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KOMMUNALPOLITIK 5/2004 Grüne/Alternative in den Räten NRW e.V. · Jahrgang 10 · Heft 5 · November/Dezember · ISSN 1616-4806 Grüne/Alternative in den Räten NRW e.V. · Jahrgang 10 · Heft 5 · November/Dezember · ISSN 1616-4806 Mit den BürgerInnen rechnen Mit den BürgerInnen rechnen Kommunaler Bürgerhaushalt Kommunaler Bürgerhaushalt

Kommunaler Bürgerhaushalt Mit den BürgerInnen rechnen · die Kommunalwahlen sind vorüber. Sie sind gut gelaufen. Für Grüne gab es mit einem landesweiten ... Im Ballungsraum Ruhr

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impressum

inhalt

Forum Kommunalpolitik erscheint fünfmal im Jahr und wird an die Mitglieder der GAR NRWkostenlos abgegeben. Der Abonnentenpreis für Nicht-Mitglieder beträgt 18,40 € inklusiveVersandkosten, der Einzelpreis 3,90 €. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nichtunbedingt die Meinung der GAR NRW wieder. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge in gekürzterForm abzudrucken. Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung der Redaktion undunter Quellenangabe gestattet. Dies gilt nicht für Mitglieder der GAR NRW.

Titelfoto: Roland LangFotos: Roland Lang (S. 7, 13)

Grüne Liste Vlotho (S. 17)Judith Samen (S. 26)Michael Vogel (S. 32)

Auflage: 1.100 ExemplareDruck: TIAMATdruck GmbH, DüsseldorfISSN: 1616-4806

Thema der nächsten Ausgabe: Migration

Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe:03. Januar 2005

Liebe Leserinnen und Leser,die Kommunalwahlen sind vorüber. Sie sind gut gelaufen. Für Grüne gab es mit einem landesweitenAbschneiden von 10,3% reichlich Anlass mit unseren WählerInnen gemeinsam zu feiern. In NRW sitzennunmehr 1211 Grüne in den Räten und Kreistagen, damit konnten 344 Mandate dazu gewonnenwerden, bundesweit dürften es rund 1000 zusätzliche Mandate sein. Die CDU verzeichnet landesweitVerluste von 6,9% und die SPD von 2,2%. Nun gilt es die Ergebnisse der Kommunalwahl in Inhalte undProjekte zu überführen. In zahlreichen Kommunen werden derzeit Koalitionsgespräche geführt. Man-che Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir bleiben dran und werden noch berichten.Und auch uns solltet ihr nicht vergessen: Werdet neues Mitglied oder stockt euren Mitgliedsbeitrag auf.Wir brauchen eure Unterstützung!

Damit der Sekt nicht überschäumt, gehören auch Wehrmutstropfen ins Glas. Gerade in der Kommu-nalpolitik sind die Nichtwähler zum entscheidenden Mitspieler aufgestiegen. Viele WählerInnen habensich von der Politik entfernt und bekanntermaßen profitieren Parteien mit vielen Stammwählern, wiedie Grünen, von einer geringen Wahlbeteiligung. Diese Ausgabe macht den kommunalen Bürgerhaus-halt zum Schwerpunkt. Angesichts der prekären Haushaltssituation der Kommunen und der zuneh-menden Politikverdrossenheit, wird bürgerschaftliche Beteiligung auch auf diesem Feld erprobt. Nichtzuletzt, weil der Spielraum der Kommunen, eine eigenständige Politik betreiben zu können, immerkleiner wird. Jede Form der politischen Kultur, die mehr Transparenz und Partizipation schafft, stärktauch die kommunale Selbstverwaltung. Der Einsatz für mehr bürgerschaftliche Mitbestimmung kannsich also nur lohnen, während die geeigneten Beteiligungsformen durchaus kontrovers diskutiertwerden.

Wir wünschen den neuen Räten einen „Guten Start“. Und euch einen guten Ausklang des sicherereignisreichen Jahres. Ganz herzlich möchte ich mich bei den Autorinnen und Autoren für ihr Engage-ment bedanken. Es ist eine große Freude, dass die Zusammenarbeit so unkompliziert und produktivgelingt.

Dunja Briese – Redaktion –

Herausgeber: GAR NRW, Grüne/Alternative in den Räten NRWJahnstr. 52 · 40215 Düsseldorf · Fon: 0211–38476–0E-mail: [email protected] · Web: www.gar-nrw.de

Redaktion, V.i.S.d.P: Dunja Briese, Fon: 0211–38476–16, [email protected] Mitarbeit: Ilona Schmitz (–15), Volker Wilke (–13)Layout: Roland Lang (Birgit Beckmann)

GARaktuellDie Gewinner genießen still ..................................................... 3Deutliche Zugewinne beim Kampf der Köpfe ............................ 4Gewonnen und doch verloren! ................................................. 5Das Gemeindefinanzierungsgesetz ........................................... 6

ForumKommunaler Bürgerhaushalt. Mit den BürgerInnen rechnen ...... 7Mehr Transparenz und Engagement ......................................... 8Wenn BürgerInnen haushalten .............................................. 10Entscheiden ohne Spielraum ................................................. 12Der Haushalt ist der Nerv des Staates ................................... 14Vlotho rechnet mit den BürgerInnen ...................................... 16

themaHartz IV gilt für von Gewalt betroffene Frauen ........................ 18Aufbruch in der kommunalen Finanzpolitik ............................. 21

politik qualifiziertHaushalt ohne Schrecken! ..................................................... 23Die Macht der BürgermeisterIn .............................................. 28

frauenKünstlerinnen fördern ........................................................... 26

service/infoGrundsteuer in Bewegung ..................................................... 29

rezensionHöhenrausch ........................................................................ 30Erinnerung an die Natur ........................................................ 30

GARnetBürgerhaushalte im Netz ....................................................... 31

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Nachlese zur Kommunalwahl

Die Gewinner genießen still

Ein Kuriosum begleitet das Ergebnis der Kommu-nalwahl in NRW. Alle Parteien zeigen sich mit demWahlergebnis zufrieden und präsentieren sich alsSieger der Wahl.

Wen wundert’s: wurde doch die Kommunalwahlin NRW als Richtungswahl für die baldig anste-henden Wahlen im Land (2005) und Bund (2006)stilisiert. Vor diesem Hintergrund konnte sich dieCDU mit einem landesweiten Verlust von 6,9%schlecht als Verlierer darstellen. Gleiches gilt fürdie Genossen mit einem gegenüber 1999 nochmali-gen Verlust von 2,2% und damit schlechtesten Nach-kriegsergebnis bei Kommunalwahlen in NRW. Aberdie Roten konnten immerhin in ihrer sozialdemo-kratischen Herzkammer, dem Ruhrgebiet, wiederpunkten.

Die eigentlichen Gewinner der Wahl genießenstill. Mit landesweit 10,3 % liegen die Grünen 3%über dem Kommunalwahlergebnis von 1999. DieStille in der Siegeslaune mag auch mit der Euphorieaus dem erst drei Monate zurückliegenden Europa-wahlergebnis von 12,6% einhergehen. Dennoch esgab reichlich Gründe gemeinsam mit 769.177 Wäh-lerInnnen, die grün wählten, zu feiern. Lag man doch0,1% über dem schon sehr guten 94er Ergebnis.Mit Ausnahme der Stadt Bottrop, liegen die Grü-nen in allen Kreisen und Städten über 6%. Auchwenn die Hochburgen in den bekannten Städtenliegen, ist augenfällig, dass sich die Grünen auchim ländlichen Raum auf recht hohem Niveau alsdritte Kraft etabliert haben. Im Ballungsraum Ruhrliegen die Grünen in den Gemeinden Sprockhövelund Herdecke mit mehr als 14% als auch Rheinbergund Haltern mit mehr als 12% noch vor Bochum(12%), Dortmund (11,5%) und Essen (10,7%).

HochburgenSchwarz ist das Ländle, Rot das Ruhrgebiet undGrün sind die Städte. Eine sicherlich sehr reduzier-te Sichtweise, die genauso richtig wie falsch ist:Die bis zur Wahl grüne „Hauptstadt“ Köln wurdebei der Kommunalwahl 2004 von Münster undAachen auf Platz 3 gedrängt. Unter den ersten zehnHochburgen liegt nur ein Kreis, der Rheinisch-Ber-gische. Auf Platz 12 liegt mit Dormund die ersteRuhrgebietsstadt. NRW-weit lag das Kommunal-

GARaktuell

wahlergebnis 2,2% unter dem Ergebnis der Euro-pawahl. Die höchste Differenz zum Europawahler-gebnis mussten die Kölner hinnehmen. Die gering-ste Differenz unter den ersten 10 Städten weisendie Krefelder Grünen auf. Gegenüber dem Europa-wahlergebnis gar noch zulegen konnten die KreiseKleve, Heinsberg, Höxter und Olpe. Interessanter-weise kommen auch die besten NRW-Wahlergeb-nisse mit Lohmar (25%) und Rhede (22%) aus demländlichen Raum. Aus Köln hingegen kam 1999 daseinzige Direktmandat. Bei der jetzigen Wahl holteKöln drei Direktmandate (Elisabeth Thelen, Barba-ra Moritz, Andreas Wolter). Münster holte zwei(Carsten Peters, Henry Klas) und Bonn (ColettaManemann), Aachen (Elisabeth Paul), Bielefeld(Klaus Rees) jeweils ein Direktmandat.

Die beiden amtierenden Bürgermeister JürgenSchimke aus Laer (78,7%) und Lothar Mittag ausRhede (73,2%) wurden mit respektablen Ergebnis-sen in ihrem Amt bestätigt.

Sitzverteilung1211 Grüne sitzen nunmehr in den Räten und Kreis-tagen. In den 23 kreisfreien Städten konnten diebestehenden 123 Ratsmandate um 54 Mandate auf176 erhöht werden. Während die Grünen 1999 nurein Direktmandat in den kreisfreien Städten holten,hat sich die Anzahl 2004 auf acht erhöht. Allein dreiMandate sind aus Köln, zwei weitere aus Münsterund jeweils eins aus Bielefeld, Aachen und Mün-ster. In den 31 Kreistagen erhöhte sich die Anzahlder Sitze von 113 auf 169, in den kreisangehörigenGemeinden von 631 auf 866. Allein im Ruhrgebietsteigerten sich die Mandate von 68 auf 92. In NRWsind das insgesamt 344 zusätzliche Mandate.

Auffällig ist die geschlechtsspezifische Verschie-bung in der Mandatsverteilung: saßen 1999 nochca. 25% mehr grüne Frauen als Männer in denKreistagen, liegen mit der Wahl 2004 die Männermit drei Mandaten vorn. Ähnliches gilt für die Städ-te. Gab es 1999 noch 66 Frauen und 57 Männer,sind es nunmehr 89 Männer und 87 Frauen.

Mit fünf Wählergruppen zusätzlich zu dem be-kannten Parteienspektrum war die Liste der Wäh-lergruppen in Aachen besonders lang. Dennochholten die Aachener Grünen trotz des breiten An-

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gebots ein landesweit beachtliches Ergebnis(17,6%) und schnitten deutlich besser ab als 1994(11,9%). Auch in Köln, Duisburg, Gelsenkirchenund Dortmund gab es neun verschiedene Wahl-möglichkeiten auf den Listen. Darunter so illustreGruppen wie „Wir für Gelsenkirchen“ oder „Euro-päische Liste Aachen“. „Gemeinsam gegen Sozial-raub“ in Köln wird zukünftig ebenso allein im Ratsitzen wie „Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“ inAachen. In den kreisangehörigen Gemeinden stel-len die Wählergruppen/Einzelbewerber in der Sum-me der Mandate mit 1.194 Mandaten vor den Grünenund der FDP die meisten Sitze. Ausreißer ist die

Stadt Coesfeld, in der eine Freie Wählergemein-schaft 34,7% holte.

Im Kreis Coesfeld war zugleich die Bereitschaftunter den 54 Verwaltungsbezirken in NRW zur Wahlzu gehen mit 62,4% am höchsten. Wie überhauptim ländlichen Bereich die Wahlbeteiligung höherwar, als in den Städten. Als erste kreisfreie Stadtkommt Münster auf Platz 7, gefolgt von Bottropauf Platz 20. Die „müdesten“ Wähler finden sich inMönchengladbach.

Volker WilkeGeschäftsführer der GAR NRW

Deutliche Zugewinnebeim Kampf der KöpfeStichwahl oder nicht? Die Stichwahl ist entschie-den. Der Trend der Wahl für Bündnis 90/DIE GRÜ-NEN ist eindeutig positiv. Auch die Bürger- undOberbürgermeisterInnen Ergebnisse haben sichgegenüber der letzten Wahl deutlich verbessert.Während bei der ersten BürgermeisterInnenwahl99 außer Anne Lütkes keine Kandidatin einerkreisfreien Stadt über 10% erreichte, sind nun ei-nige KandidatInnen an dieser Schwelle. In Mün-ster und Bielefeld wurden sogar 11,5% erreicht.

Doch auch die Erwartungen vor Ort waren ge-stiegen und so kam es trotz deutlicher Verbesse-rungen mancherorts zu Enttäuschungen. Soerzielte der profilierte Düsseldorfer Grüne Wolf-gang Scheffler nur die Hälfte der Stimmen, die aufdie Partei entfielen. Viele Grüne WählerInnen ent-schieden sich angesichts der Polarisierung umden regierenden CDUler Joachim Erwin für diesozialdemokratische Kandidatin Gudrun Hock.Die OB-Wahl, und daran hat sich nichts geän-dert, wurde zwischen den beiden großen Partei-en entschieden. Die grünen WählerInnentendierten bei einer polarisierten Lage zur SPD.

Demgegenüber haben sich z.B. in Duisburgangesichts der unbeliebten und angeschlagenenSPD-OB, Bärbel Zieling, offensichtlich fast alleGrünwählerinnen für die Grüne Kandidatin ent-schieden. Die CDU zu wählen, war für die GrünenWählerInnen offensichtlich keine Alternative.Das Ergebnis der grünen Kandidaten entsprichthier etwa dem der Grünen Partei. Obschon diebeiden großen Parteien auch weiterhin den länd-lichen Raum dominieren, gibt es auch hier Grund

GARaktuell

zur Freude. Lothar Mittag und Hans-JürgenSchimke, die bisher einzigen direkt gewählten grü-nen Bürgermeister in NRW, machten mit jeweilsüber 70% grüne Träume wahr. In den GemeindenRhede (ca. 25.000 EinwohnerInnen) und Laer (ca.7.000 EinwohnerInnen), konnten beide, offensicht-lich ganz jenseits von der Farbe der Parteibücher,persönlich überzeugen.

Auch in Vlotho, Steinheim, Alsdorf, Hilchen-bach und Bornheim konnten die von den Grünenins Rennen geschickten KandidatInnen offen-sichtlich persönlich punkten und bis zu 20% undmehr erreichen. Die Alsdorfer Kandidatin BeatrixSchongen kam mit 18,6 % sogar in die Stichwahl.In Hilchenbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) gingman unkonventionelle Wege. Per Annoncierungin der „Zeit“ wurde ein gemeinsamer Kandidatvon FDP, Unabhängiger Wählergemeinschaftund Bündnis 90/DIE GRÜNEN gesucht, der loka-le Probleme mit neuen Ideen angeht. Der HesseHans-Peter Hasenstab schlug schließlich in derStichwahl ein.

Und wie war es? Diese Frage habe ich zahlrei-chen KandidatInnen gestellt. Die Antwort wareinhellig: Viel Arbeit! Doch keineR wollte die ge-wonnenen Erfahrungen missen. Alle freuten sichüber die Gespräche, die entstanden sind, und dieneuen Zugänge, die sich eröffnet haben. Kopf-plakate wirken, der Wiedererkennungseffekt for-dert zur persönlichen Ansprache heraus und öff-net Türen.

Ilona SchmitzBildungsreferentin der GAR-NRW

BürgermeisterInnenwahl

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Kommunalwahl im Bergischen

Gewonnen und doch verloren!Das Ergebnis der Kommunalwahl für uns GRÜNE war landesweit ordentlich bis gut. Hier in Bergisch Gladbach, imSpeckgürtel von Köln mit 110.000 Einwohnern, und im Rheinisch-Bergischen-Kreis, war es diesmal sehr gut. Bereits imWahlkampf war die positive Stimmung auffällig, es gab großen Zuspruch gerade auch von älteren Menschen.Ansonsten hofften wir auf Erlösung von dem Dauerfrust absoluter CDU-Mehrheiten. Seit die Grafen von Bergabgezogen waren, regierten die Schwarzen. Also quasi schon immer: Kirche, Karneval, grüne Hügel und viel schwarzerStaub in den Parlamenten. Eine CDU Bürgermeisterin regierte Bergisch-Gladbach gemeinsam mit ihrem schwarzenHofstaat, arrogant setzte sie sich über jeden Bürgerwillen ihrer Untertanen hinweg.

Noch einen Tag vor der Kommunalwahl wurde eineeventuelle Stichwahl als völlig unrealistischer „Su-pergau“ abgetan. Und dann passierte es am 26.September 2004. Im historischen Ratssaal, mit denknarrenden Dielen, ging ein Raunen durch die Men-ge, als die Ergebnisse bekannt wurden.

Die CDU verliert 16,5 % (schlechtestes Ergebnisseit 1975) und besagte Regentin verlor 20,5 %.Schwupps weg vom Thron und in die Stichwahlmit dem SPD Kandidaten, was der sich nie hätteträumen lassen. Und wir GRÜNE schwelgten in dembesten Ergebnis seit unserem Einzug in Rat undKreistag in Bergisch Gladbach: 13, 6 % (+ 4,8 %), 9Sitze im Rat, ich als Bürgermeisterkandidatin stolze10,1%. Die KollegInnen im Kreis 12,1 %, das besteFlächenergebnis in NRW.

