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1 Kapitel 6 Grundtypen organisch- chemischer Reaktionen

Kapitel 6 - Universität Münster · • Es bildet sich ein Carbokation (Carbenium-Ion). • Anschließend erfolgt Angriff des Nucleophils • Die Reaktion ist also zweistufig! Es

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1

Kapitel 6

Grundtypen organisch-

chemischer Reaktionen

2

Arten von organisch- chemischen Reaktionen

Reaktion Reaktionstyp Reaktions-

geschehen

A + B-C → A-B + C Substitution Ersatz eines

Teils des Moleküls

durch ein anderes

Teilchen

A + B-C → A-B-C Addition aus zwei oder mehr

Teilchen entsteht ein

Molekül

A-B-C → A-B + C Eliminierung von einem Molekül

werden ein oder

mehrere Teilchen

abgespalten

A → B Umlagerung Umwandlung in ein

isomeres Molekül

3

Teilchen, die an Reaktionen teilnehmen

• Nucleophile

„kernliebende“ Teilchen,

selbst elektronenreich (negativ polarisiert, oft mit negativer Ladung);

reagieren mit elektronenarmen Teilchen

• Elektrophile

„elektronenliebende“ Teilchen,

selbst elektronenarm (positiv polarisiert, oft mit positiver Ladung);

reagieren mit elektronenreichen Teilchen

• Radikale

Teilchen mit ungepaarten Elektronen (meist 1 e-);

reagieren mit anderen Radikalen oder mit anderen Teilchen

(können polar oder unpolar sein)

4

Beispiele für Reaktionsteilnehmer

• Nucleophil (allg. Nu oder Nu-):

elektronenreich, besitzt freies Elektronenpaar (= Lewis-Base),

kann geladen oder neutral sein.

OH-, Alkoholate RO-, ROH, H2O, NH3, RNH2, RSH, RS-, X-

(Halogenid), Cyanid CN-, Azid N3- , Carbanionen (formal R-)

HO O

NH2

OH

Br N C

Ethanolat

5

Beispiele für Reaktionsteilnehmer

Elektrophil (allg. E oder E+):

elektronenarm, besitzt Elektronenlücke (= Lewis-Säure),

neutral oder positiv geladen

H+, NO+, SO3, Halogene X2, NO2+, Alkylhalogenide R-X,

Carbokationen, Carbonylgruppen

O

+

-

Cl-

+

markiert den elektrophilsten Ort im Molekül

6

Teilchen, die an Reaktionen teilnehmen

Radikale (allg. R∙):

Teilchen mit ungepaarten Elektronen,

meist neutral, selten positiv oder negativ geladen

Alkylradikale R∙ : Sauerstoff O2, NO, Halogenatome X∙

Br O O

7

Regeln der Organische Chemie

• 1. Kohlenstoff ist NIE fünfbindig!

wegen der Oktettregel kann Kohlenstoff maximal vier Einfachbindungen

ausbilden

• 2. Elektrophil reagiert mit Nucleophil

also:

entgegen gesetzte Ladungen (oder Ladungsschwerpunkte) ziehen sich an

ein Nucleophil reagiert NICHT mit einem anderen Nucleophil

ein Elektrophil reagiert NICHT mit einem anderen Elektrophil

8

Eigenschaften organischer Reaktionen

• organische Reaktionen sind meist polare Reaktionen

• Nucleophil reagiert mit Elektrophil

• Anion reagiert mit Kation

• Partialladung + reagiert mit -

• Lewis-Base reagiert mit Lewis-Säure

Es kommt zur Verschiebung von Elektronenpaaren vom

Nucleophil auf das Elektrophil

Nu- + E+ → Nu-E

(koordinative) Bindung

9

Wo sind die Reaktionszentren in einem Molekül?

• Wichtigste Frage:

Wo sind in den reagierenden Molekülen elektrophile

(elektronenarme) und nucleophile (elektronenreiche)

Stellen?

• Feststellung dieser Orte unter Berücksichtigung der:

Polarität von Bindungen

Ladungen an bestimmten Atomen

Elektronegativität von Elementen

Nucleophile und Elektrophile: Elektrostatische Potentialkarte

10 Nucleophil Nucleophil Elektrophil

Nucleophil

H

C

HH

H

C

HH

H

• • -

Nucleophil Elektrophil

H

C

H

H +

N

HH

H

• •

H

C

H

H

© P. Y. Bruice, Pearson 2007

Substitutionsreaktionen

A + B-C → A-B + C

Edukt1 (Nu) + Edukt2 (R-X) → Produkt (R-Nu) + Abgangsgruppe

11

12

Die nucleophile Substitution (SN-Reaktion)

• Nucleophil Nu(-) (Edukt 1) verdrängt aus einem Substrat R-X

(Edukt 2) die Abgangsgruppe X

• Das angegriffene C-Atom ist elektronenarm und sp3-

hybridisiert

• Edukte: R-X und Nu(-)

• Produkte: R-Nu und X(-)

Nu(-) + R-X → R-Nu + X(-)

• Beispiel:

CH3Cl + OH- → CH3-OH + Cl- Substrat Nucleophil Produkt Abgangsgruppe

Angreifende Nu(-): Eintrittsgruppe

X(-): Abgangsgruppe:

verlässt das Molekül

13

Die nucleophile Substitution (SN-Reaktion) • Gute Substrate/Edukte R-X für die SN-Reaktion:

elektronenarmes C-Atom (Elektrophil)

X muss das Molekül leicht verlassen können (gute Abgangsgruppe)

• Häufigste Klassen von Substraten für SN-Reaktionen:

Alkylhalogenide R-X mit X = Cl, Br, I

protonierte Alkohole R-OH2+ (die Abgangsgruppe ist dann Wasser!)

aktivierte Alkohole, z.B. Sulfonsäureester R-O-S(O)2R‘

RS

R'

CH3

Nu-

H3C Nu RS

R'

• Im Organismus:

Angriff an Sulfonium-Ionen

(Abgangsgruppe Thioether)

CH3S

O

O

O

R

Tosylat (gute Abgangsgruppe)

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Br

Br

OH

N3

OH

BrHBr

NaN3

NaOH

Beispiele für SN-Reaktionen

Nucleophil: Br - Abgangsgruppe: H2O

(-OH2+

am Substrat, da

OH zunächst mit H+

aus HBr reagiert)

Nucleophil: N3

-

Abgangsgruppe: Br- (am Substrat als -Br)

Nucleophil: OH-

Abgangsgruppe: Br-

(am Substrat als -Br)

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Die nucleophile Substitution (SN-Reaktion) • Gute Nucleophile:

Anionen oder neutrale Moleküle. Nucleophilie hängt von verschiedenen

Faktoren ab: Größe, Ladung, Lösemittel.

