemals möglich gewesen, dass sie sich Zugang zur Transmit-terhalle verschaffen konnten. Ich werde natür-lich versuchen, diese Manipulation rückgän-gig zu machen und mich als befehlsberechtigt zu legitimieren. Wir werden gleich dieses Versteck verlassen. Es ist nicht weit bis zu einer der vielen kleinen Nebenzentralen, von wo aus ich hoffentlich mit der Arbeit begin-nen kann. Ich glaube nicht, dass die Krieger des ›Schwerts der Ordnung‹ überall sind. Der Stützpunkt ist viel zu groß, als dass sie ihn in allen Einzelheiten kennen könnten.«

»So wie du«, sagte ich. »Varganische Stützpunkte sind fast alle

nach den gleichen Prinzipien errichtet wor-den«, wehrte sie den Zweifel ab, den sie aus meiner Bemerkung herausgehört hatte. »Un-terschiede ergeben sich nur daraus, in welcher Zeit und zu welchem Zweck sie angelegt

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wurden. Von Mara-IV weiß ich, dass es sich um eine Station handelt, die von einem drei Kilometer breiten Außenring umschlossen wird, in den drei große Kuppelstädte integriert sind, Durchmesser jeweils acht Kilometer, Höhe 2200 Meter. Zwischen ihnen führen drei große Verbindungskorridore zum Zentrums-dreieck, in dem sich, unter anderem, die Zent-rale des Stützpunkts befindet, die Transmit-terhalle und der Stationsrechner.«

»Also unser jetziger Standort«, stellte ich fest.

»Genau. Überall in der Station gibt es Zo-nen wie diese, die so gut wie nie genutzt wor-den sind – blinde Flecke, wenn du so willst. Es ist unser Glück, denn die Zentrale und den Transmitter können wir momentan vergessen. Sie sind fest in der Hand der Insektoiden.«

»Und die Nebenzentrale, von der du ge-sprochen hast?«

»Ich habe Grund zu der Hoffnung, dass sie leer ist. Normalerweise ist sie ungenutzt. Sie ist nur für Notfälle vorgesehen.«

»Worauf warten wir dann noch?«, wollte ich wissen.

Der Blick ihrer goldenen Augen wurde nachdenklich. »Wir brauchen den Rechner«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Aber gerade er macht mir Sorgen. Ich werde versuchen, von ihm anerkannt zu werden und die Kon-trolle zu übernehmen.«

»Aber?« »Er hätte es längst tun müssen«, sagte sie

heftig. »Ich habe mich identifiziert, am Schaltpult des Transmitters. Trotzdem hat er plötzlich Alarm gegeben und einen Berechti-gungsnachweis verlangt. Wie passt das zu-sammen?«

»Das habe ich mich auch schon gefragt«, gab ich zu.

Sie gab sich einen Ruck. »Komm!«, sagte sie. »Wir müssen es ris-

kieren. Nur eins noch.« »Uns das wäre?« Sie deutete auf die beiden Kugelroboter.

»Varg 1 und Varg 2. Es kann sein, dass wir getrennt werden. Für diesen Fall sollte eine feste Zuordnung getroffen werden. Varg 1 gehört ab sofort zu mir, Varg 2 zu dir. Einver-standen?«

Ich hob die Schultern. »Wenn es dir wich-

tig ist ...« »Es kann wichtig werden«, erwiderte sie

und winkte. Sekunden später entstand eine Schottöffnung in einer der Wände, und wir machten uns auf den Weg.

Mir blieb nichts anderes übrig, als der Var-ganin zu vertrauen. Aber ich hatte schon schlechtere Führer gehabt.

Sie blieb noch einmal stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte sie über die Schulter:

»Normalerweise wäre es nie möglich gewe-sen, dass die Krieger des ›Schwerts der Ord-nung‹ unsere Rechengehirne überhaupt auch nur ansprechen können, geschweige denn benutzen und für ihre Zwecke zu missbrau-chen. Sie müssen den Kode kennen.«

Manchmal verstand die Varganin es vor-trefflich, jemandem Mut zu machen.

*

General Torghunar stand Höllenängste aus.

Er hatte erfolglos versucht, sich über den Sta-tionsrechner eine Hyperfunkverbindung zum Murloth-Nebel herstellen zu lassen, um den Erzherzog zu warnen. Der Rechner hatte nur eine Negativ-Meldung gegeben, aber Torghu-nar fragte sich, ob er es überhaupt versucht hatte.

Der Erzherzog hatte keinen genauen Zeit-punkt seiner geplanten Ankunft genannt. Es konnte jede Minute geschehen, jede Sekunde. Wahrscheinlicher war aber, dass er nicht auf Maran'Thor ankam, denn noch immer stand die Energieglocke über dem Transmitter. Damit blieb er sowohl als Sende- als auch als Empfangsstation blockiert.

Natürlich war es möglich, dass er zur Psi-Quelle zurückgestrahlt wurde – falls der dor-tige Transmitter nicht doch noch ein Warn-signal abgab oder sich desaktivierte. Dann aber hätte sich Garbhunar doch nochmals ge-meldet, und wenn auch nur um nachzufragen, was auf Maran'Thor nicht in Ordnung sei!

Viel wahrscheinlicher war, dass er und sein Trupp für immer im Hyperraum stranden würden – selbst in den Augen der weitgehend emotionslosen Torghan ein entsetzliches En-de.

Xanton-4, Flammen, Blitze und Explosio-nen. Der sich aufwölbende Boden, die Deto-

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nationen unter der Oberfläche! Es war alles wieder da. Das furchtbare Gefühl, in Stücke gerissen zu werden. Überall noch Schüsse. Schreie. Hundertfacher Tod. Soldaten in glei-ßenden Schutzschirmen, die vom blutroten Himmel regneten. Tod. Chaos. Und er mitten-drin. Was immer auch dort um ihn herum geschah, es nützte nichts mehr. Eine unterir-dische Explosion folgte auf die andere. Eine furchtbare Kettenreaktion, die er mit der Thermobombe ausgelöst hatte. Die Kruste des Planeten brach auf. Er fiel wieder und lande-te so hart auf den scharfkantigen, sich em-porwölbenden Schollen aus auseinander ge-rissenem Hartplastikbelag, dass sein Chitin-panzer unter lautem Knirschen und Knacken an mehreren Stellen brach und platzte. Das Bewusstsein, alles verloren zu haben, das Wissen um sein Versagen, war fast noch schlimmer als die höllischen Schmerzen, die seinen Körper von innen heraus verbrannten. Er wollte nur noch, dass es aufhörte. Dass er endlich erlöst wurde. Er war doch schon tot – warum starb er dann nicht endlich?

Etwas griff nach ihm. Er sah ein Gesicht, das sich aus den roten Schleiern vor seinen Augen schälte, widergespiegelt in tausend Facetten wie in einem wirren Kaleidoskop. Die Bilder zersprangen, aber die Hände, die ihn packten, waren noch da. Er wollte es nicht. Kein Leben in Schande! Kein Dasein als Krüppel! Er war tot! Er schrie es ihnen entgegen, aber sie ließen nicht los. Sie rede-ten auf ihn ein, während weitere Explosionen den aufgerissenen Boden erschütterten. Flammensäulen spritzten aus den Rissen in die Höhe, die letzten Tempelsäulen stürzten um. Er schrie, aber die Hände waren wie Schraubstöcke. Er ....

»General!« Geht! Geht endlich fort! Lasst mich allein!

Ich ... »General! General Torghunar! So komm

doch zu dir!« Er spürte, wie ihn die Kraft verließ. Gleich-

zeitig erloschen die Bilder. Für ein, zwei Au-genblicke überlagerten sie sich mit den ande-ren, seltsam bekannten, dann schoben sich diese in den Vordergrund.

»Hörst du mich? Ich bin es, Tukhor! Du bist nicht auf Xanton-4, Torghunar! Du bist

nicht mehr auf dem Schlachtfeld! Das ist zwanzig Jahre her!«

Endlich klärte sich sein Blick. Er sah die Umgebung wieder so, wie sie war. Er starrte in die Augen des alten Offiziers, der schon einmal über ihn gebeugt gestanden hatte. Da-mals, als er im Medo-Tank zu sich gekommen war und ...

Er lag am Boden und ließ sich von Tukhor und einem anderen Torghan aufhelfen. Für einen Moment stand er noch unsicher auf sei-nen zwei Beinen. Dann wich die Benommen-heit vollständig. Tukhor sah ihn besorgt an, ließ aber los. Die andere Hand hielt ihn noch fest. Torghunar drehte den Kopf und sah den Mediker.

Wütend riss er sich von Dolozar-14 los. Er sah das Zuckerstück und die Gehhilfen, die er ihm andrehen wollte, seitdem er in dieser Sta-tion war, in dessen Klauen und schlug danach.

»Verschwinde damit!«, fuhr er ihn an. »Ich brauche nichts zur Beruhigung und auch kei-ne Krücken. Du bringst mich mit dem Zeug noch um!«

»Du bringst dich selbst um, wenn du dir nicht helfen lässt, General«, erwiderte der Arzt zaghaft, aber bestimmt. »Eines Tages wirst du nicht mehr aus diesem Traum erwa-chen.«

»Scher dich zum Teufel!«, schrie der Be-fehlshaber. Er drehte sich staksend einmal um die eigene Achse. »Verschwindet alle! Was glotzt ihr mich so an? Habt ihr euch noch nicht satt gesehen? Ich bin gesund! Mir fehlt nichts. Ich bin ...«

Er schwieg. Die Offiziere und Soldaten, die einen Kreis um ihn gebildet hatten, traten zu-rück. Nur Tukhor-147 blieb bei ihm.

»Der ... Erzherzog«, stammelte Torghunar, jetzt leise und kaum noch vernehmbar. Das Entsetzen holte ihn wieder ein. »Tukhor, wir müssen ...«

»Er ist da, General«, sagte der alte Krieger. »Er ist bereits auf dem Weg hierher.«

Die beiden Veteranen sahen sich eine Se-kunde lang an. Torghunars Blick verriet Un-glauben.

»Aber das kann nicht sein«, sagte er lang-sam. »Der Stationsrechner ...«

»Die Energieglocke über dem Transmitter ist verschwunden«, sagte Tukhor. »Das Gerät

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funktioniert wieder. Der Rechner hat dir doch noch gehorcht, General. Aber keine Sekunde zu früh.«

Torghunar musste sich setzen. Er stakste ungelenk zu einem Sessel und ließ sich darin nieder.

»Dann hat Garbhunar die Gelähmten gese-hen?« Die Frage war überflüssig. Natürlich hatte er das, und er würde ihm einige sehr unbequeme Fragen stellen, wenn er in der Zentrale eintraf.

»Wir können uns auf den Stationsrechner nicht mehr verlassen«, hörte er Saghor-25 sagen. »Bei allem Respekt vor Tukhor-147 – aber wenn er auf deinen Befehl gehört hätte, dann hätte er den Transmitter sofort wieder freigegeben.«

Torghunar hob den Kopf und sah den Adju-tanten an. Der junge Torghan sprach genau das aus, was er selbst dachte. Er klickte beja-hend mit den Mandibeln und wünschte sich, mehr solch fähige Leute um sich zu haben wie ihn. Er würde ihn bei nächster Gelegen-heit befördern.

Bei nächster Gelegenheit ... Es würde vielleicht nie mehr dazu kommen.

Er machte sich nichts vor. Sie konnten sich nicht mehr auf den Rechner verlassen. Viel-leicht steckten die eingedrungenen Varganen hinter seinem merkwürdigen Verhalten. Er hätte Erleichterung darüber empfinden sollen, dass der Erzherzog mit seinem Gefolge heil auf Maran'Thor angekommen war. Doch er konnte es nicht.

»Wir haben eine Ortung!«, rief einer der Offiziere. »Wir haben die Varganen wieder-gefunden! Sie sind ...!«

Der Krieger verstummte. Torghunar sah auch sogleich, warum.

Erzherzog Garbhunar, stattliche dreieinhalb Meter groß und in einen graumetallischen Schutzanzug gekleidet, stand im Eingang der Zentrale, hinter ihm seine Krieger. Seine fünfzig Zentimeter langen, dünnen Antennen-fühler waren auf Torghunar gerichtet, ebenso wie der Blick der fünfzehn Zentimeter durchmessenden vorderen Facettenaugen.

»Was ist mit den Varganen?«, fragte der Erzherzog mit mächtiger Stimme. »Was ist in diesem Stützpunkt geschehen? Warum sind sie noch nicht in eurer Gewalt? Ich verlange

eine Erklärung, General!« Torghunar vernahm die Worte, aber er hör-

te ganz andere. Er hörte sein Todesurteil.

5. »Sie können uns jetzt wieder orten, Atlan«,

sagte Kythara. »Ich kann es nicht ändern. Wir müssen es in Kauf nehmen, wenn ich diese Zentrale in Betrieb nehmen will. Und das muss ich, um an den Stationsrechner heranzu-kommen.«

»Das war mir schon klar«, sagte ich und nickte ihr auffordernd zu. »Beeil dich!«

»Ich tue, was ich kann.« »Was schätzt du, wie viel Zeit uns bleibt?« »Bis sie hier sind?« Die Varganin zuckte

die Achseln. »Fünf Minuten, zehn – es kommt ganz darauf an, wo der nächste Trupp statio-niert ist.«

Ich nickte nur und ließ sie arbeiten. Die Nebenzentrale war nicht groß, aber mit

Instrumenten geradezu gespickt. Kythara hat-te sich vor ein Kontrollpult gesetzt, nachdem sich die Beleuchtung aktiviert hatte. Als wir nach einem langen Marsch durch dunkle Kor-ridore und Schächte, die wir an Sprossen hin-abklettern mussten, vor dem geschlossenen Schott gestanden hatten, hatte Kythara es zu-erst mechanisch zu öffnen versucht. Als ihr das nicht gelang, hatte sie die Handfläche gegen die Wand rechts davon gedrückt.

Ich hatte eigentlich nicht an einen Erfolg geglaubt, aber dann war ihr Kopf, ähnlich wie auf Narukku, in eine helle Aura getaucht wor-den, die sie abzutasten schien. Und dann hatte der Schaltraum offen vor uns gelegen. Die weißblaue Beleuchtung hatte sich aktiviert, und Pultreihen waren zum Leben erwacht.

Schon in diesem Augenblick mussten die Insektoiden, wenn sie aufmerksam genug wa-ren, uns wieder orten! Die Nebenzentrale hat-te brachgelegen, vielleicht zehntausend Jahre lang, eher noch länger. Jetzt war sie zu neuem Leben erwacht. Diese energetische Fluktuati-on musste registriert worden sein! Aber wir hatten keine andere Chance, als es zu riskie-ren.

Die Logik hinter den Ereignissen war und

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blieb mir ein Rätsel, trotz des Logiksektors. Ausnahmsweise war er hier einmal genauso schlau wie ich. Das Stationsgehirn – wer sonst? – hatte Kythara als berechtigt erkannt und akzeptiert. Und trotzdem musste sie sich noch als befehlsbefugte Varganin legitimie-ren? Das sollte verstehen, wer wollte. Mir war es zu hoch.

Aber ich ließ sie gewähren. Bildschirme leuchteten auf, als sie per Tastatur und akus-tisch abwechselnd Informationen abrief und Befehle gab. Dann nannte sie ihren Namen und eine ganze Reihe von Daten, die wohl ebenfalls zur Identifizierung dienten. Mir sag-ten sie nichts, aber ich war ja auch nicht der Rechner. Ich beneidete Kythara nicht darum, mit ihm arbeiten zu müssen.

»Wie weit bist du?«, fragte ich ungeduldig, die Hände an den Griffen beider Waffen an meinen Oberschenkeln. Ich beobachtete Varg 1 und Varg 2, der sich jetzt immer in meiner Nähe hielt. Sie hatten einige Antennen ausge-fahren und orteten offenbar. Noch gaben sie keinen Alarm, und Kythara »empfing« auch noch nichts – es sei denn, sie vernachlässigte die Umgebung vor lauter Konzentration auf den Rechner.

Wieso dauerte es so lange? Es war nicht normal, alles andere als das. Sie war eine lu-penreine Varganin. Der Hauptrechner der Narukku-Station hatte nur Sekunden ge-braucht, um sie als befehlsberechtigt anzuer-kennen. Irgendetwas lief hier ganz verdammt falsch! So falsch, dass es zum Himmel stank!

»Wie lange noch?«, drängte ich. »Es ... Ich komme nicht weiter!«, rief mei-

ne Partnerin zerknirscht. »Ich komme einfach nicht an dieses verdammte Rechengehirn her-an! Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert! Aber warte ...«

»Dann hör auf!« Ich sah, wie die beiden Roboter sich gleichzeitig in der Luft drehten. Ihre Antennen bewegten sich. Auf ihrer blan-ken, golden spiegelnden Oberfläche leuchte-ten farbige Lichter auf.

»Hör auf, Kythara! Es hat keinen Sinn!« »Nur einen Moment noch. Ich habe etwas

für uns. Es kann wichtig sein!« Sie hantierte mit fliegenden Fingern an den

Kontrollen, während die Sekunden unbarm-herzig verrannen. Spürte sie denn immer noch

nichts? Was konnte so wichtig sein, dass sie die Gefahr nicht spürte, wenn diese selbst für mich greifbar nah erschien?

»Ich habe es gleich!« Ich hatte beide Waffen gezogen. Endlich

sprang Kythara auf und griff ebenfalls zu den Strahlern. »Sie kommen!«, sagte sie überflüs-sigerweise. »Von dort, über einen Korridor, der zur Hauptzentrale führt!« Sie zeigte mit einer der Waffen auf ein Schott.

»Wunderbar«, knurrte ich sarkastisch. »Wie viele sind es?«

»Mindestens einer mehr, als wir verkraften können.«

»Wohin können wir fliehen?« »Wir müssen zurück, in die toten Sektoren.

Von dort aus ...« Weiter kam sie nicht. Sie rief einen an den

Stationsrechner gerichteten Befehl, das Schott zusätzlich zu verriegeln. Wir sollten nie erfah-ren, ob ihr Befehl auf wundersame Weise erhört wurde. Für diese Probe aufs Exempel war es zu spät.

Die Insektoiden hielten sich nicht damit auf, das Schott zu entriegeln. Sie versuchten es erst gar nicht, sondern eröffneten sofort das Feuer. Das dicke Metall begann dunkelrot zu glühen und wurde schnell heller. Die Hitze war bis zu uns spürbar.

»Schnell!«, rief ich der Varganin zu. Wir schlossen gleichzeitig unsere Helme. »Bring uns hier raus! Meinetwegen an die Oberflä-che!«

Sie rannte schon los, zurück in das dunkle, energetisch tote Labyrinth, durch das wir ge-kommen waren. Varg 1 folgte ihr. Varg 2 blieb bei mir, bis ich ebenfalls schon halb im Dunkel des Ganges stand und den Energie-schirm aktivierte. Seiner stand schon. Genau wie ich zielte er mit seinen Waffenarmen auf das uns nun genau gegenüberliegende Schott.

Es glühte in grellem Hellgelb, dann weiß. Als es zerplatzte und glutflüssiges Metall in die Nebenzentrale spritzte, drückte ich mich fest gegen die Wand. Es war trotzdem ein Wunder, dass ich von den Trümmerstücken nicht getroffen wurde.