Sekt und SeltersDa knallten die Sektkorken und wir kamen vor Be-geisterung nicht in den Schlaf. Endlich, nach 15Jahren Ackerei vor Ort, waren wir nah dran an derBevölkerung. Und sogar bei uns gilt für die CDU„Hochmut kommt vor dem Fall“. Immerhin musstendie CDU zwei Bürgerbegehren über sich ergehenlassen (Schließung der Verbraucherzentrale undCross-Border-Leasing-Verfahren): Bei beiden Bür-gerbegehren setzte sich die Bevölkerung durch, wasder CDU bis zum Wahltag übel genommen wurde.

Schließlich fegte die Stichwahl die CDU endgül-tig aus dem Bürgermeisterzimmer und der erste SPDVerwaltungschef in der Geschichte der Stadt nahmihren Thron ein. Weiterhin eitel Freude auf GRÜ-NER Seite. Selbstverständlich ging ich davon aus,dass wir, als deutlich drittstärkste Kraft im Rat, einestellvertretende Bürgermeisterposition erhalten,obwohl die Mehrheiten bunt sind. Nur jeweils min-destens drei Fraktionen können eine Mehrheit bil-den. Da hatten wir aber die Rechnung ohne CDU

und FDP gemacht. Flugs holten sie sich noch dieStimmen der neuen Bürgerinitiative, die sich nurmit Müll und Abwasser beschäftigt. Und für derenvier Herren im „besten Alter“, zwischen 75 und 83!,sind die GRÜNEN nun mal suspekt.

Viele Fragen offenPech gehabt. Schon ist manche Euphorie verflo-gen und wie weiland bei Marcel Reich Ranicki blei-ben „noch viele Fragen offen“.❏ Warum wird in Rat und Ausschuss nach Hare-

Niemeyer ausgezählt, um den Willen des Wäh-lers abzubilden, während bei der Wahl derstellvertretenden BürgermeisterIn wieder Listengebildet werden können, die das Wahlergeb-nis verfälschen?

❏ Ebenfalls fragwürdig ist, dass einer Parteidurch Mehrheitsbildung ein Direktmandat ab-gejagt werden kann. In den Landschaftsver-sammlungen und den Regionalräten nehmenMitglieder anderer Parteien Direktmandate ein,die den Grünen nach dem Wahlergebnis perDirektentsendung zustehen. Dies kann meinesErachtens auch nicht über Ausgleichsmanda-te geheilt werden.

Hier klafft eine große Gesetzeslücke, die verwal-tungsjuristisch geprüft werden sollte.

Und die Moral von der Geschichte: freu‘ dichniemals zu früh, auch wenn der äußere Anschein esnoch so nahe legt.

Magda RyborschFraktionsvorsitzende in Bergisch-Gladbach, GAR-Vorstand

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Aus dem Landeshaushalt

Das Gemeindefinanzierungsgesetz

Die jährliche November-Steuerschätzung steht kurzbevor. Obwohl die Konjunkturdaten einen Auf-schwung erhoffen lassen, ist nicht mit Steuer-Mehr-einnahmen zu rechnen, das Gegenteil ist der Fall.Nun ist es in NRW üblich, dass die Kommuneneinen gewissen Vertrauensschutz genießen unddarauf setzen können, dass sich die angekündig-ten Zuweisungen im Beratungsverfahren nicht ver-schlechtern. Deshalb ist davon auszugehen, dassselbst bei starken Steuereinbrüchen, die Zuweisun-gen an die Kommunen Mithilfe von Kreditierun-gen auf der angekündigten Höhe gehalten werdenkönnen.

Die aktuelle SituationDas Land NRW stellt den Gemeinden und Gemein-deverbänden (auf der Grundlage von Art. 106 Abs.7 GG in Verbindung mit Art. 79 LVerf.), wie in denvergangenen Jahren, 23 % seines Anteils an derEinkommenssteuer, der Körperschaftssteuer, derUmsatzsteuer und 4/7 seiner Einnahmen aus derGrunderwerbssteuer – den allgemeinen Steuerver-bund – zur Verfügung. Nach verschiedenenVorwegabzügen und Rückzahlungen sind das imJahr 2004 (Angaben für 2005 in Klammern) bei ei-nem plus von 9,5% (– 8,5%) immerhin 7.521,6 Mil-lionen € (6.880,1 Mio. €). Dieser Betrag nennt sichverfügbarer Verbundbetrag. Dieses jährlich im Ge-meindefinanzierungsgesetz zur Verfügung gestell-te Geld hat eine Ergänzungsfunktion und eineAusgleichsfunktion. Die Finanzkraft der Gemein-den soll ergänzt werden, da die eigenen kommuna-len Einnahmen nicht zur Deckung des Bedarfsausreichen, und die Finanzkraftunterschiede derGemeinden sollen abgemildert werden. Landesweiterreichen die Zuweisungen des Landes einen An-teil von ca. 23,5% an den Einnahmen der Kommu-nen.

Der kommunale Finanzausgleich NRW zeichnetsich gegenüber dem anderer Länder dadurch aus,dass er auf finanzmathematischen Berechnungenberuht und seine Datengrundlage aktuell ist. Dar-über hinaus ist das Verhältnis allgemeiner, freierMittel zu zweckgebundenen Mitteln mit 97,1%(97,3%) zu 2,9% (2,7%) in NRW besonders hoch.

Obwohl das Gemeindefinanzierungsgesetz NRWvom Grundsatz her eine verlässliche und faireGrundlage für eine angemessene Finanzausstattungder Kommunen ist, wird es für 2005 zu einem Rück-

gang des verfügbaren Verbundbetrags um 8,5%kommen. Das liegt an der schweren Konjunkturkri-se, die unsere Steuerquellen langsamer sprudelnlassen sowie an der Rückzahlung von Kreditierun-gen der Vorjahre. Im Jahr 2005 sollen nach Plan al-lein 690,1 Mio. € zurückgezahlt werden. Ohne dieseRückzahlungen wäre der verfügbare Verbundbetrag2005 um mehr als 10 % höher und würde damit denBetrag des Jahres 2004 sogar leicht übertreffen.

Soweit das Gemeindefinanzierungsgesetz 2004/2005, wie es zusammen mit dem Doppelhaushalt2004/2005 am 28. Januar dieses Jahres verabschie-det wurde.

AusblickSchon für 2005 habe ich der Landtagsfraktion vor-geschlagen, das durch Harz IV ersparte Wohngeld,in Höhe von ca. 455 Mio €, den Kommunen nacheinem eigenen Schlüssel zuzuweisen. Darüber hin-aus soll der Soziallastenansatz neugerechnet wer-den, damit es zwischen den Gewinnern undVerlierern der Hartz-Reform zu einem fairen Interes-senausgleich kommt.1

Ein einsamer Lichtblick ist die wieder steigendeGewerbesteuer- (+ 11,5%) und das Grundsteuer-aufkommen (+ 4,8%), im ersten Halbjahr 2004, ver-glichen mit dem ersten Halbjahr 2003. Nach einemdreijährigen Verfall erfolgt der Anstieg allerdingsauf einem geringen Niveau.

Für eine wirkliche Konsolidierungschance brau-chen die Kommunen allerdings zweierlei, einen kon-junkturellen Aufschwung mit mehr Beschäftigungund eine solide Gemeindefinanzreform mit der Ver-breiterung der Bemessungsgrundlagen bei der Ge-meindewirtschaftssteuer (Gewerbesteuer).

Darüber hinaus müsste eine reformierte, vitali-sierte Grundsteuer mit ökologischer Lenkungswir-kung und ein Hebesatzrecht auf den Einkommens-teueranteil, sowie die Teilung des Einkommensteu-eranteils zwischen Wohnsitz- und Arbeitsplatz-Kommune diskutiert werden.

Ewald Groth, MdLKommunalpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion NRW

GARaktuell

Anmerkung:

1 Nach Redaktionsschluss diesesHeftes wurde der Nachtrag zumGFG 2005 in den Landtageingebracht. Wir Grünen haben unsinzwischen mit der Forderung einergerechteren Verteilung derersparten Wohngeld-Mitteldurchgesetzt. Aktuelle Daten findensich in den kommunalen Rundmailsder Landtagsfraktion.

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Kommunaler Bürgerhaushalt

Mit den BürgerInnen rechnenDie öffentlichen Haushalte sind die Grundlage der Politik. Doch kommunale Haushaltspolitik gilt immer noch als„Königsrecht“, das den Augen der „Untertanen“ weitgehend entzogen werden sollte. Was dabei herauskommen kann,wenn Politik und Verwaltung mit den BürgerInnen rechnen, wurde im Rahmen des Modellprojektes „KommunalerBürgerhaushalt“ in NRW erprobt. Hier haben das Innenministerium NRW und die Bertelsmann Stiftung in sechsPilotkommunen neue Wege der Beteiligung beschritten. Der Bürgerhaushalt dient dazu, die BürgerInnen über denStand der kommunalen Finanzen zu informieren, Vorschläge zur Haushaltsgestaltung zu diskutieren und Rechen-schaft über deren Umsetzung abzulegen. Die Erfahrungen aus den Projektkommunen liegen vor, und deren Auswer-tung lohnt.

Forum Kommunalpolitik hat die Beteiligten um ihre Stellungnahme gebeten und weitere grüne Positionen zuBeteiligungsformen an Haushaltsentscheidungen eingeholt.

Paul Köhler legt die Sicht des Innenministeriums NRW zum Reformprojekt Bürgerhaushalt dar. Er stellt die Intentiondes Modells und zentrale Ergebnisse vor. Angela Köllner hat das Modellprojekt Bürgerhaushalt im Auftrag derBertelsmannstiftung begleitet und berichtet über die Erfahrungen, die in den Projektkommunen gemacht wurden.Dr. Lars Holtkamp begleitet den Bürgerhaushalt mit Skepsis. Er geht der Frage nach, ob eine „echte“ Beteiligung anHaushaltsentscheidungen unter den bestehenden Rahmenbedingungen überhaupt möglich ist. Für Peter Finger ist derBeteiligungshaushalt ganz eindeutig ein Thema der Grünen. Er räumt mit Richelieu auf, um klar zu machen, warumTransparenz und Beteiligung gerade bei haushaltspolitischen Entscheidungen Sinn machen. Die BürgerInnen vonVlotho haben beim Bürgerhaushalt engagiert mitgemischt. Was im Rahmen dieses Beteiligungsmodells bewirkt wurde,und wie die Grünen vor Ort dazu stehen, das machen Sabine Niemann und August-Wilhelm König deutlich.

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Von den finanzwirtschaftlichen Entscheidungeneines Rates oder eines Kreistages sind alle Bürge-rinnen und Bürger direkt betroffen. Doch geradebei dem Beschluss über die kommunale Haushalts-satzung ist die Diskrepanz zwischen der Bedeutungder Entscheidung und dem bürgerschaftlichen In-teresse an ihr erstaunlich groß.

Mit dem Modellprojekt „Kommunaler Bürger-haushalt“ haben die sechs Pilotkommunen Castrop-Rauxel, Emsdetten, Hamm, Hilden, Monheim undVlotho, zusammen mit der Bertelsmann Stiftung unddem Innenministerium Nordrhein-Westfalen denVersuch unternommen, im Haushaltsaufstellungs-verfahren neue Wege der Bürgerbeteiligung zu ge-hen.

Die PhilosophieIm Jahre 1994 wurde die Gemeindeordnung NRWgrundlegend novelliert. Die unmittelbare Wahl desBürgermeisters zur Kommunalwahl 1999, die Ein-führung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid,die Stärkung des kommunalen Petitionsrechts unddie Etablierung von Ausländerbeiräten waren da-bei Beiträge zur Ergänzung unserer repräsentativangelegten Gemeindedemokratie mit Bestandteilender direkten Demokratie.

Aus Sicht des Innenministeriums reichte dasnicht. Es stellte sich die Frage, was über die recht-liche Verankerung bürgerschaftlicher Mitwirkungs-möglichkeiten hinaus getan werden kann, um derPolitik- und Wahlmüdigkeit vieler Bürgerinnen undBürger zu begegnen? Gibt es zusätzlich zu den be-stehenden Mitgestaltungsverfahren Chancen, imeher informellen kommunalen Raum den Rückgangdes bürgerschaftlichen Engagements aufzufangen?Eine Frucht dieser Überlegungen war die Idee „Kom-munaler Bürgerhaushalt“.

Der Prozess

Nach der Auftaktveranstaltung zum KommunalenBürgerhaushalt am 3. November 2000 wurden ausden Bewerberkommunen durch die ProjektträgerBertelsmann Stiftung und Innenministerium NRWinsgesamt sechs Projektkommunen ausgesucht.Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, dass

Kommunen aus allen Teilen des Landes vertretensind. Neben der räumlichen Ausgewogenheit soll-ten sowohl kreisangehörige als auch kreisfreie Ge-meinden berücksichtigt werden. Bei der Steuerungdes Modellvorhabens wurde zwischen strategi-scher Gesamtprojektsteuerung und Steuerung vorOrt unterschieden.

Für die strategische Gesamtsteuerung durch dieProjektträger wurde eine Lenkungsgruppe (Lei-tungsebene) sowie eine Arbeitsgruppe gebildet. Inden Projektkommunen selbst wurden unterschied-liche organisatorische Formen der Projektarbeitausprobiert. Die unmittelbaren Projektverantwort-lichen waren in der Regel der Kämmerei zugeord-net, teilweise aber auch direkt dem Hauptverwal-tungsbeamten unterstellt. In allen Pilotkommunenwurden vielfältige Veranstaltungen, Aktionen undEinzelprojekten zum „Kommunalen Bürgerhaushalt“durchgeführt. Bemerkenswert ist, dass dies ohnezusätzliches Personal möglich war.

Die externe Kommunikation für eine breitere Öf-fentlichkeit wurde durch ein internetbasiertes In-formationsangebot (www.buergerhaushalt.de)gewährleistet. Neben allgemeinen Informationenzum Projekt wurde auch die Verbindung zu den ein-zelnen Projekten vor Ort hergestellt. Zwei Zwischen-berichte informierten über den laufenden Stand desModellvorhabens.

Das ZielWichtigstes Ziel des Projektes war es herauszufin-den, ob und wie es möglich ist, den Bürgerinnenund Bürgern das komplizierte Zahlenwerk des Kom-munalhaushalts zugänglicher zu machen. Sie soll-ten in den Stand versetzt werden, im Etataufstel-lungsverfahren sachgerecht Vorschläge und Anre-gungen unterbreiten zu können.

Die BausteineDer „Kommunale Bürgerhaushalt“ besteht aus dreiaufeinander aufbauenden Bausteinen: Information,Konsultation und Rechenschaft.

Information: Bürgerinnen und Bürger werden inverständlicher und transparenter Form über denkommunalen Haushalt und die mit ihm verbunde-

Neue Wege der Bürgerbeteiligung

Mehr Transparenz und Engagement

Paul KöhlerRegierungsdirektor imInnenministerium NRW

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nen rechtlichen und ökonomischen Zusammenhän-ge informiert.

Konsultation: Bürgerinnen und Bürger könnensich fundiert zu Fragen und Problemen des örtli-chen Budgets äußern. Ihre Vorschläge und Anre-gungen werden im Verfahren der Haushaltsaufstel-lung berücksichtigt.

Rechenschaft: Rat und Verwaltung nehmen zuden Ergebnissen des Bürgerhaushalts Stellung. Sielegen Rechenschaft ab und informieren darüber, wasaus den Vorschlägen und Anregungen gewordenist.

Die ErgebnisseWelche Ergebnisse lassen sich aus den verschie-denen Handlungsansätzen der Bürgerhaushaltsfesthalten?

Es ist möglich, der Bürgerschaft die hoch kom-plexe und schwer durchschaubare Materie Haus-halt in verständlicher und transparenter Formdarzustellen. Dabei können rechtliche und ökono-mische Zusammenhänge so begreiflich gemachtwerden, dass ein gehaltvoller Dialog zustandekommt. Transparenz als Grundlage für Beteiligungist also machbar.

Die Resultate des Bürgerhaushaltes liefern fürRat und Verwaltung wertvolle Informationen, dieder Entscheidungsfindung bei der Verabschiedungdes Etats ein breiteres Fundament geben können.Der Bürgerhaushalt bietet darüber hinaus auch derVerwaltung die Möglichkeit, ihre komplexe Arbeitdarzustellen, ohne belehrend oder gar bevormun-dend daher zu kommen.

Die Ergebnisse des Bürgerhaushalts und dasweitere Verfahren müssen für alle Beteiligten klarkommuniziert werden, um auch langfristig Wirkun-gen für ein neues Gemeinschaftsverständnis vonBürgerschaft, Rat und Verwaltung in der Debatteum den Umgang mit den kommunalen Finanzen zuerzielen.

Das Vorurteil, Bürgerbeteiligung sei nur ein The-ma für kleinere und finanziell gesunde Kommunen,wurde widerlegt. Informations- und Konsultations-prozesse hängen nicht von der Einwohnerzahl oderder Haushaltslage ab, sondern von der Bereitschaftder Politik und der Verwaltung, innovative Instru-mente und Verfahren auszuprobieren. Gerade auchin Kommunen, die sich in einer schwierigen Haus-haltslage befinden, kann der Bürgerhaushalt zu ei-nem gestärkten Problembewusstsein für dienotwendigen Konsolidierungsschritte bei den Bür-gerinnen und Bürgern führen.

Die Schlussfolgerungen

Das Modellprojekt hat bewiesen, dass die Beteili-gung der Bürgerinnen und Bürger möglich ist unddass diese Beteiligung mit relativ geringem admini-strativen und finanziellen Aufwand dauerhaft reali-siert werden kann. Es hat sich auch gezeigt, dassdamit neben den bestehenden Mitgestaltungsver-fahren auf der kommunalen Ebene, im eher infor-mellen politischen Raum, das bürgerschaftlicheEngagement gestärkt werden kann.

Der Bürgerhaushalt kann aber nur erfolgreichsein, wenn er von der Überzeugung der Verantwort-lichen in Rat und Verwaltung getragen wird. Des-halb ist nicht beabsichtigt, den Bürgerhaushaltdurch eine Änderung der Gemeindeordnung ver-pflichtend einzuführen.