• häufig Halogenide, O-, N- und S-Nucleophile

außerdem: CN-, NH3, N3

-, Carbanionen usw.

• O-Nucleophile: H2O, ROH (z.B. in Serin, Tyrosin und in Kohlehydraten),

oder ihre geladenen Analoga (OH-, RO

-), Carboxylate RC(=O)O

- (z.B. in

Aspartat, Glutamat)

• N-Nucleophile: RNH2 (z.B. in Lysin, Guanin etc.), Amidgruppe RCONH2

(z.B. in Asparagin, Glutamin)

• S-Nucleophile: Thiolgruppe RSH (z.B. in Cystein, Coenzym-A)

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Warum ist das Substrat polarisiert? • Situation an der C-H-Bindung

kaum Unterschied der Elektronegativität zwischen C (2,55) und H (2,20)

die Bindung ist fast unpolar und es gibt keine Partialladungen

• Situation an der R-X-Bindung

je nach X großer Unterschied der Elektronegativität zwischen C und X

(O: 3,44, Cl: 3,16, Br: 2,96)

X zieht die Elektronen zu sich herüber → die Bindung wird polarisiert und

am C befindet sich positive Partialladung

polarisierte Bindungen können heterolytisch gespalten werden

heterolytisch: die beiden Elektronen der Bindung werden nicht

gleichmäßig verteilt, sondern einem der Bindungspartner zugeschlagen, in

diesem Fall nimmt die Abgangsgruppe die Elektronen mit

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Elektronenverschiebung bei der SN-Reaktion

Nu- C X C Nu X

-

elektrophiles

sp3-C-Atom

elektronegativer

Substituent

angreifendes

Nucleophil

Abgangsgruppe

Verschiebung

von Elektronen

Bindung wird

neu geknüpft

Bindung wird

heterolytisch

gespalten

SN

18

Die SN2-Reaktion

• Bindungsbruch (Abspaltung von X) und Bindungsknüpfung (Anbindung

des Nucleophils) finden gleichzeitig (simultan) statt.

• Das Nucleophil bildet mit einem freien Elektronenpaar eine Bindung zum

entsprechenden C-Atom aus

• Wegen der Oktettregel muss gleichzeitig X aus dem Molekül

heraustreten, damit nie mehr als acht Elektronen am C vorhanden sind!

• Teilchen, die stabile Anionen X- bilden, sind gute Abgangsgruppen.

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Die SN2-Reaktion • Typisches Beispiel

• Warum wird es SN2-Reaktion genannt?

Am entscheidenden Reaktionsschritt sind beide Partner beteiligt

→ bimolekulare Reaktion (zwei beteiligte Teilchen)

Geschwindigkeit von beiden Konzentrationen (Nu- und R-X) abhängig

→ Reaktion 2. Ordnung

v = k ∙ [R-X] ∙ [Nu-]

H3C Cl H3C OH Cl-

OH-

Nu-

R-X R-Nu X-

konzertierte Reaktion

20

Mechanismus der SN2-Reaktion

• Von wo greift das Nucleophil an?

Rückseitenangriff erklärt den stereochemischen Verlauf

© Pearson Studium 2008

21

Stereochemischer Verlauf der SN2-Reaktion

• Walden-Umkehr

im Übergangszustand (ÜZ) liegen alle verbleibenden Substituenten in

einer Ebene mit dem C-Atom

im weiteren Verlauf klappen sie in die vom Nucleophil abgewandte

Richtung (Umklappen eines Regenschirms)

Resultat: Umkehr der Konfiguration !

C* Cl

Me

Et

H

SCl

-OH

- C*HO

Me

Et

HHO C Cl

Et

MeH

R

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Stereochemischer Verlauf der SN2-Reaktion

• Rückseitenangriff an cyclischen Alkylhalogeniden

• Walden-Umkehr hat nur bei chiralen und cyclischen Verbindungen eine

Bedeutung für die Konfiguration des Moleküls.

H

Br

HI-

H

H

I

Br-

trans cis

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Die SN1-Reaktion

• Bindungsbruch (Abspaltung von X) und Bindungsknüpfung (Anbindung

von Nu) finden nicht gleichzeitig statt.

• Wegen Oktettregel muss zuerst X aus dem Molekül heraustreten, damit

nie mehr als 8 Elektronen am C vorhanden sind!

• Es bildet sich ein Carbokation (Carbenium-Ion).

• Anschließend erfolgt Angriff des Nucleophils

• Die Reaktion ist also zweistufig!

Es finden also zwei Elementarreaktionen statt:

1. Bildung des Carbeniumions; 2. Angriff des Nucleophils

• Der langsamste Schritt bestimmt die Reaktionsgeschwindigkeit:

geschwindigkeitsbestimmender Schritt

• Bei SN1-Reaktion ist die Bildung des Carbenium-Ions limitierend

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Die SN1-Reaktion • Typisches Beispiel

• Warum SN1-Reaktion?

