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Kitsch per Post - vandenhoeck-ruprecht-verlage.com · 2021 • Verlagssigel ter Zeit und Fotogeschichtsschreibung wird die ‹Erfindung› der Dadaisten der nötigen Revision unterzogen.14

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Fritz Franz Vogel

Böhlau / Pfeil im Auge

Kitsch per PostDas süße Leben auf Bromsilberkarten von 1895 bis 1920

SLJFF 2473-3

20 21 • Verlagssigel

ter Zeit und Fotogeschichtsschreibung wird die ‹Erfindung› der

Dadaisten der nötigen Revision unterzogen.14

Mit der gesteigerten Mobilität und des beschleunigten Lebens

nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Karte nicht mehr mit-

halten. Die sprunghaft steigenden Telefonanschlüsse setz-

ten für die Übermittlung von Befindlichkeiten und Standortbe-

stimmungen die mündliche vor die schriftliche Kommunikation.

Nach den Briefen wurde auch die Postkarte zum Auslaufmodell,

auch wenn sie weiterhin als kostengünstiges Kommunikations-

medium in Verwendung blieb, vor allem dann, wenn eine tou-

ristisch aufgesuchte, fremde Welt zur Anschauung in die Hei-

mat zurückgesandt werden konnte.

Markt und Konfektionierung

Bromsilbergelatine-Entwicklungspapiere waren ab 1880 auf

dem deutschen Markt. Den Siegeszug eingeleitet hatte die in

Berlin-Steglitz ansäßige Neue Photographische Gesellschaft,

die ab 1894 das mechanische Bildreproduktionsgeschäft be-

trieb.15 Das Kürzel N.P.G. stand dabei fast gleichbedeutend für

die «Kilometer-Photographie», die mit eigenständig weiterent-

wickelten Kopiermaschinen den Massenmarkt bediente und

14 Vogel, Fritz Franz: The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005. Köln 2006; Chéroux, Clément / Eskildsen, Ute: Frankierte Fantastereien. Das Spielerische der Fotografie im Medium der Postkarte. Göttingen 2007.

15 Gütgemann-Holtz, Wilma / Holtz, Wolfgang (Hg.): NPG – Neue Photographische Gesellschaft Steglitz. Die Geschichte eines vergessenen Weltunternehmens (1897–1921). Berlin 2009.

gleichzeitig erschloss. Der «Echtphotodruck» war so erfolg-

reich, dass in wenigen Jahren Niederlassungen in Österreich,

Frankreich, England, Amerika, Italien und Belgien eröffnet wer-

den konnten.

Ab 1903 wiesen einkopierte Verlagssiglen oder -paraphen auf

Verleger und Hersteller hin, von denen heute bloß noch rudi-

mentäre Fakten bekannt ist, weil die meisten Firmen die Ab-

satzkrisen in den 1920er-Jahren nicht überstanden oder in den

Wirren im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges untergingen, auf-

gelöst oder anderswo eingegliedert wurden. Mit dem Ende des

Krieges endete auch die alte Ära der Postkarte in Schutt und

Asche. Leider finden sich in den wenigsten Fällen alte Bildbe-

stände, Negative, Rückprospekte, Firmenunterlagen, Studio-

einrichtungen, Maschinen etc. – die erwähnte Aufarbeitung der

NPG bildet hier die löbliche pars pro toto. Am ehesten lassen

sich die Entwicklungen anhand von fotografischen Zeitschrif-

ten datieren, in denen über neue Produkte berichtet wurde. So

sind die Postkarten aufgrund ihrer weiten Verbreitung die ein-

zigen Zeugen eines postalischen Imperiums der fotografischen

Bildpostkarte. Was nach 1950 an (touristischen) Ansichtskar-

ten im Vierfarbendruck entstand, hatte kaum mehr etwas mit

der Innovationskraft der Jahrzehnte davor zu tun.

AFB = Albert Fink, Berlin

AM Patent = Louis-Amédée Monte, Paris

Amag = Albrecht & Meister AG, Berlin (gegr. vor 1886)

ATL = Aristophot AG, Teucha bei Leipzig, geht 1909 an die

Amag

A. N. = Armand Noyer, Paris

B. B & O L = Bruno Bürger & Ottilie, Leipzig (keine Echtfoto-

grafie)

B.K.W.I = Brüder Kohn Wien 1

BNK = Berlin-Neuroder Kunstanstalten (gegr. 1888)

CIM = Combier Imp., Mâcon

CR = Compagnia Rotografica, Mailand

EAS = E. A. Schwerdtfeger, Berlin (gegr. 1910)

ELD = Eugène le Deley, Paris

GG Co. = Gerlach & Martin Gerlach Jr., Berlin/Wien (gegr.

