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Krieg in der Geschichte (KRiG)

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KRIEG IN DER GESCHICHTE (KRiG)

Herausgegeben von Stig Förster · Bernhard R. Kroener · Bernd Wegner · Michael Werner

Band 71

HIMMLERS KRIEGER

Joachim Peiper und die Wa�en-SS in Krieg und Nachkriegszeit

FERDINAND SCHÖNINGH

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Jens Westemeier

HIMMLERS KRIEGER

Joachim Peiper und die Wa�en-SS in Krieg und Nachkriegszeit

2., unveränderte Auflage

FERDINAND SCHÖNINGH

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Titelbild: Vordergrund: Malmedy-Prozess, Dachau, Juni 1946: Peiper, links P�ichtverteidiger Colonel Willis M. Everett (NARA). Hintergrund: Peiper (rechts) zeichnet während der Operation »Zitadelle« einen SS-Grenadier aus (Juli 1943). Links daneben Wer-ner Wol� (Privatbesitz Autor).

Reihensignet: Collage unter Verwendung eines Photos von John Heart�eld.© �e Heart�eld Community of Heirs/VG Bild-Kunst, Bonn 1998.

Bibliogra�sche Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliogra�e; detaillierte bibliogra�sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig.

2., unveränderte Auflage 2019© 2014 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland)

Internet: www.schoeningh.de

Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn

ISBN 978-3-506-78508-4 (paperback)ISBN 978-3-657-78508-7 (e-book)

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort zur Reihe ............................................................................................. 9Einleitung ......................................................................................................... 11

Vorbemerkungen zur Wa�en-SS .................................................................. 13Hinweise für den Leser ................................................................................ 16

Danksagung ...................................................................................................... 19

UNRUHIGE ZEITEN 1915‑1933................................................................. 211. »Der Glaube an Deutschland« ............................................................. 21

1. Elternhaus, Kindheit und Jugend ........................................................... 212. Die Ursprünge der SS ............................................................................. 263. »Ich tue nichts, was der Führer nicht weiß«: Heinrich Himmler –

Reichsführer SS ...................................................................................... 27

JUNKERSCHULE UND LEIBSTANDARTE 1933‑1938 ........................... 332. »Meine Ehre heisst Treue« ..................................................................... 33

1. Hitlers Machtergreifung ......................................................................... 332. Sepp Dietrich und die Leibstandarte SS Adolf Hitler .............................. 353. Peipers Eintritt in die SS ......................................................................... 394. Auf dem Weg zur bewa�neten SS ........................................................... 40

3. Die Junkerschulgeneration .................................................................. 461. SS-Führeranwärter .................................................................................. 472. »Bedingt geeignet« – Peipers Beurteilung durch die Reichswehr.............. 503. SS-Führerschule Braunschweig ............................................................... 524. Die Junker .............................................................................................. 635. Mythos Junkerschule .............................................................................. 68

4. Die Leibstandarte .................................................................................... 751. Führerkorps und Personal der Leibstandarte ........................................... 762. Dienst in Berlin ...................................................................................... 813. Auf dem Weg zu »Großdeutschland« ...................................................... 884. Parteigenosse Peiper ................................................................................ 91

ADJUTANT HIMMLERS 1938‑1941 ........................................................... 955. »Des Teufels Adjutant« .......................................................................... 95

1. Im Zauberkreis Himmlers ...................................................................... 962. An Himmlers Seite ................................................................................. 1073. »Mein tapferster Kamerad« – Peiper, seine Frau Sigurd

und die Familien .................................................................................... 1224. Blutige Ouvertüre – Der Angri� auf Polen 1939. ................................... 1365. SS und Vernichtungspolitik in Polen ...................................................... 1396. Mit Himmler im Reichsgebiet 1939/40 .................................................. 148

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6 Inhaltsverzeichnis   

7. Der Ausbau der Wa�en-SS ..................................................................... 1558. Erste »Frontbewährung« – Peiper im Frankreichfeldzug .......................... 1579. Wa�en-SS im Westfeldzug ...................................................................... 161

6. Zwischen »Sieg im Westen« und Krieg im Osten ............................... 1631. Strategisches Dilemma ............................................................................ 1632. Rückkehr in den Bannkreis Himmlers .................................................... 1643. Der Blick gen Osten ............................................................................... 177

KAMPF AN ALLEN FRONTEN 1941‑1944 ................................................ 1857. Unternehmen »Barbarossa« ................................................................... 185

1. Himmlers willige Vollstrecker ................................................................. 1852. »Ein großes Glück für einen jungen Menschen« – Mit der

Leibstandarte an der Front 1941/42 ....................................................... 2038. Französisches Zwischenspiel 1942 ....................................................... 223

1. Peipers Männer – Das SPW-Bataillon ..................................................... 2249. Zurück an der Ostfront ....................................................................... 237

1. »Aus der Rückhand« – Die Stabilisierung der Ostfront ........................... 2372. Die Wiedereroberung von Charkow ....................................................... 242

10. Unternehmen »Zitadelle« ..................................................................... 2471. Au�rischung und Bereitstellung ............................................................. 2472. Die Schlacht um Kursk ........................................................................... 251

11. Intermezzo in Italien 1943 .................................................................... 2541. Das Massaker von Boves ......................................................................... 2572. Peiper und die Judenaktion im Raum Cuneo .......................................... 2673. »Bandenkampf« ...................................................................................... 273

12. Rückzugskämpfe im Osten 1943/44 ...................................................... 2771. Peiper und das Panzerregiment der Leibstandarte ................................... 277

13. Die Schlacht in der Normandie 1944 ................................................. 2901. »Dieser Krieg ist ein weltanschaulicher Krieg« – Die Vorbereitung

auf die Invasion ...................................................................................... 2912. Der Kampf an der Invasionsfront ........................................................... 2973. Der Zusammenbruch der deutschen Front ............................................. 311

TOTALER KRIEG 1944‑1945 ....................................................................... 31914. Die Ardennenoffensive 1944 ................................................................. 319

1. Ausgangslage und Planung ..................................................................... 3192. Das Malmedy-Massaker ......................................................................... 3323. Das Scheitern der Kampfgruppe Peiper .................................................. 3454. Fazit: Peiper in den Ardennen ................................................................. 353

15. Letzte Kämpfe 1945 ................................................................................. 3561. Brennpunkt Ungarn ............................................................................... 358

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   Inhaltsverzeichnis 7

2. »Der Traum vom Reich ist ausgeträumt« – Kapitulation und Kriegsgefangenschaft .............................................................................. 364

3. Exkurs: Die Verluste der Wa�en-SS ........................................................ 371

IN AMERIKANISCHER HAFT 1945‑1956 ................................................. 37316. Der Malmedyprozess 1946 ..................................................................... 373

1. Grundlagen ............................................................................................ 3732. Die Voruntersuchung ............................................................................. 3743. Der Prozess ............................................................................................. 3814. Die Bewertung des Prozesses ................................................................... 399

17. Im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg .......................................... 4031. Das Gefängnis ........................................................................................ 4042. Die Insassen ........................................................................................... 4083. Das »System Landsberg« – Häftlingsgemeinschaft und

Gefängnisleben ....................................................................................... 4144. Die ersten Überprüfungen der Malmedy-Urteile 1946‑1948 ................. 4345. »Es geht um das Recht für die Kameraden« –

Die Kriegsverbrecherlobby ...................................................................... 4376. Nochmalige Überprüfung der Urteile:

Die Simpson-Kommission 1948 ............................................................. 4457. Die Widerlegung der Foltermärchen: Der Baldwin-Ausschuss 1949 ....... 448

AUS DER TODESZELLE IN DIE FREIHEIT .............................................. 45318. Die Aufhebung der Todesurteile ......................................................... 453

1. Die Anstrengungen der Kriegsverbrecherlobby ....................................... 4552. Die Gnadenakte 1951 ............................................................................ 4583. Die letzten Hinrichtungen ...................................................................... 460

19. Integrationspolitik im Zeichen des Kalten Krieges ......................... 4631. Wiederbewa�nung und Bundeswehr ...................................................... 4642. »Nicht irgendein Veteranenverein« – Die »Hilfsgemeinschaft auf

Gegenseitigkeit« (HIAG) ........................................................................ 4663. »Soldaten wie andere auch« – Ehrenerklärungen ..................................... 4704. Rechtshilfe für Kriegsverbrecher ............................................................. 4765. Entlassungen auf breiter Front 1953‑1955 ............................................ 484

20. Peipers Weg aus der Haft ....................................................................... 4961. Der Gemischte Ausschuss 1955 .............................................................. 4982. »Die Mörder sind noch immer unter uns« – Ermittlungen

gegen Peiper 1955 .................................................................................. 5043. Peipers Entlassung .................................................................................. 5084. »Die Brücke in die Freiheit.« – Das Parole-System .................................. 5095. Die Letzten in Landsberg........................................................................ 5156. Fazit ....................................................................................................... 519

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8 Inhaltsverzeichnis   

21. »Weisser geht’s nicht« – Sigurd Peiper bis 1956 ................................. 5221. »Mein liebes Schwesterlein« – Hedwig Potthast ...................................... 525

DIE ZWEITE KARRIERE 1957‑1977 .......................................................... 53122. Aufstieg und Fall bei Porsche .............................................................. 531

1. »... bin ich bereit, Ihnen Gesamtprokura zu erteilen.« ............................. 5312. Alte Bekannte ......................................................................................... 5363. Peiper nach Porsche ................................................................................ 5424. Peipers privater Kreis .............................................................................. 544