Am entscheidenden, geschwindigkeitsbestimmenden Reaktionsschritt ist nur

das Substrat R-X beteiligt → monomolekulare Reaktion (ein beteiligtes Teilchen)

Geschwindigkeit nur von Substrat-Konzentration (R-X) abhängig

→ Reaktion 1. Ordnung

v = k ∙ [R-X]

H3C C Cl

CH3

CH3 - Cl-

H3C C

CH3

CH3

H2O

langsam schnellH3C C OH2

CH3

CH3

H3C C OH

CH3

CH3

schnell

- H+

Nucleophil Carbenium-Ion Säure-Base-Reaktion

SN1-Rkt. Hydrolyse

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Die SN1-Reaktion

• Energetischer Verlauf:

© Pearson Studium 2008

26

• Struktur des Carbenium-Ions:

• gleich hohe Wahr- scheinlichkeit für Angriff von oben und unten

• Ist das gebildete Produkt chiral, bildet sich ein 1:1-Gemisch der beiden Enantiomere (Racemat)

• Bei SN1-Reaktionen entsteht also ein Racemat, wenn das Produkt chiral ist!

Stereochemischer Verlauf der SN1-Reaktion

sp2-hybridisiertes

C-Atom

leeres

pz-Orbital Angriff von oben

Angriff von unten

R3 R1 R2

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Wann SN1, wann SN2 ?

• Sterische Gründe (Wieviel Platz ist für den Angriff?):

Bei SN2 erfolgt Angriff von der Rückseite. Also muss dort Platz sein. Nur ein (max.

2 kleine) Reste am Zentrum erlaubt.

• Primäre Substrate reagieren nach SN2, stark verzweigte Substrate (z.B. tertiäre)

können nicht von der Rückseite angegriffen werden. Dort also kein SN2, sondern

SN1.

Nu-

C X

H

H

C Nu

H

H

X-

Nu-

C X

Kein Platz bei großen Substituenten,

z.B. drei CH3-Gruppen oder anderen

Alkylresten

SN2

SN2

X Alkylrest

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Wann SN1, wann SN2 ? • Stabilität der Zwischenstufe bei SN1 (Wie leicht bildet sie sich?):

SN1-Reaktion begünstigt, wenn Carbenium-Ion leicht gebildet und stabil.

Stabilität des Carbenium-Ions bei verzweigten Substraten hoch, d.h. je höher

substituiert das positiv geladene C-Atom ist (+I-Effekt).

Verzweigte Substrate reagieren nach SN1, primäre Substrate reagieren nicht

nach SN1.

Nu-

C X

H

H

C

H

H- X

-

C X C- X

- C Nu

stabilisiert

sehr instabil

keine Reaktion nach SN1

bei unverzweigten

Substraten

Alkylrest

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Vergleich SN1 und SN2

Eigenschaft SN1 SN2

Reaktionsverlauf zweistufig einstufig

langsamster Schritt monomolekular bimolekular

zeitliche Abfolge erst Bindungs- Bindungsbruch

bruch, dann und -bildung

-bildung simultan

Zwischenstufe Carbenium-ion keine

Kinetik 1. Ordnung 2. Ordnung

Stereochemie Racemisierung Inversion

Entscheidender Faktor Stabilität des Sterische Zu-

Carbenium-Ions gänglichkeit des

C-Atoms

Mögliche Substrate tertiär, sekundär Methyl-, primär,

sekundär

Eliminierungsreaktionen

A-B-C → A-B + C

30

31

Die Eliminierung

• Als Nebenreaktion bei der Substitutionsreaktion beobachtet

Bildung von Olefinen (Alkenen) aus Substraten mit Abgangsgruppe

Kann auch als Hauptreaktion genutzt werden!

BrOH

-

-Br-

OH

60% 40%

Eliminierung Substitution

Base und Nucleophil!

32

Die Eliminierung

• Allgemeiner Reaktionsablauf: Bildung eines Alkens

• Hier nur die häufigsten Fälle (Eliminierung von Halogenwasserstoffen oder

Wasser)

• Auch hier mehrere Mechanismen möglich je nach Substrat und Base (hier

kein Nucleophil nötig, da H+-Abspaltung im Vordergrund steht)

YX

X Y

HX

H X

X = Cl, Br, I oder OH

a b

33

Die E2-Eliminierung • Simultaner Bruch beider Bindungen, Elementarschritt ist bimolekular,

Reaktion 2. Ordnung

v = k ∙ [RX] ∙ [Base]

H

X

OH-

Base

H2O X-

H

X

OH-

+

-

Übergangszustand

-

-

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Die E2-Eliminierung • E2-Reaktion ist verwandt mit der SN2-Reaktion (Konkurrenz!)

• Unterschied: Angriff einer Base, die das Proton am Nachbaratom

abspaltet, kein Angriff eines Nucleophils

© Pearson Studium 2008

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SN2 und E2 als Konkurrenzreaktionen

BrH

OH-

H2O Br-

OHBr

-E2 SN2

OH-

reagiert als Base OH-

reagiert als Nucleophil

Basizität:

Fähigkeit eines Teilchens, z.B. OH-, ein Proton von einer Säure aufzunehmen

je stärker die Base, desto leichter kann sie Protonen abspalten

(thermodynamische Größe, Gleichgewicht weit auf Produktseite)

Nucleophilie: Fähigkeit eines Teilchens, ein positiv polarisiertes Atom (meist ein C)

anzugreifen. Kinetische Größe, d.h. je besser ein Nucleophil, desto

schneller ist die Reaktion.

In beiden Fällen muss ein freies Elektronenpaar vorhanden sein (Lewis-Base), daher

sind Basen in der Regel auch Nucleophile und umgekehrt!

Basen mit großen Resten sind schlechte Nucleophile (sterisch), z.B. tBuO- K+ .

Diese Basen sind für einen nucleophilen SN2-Angriff zu groß.

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Regiochemie der E2-Eliminierung

• Bei mehreren möglichen Produkten findet sich meist ein Hauptprodukt.

• Warum sind interne Alkene bevorzugt (Saytzeff-Regel)?