Dann stieß ich mich ab und feuerte mit Pa-ralysestrahlen auf die Insektenkrieger, die in diesem Moment eindrangen. Die ersten rissen die vier Klauenhände in die Luft, stießen

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krächzende Schreie aus und sanken zu Boden, wo sie reglos liegen blieben. Aber schon quollen die nächsten nach. Ich gab Dauerfeuer auf sie, wirkungsvoll unterstützt von Varg 2, bis genug Torghan auf einem Haufen lagen, um den Eingang erst einmal zu blockieren.

»Und jetzt nichts wie weg!«, rief ich. »Es wird sie nicht lange aufhalten! Komm, Klei-ner, Kythara hinterher!«

Sie wartete auf uns. Dann liefen wir weiter. Die Roboter schwebten uns voraus. Der Gang, nur von unseren Helmscheinwerfern erleuchtet, war zu niedrig und voll anschei-nend irgendwann einmal achtlos fortgeworfe-nem oder liegen gelassenem Gerümpel, als dass wir von den Flugaggregaten der Anzüge hätten Gebrauch machen können.

»Es sieht aus, als hätten hier Vandalen ge-haust, keine Varganen!«, rief ich. Ich erwarte-te nicht, dass sie über das müde Wortspiel lachte. Ich konnte es selbst nicht.

Weiter ging es, um Ecken, in Seitengänge, Rampen hoch und wieder hinab. Ich fragte mich, wie viel Prozent des Stützpunkts aus solchen toten Sektoren bestanden. Immerhin, sie gewährten uns Schutz. Noch ...

Hinter uns blitzte es auf. Ich hörte schnelle Laufschritte. Auf ihren drei Beinen waren die Torghan schneller als wir. Unser einziger Vorteil bestand darin, dass Kythara sich bes-ser in diesen Ödsektoren der Station auszu-kennen schien. Wieso das so war, ob sie viel-leicht als Kind hier gespielt hatte, war mir vollkommen egal. Die Hauptsache war, sie brachte uns weiter. Aber wie lange noch?

Meine böse Ahnung wurde schon nach Se-kunden bestätigt. Sie blieb abrupt stehen und streckte die Hand nach mir aus. Ich drückte sie herunter, denn ich hatte es nicht gerne, wenn jemand mir die Waffe entgegenstreckte.

»Was ist?«, fragte ich. »Warum läufst du nicht weiter?«

»Sie kommen von vorne«, sagte sie hastig. »Und ... von unten.«

»Und das heißt? Was ist mit Seitengängen? Und mit oben? Gibt es hier einen Schacht?«

»Ja«, sagte sie. »Aber er ist gefährlich. Wir müssen ...«

Keine zehn Meter vor uns brachen sie durch die Wand. Wir feuerten zu viert, was das Zeug hielt. Dutzende von Torghan fielen

dank unserer Lähmstrahlen zu Boden. Nur wenigen gelang es, selbst auf uns zu schießen. Unsere Schutzschirme wurden mit den auf-treffenden Energien spielend fertig.

»Wir brechen durch!«, rief ich ins Getöse der Schüsse. »Wir schaffen es!«

»Es hat keinen Sinn, Atlan!«, rief Kythara zurück. »Sie kommen von allen Seiten! Sie haben uns in der Falle!«

Ich drehte mich um und sah die Verfolger schnell herankommen. Wir taten das Einzige, was uns in dieser Situation zu tun blieb. Wir stellten uns Rücken an Rücken und kämpften in der Hoffnung, dass der Zustrom der Insek-toiden in unseren Lähmstrahlen versiegen würde. Ihr Nachschub konnte doch nicht grenzenlos sein.

Er war es anscheinend doch. Der Gang war nicht länger dunkel, sondern erfüllt von einem Blitzgewitter, in dessen Zentrum wir standen und um unser Leben kämpften. Die Belas-tungsanzeigen der Schirme näherten sich schnell wieder kritischen Grenzen. Wir und die tapferen Roboter waren in waberndes E-nergiefeuer gebadet.

»Wir können es schaffen!«, hörte ich Kytharas Schrei im Helmempfänger. »Ich spüre, dass es weniger werden. Wenn wir die nächsten zwei, drei Minuten überstehen ...«

Sie brach abrupt ab. Etwas in mir schlug Alarm. Sie schrie nicht mehr, aber im Knat-tern und Knistern des Helmempfängers glaub-te ich ein Stöhnen zu hören. Außerdem war der Druck ihres Körpers in meinem Rücken plötzlich nicht mehr da.

Ich feuerte noch ein, zwei Salven in die Reihen der Angreifer, die uns über die Ne-benzentrale gefolgt waren, dann riskierte ich es, mich nach ihr umzudrehen – und musste entsetzt sehen, dass sie sich vornübergebeugt hatte und die rechte Hand auf ihren Ober-schenkel presste. Ihr Strahler lag am Boden.

»Bei allen Göttern!«, schrie ich. »Was hast du, Kythara?«

»Atlan, pass auf!« Ihre Stimme war nur noch ein lautes Krächzen. Sie drehte sich zu mir um – das heißt, sie wollte es tun.

Sie verlor das Gleichgewicht und kippte zur Seite. Ich konnte sie gerade noch auffangen.

»Sie schießen jetzt auch mit Paralysestrah-len!« Zum ersten Mal hörte ich echte Ver-

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zweiflung aus der Stimme der Varganin. »Ich kann mein Bein nicht mehr bewegen! Du musst ... mich zurücklassen! Flieh allein! Sieh zu, dass du nach ... oben kommst!«

»Nein!«, schrie ich. Gehetzt sah ich mich um. »Varg 1 und Varg 2, haltet die Torghan auf Abstand!«

»Sie werden dich auch erwischen, Atlan! Flieh, solange du kannst!«

»Nein!« Ich sah eine Nische in der linken Korridor-

wand – groß genug, um einen Menschen darin zu verstecken. Ich zögerte keine Sekunde und zog die halb gelähmte Kythara hinein. Unsere Chancen näherten sich rapide der Nullmarke, aber ich dachte nicht daran, sie hier im Stich zu lassen.

Ich legte sie ab und drückte mich selbst in die Nische, um nicht ebenfalls einen Lähm-strahl abzubekommen. Varg 1 und Varg 2 konnten sie nichts anhaben. Die beiden Ro-bots allein verhinderten, dass die Insektoiden schon jetzt triumphierten. Es hatte lange ge-dauert, bis auch sie ihre Taktik geändert hat-ten – aber nicht lange genug für uns.

Wir hatten keine Chance. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber der Extrasinn belehrte mich eines Besseren.

Tu, was sie sagt!, stachelte er mich an. Es hat keinen Sinn, wenn ihr ihnen beide in die Klauen fallt!

»Kythara!«, rief ich, mitten im tobenden Energiegewitter. Die Torghan schossen nicht nur mit Lähmstrahlen. Sie feuerten auch wei-ter scharf und versuchten offenbar, die Decke des Ganges zum Einsturz zu bringen.

»Verdammt, Arkonide, verschwinde end-lich! Nimm Varg 2 mit, er wird dir helfen! In deiner rechten Gürteltasche sind Mikrobom-ben. Damit kannst du sie ...« Ihre Stimme erstickte. Ich konnte gerade noch hören: »An-zug ... Mikropositronik ...«

Tu, was sie sagt!, tobte der Extrasinn. Von der Decke tropfte es glühend herunter.

Trümmerstücke fielen herab. Wenn ich über-haupt noch den Hauch einer Chance haben wollte, musste ich jetzt handeln.

»Ich komme zurück, Kythara!«, schrie ich in den Kampflärm, als ich sie losließ. »Ver-lass dich darauf!«

»Rede nicht! Lauf!«

* Erzherzog Garbhunar war Realist genug,

um vom Anblick der reglos in der Transmit-terhalle liegenden Soldaten nicht überrascht gewesen zu sein. Damit war der letzte Zweifel daran beseitigt, dass die Varganen auf Ma-ran'Thor angekommen waren und genau da weitergemacht hatten, wo sie auf Narukku aufgehört hatten: mit ihrem Zerstörungswerk, dem Kampf gegen das »Schwert der Ord-nung«.

Er war, an der Spitze seiner Leute, achtlos über die Torghan hinweggestiegen, die im Korridor lagen, der zur Zentrale des Stütz-punkts führte. General Torghunar hatte sie also nicht aufhalten können. Er hoffte für ihn, dass er ihm eine positive Meldung machen konnte.

Vor seiner Abreise hatte sich der Erzherzog genau über die Streitkräfte auf Maran'Thor informiert. Er wusste, dass insgesamt 2100 Krieger, fast ausnahmslos Torghan und – we-nige – Ur'ogh, und einige Wissenschaftler unter Führung des Chefwissenschaftlers Gorgh-12 aus dem Volk der Daorghor, dem auch er selbst angehörte, auf dieser alten Var-ganenwelt stationiert waren, über die vier noch intakten Stützpunkte verteilt. Mara-IV war davon der mit Abstand wichtigste und auch der einzige, in dem sich die Krieger bis-her hatten einrichten können. Allein hier be-fanden sich mehr als die Hälfte der Offiziere und Soldaten und an der Spitze ...

General Torghunar! Der Mann, der zu stolz war, um eine Geh-

hilfe zu benutzen. Der seine Verstümmelung vor sich hertrug wie eine besondere Aus-zeichnung.

Er war ihm kein Unbekannter. Er, Garbhu-nar, war dagegen gewesen, dass dem Versager von Xanton-4 und Eachnogon noch einmal ein wichtiges Kommando übertragen wurde. Man hatte anders entschieden – an höchster Stelle. Hätte das Gremium aus Torghan oder Daorghor bestanden, so wäre dem Versager nie wieder eine verantwortungsvolle Aufgabe anvertraut worden.

Selbstverständlich hatte Garbhunar die Ent-scheidung »von oben« akzeptiert und nicht im Traum daran gedacht, zu widersprechen.

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Wenn die Lordrichter etwas befahlen, hatte er nicht das Recht, Einwände zu erheben. Besser gesagt: Er hatte dazu viel zu viel Angst. Angst, ihren Unwillen zu erregen. Angst, ih-ren Zorn auf sich zu ziehen. Allein der Ge-danke daran ließ ihn schaudern.

Natürlich hatte Torghunar seine Verdienste. Er war ein Kriegsheld gewesen, bevor er durch seine Unfähigkeit Xanton-4 für das »Schwert der Ordnung« verlor. Er hatte in drei Galaxien gekämpft. Garbhunar wusste, dass viele Krieger, sogar höchste Offiziere, ihm noch immer Bewunderung entgegen-brachten.

Der Erzherzog nicht. Einen Fehler konnte man angesichts solcher

ehemaliger Verdienste vielleicht verzeihen, nicht aber zwei, drei ...

Nein, Garbhunar war nicht überrascht ge-wesen, als er das Chaos gesehen hatte. Und nun stand er ihm gegenüber, in der Zentrale des Stützpunkts, umgeben von seinen Offizie-ren. Er erkannte auf den ersten Blick, dass Torghunar in einem schlechten Zustand war, auch wenn er es zu verbergen versuchte. Ihn konnte er nicht täuschen. Torghunars Fühler verrieten die Angst des Befehlshabers, der nicht mehr lange Befehlshaber von Mara-IV sein würde.

Genauer gesagt: ab sofort nicht. Garbhunar hatte seine Einsetzung als

Kommandant des Stützpunkts widerwillig akzeptiert, aber innerlich nur auf einen Grund gewartet, den Ungeliebten entmachten zu können, ohne den Zorn der Lordrichter zu erregen. Er hatte ihn lange beobachtet. Jetzt schien es endlich so weit zu sein.

»Was ist mit den Varganen?«, wiederholte der Erzherzog seine Frage. »Warum sind sie noch nicht in eurer Gewalt? Seid ihr nicht durch die Lordrichter vor ihnen gewarnt wor-den?«

Torghunar ging mit seinen beiden verblie-benen Beinen humpelnd ein paar Schritte auf ihn zu. Er wirkte jetzt sicherer, aber Garbhu-nar spürte deutlich, wie dünn diese Fassade war. Der General hatte auf Xanton-4 nicht nur sein hinteres Bein, sondern auch einen der vier Arme verloren. Die drei restlichen streck-te er dem Erzherzog entgegen.

»Natürlich wurden wir das«, sagte der Ve-

teran. Seine Stimme klang fest – für jeden anderen, nicht jedoch für Garbhunar. »Leider konnten wir die Aktivierung des Transmitters nicht verhindern. Wir versuchten alles, um die Varganen noch in der Kuppelhalle zu stellen. Ja, uns wurde ihre wahrscheinliche Ankunft angekündigt – aber uns wurde nicht gesagt, wie gefährlich sie sind! Es sind nur vier, das heißt zwei Varganen und zwei Roboter, doch sie kämpfen wie eine ganze Armee. Exzel-lenz, ich ...«

»Erspar mir das!«, schnitt Garbhunar ihm das Wort ab. Die Ausflüchte des Generals widerten ihn an. »Sie sind euch entkommen. Ihr wisst nicht, wo sie sind. Wie konnte so etwas passieren? Das Rechengehirn der Stati-on ...«

»Ist nicht verlässlich!«, begehrte Torghunar auf. Sein Chitinpanzer, wo er nicht von der gelben Uniform bedeckt war, schimmerte verräterisch. Seine Fühler zitterten unkontrol-liert. »Ich bitte um Vergebung, Exzellenz, aber es ist die Wahrheit. Wir verstehen es nicht. Das Stationsgehirn ignoriert klare Be-fehle, trifft eigene, seltsame und unlogische Entscheidungen und ...«

»Schweig!«, fuhr der Erzherzog ihn an. »Was du redest, ist Unsinn! Habt ihr den Rechner umprogrammiert oder nicht? Hattet ihr den Kode, als ihr nach Maran'Thor kamt, oder nicht? Ich will eine klare Antwort, Gene-ral!«

»Ja!«, schrie Torghunar seine Verzweiflung heraus. »Aber es ist so, wie ich es sagte!« Er fing einen Blick von Tukhor-147 auf, der dem Erzherzog ebenfalls kein Unbekannter war. Er war zwar auch alt, älter als Torghunar, aber ihm hätte Garbhunar eher das Kommando über den wichtigen Stützpunkt gegeben. Nein, lieber noch K'orhan-7, den er als verdienstvol-len Offizier kannte und schätzte. Torghunar schien allerdings nicht so viel von ihm zu halten, denn dem Erzherzog war nicht be-kannt, dass K'orhan-7 irgendeine sehr verant-wortungsvolle Position auf Maran'Thor be-kleidete. Aber was nicht war, konnte noch werden; vielleicht schon sehr bald ...

»Exzellenz!«, sagte der General. »Ja, es gibt gewisse Probleme mit dem Stationsrech-ner, aber wir haben die Varganen wiederge-funden! Unsere Soldaten sind schon unter-

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wegs, um sie einzukreisen. Außerdem gibt es große Fortschritte mit den Arsenalstationen! Die Varganen sind uns so gut wie sicher. Ich werde ...«

»Ich werde die Aktion leiten«, schnitt der Erzherzog ihm das Wort ab. »Du bist bis auf weiteres deines Kommandos enthoben, Gene-ral Torghunar. Von jetzt an befehlige ich die Station.«

Er drehte sich um 180 Grad und winkte ei-nen seiner Begleiter heran. »Ughlan-7, du koordinierst die Jagd auf die Varganen und ihre Roboter. Ich will die Varganen lebend. Sie werden mir sagen müssen, wieso sie unse-re Pläne stören und wie viele es noch von ihnen gibt. Sollte dies nicht möglich sein, dann tötet sie, bevor sie ernsthaften Schaden anrichten können. – Tukhor-147 wird dir alles sagen, was du wissen musst.«

Ughlan-7, ein zweieinhalb Meter großer Torghan, bestätigte und winkte den Veteranen zu sich. Dem Erzherzog entging nicht das verräterische Zucken der Antennen zu Torg-hunar hinüber, bevor er gehorchte.

Es war immer gut zu wissen, wer im Zwei-felsfall zu wem stand.

Torghunar jedenfalls hatte verstanden. Er starrte seinem Offizier hinterher und wagte es nicht mehr, den Erzherzog anzusehen.

*

Es dauerte nicht einmal eine Stunde, bis der

erste Erfolg verzeichnet werden konnte. Zwar war es nur ein Teilerfolg, denn einer der Var-ganen war mit einem der Roboter den Torg-han-Truppen entkommen, dennoch empfand der Erzherzog Genugtuung. Für ihn stand außer Frage, dass der Flüchtige ebenfalls bald gefasst wurde – und bis dahin hatte er einen Gefangenen, der ihm alles über die »vargani-sche Verschwörung« (wie er es bei sich nann-te) sagen würde, was er hören wollte. Es gab für ihn überhaupt keinen Zweifel daran. Er besaß die Mittel, um jeden zum Reden zu bringen; selbst einen Varganen, der nach allen Informationen, die er über dieses einst so mächtige Volk besaß, eigentlich gar nicht mehr hätte leben dürfen.

General Torghunar saß apathisch in einem Sessel und stierte ausdruckslos vor sich hin.

Seine Fühler hingen schlaff auf den Schädel herab. Der Veteran schien sich mit seiner Entmachtung abgefunden zu haben. Vielleicht dachte er auch an die Möglichkeit einer noch härteren Bestrafung. Garbhunar würde sich dessen zur rechten Zeit annehmen. Jetzt ging der Gefangene vor.

Der Erzherzog musste einige Minuten war-ten, bis er von Soldaten hereingeführt wurde. Er hatte nicht vor, ihn hier zu verhören, son-dern in aller Ruhe in der nördlichen der drei Kuppelstädte, in der Torghanur bisher seine Wohnstatt gehabt hatte. Garbhunar hatte die Zeit genutzt, um sich weiter über Mara-IV zu informieren. Jetzt, da er das Kommando ü-bernommen hatte, musste der General sich für die Tage, die er noch auf Maran'Thor sein würde, eine andere Bleibe suchen. Es war nicht Garbhunars Sorge. In der Kuppelstadt, die von den Varganen »Cludargans Heim-statt« genannt worden war, würde er alles finden, was er brauchte, auch einen speziellen Verhörraum. Und sollte doch noch etwas feh-len – nun, es war schnell besorgt und instal-liert.

Der Vargane wurde zu ihm gebracht. Er war nur gut halb so groß wie er und musste weiter gestützt werden. Sein rechtes Bein war gelähmt. Das würde in wenigen Stunden ab-klingen. Zum Glück hatte sich erwiesen, dass die varganischen Schutzschirme ebenso we-nig vor Paralysestrahlen schützten wie jene der Torghan.

Die wirkliche Überraschung war, dass der Vargane eine Varganin war. Garbhunar verstand genug von den humanoiden Bewoh-nern dieser Galaxis, um dies auf den ersten Blick zu erkennen. Sie sah ihn an, wozu sie den Kopf weit in den Nacken legen musste. Ihren Schutzschirm hatte sie schon desakti-viert und den Helm ihres goldenen Anzugs nach hinten gefaltet, als sie sich den Torghan ergab. Den Blick konnte er nicht deuten, aber ihre ganze Körperhaltung, trotz des gelähmten Knies, verriet Stolz und Trotz. Sie hatte zwar aufgegeben und wohl auch ihrem kugelförmi-gen Roboter befohlen, den Kampf einzustel-len, aber er war sicher, dass sie es nur getan hatte, um ihrem Artgenossen die Flucht zu ermöglichen.