23. »Waffen-SS, was birgt dieser Name doch alles in sich« – Die Erfindung eines Geschichtsbilds ........................................................ 5561. Peiper und die HIAG im Kampf gegen die »Di�amierung« .................... 5562. Die Geschichtenschreiber der Wa�en-SS ................................................ 562

24. »Rosen für den Staatsanwalt« – Alte Kameraden vor deutschen Gerichten ............................................................................. 5731. »Nein, das war mir nicht bekannt« – Weggenossen Peipers ..................... 5752. »Es ist alles eine Übertreibung« – Boves .................................................. 5883. Fazit ....................................................................................................... 595

25. Das einfache Leben? – Peipers letzte Jahre ........................................ 6011. Landleben in Frankreich ......................................................................... 6022. »Die Manen der Vergangenheit sind wieder hinter mir her« .................... 6073. Peipers Ende ........................................................................................... 612

26. Die Konstruktion des Peiper-Mythos ................................................. 6191. Die Medien ............................................................................................ 6192. Die Apologeten ...................................................................................... 6263. Die Kinder ............................................................................................. 630

FAZIT .............................................................................................................. 637Die Junkerschulgeneration ........................................................................... 637Peiper und Himmler .................................................................................... 638Die Wa�en-SS ............................................................................................. 639Peiper als militärischer Führer ...................................................................... 641Kriegsverbrechen .......................................................................................... 642Veteranen- und Familienmilieu .................................................................... 643

Anmerkungen ................................................................................................... 645Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................................... 811Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 833Dienstgradbezeichnungen in SS, Heer und US-Army ........................................ 837Anlagen und Karten .......................................................................................... 838Abbildungsnachweis .......................................................................................... 867Personenregister................................................................................................. 868Bildteil: Nach S. 452

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VORWORT ZUR REIHE

»Der Krieg ist nichts als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit verän-derten Mitteln. [...] Durch diesen Grundsatz wird die ganze Kriegsgeschichte ver-ständlich, ohne ihn ist alles voll der größten Absurdität.« Mit diesen Sätzen umriss Carl von Clausewitz im Jahre 1827 sein Verständnis vom Krieg als historisches Phänomen. Er wandte sich damit gegen die zu seiner Zeit und leider auch später weit verbreitete Au�assung, wonach die Geschichte der Kriege in erster Linie aus militäri-schen Operationen, aus Logistik, Gefechten und Schlachten, aus den Prinzipien von Strategie und Taktik bestünde. Für Clausewitz war Krieg hingegen immer und zu jeder Zeit ein Aus�uss der Politik, die ihn hervorbrachte. Krieg kann demnach nur aus den jeweiligen politischen Verhältnissen heraus verstanden werden, besitzt er doch allenfalls eine eigene Grammatik, niemals jedoch eine eigene Logik.

Dieser Einschätzung des Verhältnisses von Krieg und Politik fühlt sich »Krieg in der Geschichte« grundsätzlich verp�ichtet. Die Herausgeber legen also Wert darauf, bei der Untersuchung der Geschichte der Kriege den Blickwinkel nicht durch eine sogenannte militärimmanente Betrachtungsweise verengen zu lassen. Doch hat seit den Zeiten Clausewitz’ der Begri� des Politischen eine erhebliche Ausweitung er-fahren. Die moderne Historiographie beschäftigt sich nicht mehr nur mit Außen- und mit Innenpolitik, sondern auch mit der Geschichte von Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, mit Kultur- und Mentalitätsgeschichte und, nicht zuletzt, mit der Geschichte der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. All die diesen unter-schiedlichen Gebieten eigenen Aspekte haben die Geschichte der Kriege maßgeblich mitbestimmt. Die moderne historiographische Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg kann deshalb nicht umhin, sich die methodologische Vielfalt der gegenwär-tigen Geschichtswissenschaft zunutze zu machen. In diesem Sinne ist »Krieg in der Geschichte« o�en für die unterschiedlichsten Ansätze in der Auseinandersetzung mit dem historischen Sujet.

Diese methodologische O�enheit bedeutet jedoch auch, dass Krieg im engeren Sinne nicht das alleinige �ema der Reihe sein kann. Die Vorbereitung und nachträg-liche »Verarbeitung« von Kriegen gehören genauso dazu wie der gesamte Komplex von Militär und Gesellschaft. Von der Mentalitäts- und Kulturgeschichte militärischer Gewaltanwendung bis hin zur Alltagsgeschichte von Soldaten und Zivilpersonen sol-len alle Bereiche einer modernen Militärgeschichte zu Wort kommen. »Krieg in der Geschichte« beinhaltet demnach auch Militär und Gesellschaft im Frieden.

Geschichte in unserem Verständnis umfasst den gesamten Bereich vergangener Realität, soweit sie sich mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft erfassen lässt. In diesem Sinne ist »Krieg in der Geschichte« (abgekürzte Zitierweise: KRiG) grundsätz-lich für Studien zu allen historischen Epochen o�en, vom Altertum bis unmittelbar an den Rand der Gegenwart. Darüber hinaus ist Geschichte für uns nicht nur die vergangene Realität des sogenannten Abendlandes. »Krieg in der Geschichte« bezieht

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10 Vorwort zur Reihe   

sich deshalb auf Vorgänge und Zusammenhänge in allen historischen Epochen und auf allen Kontinenten. In dieser methodologischen und thematischen O�enheit hof-fen wir den spezi�schen Charakter unserer Reihe zu gewinnen.

Stig Förster Bernhard R. Kroener Bernd Wegner Michael Werner

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EINLEITUNG

1996 verö�entlichte ich eine Biogra�e des SS-Standartenführers Joachim Peiper.1 Obwohl beabsichtigt war, Peiper von den üblichen Klischees zu befreien, ver�ng sich die Arbeit in den tradierten Legenden und ver�el in den bei Biografen häu�-ger auftretenden Fehler, ihrem Forschungsgegenstand mehr mit Sympathie als mit analytischem Blick und kritischer Distanz zu begegnen.2 Fehleinschätzungen und fal-sche Schlüsse einzugestehen und zu korrigieren, ist nicht immer leicht, wurde aber schließlich dank intensiven wissenschaftlichen Gedankenaustauschs in den folgenden Jahren und eines erweiterten Lebenshorizonts glücklicherweise möglich. Über meine erste Peiper-Biogra�e geht die nun vorliegende Arbeit weit hinaus, insbesondere was Fragestellung, Methodik, Umfang der Archivarbeit, Quellenbasis und systematische Auswertung angeht. Trotz des grundlegenden Wechsels der Perspektive tri�t nicht zu, was Peiper 1957 nach der Entlassung aus der Haft an den amerikanischen Autor John Toland schrieb: »Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit und die Geschichte nichts anderes als eine Fabel, deren jeweilige Auslegung von der Zweckmäßigkeit regiert wird.«3 Die Gefahr, nach der Idealisierung Peipers in das Gegenteil zu verfallen und zum Ankläger zu werden, war zweifellos groß. Erkannte Irrtümer ermöglichen jedoch auch Selbstkontrolle und Selbstprüfung. Mäßigendes Korrektiv des Historikers sind hierbei immer die Quellen. Was sie nicht hergeben, kann nicht als wahr behauptet werden. In Peipers Fall fügten sich die Quellen nach und nach zu dem Bild eines Menschen zusammen, der nur sich kannte, mit allen Konsequenzen, die eine solche Charakterstruktur während eines Lebens im Dritten Reich nach sich zog.

Selbst bei nur �üchtiger Beschäftigung mit der Wa�en-SS stößt man auf den Namen Peiper. Zahlreiche Bücher verherrlichen ihn als Kriegshelden und brillanten jungen Truppenführer, taktisch begabt und von scharfem Verstand, der nach dem Krieg von den Siegern zu Unrecht verurteilt worden sei. Dieser Mythos wirkte bis in die Geschichtsschreibung hinein. Peiper trat 1933 als Achtzehnjähriger in die SS ein.4 Sein Äußeres entsprach dem nationalsozialistischen Ideal des nordischen Menschen. Indem er eine SS-Führerschule durchlief, gehörte er der sog. Junkerschulgeneration an, die in den letzten Kriegsjahren auf der mittleren Führungsebene der Wa�en-SS Bataillone, bisweilen auch Regimenter und in Einzelfällen sogar Divisionen kommandierte. Diese Generation prägte den rücksichtslosen Kampfstil der von ihr geführten Einheiten und gab die gnadenlose Behandlung von Kombattanten, von Kriegsgefangenen, Partisanen sowie der jüdischen und nichtjüdischen Zivilbevölkerung vor. Die Junker nahmen für sich in Anspruch, die militärische, ideologische und soziale Elite des NS-Systems zu sein. Peiper nahm innerhalb dieser Gruppe wegen seiner Nähe zu Himmler eine Sonderstellung ein. Von 1938 bis 1941 war Peiper, was bisher meist übersehen wur-de, Adjutant Himmlers. In dieser Zeit vollzog die nationalsozialistische Judenpolitik einen Entwicklungssprung von erzwungener Emigration zur Endlösung, dem syste-matischen Versuch, alle Juden zu töten, der die Deutschen habhaft werden konn-ten.5 Diese Jahre formten Peiper, da der Reichsführer permanent erzieherisch auf

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12 Einleitung   

ihn einwirkte; ihr Kontakt ging über das rein Dienstliche hinaus. Peiper begleitete Himmler, den Architekten des Holocausts, nicht nur auf den Inspektionsreisen zu Konzentrationslagern, Ghettos und Erschießungen im besetzten Polen, sondern wurde durch den täglichen Umgang auch mit Himmlers Arbeitsmethoden vertraut, nämlich Widerstände mit Gewalt zu beseitigen und nur die eigene Willkür als einzige Norm gelten zu lassen. Diese Erfahrung blieb nicht ohne Folgen für Peipers Persönlichkeit, wie noch zu zeigen sein wird.