Die Doppelbindung ist im Molekülinneren von mehr Resten stabilisiert als

am Rand (ähnlicher Grund wie bei Stabilisierung von verzweigten

Carbeniumionen)

d.h.: Bei Eliminierungen wird bevorzugt das höher substituierte

Alken gebildet

Br

H

H

OH-

- HBr

Hauptprodukt

E-2-Penten Z-2-Penten 1-Penten

37

Regiochemie der E2-Eliminierung

• Warum sind E-Alkene bei E2-Reaktionen bevorzugt?

auch E2-Eliminierung nur aus einer bestimmten Position möglich, sog.

antiperiplanare Anordnung

• d.h. die Abgangsgruppe und das H stehen in einem Winkel von 180°; nur

dann gute Überlappung der p-Orbitale im entstehenden Alken

38

Regiochemie der E2-Eliminierung

• Wie ist das nun beim 2-Brompentan?

Es gibt zwei antiperiplanare Anordnungen!

• Durch stärkere Wechselwirkung der Reste ist das Z-Alken benachteiligt, es bildet sich also bevorzugt das E-Alken

H1

Et H2

H

Br

Me

Br

H1 H2 H2

H1Et

H

Br

Me ungünstigesterischeWechselwirkung

E-2-Penten Z-2-Penten

Rotation um

C-C-Bindung

a a

a

b

b

b

39

Regiochemie der E2-Eliminierung • H-Atome, die keine antiperiplanare Position einnehmen können, werden

gar nicht eliminiert!

wichtig in cyclischen Verbindungen, wo die Drehbarkeit eingeschränkt ist

thermodynamisch

günstiger, aber das

entsprechende

H ist nicht eliminierbar!

steht nicht

anti zum Chlor

H

Cl

H

H

H

H

Cl

HH

H

anti zu Cl

H

H

ClH

OH-

- Cl-

E2

nicht: H

H H

40

Die E1-Eliminierung • Eliminierung auch unter nichtbasischen Bedingungen möglich

• Typisches Beispiel: Eliminierung von Wasser aus tertiären Alkoholen

(Dehydratisierung)

• 1. Schritt: Protonierung der OH-Gruppe durch die Säure zu R-OH2+,

dann Abspaltung von H2O

Dieser Schritt ist identisch zum 1. Schritt der SN1-Reaktion!

• 2. Schritt: Abspaltung des Protons am Nachbar-C-Atom

• Also zweistufige Reaktion, die in Konkurrenz zur SN1-Reaktion steht

OHverd. H2SO4

50 °C

41 © Pearson Studium 2008

Die E1-Eliminierung

42

E1 vs. SN1-Reaktion

OH

H

Nu-

B

E1

SN1 Nu

+ HB+

je stärker die Base (und insbesondere mit Säure bei Umsetzung von

Alkoholen) und bei hoher Temperatur wird Eliminierung beobachtet

-H2O

H+

Hier reicht sogar Wasser als „Base“ aus!

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Vergleich von E1 und E2-Reaktion

Eigenschaft E1 E2

Reaktionsverlauf zweistufig einstufig

langsamster Schritt monomolekular bimolekular

zeitliche Abfolge erst C-X-Bruch, beide

dann C-H-Bruch Bindungsbrüche

simultan

Zwischenstufe Carbenium-Ion keine

Kinetik 1. Ordnung 2. Ordnung

Bedingungen oft sauer oder starke Base

neutral nötig

Einschränkungen nur wenn antiperiplanare

Carbenium-Ion Anordnung von

gebildet H und X

Mögliche Substrate tertiär, sekundär Methyl-, primär,

sekundär, tertiär

Wann Substitution, wann Eliminierung?

• Nucleophile, die keine guten Basen sind, machen immer Substitution, z.B. Br-, CN-,

N3-, etc.

• Basen, die keine guten Nucleophile sind, machen immer Eliminierung, z.B. K+OtBu-

• hohe Temperatur fördert die Eliminierung

• Stark verzweigte, sterisch gehinderte Substrate gehen bevorzugt Eliminierungen

ein

Beispiele:

Br

BrBr

Br

KOtBu

NaCNNaOH

0 °C OHCN

NaOH

Additionsreaktionen

A + B-C → A-B-C

45

46

Die Additionsreaktion • Umkehrung der Eliminierung (aber andere Reaktionsbedingungen)

• Es müssen die p-Bindung der C=C-Doppelbindung und die Bindung in X-Y gebrochen werden, dafür entstehen eine C-X und eine C-Y-Bindung

• Die p-Bindung einer C=C-Doppelbindung ist schwächer als C-X-Einfachbindungen, so dass bei Additionen oft Energie frei wird.

• Beispiel: Addition von Wasserstoff (Hydrierung)

• Hier 3 Typen von Additionen betrachtet: Addition von H2, Addition von Halogenen X2 und Halogenwasserstoffen HX

X Y

YX

Addition

Eliminierung

H

H H

H

H HH

H

H

H

H

HrH° = -137 kJ/mol

47

Additionsreaktionen: Katalytische Hydrierung

• Hydrierung: Addition von Wasserstoff

• Obwohl Addition von H2 an C=C-Bindung exergon ist, läuft die Reaktion so

langsam ab, das nichts passiert.

Grund: Aktivierungsbarriere zu hoch!

Lösung: Absenken der Aktivierungsenergie durch Katalysator

• Mögliche Hydrierkatalysatoren: fein verteilte Metalle wie Nickel, Platin und

Palladium (also heterogene Katalyse an einer festen Oberfläche)

• Wasserstoff adsorbiert auf der Metalloberfläche und die H-H-Bindung wird

gebrochen

• Die Einzel-H-Atome sind sehr viel reaktiver als molekularer Wasserstoff H2 und auf

der Oberfläche beweglich

48

Katalytische Hydrierung • Mechanismus

• Das sich bildende Alkan wird nicht mehr gut auf Metalloberfläche

adsorbiert, entfernt sich und macht Platz für neue Reaktion von H2 und

Alken

• syn-Addition: beide H nach der Addition auf gleicher Molekülseite

H H H

H H

H H H HH HH HH

Adsorption Chemisorption syn-Addition

H

H

H2/Pd

cis

relevant, wenn Drehbarkeit

eingeschränkt oder wenn Produkt chiral

49

Die elektrophile Addition von HX und Wasser

• Wichtige Methode um aus Alkenen (z.B. aus dem Erdöl)

Alkylhalogenide und Alkohole herzustellen

• Mechanismus:

H+ als Elektrophil (eigentlich H3O+), Cl- ist dann das Nucleophil für den

zweiten Schritt.