Zu schade, dachte er, dass deine Mühe ver-

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geblich gewesen ist ...

»Ich weiß, dass du mich verstehst«, sagte der Erzherzog. Dafür sorgten die auf Varga-nisch programmierten Translatoren. »Es war klug von dir, dich uns zu ergeben, aber mach dir keine unnötigen Hoffnungen. Dein Ge-fährte wird dir bald Gesellschaft leisten. Es kann sich höchstens um Stunden handeln.«

Sie gab keine Antwort, starrte ihn nur aus ihren kleinen, goldenen Augen an. Ihr Stolz war ganz deutlich zu spüren, auch ohne dass sie etwas sagte. Vielleicht war sie eine Hohe ihres Volkes, vielleicht sogar eine Königin. Man würde sehen. Ihr Stolz würde gebrochen werden. Garbhunar empfand keinen Triumph bei dem Gedanken an die Mittel, die er an-wenden würde, wenn sie ihn dazu zwang. Er empfand jedoch auch kein Mitleid. Für solche Gefühle war kein Platz in seinem Denken. Er würde tun, was die Logik verlangte, unbarm-herzig und konsequent.

»Du ziehst es also vor zu schweigen«, stell-te er fest. »Nun, wir werden sehen, wie lange du dich sträuben kannst. Auch ihr Varganen seid verletzliche Wesen, wie alle humanoiden Geschöpfe. Noch hast du die Möglichkeit, die Qualen eines scharfen Verhörs zu vermeiden. Entscheide dich rasch! Du kannst mit uns zusammenarbeiten und leben oder ...«

Er sparte sich den Rest. Sie verstand ihn auch so sehr gut.

Aber sie verzichtete auch jetzt auf eine Antwort. Er spürte ihre Verachtung, mit der sie ihn dachte strafen zu können.

Sie würde bald anders denken, falls sie dann noch dazu in der Lage war. Sie hatte die Wahl gehabt und sich entschieden.

Ohne jede Emotion gab Erzherzog Garbhu-nar den Soldaten, die sie hielten, das Zeichen.

»Bringt sie in die Kuppelstadt«, sagte er mit tonloser Stimme. »Direkt in den Verhör-raum! Ich werde in Kürze nachkommen und mich um sie kümmern.«

Er sah ihnen nach, als sie sie forttrugen. Der kleine Kugelroboter, der nicht von ihrer Seite gewichen war, schwebte neben ihr. Er schien keine Gefahr darzustellen, deshalb zerbrach sich der Erzherzog nicht den Kopf über ihn. Die Varganin war wichtig, sonst nichts. Er würde nicht zögern, alle Mittel ein-zusetzen, um sie zum Reden zu bringen – und

wenn sie dabei den Verstand verlor. Es war ihm egal. Wenn er durch sie wichtige Ge-heimnisse der Varganen in Erfahrung bringen konnte, würde er zweifellos weiter in der Gunst der Lordrichter steigen.

Wenn nicht ... Er war alles andere als ein Feigling. Er fürchtete nicht viel in diesem Universum, aber der Zorn der Lordrichter ...

Der Erzherzog schob den Gedanken daran schnell ganz weit von sich. Sie würde reden. Auch Varganen waren nur Geschöpfe aus Fleisch und Blut. Selbst Götter hätten um Gnade gewinselt, wenn sie spürten, wie sie die Schmerzen langsam umbrachten und ihr Gehirn ausgebrannt wurde. Und Varganen waren keine Götter. Sie musste reden. Sie würde froh sein, reden zu dürfen ...

6.

Ein Blick auf die in der Helmscheibe ein-

geblendete Zeitanzeige verriet mir, dass erst eine Stunde und 22 Minuten vergangen wa-ren, seitdem ich Kythara verlassen hatte. Mir war es wie eine kleine Ewigkeit vorgekom-men. Ich war wie ein Blinder durch die Gänge und Schächte des dunklen Labyrinths gerannt, gestolpert, getaumelt. Manchmal musste ich klettern, manchmal rutschte ich aus, fiel oder musste plötzlichen Hindernissen ausweichen, die nicht in dem Plan verzeichnet waren. Ich hatte nur das Licht des Helmscheinwerfers und diesen Plan der Station, den Kythara mir mit auf den Weg gegeben hatte. Es musste ihr gerade noch gelungen sein, ihn trotz der Prob-leme mit dem Stationsrechners in der Neben-zentrale herunterzuladen und in den Mikropo-sitroniken unserer Anzüge abzuspeichern, bevor wir überstürzt fliehen mussten. Wenn sie mir nicht noch den gestammelten Hinweis gegeben hätte – ich wäre in dieser fremden, ungastlichen Umgebung vollkommen hilflos gewesen.

Kythara ... Der Gedanke, sie im Stich gelassen zu ha-

ben, war schlimmer als alle Strapazen des Weges an die Oberfläche. Der Extrasinn konnte mir noch so oft versichern, dass es das einzig Richtige gewesen sei, ich kam mir trotzdem wie ein gemeiner Verräter vor. Der Gedanke daran, dass sie jetzt in der Gewalt

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der Insektoiden war, war unerträglich.

Sie werden sie nicht töten, beharrte der Ext-rasinn, sie wollen ja etwas von ihr: Informati-onen, Atlan!

Sicher, es klang einleuchtend. Aber ich wusste auch, dass es Schlimmeres gab als den Tod.

Ich lag, mit dem Rücken an eine Wand ge-lehnt, erschöpft in einem leeren, quadrati-schen Raum von etwa zehn mal zehn Metern Durchmesser und fünf Metern Höhe. Allmäh-lich wurden meine Atemzüge ruhiger. Alles wäre viel einfacher gewesen, wenn ich we-nigstens in den Schächten, wenn sie weit ge-nug waren, das Antigravaggregat des Kampfanzugs hätte einschalten können, statt mühsam an Sprossen hochzuklettern. Aber ich durfte es nicht, ohne sofort Gefahr zu lau-fen, geortet zu werden.

»Gibt es etwas Neues?«, fragte ich Varg 2, der neben mir schwebte, die einzige vielleicht verräterische Energiequelle, unsere mögliche Achillesferse. Aber sollte ich ihn etwa tragen? »Von deinem Kumpel?«

»Kythara hat ihm jegliche Aktivität verbo-ten«, bekam ich zur Antwort. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich mich mit einem der Roboter »akustisch« unterhielt. »Daran hält er sich.«

Unwillkürlich musste ich grinsen. Der klei-ne Kerl verstand genau, wen ich mit »Kum-pel« meinte – nachdem ich ihm das Wort »de-finiert« hatte. Varg hatte eine angenehme Kunststimme. Natürlich bestand theoretisch die Gefahr, dass unser Funkverkehr angepeilt wurde, aber ich glaubte, sie vernachlässigen zu können. Es gab genügend Streustrahlung in diesem Stützpunkt, um diese schwache Quelle zu überlagern.

Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, mahn-te der Extrasinn. Vergiss nicht, dass du an die Oberfläche willst, um ein Versteck für dich und Kythara zu finden und sie dann zu holen!

Klar, dachte ich. Es ist ja so einfach. Nun sei nicht albern! Ich seufzte. Natürlich hatte er Recht. Ich

fühlte mich schon jetzt wie gerädert. In wel-chem Zustand sollte ich dann erst an der O-berfläche dieser Welt ankommen? Was würde ich zu sehen bekommen? Die »idyllische An-siedlung«, von der Kythara kurz gesprochen

hatte? Ich wusste nicht recht, was ich mir dar-unter vorzustellen hatte. Aber bestimmt wür-den mich dort keine freundlichen Eingebore-nen mit einer Tasse Tee erwarten.

Eher die Insektoiden, ob Torghan oder an-dere Krieger des »Schwerts der Ordnung«.

Wie viele hatte ich umgebracht, als ich die beiden Mikrobomben warf? Wie viele hatte ich zerfetzt, um mir den Fluchtweg bahnen zu können?

Ich musste mir endlich klar darüber wer-den, dass wir uns in einem unerklärten Krieg befanden. Die Krieger des »Schwerts der Ordnung« hatten sich nicht »nur so« auf eini-gen Varganenplaneten eingenistet. Wir muss-ten davon ausgehen, dass sie sich gezielt auf den Versunkenen Welten breit gemacht hat-ten, die ihnen mit ihren technischen Hinterlas-senschaften ein schier unerschöpfliches, un-geheuerliches Reservoir an Waffen, Wissen und Macht eröffneten.

Der schlimmste Albtraum war, dass ihnen, sollten sie tatsächlich sogar schon VARXO-DON erreicht haben, der Kardenmogher, in den wir unsere Hoffnungen setzten, bereits in die Hände gefallen sein könnte. Es war die absolute Horrorvision. Kythara wusste vom Kardenmogher – aber ich hatte ihn erlebt! Mit ihm hätten die Lordrichter eine Waffe in der Hand, der wir wahrscheinlich nichts entge-genzusetzen hätten.

Ich fragte mich wieder einmal, wer diese Lordrichter waren und was ihre Ziele. Dass in ihrem Auftrag mächtige Armeen aus vorher harmlosen Androiden gezüchtet werden soll-ten, hatten wir auf Narukku erlebt. Heere von Supermutanten, quasi überall einsetzbar.

Aber gegen wen? Und warum? Selbst wenn die Lordrichter die Milchstraße angreifen wollten, wofür alles sprach – aus welchem Grund?

Genug gegrübelt, ermahnte mich der Extra-sinn. Sieh endlich zu, dass du weiterkommst! Die Torghan werden Kythara nicht zu Kaffee und Kuchen einladen!

Als ob ich das nicht selbst gewusst hätte. Er konnte einem wirklich auf den Geist gehen. Aber leider ... hatte er so gut wie immer Recht. Das hasste ich manchmal an ihm.

Ich brach auf, nachdem ich mir den Stati-onsplan wieder in die Helmscheibe hatte ein-

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blenden lassen. Ich studierte ihn kurz, um zu wissen, wohin ich mich als Nächstes wenden musste, um weiter nach oben zu kommen. Dass auf ihn nicht unbedingt hundertprozenti-ger Verlass war, hatte ich schon gemerkt. Zwar waren in ihm schon die »toten Berei-che« des Stützpunkts markiert – ehemals un-ter Energie stehende, genutzte Sektoren, die im Lauf der Zeit aber ausgefallen oder einfach nicht mehr gebraucht worden waren. Aber ich fragte mich, wie lange es wohl her sein moch-te, dass er zuletzt aktualisiert worden war. Zehntausend Jahre? Zwanzigtausend?

Mittlerweile konnte sich wieder vieles ge-ändert haben. »Tote Bereiche« konnten wie-der reaktiviert worden sein. Es konnte weitere Einstürze gegeben haben, ich konnte mich plötzlich in einer Sackgasse wiederfinden – alles war denkbar.

Egal, er war das einzige Orientierungsmit-tel, das ich besaß. Außerdem gab es da noch etwas, über das ich mir bisher vergeblich den Kopf zerbrochen hatte.

In dem Plan war eine Sektion im Zent-rumsbereich des Stützpunkts deutlich hervor-gehoben und mit ominösen Begriffen verse-hen, die ich zwar nicht verstand, die aber ganz den Eindruck erweckten, als sei diese Sektion besonders gut gesichert. Warum? War dort etwas verborgen, was für die alten Varganen von Wichtigkeit war? Dann konnte es auch für uns wichtig sein – und natürlich für die Insektoiden. Ich konnte nur hoffen, dass sie diese Sektion noch nicht entdeckt bezie-hungsweise die Sperren geknackt hatten. Es stand außer Zweifel, dass sie den Stationsplan ebenfalls kannten und daher natürlich auch die »toten Bereiche«. Also war es nur logisch, dass sie mich in ihnen suchen würden. Ich musste jeden Moment damit rechnen, auf ei-nen Trupp zu stoßen. Eigentlich war es ein Wunder, dass es noch nicht geschehen war.

Damit gab es bereits drei Gründe, mich zu beeilen: Kythara, die geheimnisvolle Sektion und die Verfolger im Nacken ...

Also verließ ich den Raum und marschierte weiter, bis ich den nächsten Schacht erreichte. Ich griff an die Sprossen und begann wieder zu klettern. Der Zellaktivator versorgte mich mit neuer Kraft.

Dieser »tote Bereich« des Stützpunkts soll-

te sich laut Plan bis knapp unter die Oberflä-che hinziehen. Ich hoffte, dass es damit seine Richtigkeit hatte. Gut eintausend Meter an Höhe hatte ich bereits zurückgelegt, und etwa zweitausend hatte ich noch vor mir. In dieser Hinsicht war der Plan noch so aktuell wie vor zehntausend Jahren. Ich durfte nicht unfair sein. Er war mir ein guter Helfer. Selbstver-ständlich konnte auch er mir nicht sagen, was mich erwartete, wenn ich den Ausstieg ins Freie gefunden hatte.

Die Insektoiden konnten sich natürlich denken, wohin meine Flucht führte. Falls sie Truppen an der Oberfläche hatten, wovon auszugehen war, konnte es heikel für mich werden.

Aber Maran'Thor war groß. Es musste Dut-zende Ausstiege nach oben geben. Überall konnten sie nicht sein. Ich brauchte also nicht unbedingt zu fürchten, dass ich gleich in die Mündung einer Energiewaffe blicken würde. Und außerdem hatte ich nicht vor, lange oben zu bleiben. Das Ziel war und blieb klar: Ich musste ein Versteck für Kythara und mich finden und dann schnellstens zurück in die Station, um sie aus den Klauen der Torghan und Ur'ogh zu befreien; und falls wir noch die Gelegenheit dazu bekamen, nach der geheim-nisvollen Sektion und einer Möglichkeit su-chen, uns Zutritt zu verschaffen. Ich vertraute da ganz auf die Varganin. Aber dazu musste sie erst einmal wieder frei sein. Die Katze biss sich in den Schwanz.

Meine Vorgehensweise war klar, und doch blieb ein flaues Gefühl in der Magengegend. Es hatte mich die ganze Zeit über begleitet, seitdem ich den Insektoiden entkommen war. Immer wieder musste ich zum Beispiel an die Fallensysteme im Narukku-Stützpunkt den-ken, die furchtbaren Psycho-Waffen, die Kythara und mich um ein Haar dazu gebracht hatten, uns gegenseitig umzubringen. War es da nicht auch nur wahrscheinlich, dass es in Mara-IV ebensolche Fallen gab?

Aber nicht in einem energielosen, toten Be-reich, meinte der Extrasinn.

Diesmal wollte ich hoffen, dass er Recht hatte.

Ich kletterte weiter. Varg 2 schwebte neben mir. Er hätte mir Sicherheit geben sollen, tat es aber nicht.

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Genauso wenig wie Kytharas fallen gelas-

sener Strahler, den ich im Chaos der Explosi-onen und der einstürzenden Gangwände gera-de noch an mich nehmen konnte. So besaß ich jetzt drei Waffen – aber leider nur zwei Hän-de.

*

Kythara hatte erwartet, dass die Insektoiden

schnell zur Sache kommen würden, nachdem sie sie nach ihrer »Kapitulation« ziemlich aufgeregt und auf direktestem Weg in die Zentrale gebracht hatten. Zuvor hatte es sie allerdings mehrere Minuten gekostet, die Trümmer zu desintegrieren, die ihnen nach der Explosion der beiden Mikrobomben den Gang versperrt hatten. Atlan hatte zwar Zeit gebraucht, um zu begreifen, aber dann hatte er sofort und konsequent gehandelt.

Sie hoffte, dass wenigstens er in Sicherheit war. Die Oberfläche konnte er noch nicht er-reicht haben. Aber einmal tief in den »toten Sektoren«, sollte es den Insektoiden eigent-lich unmöglich sein, ihn aufzuspüren. Dass er sich selbst verriet, für so dumm hielt sie ihn nicht.

Trotzdem hoffte sie, dass er das Richtige tat, wenn er erst oben war. Sicher würde er einige Überraschungen erleben. Sie hatte lei-der keine Zeit gehabt, ihn auf das vorzuberei-ten, was ihn an der Oberfläche erwartete.

Er würde schon richtig reagieren, redete sie sich ein. Es war ihre einzige Hoffnung. Zwar hatte sie noch Varg 1, die Torghan hatten ihr sogar ihren Kampfanzug gelassen, aber sie ließen sie keine Sekunde aus den Augen. Auf jede verdächtige Bewegung ihrerseits würden sie sofort reagieren und sie wieder paralysie-ren.

Dumme Narren! Wussten sie nicht, dass ein Gedankenbefehl von ihr genügte, um von der Mikropositronik des Anzugs etwa den Schutzschirm wieder aufbauen zu lassen? Oder dass sie noch andere Tricks auf Lager hatte, wenn sie nur wollte? Sie waren sehr von ihrer Überlegenheit überzeugt – oder ein-fach nur leichtsinnig, ihr Erzherzog Garbhu-nar an erster Stelle. Alles, was sie ihr abge-nommen hatten, war ihr Strahler gewesen. Dabei hatte sie eine ganze kleine Armee in

direkter Nähe. Ein Befehl an Varg 1, und sie alle würden ihr blaues Wunder erleben.

Allerdings hatte sie andere Ziele, aber da-von konnten sie nichts wissen.

Erzherzog Garbhunar ... Ob das Rieseninsekt sich anders verhalten

hätte, wenn es gewusst hätte, dass sie es kann-te? Atlan und sie hatten ihn auf Narukku ge-sehen, allerdings in einer Art »Spiegelung« aus der Vergangenheit. Er schien in der Hie-rarchie des »Schwerts der Ordnung« an hoher Stelle zu stehen, vielleicht an höchster in die-ser Galaxis. Das war eines der Dinge, die sie herauszufinden hoffte.

Innerlich musste sie lachen, obwohl ihr La-ge dazu wirklich keinen Anlass gab.

Aber wenn alles so klappte, wie sie sich das vorstellte, und wenn Atlan rechtzeitig wieder zur Stelle war – was sie ihm nach ihren bishe-rigen Erlebnissen zutraute –, würde sie am Ende des anstehenden Verhörs mehr über die Gegenseite wissen als diese über sie. Denn von ihr würden sie definitiv nichts erfahren.

Deshalb wurde sie von Minute zu Minute, die Garbhunar sie warten ließ, ungeduldiger. Die Paralyse ihres rechten Beins war längst abgeklungen. Daraus schloss sie, dass drei oder mehr Stunden vergangen waren. Ihr Helm war zurückgelegt, die Hände waren mit den Unterarmen mit dicken Stahlbändern an die Lehne des hohen Stuhls gebunden, sodass sie keine genaue Zeitanzeige erhielt. Ihre Fußknöchel waren ebenfalls aneinander ge-fesselt. Der Kopf war von Stahlbändern an die Rückenlehne des Verhörstuhls festgezogen. An Stirn, Hals, Händen und anderen Stellen war sie mit Maschinen verkabelt, die sie nicht sehen konnte. Sie standen hinter ihr, und sie konnte den Kopf nicht drehen. Aber sie hörte ihr schwaches Summen.