Der Bürgerhaushalt erweitert freiwillige bürger-schaftliche Beteilungsangebote, ohne das Prinzipder repräsentativen Demokratie und das der Ver-antwortlichkeit des demokratisch legitimierten Ra-tes bzw. Kreistages in Frage zu stellen.

Das Projekt Bürgerhaushalt wurde am 3. Juni2004 mit einem Abschlusskongress beendet. DieBroschüre „Kommunaler Bürgerhaushalt: Ein Leit-faden für die Praxis“ gibt konkrete Tipps und Hin-weise für alle am Bürgerhaushalt Interessierten. DieBertelsmann Stiftung und das InnenministeriumNRW stehen auch weiterhin als Anlaufstelle zurVerfügung. Um den Praxistransfer zusätzlich zuunterstützen hat NRW-Innenminister Dr. Fritz Beh-rens kurz nach der Kommunalwahl am 28. Septem-ber 2004 allen neuen Mandatsträgern in den Räten,Kreisen und Bezirksvertretungen sowie den neuenHauptverwaltungsbeamten in einem persönlichenSchreiben den Kommunalen Bürgerhaushalt alswichtiges Reformprojekt an Herz gelegt.

Es ist nun Sache der Räte und Kreistage, im Rah-men der kommunalen Selbstverwaltung zu entschei-den, ob sie den Bürgerhaushalt einführen wollen.

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Aus den Projekten

Wenn BürgerInnnen haushalten

Angela KöllnerUnternehmensberaterin beiRambøll Management.Sie hat das ModellprojektBürgerhaushalt im Auftrag derBertelsmann Stiftung begleitet.

Im Haushaltsplan werden die kommunalpolitischenZiele und Vorhaben der Zukunft festgelegt. Er istdaher ein strategisch zentraler Ausgangspunkt fürden Dialog mit der Bürgerschaft. Doch das Interes-se der Bürgerschaft an der Vorbereitung der Haus-haltssatzung ist meistens gering und von denvorhandenen Beteiligungsrechten wird kaum Ge-brauch gemacht. Die Gemeindeordnungen der Län-der regeln, dass der Haushaltsplanentwurf derKommunen zwischen einer und sechs Wochen aus-gelegt werden muss. Der eigentliche Zweck dieserMaßnahme, die BürgerInnen über die Budgets undFinanzdaten zu informieren und Transparenz überden kommunalen Haushalt herzustellen, erfüllt die-se Vorschrift jedoch nicht. Kaum eine Bürgerin, kaumein Bürger macht davon Gebrauch.

Die IdeeDiese Analyse veranlasste bereits Ende der 90erJahre einige kleine Kommunen im Netzwerk „Kom-munen der Zukunft“ dazu, neue bürgerschaftlicheFormen des Dialogs über anstehende Haushalts-entscheidungen zu erproben. Vorbild waren die Er-fahrungen aus der neuseeländischen Stadt Christ-church und aus Skandinavien – wo haushaltspoli-tische Zielsetzungen und Budgets schon seit vie-len Jahren gegenüber Bürgerinnen und Bürgerntransparent gemacht werden. Die Modellkommu-nen in NRW haben diese Erfahrungen aufgegriffenund die zentralen Ziele des Bürgerhaushalts ge-meinsam definiert:❏ Transparenz für die Bürgerschaft über den

Haushalt und die Haushaltsplanung,❏ Beteiligung der Bürger am Haushalt und den

damit verbundenen (strategischen) Zielen umden Dialog zwischen Bürgerschaft, Politik undVerwaltung zu verbessern,

❏ Entscheidungshilfen für die Politik durch dieErgebnisse der Bürgerkonsultation.

Der Bürgerhaushalt stellt die Grundwerte der re-präsentativen Demokratie keineswegs in Frage.Bürgerinnen und Bürger werden vor dem Haus-haltsbeschluss zu ausgewählten Themen und Bud-gets, Investitionsalternativen oder wichtigenEntscheidungen mit finanziellen Auswirkungenbefragt oder konsultiert. Die Entscheidung über den

Haushalt, also die Entscheidungen darüber, wel-che Anregungen und Vorschläge letztlich in denHaushalt einfließen, trifft nach wie vor der Rat. EinBürgerhaushalt ist keine Form der direkten Demo-kratie, sondern ein Instrument der repräsentativenDemokratie und nicht zuletzt ein Informationsin-strument für Politik und Verwaltung.

Zuerst InformierenMit der Entscheidung, den Haushalt mit der Bür-gerschaft zu erörtern, lassen sich Politik und Ver-waltung auf einen neuen, dauerhaften Prozess ein,der „erprobt“ werden muss. Der städtische Haus-halt ist ein eher sperriges Thema, das nicht aufAnhieb viele Bürger und noch weniger Bürgerin-nen lockt. Information ist der Schlüssel für den Dia-log zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung.Daher ist eine attraktive Informationsphase sehrwichtig, in der aussagekräftige Informationen undDaten über den Haushalt zielgerichtet und auchzielgruppenspezifisch vermittelt werden. Webauf-tritte und Haushaltsbroschüren sollten professio-nell mit übersichtlichen Grafiken und anschaulichemZahlenmaterial gestaltet werden, um nicht ungele-sen als Altpapier zu enden. Die städtischen Finan-zen lassen sich durchaus interessant darstellen.Auch originelle Instrumente haben sich, flankie-rend eingesetzt, als hilfreich erwiesen. So gab es inden Kneipen von Castrop–Rauxel bedruckte Bier-deckel mit einfachen Haushaltsrechnungen. DieStadt Hilden hat zum „Hildopoly“ eingeladen, einerInformationsveranstaltung, die in Anlehnung andas Brettspiel Monopoly konzipiert wurde.

Feedback einholenIn der Phase der Anhörung oder Konsultation wirddas Feedback der BürgerInnnen und Bürger zumkommunalen Haushalt eingeholt. Dazu sollte idea-lerweise ein Mix an Angeboten bereitgestellt wer-den. Im Rahmen des Bürgerhaushalts wurdenverschieden Veranstaltungsformen erprobt: Bürger-versammlungen, themenbezogene Veranstaltungen(Fachforen), Bürgersprechstunden und Marktge-spräche. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer derVeranstaltungen sollten immer die Möglichkeit ha-

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ben Fragen zu stellen, Prioritäten bei Ausgaben undSparmassnahmen zu setzen und neue Ideen einzu-bringen. In den Projektkommunen erwiesen sichrepräsentative Methoden der Beteiligung als uner-lässlich, also die Einbindung von nach Alter, Ge-schlecht, Stadtteil, etc. repräsentativ ausgewähltenStichproben von Bürgerinnen und Bürgern. Alleanderen Verfahren laufen immer Gefahr, dass die„üblichen Verdächtigen“ und Vereinslobbyistenunter sich bleiben und das Thema Haushalt keinewirklich breit diskutierte Angelegenheit wird.

Entscheidungen begründenNachdem die Bürgerinnen und Bürger gehört wur-den, fallen die Entscheidungen in den politischenGremien. Wenn der Haushalt für das kommende Jahrsteht, setzt die Rechenschaft ein. Die Bürgerinnenund Bürger sollen nachvollziehen können, warumgenau so und nicht anders entschieden wurde. Nurdann werden die politischen Entscheidungen auchakzeptiert – auch die unangenehmen Sparentschei-dungen. Spätestens jetzt wird es hoch politisch.Wer Transparenz schafft, muss plötzlich Entschei-dungen begründen, die zuvor ohne öffentliche Dis-kussion durch den Rat liefen. Damit dabei keineunerfüllbaren Erwartungen geweckt werden, mussvon vornherein Klarheit über die begrenzten Mittelund Rahmenbedingungen geschaffen werden, dashaben die Erfahrungen aus fast allen Projektkom-munen gezeigt.

Rat vom RatVon besonderem Interesse wardaher auch die Meinung derRatsmitglieder der Projektkom-munen zum Bürgerhaushalt. ImFrühjahr 2003 führten dieProjektträger eine schriftlicheBefragung von 276 Ratsmit-gliedern aus den Projektkom-munen durch, knapp 56% derRatsfrauen und –herren beant-worteten den Fragebogen.

Die Ratsmitglieder waren im Allge-meinen gut über das Modellprojekt in-formiert – 63% gaben an, die Vorschlägeder Bürger in den Haushaltsberatun-gen oder in den Fraktionen zu erör-tern. Fast 80% der Ratsmitgliedermeinen, dass sie besser einschät-zen können, was Bürgerinnenund Bürgern wichtig oder un-wichtig ist. Rund 63% gabenan, dass sie neue Anregun-gen für die Haushaltbera-

tungen erhalten. Aber auch die Risiken und Be-fürchtungen von Seiten der Politik spiegeln sich inden Ergebnissen. So glauben 70% der Befragten,dass der Bürgerhaushalt Erwartungen bei Bürge-rinnen und Bürgern weckte, die nicht erfüllt wer-den können. Fast die Hälfte ist die Ansicht, dassdas Projekt viel Arbeit für die Fachbereiche und dieKämmerei verursachte.

Weiter machenGanz ohne Aufwand ist der Bürgerhaushalt nichtzu haben. Aber die Ausgaben sind – auch mit pro-fessioneller Unterstützung bei Informationsbro-schüren, Webtools und der Moderation vonBürgerversammlungen – in allen Modellkommunenüberschaubar geblieben. So beliefen sich die Sach-kosten in Emsdetten im Jahr 2001 auf rund 17.000 €,das entspricht 50 Cent je Einwohner.

Angesichts der Bedeutung des Haushalts füreine Kommune ist der Bürgerhaushalt, kann derBürgerhaushalt ein ideales Instrument sein, um mitden Bürgerinnen und Bürgern ins kommunalpoliti-sche Gespräch zu kommen. Die Modellkommunenin NRW haben bewiesen, was viele früher fürschlicht unmöglich gehalten haben: der Haushalts-planentwurf kann für ganz normale Bürger ver-ständlich und gestaltbar werden.

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Bürgerhaushalt kontrovers

Beteiligen ohne Spielraum?

Dr. Lars HoltkampInstitut für Politikwissenschaftder FernUniversität Hagen

Die umfassende Beteiligung der BürgerInnen amHaushaltsplan ist nur die konsequente Fortsetzungder Idee der Bürgerkommune und wird deshalb viel-fach begrüßt. Wesentliches Ziel des Bürgerhaus-haltes ist es, viele BürgerInnen in die Haushalts-planung einzubeziehen und zumindest einen Teilihrer Anregungen umzusetzen. Doch wenn Bürger-Innen mitentscheiden sollen, müssen auch die Rah-menbedingungen stimmen. Gerade in NRW ist diesin vielen Kommunen nicht der Fall.

Geringes Interesse der BürgerInnenIn vielen Umfragen wurde deutlich, dass die Bür-gerInnen nur ein sehr eingeschränktes Interessean der Haushaltspolitik im Allgemeinen haben. Siebeteiligen sich lieber an konkreten Projekten, als anabstrakten Diskussionen über Haushaltsdaten. Hin-zu kommt, dass die Kommunen in NRW im Durch-schnitt deutlich mehr EinwohnerInnen haben, alsdie Kommunen anderer Bundesländer. In Bürger-befragungen wurde ermittelt, dass das schon ein-geschränkte Interesse der BürgerInnen an derHaushaltspolitik in größeren Städten noch weiterabnimmt (Holtkamp 2001). Die mit steigender Ge-meindegröße abnehmende Identifikation mit derStadt, der geringere Kenntnisstand bei kommunal-politischen Fragestellungen und der niedrigere Pro-zentsatz von Hauseigentümern, welche die Steuer-und Abgabenlast deutlicher wahrnehmen als dieMieter, sind hierfür die wesentlichen Ursachen. DieFolge ist, dass in Nordrhein-Westfalen nur wenigenicht organisierte, gut informierte Bürger am Bür-gerhaushalt teilnehmen.

Aushöhlung der RatskompetenzenViele KommunalpolitikerInnen in NRW haben einstärkeres parlamentarisches Grundverständnis alsdie KommunalpolitikerInnen der anderen Bundes-länder. Damit wird gerade das Budgetrecht immernoch als die Kernkompetenz („das Königsrecht“)des Stadtparlamentes angesehen. Wenn weiter be-rücksichtigt wird, dass der Stadtrat in den letztenJahren durch die Reform der Gemeindeordnungen(Einführung von Bürgerbegehren und hauptamtli-chen Bürgermeistern) bereits erhebliche Kompeten-

zen abgeben musste, ist mit einem großen Miss-trauen gegenüber dem Bürgerhaushalt zu rechnen.Die von vielen BürgermeisterInnen immer wieder-holte Formel, dass der Stadtrat durch das Instru-ment der Bürgerbeteiligung zu einer diszipliniertenAusgabenpolitik bewegt werden soll, kann von denRatsmitgliedern als bewusste Aushöhlung ihrerKompetenzen über den Umweg der Bürgerbeteili-gung gedeutet werden. Durch dieses Misstrauenwird die Umsetzung der im Rahmen des Bürger-haushalts erzielten Beteiligungsergebnisse zuse-hends prekär. Das führt zu Frust bei den BürgerIn-nen, die sich, wie Befragungen in einigen Städtenzeigen, von den zeitintensiven Beteiligungsverfah-ren vor allem erhoffen, dass ein Teil ihrer Anre-gungen hinterher tatsächlich auch umgesetzt wer-den (Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003).

Bürgerhaushalt ohne HaushaltFür die mangelnde Umsetzung von Beteiligungser-gebnissen sind aber auch die Haushaltskrise unddie Intervention der Aufsichtsbehörden verant-wortlich.

Im Jahre 2004 weisen nach Angaben des Innen-ministeriums 180 Städte und Gemeinden in NRWein Haushaltssicherungskonzept (HSK) aus, 72davon verfügen nicht mal über einen genehmigtenHaushalt. Damit ist die Zahl der HSK-Kommunenund der Kommunen mit nicht genehmigtem Haus-halt seit 1992 kontinuierlich gestiegen. Das Innen-ministerium sieht seine Pflicht darin, diesen„Kommunen lästig zu werden und den gewolltenheilsamen Druck auf die am Budgetprozess Betei-ligten zu erhöhen“ (Innenministerium NRW 2004,S. 48). Gleichzeitig fordert der Innenminister in sei-nem Schreiben vom 28.9.04 alle Rats- und Kreis-tagsmitglieder in NRW auf, die Bürger stärker amHaushaltsplan zu beteiligen und die Chancen desBürgerhaushaltes zu nutzen. Ob das Innenministe-rium damit auch den BürgerInnenn „lästig“ werdenwill und den „heilsamen Druck“ darauf erhöhen will,bleibt offen.

Erfahrungen mit der direkten Demokratie in derSchweiz zeigen, dass BürgerInnen unter bestimm-ten Bedingungen durchaus sparsamer agieren alsKommunalpolitik und Verwaltung. Dies setzt aber

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voraus, dass sie durch Einsparungen deutlich we-niger Steuern zahlen müssen. In NRW steht aberaufgrund der Genehmigungspolitik des Innenmini-steriums bereits fest, dass die BürgerInnen überJahre mit eher steigenden Grundsteuerhebesätzenbei gleichzeitig sinkenden Ausgaben zu rechnenhaben (siehe Prüfraster des Innenministeriums fürHaushaltssicherungskonzepte). Zugespitzt ließesich formulieren, wer mehr bezahlt, bekommt imGegenzug geringere Leistungen. Bei diesen restrik-tiven Rahmenbedingungen ist nicht ersichtlich,dass zeitintensive Beteiligungsverfahren der Bür-gerInnen durch Beteiligungserfolge belohnt wer-den.

Hinzu kommt in NRW, dass wesentliche Bestand-teile des Haushaltsplans nichtöffentlich mit denAufsichtsbehörden verhandelt werden und dieKommunen mit „geschönten“ Haushaltsdaten ope-rieren (Holtkamp 2003). Von einer Haushaltstrans-parenz, die für eine nachhaltige Partizipationgrundlegend ist, kann somit nicht ausgegangenwerden. Bei nicht genehmigtem Haushalt verlierenhäufig selbst die Fraktionsvorsitzenden das Inter-esse an der Lektüre des Haushaltsplans, weil vonihm kaum noch eine Bindekraft ausgeht. Spätestensunter diesen Bedingungen kann die Beteiligung derBürgerInnen am Haushaltsplan zynisch wirken.

Bürgerbudgets als Lösung?Unter diesen schwierigen Bedingungen ist eineDelegation von Budgetverantwortung auf Bürger-Innen und Verbände in kleinen Teilbereichen eherzu empfehlen. Beispiele hierfür sind die Vergabevon Sportmitteln durch den Stadtsportverbandoder Energiebudgets in Schulen und vergleichba-ren Einrichtungen. Hier könnten Nutzerbeiräte überdie Verwendung der eingesparten Mittel mitent-scheiden. Die Budgets sind in der Regel gedeckelt,die Beteiligten gut informiert und motiviert. Dar-über hinaus geht es nicht um unverbindliche Betei-ligung, sondern die BürgerInnen und Verbändekönnen real mit entscheiden.

Die Vergabe von Fördermittel durch den Stadt-sportbund haben wir in zwei Städten mittlerer Grö-ße im Rahmen unseres Forschungsprojekts Bür-gerkommune intensiver untersucht (Bogumil/Holt-kamp/Schwarz 2003). In beiden Städten wurdedieses Verfahren von allen kommunalen Entschei-dungsträgern sehr positiv beurteilt, weil dadurchdie Grenzen des Haushalts von den Verbandsver-tretern nach unten vermittelt werden und in derRegel sachgerechtere Entscheidungen zustandekommen. Lediglich in einer der untersuchten Städ-te, in der es keine Berichtspflicht des Sportverbandsgab, wurde angemerkt, dass zu überprüfen sei, obso auch gerade neue Angebote (auch neue Sport-

arten) gefördert würden. Ein weiteres möglichesProblem der Delegation sei, dass man als Mandats-träger den Überblick verliert, weil die Verwaltungnicht über die detaillierte Mittelverwendung berich-tet. Somit sollte die Delegation von Budgets miteiner Berichtpflicht an den Stadtrat einhergehen,um die notwendige öffentliche Transparenz undKontrolle gewährleisten zu können. Sonst könntedas Bürgerbudget zum Selbstbedienungsladen füretablierte Sonderinteressen degenerieren.