• Warum reagiert die Doppelbindung mit dem Elektrophil?

p-Bindung ist sehr elektronenreich (selbst also nucleophil)

HCl Cl

H+

H

+ Cl- Cl

H Cl

50

Elektrophile Addition – energetischer Ablauf

© Pearson Studium 2008

51

Elektrophile Addition - Verwandschaft mit

anderen Reaktionen • Bildung des Carbokations ist langsam, also der limitierende Schritt

• Elektrophile Addition ist die Umkehrung der E1-Reaktion

• Alle diese Reaktionen mechanistisch eng verwandt, genauer Ablauf hängt dann

von Reaktionsbedingungen ab

H+ X

+ HB

+ B-

+ Nu-

Nu

SN1, E1

SN1, AEE1

AE- X

-

52

Regiochemie der elektrophilen Addition • Wo wird das Elektrophil an der Doppelbindung angelagert?

Es bildet sich das stabilere der beiden möglichen Carbenium-Ionen

Markovnikov- Regel: Bei unsymmetrischen Additionsreagenzien (HX) wird der

elektrophilere Teil (meist H+) an das Kohlenstoffatom mit den meisten

Wasserstoffatomen addiert.

• Wenn beide sp2-C-Atome gleich viele Reste tragen, lagert sich das Elektrophil

mit gleicher Wahrscheinlichkeit an beide an, wenn sterischer Anspruch

vergleichbar

C2 C1H2 H+XC2 C1H2H C2 C1H2

H

primäres Kationweniger stabil

tertiäres Kationsehr gut stabilisiert

Relative Stabilität von Carbokationen:

Hyperkonjugation

53

Überlappung C-H-s

mit p-Orbital

Keine Überlappung

möglich

˃ ˃ ˃

54

Elektrophile Addition von Wasser

• Wasser ist keine ausreichend gute Säure und kein gutes Nucleophil, erst

Zugabe einer kleinen Menge starker Säure als Katalysator ermöglicht die

Reaktion, z.B. Tropfen H2SO4:

Wichtige Begriffe:

• Hydrolyse: Spaltung einer Verbindung durch Wasser

(z.B. SN-Reaktion

• Hydratisierung: Addition von Wasser an eine Doppelbindung

• Hydrierung: Addition von H2 an eine Doppelbindung

(Umkehrung Dehydrierung, Abspaltung von H2;

nicht mit med. Dehydrierung verwechseln!)

H+ +O

H

HOH2

+

H H- H+

OH

55

Elektrophile Addition von Halogenen X2

• Allgemeiner Mechanismus:

• Wieso sind Halogene elektrophil?

X X

XXX = Cl, Br

anti-Addition SN2

56

Regiochemie der elektrophilen Addition

• Addition erfolgt als anti-Addition

d.h. die beiden Substituenten befinden sich nach der Addition auf den

beiden entgegen gesetzten Seiten der Doppelbindungsebene

wichtig, wenn bei der Addition Stereozentren gebildet werden und in

cyclischen Verbindungen

Br

Br

Br

Br

Br

Br

Enantiomere+ Br2

gleich hohe Wahr-

scheinlichkeit für Angriff

rechts oder links

1:1-Gemisch

(Racemat)

57

Kapitel 7

Aromaten

und ihre Reaktionen

Acetylsalicylsäure – ein Wirkstoff und seine Geschichte

• Fieber senkende und schmerzstillende Wirkung

von Extrakten der Weidenrinde seit Hippokrates

(460-370 v. Chr.) bekannt

• Extraktion der Salicylsäure (von Salicaceae) gelang Mitte des 19. Jh.,

erste Synthese der Verbindung durch H. Kolbe 1859

• Starke Nebenwirkungen, z.B. Magenblutungen

• Verbesserung der Wirksamkeit und der Verträglichkeit durch Herstellung

eines Derivates mit einer Acetylgruppe

• Handelsname des Präparates bei der entwickelnden Firma Bayer:

Aspirin (andere Namen: ASS, Acesal, Alka-Seltzer usw.)

58

Welche Struktur hat Aspirin und wie

wird es hergestellt? O

OH

O

O

59

Aromaten – eine Stoffklasse der Kohlenwasserstoffe

• Bekanntester Vertreter: Benzol (C6H6, auch Benzen genannt)

• Entdeckung des Benzols: 1852 von Faraday

• Strukturaufklärung: 1890 von Kekulé

• Summenformel könnte Alkin oder Polyen andeuten, aber Eigenschaften

sind verschieden! Benzol reagiert nicht unter Addition, sondern unter

Substitution!

Achtung: Benzol ist krebserregend! Hautkontakt und Inhalation vermeiden!

Auch beim Tanken (Ottokraftstoff enthält bis zu 5% Benzol)!

H

H

H

H

H

H

60

Struktur und Eigenschaften von Benzol

• Reaktivität:

Alken: elektrophile Addition von Brom

Benzol: keine Addition von Brom

mit Lewis-Säure: Austausch eines H gegen Br

Br2H

H

H

H

H

Br

H

H

H

Br

Br2kein Produktx

Br2

FeCl3

Br

HBr Substitution!