Der hohe, massige Stuhl selbst stand auf einem einen Meter hohen Sockel. Sie kannte diese Konstruktion aus der Vergangenheit. Sie war selbst oft bei solchen Verhören zuge-gen gewesen. Alles war bereit. Nur Garbhu-nar ließ auf sich warten.

Es war nicht so, dass sie sich nach der Fol-ter sehnte. Sie wusste, was auf sie zukam. Es würde hart werden, aber sie hatte schon in auswegloseren Klemmen gesteckt. Dennoch empfand sie ihre Situation als eine Posse.

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Vielleicht war es Über-, vielleicht sogar der Hochmut einer zeit ihres Lebens stolzen Var-ganin. Vielleicht vertraute sie auch einfach zu sehr auf Atlan; auf seine Tatkraft, seine Ent-schlossenheit, seinen ...

Sie tat den Gedanken als unsinnig ab, denn mit ihm kamen Gefühle, die unpassend wa-ren, falsch.

Vielleicht waren die Insektoiden aber ja auch so sehr mit der Jagd auf ihn beschäftigt, dass sie sie deshalb warten ließen.

»Unfug!«, sagte sie laut. Sofort hoben sich ein Dutzend Waffenläufe

und zielten auf ihr Gesicht. Sie lachte den Wachen ihre ganze Verachtung entgegen. Wen, glaubten sie, vor sich zu haben?

Es dauerte noch ihrer Empfindung nach ei-ne Stunde, bis ihre paranormalen Sinne die Impulse des Erzherzogs empfingen. Sie wur-den rasch stärker. Dann endlich fuhr die Tür des Verhörraums auf, und das Rieseninsekt trat mit noch einmal einem Dutzend Schwer-bewaffneter im Gefolge ein. Das starre Wes-pengesicht mit den messerscharfen Mandibeln schien sie anzugrinsen. In den großen Facet-tenaugen glaubte sie ein spöttisches Lachen zu sehen. Natürlich war das unmöglich, doch sie empfing die entsprechenden Eindrücke mittels ihrer Psi-Gabe.

Was sie mit ihren Augen sah, war ihre Strahlwaffe, die ihr seine Krieger abgenom-men hatten. Er wog sie wie spielerisch in ei-ner der Klauenhände.

»Ich bitte um Verzeihung für die Verspä-tung«, sagte der Erzherzog scheinheilig. »Ich wurde ... aufgehalten, doch nun kann das Vergnügen beginnen.«

Aufgeblasener Popanz!, dachte die Varga-nin. Dir wird dein dämliches Grinsen schnel-ler vergehen, als du denkst!

Garbhunar gab einem anderen dreieinhalb Meter hohen Insektoiden, offenbar der glei-chen Rasse wie er selbst entstammend, einen Wink. Die Riesenwespe verschwand hinter dem Stuhl. Sekunden später änderte sich die Intensität des Summens.

Also gut, dachte Kythara. Der Spaß kann beginnen.

*

Eine gute halbe Stunde später dachte sie nicht mehr an einen Spaß.

Erzherzog Garbhunar hatte überflüssiger-weise erklärt, dass jede ihrer Antworten auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft und entspre-chend »bestraft« werden würde, sollte sie sich als falsch erweisen. Als ob sie das nicht wüss-te! Sie hatte darüber gelacht.

Jetzt tat sie es nicht mehr. Anfangs hatte sie ihm den Gefallen getan

und einige Fragen beantwortet, unverfängli-che Unwichtigkeiten, bei denen sie sich nichts vergab und nur bestätigte, was der Gegner ohnehin schon wissen musste.

Dann war es schon schwieriger geworden. Sie hatte geschwiegen. Auch das wurde be-straft. Sie war darauf vorbereitet gewesen und hatte die Schmerzen ertragen, auch wenn sie sich mit jeder neuen Verweigerung ihrerseits steigerten. Bald brauchte sie alle Kraft, um den Facettenaugen nicht den Gefallen zu tun und zu schreien.

Schließlich hatte sie wieder geantwortet. Das war gewesen, als sie glaubte, mit ihren ersten Unwahrheiten die Kerle in die Irre füh-ren zu können, zumindest zu verwirren. Sie hatte noch die Hoffnung besessen, sie auf eine falsche Spur führen zu können.

Die Strafe war sofort über sie gekommen. Und nun hatte sie geschrien, als die Stiche in ihr Gehirn fuhren wie glühende Lanzen; als die Flammen der Pein ihren Verstand auszu-brennen drohten.

Ihre Glieder hatten, soweit das bei den Stahlfesseln möglich war, unkontrolliert ge-zuckt. Sie hatte geschrien und gebrüllt, sich aber immer noch an den Gedanken klammern können, dass Atlan in Freiheit und vielleicht jetzt schon wieder zu ihr unterwegs war. Und wenn das nicht half ... die Informationen, die sie von den Insektoiden bekommen hatte, ohne dass diese vielleicht überhaupt wussten, was sie da zwischen ihren Fragen – oder ge-rade durch diese – über sich und ihr Hiersein verrieten.

Sie hatte geglaubt, so wertvolles Wissen sammeln zu können. Sie hatte sich für stark genug gehalten, dieses Verhör mit gesundem Verstand zu überstehen und später Profit dar-aus ziehen zu können. Sie hatte vor zigtau-send Jahren selbst manche solcher Verhöre

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geleitet und gedacht, auf alles vorbereitet zu sein.

Alles war geplatzt wie Seifenblasen. Kytha-ra hatte den Erzherzog für hochmütig gehal-ten, einen gnadenlosen Peiniger, ein gefühllo-ses Insekt, das von den Qualen, die es einem anderen bereitete, nicht im Geringsten berührt wurde.

Jetzt musste sie sich in den wenigen Au-genblicken, in denen sie noch klar denken konnte, fragen, wer hier hochmütig gewesen war.

Atlan kam nicht. Die Flammen, Nadeln, Explosionen, die Glut und Schmerzen, Schmerzen!, brannten sie aus. Atlan wird kommen! Kythara, das, was einmal Kythara gewesen war, fühlte, wie sie innerlich ver-brannte. Sie hatte gesehen, wie Menschen auf diesem Stuhl zu lallenden, seibernden Wracks geworden waren. Sie hatte geglaubt, stärker zu sein. Eine Varganin. Eine Unsterbliche!

ATLAN WIRD KOMMEN! Der Gedanke schrie in ihr. Sie verstärkte

ihn und versuchte, mit ihm eine Mauer gegen das aufzubauen, was sie zerstörte, aber er wendete sich gegen sie selbst. ATLAN WIRD KOMMEN ...

Nein. Atlan kam nicht. Und irgendwann konnte sie nicht einmal

das mehr denken.

7. Hundertmal hatte ich geglaubt, der Weg sei

zu Ende. Hundertmal hatte ich gedacht, es ginge nicht mehr weiter, ich könnte es nicht schaffen. Hundertmal Torghan-Trupps gese-hen, die aus einem der dunklen Gänge bra-chen und mich unter Feuer nahmen. Und hundertmal hatte ich Glück gehabt – so viel Glück, dass es mich mehr verunsicherte als aufrichtete. Irgendwann ging jede Strähne zu Ende. Der Stützpunkt musste sich in hellem Aufruhr befinden. Immer wieder sagte ich mir das. Es war absolut unwahrscheinlich, dass ich immer noch frei war – physisch zwar fast am Ende, trotz Zellaktivator, aber frei!

Ich dankte den Göttern für das Wunder. Es konnte nur ein Wunder sein, dass ich jetzt vor dem letzten Stück meines Weges an die Ober-

fläche stand, erschöpft und ausgepumpt gegen eine Wand gelehnt. Es war immer noch dun-kel. Keine Insektoiden hatten mich gefunden. Keiner der »toten Bereiche« war wieder mit Energie geflutet. Ich leistete dem Stationsplan noch einmal Abbitte für all meine Zweifel. Ohne ihn hätte ich es nie geschafft. Und das letzte Stück ...

Ich sah nach oben. Der letzte Schacht, viel-leicht noch zwanzig Meter hoch. Ich konnte im Lichtkegel des Helmscheinwerfers die Platte sehen, die ihn verschloss. Über ihr lag der Planet – und vielleicht lag dort auch die Freiheit!

Du vergisst einen wichtigen Faktor, wisper-te der Extrasinn. Selbst wenn euch die Flucht aus der Station gelingt, habt ihr wahrschein-lich kein funktionierendes Raumschiff zur Verfügung. Wie kannst du da an Freiheit den-ken? Worin besteht deiner Ansicht nach die Freiheit der Sackgasse?

Er wusste genau, wie ich es gemeint hatte – penibler Wortklauber. Natürlich konnten wir nicht mit einem Schiff rechnen, jedenfalls keinem varganischen. Mit Wehmut dachte ich an die AMENSOON, die jetzt in einem Bin-nenmeer auf Narukku versteckt war und dort auf unsere Rückkehr wartete. Aber vielleicht ... gab es Raumschiffe der Insektoiden, die wir für unsere Zwecke nutzen konnten.

Mein schlauer Ratgeber brauchte mich nicht darauf hinzuweisen, wie gering die Chancen dafür waren. Mir war klar, dass Kythara und ich wohl oder übel auf den Transmitter des Stützpunkts angewiesen wa-ren, um von Maran'Thor fortzukommen. Und dazu brauchten wir wiederum einen Zentral-rechner, der unseren Befehlen gehorchte – was noch nicht in Sicht war.

Ich wartete noch zwei Minuten, bis ich mich kräftig genug für diese letzte Anstren-gung fühlte. Dann holte ich einmal ganz tief Luft und ergriff die Klettersprossen.

Die Aussicht auf das vorläufige Ende der Strapazen – immerhin hatte ich noch den Rückweg vor mir, an den ich mit Unbehagen dachte – setzte zusätzliche Kräfte frei. Ich stieg Sprosse um Sprosse, kam dem Schacht-verschluss immer näher. Ich fragte mich nicht erst jetzt, ob es »draußen« gerade Tag oder Nacht war. Ich würde es wissen, wenn es mir

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gelang, den Verschluss zu öffnen. Im Moment war das mein Problem. Meine ganze Hoff-nung ruhte darauf, dass ich in einem Stations-sektor ohne Energie war und die Varganen für solche Fälle vorgesorgt und eine Möglichkeit der manuellen Öffnung geschaffen hatten. Wenn mir das Glück treu blieb und noch ein Wunder geschah, nur noch ein kleines ...

Ich kletterte, bis ich mit dem Kopf an die Platte – oder was immer es war – stieß, die mich noch von der Oberfläche des Planeten trennte. Ich leuchtete das letzte Hindernis ab und fand, woran ich kaum wirklich zu glau-ben gewagt hatte.

Das Handrad war wie für mich geschaffen. Es hätte sich so auch in einem terranischen oder arkonidischen Raumer finden können, wenn wohl auch nur als Redundanz-Notsystem. Ich ließ die letzte Sprosse los und griff danach, hängte mich gleichsam mit gan-zer Kraft daran.

Aber es ließ sich nicht bewegen. War das die Ernüchterung, die einfach hatte

kommen müssen? War meine unglaubliche Strähne zu Ende, als schon alles gewonnen schien?

Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich war un-angefochten bis hierher gekommen. Jetzt konnte ich nicht aufgeben!

Ich spannte die Muskeln an. Mir drohte der Kopf vor Anstrengung zu platzen. Nur mit den Füßen Halt habend, versuchte ich, das Rad zu lockern. Es muss doch möglich sein!

Ich brauchte vielleicht drei Minuten. Die Hoffnung begann zu sinken, aber dann spürte ich, wie das Rad sich langsam zu drehen be-gann. Der Triumph mobilisierte nochmals letzte Kräfte, und nach weiteren zwei Minuten war die Platte entriegelt.

Ich griff wieder nach der Sprosse und war-tete, bis ich zu Atem gekommen war. Sterne tanzten vor meinen Augen, das Blut pochte in den Adern. Ich atmete heftig und schnell.

Dann, in einer wahren Explosion von ent-schlossener Wut, presste ich eine Handfläche gegen die Platte und stieß, was das Zeug hielt! Und ... sie ließ sich heben, Zentimeter um Zentimeter!

Ich weiß nicht, wie lange ich wirklich brauchte, aber dann war der Weg frei. Die Platte war zurückgeklappt. Ich konnte nicht

glauben, dass die alten Varganen ihren Stütz-punkt auf eine so primitive Weise von der Außenwelt abgeriegelt hatten, ohne Schleuse, aber in diesen Momenten war mir das so egal wie der Wetterbericht von der letzten Hinter-welt.

Ich war oben. Ich konnte hinaus! Ich blick-te hoch – und sah über mir einen der phantas-tischsten Himmel, die ich jemals erblickt hat-te.

*

Es war Nacht auf diesem Teil des Planeten

– aber was für eine Nacht! Ich stand neben der knapp zwei Meter gro-

ßen Öffnung, aus der ich geklettert war, und betrachtete das Wunder, nachdem ich mich schnell davon überzeugt hatte, dass die Geg-ner weder auf mich warteten noch in der Nähe waren. Es gab keine Energieortung weit und breit. Für alle Fälle sicherte Varg 2 mit ausge-fahrenen Waffenarmen in alle Richtungen.

Für mich war es, als sei ich aus der Dun-kelheit ans Licht gestiegen. Natürlich war es nicht hell wie am Tag, aber auch nicht dunkel wie die Nächte in sternenarmen Regionen. Und ich begriff, woher der Beiname für Ma-ran'Thor stammte.

Drei feurige Ringe spannten sich über das Firmament und tauchten die Oberfläche des Planeten in einen unheimlichen, aber auch faszinierenden roten Schein. Ich befand mich in einem Gebirgstal. Von einer »idyllischen Ansiedlung« bemerkte ich keine Spur, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Was ich sah, genügte mir, um mich zu fesseln – denn die drei Feuerringe waren noch nicht alles.

Sie mussten den ganzen Planeten umspan-nen. Von meinem Standort aus zogen sie sich über den südlichen Himmel und erreichten am höchsten Punkt schätzungsweise ein Drittel bis zum Zenit. Die optische Gesamtbreite der Konstellation entspricht etwa der doppelten des irdischen Vollmonds, falls es dich interes-siert, meldete sich der Extrasinn. Aber wahr-scheinlich orientierst du dich lieber wieder an deinem Gefühl ...

Und damit hatte er Recht: Es war einfach ein atemberaubender Anblick, und ich fragte mich unwillkürlich, ob er der Grund für

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Kytharas träumerischen Blick gewesen war, wenn sie von Maran'Thor gesprochen hatte.

Das andere waren drei Gebilde am Himmel, die gewaltig sein mussten – schließlich konn-te ich sie mit bloßem Auge gut erkennen, wenn auch keine Details. Es musste sich um künstliche Objekte handeln, gigantische Stati-onen. Sie bildeten im Zenit eine Linie von Ost nach West, wobei sie sich beinahe zu berüh-ren schienen. Rötlich schimmernde Energie-bahnen gleißten von ihnen zu den Ringen, als ob sie von diesen Energien oder Masse abzö-gen. Oder war es genau andersherum? Heiz-ten sie die Ringe vielleicht auf? Und wenn es so war, zu welchem Zweck?

Hier wirst du die Antwort nicht finden, be-lehrte mich der Extrasinn. Frage Kythara danach. Sie wird es dir sagen können.

Der Wink war deutlich, aber überflüssig. Seufzend löste ich mich von dem Anblick und sah mich genauer um. Da ich in einem Tal herausgekommen war, hatte ich natürlich kei-nen weiten Blick über die in rotes Licht ge-tauchte Landschaft. Um mich herum waren Hügel, hinter denen höhere Berge zum Teil schroff aufragten.

Nachdem die Atmosphäre von den Syste-men meines Anzugs geprüft worden war, hat-te ich den Helm abgenommen und atmete würzige, saubere Luft. Es ging ein leichter Wind, und die Nacht war lauwarm. Als ange-nehm empfand ich auch die Schwerkraft, die ich mit 0,83 Gravos von der Helmanzeige abgelesen hatte.

»Es hilft alles nichts, Varg«, sagte ich zu meinem kleinen Freund. »Das Flugaggregat wage ich noch nicht zu benutzen. Ich werde also klettern müssen. Du kannst in der Zwi-schenzeit vielleicht ...«

»Das brauchst du nicht«, unterbrach mich der Kugelrobot. »Ich werde für dich sehen. Mein Antriebssystem ist stark abgeschirmt. Du brauchst nur wieder den Helm schließen.«

Ich war sprachlos. Varg 2 wurde mir immer sympathischer.

Er schwebte davon, an den Hängen eines Hügels empor, und stieg über der Kuppe noch höher. Ich folgte gehorsam seiner Aufforde-rung und hatte gleich darauf ein Bild auf der Innenseite der Sichtscheibe. Varg 2 funkte die Bilder, die er »sah«, an meinen Kampfanzug,

und dieser projizierte sie für mich wie auf eine Leinwand. Varg funktionierte wie eine Telesonde und zeigte mir mehr, als ich selbst von der Hügelkuppe aus gesehen hätte.

Wenn du dich auf die Gebote der Logik ver-lassen würdest, hätte nicht die Varganenkugel dir diesen Tipp geben müssen, ließ sich der Extrasinn vernehmen. Er klang ausgesprochen sauertöpfisch.

Es gab weite Ebenen, Schluchten, die sich in sie schnitten, aber meistens Berge, halb grün bewachsen, halb felsig. Und in den Fel-sen waren Höhlen. Mehr als genug, um ein Versteck für Kythara und mich zu finden.

Ich rief den Kugelroboter zurück. Ich hatte genug gesehen. Es reizte mich zwar, den Himmel von Maran'Thor zu beobachten, aber das konnte ich noch lange genug tun, wenn ich erst Kythara aus den Klauen des Gegners befreit hatte und mit ihr hier stehen würde. Der Extrasinn hatte Recht: Die Varganin würde mir wahrscheinlich mehr Fragen be-antworten können, als ich überhaupt hatte.

Wenn ich sie lebend – und heil – aus dem Stützpunkt herausholen konnte!

Ich zögerte nicht mehr. Der Weg, der vor mir lag, war schwer genug. Und noch einmal konnte ich mich nicht auf mein schon unver-schämt zu nennendes Glück verlassen. Je schneller ich es also hinter mich brachte, des-to besser – besser für mich, aber noch mehr für Kythara.

Ich wusste nicht, ob die Insektoiden Götter besaßen. Aber wenn dies der Fall war, sollten sie ihnen gnädig sein, wenn sie der Varganin etwas angetan hatten!

Du bist so etwas von naiv!, schimpfte der Extrasinn. Als ob du es nicht besser wüsstest! Es zu verdrängen hilft weder dir noch ihr!

Ich warf einen letzten Blick zum Himmel hinauf und kniff die Augen zusammen. Täuschte ich mich, oder war da ein heller Punkt, der sich langsam auf eine der ver-meintlichen Stationen zubewegte?

Ich irrte mich nicht. Und ich war sicher, dass ich ein Raumschiff sah, das von Ma-ran'Thor gestartet war und an der Station an-legen würde.

Wozu? Es machte die drei Objekte noch geheim-

nisvoller.

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*

Tukhor-147 machte eine unwillige Geste,

als ihm die beiden Torghan den Weg verstell-ten. Bis hierher war alles gut gegangen. Sein Verschwinden aus der Zentrale und dem Zentrumsdreieck war nicht bemerkt worden. Auf dem Weg in die Kuppelstadt war ihm niemand begegnet. Und hier sollte es auch nicht scheitern.