1939 heiratete er die glühende Nationalsozialistin Sigurd Hinrichsen, eine der Sekre tärinnen Himmlers, die Peipers Bewunderung für Himmler uneingeschränkt teilte.

Im Herbst 1941 wurde Peiper zur Leibstandarte SS Adolf Hitler versetzt und kommandierte zuletzt das Panzerregiment dieser Division. Die Geschichte dieses Kernverbands der Wa�en-SS ist seit seiner Entstehung 1933 eine Geschichte der Gewalt, seit der Frontverwendung eine ununterbrochene Kette von Verbrechen. Auch für Peipers Einheiten gilt: wo immer sie eingesetzt waren, begingen sie Kriegs ver-brechen.

1946 verurteilte ein amerikanisches Militärgericht Peiper wegen des Malmedy-Massakers, der Erschießung von über achtzig amerikanischen Kriegsgefangenen wäh-rend der Ardennen-O�ensive, zum Tod. Peiper saß bis zu seiner Begnadigung 1956 im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg. Sein Todesurteil war 1951 in eine lebenslängli-che Haftstrafe umgewandelt worden. Die Begnadigung hatte er einer sich rasch formie-renden Kriegsverbrecherlobby zu verdanken, die, getragen von traditionellen Eliten, eine Kampagne inszenierte, um die Freilassung der »Kriegsverurteilten« zu erzwingen und sich dabei auf die Landsberger Kriegsverbrecher konzentrierte. Peipers Haft in Landsberg und die Kampagne für die Freilassung der verurteilten Kriegsverbrecher erhellen den Umgang der frühen Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit, beleuch-ten die dahinter stehenden Interessen und politischen Ambitionen.

In Landsberg saßen NS-Verurteilte aller Couleur – Diplomaten, Juristen, Medi-ziner, Verwaltungsfachleute, Militärs, Wissenschaftler und Wirtschaftsbosse. Während der gemeinsamen Haft unterschiedlichster Verurteilter bildeten sich Freundschaften und Seilschaften. Die ehemalige Funktionselite verfügte über Spezialkenntnisse, die sie weiter geben konnten. Es entstand ein Kurssystem, die »Hochschule Landsberg«. Aufs engste mit dem Gefängnisleben verzahnt, entwickelte sich das »System Landsberg«.6 Über die Großindustriellen gelang vielen Häftlingen nach der Entlassung die Integration in die Nachkriegsgesellschaft. Peiper fand nach seiner Begnadigung eine Anstellung bei Porsche. Auch diese Phase der Nachkriegsgeschichte dokumentiert die Arbeit und zeigt Kontinuitäten auf.

Exemplarisch für viele ehemalige Angehörige der Wa�en-SS ist Peipers Ge-schichte schließlich wegen der überwiegend wenig erfolgreichen Prozesse, die die Strafverfolgungsbehörden in den 1960er Jahren einleiteten, allerdings mit dem Unterschied, dass ihn sein gewaltsamer Tod 1976 zur unsterblichen Ikone der Wa�en-SS bei SS-Veteranen und Apologeten machte. Die Arbeit zeigt, wie interessierte Kreise Peiper ins Zentrum ihrer revisionistischen Anstrengungen stellten, um zu beweisen,

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   Einleitung 13

was nicht zu beweisen ist, dass die Angehörigen der Wa�en-SS »Soldaten wie andere auch« gewesen seien.

Vorbemerkungen zur Waffen-SS

Die deutsche Zeitgeschichtsforschung hat seit den 1990er Jahren die aktive Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg gegen die Länder Osteuropas systematisch o�en gelegt und den Mythos von der »sauberen« Wehrmacht nachhaltig entzaubert.7 Die Diskussion um die von Hannes Heer (Hamburger Institut für Sozialforschung) initiier-te »Wehrmachtsausstellung« führte zu einer veränderten, ö�entlichen Wahrnehmung der Wehrmacht.8 Gleiches lässt sich trotz Bernd Wegners wegweisender Studie von 1982 Hitlers Politische Soldaten9 und neuerer Forschungen für die Wa�en-SS noch nicht sagen.10 Ihr Bild wird von den freundlichen Annahmen bestimmt, sie sei eine Elitetruppe gewesen und habe mit Himmler, Holocaust, Massenmord und Kriegsverbrechen so gut wie nichts zu tun gehabt – Fehlurteile, die zuweilen auch die seriöse Geschichtsschreibung zu verantworten hat.

Zu den Einsätzen der Wa�en-SS legte George H. Stein 1966 eine Geschichte der Wa�en-SS vor. Steins Studie bildete den Ausgangspunkt für gravierende Fehl ein-schätzungen. Auf der einen Seite enthält sie eine ausführliche Zusammenstellung der damals bekannten Kriegsverbrechen der Wa�en-SS und widerlegt Aus�üchte der Täter und Apologeten.11 Auf der anderen Seite aber hält Stein, wie es schon der Titel der Originalausgabe �e Wa�en-SS. Hitler’s Elite Guard at War 1939-1945 deutlich macht, die Wa�en-SS für eine militärische Elite: »Dass die Alliierten [nach Stalingrad] noch zwei Jahre brauchten, um Deutschlands Niederlage zu besiegeln, war in nicht geringem Maße den Anstrengungen der Elitepanzerdivisionen der Wa�en-SS zuzu-schreiben.«12 Steins Gesamturteil über die Wa�en-SS fällt dementsprechend positiv aus und ist doch höchst fragwürdig. Man solle

»das Maß der von der Wa�en-SS verübten Gräuel nicht übertreiben, und ebenso wenig sollte man dulden, dass Gräuel, die tatsächlich vorgekommen sind, die geschichtliche Bedeutung der Wa�en-SS verdunkeln: Diese Bedeutung ist nicht so sehr in ihrer Rolle bei den Massakern von Le Paradis oder Malmedy zu suchen, sondern in ihrem Anteil an den großen Schlachten von Hitlers Europa.«13

Nach neueren Erkenntnissen ist dies ein eklatantes Fehlurteil.1967 setzte sich der Journalist Heinz Höhne in seinem bis heute zur Geschichte der

SS als Standardwerk geltendem Buch Der Orden unter dem Totenkopf mit der Wa�en-SS auseinander.14 Trotz seines nicht unkritischen Standpunkts beschreibt jedoch auch er die Kernverbände der Wa�en-SS als Elitetruppe und folgt der Selbstdarstellung von SS-Generälen wie etwa Paul Hausser, Felix Steiner und Wilhelm Bittrich; so gehört es zu Höhnes Prämissen, dass die Wa�en-SS nichts mit den Konzentrationslagern zu tun gehabt habe.15

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14 Einleitung   

Gleiches gilt für einige biogra�sche Sammelstudien. Während SS-Generäle aus der Konzentrationslager-SS16, dem Sicherheitsdienst und der Polizei in den histori-schen Zusammenhang des NS-Vernichtungskrieges eingeordnet werden, lösen die Einzelstudien zu den Generälen der Wa�en-SS, soweit sie nicht den Totenkopf-Verbänden angehörten, die untersuchten Personen aus der SS-Geschichte heraus und machen sie zu Militärstrategen, sogar zu Rebellen, die eigentlich mit der NS-Ideologie nichts zu tun hatten und eher zufällig oder durch die Borniertheit der traditionellen Militärelite bei der Wa�en-SS hängen geblieben waren.17

In den 1970er Jahren wurden zwei wichtige Arbeiten zu SS-Divisionen vorgelegt. Zum einen James J. Weingartners Studie zur Leibstandarte Hitler’s Guard, zum ande-ren Charles W. Sydnors Analyse der Totenkopf-Division Soldaten des Todes von 1977, die 2002 in deutscher Übersetzung erschien. Sydnor nutzte die Gelegenheit, um in einem ausführlichen Vor- und Nachwort auf De�zite seiner früheren Arbeit einzuge-hen. Er räumte ein, die Rolle der Wa�en-SS und vieler SS-Führer im Holocaust un-terbewertet zu haben.18 Es sei angemerkt, dass auch sie die Klischees von militärischer E�ektivität und militärischem Elitecharakter der Wa�en-SS übernahmen.