1872, ab 1874 in Wien)

GL Co. = Gustav Liersch & Co., Berlin

GLK = Gebr. Lempe, Kiel

HB = Heliophot Kunstverlag, Berlin

HV = Hofatelier Pieperhoff, Leipzig

J. A. Paris = Jean Agélou (1878–1921), Paris

JM = Edition J. Mandel, Paris

K Juno B – Kunstverlag Juno, Berlin

LG = Louis Glaser, Leipzig

MKB = Moderner Kunstverlag GmbH, Berlin

N im Stern = Novitas, Berlin

NPG = Neue Photographische Gesellschaft, Berlin-Steglitz

(gegr. 1894), verschiedene ausländische Zweigstellen und

Tochterfirmen wie Société industrielle de photographie in

Paris, Rotary Photographic Company in London, Compagnia

Rotografica in Mailand, Rotograph Company in New York,

Photobrom GmbH in Wien.

PFB = Paul Fink, Berlin

PH = [im Dreieck] Photochemie, Berlin (gegr. um 1905)

PH = P. Hagelberg, Berlin (gegr. vor 1893)

PH = Photobrom GmbH, Wien

R&K L = Regel & Krug, Leipzig (gegr. 1894)

RPH = Rotophot GmbH, Berlin (gegr. 1900), mit Eintritt von

Heinrich Ross in die Firma ein Pferd über dem Signet (ab

1912), Tochtergesellschaften ab 1910 in Wien und Budapest.

Großes Engagement in zukünftigen Tiefdruck. Ross gründet

1919 einen eigenen Verlag, in dem Bilder von Filmsternen

und SchauspielerInnen publiziert werden.

RR = Roland Risse, Photochemische Fabrik, Flörsheim/Main

(gegr. 1898)

S.I.P. = Société industrielle de photographie, Paris

WSSB = Verlag Wilhelm S. Schröder Nachf., Berlin

Bei weit über 300 Verlagen und weiteren regionalen Kleinstbe-

trieben, zur vollen Blütezeit 1914 in Deutschland, lassen sich

heute viele solcher Kürzel nicht mehr enträtseln oder verorten.

Ihre Namensstempel überleben allein auf Foto- und Kunstpost-

karten: AL, ABC, ACA, ARS, BVB, CR, CT, DAT, DLG, EB, EJD, EK

Co, ERB, GL, HA Co, HTL, JKP, KB, KG KH, KGL, KK HG, KPR,

L&P, LF Co, M&W, MB, NIG, NJP, OPF, ÖPG, PG, PMB, R.E.B.,

RK, SAPI, SBW, SDK, SLJFF, SPV, STA, TVW, VRV, V&W, WECO,

ZF… Nochmals 100 Verlage sind in Frankreich, d.i. de facto

Paris, eruierbar, deren Produkte mit entsprechender Titelei für

den deutschsprachigen Raum zugekauft wurden. Französische

Verlagsnamen sind oftmals feminisierte, schwungvoll kalligra-

fierte Fantasiebegriffe wie Alix, Astrea, Colette, Eliane, Fauvette,

Flor, Gloria, Irisa, Kiss, Lepo, Lola, Mug, Myosotis, Parisette,

Regina, Saphir, Suzy, Trianon, Tulipe, Victoire, Yett… Nach dem

Ersten Weltkrieg wurden die Verlage generell eigensinniger und

druckten den vollen Namen, allerdings auf der Rückseite der

mittlerweile vierfarbig gerasterten Bilder. Das Bild auf der Vor-

derseite war ohnehin dekorativer geworden und hatte weniger

den Duktus eines Leitmotivs.

Auf der Rückseite sind im Buchdruck jeweils einige Markie-

rungen für die Adresszeilen erstellt. Postkarten, in deren Mar-

kenfeld ein Dreieck mit einer Strahlensonne und den Buchsta-

ben NBC eingedruckt ist, wurden ab 1912 von 18 führenden

Herstellern in Deutschland und Österreich durch die «Neue

Bromsilber Convention GmbH» überwacht und hinsichtlich der

Marktpreise kontrolliert. Dies war nötig geworden, weil die seit

1908 steigende Konkurrenz die Preise und damit die Rendite in

den Keller rasseln ließ. Man schätzt, dass dieses Kartell etwa

zwei Drittel der Bromsilberkarten-Produktion kontrollierte und

bis ca. 1930 existierte. Weit weniger bekannt ist das bislang

unaufgelöste Kartell PRA.

Obwohl es – bei gleichem Sujet, sogar bei gleicher Identi-

fikationsnummer – auch tschechische, russische, finnische

oder slawische Kartenaufdrucke, z.T. von andern Verlagen

(ILA 7203-4, R&K L 7203-4), gibt, sind die Bromsilberkarten

eine deutsch(sprachig)es Phänomen. Weit über 90% dürften

für den Binnenmarkt produziert worden sein; Fremdsprachen

spielen eine marginale Rolle.

Herstellungsprozess

Ab 1896 wurden für die Bromsilberpostkarten ein Fotopapier

im ungefähren Format 136x89mm in Kartonstärke und mit ver-

schiedenen Oberflächen, für den Rotationsdruck angeboten,

dem in kurzer Zeit durch andere Emulsions- und Produktions-

fabriken Konkurrenz erwuchs (Rheinische Emulsions-Papier-

Fabrik Heinrich Stolle in Köln-Ehrenfeld, Lüttke & Arndt in Ber-

lin), was die Preise für das Fotopapier um mehr als ein Drittel

reduzierte. Beim Rollenpapierverfahren wurde das Rohpapier

in den Gelatiniermaschinen mit Bromsilbergelatine überzogen.