Wenn die Kommunalpolitik bereit ist kleinereKompetenzen bei weiterhin bestehenden Berichts-pflichten abzugeben, können auf Teilbereiche be-grenzte Bürgerbudgets sicherlich für die BürgerIn-nen erfolgreicher sein als der vom Innenministeri-um und der Bertelsmann Stiftung promotete Bür-gerhaushalt bei untransparentem oder nichtge-nehmigtem Haushalt.

Literatur:

Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars/Schwarz, Gudrun 2003: Das Reformmodell Bürgerkommune –Leistungen – Grenzen – Perspektiven, Schriftenreihe Modernisierung des öffentlichen Sektors Bd. 22,Berlin

Holtkamp, Lars 2001: Der Bürgerhaushalt – Ein Konzept für Klein und Groß und Arm und Reich?in: Der Gemeindehaushalt 5/2001, S. 104–107

Holtkamp, Lars 2003: Haushalten in kreisangehörigen Gemeinden – Über Haushaltssicherungs-konzepte und kommunale Befreiungsschläge, in: Forum Kommunalpolitik 1/03, S. 6 – 8

Innenministerium NRW 2004: Kommunalfinanzbericht,http://www.im.nrw.de/pub/pdf/kommunalfinanzbericht_0405.pdf

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Grüne für Transparenz und Beteiligung

Der Haushalt ist der Nerv des Staates

Peter FingerErster grüner Bürgermeisterder Stadt Bonn und Mitinhaberder Beratungsgesellschaftsysteam-bonn

„Der Haushalt ist der Nerv des Staates.Daher muss er den profanen Augender Untertanen entzogen werden.“(Richelieu, Erster Minister des französischenKönigs Ludwig XIII.;17. Jh.)

Richelieu wäre mit den heute Regierenden zu-frieden. Denn seine Nachfolger – auch in den Kom-munen – haben es geschafft, den Haushalt bis heuteals Geheimnis zu hüten. Es geht das Gerücht um,selbst alt gediente KommunalpolitikerInnen wür-den den Haushalt nur schwer verstehen – wie soll-ten dann die Bürgerinnen und Bürger den Durch-blick wahren?

Transparenz und BeteiligungGRÜNE Politik will mehr Transparenz und Beteili-gung, vor allem in den finanziellen Angelegenhei-ten der eigenen Stadt, der eigenen Gemeinde, deseigenen Kreises. Die Aufstellung des Haushaltsgehört zu den komplexesten kommunalpolitischenAufgaben, zugleich ist der Haushalt eine entschei-dende Grundlage des kommunalen Lebens. Haus-halt und Haushaltspolitik müssen endlich herausaus der Schattenwelt, an das Licht der Öffentlich-keit.

Der Blick in die nordrhein-westfälische Gemein-deordnung macht deutlich, wie unzureichend dieBeteiligungsmöglichkeiten der BürgerInnen beimHaushalt zurzeit sind:

§ 79 Abs. (3) „Der Entwurf der Haushaltssat-zung mit ihren Anlagen ist nach vorheriger öffent-licher Bekanntgabe an sieben Tagen öffentlichauszulegen. Gegen den Entwurf können Einwoh-ner oder Abgabepflichtige innerhalb einer Frist vonvierzehn Tagen nach Beginn der Auslegung Ein-wendungen erheben. In der öffentlichen Bekannt-gabe der Auslegung ist auf die Frist hinzuweisen:außerdem ist die Stelle anzugeben, bei der die Ein-wendungen zu erheben sind. Über die Einwendun-gen beschießt der Rat in öffentlicher Sitzung.“

§ 79 Abs. (6) „Im Anschluss an die öffentlicheBekanntmachung der Haushaltssatzung, ist derHaushaltsplan mit seinen Anlagen an sieben Ta-gen öffentlich auszulegen: in der Bekanntmachungist auf die Auslegung hinzuweisen.“

Diese Regelungen beinhalten den Geist obrig-keitsstaatlichen Denkens. Die BürgerInnen werdenzu lästigen Bittstellern, die Haushaltsberatungenstören und behindern. Dabei wäre es die Aufgabevon Politik und Verwaltung, den Haushalt zu denBürgerinnen und Bürgern zu bringen und diese aktivzu beteiligen. Dazu bietet sich das Instrument desBeteiligungshaushalts an, denn damit wird das All-tagswissen der Bürgerinnen und Bürger für diekommunale Finanzpolitik produktiv genutzt.

Die Ziele des Beteiligungshaushalts sind: Ver-ständlichkeit, breite Mitwirkungsmöglichkeiten fürBürgerInnen, Einbeziehung der Anregungen in dieDiskussionen von Rat und Verwaltung, Rechen-schaft ablegen. Da Transparenz der größte Feindvon Korruption ist, ist der Beteiligungshaushaltauch ein wichtiger Beitrag zur Korruptionspräven-tion.

Beteiligungshaushaltals GRÜNES ThemaDie GRÜNEN sollten die Einführung des Beteili-gungshaushalts in den Städten, Gemeinden undKreisen zu ihrem zentralen Themen machen. Dennder Haushalt ist die Schnittstelle zwischen Politik,Verwaltung und BürgerInnen. Hier werden finanzi-elle Mittel nach politischen Prioritäten verteilt, hierwird über Projekte und die Unterstützung für Verei-ne und örtliche Initiativen entschieden. Alle Bür-gerinnen und Bürger sind direkt oder indirekt vonden Entscheidungen zum Haushalt betroffen –umso wichtiger ist es, sie umfassend zu beteiligen.Optimal für die schnelle Einführung des Beteili-gungshaushalts ist, dass Politik und Verwaltungan einem Strang ziehen und die Einführung gemein-sam vorantreiben. Bewährt hat sich auch die Ein-beziehung lokaler Initiativen und Agenda-Gruppen.

Wenn Richelieu von all diesen Überlegungenerfährt, wird er sich sicherlich im Grabe umdrehen –uns GRÜNEN soll’s recht sein.

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Musterantrag für den Rat oder Kreistag

Beteiligungshaushalt – den kommunalen Haushalt zuden Bürgerinnen und Bürgern bringen

auf dem Weg zur BürgerInnenkommune. Das Verfahren desBeteiligungshaushalts verläuft idealtypisch in fünf Schritten:❏ Verständliche und transparente Aufbereitung des Haus-

halts❏ Darstellung des Haushalts in (dezentralen) Veranstaltun-

gen; begleitende Öffentlichkeitsarbeit❏ Breite Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und

Bürger (während der Veranstaltungen, über Internet,Email, Haushalts-Hotline, Aktionen, Dialog-Postkarten,Haushalts-Broschüre, Informationsmaterial für Schulenu.a.)

❏ Einbeziehung der Anregungen der Bürgerinnen und Bür-ger in die Beratungen in den Rats-/Kreistagsgremien

❏ Beschlussfassung zu den Anregungen❏ Rechenschaft ablegen: Information der Bürgerinnen und

Bürger über die Ergebnisse der Haushaltsberatung – wasist aus den Anregungen geworden?

In Nordrhein-Westfalen gab es 6 Projektkommunen zum Be-teiligungshaushalt: Emsdetten, Castrop-Rauxel, Hilden,Vlotho, Hamm, Monheim a. R. Die Ergebnisse aus den Pro-jektkommunen machen deutlich, dass die Bürgerinnen undBürger den Beteiligungshaushalt positiv einschätzen und alsgute Mitwirkungsmöglichkeit in Haushaltsfragen schätzen.Die intensive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger beiHaushaltsfragen macht den kommunalen Haushalt transpa-rent und vermindert so die Korruptionsgefahr. Die Erfahrun-gen zeigen auch, dass die Beteiligung der BürgerInnen beiHaushaltsfragen keineswegs zu höheren finanziellen Ansprü-chen an die Stadt/Gemeinde/den Kreis führt. Im Gegenteil:Indem der Haushalt und seine Zusammenhänge für die Bür-gerInnen verständlich werden, haben sie selbst ein Interessean einem sparsamen, gerechten und effektiven Einsatz der(knappen) Haushaltsmittel.

Ab dem 1.1.2005 beginnt die Einführung des Neuen Kom-munalen Finanzmanagements in Nordrhein-Westfalen. Mitdem NKF wird die kommunale Haushalts- und Finanzwirt-schaft in weiten Teilen auf neue Grundlagen gestellt. Für dieEinführung des NKF gibt es eine Übergangsfrist bis zum Jahr2008. Ziel der Stadt/Gemeinde/des Kreises (Name) sollte sein,bei der Umstellung insgesamt eine moderne und langfristigeForm der Haushalts- und Finanzwirtschaft zu finden. Dazugehört der Beteiligungshaushalt.

Bei der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanage-ments (NKF) wird der Beteiligungshaushalt einbezogen. Diesbedeutet konkret:❏ Die Haushaltsberatungen werden ab dem Jahr Y in Form

eines Beteiligungshaushalts durchgeführt.❏ Die Stadt/Gemeinde/der Kreis (Name) setzt sich gegen-

über dem Land NW dafür ein, dass bei der Einführung desNeuen Kommunalen Finanzmanagements der Beteili-gungshaushalt landesweit verpflichtend vorgegeben wird.

Begründung„Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muss er denprofanen Augen der Untertanen entzogen werden“ (Richelieu,Erster Minister des französischen Königs Ludwig XIII. ;17.Jh.). Richelieu wäre auch heute zufrieden, denn die Beteiligungder Bürgerinnen und Bürger an den Haushaltsberatungen istnoch immer völlig unzureichend.

Im § 79 Abs. (3) und (6) der Gemeindeordnung NW ist dieBeteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei den Haushaltsbe-ratungen geregelt:

Abs. (3) „Der Entwurf der Haushaltssatzung mit ihren Anla-gen ist nach vorheriger öffentlicher Bekanntgabe an siebenTagen öffentlich auszulegen. Gegen den Entwurf können Ein-wohner oder Abgabepflichtige innerhalb einer Frist von vier-zehn Tagen nach Beginn der Auslegung Einwendungenerheben. In der öffentlichen Bekanntgabe der Auslegung istauf die Frist hinzuweisen: außerdem ist die Stelle anzugeben,bei der die Einwendungen zu erheben sind. Über die Einwen-dungen beschießt der Rat in öffentlicher Sitzung.“

Abs. (6) „Im Anschluss an die öffentliche Bekanntmachungder Haushaltssatzung ist der Haushaltsplan mit seinen Anla-gen an sieben Tagen öffentlich auszulegen: in der Bekanntma-chung ist auf die Auslegung hinzuweisen.“

Diese Regelungen lassen das vordemokratische Bewusst-sein erkennen, in dem bisher die Haushaltsberatungen statt-finden. Statt den Haushalt zu den Bürgerinnen und Bürgern zubringen und diese aktiv zu beteiligen, haben sie kaum die Mög-lichkeit, ihre Anregungen bei Haushaltsberatungen einzubrin-gen.

Der Beteiligungshaushalt dagegen hat das Ziel, die Bürge-rinnen und Bürger intensiv in den Prozess der Haushaltsbera-tungen einzubeziehen. Er ist insofern ein wichtiger Meilenstein

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Aus den Kommunen

Vlotho rechnet mit den BürgerInnen

August-Wilhelm KönigFraktionsvorsitzenderder Grünen Liste Vlotho

Sabine NiemannRatsmitglied undFraktionsgeschäftsführerinder Grünen Liste Vlotho

Seit 20 Jahren hat die Grüne Liste Vlotho (GLV) Sitzund Stimme im Rat der Stadt Vlotho. Seitdem erlebtdie Fraktion am Ende eines jeden Jahres eine hekti-sche Betriebsamkeit bei Verwaltung und Rat: DieAufstellung des städtischen Haushaltes ist in Ar-beit. Der Haushalt wird vom Kämmerer eingebracht,die Fraktionen halten ihre ‚legendären’ Haushalts-reden. Kurz vorher werden noch Änderungsanträ-ge eingebracht, oftmals in öffentlichkeitswirksamenBereichen zu Schulen oder defekten Straßen, umdie Bevölkerung zu beruhigen. Das alles findet inRatssitzungen statt, die allerhöchstens von zehnBürgerInnen beobachtet werden. Und auch in derÖffentlichkeit wird durch die Presseberichterstat-tung der Eindruck vermittelt, dass über die Köpfeder BürgerInnen hinweg Rat und Verwaltung mach-ten, was sie wollten.

Das wurde für Politik und Verwaltung eine zu-nehmend unhaltbare Situation. Daher hat sich dieStadt Vlotho 2001, unter maßgeblichem Einfluss derGLV-Fraktion, dem Projekt des Innenministeriumsund der Bertelsmann-Stiftung „Kommunaler Bür-gerhaushalt“ angeschlossen. Die BürgerInnen soll-ten an der Aufstellung des städtischen Haushaltesbeteiligt werden.

Neue BeteiligungsformenDieser Entscheidung waren neue Beteiligungs-

formen für BürgerInnen an der Stadtpolitik voraus-gegangen, die seit dem Jahr 1995 in Form vonZukunftswerkstätten, Lokale Agenda Gruppe undStadtentwicklungskonferenzen durchgeführt wer-den. Aus diesen Beteiligungsformen gingen Ar-beitskreise zu den verschiedensten Themen hervor.In zahlreichen Sitzungen und Workshops ent-wickelten die Teilnehmenden Ideen und Konzeptefür eine bürgerfreundliche Stadt. So wurde die Ein-führung eines Stadtbus konkretisiert, die Umgestal-tung der Innenstadt geplant, die Situation derschwächeren VerkehrsteilnehmerInnen unter dieLupe genommen, ein Geschichtspfad entwickelt.

Die Ziele können aber nur mit ausreichendenRessourcen umgesetzt werden, die nicht in ge-wünschtem Umfang verfügbar waren. Zudem er-folgten massive Gewerbesteuereinnahmeverluste,die bislang unangetastete Aufgaben der Stadt, wie

die Freibadfinanzierung, in Frage stellten. Die dar-auf folgenden Haushaltsberatungen brachten Er-nüchterung und viele Aktive zogen sich frustriertzurück. Die Einführung des Bürgerhaushaltes wardie konsequente Weiterentwicklung dieses bürger-schaftlich ausgerichteten Stadtentwicklungspro-zesses, der auch dem bislang entstandenen Frustentgegensteuern sollte.

Bürgerhaushalt im DialogDas Kernstück des Vlothoer Bürgerhaushaltes warund ist, das einmal im Jahr stattfindende Bürgerfo-rum. Dieses Forum ist in den alljährlichen Haus-haltsaufstellungsprozess integriert und agiert zwi-schen der Festlegung der Eckwerte des Haushaltsund dem Haushaltsbeschluss durch den Rat. In denersten Jahren wurden unterschiedliche Szenarieneines Bürgerforums ‚getestet’. So wurden in einemJahr, zugeschnitten auf den jeweiligen Stadtteil, ein-zelne Ortsteilforen durchgeführt. Ein Aufwand, der,wie die Praxis zeigte, so nicht notwendig war. DieGesamtforen führten mit vergleichsweise geringe-rem Aufwand zu guten Ergebnissen für die Stadt-entwicklung.

Bei den im Schulzentrum Vlotho stattfindendenBürgerforen, stellt der Kämmerer den Haushalts-planentwurf vor, geht auf die aktuelle Finanzsitua-tion ein und beantwortet die vielen Fragen derdurchschnittlich 200 Teilnehmenden. Vorab gibt eseinen Rechenschaftsbericht über die Realisierungund Handhabung der Vorschläge des Vorjahres. Umweitere, auch spezifischere Meinungen, Anregun-gen und Ideen zu verschiedenen Themenfeldernzu bekommen, wird an Infopunkten zu unterschied-lichen Bereichen zum Meinungsaustausch einge-laden.

Die Themen des Bürgerforum wechselten undwurden auf den aktuellen Gesprächsbedarf zuge-schnitten. So standen 2004 unter anderen die Aus-stattung und der Zustand der Kinderspielsplätzeund der Schulsanierungen zur Diskussion. Die fürdiese Themen zuständigen Verwaltungsmitarbeiter-Innen gaben Auskunft und hielten die Gesprächs-ergebnisse schriftlich fest. Im anschließendenPlenum berichteten die Verantwortlichen aus denInfopunkten über die zusammengetragenen Wün-

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sche und Ideen, die erneut eine engagierte, lebhaf-te Aussprache auslösten.

Zu dem Gesamtforen wurden nach dem Zufalls-prinzip 1.000 BürgerInnen persönlich eingeladen.Selbstverständlich konnten darüber hinaus alle In-teressierten teilnehmen. Die persönliche Einladungper Zufallsprinzip stellt jedoch sicher, dass nichtnur die dabei sind, die „in allen Töpfen rühren“,sondern das ein Querschnitt der Bevölkerung ver-treten ist.

Konkrete ErgebnisseDas Projekt Bürgerhaushalt hat in Vlotho konkreteFolgen. Hier einige Beispiele:❏ Zur Rettung des von der Schließung bedroh-

ten Waldfreibades wurde 2003 ein Freibadver-ein gegründet, dessen Mitglieder packenkräftig zu und können damit die städtischenAufwendungen erheblich reduzieren

❏ 2004 haben Bürgerinnen und Bürger Beetpa-tenschaften für städtische Grünflächen über-nommen, Müllsammelaktionen in der freienLandschaft wurden in allen Stadtteilen durch-geführt. Statt über den überlasteten Bauhof zuschimpfen wurde selbst gehandelt

❏ Schülerinnen und Schüler haben unter demMotto „Ohne Moos nichts los“ den städti-schen Haushalt untersucht und für ihren Be-reich punktuelle Einsparmöglichkeiten z.B. beider Schülerbeförderung ermittelt

❏ Zur Sicherstellung der Bücherei wurde mit denNutzerInnen und einem Förderverein die Ein-führung einer Benutzergebühr entwickelt undeingeführt.