61

• Andere Reaktivität deutet besondere Stabilisierung an

• Alle sechs C-Atome sind identisch, alle Bindungen gleich lang

also keine lokalisierten Doppelbindungen

• alle C-Atome sp2-hybridisiert, 2 C-C-s-, 1 C-H-s-Bindung

• Ein p-Orbital pro C-Atom übrig → Ausbildung eines p-Systems

Bindungsverhältnisse im Benzol

© Pearson Studium 2008

120°

139 pm

62

Struktur des p-System im Benzol

• Es kommt nicht zur Ausbildung von 3 Doppelbindungen!

sonst wären die Bindungslängen alternierend (Einfachbindung ~154 pm,

Doppelbindung ~134 pm, beobachtet: alle gleich, 139 pm)

• Alle 6 p-Orbitale überlappen ringförmig miteinander

es bildet sich ein cyclisch delokalisiertes p-System

• Die 6 p-Elektronen sind als „Wolke“ gleichmäßig oberhalb und unterhalb

der Molekülebene verteilt

• Elektronendelokalisation (auch: Resonanz, Mesomerie) ist der Grund für

die besonderen Eigenschaften des Benzols

63

p-Elektronendelokalisation im Benzol

© Pearson Studium 2008

64

p-Elektronendelokalisation im Benzol

• Delokalisierte Systeme kann man nicht korrekt mit Lewis-Formeln

darstellen

• Konzept der Grenzstrukturen/Resonanzformeln

Angabe mehrerer Lewis-Formeln, zwischen denen die wahre Struktur

liegt (jede der Formeln muss aber korrekt sein!)

Lage der Atome bleibt gleich, nur p-Elektronen verschoben

• Darstellung der Mesomerie durch Mesomeriepfeil ↔

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

H

Habernicht

Mesomerie

formale Verschiebung der p-Elektronen

!

!

65

Das Konzept der Mesomerie

• Mesomerie ist kein Gleichgewicht!

• Die Grenzstrukturen sind nur Gedankenkonstrukte und existieren in der Realität nicht!

• Es existiert nur die delokalisierte Struktur, die zwischen den Resonanzformeln liegt

• Wenn mehrere, nicht-äquivalente Resonanzformeln möglich, ähnelt die wahre Struktur eher der stabileren Formel

• Faustregel: Je mehr sinnvolle und gut stabilisierte Resonanzformeln aufgestellt werden können, desto stabiler ist das Molekül (Benzol: 2 mögliche, sehr stabile Resonanzformeln)

• Wann tritt Resonanz/Mesomerie auf?

wenn mehr als zwei sp2-oder sp-Atome mit parallelen p-Orbitalen direkt benachbart sind, so dass es zu seitlicher Überlappung von mindestens drei p-Orbitalen kommt (im Benzol 6), s.a. Konjugation

66

Das Konzept der Mesomerie

• Resonanzformeln des 1,3-Pentadiens

weniger stabilstabilweniger stabil

insgesamt nur geringe Stabilisierung

keine Resonanzformeln,sondern Strukturisomere

konjugierte Alkene sind weiterhin

reaktiv gegenüber Addition, da

Stabilisierung nur gering

Achtung:

67

Aromatische Kohlenwasserstoffe (Aromaten)

• HÜCKEL-Regel: planares, cyclisch konjugiertes p-System mit 4n+2 p-

Elektronen (n=0,1,2…)

• hohe Stabilisierung, reagieren unter Substitution,

keine Addition, da sonst aromatisches System zerstört

BrBr2 + HBr

Br

Br

Br2

x

sp3

sp3

aromatisches Systemwürde zerstört

(+ FeBr3)

68

Weitere aromatische Kohlenwasserstoffe OH COOH NH2

Benzol Toluol Phenol Benzoesäure Anilin

Naphthalin Anthracen Phenanthren

NH

NH

N

O S S

N

N

N

N

NH

N

N

NH

N

Pyrrol

Pyridin

Imidazol Furan Thiophen Thiazol

Pyrimidin Indol Purin

Freies Elektronenpaar

nimmt an Resonanz teil,

da es in einem p-Orbital

„sitzt“

Freies Elektronenpaar

nimmt nicht an

Resonanz teil, da es in

einem sp2-Orbital „sitzt“

69

Die elektrophile aromatische Substitution

• Benzol hat eine hohe Elektronendichte → kann mit Elektrophilen reagieren

• Halogene sind nur schwach elektrophil

• Elektronenverteilung durch Zugabe einer

Lewis-Säure verbessern

© Pearson Studium 2008

70

Elektrophile aromatische Substitution

Br Br

+ -

Br Br

+

FeBr3

schwaches Elektrophil

starkes Elektrophil

x

+ HBr + FeBr3

Br

Die Reaktion ist mehrstufig:

1.) Ausbildung eines s-Komplexes (Wheland-Intermediat)

(Kationische Zwischenstufe)

2.) Rückbildung des Aromaten durch Abstraktion des Protons

(Polarisierung des Br2 s. a. Kap. Addition von X2)

Br---Br-FeBr3 + -

71

Elektrophile aromatische Substitution

• Der s-Komplex (Wheland-Intermediat) ist ebenfalls resonanzstabilisiert:

E

H

E

H

E

H

s-Komplex

E+

+ Base

- HB

E

H

E+

72

Elektrophile aromatische Substitution

© Pearson Studium 2008

eine der möglichen Grenzformeln

für die kationische Zwischenstufe

(Wheland-Intermediat)

eigentlich:

ungünstig

H

Z+

73

Elektrophile aromatische Substitution

• Beispiele für die elektrophile aromatische Substitution

Reaktion Bedingungen Elektrophil Produkt

Halogenierung X2 + FeX3 X+FeX4- Ph-X

Nitrierung HNO3 + H2SO4 NO2+ Ph-NO2

Sulfonierung SO3 + H2SO4 HSO3+ Ph-SO3H

Friedel-Crafts- RCl + AlCl3 R+ Ph-R

Alkylierung

Friedel-Crafts-

Acylierung + AlCl3 R-C≡O+

Ph: C6H5 (Phenylrest, vom Benzol abgeleitet)

Achtung: Nicht mit Phenol Ph-OH (C6H5-OH) verwechseln!