Erst spät wurde der Elite-Mythos der Wa�en-SS von der Forschung hinterfragt. Bernd Wegner sprach zwar 1996 noch von »aus der Tradition der Vorkriegs-SS hervor-gegangenen Elite-Panzerdivisionen«, stellte aber »kurzum« fest, dass »spätestens mit der Neuaufstellungswelle 1943 die Wa�en-SS aufgehört hatte, eine militärische Elite per se zu sein.«19 Jean-Luc Leleu legte 2007 eine Gesamtdarstellung La Wa�en-SS vor. Er glaubt, dass Himmler nach 1942 mit der Vergrößerung der Wa�en-SS das Konzept ei-ner nationalsozialistischen »armée populaire« verfolgte, die schließlich die Wehrmacht ersetzen sollte.20 Leleu deckt die damit verbundenen Probleme bei Rekrutierung und Ausbildung der Wa�en-SS auf und belegt fehlende militärische Professionalität. Er verwirft die einseitige Bewertung der Wa�en-SS als eine Militärelite. Auch Franz Josef Merkl korrigiert in General Simon. Lebensgeschichten eines SS-Führers für die Totenkopf- sowie die 16. SS-Panzergrenadierdivision Reichsführer-SS Elite-Mythen und zeigt de-ren militärischen Dilettantismus und insbesondere Kriegsverbrechen auf.21

Die Führer der Wa�en-SS gehören im Rahmen der Täterforschung nicht zu den Gruppen der SS, die bereits eingehend untersucht wurden wie etwa das Personal der Konzentrationslager-SS, des Sicherheitsdienstes und der Polizei.22 Nicht jeder Wa�en-SS-Mann war Täter23, jedoch wurde bereits während der Nürnberger Prozesse mit ei-ner Fülle von Dokumenten belegt, dass die Wa�en-SS eine Unzahl Gewaltverbrechen verübt hatte. Die Forschung vermutete, dass die Ursache dieser Gewalttätigkeit in der SS-spezi�schen Sozialisierung lag. Zur Erhärtung dieser �ese fehlte noch Ende der 1970er Jahre die empirische Grundlage.24 Immerhin konnten bedeutende Einzelstudien etliche der seit langem bestehenden Forschungslücken schließen und eine empirische Grundlage scha�en.

Martin Cüppers’ Wegbereiter der Shoah und Carlo Gentiles Arbeit Wehrmacht und Wa�en-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943‑1945 haben mit ihren detaillierten Monogra�en die Kriegsverbrechen der Wa�en-SS in Polen, der Sowjetunion und Italien eindrucksvoll dargestellt.

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   Einleitung 15

Für die Westfront zeigt Peter Lieb in seiner Studie Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? kenntnisreich den deutlichen Unterschied zwischen Wehrmacht und Wa�en-SS auf. So führte die Wa�en-SS auch dort einen Vernichtungskrieg ge-gen Kombattanten und Zivilisten. Neun der zehn größten Massaker in Frankreich begingen Verbände der Wa�en-SS.25 Für die Ardenneno�ensive 1944 zeigt James J. Weingartner in Crossroads of Death und A Peculiar Crusade, dass die Ideologisierung der SS und ihre Erfahrung im Vernichtungskrieg an der Ostfront auch im Westen eine hemmungslos-brutale Kriegsführung bedingte.26 Dem folgend legte Danny S. Parker mit Fatal Crossroads nun eine umfassende Studie zum Malmedy-Massaker vor. Matthieu Longue zeichnet in Massacres en Ardenne das willkürliche Töten von Greisen, Frauen und Kindern durch Männer der Leibstandarte insbesondere im Raum Stavelot nach – eines der größten SS-Massaker im Westen, das durch das Malmedy-Massaker bisweilen in Vergessenheit geriet.27

Sönke Neitzel hat 2002 in seinem wichtigen Aufsatz Des Forschens noch wert? Anmerkungen zur Operationsgeschichte der Wa�en-SS für die vorliegende Arbeit wich-tige Aussagen deutscher Kriegsgefangener zu Verbrechen der Leibstandarte verö�ent-licht und Anstöße gegeben. Neitzel hebt hervor, dass sich militärische Professionalität daran messe, dass ein Verband bei der Auftragserfüllung möglichst geringe Verluste habe. Neitzel fordert einen operationsgeschichtlichen Ansatz zur Erforschung der Wa�en-SS. Dieser könne einen großen Beitrag zur Bewertung der militärischen E�zienz nicht nur der Leibstandarte, sondern auch anderer SS-Verbände leisten. Allerdings dürfe dieser Ansatz nicht der Entpolitisierung des Forschungsgegenstandes dienen, wie dies in der populären Rechtfertigungsliteratur geschieht, die sich ganz gezielt ausschließlich auf die militärische Rolle der SS-Truppen konzentriert.

Wie Bernd Wegner herausstellt, werden in dieser Literatur die Gefechte der Wa�en-SS »aus dem Zusammenhang der Geschichte von SS und Nationalsozialismus herausgelöst und gleichsam in einem historisch-politischem Vakuum präsentiert. Auf diese Weise erscheinen die Angehörigen der Wa�en-SS als ›Soldaten wie andere auch, ihre Leistungen und Opfer als das Ergebnis zeitloser militärischer Tugenden und Fertigkeiten. Ein solcher Ansatz ist seinem Wesen nach unhistorisch, entspricht aber den Selbstdarstellungsbedürfnissen vieler ehemaliger Angehöriger der Wa�en-SS ebenso wie den Wunschbildern eines Teils des Lesepublikums.«28 Eine reine Operationsgeschichte setzt sich dieser Gefahr aus.

Zu den verschiedenen von SS-Veteranen verfassten Divisionsgeschichten stell-te Bernd Wegner 1978 fest, dass sie die Anwendung historisch-kritischer Methoden und jede problematisierende Betrachtung vermeiden, dennoch aber den Anspruch auf »objektive« kriegsgeschichtliche Dokumentation erheben. Wegner setzte hin-zu, dass die Autoren, »unbesehen der Fülle wertvoller Detailinformationen, die sie bieten, stets in der Gefahr sind, alte Legenden zu konservieren und neue zu för-dern.«29 In der Tat war dies die eigentliche Intention dieser Kriegsgeschichten. Auch zur Leibstandarte legten SS-Veteranen eine Divisionsgeschichte vor. Die ers-ten drei Bände verfasste Rudolf Lehmann, die abschließenden Bände Ralf Tiemann. Der erste Band erschien 1977, nachdem die HIAG, die Veteranenorganisation der

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16 Einleitung   

Wa�en-SS, und der Kameradschaftsverband der Leibstandarte die Chronik schon in den 1960er Jahren geplant und koordiniert hatten. Die Bände  I‑III schildern die Entwicklung der Leibstandarte bis Ende 1943. Lehmann verwendete auch Quellen aus den Bundesarchiven. Die Bände  IV/1 und IV/2, die Tiemann nach Lehmanns Tod verfasste, sind nur noch Selbstbeweihräucherung, eine Ansammlung unkri-tischer Erinnerungsberichte und die Verherrlichung Joachim Peipers als Star der Wa�en-SS: »Das Schicksal Jochen Peipers steht für unsere Division. Der Mensch Peiper für Standhaftigkeit, Ehre und Opferbereitschaft.«30 Bernd Wegner rezensierte Lehmanns ersten Band als ein »nahezu perfektes Abbild der Ober�ächengeschichte der Leibstandarte« und ein tre�iches Beispiel dafür, wie ein »Nicht-Historiker Objektivität und historische Fehldeutung« vereinbart.31 Lehmann antwortete dar-auf, für ihn gelte einzig »rücksichtslose Wahrheit und politische Verantwortung.« Die Leibstandarte habe an der Ostfront übermenschliche Leistungen vollbracht, was erst im vollen Umfang bei genügend zeitlichem Abstand gewürdigt werden könne. »Sie kämpften und starben im Glauben an eine gute Sache. Es mag die Tragik einer ganzen Generation sein, dass sie in diesem Glauben, wie man rückschauend erkennen muss, scheitern musste.«32 Verö�entlichte Memoiren von SS-Führern weisen die Autoren über das Ende des Dritten Reichs hinaus als unbelehrbare Nationalsozialisten aus, bieten als Quelle aber dennoch manche Details.33

Aus der Menge unwissenschaftlicher Literatur zu Peiper sticht die 1998 von Patrick Agte verö�entlichte Biogra�e Jochen Peiper hervor, die auch in einer englischen Übersetzung erschien. Das auf 450 großformatigen Seiten �eißig zusammengetragene und mit zahllosen Bildern ausgestattete Buch stützt sich vor allem auf NS-Quellen und Erinnerungen von SS-Veteranen. Das Ergebnis ist eine unre�ektierte Hymne auf die SS, Himmler und Peiper, die zu dem Schluss kommt: »Joachim Peiper kann – ohne Abstriche – als Vertreter besten deutschen Soldatentums, als Diener an seinem Volk, gesehen wer-den.«34 Da Agte Zugang zu Quellen von SS-Veteranen und aus dem Familienbesitz Peipers hatte, muss aus dem unseriösen Machwerk hier und da zitiert werden.

Hinweise für den Leser

SS und SA verwendeten seit ihrem Bestehen eine eigene Nomenklatur für die Dienstgradgruppen der O�ziere, Untero�ziere und Mannschaften. Der O�zier hieß »SS-Führer«, der Untero�zier »Scharführer«, der Obergefreite »Rottenführer«.35 Im Text wird durchgehend der historisch korrekte Terminus verwendet. Interessierte Kreise benutzen die Ausdrucksweise »SS-O�zier«, um zu suggerieren, dass Wa�en-SS-Führer und O�ziere der Wehrmacht sich nicht unterschieden, die Wa�en-SS mit-hin völlig sinnwidrig ein »vierter Wehrmachtsteil« gewesen sei.36 Im Gegensatz dazu gab es in der Wa�en-SS ab 1940 für die Dienstgrade Brigade- bis Obergruppenführer entsprechende Zusätze wie »und Generalmajor der Wa�en-SS«, so dass für diese Dienstgradgruppe von einem »SS-General« gesprochen werden kann.37

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   Einleitung 17

Zur besseren Lesbarkeit wird im Text bei den SS-Dienstgraden und SS-Ein rich-tungen auf das vorangestellte »SS« verzichtet; statt »SS-Untersturmführer« heißt es nur »Untersturmführer«. Die SS gliederte ihre Verbände in Standarten, Sturmbanne und Stürme. Am 18.  Januar 1940 wurden die Wehrmachtsbezeichnung Bataillon und Kompanie, ab 12. September 1940 die Bezeichnung Regiment (zunächst für die Totenkopf-Standarten, ab 1941 auch bei den älteren Standarten) eingeführt.38 Zum besseren Verständnis werden diese Bezeichnungen im Text für die VT auch für die Zeit vor 1941 als militärische Bezeichnungen verwendet.