»Gebt mir den Weg frei«, sagte er forsch. Seine Mandibeln klackten drohend. »Ich muss zum Kommandanten.«

»General Torghunar ist nicht länger Kom-mandant des Stützpunkts«, erwiderte einer der Posten. »Er ist ...«

»Das weiß ich!«, herrschte Tukhor ihn an. »Deshalb muss ich ja zu ihm. Ich soll ihn auf ein Verhör vorbereiten. Wisst ihr nicht, wer ich bin?«

»Du bist Tukhor-147. Aber wir haben strik-te Order, niemanden vorzulassen.«

»Wie ist dein Name?«, fragte Tukhor scharf.

»Cyphor-138«, antwortete der Torghan. »Ich ...«

»Willst du, dass ich in die Zentrale zurück-kehre und dort melde, dass du mich daran gehindert hast, meinen Auftrag auszufüh-ren?«, schnappte Tukhor. Seine Fühler zuck-ten vor Zorn.

Der Posten wand sich. Er warf seinem Ne-benmann einen unsicheren Blick zu. Dann trat er ohne ein Wort beiseite.

»Na also!«, sagte Tukhor. »Öffnet und schließt die Tür hinter mir. Wartet dann, bis ich ein Klopfzeichen gebe.«

Der Soldat, den Tukhor noch nie gesehen hatte, gehorchte. Die Tür der Zelle, in der Torghunar seit der scharfen Auseinanderset-zung mit dem Erzherzog steckte, glitt zur Sei-te. Tukhor trat über die Schwelle. Er ging langsam und hörte noch, wie die zweite Wa-che leise zu Cyphor-138 sagte: »Es ist eine Schande, wie der General vom Erzherzog behandelt wird. Das hat er nicht verdient.«

Tukhor hörte es mit Genugtuung. Es gab die Stimmung wieder, die in der Station herrschte. Vielleicht war doch noch nichts verloren.

Er wartete, bis sich die Tür hinter ihm

schloss. Dann erst drehte er sich zu Torghunar herum – und schrak zusammen.

Der Raum war klein und spärlich eingerich-tet. Es gab einen Tisch, einen Stuhl und eine Liege. Das war alles. Nicht einmal ein Inter-kom-Anschluss war vorhanden.

Und auf der Liege lag unter heftigen Zu-ckungen Torghunar.

Tukhor hatte etwas Ähnliches befürchtet. Torghunar stöhnte und redete wirr. Seine Fa-cettenaugen glänzten fiebrig, der Chitinpanzer war von einem dunkel schimmernden Film überzogen.

Torghunar träumte wieder. Er befand sich wieder auf Xanton-4. Das Grauen hatte ihn abermals eingeholt, und diesmal kam viel-leicht noch die erlittene Demütigung erschwe-rend hinzu. Der Zustand des Generals war alarmierend.

Tukhor hatte damit gerechnet, dass er so reagierte. Er ging zu ihm, beugte sich über ihn und holte die Injektionspistole aus einer Uni-formtasche, die er von Dolozar-14 erhalten hatte. In ihr befand sich ein Serum, das schnell und gleichzeitig entkrampfend und stimulierend wirkte. Er setzte sie knapp un-terhalb von Torghunars Schädel an und drückte ab. Es zischte kurz.

Tukhor-147 musste zwei Minuten warten und hoffen. Dann kam der Körper des abge-setzten Befehlshabers endlich zur Ruhe und entspannte sich. Nach weiteren zwei Minuten richtete er sich benommen auf. Tukhor redete auf ihn ein, bis er zurück in der Wirklichkeit war.

»Tukhor ...«, sagte der Verkrüppelte lang-sam. »Was ...«

»Hör mir zu«, sagte der Offizier. »Wir ha-ben nicht viel Zeit. Stelle also keine Fragen. Ich bin gekommen, um dich hier herauszuho-len – und dich vielleicht zu rehabilitieren.«

»Wie denn?« Torghunar richtete die Fühler auf ihn. »Sie haben mich ...«

»Garbhunar hat dich arrestieren lassen, nachdem du ihn verbal angegriffen hast«, unterbrach ihn Tukhor. »Hör mir nur zu. Der Erzherzog hat, bevor er zum Verhör der Var-ganin ging, lange vergeblich versucht heraus-zufinden, warum der Stationsrechner fehler-haft arbeitet und Befehle nicht annimmt. Er hatte keinen Erfolg, aber ich.«

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ATLAN Die Lordrichter 6 – Kampf um Maran´Thor

»Du?«, fragte der General ungläubig. »Was

hast ...?« »Du sollst jetzt keine Fragen stellen. Ich

habe von einem Schaltraum aus versucht, den Rechner zu kontaktieren – mit nicht viel mehr Erfolg, aber eines konnte ich in Erfahrung bringen.« Er sprach schneller. »Der Rechner teilte mit, dass jemand vor sechs Stunden aus den Speichern einen frei zugänglichen Stati-onsplan heruntergeladen hat. Das war, kurz bevor es zum Kampf mit den Varganen und der Festnahme der Varganin kam. Ich konnte die entsprechenden Sicherheitssperren umge-hen und erhielt die Bestätigung – nur das, leider, nicht mehr –, dass sie es war, die den Plan abrief.«

Tukhor machte eine bedeutungsvolle Pause. Torghunar schwieg.

»Ich nehme an«, fuhr der Veteran fort, »dass der flüchtige Vargane im Besitz dieses Plans ist, in dem auch die ›toten Bereiche‹ des Stützpunkts verzeichnet sind. Ich nehme wei-terhin an, dass der Vargane sich in diesen energielosen Bereichen befindet und nach einem Versteck für sich und seine Gefährtin sucht.«

»Das ist doch nichts Neues, Tukhor«, sagte der General. »Garbhunar hat bereits vermutet, dass sich die Varganen in den ›toten Berei-chen‹ auskennen, und deshalb deren Durchsu-chung befohlen. Hunderte von Kriegern sind dort vorgedrungen und ...«

»Das entscheidende Detail ist die Psycho-logie dieser Wesen: Torghunar, ich bin davon überzeugt, dass der Flüchtige zurückkommen wird, um seine Gefährtin zu befreien. Es ge-hört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszu-malen, dass sie verhört wird, und der Plan wird ihm verraten, wo das Verhör stattfindet. Und jetzt hör ganz genau zu. Ich habe einen Plan, und wenn ich mich nicht sehr täusche, wirst du bald wieder Befehlshaber des Stütz-punkts sein. Die Stimmung unter den Torghan ist für dich. Der Erzherzog wird gar nicht an-ders können, als dich zu rehabilitieren ...«

Und dann ging Tukhor in die Einzelheiten. Torghunar hörte ihm zu, zuerst staunend, dann immer entschlossener. Schließlich griff Tukhor-147 in eine Tasche und brachte einen Kombistrahler zum Vorschein, den er Torg-hunar reichte.

»Warum tust du das für mich?«, fragte der General, als er aufstand und die Waffe entge-gennahm. »Du begibst dich selbst in Lebens-gefahr.«

»Ich habe dich schon einmal gerettet«, ant-wortete der alte Offizier. »Soll das etwa um-sonst gewesen sein? Und ...«

»Und?« »Und ich lasse einen Freund nicht im

Stich«, sagte Tukhor-147. Damit drehte er sich um und klopfte gegen

die Tür der Zelle. Als die Wachen sie öffne-ten, paralysierte er sie.

»Und jetzt komm, Torghunar! Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät ...«

*

Schleier, es wurde heller ... und ... Schmer-

zen! Sie explodierten in ihrem Kopf. Flam-men schienen durch ihren Körper zu rasen, grausame Glut. Sie verbrannte, sie schrie, sie ...

... sie hörte etwas durch das Tosen in ihren Ohren. Eine Stimme, scharf und laut. Sie stach wie eine Lanze in ihr Bewusstsein. Eine furchtbare, eine grausame Stimme. Und im-mer wieder das gleiche Wort ... ein ... Name!

Ihr Name! Er zog Kytharas Geist wie ein Magnet aus

den Tiefen des Nicht-Seins, in die er abgeglit-ten war, geflohen vor der Folter, die sie nicht mehr ertragen konnte. Alle schützenden Mau-ern, die sie um sich herum aufgebaut hatte, waren zusammengestürzt. Das Psi-Feuer hatte in ihrem Gehirn gewütet, und die Schmerzen ...

Ihr Geist klärte sich. Die Schleier lichteten sich zusehends. Sie wollte nichts sehen, doch sie musste. Eine Grimasse, grauenvoller als die Fratze eines Dämons, füllte ihr Gesichts-feld, ihre ganze Welt aus. Und aus der Gri-masse wuchs ein Maul, und aus dem Maul kamen die Worte, die sie jetzt deutlich hörte, scharf und überlaut, mit furchtbarem Nachhall im hintersten Winkel ihres gemarterten Be-wusstseins.

»Kythara! Ich weiß, dass du mich hörst! Du kannst dem allem ein Ende machen, wenn du jetzt redest. Willst du es? Dann nicke!«

»Nicke!«, explodierte es in ihr. »NICKE!«

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Und sie antwortete mit einem Schrei, in den

sie all ihre noch vorhandene Kraft legte und den sie Garbhunar in die hässliche Fratze schleuderte:

»Niemals!« Im nächsten Moment explodierte der

Schmerz mit einer Wucht, die höchstens ei-nem Kardenmogher gleichkam, in ihrem Schädel und löschte die Welt aus.

8.

Die Insektoiden überraschten mich, als ich

gerade daran zu glauben begann, dass ich es wirklich schaffen würde. Die Götter mussten es so gut mit mir meinen, dass ich mich schon gefragt hatte, womit ich dies verdient haben könne. Ich hatte den Abstieg bis auf wenige hundert Meter hinter mir, wobei ich einen anderen Weg benutzte als vorher; einen, der mich ganz nahe an mein Ziel bringen sollte. Ich glaubte nicht nur zu wissen, wo Kythara verhört wurde, ich wusste es seit einer halben Stunde definitiv! Seit dieser Zeit nämlich stand Varg 2 mit Varg 1 in Funkkontakt – auf einer Frequenz, wie er versicherte, die von den Insektoiden nicht abgehört werden konn-te.

Ich hatte ihm nur zu gern geglaubt; wie sich jetzt herausstellte, wohl doch zu früh. Denn der Überfall der Torghan und Ur'ogh kam so gezielt, dass ich mir fast sicher war: Sie hatten Varg doch eingepeilt.

Wir befanden uns gerade an einer Gabe-lung, von der drei Gänge abzweigten, als ur-plötzlich die Beleuchtung aufflammte – über-all, hier mitten im »toten Bereich«! Und die Insektoiden kamen aus allen drei Gängen.

Sie eröffneten sofort das Feuer, doch noch schneller hatte ich per Gedankenbefehl mei-nen Schutzschirm aktiviert. Ich warf mich ebenso instinktiv zu Boden. Die ersten Salven aus den Strahlwaffen der Gegner fuhren über mich hinweg und schlugen in die Wände ein, wo sie glutflüssige Krater schufen.

Ich hatte keine Zeit zum Denken. Ich rea-gierte wie ein Automat und bestrich die heranlaufenden Krieger mit Paralysestrahlen. Noch im Fallenlassen hatte ich beide Strahler gezogen.

Die Insektoiden fielen wie eine Mauer. Ich

drehte mich und schoss auf die nächste Grup-pe. Sie hatten mich überraschen wollen, doch mit meiner blitzschnellen Reaktion hatten sie nicht gerechnet. Die zweite Gruppe fiel durch mein Feuer, bevor die Soldaten begriffen, wie ihnen geschah.

Dann noch eine Drehung, aber jetzt war der Vorteil aufgebraucht. Die aus dem dritten Gang kommenden Insektoiden schossen, be-vor ich auch sie unter Feuer nehmen konnte. Mein Energieschirm flammte auf und wehrte die tödlichen Energien ihrer Thermoschüsse ab, aber die Lähmstrahlen nicht.

Ich rollte mich zur Seite, aber leider nicht schnell genug. Plötzlich spürte ich meinen linken Arm nicht mehr. Er war bis zur Achsel gelähmt!

So dankbar ich den Göttern vorhin noch gewesen war, so groß war plötzlich mein Zorn. Es konnte, es durfte nicht sein, dass alles umsonst gewesen war; dass ich bis hier-her gekommen war, um nun im letzten Mo-ment noch zu scheitern.

Ich feuerte weiter, nur mit der rechten Hand, doch ich hätte keine Chance gehabt, wenn nicht plötzlich eine Energiemauer in dem Gang entstanden wäre, in dem die Solda-ten knieten und mich beschossen. Gleichzeitig erlosch das Licht wieder. Ich begriff nichts mehr. Ich hörte nur die ungläubigen Schreie der Insektoiden und sah, wie sie in dem Ener-gievorhang verbrannten, der über sie hinweg-fuhr und ihre Schutzschirme zusammenbre-chen ließ wie eine zarte Eierhaut!

Plötzlich war wieder Ruhe, vollkommene Stille. Die Insektoiden lagen tot oder paraly-siert am Boden. Der Energievorhang, wie aus dem Nichts projiziert, war erloschen. Es war wieder dunkel wie vor ...

Wie vor was? »Kannst du aufstehen?«, hörte ich Vargs

Stimme im Helmempfänger. Er schwebte vor mir im Lichtstrahl des Helmscheinwerfers, der nun wieder die einzige Lichtquelle war. Ich presste die Zähne zusammen und kam ächzend in die Höhe. Der linke Arm war nicht zu gebrauchen. Ich nahm den Strahler aus seiner Hand und steckte ihn in den Gürtel. Ich hatte immer noch drei – aber jetzt nur noch eine Hand, die ich benutzen konnte.

»Es geht schon«, sagte ich zu Varg. »Aber

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hast du eine Erklärung dafür, was das gerade war? Wer hat die Beleuchtung eingeschaltet und die Insektoiden hierher geführt? Wer hat ihnen geholfen – und dann wieder uns, als er das Licht wieder erlöschen ließ und die Ener-giewand projizierte?«

Die Antwort kannst du dir selbst geben, meldete sich der Extrasinn. Dazu brauchst du den Roboter nicht. Freilich wird dir dein Ge-fühl dabei nicht helfen!

Sicher, aber die einzige Möglichkeit war so verrückt, dass ich dennoch froh war, als Varg meinen Gedanken bestätigte.

Natürlich der Stationsrechner! Welches verdammte Spiel spielte er mit uns und den Insektenkriegern? Welche Überraschungen erwarteten uns noch?

Deine Terraner würden dazu wohl sagen, er sei schizophren, meinte der Extrasinn.

Ich konnte nicht anders, als ihm bei-zupflichten, obwohl es wirklich verrückt war. Wir hatten es also nicht nur mit vielleicht Tausenden von Kriegern des »Schwerts der Ordnung« zu tun, sondern auch noch mit ei-nem anscheinend übergeschnappten Rechen-gehirn!

Zerbrich dir später darüber den Kopf! Jetzt lauf! Deine Beine sind nicht gelähmt! Und auch mit einem Arm kannst du kämpfen!

»Hast du immer noch Kontakt?«, fragte ich Varg 2. Der Roboter bejahte und fügte hinzu, dass Kythara in höchster Lebensgefahr schwebe.

»Dann führe mich!«, sagte ich hastig. »Flieg voraus, Varg. Lass dir von deinem Kumpel den Weg zeigen! Ab sofort nehmen wir keine Rücksicht mehr darauf, ob wir an-gepeilt werden. Der Zentralrechner konnte es ja ohnehin schon. Ich wette, er konnte es die ganze Zeit!«

Varg gab keine Antwort, was ich als Zu-stimmung wertete.

Er schwebte voraus, über die reglosen Kör-per paralysierter Insektoider hinweg. Ich rannte hinter ihm her und betete darum, nicht zu spät zu kommen – und dass es das Rechengehirn gut mit uns meinte.

*

Erzherzog Garbhunar begann einzusehen, dass er von der Varganin nichts erfuhr. Sie war nur noch ein Wrack und würde sterben, ehe nur ein verräterisches Wort über ihre Lip-pen kam – falls sie überhaupt noch in der La-ge war zu reden.

Das Verhör dauerte nun schon vier Stunden an. Es war ihm unbegreiflich. Er hatte der Varganin immer wieder Pausen gegönnt, um wieder so weit zu sich zu kommen, um ihn zu hören. Er wollte es nicht wahrhaben! Sie musste zu brechen sein! Jeder war das!

»Wir versuchen es noch einmal«, sagte er zu dem Daorghor an den Instrumenten des Wahnsinns. »Ein letztes Mal!«

»Exzellenz«, wandte der Wissenschaftler ein. »Es wird sie endgültig umbringen.«

»Dann soll es so sein! Es ist ja auch ihr ei-gener Wunsch!«

Der Daorghor gehorchte, mit sichtbarem Widerwillen zwar, aber zu protestieren wagte er nicht. Kythara stieß einen furchtbaren, krächzenden Schrei aus, als ihr Körper sich in den Fesseln aufbäumte und dann schlaff zu-sammensackte.

»Ist sie tot?«, schnappte der Erzherzog. »Hast du sie umgebracht, du Narr?«

»Nein«, sagte der Wissenschaftler. »Aber es wäre besser für sie.«

»Ich will ...«, begann Garbhunar, aber nie-mand erfuhr mehr, was er wollte.

Von draußen, auf dem hierher führenden Gang, waren plötzlich Schreie und das Fau-chen von Waffen zu hören. Garbhunar wirbel-te herum und hob den Strahler in seiner Hand – Kytharas Waffe. Doch bevor er auch nur daran denken konnte, sie abzufeuern, explo-dierte die Tür, und eine in einen flirrenden Schutzschirm gehüllte Gestalt brach mit der Wucht eines schweren Kampfrobots durch die glühenden Trümmer, ein Phantom auf den ersten Blick, doch auf den zweiten ...

»Schießt!«, schrie einer der Offiziere im Raum. »Punktfeuer auf ihn! Es ist der Varga-ne!«

Er wurde das zweite Opfer der Lähmstrah-len, mit denen das Phantom die Insektoiden bestrich. Es kam wie ein Unwetter über die Krieger, schießend und brüllend. Und es war nicht allein. Hinter ihm folgte einer der var-ganischen Kugelroboter und schoss auf dieje-

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nigen Insektenkrieger, die das Phantom nicht mit seinem ersten Angriff zur Strecke ge-bracht hatte.

Trotzdem gab es noch einige, die sich rechtzeitig in Deckung geworfen hatten und in heller Panik feuerten, was das Zeug hielt. Ihre Energiestrahlen ließen das Phantom noch einmal grell aufflammen. Aber da griff über-raschend der zweite Kugelroboter ein – jener, der die Varganin begleitet und sich die ganze Zeit über nicht gerührt hatte. Jetzt verwandel-te er sich in eine Kampfmaschine und vollen-dete, was sein Artgenosse und der Vargane begonnen hatten. Zusammen brachen alle drei den allerletzten Widerstand.

Der Erzherzog erlebte das alles hilflos am Boden liegend mit. Er war paralysiert, aber nicht ohne Bewusstsein. Die Lähmung betraf nur seine Glieder, sein Nervensystem. Sehen und hören konnte er noch – und denken; das war die schlimmste Demütigung.