Stimmen aus der PolitikDie am Prozess beteiligten Ratsmitglieder aller Frak-tionen haben ihre Positionen während des Bürger-forums bewusst zurückgehalten. Sie standendennoch für Rückfragen zur Verfügung. Die GrüneListe Vlotho unterstützt die Entwicklung des Bür-gerhaushaltes in Vlotho maßgeblich, da:❏ endlich auch in Finanzfragen der Stadt mehr

Transparenz und direkte Bürgerbeteiligungmöglich wird

❏ Politik und Verwaltung auch zwischen denWahlterminen kontinuierlich Rechenschaftüber Ziele und Ressourcen ablegen müssen

❏ BürgerInnen den engen Spielraum von Politikund Verwaltung zur Gestaltung der Stadtpoli-tik hautnah kennen lernen

❏ BürgerInnen eigene Ideen und Mitwirkungs-möglichkeiten zur Entwicklung ihrer Stadt ein-bringen können

❏ Vertrauen entsteht, ebenso wie Akzeptanz, undeine Identifikation mit der Stadt geschaffen wird

❏ Politik und Verwaltung wieder dichter an dieBedürfnisse der Bevölkerung angebunden wer-den.

Es hat sich gelohntAus unserer Sicht haben sich die drei Jahre Bür-gerhaushalt gelohnt. Wir werden den eingeschla-genen Weg der BürgerInnenbeteiligung fortsetzen.Dabei wird stetig auf die Ergebnissen der vergan-genen Jahre aufgebaut, so dass die BürgerInnenihre Beteiligungskompetenzen weiterentwickelnund verstetigen können.

Eine Schwachstelle des Vlothoer Bürgerhaus-haltes ist allerdings der noch unbefriedigende In-formationsfluss zwischen BürgerInnen, Politik undVerwaltung im Jahreslauf zwischen den Bürgerfo-ren. Dieser Dialog muss verstetigt werden, der Re-chenschaftsbericht über die Einarbeitung derAnregungen und Ideen aus dem Bürgerforum inden Haushalt muss zeitnah erfolgen.

Das der Bürgerhaushalt in Vlotho ‚ankommt’ zei-gen auch die Bürgerbefragungen. Zum Abschlusseines Prozesses wurden Kritikerbögen an die be-teiligten BürgerInnnen ausgegeben. Die Auswer-tung der Befragung ergab, dass mehr als 70% derBeteiligten das Verfahren als eindeutig ‚positiv’ ein-schätzen. Die nun informierteren BürgerInnen füh-len sich ernst genommen und arbeiten mit Politikund Verwaltung gemeinsam für ihre Stadt.

Kontakt: Sabine Niemann,Fraktionsbüro der GLVTelefon 05733/969599Fax 05733/[email protected]

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Empfehlungen für eine einheitliche Praxis

Hartz IV gilt fürvon Gewalt betroffene Frauen

5.312 Frauen mit 5.790 Kindern suchten 2001 inNRW Zuflucht in Frauenhäusern.1 2003 wurden imZusammenhang mit häuslicher Gewalt 6.931 Woh-nungsverweisungen mit Rückkehrverbot ausge-sprochen.

Bisher erhalten die betroffenen Frauen und ihreKinder – soweit sie bedürftig sind – Sozialhilfe.Auch die vom Land und den Kommunen nicht durchdirekte Förderung abgedeckten Kosten der Frau-enhausbewohnerinnen werden nach BSHG finan-ziert. Die wenigsten Frauen verfügen über einausreichendes eigenes Einkommen, um für denFrauenhausaufenthalt selbst aufzukommen.

Neuer RegelungsbedarfDie Definition der Erwerbsfähigkeit (wer nicht aufabsehbare Zeit außerstande ist, erwerbstätig zusein) führt dazu, dass ab dem 1.1.2005 die meistenFrauenhausbewohnerinnen unter das SGB II fallenwerden. Generell ist es zu begrüßen, dass von Ge-walt betroffene Frauen dem Berechtigtenkreis desSGB II zuzuordnen sind. Im Detail ergeben sich al-lerdings einige Probleme, die von grüner Seiteschon sehr früh aufgegriffen wurden.2 Mittlerweilewerden auch auf Regierungsebene Regelungsnot-wendigkeiten gesehen. So griff in den vergange-nen Wochen sowohl die BundesfrauenministerinRenate Schmidt in einem Brief an Wirtschaftsmini-ster Clement die Thematik auf, als auch die Frauen-ministerinnenkonferenz in ihrem Beschluss „För-derung von Gewalt betroffener Frauen durch dasneue SBG II“. Die grüne Landtagsfraktion bündel-te nach Rückkopplung mit Fachfrauen aus Frauen-häusern und Beratungsstellen erneut die zu erwar-tenden Probleme, mit entsprechenden Handlungs-vorschlägen, und übersandte diese an die grüneBundestagsfraktion. Gemeinsames Ziel dieser Vor-stöße ist es, die Verantwortlichen für die besonde-ren Belange der von Gewalt betroffenen Frauen zusensibilisieren und zu einer einheitlichen, der Si-tuation der Betroffenen angemessenen Verwal-tungspraxis zu kommen. Daher werden die verschie-denen Bereiche, für die Regelungsbedarf besteht,und die entsprechenden Handlungsempfehlungendargelegt.

1. Zuständigkeiten bei Ortswechsel

Bisher ist das Sozialamt am tatsächlichen Aufent-haltsort der Frau zuständig, unabhängig davon,wo sie gemeldet ist oder wo ihr vorheriger Wohn-sitz war. Für von Gewalt betroffene Frauen ist die-se Bestimmung wichtig, da sie häufig ein entferntliegendes Frauenhaus aufsuchen, um den Nach-forschungen des gewalttätigen Partners zu ent-gehen. Nach SGB II ist die Agentur für Arbeitzuständig, in deren Bezirk die Hilfebedürftige ih-ren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Empfehlung:Die Fluchtmöglichkeit in ein weiter entfernt lie-gendes Frauenhaus darf durch die Regelungendes SGB II nicht beschränkt werden; gewaltbe-troffenen Frauen ist bei einem Ortswechsel nichtzuzumuten, im Rahmen ihrer Pflichten durch dasSGB II den alten Wohnort aufzusuchen. Deshalbsollte generell davon ausgegangen werden, dassbei einem Aufenthalt im Frauenhaus in allerRegel am Ort der Einrichtung ein gewöhnlicherAufenthalt begründet wird.

2. Pflicht zurunmittelbaren Mitwirkung

Erwerbsfähige Hilfebedürftige sind zur unmittel-baren Mitwirkung verpflichtet. Dies schließt dieAufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oderMaßnahme mit ein, die bei jungen Frauen (unter25) unverzüglich zu erfolgen hat. Die Folgen vonGewalt und die akute Krisensituation sowie dieBedingungen der Flucht ins Frauenhaus (ggf.auch einer Wegweisung), stehen jedoch für ei-nen gewissen Zeitraum den hohen Anforderun-gen und Mitwirkungspflichten des SGB IIentgegen. Die Frauen brauchen Zeit, um sich zustabilisieren und die notwenigen Entscheidungentreffen zu können.

Empfehlung:Wenn eine Frau in ein Frauenhaus geflohen ist,eine Schutzanordnung (Wegweisung) vorliegtoder eine Nutzungsüberlassung der Wohnungnach dem Gewaltschutzgesetz beantragt worden

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Anmerkung:

1 MFJFG NRW

2 Beispielsweise in der vomFachbereich Frauen der grünenLandtagsfraktion initiiertenResolution „Frauen in Notbrauchen Perspektiven – auchnach Hartz“ und einem Schreibenvon Katja Husen, Marianne Hürtenu.a.

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ist, muss sichergestellt sein, dass diese Frau aufGrund der Krisensituation nicht unmittelbar zurArbeitsaufnahme/Mitwirkung verpflichtet wird,sondern erst nach einer Stabilisierungsphase (min-destens 3 bis 6 Monate). So wird dem UmstandRechnung getragen, dass die betroffenen Frauenzeitweise nicht erwerbsfähig sind.

3. BedarfsgemeinschaftAnspruch auf Unterstützungsleistung besteht erstnach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Be-darfsgemeinschaft, zu der u.a. auch der „nicht dau-erhaft getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspart-ner“ gehört. Das Gesetz lässt offen, ob und unterwelchen Bedingungen eine Flucht ins Frauenhaus(oder eine Wegweisung) als Aufhebung der Be-darfsgemeinschaft zu werten ist. Dies birgt die Ge-fahr, dass Frauen, die den Frauenhausaufenthaltnicht sofort als dauerhafte Trennung bewerten,keine finanzielle Unterstützung erhalten.

Empfehlung:Es muss generell davon ausgegangen werden, dassmit der Flucht ins Frauenhaus (oder einer Weg-weisung) die Bedarfsgemeinschaft aufgehoben ist.Die ausdrückliche Erklärung der Frau, dass siesich dauerhaft von ihrem Mann trennen will, darfnicht zur Vorraussetzung gemacht werden. Es wirderwartet, dass das BMWA ein entsprechendes Vor-gehen empfiehlt. Demnach erhalten Frauen, dievor ihrem gewalttätigen Partner in einem Frau-enhaus Zuflucht suchen, einen eigenständigenAnspruch auf Arbeitslosengeld II.

4. Anrechnung oder Heranziehung desPartnereinkommens

Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit (Vorausset-zung für ALG II) wird das Partnereinkommen ver-stärkt herangezogen. Diese generell für Frauen ne-gative Regelung stärkt in Misshandlungsbezieh-ungen die Machtposition des Misshandlers.Besonders problematisch wird es, wenn die öko-nomische Abhängigkeit bei der Flucht ins Frauen-haus fortbesteht. Eine Heranziehung des Mannesfür die Kosten der Unterbringung der Frau im Frau-enhaus kann zu einer erneuten Gefährdung der Frauführen, wenn der Mann so ihrem Aufenthaltsorterfährt.

Empfehlung:Analog zum Sozialhilferecht müsste eine Härtere-gelung auch für das SGB II eingeführt bzw. ange-wandt werden. Das BSHG ermöglicht Ausnahmen(von dem Grundsatz „Heranziehung des unter-haltspflichtigen Ehegatten“), wenn es sich um eine

unbillige Härte handelt. Entsprechend einer Emp-fehlung des deutschen Vereins, ist in Zusammen-hang mit dem Aufenthalt im Frauenhaus von ei-ner unbilligen Härte auszugehen, da die Mittei-lung an den Ehemann die Zielsetzung des Frau-enhausaufenthalts (Schutz vor dem gewalttätigenEhepartner) gefährden kann. Dies muss auch beider Bewilligung von ALG II zum Tragen kommen.

5. Psychosoziale Beratungzur Wiedereingliederung

Frauenhäuser gewähren nicht nur Zuflucht, son-dern bieten unverzichtbare, umfangreiche Unter-stützungs- und Beratungsleistungen. Psychosozia-le Beratung, die der Wiederherstellung der Erwerbs-fähigkeit dient, kann als Eingliederungsleistunggemäß SGB II bewilligt und in diesem Sinne finan-ziert werden. Auch die von Frauenhausmitarbeite-rinnen geleistete Unterstützung bei der Bewältigungder Krisensituation, kann gemäß einer Stellungnah-me des BMWA als Eingliederungsleistung gewer-tet werden. Einerseits eröffnet diese Betrachtungneue Möglichkeiten, die Arbeit der Frauenhäusereinzubinden und abzusichern. Andererseits bestehtdie Gefahr, dass die psychosoziale Beratung nichtmehr im weitesten Sinne der Überwindung der Kri-sensituation dient, sondern auf die Eingliederungin den Arbeitsmarkt verengt wird.

Empfehlung:Es sollte sichergestellt werden, dass bei geäußer-tem Bedarf mit gewaltbetroffenen Frauen eine psy-chosoziale Beratung als Leistung in der Einglie-derungsvereinbarung zu vereinbaren ist. Frauen-häuser und andere Unterstützungseinrichtungensollten als Einrichtungen der psychosozialen Be-ratung in den Katalog der Einrichtungen aufge-nommen werden, mit denen die kommunalen Trä-ger/Arbeitsgemeinschaften Leistungsvereinbarun-gen abschließen. Damit darf kein generellerVerweis der Frauenhäuser auf das SGB II und da-mit Verengung ihrer Hilfeleistungen auf die Ein-gliederung in den Arbeitsmarkt verbunden wer-den.

6. VorschussleistungenVorschussleistungen sind im SGB II nicht vorgese-hen, für Frauen, die ins Frauenhaus flüchten, abernotwendig: für Bekleidungshilfen, für die Unterbrin-gungskosten im Frauenhaus (die Frauen könnennicht vorfinanzieren) und für unabweisbaren per-sönlichen Bedarf. Auch bei einer Wegweisung kannunmittelbarer Unterstützungsbedarf gegeben sein.

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Empfehlung:Es muss sichergestellt werden, dass – insbesonde-re für gewaltbetroffene Leistungsempfängerinnen– Vorschussleistungen für die Zeit des Prüfverfah-rens der Agentur möglich sind. Für die unmittel-bare Antragstellung und (vorläufige) Auszahlungist ein geeignetes Verfahren festzulegen.

7. Leistungen für die UnterkunftGemäß SGB II erhalten Hilfebedürftige auch dieangemessenen Wohnkosten. Bei der notwendigenÜbernahme der Kosten für die Unterkunft in Zu-sammenhang mit einer Wegweisung und ggf. an-schließenden gerichtlich verfügten Wohnungszu-weisung, kann das Kriterium der Angemessenheitder Wohnung problematisch sein.

Empfehlung:In Regelungen zur Angemessenheit von Unter-kunftskosten sollte die besondere Problematik vonGewalt betroffener Frauen aufgenommen und eineWeitergewährung empfohlen werden, solange einWohnungswechsel nicht zumutbar ist. Übernimmtdie betroffene Frau nur einen Teil der Wohnungbzw. des Hauses, müssen ihre Unterkunftskostengetrennt finanziert werden. Eine Doppelfinanzie-rung (Wohnung und Frauenhaus) muss auch dannmöglich sein, wenn die Wohnung aufgrund einerWegweisung vorübergehend leer steht.

8. Vertretung derBedarfsgemeinschaft

Das SGB II sieht vor, dass das antragstellende Mit-glied einer Bedarfsgemeinschaft auch für die ande-ren Haushaltsmitglieder Eingliederungsvereinba-rungen abschließen kann. Diese Vertretungsrege-lung wird von vielen Frauenorganisationengrundsätzlich kritisiert. Besonders problematisch istihre Anwendung, wenn der erwerbslose gewalttäti-ge Partner Anragsteller ist. Er erlangt so zusätzlicheKontrollmöglichkeiten.

Empfehlung:Auch wenn eine gewaltbetroffene Frau noch kei-ne dauerhafte Trennung vom gewalttätigen Part-ner anstrebt (wenn die Trennung angestrebt wird,besteht sowieso keine Bedarfsgemeinschaft mehr),muss diese Regel ausgesetzt werden. Zu dokumen-tieren ist dies durch den Aufenthalt in einem Frau-enhaus, eine Wegweisung oder einen Antrag nachdem Gewaltschutzgesetz.

9. Qualifizierung der MitarbeiterInnender Agentur für Arbeit

Seit langem wird für Behördenangestellte, die mitvon Gewalt betroffenen Frauen befasst sind, einebesondere Qualifizierung gefordert. Während So-zialämter oftmals in örtliche Kooperationsbündnis-se eingebunden sind und für situationsangemes-sene und unbürokratische Hilfe für gewaltbetroffe-ne Frauen bereits geschultes Personal vorhandenist, fehlt es in den Agenturen für Arbeit an entspre-chenden Kenntnissen und Kooperationserfahrung.

Empfehlung:Die MitarbeiterInnen der BA sind durch entspre-chende Qualifizierungsprogramme auf den Um-gang mit von Gewalt betroffenen Frauen vorzube-reiten. Örtlich sollte geprüft werden, ob im Rah-men der Arbeitsgemeinschaft (bei den optierendenKommunen analog) Zuständigkeit für diesen Per-sonenkreis einer besonders geeigneten Mitarbei-terin übertragen werden kann.

Für eine den besonderen Belangen von Gewaltbetroffener Frauen angemessene, bundesweit ein-heitliche Praxis, wären entsprechende Durchfüh-rungsverordnungen oder Handlungsanweisungenfür den Gesetzesvollzug wünschenswert. Informellist zur Zeit (Ende Oktober 2004) zu erfahren, dasses vom Bundesministerium für Wirtschaft und Ar-beit Handlungsempfehlungen in Form eines Frage-und Antwortkatalogs geben soll. Noch ist dessenReichweite nicht abzusehen. Deshalb hier der Hin-weis: In vielen Fällen kann (im Interesse der Frauenmuss) der Ermessensspielraum vor Ort genutzt wer-den. Grüne in den Räten sind aufgefordert, sichdafür einzusetzen!

Marianne Hürten, MdLFrauenpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion NRW

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Neues Kommunales Finanzmanagement

Aufbruch in der kommunalen Finanzpolitik

Es ist soweit: Zum kommenden Jahreswechsel trittdas Neue Kommunale FinanzmanagementgesetzNRW (NKFG NRW) in Kraft. Mit diesem Gesetzwird das Ende der kameralen Ära eingeläutet. Spä-testens zum 1.1.2009 sollen die kommunalen Haus-halte auf ein kaufmännisches Haushalts- undRechnungswesen umgestellt sein. Das ist der Wil-le der nordrhein-westfälischen Landesregierung.Der Landtag hat das Gesetz am 10. November 2004verabschiedet.