Die Zitate wurden so in den Text übernommen, wie sie in den Quellen enthal-ten sind. Inhaltlich bedeutungslose, o�ensichtliche Schreib- und Interpunktionsfehler wurden stillschweigend korrigiert. Anmerkungen des Verfassers sind im Text von Zitaten durch eckige Klammern kenntlich gemacht.

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DANKSAGUNG

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Juni 2009 von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam angenommen wurde. Mein Dank gilt allen, die mich während der Anfertigung der Arbeit unterstützt haben.

An erster Stelle bedanke ich mich bei Prof. Dr. Bernhard R. Kroener. Die Betreuung meiner Arbeit zu übernehmen, war keine Selbstverständlichkeit; es bedeutete für mich Ansporn und Verp�ichtung. Prof. Dr. Bernd Wegner danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, Prof. Dr. James J. Weingartner, Peter Witte und Dr. Carlo Gentile für weiterführende Hinweise und Anregungen. Mein Dank gilt auch Katrin Himmler, Dr. Peter Lieb, Prof. Dr. Sönke Neitzel, Dr. Jan Erik Schulte und Dr. Roman Töppel, die Teile des Textes kritisch lasen und mit mir diskutierten. Andreas Schulz, Dr. Dieter Zinke und Timm Haasler sei für ihre Hilfe insbesondere bei der Ergänzung biogra-�scher Angaben, Anton Joachimsthaler für seine Hilfe bei so mancher Transkription handschriftlicher Überlieferungen gedankt.

Die Mitarbeiter vieler Archive ermöglichten bisweilen Unmögliches. Hier möchte ich besonders aus den Bundesarchiven Elfriede Frischmuth, Dr. Tobias Herrmann, Dr. Andreas Kunz, Lutz Möser, Dr. �omas Menzel und Sidar Toptanci, aus dem Staatsarchiv München Robert Bierschneider, vom Landesarchiv Berlin Monika Schmidt, vom VHA Zuzana Pivcová und Trudi Mergili vom Wiesenthal-Archiv, Dieter Landenberger, Leiter Historisches Archiv Porsche AG sowie Hans-Peter Wollny stellvertretend für die Mitarbeiter der Deutschen Dienststelle (WASt) danken.

Michael Werner gebührt mein besonderer Dank. Frühzeitig setzte er sich im Verlag Ferdinand Schöningh für die Verö�entlichung der Arbeit ein, sein sorgfältiges Lektorat gab dem Manuskript eine lesbare Form und letzten Schli�. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam, unterstützte die Drucklegung mit vielfältiger Hilfe. Hierfür danke ich Dr. Arnim Lang, Bernd Nogli, Christine Mauersberger, Yvonn Mechtel, Maurice Woynoski und besonders Carola Klinke herzlich. Ein Druckkostenzuschuss durch die FAB Investitionsberatung und Finanzierungsvermittlung Burkhardt Otto eK in Berlin Charlottenburg er-leichterte darüber hinaus die Verö�entlichung meiner Arbeit wesentlich. Für diese Unterstützung bin ich Herrn Burkhardt Otto zu großem Dank verp�ichtet.

Überaus wertvoll war mir die freundschaftliche Hilfe von Dr. Dörte v. Westernhagen bei der sprachlichen Überarbeitung des Textes und von Danny Parker bei gemeinsa-men Interviews sowie dem Aufspüren von Dokumenten in US-Archiven. Bei meinen Eltern bedanke ich mich für ihre unermüdliche Unterstützung.

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UNRUHIGE ZEITEN 1915‑1933

1. »Der Glaube an Deutschland«

Seit August 1914 tobte der Erste Weltkrieg auf den Schlachtfeldern Europas. Das Deutsche Kaiserreich war siegessicher. Seine Armeen standen tief im Feindesland. Am 27.  Januar 1915 feierte man voller Zuversicht den Geburtstag Kaiser Wilhelms  II. Drei Tage später, am 30. Januar 1915, kam Joachim Peiper, später Jochen gerufen, als drittes Kind der Eheleute Woldemar und Charlotte Peiper in der elterlichen Wohnung im Berliner Stadtteil Wilmersdorf zur Welt.1

1. Elternhaus, Kindheit und Jugend

Die protestantische Familie Peiper stammte aus Schlesien.2 Vater Woldemar Peiper wurde am 18.  Juli 1878 in Groß-Preiskerau, Kreis Ohlau, als Sohn des königlichen Seminardirektors Woldemar Peiper und dessen Frau Clara geboren.3 Die Vorfahren waren vor allem Pfarrer und Lehrer gewesen. Mit dem Gutsherrn bildeten diese den politischen Mittelpunkt der ländlichen Gemeinden. Aus Staatstreue, nationaler Gesinnung und bür-gerlichem Selbstbewusstsein setzte sich der Wertekanon zusammen, den das Pfarrhaus seinen Kindern mitgab.4 P�icht, Gehorsam, Vaterlandsliebe und Kaisertreue waren das Credo des wilhelminischen Bürgertums. In der Ahnenreihe der Mutter Clara überwo-gen adelige Gutsbesitzer, z.B. die Familie v. Unruh.5 Als Peipers Großvater 1884 starb, war sein Vater fünfzehn Jahre alt. Die Großmutter hatte drei Kinder zu versorgen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse schlossen eine akademische Ausbildung der drei Söhne aus. Den Sprösslingen bürgerlicher Familien in vergleichbarer Situation bot der O�ziersberuf die Möglichkeit einer sozialen Karriere. Woldemar schlug die O�zierslaufbahn in der preußischen Armee ein. Nachdem sie für das Bürgertum geö�net worden war, waren nicht Prüfungen und Prüfungskommissionen, sondern Beurteilung und Vorschlag des Regiments- oder Bataillonskommandeurs für die Zulassung als Fahnenjunker entschei-dend, um die Homogenität des O�zierskorps zu wahren. Herkunft und Gesinnung, monarchisch, national, sozialkonservativ und kaisertreu, waren ausschlaggebend. Peipers Vater und seine Familie erfüllten die Kriterien und wurden als »o�zierswürdig« aner-kannt: Peipers Großvater war in einer angesehenen Stellung gewesen, hatte ein Studium an den Universitäten Breslau und Berlin absolviert und war mit dem Roten Adlerorden der IV. Stufe ausgezeichnet worden; die Mutter hatte adelige Vorfahren; die Familie war evangelisch. Woldemar Peiper muss auch die Hochschulreife erlangt haben; denn 1870 hatte das Preußische Kriegsministerium das Abitur als Eingangsvoraussetzung festge-setzt.6 Woldemars Bruder Georg wurde ebenfalls O�zier.7

Wirtschaftlich war der O�ziersberuf nicht attraktiv. Das Salär eines Leutnants oder Oberleutnants war so dürftig, dass er ohne Familienvermögen nur ein Dasein

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22 Unruhige Zeiten 1915‑1933   

als Hungerleider führen konnte.8 Dafür besaß der O�zier eine herausgehobene so-ziale Stellung. Das Militär war ein zentrales Element des wilhelminischen Staates. Das O�zierskorps sah sich als der »erster Stand« des Kaiserreichs.9 Nach der Grundausbildung besuchte der O�ziersanwärter die Kriegsschule an. War sie erfolg-reich bestanden, stimmte das O�zierskorps der Stammeinheit über die Zuwahl des neuen Mitglieds ab.10 Woldemar wurde am 22. Mai 1900 zum Leutnant befördert.11 Die gesellschaftliche Stellung der Leutnants stand in keinem Verhältnis zu ihrem Lebensalter und ihren tatsächlichen Aufgaben. Diese gesellschaftliche Überbewertung und ihre militärische Sozialisation bestimmten den Wertehorizont dieser O�ziere bis an ihr Lebensende. Im wilhelminischen Zeitalter symbolisierte »der Leutnant« als habituelle Form die gesamtgesellschaftliche Militarisierung.12 Von 1903 bis 1904 tat Woldemar Peiper in der 3. Kompanie des Niederschlesischen Trainbataillons Nr. 5 Dienst. Das in Posen stationierte Trainbataillon gehörte zum V.  Armeekorps der Preußischen Armee.13

1904 erhoben sich in der deutschen Kolonie Südwestafrika, heute Namibia, die eingeborenen Hereros gegen die Kolonialherren. Die wenigen deutschen Siedler, nur durch eine Handvoll Kolonialtruppen geschützt, sahen sich Angri�en ausgesetzt, und das Deutsche Reich bangte um eine seiner wenigen Kolonien. Schnell wurde ein Expeditionskorps aufgestellt, zu dem sich Peiper meldete, und per Schi� auf den exotischen Kriegsschauplatz verfrachtet. Peiper schied aus der preußischen Armee aus und trat zur Kaiserlichen Schutztruppe für Südwestafrika über.14 Der 26-jähri-ge Leutnant diente zunächst in einer Infanteriekompanie, die Hauptmanns Victor Franke führte. Es wurde ein langer, blutiger und teurer Krieg. Im August 1904 ge-hörte Woldemar Peiper zu den 1600 deutschen Soldaten, die 3000 bis 4000 Hereros gegenüber standen und mit diesen in vielen kleinen Scharmützeln kämpften.15 Der Herero-Aufstand brach 1905 zusammen. Das militärische Vorgehen der deutschen Schutztruppe endete in einem Völkermord.16 Peiper gehörte von 1905 bis 1906 der III.  (Proviant) Kolonnenabteilung der Kaiserlichen Schutztruppe Südwestafrika an. Für die zwei Jahre Dienstzeit in Afrika erhielt er das Militär-Ehrenkreuz.17 Er erkrank-te an Malaria und erlitt eine schwere Verwundung, so dass er zunächst als zu vierzig Prozent kriegsbeschädigt eingestuft wurde.18 Diese Verwundung behinderte ihn im täglichen Leben jedoch nicht.19 1907 schied er aus der Schutztruppe für Südwestafrika unter Übertritt zur preußischen Armee aus und kam zur 3. Kompanie des Schlesischen Trainbataillons Nr. 6 nach Breslau. 1909 wurde er zum Elsässischen Trainbataillon Nr. 15 nach Straßburg versetzt.