Garbhunar konnte nichts mehr tun. Er musste mit ansehen, wie seine Offiziere und Soldaten fielen. Er hörte den Aufschrei des Daorghor an den Instrumenten, dann den Aufprall, als er hart zu Boden schlug – und danach plötzlich nichts mehr.

Was nun geschah, lief vor seinen Augen ab wie in einem unwirklichen Film ohne Ton. Er sah die beiden Roboter und den Varganen; die Gestalt, die sich nun, als der Kampf vorbei war, aus dem Phantom herausschälte. Der Vargane trug einen geschlossenen Schutzan-zug. Die goldene Verspiegelung seines Raumhelms verhinderte, dass er in sein Ge-sicht sehen konnte, als er sich ihm nun schnell näherte. Der Vargane schien wie in Zeitlupe heranzukommen, dabei wusste der Erzherzog genau, dass er rannte.

Aber nicht er war sein Ziel. Der Varghane achtete überhaupt nicht auf ihn. Die großen, seitlich sitzenden, gewölbten Facettenaugen zeigten Garbhunar deutlich, wie der Vargane auf das Podest sprang und sich über den Stuhl beugte. Auch das geschah schnell und ohne jeden Laut.

Er durchschnitt die Stahlfesseln seiner Ge-fährtin mit einem feinen Strahl seiner Ener-giewaffe. Erst jetzt fiel Garbhunar auf, dass er dabei nur den rechten Arm benutzte. Der an-dere hing schlaff herab und war offensichtlich

gelähmt. Aber er brauchte ihn nicht. Mit der Präzision eines Robots durchtrennte er die Fesseln ungeachtet der Gefahr, die für die Varganin bestand. Er riskierte, ihre Gliedma-ßen zu verbrennen, aber er schaffte auch das. Während die beiden Kugelroboter darauf ach-teten, dass keine Soldaten in den Verhörraum eindringen konnten – irgendwo musste doch ein Alarm ausgelöst worden sein!, dachte er verbittert –, befreite der Vargane sein Weib-chen, zog es mit einem Arm aus dem Stuhl, legte es sich über die Schulter und sprang vom Sockel.

Garbhunar wusste nicht, ob sie noch lebte – bis sie sich, den Oberkörper schlaff über der Schulter ihres Retters liegend, plötzlich be-wegte. Es hatte etwas Unwirkliches an sich, wie sich ihr Arm hob, bog und die Hand tas-tend in ihrem Kampfanzug verschwand. Der Vargane schien es nicht einmal zu bemerken. Er war schon fast an der Tür, aus der seine Roboter gerade verschwanden.

Er hatte nur noch wenige Schritte, als die Hand der Varganin wieder zum Vorschein kam. Gleichzeitig hob sich ihr Kopf. Es muss-te sie unvorstellbare Mühe und Qualen kos-ten, das sah er auf ihrem verzerrten Gesicht, als sie ihn anblickte – aus fiebrigen, irren Au-gen. Ihre Lippen bewegten sich zitternd, als wolle sie ihm etwas entgegenschreien. Aber kein Laut kam über sie, nicht einmal ein er-sticktes Krächzen.

Dafür warf sie etwas, das bisher ihre Finger umschlossen hatten. Sie konnte nicht viel Schwung in den Wurf legen, aber was sie noch an Kraft besaß, genügte vollkommen.

Garbhunar sah die Bombe durch die Luft fliegen, wieder wie in einer Zeitlupenaufnah-me, auf dem Boden aufprallen und weiter auf ihn zurollen, bis sie vor seinen Füßen liegen blieb.

Die Varganin versuchte noch einmal, etwas zu sagen. Dann erlosch ihr Blick, und ihr Kopf fiel wieder kraftlos nach unten. Ihr Kör-per zuckte, dann wurde er schlaff.

Es war das Letzte, was der Erzherzog von ihr sah. Sie verschwand mit dem anderen Varganen durch die Tür. Draußen auf dem Korridor wurde jetzt wieder gekämpft. Aber das ging an Garbhunar vorbei.

Er starrte auf das kleine, runde Ding genau

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zwischen seinen beiden Klauenfüßen. Er glaubte, es ticken zu hören. Es war Einbil-dung, aber es änderte nichts daran, dass es eine Mikrobombe war, die jeden Augenblick losgehen konnte.

Sie lag in seiner Reichweite, aber er konnte die Beine nicht rühren, um sie fortzutreten. Und selbst wenn es ihm gelungen wäre, hätte es nichts genützt. Wenn die Bombe vom an-nähernd gleichen Kaliber war wie jene, die der Vargane bei seiner Flucht zur Explosion gebracht hatte, dann würde sie nicht nur von diesem Raum und allem, was sich darin be-fand, nichts übrig lassen, sondern auch große Teile der Kuppelstadt verwüsten.

Niemand war da, der etwas dagegen tun konnte. Die Varganen waren entkommen, und vom Gang war nichts mehr zu hören; kein Kampfgeräusch, keine Schritte, keine Rufe.

Garbhunars nüchterner Verstand wurde von seiner Angst fast erstickt, aber was noch da-von übrig war, sagte ihm klar und deutlich, dass es vorbei war.

Er hatte keine Chance mehr. Die Varganin hatte am Ende doch noch triumphiert, obwohl sie wahrscheinlich gar nicht gewusst hatte, was sie tat. Es war nicht mehr als der Reflex eines noch einmal aus den Tiefen des Nicht-Seins auftauchenden, gequälten Bewusstseins.

Ein letzter Gruß an ihn.

* Ich war verzweifelt. Ich hatte im ersten

Moment geglaubt, im letzten Augenblick und rechtzeitig gekommen zu sein. Doch ein ein-ziger Blick in Kytharas leere Augen hatte mich eines Besseren belehrt. Zunächst hatte ich die furchtbare Wirklichkeit nicht wahrha-ben wollen, aber ihr lebloser Körper, ihr kal-ter Körper sprach eine leider nur allzu deutli-che Sprache. Vielleicht war noch ein Rest Leben und Vernunft in ihr, aber vielleicht war es besser, wenn sie nie wieder zu sich käme. In einer Schreckensvision sah ich sie als eine hilflose, lallende Puppe vor mir, eine leere Hülle, ausgebrannt und zerstört. Sie hatten sie zerstört!

Ich bekam kaum mit, wohin ich rannte. Varg 1 und Varg 2 schwebten vor, reagierten aber, sobald ich meine Richtung änderte, und

hielten mir den Weg frei. Entgegenkommende Insektoide wurden ohne großes Federlesen ausgeschaltet. Ich wusste nicht, ob die Robo-ter mit Lähm- oder tödlichen Strahlen schos-sen, und es war mir egal! Mein Zorn war so groß, dass ich in diesen Momenten zu allem bereit gewesen wäre – sogar dazu, diesen ganzen dreimal verfluchten Stützpunkt in die Luft zu jagen. Ich hätte es getan, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte.

Ich wusste nicht, wohin ich rannte. Ich ließ mich von meinem Unterbewusstsein leiten, hatte vage den Plan der Station vor Augen, hörte undeutlich die drängenden Rufe des Extrasinns, ohne sie jedoch zu verstehen, ver-stehen zu wollen. Eine geordnete, durchdachte Flucht war im Augenblick sowieso nicht möglich. Ich war viel zu aufgewühlt. Der Kampf, an dem ich nicht teilnehmen konnte, weil der linke Arm noch immer gelähmt war und ich mit der rechten Hand Kythara festhal-ten musste, wäre das einzige Ventil für mei-nen fürchterlichen Zorn gewesen. Ich wusste, dass er ein schlechter Berater war, aber ich wollte nicht vernünftig sein.

Es ... gab ein Ziel. Einen Fixpunkt. Einen Ort in der Station, der meinem Unterbewusst-sein als Anker diente. Doch ich erkannte ihn erst, als wir ihn erreicht hatten.

Von Insektoiden war nichts mehr zu sehen. Varg 1 und Varg 2 hatten sie abgeschüttelt. Es kam kein Nachschub mehr, jedenfalls nicht im Moment. Mir war allerdings klar, wie schnell sich das ändern konnte.

Plötzlich stand ich vor einem Schott, das eine Reihe verschiedener besonderer Markie-rungen in varganischer Schrift aufwies. Es waren Warnungen. Hier hatte kein Unbefug-ter Zutritt.

Ich hörte hinter mir ein Flirren. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass sich eine Ener-giewand hinter uns aufgebaut hatte, die den Korridor absperrte.

Mein erster Gedanke war, dass wir gefan-gen waren, eingesperrt von dem Stationsrech-ner, denn nur er konnte die Energiewand pro-jiziert haben – wie schon einmal, weiter oben in den »toten Bereichen«, die er plötzlich für uns »belebt« hatte.

Dann aber begriff ich, bei allem emotiona-len Aufruhr und aller Verwirrung, was wirk-

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lich geschehen war.

Vor mir gabelte sich der Gang. Er führte nach beiden Seiten um die Sektion des Stütz-punkts herum, vor der wir standen, Varg 1 und Varg 2 dicht bei mir. Ich wusste nicht, wie groß dieser Sektor war, aber ich wusste, welche Sektion es war.

Mein Unterbewusstsein – oder wie immer man es nennen wollte, es war jedenfalls nicht der Extrasinn – hatte mich direkt zu der im Stationsplan markierten verbotenen Sektion geführt. Ich hatte dorthin gewollt, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt. Ich wollte wis-sen, was sich in ihr so Wertvolles verbarg, dass es nur ganz besonders Berechtigten of-fenbart wurde.

Jetzt stand ich hier, die nach wie vor reglo-se Kythara auf der Schulter, und las die Auf-schriften, alle eine einzige Warnung für Un-befugte.

Ich war ganz bestimmt unbefugt. Kythara mochte zu den Berechtigten gehören, aber von ihr war derzeit nichts zu erwarten. Viel-leicht nie mehr.

Dafür tat es der, der die Energiewand proji-ziert hatte, nicht um uns matt zu setzen, son-dern um uns zu schützen.

Der Stationsrechner mochte schizophren sein. Im Augenblick schien es, als stünde er wieder auf unserer Seite.

Allerdings wusste ich, wie schnell sich auch das wieder ändern konnte.

Es war mir egal. Ich nahm die Einladung an. Ich betrat einen mäßig erleuchteten gro-ßen, würfelförmigen Saal mit unzähligen Re-galen an den ansonsten kahlen, graumetalli-schen Wänden, mit Tischen, Lesegeräten, Stühlen und kleinen Podestsäulen. Ich dachte sofort an eine Bibliothek. Und in der Mitte des Raums ruhte, auf einer anderthalb Meter hohen Säule, ein Gegenstand, der von blauen Punktscheinwerfern angestrahlt und von einer Energieglocke überwölbt wurde.

Vom ersten Augenblick an zog mich das Objekt wie magisch an. Ich dachte an Kytha-ra. Sie war wichtiger als alle Schätze dieser Welt, aber was konnte ich anders für sie tun als ...

Ich ließ von Varg 1 einen der Tische frei-räumen und mir dabei helfen, die Varganin auf der großen rechteckigen Platte abzulegen.

Sie hatte die Augen geöffnet – und täuschte ich mich, war es nichts als Wunschdenken, oder sah sie mich mit einer Spur zurückge-kehrten Lebens an und wollte mir zu verste-hen geben, dass ich gehen sollte, hin zu dem geheimnisvollen Objekt auf der Säule, dem einzigen »Schatz«, den es in diesem Saal zu geben schien; keine prunkvollen Kostbarkei-ten, keine varganischen Waffen, schon gar kein Kardenmogher in Kleinstausführung – die Originalwaffe hatte die Außenabmessun-gen einer sechzig Meter langen Röhre und hätte auch gar nicht hineingepasst, die Kan-tenlänge der grauen Wände betrug weniger als zwanzig Meter.

Ich wusste es nicht. Ich konnte nichts ande-res tun. Die Situation war mehr als unwirk-lich.

Ich nickte ihr zu und drehte mich langsam um, als ich das Geräusch einer fernen Explo-sion hörte.

*

Es gab keine Schmerzen mehr. Nur noch Leere. Es gab keine Zeit mehr. Nur noch Leere. Und es gab ein Licht, eine langsam wach-

sende Helligkeit, die aus der Leere kam. Irgendwann. Irgendwie. Irgendwo. Stimmen. Da waren Stimmen. Sehr fern

noch. Sie kamen von den Ufern der Leere. Sie

hörte sie, schwach, viel zu schwach, um sie zu verstehen.

Es gab keine Zeit, nur die Ewigkeit und die Leere, die nicht mehr ganz so leer war.

Doch auch das konnte sie noch nicht berüh-ren.

Irgendwo in der Leere entstand eine Hand, eine riesige Hand. Sie wuchs und wuchs und streckte sich ihr entgegen ... Unendlich lang-sam kam sie näher und mit ihr Wärme.

Aber sie konnte sie nicht ergreifen. Sie wollte es. Irgendwann hatte sie das Gefühl, ihr ganz nahe zu sein.

Doch die Hand verschwand, und die Dun-kelheit senkte sich wieder auf sie herab.

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9.

General Torghunar musste immer wieder

stehen bleiben, um Atem zu holen. Tukhor-147 war mit seinen drei gesunden Beinen na-türlich schneller als er. Jedes Mal wartete er, bis er erneut zu ihm aufschloss, aber jedes Mal wurde er auch ungeduldiger. Er trieb sei-nen alten Kampfgefährten an, bis er endlich rief: »Es ist nicht mehr weit! Dort vorn ist schon der Eingang!«

Torghunar klickte mit den Mandibeln. Sei-ne Fühler waren steif vor Aufregung. Sein Geist befand sich, im Gegensatz zum schwa-chen Körper, in vollem Alarmzustand. Er klickte noch einmal und humpelte weiter. Der Strahler in seiner Hand wog immer schwerer, und er wusste noch immer nicht recht, was er damit anfangen sollte. Wenn es einen Kampf gegeben hatte, dann war er vorbei. Der Boden der Korridore war übersät von toten oder pa-ralysierten Soldaten und Offizieren.

Was versprach sich Tukhor eigentlich noch? Sein Plan war fehlgeschlagen. Sie wa-ren zu spät gekommen. Der Vargane war be-reits hier gewesen, das war so offensichtlich wie der Tag, der auf die Nacht folgte.

Es hatte sich so gut angehört. Er, Torghu-nar, hätte den Varganen stellen sollen, wenn er in den Verhörraum eindrang. Er hätte ihn töten sollen, bevor er den Erzherzog umbrach-te. Er wäre der Retter gewesen, noch einmal der Held, und Garbhunar wäre nichts anderes übrig geblieben, als ihn wieder als Befehlsha-ber einzusetzen.

Wenn er ehrlich war, hatte der Plan ihm von Anfang an nicht gefallen. Er wollte nicht betteln, nicht auf die Gnade des Erzherzogs angewiesen sein; nicht auf seine erzwungene Großzügigkeit, wenn jener gleichzeitig schon nach dem nächsten Vorwand suchte, um Torghunar kaltzustellen. Und dann würde es nicht bei einem Arrest bleiben.

»Komm!«, schrie Tukhor, der den Eingang des Verhörraums erreicht hatte. Er winkte heftig. Seine Fühler zuckten. »Komm schnell, General!«

»Es hat doch keinen Sinn!«, rief Torghunar zurück.

»Du sollst kommen!« Damit verschwand er im Eingang. Torghu-

nar befolgte widerstrebend den Befehl eines Untergebenen, eines ... Hatte er sich wirklich »Freund« genannt?

Als er im Eingang stand, erstarrte er fast vor Entsetzen. Er hatte nichts anderes erwar-ten dürfen, aber es nun wirklich zu sehen war doch etwas anderes. Und das Schlimmste stand ihm erst noch bevor.

Tukhor stand tief gebeugt vor den Füßen des Erzherzogs, der kein Glied rühren konnte, aber keine Zeichen einer tödlichen Verletzung aufwies. Also war er nur paralysiert. Was aber konnte Torghunar dann für ihn tun? Er würde sich in einigen Stunden wieder bewegen kön-nen und ...

»General!« Tukhor richtete sich auf. Er hat-te etwas in der linken Vorderhand. Torghunar brauchte keinen zweiten Blick darauf zu wer-fen. Bomben sahen alle gleich aus, egal wer sie gebaut hatte. Und was Tukhor da in der Hand hatte, war eine Bombe.

»Komm her!«, rief der alte Offizier scharf. »Nimm sie! Nimm und bring sie weg!«

Torghunar verstand nicht, aber er setzte sich in Bewegung. Er streckte eine Klauen-hand aus und nahm das unhörbar tickende Instrument des vielleicht tausendfachen To-des.

»Und jetzt renn los! Lauf hinaus, bring sie weg, in den nächsten toten Bereich, wo sie den geringsten Schaden anrichten kann! Lauf, aber rette den Erzherzog und seine Offiziere!«

Torghunar gehorchte. Er bewegte sich wie in Hypnose. Er sah kaum seine Umgebung. Irgendwann war er draußen, auf dem Korri-dor. Er humpelte, taumelte, strauchelte und fand nur mit größter Mühe und viel Glück sein Gleichgewicht wieder. Dass er nicht fiel, war ein Wunder.

Wann explodierte die Bombe? Er war viel zu langsam. Er kam nicht schneller voran. Jeden Augenblick konnte es so weit sein, sie würde ihn in Fetzen reißen und ...

Plötzlich kam ein Schatten herangeflogen. Er riss ihm die Bombe aus der Hand und lief so schnell damit weiter, dass der völlig er-schöpfte General ihn erst wiedererkannte, als er seinem Blick schon entschwunden war.

Unfähig, noch einen Schritt zu tun, blieb Torghunar stehen. Er stolperte auf eine Wand zu und ließ sich mit dem Rücken dagegen

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fallen. Sein Atem ging schwer, jedes Luftho-len schmerzte. Die Welt drehte sich um ihn.

Und dann hörte er das Geräusch der Explo-sion, das ihn fast von den Beinen riss. Der Boden zitterte unter seinen Füßen. Er schrie nach Tukhor und wusste doch gleichzeitig, dass er von ihm keine Antwort bekommen würde.

Nie mehr. Sein Freund, der Einzige, der sich je so ge-

nannt hatte, hatte sich für ihn geopfert.

* Dem heftigen Erzittern des Bodens nach zu

urteilen, hatte es sich um eine heftige Explo-sion gehandelt. Es war allerdings das Letzte, was mich momentan interessierte. Sollten sich die verdammten Facettenaugen doch gegen-seitig umbringen, wenn sie das wollten. – Oder war der unberechenbare Hauptrechner im Spiel? Hatte er sich jetzt endgültig für eine Seite entschieden, nämlich für uns, und fegte den Stützpunkt aus?

Mir sollte das recht sein, obwohl mich auch das nicht so berührte, wie es das wahrschein-lich hätte tun sollen. Mich berührte nichts mehr, solange Kythara wie tot dalag – nein, viel schlimmer als tot. Hilflos, von innen ver-brannt, ein Wrack, das vielleicht besser nie wieder zu sich kommen würde.

Ich wusste, dass ich nicht so hätte denken dürfen. Doch wenn Kythara nicht wieder zu einem Menschen wurde, den man als solchen bezeichnen konnte, dann – wofür kämpfte ich überhaupt noch? Alles erschien mir so fern. Ich war so von maßloser Wut erfüllt, dass nicht einmal der Extrasinn sich meldete und mir die Meinung sagte.