Das Gesetz kommt nicht überraschend. Bereits1999 hat die Landesregierung ein großes Modell-projekt gestartet. Seit dem haben ausgewählte Kom-munen – die Städte Brühl, Dortmund, Düsseldorf,Moers, Münster, der Kreis Gütersloh und die Ge-meinde Hiddenhausen – das neue System erarbei-tet und erprobt.

Auch wenn das neue Gesetz den Praxistestschon bestanden hat, wird die Einführung des Neu-en Kommunalen Finanzmanagements (NKF) nichteinfach sein. Die Umstellung ist für alle Beteiligteneine große Aufgabe. Die Modellkommunen, die dasNKF schon eingeführt haben, sind überzeugt: DieAufgabe lohnt! Die Reform ist längst überfällig undein großer Fortschritt in der Haushaltswirtschaft.Um was also geht es?

Kameralistik adeBis heute regiert in unseren Finanzverwaltungendie Kameralistik. Dieses staatliche Finanzverwal-tungssystem entstammt dem 18. Jahrhundert. ImJahr 1727 wurden in Halle und Frankfurt/Oder zurAusbildung der Kameralisten-Beamten die erstenökonomischen Lehrstühle an deutschsprachigenUniversitäten geschaffen. Auch wenn das Systemimmer wieder modernisiert wurde und längst nichtmehr mit den Ursprüngen vergleichbar ist, so bleibtes letztlich doch eine einfache Einnahmen- und Aus-gabenrechnung: Im Haushalt werden zum einen dieEinnahmen dargelegt und zum anderen die Ausga-ben, kleinteilig verteilt auf eine Vielzahl von Haus-haltsstellen. Grundlagen, die für eine moderneHaushaltsführung erforderlich sind, kann die Ka-meralistik nicht liefern, wichtige Fragen werdennicht beantwortet, wie:

❏ Welche Leistungen bekommen die Bürgerin-nen und Bürger für das Geld, das wir bereitstellen? Wo entstehen welche Kosten, bei-spielsweise bei den Hilfen zur Erziehung, undwelcher Erfolg ist damit verbunden? Kostet einPersonalausweis tatsächlich nur 8 Euro? Sinddie eingesetzten Mittel in der Wirtschaftsför-derung sinnvoll eingesetzt oder wäre an ande-rer Stelle mit der selben Summe ein höhererNutzen zu erzielen? Der Kameralistik fehlt dieBasis für die Einrichtung einer Kosten- undLeistungsrechnung und eines kompatiblenControllings. Das NKF wird die notwendigenDaten liefern.

❏ Welche Investitionen sind notwendig, um denWert eines Gebäudes zu erhalten? In der Ka-meralistik sind Wertanpassungen mittels Ab-schreibungen nicht vorgesehen. Deshalb wirdoft zu wenig in die Bestandserhaltung inve-stiert. Insbesondere Schulen leiden darunter.Aus den für Investitionen vorgesehenen Mit-teln, werden stattdessen politische Prestige-projekte geplant und gebaut. Mit dem neuenSystem wird es zu mehr Transparenz kommenund hoffentlich einem bewussteren Umgangmit Investitionsentscheidungen.

❏ Wie hoch ist die Anleihe, die wir bei den zu-künftigen Generationen platziert haben? Wel-che Pensionszahlungen werden wir zukünftigzu leisten haben? Welche Zinszahlungen kom-men angesichts der nicht unerheblichen Ver-schuldung auf uns zu? Da Zukunftsbelastun-gen bislang nicht ausgewiesen werden müs-sen, hat das Handeln heute – ob bei Personal-einstellungen oder neuer Verschuldung – keineKonsequenzen. Auch dieses Defizit wird be-hoben.

❏ Wie sieht unsere kommunale Bilanz aus? Wassind unsere Vermögensverhältnisse? Wir be-sitzen Beteiligungen, Grundstücke und Immo-bilien, aber wir kennen den Wert nicht.Gleichzeitig haben wir Schulden, ohne zu wis-sen, in welchem Verhältnis sie zum Vermögen,zum Eigenkapital stehen. Das kann schwierigwerden. Die neue Gemeindeordnung sieht nach§ 75 Allgemeine Haushaltsgrundsätze vor, dasseine Gemeinde dann als überschuldet gilt,

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„wenn nach der Haushaltsplanung das Eigen-kapital aufgebraucht wird“. Es kann sein, dasswir heute schon überschuldet sind, ohne es zuwissen. Für die Beschaffung von Krediten isteine solche Situation fatal.

Kurs auf NKFMit Hilfe des neuen kaufmännischen Haushalts-und Rechnungswesens werden die Kommunen indie Lage versetzt, wie die private Wirtschaft, nachökonomischen Prinzipien zu handeln: Mit gegebe-nen Mitteln einen größtmöglichen Erfolg zu erzie-len. Das NKF wird also nicht nur die Frage nach derHöhe der Einnahmen beantworten können, sondernauch die nach einem optimalen Einsatz der vorhan-denen Mittel. Angesichts der zunehmend schwie-rigeren Zeiten für alle öffentlichen Haushalte istmehr Transparenz und Effizienz sehr zu begrüßen.

Die Sorge, dass zukünftig alles einem Wirtschaft-lichkeitsdiktat unterliegt, ist verständlich. Aber: Istes nicht so, dass heute vor allem diejenigen Geldlocker machen können, die das größte Durchset-zungsvermögen haben? Und wäre es nicht besser,wenn es in Zukunft diejenigen wären, die eine effi-ziente Idee haben?

Positiv ist auch, dass Kosten verschiedenerKommunen miteinander verglichen werden können:z.B. der Personalaufwand für eine Baugenehmigung.Das wird dazu beitragen, dass Verwaltungsabläufeweiter optimiert werden. Schließlich ist es wichtig,über die wahren finanziellen Verhältnisse in derKommune Bescheid zu wissen. Das trägt dazu bei,anzuerkennen, dass auch die öffentlichen Haus-halte Grenzen haben und nicht alles, was wün-schenswert ist, auch machbar ist. So werden dieBürgerinnen und Bürger vor unmäßigen Verspre-chungen bewahrt und die Politik kann in punktoFinanzen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Für die meisten KämmerInnen, die Mitarbeiter-Innen der Verwaltungen und auch die PolitikerIn-nen in den Kommunen wird die neue Legislaturpe-riode zu einer Zeit des Umbruchs. Wir alle werdenNeues zu lernen haben. Diese fundamentale Sy-stemumstellung von Anfang an zu begleiten undsich allmählich in die neue Denkweise hinein zufinden, ist ein gut gemeinter Rat. Je früher wir die-sen Lernprozess in den Kommunen organisieren,je früher wir uns mit den Grundzügen der neuenBuchführung vertraut machen, desto besser.

Aachen macht mitDie rot-grüne Ratsmehrheit in Aachen hat den fe-sten politischen Willen, das neue Gesetz zügigumzusetzen. In der Verwaltung arbeitet bereits seitlängerem ein Lenkungsausschuss, der den Umstel-

lungsprozess peu à peu steuert. Fünf Pilotämtersind ausgesucht worden, um den Alltag im neuenSystem zu erproben. Aus diesen Ämtern sind so-genannte Dienststellenbetreuer ernannt worden, dieab 2005 in der Anwendung des neuen Buchungs-systems geschult werden. Ab 2006 soll für dieModellämter ein erster neuer sogenannter doppi-scher Haushalt aufgestellt werden. So werden Tei-le des alten Systems Schritt für Schritt und für allenachvollziehbar ersetzt. Unterstützung von außenholt sich die Verwaltung beispielsweise zu Fragender Vermögensbewertung, weil es nicht unerheb-lich ist, mit welchem Wert ein historisches Rathausin die Bilanz eingestellt wird.

Aachen gehört zu den Kommunen, die keinengenehmigten Haushalt haben. Mit dem Neuen Kom-munalen Finanzmanagement verbinden wir keineüberzogenen Erwartungen: Das NKF wird unserestrukturellen Finanzprobleme nicht lösen, wir wer-den auch mit dem NKF weiter konsolidieren müs-sen. Aber wir werden das zukünftig fundierter an-gehen können. Und es wird eine höhere Sensibili-tät geben im Umgang mit öffentlichen Mitteln. Wirwerden ein größeres Bewusstsein dafür bekommen,ob wir von der Substanz oder zu Lasten nachfol-gender Generationen leben. Anträge, die heute be-schlossen werden, ohne die wirklichen finanziellenAuswirkungen zu kennen, werden in Zukunft si-cherlich nicht so leicht beschlossen. Und bei denHaushaltsberatungen werden zukünftig – ganz imgrünen Sinne – hoffentlich nur noch solche Ände-rungsanträge eine Chance haben, die sich aus-schließlich an einem nachhaltigen, zukunftssichern-den Umgang mit den uns anvertrauten Werten undRessourcen orientieren. Das NKF wird nicht nurdie Finanzwirtschaft in den Kommunen nachhaltigverändern, sondern auch die politische Kultur.

Christiane RennertRatsfrau in der Stadt Aachen

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Weitere Informationen zum NKF gibt es auf der Homepagehttp://www.neues-kommunales-finanzmanagement.de

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Mit Plan an den Haushaltsplan

Haushalt ohne Schrecken!

politik qualifiziert

Alle Jahre wieder landen in den Fraktionsgeschäfts-stellen dicke Bücher, die den Charme von Telefon-büchern ausstrahlen und dennoch bearbeitetwerden wollen. Es handelt sich um den kommuna-len Haushaltsplan – für manche (immer noch) einBuch mit sieben Siegeln. Kein Mensch käme aufdie Idee, ein Telefonbuch „durch zu lesen“ – den-noch ist es sehr nützlich, wenn man eine Telefon-nummer sucht!

Im Folgenden wird erläutert, wie ein Haushaltentsteht und wo man was finden kann. Denn einsist klar: Im Haushalt wird nichts „vergessen“ – jedeAusgabe muss sich irgendwo wiederfinden. Wofängt man nun an? Wie kann man sich einen Über-blick verschaffen? Wie unterscheidet man dasWesentliche vom Unwesentlichen? Was ist zu tun,um politisch eine aktive Rolle übernehmen zu kön-nen?

Erarbeitung des HaushaltsentwurfsDie meisten Kommunen in NRW befinden sich imUmstellungsprozess vom klassisch-kameralenHaushalt zum doppischen Haushalt im Rahmen des„Neuen Kommunalen Finanzmanagements“ (NKF).Je nach Reformstand sind die verwaltungsinternenAufstellungsverfahren und die „Designs“ derHaushalte unterschiedlich:

In althergebrachter Weise wird der Haushalt inder Kämmerei aufgestellt, indem die Anmeldungender Fachämter zu jedem einzelnen Posten gesam-melt und zu einem Gesamtwerk zusammengefügtwerden. Dieses gliedert sich in Einzelpläne und„Unterabschnitte“, also verwaltungsorganisato-risch zusammenhängende Einnahmen- und Ausga-benbereiche.

In Reformkommunen mit Fachbereichen, dieBudgetverantwortung tragen, obliegt es diesen, fürihren Bereich die geplanten Budgets aufzustellen.Diese müssen sich im Rahmen von Vorgaben be-wegen, die aus den im Verwaltungsvorstand oderim Rat beschlossenen Eckdaten stammen.

Oft wird hierbei eine Gliederung nach Produktenzugrundegelegt, man orientiert sich aus Sicht derBürgerInnen auf die Leistungen, die eine Verwal-tung erbringt, und fasst diese zu sinnvollen Grup-pen zusammen. Idealerweise werden mit der

Mittelbereitstellung (Input) auch Angaben zum er-warteten Leistungsniveau (Output) hergestellt, alsowie viele Kindergartenplätze oder wie viele Perso-nalausweise sollen im Planjahr bereitgestellt wer-den.

In einigen wenigen Kommunen wird bereits ein„Doppischer Haushalt“ vorgelegt, der nach denRegeln der doppelten Buchführung und betrieb-wirtschaftlichen Standards aufgestellt wird undnicht nur Einzahlungen und Auszahlungen, son-dern auch Abschreibungen, Rückstellungen unddiverse Sonderposten enthält, die eine saubereBeurteilung der finanziellen Lage einer Kommuneermöglichen. Wenn das NKF-Gesetz wie geplant inKraft tritt, muss spätestens zum 1.1.2008 (also inrund drei Jahren) doppisch gearbeitet werden.

Wie auch immer die Zahlen zusammenkommenund wie auch immer der Haushaltsplan aussehensoll: Es ist Aufgabe des/der KämmererIn, den Ge-samthaushalt aufzustellen, also aus den Einzel-Anmeldungen oder Fachbereichs-Budgets einGesamtwerk zu fertigen, in dem Einnahmen undAusgaben zum Ausgleich kommen. Gelingt diesnicht, muss im Rahmen eines Haushaltssicherungs-konzeptes nachgewiesen werden, wie der Haus-haltsausgleich in den nächsten Jahren erreichtwerden kann.

Dieses Gesamtwerk wird dann von der/dem(Ober-) BürgermeisterIn festgestellt und anschlie-ßend dem Rat zugeleitet. Der/die KämmerIn erläu-tert dann in der Einbringungsrede das Zahlenwerk– mehr oder weniger kunstvoll grafisch aufbereitetund unterstützt – schwerpunktmäßig.

Wo finde ich was?Auch noch so dicke Telefonbücher sind einfach zuhandhaben, weil sie einem klaren Ordnungsprinzip– dem Alphabet – gehorchen und deshalb auchschwierige Namen leicht zu finden sind. Ähnlichist es beim Haushalt – nur gelten hier nicht ein,sondern mehrere Ordnungsprinzipien:

Die erste Gliederungsebene ist die von Verwal-tungshaushalt (Einzahlungen und Auszahlungenim Rahmen des laufenden Betriebs) und Vermö-genshaushalt (alle vermögenswirksamen Vorgän-ge wie Investitionen und Kredite).

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Auf der zweiten Ebene wird nach den Verant-wortungsbereichen (institutionelle Gliederung) bzw.nach den Aufgaben- /Leistungsarten gegliedert(entweder Einzelpläne und Unterabschnitte oderBudgets/Produkte). Hierfür gelten jeweils binden-de Vorschriften1.

Drittens schließlich sind die Ausgaben bzw. Ein-nahmen nach Arten (Gruppierung) unterschieden,z.B. Personalausgaben, sächlicher Verwaltungsauf-wand, Zuschüsse etc. Auch hier gelten klare Zu-ordnungsvorschriften.

Zusätzlich gibt es eine Reihe von Pflicht-Anla-gen, die Informationen über die Personalausgabenund den Stellenplan, die Investitionsplanung (mitden Projekten im einzelnen), die mittelfristige Fi-nanzplanung (Finanzplan), die Rücklagen undSchulden sowie die städtischen Unternehmen bzw.Beteiligungen enthalten. Insbesondere letztereswird immer wichtiger, weil umfangreiche städtischeAufgaben außerhalb der Kernverwaltung wahrge-nommen werden.

Die eigenen ThemenInteressant wird der Haushaltsplan vor allem, wenner, anhand von konkreten Fragen, für die eigeneRecherche genutzt wird. Hier einige Beispiele:Wir möchten die Unterhaltungskosten der Ampelnim Stadtgebiet überprüfen (vielleicht brauchen wirein zusätzliches Argument, um für Kreisverkehrezu werben...). Laufender Unterhaltungsaufwand istnicht vermögenswirksam, also greifen wir uns denVerwaltungshaushalt. Vorne im Band befindet sicheine Gliederungsübersicht:❏ entweder Einzelpläne und Unterabschnitte (in

Wesel: Einzelplan 6 (Straßen etc.) und Unter-abschnitt 630 (Unterhaltung von Straßen etc.)oder

❏ Produkte (in Wesel: Produkt 54.02.02 (Unter-haltung verkehrsleitender Anlagen)) oder

❏ die Aufgabe wird von einem städtischen Ei-genbetrieb wahrgenommen – in diesem Falleist der Wirtschaftsplan des Eigenbetriebs zuRate zu ziehen.

Oder wir möchten überprüfen, ob die Verwaltungdie Überwachung des ruhenden Verkehrs (sprich:Falschparker) zugunsten des städtischen Haus-halts (Bußgelder) ernst nimmt. Da es sich um ord-nungsbehördliche Maßnahmen handelt, findet sichdiese Einnahme im Einzelplan 1 (öffentliche Sicher-heit und Ordnung) im Unterabschnitt 110 (Amt füröffentliche Ordnung) oder aber im Produkt 12.07.02(Überwachung des ruhenden Verkehrs). Es gilt diespezielle Einnahmeart 2602 „Verwarnungs- und Buß-gelder für die Überwachung des ruhenden Straßen-verkehrs“. Die „ordentlichen“ Parkgebühren finden

sich dagegen im Unterabschnitt 680 bei der Ein-nahmeart 1100 (bzw. im o.g. Produkt).

Soll am örtlichen Gymnasium ein neuer Lehrer-parkplatz gebaut werden? Dabei handelt es sichum eine (vermögenswirksame) Investition, so dassim Vermögenshaushalt gesucht werden muss. Inder kameralen Gliederung ist der Einzelplan 2 (Schu-len) zutreffend, hier der Unterabschnitt 230 (Gym-nasien); in der Produktgliederung nach dem NKFmüsste es das Produkt 21.01.04 (Schulträgeraufga-ben an Gymnasien) sein. Dort sind die Baumaß-nahmen aufgelistet – also ist es ein Leichtes, dieFrage zu beantworten. Zur Sicherheit könnten wirauch noch das Investitionsprogramm an entspre-chender Stelle befragen – falls die Maßnahmen inspäteren Jahren geplant ist.

Wir wundern uns über die niedrig veranschlag-ten Ausgaben für ein politisch brisantes Projektund finden dann bei den Einnahmen einen kleinge-druckten „Deckungsvermerk“, der folgendermaßenlauten könnte: „Mehreinnahmen fließen den Aus-gaben bei Haushaltsstelle XY zu“. Erklärung: Manrechnet von vornherein mit höheren Einnahmen,die dann entsprechend erhöhte Ausgaben ermög-lichen, ohne dass später der eigentlich erforderli-che Antrag auf eine überplanmäßige Ausgabegestellt werden müsste.