Am 28. Dezember 1909 heiratete Peiper Charlotte Marie Schwartz, geboren am 15.  Januar 1879 in Berlin, eine Tochter aus großbürgerlichem Haus. Ihre Eltern waren der Baumeister Gustav Schwartz und seine Frau Marie.20 Die Ehe mit ei-nem O�zier war für bürgerliche Familien in der wilhelminischen Gesellschaft, die durch die Normen adeliger Lebensformen geprägt war, der Königsweg zum sozialen Aufstieg.21 Charlotte Marie muss ein gewisses Vermögen in die Ehe gebracht haben, womit die wirtschaftliche Grundlage der Heirat gesichert war. Ansonsten hätte Peipers Regimentsführung die Heiratsgenehmigung nicht erteilt. Der Heiratskonsens des

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   1. Elternhaus, Kindheit und Jugend 23

Kaisers und Obersten Kriegsherrn war für die soziale Homogenität des preußischen O�zierskorps von zentraler Bedeutung. Zum einen sollte er verhindern, dass O�ziere durch die Heirat mittelloser Frauen in wirtschaftliche Not und nicht standesgemäße Lebenslagen kamen; zum anderen sollten nur eheliche Verbindungen mit o�zierfähi-gen Familien, die, sofern sie nicht von Adel waren, wenigstens zur bürgerlichen Elite gehörten, zugelassen werden.22

In Straßburg wurde Woldemar Peiper am 27.  Januar 1910 zum Oberleutnant befördert.23 Dort blieb er bis 1912. Es folgten zwei Jahre Dienst im 2. Rheinischen Trainbataillons Nr. 21 (Truppenübungsplatz Oberhofen/Elsass), bevor Woldemar 1914 nach Breslau versetzt und Chef der 4. Kompanie der Schlesischen Trainabteilung Nr. 6 wurde. Damit war die Beförderung zum Rittmeister mit Patent vom 27. Januar 1914 verbunden.24 Am 19. Juni 1914 wurde Woldemar aus der preußischen Armee verab-schiedet. Ob aus gesundheitlichen Gründen oder durch das Votum seines Vorgesetzten, lässt sich nicht feststellen. Der nächste Dienstgrad wäre der Major gewesen. An der Beförderung zum Major, der sog. Majorsecke, konnte man wegen mangelnder Begabung, ungenügender Leistung oder auch der Anciennität wegen scheitern.25

1911 verlegte die Familie Peiper ihren Hauptwohnsitz in die Xantener Straße 8 im Zentrum Berlins, Stadtteil Wilmersdorf.26 1914 zogen Woldemar und Charlotte Marie mit ihren zwei Söhnen in die anliegende Zähringerstraße  17  II, unweit des Kurfürstendamms. Hans-Hasso war am 20. Oktober 1910, Horst am 2. April 1912 in Berlin geboren. Die große, moderne Mietwohnung in der zweiten Etage des vierstöckigen Neubaus, mit Balkon, Salon und Herrenzimmer, hatte sogar einen Telefonanschluss.27 Die Eltern zogen ihren Kindern gerne – der Mode der wilhelmini-schen Zeit entsprechend – Matrosenuniformen an.28

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg begann, wurde Woldemar Peiper im Rang eines Hauptmanns wieder Soldat.29 Bei der kämpfenden Truppe wurde er nicht ein-gesetzt. Zunächst übernahm er Verwaltungsaufgaben in der belgischen Etappe. 1915 wurde er Chef des 2. Eskadron Trainabteilung  III.30 Im September 1915 wurde er eine Woche lang wegen Herzbeschwerden, eine späte Folge der Malaria-Erkrankung, im Reserve-Lazarett  II in Spandau untersucht.31 Der Krieg führte ihn zeitweise bis ins Osmanische Reich, wo er in der Militärmission eingesetzt wurde.32 Er gehörte der Deutschen Kraftfahrtruppe in der Türkei (IR. 77) an. Das deutsche Expeditionskorps sollte die verbündete Türkei stützen, hatte wegen seiner geringen Truppenstärke aber nur symbolischen Charakter. Peiper wurde mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausge-zeichnet. Anschließend arbeitete er als Referent im Kriegsministerium.33 1918 war er an der Westfront in der französischen Etappe eingesetzt. In der Militärverwaltung blieb ihm das Trommelfeuer und Sterben in den Schützengräben erspart. Den Wa�enstillstand und das Ende des Krieges erlebte er im November 1918 in Stenay und Montmedy in Lothringen. Militärische Kariere hatte er keine gemacht. In den vier Jahren des Krieges war er nicht zum Major befördert worden.34 Woldemar Peiper mag die Ereignisse an der Front wie in der Heimat so wie Hitler empfunden ha-ben, der die Niederlage und die Revolution 1918/19 als »die größte Schandtat des Jahrhunderts« bezeichnete.35

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24 Unruhige Zeiten 1915‑1933   

1918 brachte kein gewöhnliches Kriegsende. Wilhelm II. dankte ab und ging ins Exil. Die frei gewählte Nationalversammlung bestätigte mit großer Mehrheit im Juli 1919 die aus dem Zusammenbruch des Kaiserreichs hervorgegangene Republik als parlamentarische Demokratie. Von ultrarechten und linken Kräften bekämpft, vom Bürgertum abgelehnt, konnte sich die Weimarer Republik nicht zu einem stabilen Staatswesen entwickeln. In Versailles erlegten die Sieger, allen voran Frankreich, dem Deutschen Reich einen harten Friedensvertrag auf, der zukünftige Kon�ikte verhieß. Bei der Gründung der Republik spielten Juden, von einigen wenigen Prominenten abgesehen, keine zentrale Rolle. Doch wie alles, was ihnen verhasst war, identi�zierten die zahlreichen Feinde der Republik die ungeliebte neue Ordnung mit den Juden und trugen damit zur Entwertung der Demokratie bei.36

Mit dem geschlagenen Heer kehrte Woldemar Peiper, jetzt über vierzig Jahre alt, nach Berlin zurück. Die Uniform zog er nicht sofort aus. Er schloss sich einem Freikorps an und kämpfte in Schlesien gegen polnische Aufständische.37 Seine Mitgliedschaft in einem Freikorps war keinesfalls der unpolitische Ausdruck von Vaterlandsliebe, son-dern belegt eine radikale politische Gesinnung. Die Freikorpsmänner standen außer-halb der Tradition und der Normen der hergebrachten Militärdisziplin. »Männer, die der Krieg niemals entließ, die ihn immer im Blute tragen werden«, wie der Freikorps-Barde Ernst v.  Salomon 1930 schrieb.38 Das ältere SS-Führerkorps setzte sich aus Angehörigen der Freikorps-Generation zusammen.39

Woldemar Peipers beru�icher Weg nach der Rückkehr aus Schlesien – vermutlich Ende 1919 – konnte nicht mehr genau rekonstruiert werden. Nach eigenen Angaben arbeitete er vorübergehend als Zollbeamter in Bentheim, an der deutsch-niederländi-schen Grenze. Es war durchaus üblich, dass längergediente O�ziere und Untero�ziere in den Zolldienst übernommen wurden. Danach machte sich Peiper als Kaufmann und Handelsvertreter selbständig und hatte viel in Hamburg und in den Niederlanden zu tun.40 Er scheint ordentlich verdient zu haben. Außerdem konnte man wohl vom Familienvermögen Charlottes zehren. Jedenfalls konnte sich die Familie einen guten, wenn auch nicht luxuriösen Lebensstandard leisten. Peiper bewarb sich um die Stelle eines Lotterieeinnehmers bei der Preußisch-Süddeutschen Staatslotterie. 1927 über-nahm er ein Geschäft für Staatliche Lotterieeinnahme in bester Lage in der hektisch-betriebsamen Friedrichstraße in Berlin Mitte.41 Das Monopol über die Vergabe sol-cher Lizenzen lag beim Staat, die Verkaufsbezirke waren genau abgesteckt und die Geschäftsstellen wurden bevorzugt an ehrenvoll verabschiedete O�ziere vergeben. Eine Lotterieannahmestelle sicherte ein sehr gutes Einkommen. So standen Peiper 1931 als Entgelt für seine Tätigkeit für die Klassenlotterie zwanzig Reichsmark für jedes verkaufte Los zu. Obwohl dazu kein Dokument vorliegt, dürfte sein Geschäft etwa 550 Lose umfasst haben, so dass er bei vier Ausspielungen allein durch die Klassenlotterie ein Bruttojahreseinkommen von über 40 000 Reichsmark hatte.42 Er scheint einen großen Bekanntenkreis und viele Geschäftsfreunde sowie Beziehungen zur Berliner Gesellschaft gehabt zu haben, war deutsch-national und den Ideen der Konservativen Revolution zugetan. In dieser und in vergleichbaren Familien trauer-