Ich hätte es verdient gehabt. Aber es gab in diesen Minuten nur sie für mich. Ich konnte an nichts anderes denken als an sie und das, was ich mit ihr verlieren würde – ohne dass ich es je gehabt hatte.

Mir wurde zum ersten Mal wirklich be-wusst, was diese Frau mir derzeit bedeutete. Es gab nichts außer ihr; nichts von Bedeu-tung, bis vielleicht auf ...

Ich blieb vor dem Sockel stehen, der mir nicht ganz bis zur Brust reichte. Es war toten-still wie bei einem Begräbnis. Keine Explosi-

onen mehr, keine fernen Schüsse, überhaupt kein Laut. In dieser schrecklichen Stille und dem gedämpften Licht wirkte das Objekt auf dem Sockel, angestrahlt von intensivem blau-em Licht, auf mich wie ein Etwas aus einer anderen Welt. Vielleicht ein Heiligtum, um-geben vom schwachen Schein der leicht flimmernden Energieglocke.

Es war ein pechschwarzer, völlig glatter Würfel von knapp zwanzig Zentimetern Län-ge, der auf den ersten Blick nichts Besonderes darstellte. Und doch ging von ihm eine mag-netische, magische Anziehungskraft aus. Ich hob unwillkürlich die Hand und streckte sie vorsichtig aus, bis sie fast die Energieglocke berührte.

Erst dann hielt ich inne. Ich war plötzlich viel ruhiger. Was war so besonders an diesem Würfel, denn dass er es war, der in diesem Saal, in einer ganzen Sektion des Stützpunkts behütet wurde, daran hatte ich keinen Augen-blick lang einen Zweifel. Ich verharrte in die-ser Stellung und drehte lediglich den Ober-körper und den Kopf, um zu sehen, ob Kytha-ra sich vielleicht aufgerichtet hatte und mir einen Wink gab – irgendetwas, das mir bestä-tigte, dass ich mich nicht doch irrte. Sie hatte mich doch angesehen?! Es war doch eine stumme Aufforderung gewesen?

Wusste das, was von ihr vielleicht noch üb-rig war, was ich hier vor mir hatte? War es ihr wichtig? Ich konnte immer noch nicht glau-ben, dass sie überhaupt etwas von dem wahr-zunehmen fähig war, was um sie herum vor-ging, aber ich klammerte mich daran, wie ein Ertrinkender nach dem rettenden Strohhalm greift. Und wenn es für sie wichtig war, dann war es das auch für mich.

Sie hatte sich nicht gerührt. Ich bildete mir etwas ein. Aber ich war mir nicht sicher!

Tu es!, wisperte der Extrasinn. Nur das. Ich nickte und drehte mich langsam wieder

zurück. Ich sah, wie meine rechte Hand sich der Energieglocke näherte, als würde sie von einem fremden Willen gesteuert. Nur Zenti-meter trennten sie noch von dem Flimmern. Ich erwartete, einen brennenden Schmerz zu fühlen, einen energetischen Schlag zu be-kommen – was weiß ich alles!

Aber nichts dergleichen geschah. Meine Finger drangen in die Glocke ein! Sie drangen

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hindurch und waren plötzlich in das blaue Licht getaucht.

Sie näherten sich dem Würfel. Sie berühr-ten ihn! Und nichts geschah. Mich traf nicht der Schlag, kein Blitz fuhr aus der Decke und verbrannte mich zu Asche. Ich war nicht be-rechtigt. Ich war nicht einmal ein Vargane. Wenn wirklich das Stationsgehirn mir den Weg hierher geöffnet hatte – was trieb es an? Welche Beweggründe hatte es?

Du denkst schon wieder zu viel! Nimm ihn! Ich zögerte. Tu es für Kythara! Im nächsten Moment hatte ich den Würfel.

Er passte gerade noch zwischen die weit ge-spreizten Finger und den Daumen der einen Hand, die ich bewegen konnte. Ganz vorsich-tig hob ich ihn von dem Sockel und zog ihn unter der Energieglocke hervor.

Im nächsten Moment erlosch das blaue Licht, dann auch die Glocke.

Man muss also nur an dein Gefühl appel-lieren, und schon hörst du wieder zu.

Ich starrte auf das schwarze Ding in meiner Hand und stellte erstaunt fest, dass es offen-bar kein Gewicht hatte. Was war das?

Ich hielt den schwarzen Würfel vor meiner Brust und drehte mich damit vorsichtig um. Trotzdem hätte ich ihn um ein Haar fallen lassen, als ich sah, dass Kythara sich aufge-richtet hatte – nur halb, sie hatte den Ober-körper erhoben und stützte sich auf beide El-lenbögen.

Sie sah mich an. Ich hätte in diesem Mo-ment einen Freudenschrei ausstoßen können, doch ich beherrschte mich. Und ich tat gut daran, auf die warnende Stimme meiner Zweifel zu hören.

Sie sah mich an, und ich glaubte in ihrem Blick so etwas wie Verstehen zu erkennen. Ihre Lippen bewegten sich schwach, als ob sie etwas unbedingt sagen müsste. Aber sie konn-te es nicht.

Ohne einen Laut sank sie wieder auf die Tischplatte zurück und lag da wie vorher.

*

Ich saß vor ihr und hielt ihre Hand – ich

weiß, nicht, wie lange schon. Es musste min-destens eine Stunde gewesen sein, eher zwei,

denn die Lähmung in meinem linken Arm war mittlerweile abgeklungen. Ich konnte die Hand wieder bewegen.

Varg 1 und Varg 2 wachten neben mir. Sie waren vom immer noch offen stehenden Ein-gang des Saals zum Tisch gekommen, auf dem Kythara nach wie vor starr lag. Konnten Roboter trauern? Manche schon, manche Ro-bots waren nicht erst seit heute fast menschli-cher als »richtige« Menschen, aber bei diesen beiden hatte ich keine Ahnung. Es sah so aus. Sie hatten vielleicht echte Gefühle, ebenso wie eigenes Urteilsvermögen, das ihnen zum Beispiel gesagt hatte, dass am Eingang keine Gefahr drohte.

Ich wusste nicht, was hier geschah, aber so schien es wirklich zu sein. Jemand – wer sonst als der »schizophrene« Stationsrechner? – schien seine schützende Hand über uns und alles von uns fern zu halten, was stören oder uns gefährlich sein könnte. Ich stellte mir ei-nen Stützpunkt voller tobender Insektoider vor, die in hilfloser Wut gegen Energiewände anrannten, die der Rechner um diese ganze Sektion errichtet hatte, und ich war sogar schon bereit zu glauben, dass er uns den Weg aus der Station heraus in die Freiheit ebnen würde.

Ganz falsch konnte ich damit nicht liegen, denn der Extrasinn erhob keine Einwände.

Ich war ruhiger geworden. Der schwarze Würfel lag neben Kythara auf dem Tisch, während wir warteten. Die Hand der Varganin war immer noch eisig kalt. Nur gelegentlich hatte sie leicht gezuckt, neben den schwachen Atemzügen, dem kaum wahrnehmbaren He-ben und Senken ihrer Brust das einzige Zei-chen dafür, dass Leben in ihr war. Kytharas Augen waren geschlossen. Manchmal blinzel-ten ihre Lider, bewegten sich ihre vollen, blut-leeren Lippen. Jedes Mal fuhr ich zusammen und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Aber sie brachte keinen Laut hervor. Sie schien der Welt nichts mehr zu sagen zu haben.

Der Würfel ... In der Zwischenzeit hatte ich ihn mit den

Instrumenten meines Anzugorters weiter un-tersucht. Dies hauptsächlich deshalb, um mich von dem grausamen Anblick der Varganin abzulenken. Viel schlauer war ich dadurch nicht geworden. Seine Kantenlänge betrug

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exakt 18,2 Zentimeter, aber alle anderen An-gaben lauteten null.

Denn die Instrumente konnten rein gar nichts feststellen. Für sie schien der Würfel nicht zu existieren. Das Material, aus dem er bestand, ließ sich nicht identifizieren, es wur-de kein Gewicht gemessen, und eine Energie-signatur war nicht vorhanden.

Am erstaunlichsten aber war der Versuch gewesen, sein Alter zu bestimmen. Die An-zeigen hatten total verrückt gespielt. Einmal hatten sie Werte von mindestens fünf Millio-nen Jahren angegeben und dann wieder von null.

Das Einzige, was ich selbst hatte feststellen können, war, dass der Würfel, der sich norma-lerweise kalt anfühlte, sich jedes Mal, wenn ich ihn berührte, etwas aufheizte. Als ich ihn von seinem Sockel genommen hatte, hatte ich es noch gar nicht bemerkt – wahrscheinlich, weil viel zu viel auf einmal auf mich einge-strömt war. Aber es wiederholte sich jedes Mal, wenn ich die Probe aufs Exempel mach-te und ihn in die Hände nahm. Der schwarze Würfel wog nichts und erwärmte sich zwi-schen meinen Fingern.

Die Minuten vergingen. Ich wartete. Die beiden Roboter schwiegen, aber sie gaben mir das Gefühl, nicht allein zu sein bei dieser ... Totenwache!

Doch dann, ich kümmerte mich nicht mehr um die Zeit, begann sie sich zu bewegen.

Zuerst zuckten wieder die Finger. Dann spürte ich, wie sich ihre Hand, vorsichtig tas-tend, um meine schloss. Ich starrte darauf, von wilder Hoffnung und immer noch Un-glauben erfüllt, von der Angst, doch nur wie-der eine furchtbare Enttäuschung zu erleben, und als ich den Blick wieder hob, sah ich in ihr Gesicht, in ihre offenen Augen, die mich anblickten!

In denen Leben war! Ich stand auf. Varg 1 und Varg 2 machten

schwebend die Bewegung mit. Ich beugte mich über Kythara und flüsterte ihren Namen.

Ich hatte das Gefühl, vor Freude zerplatzen zu müssen, als sie mir antwortete – leise noch, nur ein Flüstern, aber sie sprach! Sie sprach langsam und stockend, aber deutlich. Zuerst war es nur mein Name. Dann brachte sie im-mer weitere Worte hervor, ganze Sätze; es

war, als explodiere auf einen Schlag all das nun aus ihr heraus, was bisher in ihr gefangen gewesen war. Ihre Lider blinzelten. Sie sprach, sprach, bis ich ihr sachte den Zeige-finger auf den Mund legte.

Sie sah mich an. Ich versank fast in diesem Blick und begriff endgültig, dass das Leben in sie zurückgekehrt war. Ich hätte weinen, schreien und lachen können vor unbändiger Freude und grenzenloser Erleichterung – und tat etwas, an das ich vor Kytharas Gefangen-nahme und den Stunden der Angst nicht ein-mal im Traum gedacht hätte.

Gefühle können dich zu Dummheiten verlei-ten!, mahnte der Extrasinn, der ewige Bes-serwisser, aber das focht mich in diesen Se-kunden nicht an.

Ich nahm den Finger von Kytharas Lippen, beugte mich tiefer hinab und fand einen bes-seren Weg, ihr den Mund zu verschließen.

10.

15. Mai 1225 NGZ Wir waren an der Oberfläche. Es kam mir

immer noch vor wie ein Traum, aber es war keiner. Wir standen auf der Oberfläche von Maran'Thor und sahen in das Licht des neuen Tages. Für uns war es ein neuer Tag, obwohl die drei Sonnen des Mar-Systems schon hoch am Himmel standen. Für Kythara war es wahrscheinlich sogar ein neues Leben.

Wir standen nebeneinander auf einer Hü-gelkuppe, und ich hörte ihre Stimme. Ich konnte mich nicht daran satt hören. Von mir aus hätte sie noch stundenlang reden können. Es war der herrlichste Klang, den ich mir vor-stellen konnte.

Sie zeigte zum Himmel und erklärte, dass es sich bei Mar um ein Dreifachsonnensystem handelte, mit dem Weißen Riesen Zordash als Hauptkomponente, der K-Sonne Mar, die ihn umkreiste, und dem Weißen Zwerg Kanyak, der den Riesenstern und Mar in fast 13 Milli-arden Kilometern Entfernung umlief.

Ich hatte sie das erste Stück in dem Stütz-punkt getragen. Dann waren wir mit den Flugaggregaten die Schächte emporgestiegen. Wir brauchten uns nicht mehr zu verstecken, keine Ortung zu fürchten. Der Stationsrechner hielt die Insektoiden durch Energiebarrieren

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und blockierte Schotten von uns fern. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie verrückt vor Zorn und Verzweiflung die Krieger des »Schwerts der Ordnung« gegen die Barrieren angerannt waren und wie sie versucht hatten, den Rechner wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

Sie hatten keine Chance. Sie mussten uns ziehen lassen.

Als wir aus dem Stützpunkt und dem Alb-traum heraus waren, war Kythara so weit ge-wesen, dass sie allein stehen und gehen konn-te. Ihre Augen hatten den Glanz eines neuge-borenen Kindes gehabt, das zum ersten Mal die Welt erblickte. Sie sprach kein Wort über das, was sie durchgemacht hatte, und ich hör-te irgendwann auf, es mir vorstellen zu wol-len. Ich wusste, ich würde es nie können.

Dann waren wir den Hügel hinaufgeflogen. Der Himmel war womöglich noch fantasti-scher als des Nachts. Die drei Feuerringe wa-ren unverändert zu sehen, und auch im Licht der drei momentan fast in einer Linie stehen-den Sonnen waren die drei Gebilde zu erken-nen, die die Varganin als »Arsenalstationen« bezeichnete. Damit bestätigte sie meine Ver-mutung, dass es sich um riesige künstliche Objekte handelte. Mehr dazu hatte sie noch nicht verraten, aber ich fragte nicht nach, ließ sie einfach reden, wonach ihr gerade war.

Waren die drei Stationen vielleicht gar nicht varganischer Herkunft, so wie der schwarze Würfel?

Ich hatte ihn mitgenommen, das Rechenge-hirn hatte ganz offenbar keine Einwände da-gegen gehabt. Jedenfalls hatte es nicht ver-sucht, mich zu hindern. Ich hatte ihn Kythara aber erst gezeigt, als wir »oben« waren. Wenn ich gehofft hatte, dass er ihr etwas sagte, dann wurde ich enttäuscht. Sie hatte ihn noch nie gesehen, war aber doch sicher, dass es kein Erzeugnis varganischer Technologie sei.

Ich wollte, einem plötzlichen Gefühl fol-gend, den Arm um sie legen. Sie lächelte mich an, wich aber aus.

»Es ist besser, wenn wir uns ein Versteck suchen«, sagte sie. »Wir dürfen nicht damit rechnen, dass das Stationsgehirn uns die In-sektoiden auf Dauer vom Hals halten kann – oder will. Eigentlich wundere ich mich dar-über, dass sie noch nicht aufgetaucht sind.«

»Du meinst, nachdem der Rechner unsere Flucht gestattet hatte, sei die Sache für ihn erledigt gewesen?«, fragte ich.

»Wir sollten besser davon ausgehen, dass er ... seine Meinung wieder ändert.«

Die Art und Weise, wie sie zögerte und ihre Worte betonte, verriet, dass sie aus der »Handlungsweise« des Rechners ebenso we-nig schlau wurde wie ich.

»Er ist von den Insektoiden umprogram-miert worden«, hatte sie gesagt. »Sie haben ihn dazu gezwungen, seine alte Programmie-rung zu vergessen und ihre Befehle zu befol-gen. Ein Jahr lang hat das wohl auch ge-klappt. Aber dann kamen wir. Dann kam ich, eine Varganin, einer seiner Erbauer, und habe versucht, ihm meine Befehlsgewalt aufzu-zwingen.«

»Ein Jahr lang?«, hatte ich überrascht ge-fragt.

»So lange sind die Insektoiden hier«, hatte sie geantwortet. Es war das einzige Mal ge-wesen, dass sie über ihre Folter sprach. »Das ist eine der Informationen, die ich während des Verhörs aus den Worten des Erzherzogs erfuhr. Er war sich seiner Sache so sicher, dass er diese und einige andere Dinge er-wähnte – einige direkt, andere zwischen den Zeilen.«

Ich hatte gefragt, welche anderen Dinge das denn noch seien, aber sie hatte wieder ge-schwiegen. Ich würde sie deswegen auch nicht mehr von neuem quälen. Wenn die Zeit gekommen war, es mir zu sagen, dann würde sie es tun.

Wenn es aber wirklich wichtig für unseren Kampf gegen das »Schwert der Ordnung« gewesen wäre, dann hätte sie es jetzt getan.

Sie zeigte zu einem der schroffen Felsen-berge hinüber, dorthin, wo die dunklen Lö-cher klafften, die ich schon in der Nacht für Höhleneingänge gehalten hatte.

»Dort versuchen wir es«, sagte sie und warf ihre goldene Mähne in den Nacken zurück. »Wir werden Kriegsrat halten müssen. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal so in die Station hineinspazieren können, wie wir he-rausgekommen sind. Der Transmitter als Transportmittel scheidet also mit ziemlicher Sicherheit für uns aus. Wir müssen uns einen anderen Weg überlegen, um von Maran'Thor

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fortzukommen.«

Ich nickte und brachte ein Lächeln zu Stan-de. Wieder wollte ich sie berühren, und wie-der wich sie meiner Hand aus.

Du begreifst es immer noch nicht, wie? Weder sie – noch dich. Dich am allerwenigs-ten, stellte der Extrasinn mit einem Hauch Befriedigung in der Stimme fest. Versuch doch wenigstens einmal wieder, wie das so ist mit dem logischen Denken, ja?

»Sei mir bitte nicht böse, Atlan«, sagte sie mit leiser Stimme und ohne mich direkt anzu-blicken. »Ich bin dir dankbar für alles, was du für mich getan hast. Ich werde dir diesen Dank wahrscheinlich niemals ganz abstatten können. Ich bin dir dankbar – aber das ist auch alles.«

»Ich ... dachte, es wäre das, was du woll-test«, sagte ich und kam mir vor wie ein Ka-dett im ersten Ausbildungsmonat – und das tat gerade angesichts meiner beträchtlichen Er-fahrung ziemlich weh. Aber ich verstand.

Gib's zu: Du bist erleichtert! Merkwürdigerweise hatte meine mentale

Nervensäge damit sogar Recht. Zumindest teilweise.

»Können wir?«, fragte sie. Ihre Stimme klang belegt.

»Warte.« Jetzt drehte sie den Kopf doch, schüttelte

ihn und sah in meine Augen. »Atlan, ich habe doch ...«

»Ich weiß. Menschen verhalten sich merk-würdig in Grenzsituationen. Nehmen wir es so, wie es ist, und legen es ad acta, wie die Terraner sagen.« Immer noch lächelte ich, und ich hoffte, dass es auch immer noch echt aussah. »Aber bevor wir losstürmen, habe ich noch etwas für dich.«

»Wir sind Freunde und einander nichts schuldig, Atlan.« Sie hob in einer hilflosen Geste die Schultern und produzierte ein tro-ckenes Lachen. »Ich dachte, das wäre klar geworden?!«

»Aber ich habe noch etwas, das dir gehört.« Damit holte ich ihren Strahler aus meinem

Gürtel und reichte ihn ihr. Den anderen hatte sie bereits von Varg 1 bekommen, als sie wieder selbst gehen konnte. Der Roboter hatte ihn bei Erzherzog Garbhunar aufgelesen, be-vor wir aus dem Verhörraum flohen.