Wer sich stärker fürs „große Ganze“ interessiert(z. B. wie sich die Einnahmen insgesamt entwickelthaben), der sollte sich den Einzelplan 9 bzw. denProduktbereich 61 (Allgemeine Finanzwirtschaft)vornehmen. Dort sind alle nicht fachspezifischenEinnahmen – Grundsteuer, Gewerbesteuer, Schlüs-selzuweisungen etc. – dargestellt. Der Finanzplan(in der Anlage) liefert eine Prognose dieser großenSummen auch für die nächsten 4 Jahre (Planjahrplus 3 weitere Jahre); unter dem Strich zeigt sich,ob ein Haushaltsausgleich gehalten oder erreichtwerden kann.

HaushaltsberatungenMit der Einbringung des Haushaltsentwurfes

wird der Rat Herr des weiteren Verfahrens. Übli-cherweise befassen sich zunächst die Fraktionenin ihren jeweiligen Haushaltsklausuren mit demGesamtwerk. Oft wird hier die Marschrichtung fürdie Haushaltsberatungen festgelegt und ein Paketvon Änderungsanträgen beschlossen. In manchenKommunen ist es üblich, dass der Haushaltsent-wurf bereits vorher mit der Mehrheitsfraktion (bzw.den Koalitionsfraktionen) abgestimmt wurde; danngilt in der Regel, dass diese Fraktion bzw. Fraktio-nen später keine (größeren) Änderungen mehr ver-langen.

Die Änderungsanträge sind das eigentliche„Salz in der Suppe“ der Haushaltsberatungen, vor

politik qualifiziert

Anmerkung:

1 Im NKF-NW-Gesetz wird eineProduktgliederung vorgeschrieben,die von den bislang verwendetenGliederungsempfehlungenabweicht. Deshalb sollte man sichden in der jeweiligen Gemeindeaktuell verwendeten Produkt-gliederungsplan besorgen. Wer sichpräzise informieren möchte, solltesich die Gliederungs- undGruppierungsvorschriften lautGemeindehaushalts-Verordnung(GemHVO) besorgen (z.B.Dresbach, Kommunales Haushalts-und Kassenrecht NRW mit NKFund ausführlichem Stichwortver-zeichnis).

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allem wenn sie nicht „freischwebend“ formuliertwerden, sondern vor dem Hintergrund aktuellerAuseinandersetzungen in der Kommune entstehenund diese aufnehmen. Je weniger Geld in der kom-munalen Kasse, desto wichtiger die Frage nach der„Finanzierbarkeit“ – je überzeugender sie beantwor-tet werden kann, desto interessanter der Haushalts-antrag.

Nach der Einbringung sind zunächst die Fach-ausschüsse dran; sie beraten nur die sie betreffen-den Teile; vorgeschlagene Änderungen gehen inden Haupt- und Finanzausschuss und anschließend– und abschließend – in den Rat.

Immer wichtiger wird die Frage, ob ein beschlos-sener Haushalt auch von der Kommunalaufsicht(bei kreisfreien Städten und Kreisen der Regierungs-präsident, bei kreisangehörigen Gemeinden derKreis) genehmigt wird. Wenn nicht, muss zusätz-lich ein Haushaltssicherungskonzept aufgestelltund beschlossen werden, das gegenüber demHaushalt zusätzliche Einsparungen beinhaltet.

Haushaltsvollzug und JahresabschlussDer einmal beschlossene Haushalt kann natür-

lich üblicherweise nicht eins zu eins umgesetztwerden. Einnahmeerwartungen erfüllen sich nicht,geplante Projekte werden teurer, unerwartete Pro-bleme führen zu Mehrausgaben. Dies alles findetsich im – in vielen Kommunen eingeführten – un-terjährigen Berichtswesen wieder und gibt Anlasszu kritischer politischer Begleitung.

Im Jahresabschluss, der üblicherweise im März/April des nachfolgenden Jahres vorgelegt wird, fin-den sich Aussagen zum Jahresüberschuss bzw. –defizit, zur Entwicklung der Rücklage und zu den

Projekten, die aus den Mitteln des vergangenenJahres noch weiter finanziert werden sollen (Reste-bildung). Gerade die Restebildung bleibt politischhäufig unbeachtet, obwohl sie für die (Nicht-) Rea-lisierung von Projekten und die finanzielle Lage ei-ner Kommune von sehr großer Bedeutung sind.Hier lohnt sich das Nachfragen.

Wer die tatsächliche Entwicklung einzelnerHaushaltsstellen (das Rechnungs- oder Ist-Ergeb-nis) nachvollziehen will, der muss auf die Vorlagedes übernächsten Haushaltsplans warten: So fin-den sich die Einzelnen Ist-Ergebnisse des Jahres2003 im Haushaltsplan-Entwurf für das Jahr 2005.

FazitBei etwas großzügiger Betrachtung könnte mansagen: Wer mit einem Telefonbuch arbeiten kann,kommt auch mit dem Haushalt zurecht. Im übrigengibt es selten einen vernünftigen Grund, sich nichtvon der Verwaltung direkt informieren zu lassen –und sei es nur, um sich die eigene Suche zu sparen.

Im Haushaltsplan verstecken lässt sich letztlichnichts: Er bildet die gesamte Kommunalpolitik ab,gewogen in Euro.

Manfred BuschKämmerer der Stadt Wesel

Infos zum Neuen Kommunalen Finanzmanagement NRW findensich unter www.neues-kommunales-finanzmanagement.de, dortgibt es auch ausführliche Berichte der Modellkommunen.Zu rechtlichen Fragen hilft der Kommentar zum Gemeinde-haushaltsrecht von Schell, Steup u.a.

politik qualifiziert

Neue Kommunale Finanzmanagementfür Kreise und Kommunen

GAR Seminar

Zum 1.1.2005 führt das Land NRW das Neue Kom-munale Finanzmanagement (NKF) für Kreise undKommunen ein. Es gilt dabei eine Übergangsfristbis zum 1.1.2008, spätestens dann müssen allenordrhein-westfälischen Kreise und Kommunendie neue Finanz- und Haushaltssystematik ein-geführt haben. Zum NKF gehören u.a. der Pro-dukthaushalt, die doppelte Buchführung und diekommunale Bilanz.

Der Referent Peter Finger macht Begriffe undSystematik des NKF verständlich und erläutert,worauf es bei der Umstellung von der bisherigenkameralistischen zur neuen Haushaltsführung an-kommt. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage: Wie

das neue Haushaltssystem aus GRÜNER Sicht zubewerten ist und wie es für die GRÜNE Kommu-nalpolitik (offensiv) genutzt werden kann? PeterFinger ist Sprecher der GRÜNEN Ratsfraktion inBonn und Mitinhaber der Beratungsfirma sy-steam-bonn. Auf Wunsch führt er auch Vor-Ort-Haushaltsseminare durch.

Düsseldorf, Samstag, 19. Februar 2004, 10.00 – 17.00 UhrAnmeldungen bei der GAR NRW erforderlich:Ilona Schmitz,e-mail: [email protected]: 0211-38476-15

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Stipendien für Bildende Künstlerinnen mit Kindern

Künstlerinnen fördern

Die Bildenden Künste haben in den letzten Jahrenmassive finanzielle Einschnitte erfahren. Die Kul-turhaushalte werden von den großen Institu-ten verschlungen und für die Künstlerinnen undKünstler stehen allenfalls die Krümel öffentlicherFörderung in Form von Projektmitteln zur Verfü-gung. „Fördern, was es schwer hat“ – die bekannteDevise – fällt immer mehr dem Sparzwang zum Op-fer. Ausstellungs- und Katalogfinanzierungen sindden großen Namen des Kunstmarkts vorbehalten.Doch innerhalb dieser prekären Situation tut sichnoch eine weitere Schere auf: Wenn eine Künst-lerin Familie und Kinder hat, wird sie anders wahr-genommen. Traut man ihr qualitative Kunst dannnoch zu?

Damit professionelle Künstlerinnen größereChancen haben, vergab das KulturministeriumNRW zum vierten Mal fünf Stipendien an BildendeKünstlerinnen mit Kindern aus den Bereichen Ma-lerei und Fotografie. Diese Stipendien wurden mitje 5.000 Euro honoriert, 130 Künstlerinnen bewar-ben sich. Diese Resonanz zeigt, wie wichtig es ist,gezielt zu fördern. Die Organisation der Stipendi-enausschreibung übernahm das FrauenkulturbüroNRW e. V. Die Stipendiatinnen in diesem Jahr sind

frauen

Thea Djordjadze, Sonia Knopp, Katharina Mayer,Nicole Pohl und Judith Samen. Welche speziellenThemen eine Künstlerin mit Kindern beschäftigen,und wie sie sich organisiert, macht Ursula Theißen,die Leiterin des Frauenkulturbüros NRW, im Ge-spräch mit Judith Samen zum Thema.

Ursula Theißen: Könntest Du Deinen beruflichenWerdegang als Künstlerin kurz skizzieren?Judith Samen: Ich habe an den KunstakademienMünster und Düsseldorf studiert und war 1995Meisterschülerin bei Prof. Fritz Schwegler. Ich ar-beite und lebe mit meiner Familie in Düsseldorf.

Ursula Theißen: Welche öffentliche Förderungenin Form von Stipendien oder Preisen hast Du be-kommen?Judith Samen: Ich bin zum Glück gut und oft geför-dert worden, habe kontinuierlich Preise gewonnenund Stipendien bekommen. Das Land NRW hatArbeiten von mir angekauft, die in der ständigenAusstellung in Kornelimünster zu sehen sind.

Ursula Theißen: Was heißt es, als Künstlerin zuarbeiten?Judith Samen: Zuerst einmal muss man superguteArbeiten machen. Aber das reicht nicht. Man mussauch eine bestimmte Rolle als Künstlerin erfüllen,diese Rolle schließt das Kinderkriegen eher aus.Die Sensibilisierung für das Thema Künstlerin kambei mir erst später. Dass es überhaupt einen Unter-schied machen könnte, ob man als Künstler oderals Künstlerin tätig ist, war mir zunächst nicht klar.Ich merkte zwar bisweilen, dass ich in meiner Arbeitnicht so ernst genommen wurde, brachte dies abernicht damit in Verbindung, dass ich eben weiblichbin. Als die konkreten Werke von Künstlerinnenund deren gesellschaftliche Rolle in einem kunst-wissenschaftlichen Seminar hinterfragt wurden, fielmir auf einmal auf, dass in den Museen beispiels-weise beinahe ausschließlich Kunst von Männernzu sehen ist. Als dann meine Kinder geboren wur-den, die ich auch immer mitgenommen habe, hatmein Umfeld mich ganz anders wahrgenommen.Zum Beispiel habe ich als Begründung für die Ab-lehnung eines Stipendiums zu hören bekommen,dass meine Arbeiten zu viel „Vater, Mutter, Kind“

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frauen

beinhalten. Dabei geht es mir um existenzielle Grund-zustände des Menschen. Meine künstlerische Ar-beit beschäftigt sich mit der Inszenierung vonMenschen, Dingen und Räumen. Mein Hauptme-dium ist die Fotografie, aber ich zeichne auch, ma-che Installationen und Videos. In den Fotos zeigeich eine eigene Welt, die vertrautes aufgreift undgleichzeitig verfremdet. Deshalb werfen die BilderFragen auf und das interessiert mich. Die Betrach-ter sollen die Irritation im Kopf behalten, die zu denBildern dazugehören, und mit in Ihren Alltag neh-men. Das verändert ihre Wahrnehmung.

Ursula Theißen: Brauchen Künstlerinnen Frau-enförderung?Judith Samen: Ja, schon alleine, weil der Lebens-lauf mit Kindern ein anderer ist – nicht gerade kom-patibel mit dem Kunstmarkt. Es war damals dieabsolute Ausnahme, die Kinder überall hin mitzu-nehmen. Neulich sagte mir eine Kollegin, ich wäreihr da ein Vorbild, weil ich das wagte. Darauf bin ichstolz, denn bis dahin war es sozusagen ein unaus-gesprochenes Tabu sich als Künstlerin und Mut-ter zu präsentieren. Früher haben die Künstlerinnenihre Kinder regelrecht verheimlicht, viele tun dasheute noch, weil sie Angst haben, dass diese dop-pelte Rolle Nachteile für sie bringt. Ich begrüße dieKünstlerinnenförderung, wie die des Stipendiumsfür Bildende Künstlerinnen mir Kindern sehr, lehneaber den Begriff “Frauenkunst“ ab. Dieser Begrifferscheint mir eher behindernd für Emanzipation,denn er schafft eine eigene Schublade und legt nahe,dass es sich um etwas handelt, was sich von der„richtigen Kunst“ unterscheidet. Es geht aber umdie Anerkennung, dass Kunst eben Kunst ist – egal,ob von Männern oder Frauen. Das Kriterium ist dieQualität der Arbeit und nicht das Geschlecht.

Ursula Theißen: Wie mobil musst Du sein?Judith Samen: Sehr mobil, Ausstellungen findenallerorten statt und Ausstellungseröffnungen sindPflichtprogramm und dürfen nicht vernachlässigtwerden.

Ursula Theißen: Gibt es für Dich eine Vereinbar-keit von Familie und Beruf?Judith Samen: Ja, denn ich kann meine Zeit freieinteilen. Meine Tochter ist in der Kita mit Famili-engruppe seit dem 8. Monat, mein Sohn in der offe-nen Ganztagsgrundschule. Ohne diese Betreuungwürde es nicht gehen, obwohl mein Mann mitbe-treut.

Ursula Theißen: Glaubst Du, dass Deine Karriereanders verlaufen wäre ohne Kinder?Judith Samen: Mit Sicherheit wäre sie anders ver-laufen, aber nicht besser oder schlechter. Die An-

mietung eines Atelierraums ist mir wichtig, damitArbeit und Familie getrennt werden kann. Men-schen kommen und wollen meine Arbeiten sehen,dabei sollten sie nicht über Duplosteine fallen.

Ursula Theißen: Wie viel Unternehmerin muss inDir als Künstlerin stecken?Judith Samen: Ich bin eine gute Unternehmerin,mir sind die Marktmechanismen klar, man muss sa-gen, dass man Geld möchte und wie viel. Mit demVerkauf ist es allerdings so eine Sache, meine Bil-der passen nicht unbedingt übers heimische Sofa.Gerade darum sind öffentliche Förderungen, wieStipendien und Preise auch so wichtig! Sie ermuti-gen, dass man auf dem richtigen Weg ist und ma-chen unabhängig von Marktmechanismen. Ichwerde nicht gezwungen kleine, gefällige Auftrags-fotografien nach Kundengeschmack zu fertigen,sondern ich kann mich auf die künstlerische Quali-tät konzentrieren.

Ursula Theißen: Unterrichtest Du auch Kunst?Judith Samen: Zum Glück jetzt ja! Ich habe eineLehramtsausbildung und das erste Staatsexamenin Biologie und Kunst gemacht. Ich bekam eine tem-poräre 40 %-Vertretungsprofessur für Fotografie ander Uni Siegen in der Lehrerausbildung. Das Aus-bilden ist mir eine wichtige Aufgabe, die Vermitt-lung von der brisanten Beziehung zwischen Inhaltund Form in künstlerischer Fotopraxis finde ichspannend. Die StudentInnen werden ermutigt, ei-gene, neue Formen zu finden und zu optimieren.Kunst ist wie ein Forschungsprojekt. Mir ist dieLehrerfahrung wichtig, und wir brauchen guteKunstlehrer, die in der Lage sind, über den Teller-rand zu schauen. Die Vorstellung, hier einen Bei-trag zu leisten, motiviert mich.

Ursula Theißen: Was ist Erfolg für Dich?Judith Samen: Die Anerkennung, die gute Kritikvon den besonders strengen Kollegen, die Aus-stellungen, und dass meine Bilder den Leuten imKopf bleiben.

Seit 1991 setzt sich das Frauenkulturbüro NRW e.V. für die Förderung vonKünstlerinnen ein. Durch die Initiierung des Künstlerinnenpreises NRWund die Stipendien für Bildende Künstlerinnen mit Kindern wurde in Nord-rhein-Westfalen ein beispielhafter Förderweg eingeschlagen, der weitereInitiativen in anderen Bundesländern auslöste. Die intensive spartenbezo-gene Projekt- und Netzwerkarbeit gewährleistet die Anbindung des Lan-desbüros an die Kulturinitiativen und -institutionen auf kommunaler Ebene.Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Filmreihen und fachspezifische Ta-gungen zeichnen die Arbeit des Frauenkulturbüros NRW aus. Darüber hin-aus beteiligt sich das Frauenkulturbüro NRW an vielen kulturpolitischenGremien auf Landesebene.

Frauenkulturbüro NRW

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Was dürfen die überhaupt

Die Macht der BürgermeisterIn

Darf der das? Diese Frage stellt sich neuen wie al-ten Ratsmitgliedern häufig, wenn sie die Machtfül-le des (Ober)Bürgermeisters oder ihren weiblichenPendant erleben. Zahlreiche Antworten auf dieseFrage gibt die Gemeinde- bzw. Kreisordnung, wei-teres erläutert die Hauptsatzung und das Ortsrechtbzw. die Geschäftsordnung des Rates und seinerAusschüsse. Doch schauen wir uns die möglichenAktionsfelder an dieser Stelle einmal an.