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   1. Elternhaus, Kindheit und Jugend 25

te man dem Kaiserreich nach, verachtete die Republik und den Parlamentarismus. Woldemar Peiper stand früh den Nationalsozialisten nahe.43

Joachim Peipers Kindheit in der pulsierenden Großstadt Berlin verlief normal. Bis auf die Masern hatte er keine Kinderkrankheiten. Im Alter von sieben Jahren ließen seine Eltern ihn 1922 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche evangelisch taufen.44 Peiper wechselte nach vier Jahren Grundschule in Halensee 1925 auf die Goethe-Schule, Reform-Realgymnasium und Oberrealschule, in Wilmersdorf. Im Schulsystem der damaligen Zeit führte auch die Oberrealschule zur Reifeprüfung und zur Universität. Allerdings reichten die Oberrealschulen nicht an Niveau und Prestige der humanistischen Gymnasien heran. Die Klassenstärken lagen bei etwa 25 Schülern; es waren reine Jungenklassen. Peiper war ein äußerst mittelmäßiger Schüler. In Englisch und Französisch stand er meist bei 4, in Deutsch und Mathematik bei 3; auch die Noten in Geschichte und Erdkunde lagen bei 4. An den künstleri-schen Fächern scheint Peiper kein großes Interesse gezeigt zu haben. Die Noten in »Freihandzeichnen« und Musik schwankten zwischen 3 und 5. Nur in Physik mit 2 und in Leibesübungen mit 1 bis 2 zeigte er gute Leistungen. Die Lehrer mahnten bisweilen mangelnde Ordnung, fehlenden Fleiß und häu�ges Zuspätkommen an.45

1926 trat Joachim dem Deutschen Pfad�nderbund bei und leitete bald eine Gruppe.46 Auch sein Bruder Horst war im Deutschen Pfad�nderbund.47 Die Eltern, für die damalige Zeit ungewöhnlich alt, Charlotte war bereits 36, als sie Joachim zur Welt brachte, konnten trotz Krieg, In�ation und Weltwirtschaftskrise den Kindern eine relativ unbeschwerte Jugend ermöglichen. Dazu gehörten Reitstunden wie der Urlaub an der Ostsee. Die Kinder verbrachten die Ferien oft bei der Großmutter in Breslau. Horst durfte einmal sogar seine Ferien in England verbringen. Ein Schatten �el auf die Familie durch den Selbstmordversuch des ältesten Sohns Hans-Hasso. Er soll Literatur studiert haben und gänzlich anders als sein Vater und seine Brüder gewe-sen sein; kein »deutscher Junge«, sondern ein »Schöngeist«.48 Der Suizidversuch ver-ursachte durch Sauersto�mangel im Gehirn einen irreparablen Hirnschaden. Hans-Hasso wurde am 14. November 1931 in die St. Joseph Heilanstalt eingewiesen, wo er in einer Art Wachkoma lag und täglich von seiner Mutter gefüttert und gep�egt wurde. Die Ärzte erwarteten keine Besserung.49

Horst und Joachim verbrachten ihre Zeit mit den Pfad�ndern und beim Segeln. Ihr Vater hatte ihnen ein Motor-Segler-Boot geschenkt. Sie träumten von fernen Abenteuern, die der Vater mit seinen Erzählungen von Afrika und dem Nahen Osten nährte. Peiper wollte schon früh O�zier werden.50 Der Krieg erschien ihm wie ein großes Abenteuer. Der Vater dürfte die Werte seiner eigenen sozialen Prägung an seine Söhne weitergege-ben haben. Die wilhelminischen O�ziere hatten ein eigenes Wertgefüge, abgehoben von der Welt der Nicht-Militärs.51 Hierzu stellt Bernhard R. Kroener fest:

»Autoritätsgläubigkeit und eine unkritische Absolutsetzung von Befehl und Gehorsam bestimmten bereits die Erziehung des O�ziers vor 1914. Der Gehorsam musste ›blind‹ werden, da versäumt wurde, ihn im Bewusstsein politisch-moralischer Verantwortung ›sehend‹ zu machen.«52

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Bei Woldemar Peiper mögen revolutionäre, völkische und nationalsozialistische Ideen aus der Freikorpszeit hinzugekommen sein. 1946 schrieb Joachim Peiper aus dem Landsberger Gefängnis seinen Eltern, dass er sich gerne an seine sorglose Kindheit erinnere:

»Geführt von Euren liebevollen Händen, habe ich noch einmal diese seligen Ge�lde durchwandert, die ernsten und die heiteren Stunden, den von Wirtschaftssorgen ver-düsterten Alltag als auch die innigen Feste!«53

Es muss allerdings noch auf einen Punkt in Joachim Peipers Erziehung hingewiesen werden, dem er sich wohl kaum entziehen konnte. Wie neue Quellenfunde belegen, war Vater Woldemar Peiper Antisemit. Seine antijüdischen Ausfälle nach 1945 erin-nern an die Sprache des Hetzblattes Der Stürmer.54

2. Die Ursprünge der SS

Die Weimarer Republik stabilisierte sich nur für kurze Zeit. Links- und rechtsradi-kale Gruppierungen nutzten die Wirtschafts- und Systemkrisen, um gegen das jun-ge Staatswesen zu agitieren. In München wurde am 29. Juli 1921 ein bis dahin un-bekannter ehemaliger Frontsoldat, der gebürtige Österreicher Adolf Hitler, an die Spitze einer der vielen kleinen Splittergruppierungen gewählt, der NSDAP. Deren Ideologie setzte sich aus nationalistischem, alldeutschem, völkisch-antisemitischem, antimarxistischem und antiliberalem Gedankengut zusammen.55 Als Saalschutz für ihre politischen Veranstaltungen stellte die NSDAP eine uniformierte und bewa�nete Ordnertruppe auf. Diese Sturmabteilungen (SA) trugen einheitlich braune Hemden und eine rote Hakenkreuzbinde am Arm. Der ehemalige Hauptmann Ernst Röhm, Duzfreund Hitlers, half die SA zu einem paramilitärischen Kampfverband aufzubau-en. Ihre Formationen gaben den Parteiaufmärschen einen martialischen Rahmen. Gegen politische Gegner gingen sie mit Terroraktionen vor.56

Für seinen persönlichen Schutz stellte Hitler eine kleine Truppe, die sog. Stabswache, unter Leitung seines Chau�eurs und Leibwächters Julius Schreck auf, die sich alsbald Stoßtrupp Adolf Hitler nannte. Sie setzte sich aus acht Freikorps-Männern, u.a. Joseph Berchtold, Sepp Dietrich und Rudolf Heß, zusammen. Diese »Chau�eureska«, die Hitler ständig umgab, besaß dessen Vertrauen.

»In der Überzeugung, dass es immer Aufgaben gibt, zu denen man nur beste Truppen gebrauchen kann, habe ich 1922/23 den Stoßtrupp Adolf Hitler gegründet: auf die Revolution eingestellte Leute, die wussten, es wird eines Tages hart auf hart gehen!«, erinnerte sich Hitler 1942 in kleiner Runde.57

Am 9. November 1923 löste Hitler im Münchner Bürgerbräukeller einen von na-tionalen Gruppen geplanten Putsch aus und marschierte mit seinen Getreuen zur Feldherrnhalle. Dort blieb der »Marsch auf Berlin« im Feuer der bayerischen

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   2. Die Ursprünge der SS 27

Landespolizei liegen. Die Verschwörer wurden verhaftet; das Volksgericht München verurteilte Hitler am 1. April 1924 wegen Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft; die NSDAP wurde verboten. Hitler hatte sich während des Prozesses geschickt in den Mittelpunkt gestellt und präsentierte sich als Retter Deutschlands; das Gericht attes-tierte ihm einen »rein vaterländischen Geist und edelsten Willen«.58 Während der Haft in Landsberg nutzte er die Zeit, die Ziele seiner Bewegung in Mein Kampf niederzu-schreiben. Das Buch enthält die apokalyptische Dimension des Kampfes gegen die Juden, den Hitler nach 1933 in die Tat umsetzte.59 Nach rund einem Jahr Haft wurde Hitler begnadigt und am 20. Dezember 1924 aus Landsberg entlassen.