(X = Cl, Br)

(R = Alkylrest)

R Cl

O

R

O

Elektrophile aromatische Substitution

74

Beispiele für die Einfachsubstitution an Benzol

+ Br2

FeBr3

Br

NO2

SO3H

O

Cl

HNO3 + H

2SO

4

+AlCl

3

+ FeBr

3

+ Cl2

AlCl3

SO3 + H

2SO

4

Cl

Cl

O

75

Elektrophile aromatische Substitution

Was passiert, wenn der Aromat schon Substituenten trägt?

• schon vorhandene Substituenten haben einen Einfluss auf Ort und

Geschwindigkeit der Zweitsubstitution

Elektronenschiebende Substitutenten:

-OR, -OH, -NR2, -NH2, R (Alkyl)

aktivierend, ortho/para-dirigierend

Elektronenziehende Substituenten:

-NO2, -CN,

desaktivierend, meta-dirigierend

Sondergruppe Halogene:

desaktivierend, aber ortho/para dirigierend

Z

ortho ortho

meta meta

para R

O

OR

O

NR2

O

76

Substituenten-Einfluss auf die Zweitsubstitution

• Beispiele:

Ursache: unterschiedliche Elektronendichte im Ring (→ Geschwindigkeit) und

unterschiedliche gute Stabilisierung des s-Komplexes (→ Regiochemie)

schnelle Reaktion

langsame Reaktion

langsame Reaktion

[FeBr3]: katalytische Mengen FeBr3

OH

+ Br2

[FeBr3] Br

OH

NO2

NO2

Br

+

OH

Br

Br

+ Br2

[FeBr3] Br

Br

+

Br

Br

+ Br2

[FeBr3]

- HBr

- HBr

- HBr

Die Herstellung von Acetylsalicylsäure (ASS)

77

Der erste Schritt:

Salicylsäure-Synthese nach Kolbe-Schmitt:

Der zweite Schritt:

Esterbildung der Hydroxylfunktion mit Essigsäureanhydrid (s. Kap. 9)

OH O- OH

COO-

Na+

NaOH

- H2O

CO2

OH

COOHH+

Phenol Phenolat Salicylat Salicylsäure

OH

COOHO

COOH

O

O

OO

- H3C-COOH

Acetylsalicylsäure (ASS)

Proton stammt

aus Umgebung

78

Kapitel 8

Radikalreaktionen

Luftsauerstoff – ein aggressives Reagenz

• Viele Lebensmittel, z.B. Butter oder Margarine verderben leichter, wenn sie

an der Sonne oder aber in Metallgefäßen gelagert werden.

• Austausch der Luft in Verpackungen gegen Schutzgas (Stickstoff oder

CO2) sowie Lagerung im Dunklen und Kühlen verzögert die Reaktion

• Der Zusatz von Vitamin C (Ascorbinsäure, E300) macht Lebensmittel

länger haltbar (sog. Antioxidationsmittel )

Welche Art von Reaktionen geht Luftsauerstoff ein?

Welche Verbindungen werden von Luftsauerstoff angegriffen?

Wie wirkt Vitamin C? 79

80

Radikalreaktionen

• Bisher alle Reaktionen polar (Nucleophil + Elektrophil…)

• Was passiert, wenn keine geeigneten funktionellen Gruppen im Substrat

vorhanden?

• Neuer Reaktionstyp: Beteiligung von Radikalen

• Beispiel: Alkane normalerweise sehr reaktionsträge

aber: Umsetzung mit Chlor („Zündung“ mit elektr. Funken oder Licht)

+ mehrfach chlorierte Produkte

H

H H

H

H

H Cl

H

Cl Cl + HCl

Licht oderelektr. Funke

explosionsartige Reaktion

Licht oder

elektr. Funke

Cl Cl

81

Radikalreaktionen

• Woher stammt das Radikal?

homolytische Spaltung der Cl-Cl-Bindung (Bindungsenergie 240 kJ/mol),

die C-H-Bindung ist zu stark (440 kJ/mol)

• Kettenstart-Reaktion:

• Chlor-Radikale (und andere Radikale) sind sehr reaktiv, da sie ein

ungepaartes Elektron und Elektronenmangel (zum Oktett fehlt ein

Elektron) besitzen

• Radikale reagieren mit sehr vielen Substraten, z.B. auch Alkanen

Cl Clh

2 Cl Chloratome, 7 Valenz-Elektronen

(bedeutet Einwirkung von Licht )

82

Radikalreaktionen

• Kettenfortpflanzungsreaktion

Angriff des Chlor-Radikals am Methan und Weiterführung der

Reaktionskette

H

H H

H

Cl

H

H

H

+ HCl

H

H

H

Cl Cl

H

H Cl

H

Cl

Methylradikal

Chlormethan

83

Radikalreaktionen • Kettenabbruch

Kettenreaktion kommt zum Stillstand, wenn Radikal „vernichtet“, z.B. durch

Rekombination oder Disproportionierung

Abbruchreaktionen sehr selten, Kette kann viele tausend Mal durchlaufen

werden, bevor sie endet

Cl

H

H

H

H

H

H

Cl Cl

H

H Cl

H

Cl Cl

H

H

H

H

H

H

H

H

H

Rekombination Disproportionierung

( * )

H H+

+

Nur bei Radikalen mit H am a-C

möglich!

84

Radikalische Halogenierung

• Auch andere Kohlenwasserstoffe als Substrate möglich, dann aber u.U.

Produktgemische

• Verwendbare Halogene: Chlor und Brom sehr gut

Fluor zu reaktiv (Explosion!), Iod zu unreaktiv

Mehrfachreaktionen sind möglich

Beispiel: Mehrfach-Chlorierung von Methan

Methan (CH4) → Chlormethan (CH3Cl) → Dichlormethan (CH2Cl2) → Chloroform (CHCl3)

→ Tetrachlorkohlenstoff (CCl4)

• Elementare Halogene (besonders Chlor) eher im industriellen Bereich

im Labor andere, selektivere Halogenierungsmittel, z.B. SO2Cl2

Br2

h

Br

Hauptprodukt Nebenprodukt

Br2

h

Br

Br+

Bevorzugter Angriff an Positionen , wo das Radikal gut stabilisiert wird (Benzyl > tert > sek >prim).