Sie nickte verlegen, nahm die Waffe an sich und legte sie an ihren Oberschenkel in die Verankerung. Wir waren endgültig wieder komplett – und hatten sogar noch etwas aus Mara-IV mitgebracht, dessen Bedeutung und Wert sich uns erst noch würden offenbaren müssen. Ich hoffte es jedenfalls. Wenn er von den alten Varganen in einer speziell gesicher-ten Sektion ihres Stützpunkt aufbewahrt wor-den war, musste er einen Wert, einen Zweck haben.

»Und jetzt ab durch die Mitte«, sagte ich und aktivierte mein Flugaggregat.

»Atlan, ich ...«, sagte Kythara. »Du brauchst nichts mehr zu sagen«, ant-

wortete ich, bevor sie aussprechen konnte. »Wir sind uns nichts schuldig, nicht wahr? Und niemand braucht sich mehr Vorwürfe zu machen. Und jetzt komm, bevor die Wespen auftauchen und über den Hügeln ausschwär-men.«

Sie nickte, diesmal sichtlich erleichtert. Dann waren wir in der Luft.

* Du denkst zu viel, hatte mein schlauer Ext-

rasinn mir schon zweimal auf Maran'Thor vorgehalten. Jetzt war daraus geworden: Du redest zu viel.

Der Flug zu den Höhlen war nur kurz ge-wesen, aber ich hatte die Zeit gehabt, um mit meinen Gefühlen ins Reine zu kommen. Ich war enttäuscht – wer wäre das an meiner Stel-le nicht gewesen? Aber ich war auch ein Narr gewesen zu glauben, dass dieser eine Kuss in dem Bibliothekssaal mehr gewesen sein kön-ne als der Ausbruch von Glück, Erleichte-rung, Dankbarkeit, weil jemand, mit dem mich inzwischen nicht nur ein gemeinsamer Kampf verband, sondern auch Kameradschaft und eine Menge Erfahrung, wider alles Er-warten stark genug war, den fast schon siche-ren Tod zu besiegen und ins Leben zurückzu-kehren.

Und doch war da irgendwo tief in mir die Hoffnung, dass dies nicht für immer so sein müsse. Ich wollte sie nicht ganz aufgeben, aber sie belastete mich nicht mehr.

Als wir im Eingang der Höhle standen, hat-ten wir den Kopf frei für das, was jetzt wirk-

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lich zählte. Vier andere Höhlen hatten wir untersucht und für ungeeignet befunden.

Diese gefiel uns besser. Der Eingang war noch einigermaßen hell vom einfallenden Tageslicht, aber je weiter wir eindrangen, desto dunkler wurde es, bis wir schließlich wieder die Helmscheinwerfer aktivieren mussten. Auf breite Streuung gestellt, gaben sie uns genug Licht, um zu erkennen, wo wir waren.

Und das war schier unglaublich. Der Eingang war nicht viel mehr als zwei

Meter breit gewesen, drei Meter hoch und zwischen zwei vorstehenden Felsen versteckt. Varg 2 hielt dort Wache und würde uns über alles unterrichten, was er eventuell sah oder ortete. Wir konnten uns auf ihn verlassen und uns ganz dem Zauber hingeben, der sich uns präsentierte.

Varg 1 befand sich draußen und sollte aus größerer Höhe orten. Für Kythara schienen vor allem die so genannten Arsenalstationen wichtig zu sein. Ein Indiz dafür, dass sie sie von früher her kannte?

Wir waren etwa zwanzig Meter in die Höh-le eingedrungen, die sich zügig und beachtlich erweitert hatte, und es war, als hätten wir eine andere Welt betreten. Wir standen nebenein-ander und warteten jeder darauf, dass der an-dere zuerst etwas sagte.

»Das ist ... wie im Märchen«, brach die Varganin endlich den Bann. Kurz fragte ich mich, woher sie Märchen kannte, aber fest stand: Immerhin hätte ich es nicht besser aus-drücken können.

Die Höhle glitzerte wie die Grotte der Erd-geister aus »Aladin und die Wunderlampe«, ein einziges schimmerndes Juwel. Von der Decke hingen Stalaktiten herab, aus dem Bo-den »wuchsen« ihnen meterhohe Stalagmiten entgegen. Und überall zwischen ihnen funkel-te es. Wo der Schein unserer Lampen die Wände bestrich, sprang uns der überirdisch schöne Glanz der Edelsteine entgegen.

»Eine Tropfsteinhöhle«, stellte ich fest. »Aber hier in den Bergen? Normalerweise dürfte das gar nicht sein. Solche Höhlen ent-stehen unter Wasser.«

»Wer weiß, wie alt sie ist«, meinte Kythara. »Sie kann entstanden sein, als es diese Berge noch gar nicht gab; vor Jahrmillionen, bevor

sich das Gebirge beim Zusammenstoß von tektonischen Platten auftürmte.«

»So wird es sein«, pflichtete ich ihr bei. Wir betrachteten das Wunder noch einige

Minuten lang. Dann suchten wir uns zwei Stümpfe von abgebrochenen Stalagmiten als Sitze und machten es uns bequem. Kythara sah immer noch schlecht aus. Ihre Wangen waren noch eingefallen. Es war nicht nur auf die Folter zurückzuführen. Sie musste einfach Hunger haben – und ich nicht weniger.

Wir packten einige Konzentratriegel aus und schoben sie uns lustlos in den Mund. Ich hasste das Zeug, aber mein Körper brauchte die Nährstoffe. Ich hätte Kythara gern etwas anderes angeboten, ein Luxusfrühstück in einer sternfunkelnden Luxussuite.

Vielleicht später einmal. Wir warteten auf Informationen von Varg

1. Varg 2 meldete noch keine energetischen Aktivitäten an der Oberfläche. Ich war nicht traurig darüber, aber ich verstand das nicht. Was hielt die Insektoiden jetzt noch auf? Die Suchtrupps mussten längst da sein.

Kythara nutzte die Zeit, um mir Geografie-unterricht zu geben, nachdem sie sich von mir noch einmal den schwarzen Würfel hatte ge-ben lassen. Dabei stellte sich erneut heraus, dass er sich bei ihrer Berührung – im Gegen-satz zu meiner – nicht erwärmte. Es war mir ein Rätsel, und wenn es sie frustrierte, so zeigte sie es wenigstens nicht.

Also erfuhr ich noch einmal, dass wir uns auf dem Nordkontinent des Planeten, Kollar-schordek, befanden. Auf der Südhemisphäre gab es drei weitere große Landmassen: Ha-fantais, Daorgann und Japoron.

Maran'Thor war der vierte von fünf Plane-ten des Dreifachsonnensystems. Seine mittle-re Sonnenentfernung betrug rund 250 Millio-nen Kilometer. Ein Tag dauerte 30,9 Stunden. Der Durchmesser belief sich auf etwas mehr als 15.000 Kilometer. Was weiter noch von Belang war, wusste ich schon. Maran'Thor hatte einen Mond, Maran-Maran, der den Pla-neten in 451.000 Kilometern Abstand um-kreiste.

Ich speicherte die Daten in meinem Ge-dächtnis ab. Sie hauten mich nicht vom Stuhl. Ich wartete auf etwas ganz anderes. Was war nun mit diesen »Arsenalstationen«? Kythara

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sagte noch immer nichts dazu, vielleicht weil sie sich selbst nicht sicher war. Oder war es bedeutungslos? Oder zählte es zu den Ge-heimnissen der Varganen, die sie niemandem offenbarten?

Die Ortungsdaten, die Varg 1 uns funkte, brachten wenigstens einen ersten Schimmer von Licht in das Dunkel unserer Unwissen-heit. Demnach kristallisierte sich heraus, dass die Insektoiden an mehreren Stellen der Ober-fläche – den anderen Stützpunkten – sowie offenbar auch in den Arsenalstationen aktiv waren. Ich erinnerte mich an den hellen Punkt, den ich in der Nacht gesehen hatte. Ich hatte vermutet, dass es sich um ein Raum-schiff handle, das von Maran'Thor aus eine der Stationen anflog. Jetzt wusste ich, dass ich Recht gehabt hatte. Varg 1 hatte bisher fünf-zehn Raumer geortet, Schiffe in Tropfenbau-weise und bis zu 750 Meter lang, die im pla-netennahen Weltraum unterwegs waren, im Orbit kreisten oder auf Maran'Thor landeten. Wo das Landefeld lag, verriet uns unser schlauer kleiner Spion ebenfalls: nördlich des Ortes Gworndaji, also einer der »idyllischen Siedlungen«, von denen Kythara gesprochen hatte. Die andere, westlich davon gelegen, trug laut Kythara den Namen Gwalchmay. Ursprünglich hatte sie dort Deckung suchen wollen, bevor sie die Höhlen sah.

Varg 1 konnte beobachten, dass von dem Landefeld immer wieder Beiboote bezie-hungsweise Zubringerfähren starteten und die Arsenalstationen ansteuerten. Andere legten von diesen ab und kehrten nach Maran'Thor zurück.

Es schien sich also »zwischen Himmel und Erde« weit mehr zu tun, als ich bisher ange-nommen hatte, und Kythara machte plötzlich einen überaus aufmerksamen und – endlich wieder – tatkräftigen Eindruck. Ihr Blick ver-riet mir, was sie dachte. Ich wartete dennoch ab, bis sie von sich aus sagte:

»Wir können hier nicht stunden- oder gar tagelang sitzen bleiben und abwarten, Atlan. Das ist keine Lösung unserer Probleme. Wenn wir uns einer der Fähren bemächtigen und bedienen könnten ...«

Sie ließ den Rest unausgesprochen, aber ich wusste auch so, worauf sie hinauswollte. Ich nickte langsam und sagte:

»Es müsste zu schaffen sein. Du hast das Stationsgehirn mit deinem Identifikationssig-nal zwar nicht sofort auf unsere Seite ge-bracht, sondern in gehörige Verwirrung ge-stürzt, aber am Ende hat es uns doch gehol-fen. Du wirst auch eine der Fähren steuern können. Allerdings werden wir nicht einfach zum Landefeld fliegen und uns nehmen kön-nen, was wir wollen. Die Insektoiden dort werden gewarnt sein. Wir müssen uns zumin-dest einige wirkungsvolle Ablenkungsmanö-ver einfallen lassen, um ...«

In diesem Moment gab Varg 2 Alarm. An der Oberfläche, über Mara-IV, waren die ers-ten Insektoiden aufgetaucht, Suchtrupps von mehr als hundert Kriegern. Und es wurden schnell mehr.

Wir beorderten Varg 1 unverzüglich zu-rück. Er hatte die Gegner natürlich auch geor-tet und war schon auf dem Weg. Kythara und ich desaktivierten alles, was verräterische Emissionen aussenden konnte.

Die Jagd auf uns, so schien es, war eröffnet. Es hatte, unverständlicherweise, lange gedau-ert, aber nun war es so weit.

»Es sieht ganz so aus«, sagte ich zu Kytha-ra, »als sollten wir noch viel Zeit haben, um hier Pläne zu schmieden.«

Sie stieß eine Verwünschung aus und nick-te grimmig.

Innerlich musste ich schmunzeln. Dass die Insektenkrieger ihre Apathie abschütteln wür-den, war zu erwarten gewesen. Dass sie es uns damit nicht leichter machten, ebenfalls. Aber eins erschien mir noch wichtiger:

Kythara war endgültig wieder die Alte.

Epilog Erzherzog Garbhunar verfolgte mit äußers-

tem Widerstreben, wie General Torghunar in der Zentrale seinen Offizieren Anweisungen gab. Beide würdigten sich gegenseitig keines Blickes. Jeder wusste, was er von dem ande-ren zu halten hatte. Torghunar wusste also auch, dass der Erzherzog weiterhin auf eine neue Gelegenheit wartete, um ihn erneut kalt-zustellen – und dann für immer.

Garbhunar war gar nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu rehabilitieren und wieder als Befehlshaber des Stützpunkts einzusetzen.

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Zu viele Augen hatten gesehen, wie er die Bombe genommen hatte und damit aus dem Verhörraum gehumpelt war. Was dann genau geschehen war, lag immer noch im Dunkeln. Die Bombe war explodiert, außerhalb der Kuppelstadt in einem Bereich, wo sie nicht den erwarteten Schaden anrichten konnte. Tukhor-147 war dabei gestorben, Torghunar nicht. Aber auf alle Fragen schwieg der Gene-ral beharrlich. Garbhunar würde wahrschein-lich nie erfahren, was in der Station gesche-hen war, während er noch paralysiert im Ver-hörraum gelegen hatte.

Aber Tatsache war, dass Torghunar ihm das Leben gerettet hatte. Wenn er die Bombe nicht schnell fortgebracht hätte, hätte sie ihn und die anderen Gelähmten zerfetzt. Diese Tatsache und der Umstand, dass Torghunar immer noch die Sympathien des überwiegen-den Teils der Offiziere und Soldaten besaß, hatten dem Erzherzog keine Wahl gelassen.

Aber es würde nicht für ewig sein ... Der Erzherzog verscheuchte diese Gedan-

ken und wandte sich anderen Dingen zu, die ihn beschäftigten und für die Station und den ganzen Planeten wichtiger waren. Die beiden Varganen und ihre Roboter waren entkommen – und zwar nur mit und durch die Hilfe des Stationsrechners! Er war mittlerweile wieder unter Kontrolle und gehorchte den Befehlen der neuen Herren. Garbhunar traute ihm trotzdem noch nicht. Die Erklärungsversuche der Wissenschaftler unter Gorgh-12 klangen einleuchtend. Das Rechengehirn hatte sich in einem Zwiespalt zwischen der Programmie-rung, die es von den Truppen des »Schwerts der Ordnung« erhalten hatte, und der Loyali-tät zu der Varganin verzettelt. Es hatte falsch und unberechenbar reagiert, bis es sich am Ende endgültig für die Varganen entschieden hatte – eine Ungeheuerlichkeit, für die Garb-hunar nicht gezögert hätte, tausend Offiziere hinrichten zu lassen, hätten sie diesen Verrat begangen.

Erst nach der nur durch ihn ermöglichten Flucht der Varganen hatte der Rechner aber-mals die Seiten gewechselt und befolgte jetzt widerspruchslos und scheinbar zuverlässig alle Befehle, die er erhielt.

Inzwischen waren Suchtrupps an der Ober-fläche und kämmten das Gelände nach den

Varganen ab – bisher leider ohne jeden Er-folg.

Der Erzherzog hatte versucht, sich in die Flüchtlinge hineinzuversetzen. Er an ihrer Stelle würde versuchen, zum Landefeld zu gelangen. Also herrschte nun auch dort erhöh-te Alarmbereitschaft.

Das »erhabene Projekt« der Lordrichter durfte nicht in Gefahr geraten, unter gar kei-nen Umständen! Garbhunar dachte mit Grau-sen daran, dass es bald wieder Zeit war, ihnen Bericht zu erstatten. Er wagte gar nicht daran zu denken, dass sie möglicherweise über ihm unbekannte Kanäle von den Geschehnissen auf Maran'Thor bereits informiert sein könn-ten. Sie wussten, dass die Varganen hierher geflohen waren! Bei dem Gedanken an die Fragen, die sie ihm stellen würden, zuckten seine Fühler.

Aber es gibt auch Positives zu berichten!, dachte er.

Leider hatten sich die sechs über Ma-ran'Thor verteilten Stützpunkte – sofern sie nicht wie Mara-I und Mara-V ohnehin zer-stört vorgefunden worden waren – als harte Kokons erwiesen. Ein wirkliches Eindringen war bisher nur in Mara-IV möglich gewesen.

Aber in die drei gewaltigen Arsenalstatio-nen hatten die Krieger des »Schwerts der Ordnung« vordringen können! Zwar waren die fünfzehn Kilometer durchmessenden Ge-bilde erst zu einem Bruchteil erforscht oder auch nur gesichtet worden, aber die dortigen Rechner bereiteten wenigstens keine Proble-me mehr.

Jedenfalls bisher nicht!, dachte der Erzher-zog bitter. Sollte es wider alle Erwartung den Varganen mit entsprechender Berechtigung gelingen, in sie hineinzugelangen, dann konn-te sich das vielleicht schnell wieder ändern. Nach den Ereignissen in Mara-IV musste auch dort mit allem gerechnet werden!

Doch vielleicht sah er zu schwarz. Tatsache war, dass es sogar schon gelungen war, die Hypertraktorröhren zu aktivieren, mit denen Hyperkristalle aus den Feuerringen gesaugt und in einem aufwändigen Prozess an Bord nachbehandelt werden konnten. Das Ergebnis war ein feiner, rötlich glitzernder Staub aus millimeterkleinen Körnchen, deren hyper-energetische Emissionen genau auf jene der

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ATLAN Die Lordrichter 6 – Kampf um Maran´Thor

Psi-Quelle abgestimmt waren; der Kris-tallstaub wurde dringend benötigt, um die Psi-Quelle selbst, mehr noch aber ihre kleinen Ableger zu stabilisieren und in weiteren Schritten dazu zu veranlassen, die gewünsch-ten Emissionen zu liefern. Bislang hatten rund zwei Kubikmeter Kristallstaub gewonnen werden können, doch es wurde eine vielfache Menge benötigt.

Das also waren die positiven Nachrichten für die Lordrichter. Sie waren von äußerster Wichtigkeit für das »erhabene Projekt« und würden ihren Zorn darüber, dass den Varga-nen die Flucht gelungen war, vielleicht mil-dern. Er konnte es jedenfalls nur hoffen.

Erzherzog Garbhunar wartete noch einige Stunden in der Zentrale ab und beobachtete scharf den verhassten General. Die Krieger hatten die Spur der Varganen komplett verlo-ren und noch nicht wiedergefunden. Er krei-dete es Torghunar an. Der Krüppel war mit seiner Aufgabe vollkommen überfordert und würde bald wieder Fehler machen, vielleicht

endlich den entscheidenden. Dann nützten ihm auch alle Sympathien der Besatzung nichts mehr.

Garbhunar zog sich in die Kuppelstadt zu-rück, wo er die ehemalige Wohnstatt des Ge-nerals bezogen hatte – eine mit viel Luxus ausgestattete Suite.

Es ließ sich nicht vermeiden, dass er auf dem Weg dorthin an der Tür des Verhörraums vorbeikam.

Sie war geschlossen. Trotzdem überlief ihn ein Schauder, nicht nur wegen der 23 Toten, die der Kampf gegen die Varganen gekostet hatte.

Er hoffte inständig, dass er niemals auf die-sem Stuhl sitzen musste, und mit einem Schauder, der so gar nicht seinem Naturell entsprach, empfing er eine Ahnung, dass die-ser Stuhl sowieso viel zu klein für seine Schuld wäre ...

ENDE

Die Suche nach Atlan und Kythara läuft auf Hochtouren. Die Angst des Erzherzogs, das »erhabene Projekt« der Lordrichter könnte scheitern, veranlasst ihn, mit allen Mitteln ge-

gen den Unsterblichen und die Varganin vorzugehen.

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DER ZORN DES ERZHERZOGS von Christian Montillon

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2005, eine Lizenzaus-gabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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