Nach Aufhebung des NSDAP-Verbots am 27. Februar 1925 gründete Hitler die Partei im Münchner Bürgerbräukeller neu. Völkische Gruppierungen schlossen sich an, womit die NSDAP ihre politischen Aktivitäten über die Grenzen Münchens und Bayerns hinaus auf das gesamte Deutsche Reich ausdehnte. Hitlers Aufstieg begann verhalten. Während der mittleren Jahre der Weimarer Republik, in denen sie sich äußerlich festigte, erzielte die NSDAP keine nennenswerten Erfolge. Sie �nanzierte sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.60 Mit der Neugründung begann auch der Neuaufbau der SA. Ebenso bildete Hitler zu seinem persönlichen Schutz eine neue Stabswache und gri� auf Angehörige seines ehemaligen Stoßtrupps Adolf Hitler aus dem Jahr 1923 zurück. Zum ersten Führer ernannte Hitler wieder Julius Schreck. Im Sommer 1925 erhielt die Stabswache den Namen »Schutzsta�el«, kurz SS. Im Unterschied zur SA trugen die SS-Männer eine schwarze Mütze mit Totenkopfemblem und schwarzumrandete Hakenkreuzarmbinden. Schreck, mit der Organisation und Führung der SS überfordert, wurde im April 1926 von Joseph Berchtold abgelöst. Berchtold erhielt den Titel »Reichsführer der SS«.61 Die Geschichte der SS verlief nicht bruchlos.62 Als die SA wieder zentral reorganisiert war, verlor die SS an Bedeutung und wurde der Obersten SA-Führung unterstellt. »Die vor dem 1. November 1926 bestehende Selbständigkeit der SS unter dem Reichsführer Berchtold ist aufgehoben«, meldete die Polizei.63 Die »Oberleitung der Schutzsta�el der NSDAP« wurde orga-nisatorisch Teil der Obersten SA-Führung in München. Berchtold trat zurück; ihm folgte Erhard Heiden. Hitler entließ ihn am 6. Januar 1929, da er für die SS schwarze Uniformhosen in einem jüdischen Geschäft gekauft haben soll.64

3. »Ich tue nichts, was der Führer nicht weiss«: Heinrich Himmler – Reichsführer SS

Die eigentliche Geschichte der SS ist die Geschichte Heinrich Himmlers. Sie begann am 6. Januar 1929, als Hitler verfügte: »Zum Reich-SS-Führer ernenne ich den bishe-rigen stellv. Reich-SS-Führer Pg. Heinrich Himmler.«65 Mit Himmler trat ein Mann auf die Bühne, der einer der »mächtigsten und gefährlichsten Politiker des Regimes« werden sollte.66 Er ging daran, die SS zu vergrößern und nach Hitlers Vorgaben,

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»eine in jedem Falle verläßliche Truppe, eine Elitetruppe der Partei zu formen.«67 Er baute eine Organisation auf, die gegen die Feinde im Inneren sowie im Äußeren ge-richtet war. Der Erfolg der SS beruhte nicht nur auf der fanatischen Weltsicht ihrer Mitglieder, sondern auch auf einer von Himmler errichteten Behördenstruktur, die es erlaubte, seine Zielvorstellungen mit bürokratischer Akribie zu verfolgen und umzu-setzen. Bedenkenlos »verwalteten« die Behördenapparate all jene Menschen, die nicht in Himmlers Weltbild passten bis zu ihrer physischen Eliminierung, d.h. zum Mord.68 Hatte die SS bei der Übernahme durch Himmler gerade einmal »280 Mann«, so zähl-te am 30. Juni 1944 das Statistisch-wissenschaftliche Institut des Reichsführer-SS 796 941 SS-Angehörige, davon 594 443 in der Wa�en-SS.69

Himmler, am 7. Oktober 1900 in München geboren, stammte aus einer erzka-tholisch und monarchistisch gesinnten Familie.70 Er war ein echter Spross des mittle-ren Beamtentums und wuchs wie nur wenige Naziführer in einer von den Zeitläufen unangetasteten, bourgeoisen Sicherheit auf.71 Kein Geringerer als Prinz Heinrich von Bayern war sein Taufpate.72 1917 meldete sich Himmler vom Gymnasium in Landshut zur O�ziersausbildung, kam aber nicht mehr an die Front. Er gehörte so-mit zur sog. Kriegsjugendgeneration:

»zu jung, um selbst als Soldat an die Front geschickt zu werden, doch alt genug, um seit Beginn des Krieges die militärischen und politischen Ereignisse aufmerksam zu verfol-gen, und geprägt durch die Erfahrungen, den Krieg in allen seinen Phasen als kollektive nationale Anstrengung miterlebt zu haben.«73

Das Abitur holte er nach dem Krieg nach und studierte Landwirtschaft. Ab 1922, als sein politisches Interesse geweckt wurde, prägte sich sein Antisemitismus aus.74 1923 bereits Mitglied der NSDAP, nahm er an Hitlers Putschversuch am 9. November teil, ohne dabei hervorzutreten.75 Am 2. August 1925 trat er der SS bei – Mitgliedsnummer 168. 1928 heiratete der »einsame Landsknecht« die sieben Jahre ältere Marga Boden. 1929 wurde die Tochter Gudrun geboren.76

Himmler liebte Hunde, Kinder, ein harmonisches Familienleben, gutes Essen und tiefschürfende Diskussionen über Gott und die Welt. Er propagierte die klassischen Tugenden: Zähmung und Steuerung der Triebe; Tapferkeit, das rechte Maß �nden, das Maßhalten, das gute Handeln. Sein Geschmack und Stil waren konventionell. Noch stärker als seine Begeisterung für Wissenschaft und Technik war sein Hang zu allem Mystischen und Okkulten.77 Himmlers Statur und sein wenig ansehnliches Äußeres verleitete dazu, ihn zu unterschätzen, und verbargen, dass er mit weltan-schaulicher Zielstrebigkeit ein kompromissloser Überzeugungstäter war.78 Zahlreiche Charakterisierungen aus der Nachkriegszeit beschreiben ihn als blassen, verschrobe-nen und humorlosen Spießer ohne Flair, wegen seiner Skurrilität oftmals belächelt, übertrieben geschäftig und pedantisch bis zur Lächerlichkeit, der seine Männer mit einem nicht abreißenden Strom pädagogischer Ratschläge und Ermahnungen zu er-ziehen versuchte. Himmler, der »Erzieher«, wirkte permanent auf sie ein, gri� in ihr Privatleben, ja sogar in ihre Eheprobleme ein, musste lehren, belehren und aus allem, was ihm in der Geschichte begegnete, Nutzanwendungen ziehen.79 Stets erläuterte er

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   3. »Ich tue nichts, was der Führer nicht weiß« 29

seinen Mitarbeitern, seinen Begleitern, den Gästen eines Essens, was die Altvorderen in diesem oder jenem Falle gedacht und getan hätten; und immer hatte er ein histori-sches Beispiel parat, um die Gegenwart durch die Vergangenheit zu erhellen.80 Albert Speer schrieb in seinen Erinnerungen über Himmler:

»Zwar schien der Reichsführer-SS gelegentlich ein Phantast zu sein, dessen Gedanken�üge selbst Hitler lächerlich fand. Er war aber daneben und gleichzeitig ein überaus nüchtern denkender Realist, der genau wusste, wo seine weitreichenden poli-tischen Ziele lagen. In den Besprechungen war er von freundlicher, leicht erzwungen wirkender Korrektheit, niemals herzlich – immer darauf bedacht, einen Zeugen sei-nes Stabes anwesend zu haben. Er hatte, eine damals seltene Gabe, die Geduld, die Argumente seiner Besucher anzuhören. In der Diskussion wirkte er oft kleinlich und pedantisch, überlegte anscheinend seine Worte gründlich und ohne Hast.«81

Die ehemaligen NS-Funktionsträger, die Hauptamtchefs, Adjutanten, Fahrer und Sekretärinnen schildern den »Architekten des Holocausts« in derselben verharmlo-senden Weise, wie es der Forschung aus den Überlieferungen zu Hitler aus dessen Umgebung bestens bekannt ist. Verbrechen, Diktatur, Massenmord und Terror kom-men in diesen Erinnerungen nicht vor; die Beschreibungen Himmlers sind mehrheit-lich positiv, ja betonen dessen Fürsorge, Aufgeschlossenheit und Umgänglichkeit.82 Die apologetische Memoirenliteratur aus dem Kreis der SS-Führungsriege lag ganz auf dieser Linie.83 Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die SS-Männer ihren Reichsführer schätzten.

Fanatisch, ehrgeizig, skrupellos und zu Grausamkeit fähig, dabei Hitler bedin-gungslos ergeben, brachte Himmler die wesentlichen Eigenschaften mit, um als Funktionär in Hitlers System in höchste Positionen aufzusteigen.84 Himmler war so-wohl eine eigenständige Kraft als auch ein willfähriger Diener Hitlers. Seine loyale Beziehung zu Hitler war ohne Unterwür�gkeit. Sie waren sich über die Ziele einig. Himmler war Hitlers Mann, »der den Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung Wirklichkeit werden ließ.«85 Vor Wehrmachtsgenerälen bekannte Himmler im März 1940 im Zusammenhang mit den Gräueltaten der SS in Polen:

»In diesem Gremium der höchsten O�ziere des Heeres kann ich es wohl o�en ausspre-chen: Ich tue nichts, was der Führer nicht weiß.«86

Obwohl katholisch erzogen, war Himmler von einem antichristlichen Hass erfüllt.87 Er hatte sich mit dem Eifer des selbsternannten Heilslehrers aus dem völkischen Gedankengut eine eigene Weltanschauung zusammengesucht. Ihre Hauptelemente waren der Mythos vom Reich, die Germanisierung der deutschen Geschichte, eine naturalistisch-mystische Gottesvorstellung und eine unwissenschaftliche Rassenlehre, in deren Mittelpunkt, Hitler folgend, der Überlebenskampf der arischen Herrenrasse gegen die jüdischen Untermenschen stand. Wie Hitler hatte auch Himmler die seinerzeit zirkulierenden antisemitischen Bücher gelesen.88 Himmler war, was die Sexualität anging, ängstlich; dafür hatte sein Antisemitismus einen ausgeprägt sexu-ellen Unterton. Er schob, was ihm bedrohlich erschien, den Juden, Bolschewisten