Radikalische Substitution, Mechanismus

Kettenstart

(H = 243 kJ mol-1)

Kettenfortpflanzung

(> 10.000 Zyklen)

Kettenabbruch

85

Struktur des Methylradikals

90°

einfach besetztes pz-Orbital

86

Radikalische Substitution, Kreisprozess

X

X

X

R-H

H-X

RXX

R-X

Kettenstart

Kettenfort-pflanzung

durch Licht oder

Radikalstarter

(Kettenabbruch ist im Kreisprozess nicht dargestellt)

87

Bedeutung von Radikalreaktionen

• Zerstörung der Ozonschicht durch FCKWs (Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, früher z.B. als Kühlmittel, Treibgas)

• sehr lange Abbauzeiten der FCKWs (Verbot 1990), daher erst nach mehreren Jahrzehnten endgültig verschwunden

Cl

F Cl

F

UV-Licht Cl

F

F

Cl

Cl O3 ClO O2

ClO O3 Cl 2 O2

1991

1980

88

Bedeutung von Radikalreaktionen

• Ranzigwerden von Fetten

(Sauerstoff ist ein Diradikal!, Luftsauerstoff kann sog. Autoxidation auslösen)

• Allgemeine Reaktionsgleichung der Autoxidation:

• Sauerstoff aus der Luft sorgt für die Reaktion

• Start der Reaktion durch Licht oder Metallspuren (Katalysator)

• Fette haben oft Doppelbindungen („ungesättigte Fette“). Am der Doppelbindung

benachbarten sp3-C-Atom ist H-Abspaltung zur Bildung des initialen

Radikals besonders leicht, da entstehendes Radikal mesomeriestabilisiert

C HO2

Metallsalze,-spuren

C O-O-H

Hydroperoxid

Alkohole, Säuren,

Aldehyde, Peroxide

89

Ascorbinsäure (Vitamin C) wird als Konservierungsmittel für

Lebensmittel (E 300) eingesetzt. Es verhindert durch Reaktion die

Oxidation durch Luftsauerstoff. Es senkt zusätzlich den pH-Wert

und vermindert dadurch das Bakterienwachstum.

biologisches Antioxidans

OO

HO O

OH

OH

H

Vitamin C als Antioxidans

90

Polymere durch Radikalreaktionen

• Reaktion eines Radikals mit einem Alken: radikalische Addition an die

p-Bindung

1.Schritt: Bildung eines Alkylradikals

2. Schritt: Angriff dieses Alkylradikals an einem weiteren Alken usw.

Resultat: Die C-Kette wird immer länger, es bildet sich ein sog. Polymer

(Reaktionstyp: radikalische Polymerisation)

H

H H

H

A H

H

H

H

A

H

H H

H

H

HH

H

H

H

H

A

H etc.

Monomer Kettenwachstum

+ n C2H4

H

H

H

A

H

HH

H

H

H

H

HHn

Polymer

POLYETHYLEN

(C2H4)n

91

Beispiele für Polymere

H

H H

H

Monomer

H

H

H

H n

F

F F

F

H

H CH3

H

H

H Ph

H

H

H Cl

H

Polymer

F

F

F

F n

H

Me

H

H n

H

Ph

H

H n

H

Cl

H

H n

Polyethylen

Teflon (Polytetrafluorethylen, PTFE)

Ethen (Ethylen)

Propen (Propylen)

Vinylbenzol (Styrol)

Chlorethen(Vinylchlorid)

Tetrafluorethen

Polypropylen (PP)

Polystyrol (PS)

Polyvinylchlorid (PVC)© Andrevan © Ralf Roletschek © Pearson

PE PP PTFE

92

H

H H

H

Monomer

H

H

H

H n

F

F F

F

H

H CH3

H

H

H Ph

H

H

H Cl

H

Polymer

F

F

F

F n

H

Me

H

H n

H

Ph

H

H n

H

Cl

H

H n

Polyethylen

Teflon (Polytetrafluorethylen, PTFE)

Ethen (Ethylen)

Propen (Propylen)

Vinylbenzol (Styrol)

Chlorethen(Vinylchlorid)

Tetrafluorethen

Polypropylen (PP)

Polystyrol (PS)

Polyvinylchlorid (PVC)

Beispiele für Polymere

© Dubaj

Polystyrol-Schaum-Verpackung PVC-Foliengewächshaus PVC-Rohrleitungen

© Was a bee © Takuya Murata

93

Kettenstarter für Radikalreaktionen

• Was wird als Startradikal verwendet (nicht nur für rad. Polymerisation)?

neben Licht oft sog. Radikalinitiatoren (Radikalstarter), die eine

schwache Bindung besitzen, die man z.B. leicht thermisch spalten kann

• Beispiele

O

OO

O

Benzoylperoxid

schwache Bindung

95 °C

t1/2 = 1 h

O

O

- CO2

2 2

NN

CN

NC

(= °C

t1/2 = 1 h

- N2

C2

NC

N

hochreaktiv

AIBNmesomeriestabilisiert

80 °C

Senfgas – ein mörderischer Stoff

94

SCl Cl - Cl

schnellS

Cl

OH2

SCl OH

- H

schnelle Hydrolyse: Freisetzung von Chlorwasserstoff HCl , z.B. in

der Lunge und schwerste Verätzungen der Haut (außerdem

cancerogen!)

chemisches Kampfgas (1. Weltkrieg, Iran/Irak-Krieg bis 1988)

auch S-Lost oder Yperit benannt nach den „Erfindern“ der

Kriegsanwendung (Lommel&Steinkopf) und erstem Einsatzort

Mögliches Gegenmittel: Spülen mit Chlorkalklösung

friedliche Nutzung von Lost-Derivaten: Ausnutzung der alkylierenden

Eigenschaften

z.B. Alkylierung der DNA → Abtöten von Krebszellen

z.B. Chlorambucil zur Leukämie-Therapie

(aber starke Nebenwirkungen!)

N

Cl

OH

O Cl

Chlorambucil