Die tägliche Arbeitsleistung lag zwischen 2–3000 Metern bei

einer Papierbreite von 64 cm. Das lichtempfindliche Endlospa-

pier wurde in der Dunkelkammer pro Belichtung mit 20 glei-

chen Negativen, wovon jedes vorher mehrere Komposit-, Ne-

gativ- und Positivretusche- und Veredelungsvorgänge durch-

laufen hatte, belichtet und passierte anschließend das Säure-,

Natron- und Alaunbad sowie mehrere Waschbäder. Mit einem

elektrischen Wind- und Wärmefächer wurde es getrocknet.

Eine Maschine stellte 1896 pro Tag ca. 40’000 Cabinet-Bil-

der im Format 140x102 mm her. Im Jahr 1899 wurden in deut-

schen Landen 88 Millionen fotografische Karten produziert, für

die Jahre 1905 und 1906 werden je 600 Millionen nachgewie-

sen. Zwischen 1895 und 1920 dürften somit gegen 10 Milli-

arden Postkarten in Bromsilber verschickt worden sein, wobei

gegen Ende der Hochkonjunktur vermehrt situationsabhängige

Unikate von Fotografen, die ihre Bilder auf konfektioniertes

Fotopapier ausbelichteten, hergestellt und verschickt wurden

Calife EKC CAES Dresden EK Co-2Cad EK Co-1BVB EASBPH EABNK-7 E [Emes]BNK-6 DSEB ParisBNK-5 DPBNK-4 DLG-3BNK-3 DLG-2BNK-2 DLG-1BNK-1 DixBleuet Paris Dix ParisBL DianaBF Déesse

Bellone DédéBBM Dédé ParisBBJ-2 DecobeBBJ-1 DalesB CTÄkta Fotografi Croissant ParisAWZ CRAVB CPFAVB CP Croissant ParisAtlas ColetteATL-2 CircéATL-1 CDTAstrea CDAstra CBASM CB Paris

30 31 • Geburt

AS 208 KPR 6066 SLJFF 2607aPH 3778-1 RPH 6617-2Irisa 3537

SLJFF 2607b EAS 6731-4

Astrea 1611R&K L 4393-6 PH 6551-1Mesange 774 Gulipe 187DIX 430-3

Amag 64108-5Amag 63106-3

NPG 7361-3 SBW RPH 5387-88Amag 61814-1

PH 7776 xxxx 071

BNK 33059-7Amag 61980-3NPG 5

72 73 • Bubi und Frechdachs

PH 7516Amag 62806-3

PMB 5219-6xx 316-6 RPH 5947-6

SBW 443 SLJFF 2044-6T Co 836-2RPH 6986-4RPH 3350-3SLJFF 2904-2

SLJFF 3623-3

SBW RPH 7215-16

RPH 3350-4

K&Co 611-4

PH 4704-1

Amag 62355-5 RPH Ross 2143-5RPH Ross 2143-3RPH Ross 2143-2RPH Ross 2143-1

94 95 • Zum Geburtstag

RPH 7334-2EAS 6839-5 NPG 658-1A&M B 60032-5

120 121 • Arkadische Szenen

Mitra 1508-3NPG 996-3GL Co 6040-3GL Co 6221-6GL Co 6445-3 GL Co 1585-3GL Co 6040-4GL Co 6040-2Amag 61781-1BNK 34767-4K Juno B 1119-3

A Noyer 2924GL Co 1179-3PH 858-1GL Co 3961-6xx 232-3RPH Ross 2554-6

200 201 • Allegorien

RPH S 237-3849RPH S 237-3847RPH S 237-3846RPH S 237-3845

270 271 • Prosit Neujahr

R&K L 4816-6NPG 2634PH 6478-3

NPG 476-6

GG Co 1900-4

R&K L 7203-4

SIP 10029

xxxx 032

PH 5952-6

Amag 63515-1

EAS 1197-3

EAS 1107

300 301 • Frohe Ostern

SLJFF 5026-6RPH S 365-4448RPH 3742-5R&K L 4716-6PW 974-4RPH 1853-6PFB 2799-4K Juno B 795-4EAS 9763-2EAS 3237-4BNK 3516-6Amag 64180-4Amag 63445-4Amag 62395-3Amag 62154-6Amag 61714-3Amag 60911-6

PH 6973-1NPG 7991-1aPH 660-2R&K L 5138-6Amag 63656-3 Amag 64208-4

RPH Ross 3016-6

318 319 • Fröhliche Weihnachten

EAS 5569-6Teco 3120-2 EAS 4781-6xx 3545-3 Amag 63163-5NPG 7423-2 PH 5422-2EAS 3701-4R&K L 7169-3 RPH Ross 2488-3 SLJFF 4055-4EAS 6859-5RPH Ross 2091-3 NPG 7036-5 EAS 1759-3AN Paris 245EAS 405Amag 61582-3

Fauvette 1473 R&K L 4433-1 BNK 35570-2BNK 35569-3Amag 63183-3Amag 63002-4b