Die TagesordnungDie Tagesordnung wird vom Bürgermeister (§ 48GO) bzw. Landrat (§ 33 KrO) aufgestellt. Dazu müs-sen alle Anträge, die innerhalb einer in der Ge-schäftsordnung festgelegten Frist beim Bürgermei-ster eingehen und die von einem Fünftel der Mit-glieder oder von einer Fraktion stammen, auf dieTagesordnung genommen werden. Gerne wird al-lerdings mancher wichtige Antrag in den nichtöf-fentlichen Teil geschoben oder ganz nach hintenverbannt. Letzteres geht, ob ein Antrag allerdingsnichtöffentlich zu behandeln ist, wird in der Ge-schäftsordnung geregelt. Außerdem kann die Öf-fentlichkeit zu einzelnen Punkte auf Antrag ausge-schlossen werden. Die Debatte über diesen Antragfindet zunächst nicht-öffentlich statt, dann wirdüber den Ausschließungsantrag entschieden undschließlich findet die eigentliche Debatte zum Ta-gesordnungspunkt statt. Wichtig dabei ist: DieNichtöffentlichkeit ist die Ausnahme, die Öffent-lichkeit ist die Regel!

Das RederechtGrundsätzlich hat jedes Rats- oder Kreistagsmit-glied ein Rederecht im Kommunalparlament. Selbstwenn ein Ratsmitglied nicht Mitglied eines Aus-schusses ist, kann er im nichtöffentlichen Teil alsZuhörerIn teilnehmen und eigene Anträge begrün-den und sich an den Beratungen dazu beteiligen (§58 Abs. 1 GO; § 41 Abs. 3 KrO). Wenn der Bürger-meister bzw. Landrat die Verhandlungen leitet, müs-sen grundsätzlich alle Wortmeldungen berücksich-tigt werden, einzelne Mitglieder dürfen also nichtvon der Debatte ausgeschlossen werden. Aller-dings kann in der Geschäftsordnung oder per Be-

schluss beispielsweise eine Redezeitbeschränkungfestgelegt werden. Diese darf nicht willkürlich sein,sondern muss eine grundsätzliche Beteiligung ander Diskussion ermöglichen.

Der MaulkorbÜber die Politik des Rates oder Kreistags könnt ihrgrundsätzlich frei reden und berichten. Es sei denn,es handelt sich um eine nichtöffentliche Angele-genheit. Dann gibt es eine Verschwiegenheitspflichtgemäß § 30 GO bzw. § 28 Abs. 2 KrO, allerdings mitder Maßgabe, dass die Verschwiegenheitspflichtnicht vom Bürgermeister oder Landrat, sondern nurvom Rat oder Kreistag angeordnet werden kann.Es gibt daher keinen Maulkorb, den der Hauptver-waltungsbeamte umlegen kann! Soll aber zum Bei-spiel ein Ratsmitglied vor Gericht zu einerRatsangelegenheit aussagen dann bedarf es einerAussagegenehmigung des Rates, § 31 Abs. 3 GO.Gleiches gilt auch für die Kreistagsmitglieder.

Der RausschmissWer sich daneben benimmt, fliegt raus, das gilt inRat und Kreistag nur beschränkt. Zwar hat der Bür-germeister oder Landrat das Hausrecht, jedoch be-darf es für den Ausschluss eines gewähltenRatsmitglieds schon einer schweren Verfehlung undeiner Regelung in der Geschäftsordnung, um einensolchen Ausschluss anzuordnen § 51 Abs. 2 GObzw. § 36 Abs. 3 KrO. Wenn es keine Regelung inder Geschäftsordnung gibt, dann gibt es auch we-der Rausschmiss noch Entzug der Entschädigung.Wenn es jedoch eine Regelung gibt, dann entschei-det der Bürgermeister oder Landrat nur kurzfristig,spätestens in der nächsten Sitzung muss dann dasGremium Rat oder Kreistag über den Rausschmissund seine Rechtfertigung befinden. Dabei gilt: DieGrenze ist da, wo die Maßnahme unverhältnismä-ßig zum Anlass ist und wo demokratische Mitwir-kungsmöglichkeiten des Ratsmitglieds dauerhaftbeeinträchtigt werden.

Juliane HilbrichtRechtsanwältin in Solingen

politik qualifiziert

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Debatte um Steuerreformen

Grundsteuer in Bewegung

Die Grundsteuer, eine bundesrechtliche Kommu-nalsteuer mit Hebesatzrecht, weist einige Vorzügeauf: Sie ist eine stabile, weil konjunkturunabhängi-ge Finanzierungsquelle, die Städten und Gemein-den 2002 rund 9,2 Mrd. € (ca. ein Viertel ihresSteueraufkommens) einbrachte. Sie hat keineSchlupflöcher und genießt bei den Steuerzahlerneine vergleichsweise hohe Akzeptanz.

In der KritikZweifellos also besitzt die Grundsteuer ihre Existenz-berechtigung. Das geltende Berechnungsverfah-ren steht jedoch stark in der Kritik. Durch eine un-zureichende Berücksichtigung der Fläche wird demverschwenderischen Umgang mit Boden nichtsentgegengesetzt. Auch wird unbebautes Baulandwesentlich geringer besteuert als bebautes. Dasschafft unerwünschte Anreize: Statt Investitionenzur Mobilisierung von Verdichtungspotenzialen inbesiedelten Bereichen zu belohnen, wird das (oftspekulative) Zurückhalten von Grundstücken ge-fördert. Das steigert den Druck auf Kommunen,neues Bauland auszuweisen. Die „Stadt der kurzenWege“ als umwelt- und städtebaupolitisches Zielrückt in weite Ferne, die Zersiedelung wird ver-schärft.

Die zur Steuerbemessung herangezogenen Ein-heitswerte von Grundstücken und Gebäuden sindvöllig überholt. In Westdeutschland war die letzteHauptfeststellung 1964, im Osten stammen dieWerte gar von 1935! Damit kommt das geltendeGrundsteuersystem einer groß angelegten Subven-tion von Grund- und Immobilienbesitz gleich. LautDIW lagen die Einheitswerte Ende der 90er imSchnitt bei 13 Prozent der Verkehrswerte.

Infolge unterschiedlicher Wertentwicklungenverzerren die Regelungen die Belastungen inner-halb der Kommunen. So werden im Westen Altbau-ten gering besteuert, weil sie 1964 der Mietbindungunterlagen. Abstrus ist auch, dass land- und forst-wirtschaftliche Flächen, die sich 1964 in der Näheeines Bahnhofs befanden, stärker belastet werden– auch wenn es den gar nicht mehr gibt!Unter diesen Umständen verwundert es, dass dieseit langem geführte Reformdebatte bisher ins Lee-re lief. Im Januar 2004 unternahmen Bayern und

Rheinland-Pfalz einen neuen Vorstoß im Bundes-rat. Er zielt auf eine kombinierte Bodenwert-/Gebäu-desteuer. Die Grundsteuer A (land-/forstwirtschaft-liche Flächen und Gebäude) soll abgeschafft, diebetroffenen Gebäude der Grundsteuer B (sonsti-ges Grundvermögen) unterworfen werden. Weil nur4 Prozent des Aufkommens aber 26 Prozent desVerwaltungsaufwands auf die Grundsteuer A ent-fallen, herrscht über diesen Aspekt weitgehendKonsens.

Durch die Orientierung an Bodenwerten schafftdie kombinierte Bodenwert-/Gebäudesteuer einenstärkeren Anreiz, Baugrundstücke zu nutzen. Daaber ein Flächenfaktor fehlt, bleibt die Lenkungs-wirkung gering. Mietshäuser und Innenstädte wür-den nicht entlastet und auch der Umsetzungsauf-wand durch die Ermittlung von Gebäudenutzflächenwird kritisiert. Das bayrisch/rheinland-pfälzischeModell verbessert also die derzeitige Situation lang-fristig kaum. Zu diesem Ergebnis kommt auch dasDeutsche Institut für Urbanistik (difu), das Reform-modelle im Praxistest untersucht hat.

Alternativvorschläge sind unter anderem einereine Bodenwertbesteuerung sowie das difu-Mo-dell, das einen zusätzlichen Flächenfaktor vorsieht.Eine reine Bodenwertsteuer stützt sich auf die Gut-achterausschüsse und vereinfacht die Umsetzung.Sie mobilisiert Verdichtungspotentiale, belastet aberdie Innenstädte und entlastet Gewerbegebiete.

Die Grundsteuer kann nicht alle grünen Zielset-zungen, etwa eine ökologische Lenkungsfunktion,einen höheren Beitrag zur Finanzierung der Kom-munen, Steuergerechtigkeit und einfache Umset-zung, erfüllen. Das difu-Modell kommt ihnen aberam nächsten. Durch die Flächenkomponente bela-stet es flächenintensive Siedlungsformen und Bau-land stärker als andere Reformvorschläge. Miets-häuser und Innenstädte werden im Vergleich zuheute besser gestellt und der Verwaltungsaufwandreduziert.

Edith MüllerHaushalts- und Finanzpolitische Sprecherin

der grünen Landtagsfraktion NRW

service/info

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rezensionen

Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker

Höhenrausch

Politiker haben keine Freunde, sind einsam, keinermag sie. Trotzdem hören die wenigsten freiwilligauf. „Wie und warum machen Menschen Politik“,das beschäftigt Jürgen Leinemann in seinem Buch„Höhenrausch“. Er spürt der Realitätswahrneh-mung von Politikern nach und beschreibt entlangverschiedener Generationen die Veränderungen.

„Höhenrausch“ ist ein Zeitzeugenbericht. Über40 Jahre beobachtete Jürgen Leinemann als Jour-nalist des „Spiegel“ in Washington, Bonn und Ber-lin führende Politiker bei der Arbeit und danach. Indieser Zeit hat er allerhand spannende Anekdotengesammelt. Aus der ersten Reihe erfährt man neuesüber die Mächtigen, wobei er keinen Hehl darausmacht, dass er, als Spiegel-Reporter, der SPD nähergekommen ist als den Konservativen.

Was „Höhenrausch“ von vielen anderen Bü-chern unterscheidet, ist seine Ehrlichkeit und Tie-

fenschärfe. Der Autor hat seinen eigenen Höhen-rausch im Spiegel der Politiker reflektiert und sichdabei auch seinen eigenen Süchten gestellt. Dasmacht ihn hellsichtig für die Suchtmechanismen derHerrschenden: Betriebsamkeit, Opferbereitschaft,Macht, öffentliche Aufmerksamkeit und Kontrolleum nur einige Merkmale zu nennen, funktionierenwie Alkohol. Leinemanns zeigt, wie kollektive Er-fahrungen persönlichen Niederschlag finden undwie Verdrängung, und die Unfähigkeit zu Trauernbestimmten Politikern in konkreten historischenPhasen zur Spitze der Macht verholfen haben.

Virtuos fügt der gelernte Historiker so selbst er-lebte Anekdoten, Biographien und historische Fak-ten zu hintergründigen Entwicklungen zusammen.Politiker und Wähler sind dabei in einer Beziehungder Co-Abhängigkeit. Was der eine leugnet, mussauch der andere nicht sehen. (IS)

Jürgen LeinemannHöhenrauschDie wirklichkeitsleere Weltder PolitikerMünchen 2004Blessing Verlag490 Seiten, 20,00 €ISBN 3-89667-156-1

Die Geschichte des Naturschutz im deutschen Kaiserreich

Erinnerung an die NaturDie Geschichte des Naturschutz im längst vergan-genen Kaiserreich bietet überraschende Einsich-ten. Dazu gehört die Entwicklung von der früherenTierquälerei zum modernen Vogelschutz. Zunächstwird auf alte Kochrezepte wie Drosselsuppen ver-wiesen, Singvogelgerichten, denen mancher Gour-met von heute wieder nachtrauert. Dann werdenverschiedene Praktiken des Vogelfangs erläutert:die besondere Jagdfreude durch einen möglichstlangen Todeskampf der Tiere oder das Blenden derStubenvögel, weil blinde Finken angeblich schö-ner singen. Ausgesprochen spannend ist, wieSchmoll den Übergang von dieser Form des Sadis-mus zum Vogelschutz herausarbeitet: Die Nützlich-keit von Vögeln, ihre Menschenähnlichkeit und dieverbesserte Ernährungslage, aber auch den Kon-flikt zwischen Bürgertum und Adel, die neue Inter-pretation der göttlichen Absichten und die Intensi-vierung der Erwerbsarbeit. Durch diese Neubewer-tungen wurden dem Vogelfang die Grundlageentzogen.

Eine weitere Strömung des Naturschutzes, dieNaturdenkmalpflege, war zwar an der Sakralisierungkleiner Naturausschnitte interessiert, jedoch nichtan einer naturgemäßen Wirtschaftsweise. Dennochhat sie die moderne Lobby- und Öffentlichkeitsar-beit mitbegründet und zu einer Demokratisierungder Gesellschaft beigetragen. Der Heimatschutzwiederum, mit seinen Berührungspunkten zum Na-tionalsozialismus, wird äußerst kritisch dargestellt.

Leider kommt ein allgemein menschliches „Be-dürfnis nach Natur“ (Gernot Böhme) nicht vor. Somanche Interpretation reaktionärer Interessen, dieangeblich hinter der „Natur“ versteckt seien, wür-de jedoch platzen, wenn der Autor – neben denvielen anderen menschlichen Bedürfnissen – auchein schlichtes Naturbedürfnis anerkennen würde.Schmolls Arbeit ist eine lebendige und empfehlens-werte Lektüre für alle, die sich für den Wandel desUmgangs mit Natur und den Wandel des Naturver-ständnisses interessieren.

Ulrich Häpke

Friedemann SchmollErinnerung an die NaturDie Geschichte desNaturschutzes im deutschenKaiserreichGeschichte des Natur- undUmweltschutzesBand 2, Campus VerlagFrankfurt/New York 2004508 Seiten, 45,00 €ISBN 3-593-37355-6

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Rat vom Bürger

Bürgerhaushalte im Netz

Knappe Einnahmen und Sparzwang setzen die öf-fentlichen Haushalte derzeit erheblich unter Druck.In vielen Städten und Gemeinden regiert das Haus-haltssicherungskonzept und nur noch begrenzt derRat. Soziale Errungenschaften sind von Kürzun-gen bedroht, kommunale Leistungen müssen zu-rückgefahren werden. Dies ist nicht nur ein Problemder Politiker, sondern führt auch zu wachsendenAkzeptanzproblemen in der Bevölkerung. Eine ak-tive Bürgerbeteiligung liegt nahe, um klare Akzentezu setzen und die notwendigen Entscheidungenauf eine breitere Basis zu stellen.

Hinter der titelgebenden Einstiegsadresse stecktdie Bertelsmann Stiftung, die als Initiatorin der Bür-gerhaushalte in Deutschland gilt. Seit dem Beginndes Projekts in Jahre 2000 konnten umfangreicheErfahrungen mit Bürgerhaushalten quer durch dieRepublik gemacht werden. Auf der Homepage sinddie Bürgerhaushalte von sechs teilnehmendenStädten dokumentiert. Zusätzlich finden sich Leit-fäden und Zwischenberichte des Projekts sowienützliche Hinweise für die Organisationsunterstüt-zung als PDF-Dateien. Wie man die trockenen Zah-len eines Haushalts sachgerecht unter die Bürgerbringt und Rückmeldungen einholt, wird beispiels-weise in zwei anschaulichen Broschüren der StadtEmsdetten und der Stadt Hilden demonstriert.

Sogar in der Bundeshauptstadt gibt es Initiati-ven für einen Bürgerhaushalt. Allerdings zeigt dieHomepage der Initiative, dass den guten Gedan-ken bislang scheinbar kein Erfolg beschieden war.Entweder steckt Berlin noch nicht tief genug in derKrise oder die Mandatsträger fürchten die Mitspra-che der politischen Basis Berlins in Haushaltsfra-gen.

In der kleinen baden-württembergischen StadtRheinstetten scheint der Bürgerhaushalt dagegengut zu funktionieren und wird nun im vierten Jahraufgestellt. Mit knappen, anschaulichen Beschrei-bungen werden die Bürger informiert, wobei eineHaushaltsbilanz an den Anfang gestellt wird. Da-mit ist für die einzelnen Kostenbereiche die Ausga-ben und Einnahmenseite transparent. Bei denzumeist defizitären Bereichen kann der Bürger nach-vollziehen und mitentscheiden, wie die Haushalts-ansätze sich entwickeln sollen.

Eine komplette Diplomarbeit kann man unter dervon Schülern und Studenten frequentierten „Haus-aufgaben“-Webadresse downloaden. Zum stolzenPreis von 49,90 Euro kann die Diplomarbeit vonChristian Zimmer zum Thema: „Der Bürgerhaushaltals Ausweg aus der Schuldenfalle? Porto Alegre:Chance für Berlin“ digital erworben werden. In Por-to Alegre, Brasilien, wird seit 14 Jahren ein Bürger-haushalt aufgestellt. Die Stadt selbst ist einevielzitierte Ikone der Agenda 21. Die Arbeit wurdeübrigens am Otto-Suhr-Institut mit 1,0 benotet. Zu-mindest das Inhaltsverzeichnis und die Einleitungkann auch kostenfrei eingesehen werden.

Die bayrische grünnahe Petra-Kelly-Stiftung hatim März 2004 eine Veranstaltung zum Thema ge-macht und das neue Beteiligungsinstrument durch-aus kontrovers diskutiert. Die Ergebnisse sind ineiner lesenswerten Dokumentation mit dem Titel:„Bürgerhaushalt in Deutschland – Neue Sparstra-tegie oder echte Bürgerbeteiligung?“ niedergelegt.Die 20-seitige Broschüre kann als PDF-Datei her-untergeladen werden.

Was ich noch nicht im Netz entdeckt habe undvermisse, ist eine Web-Seite, die alle derzeit in Ar-beit befindlichen Bürgerhaushalte darstellt. Die re-gionale Verteilung auf der bundesdeutschenLandkarte wäre sicher spannend zu sehen.

Hans-Jürgen Serwe

GARnet

Quelle:Quelle:Quelle:Quelle:Quelle:

Projektseite der BertelsmannStiftungwww.buergerhaushalt.de

Bürgerhaushalt Berlinwww.buergerhaushalt-berlin.de

Bürgerhaushalt Rheinstettenwww.rheinstetten.de/buergerhaushalt/index.cfm

Diplomarbeit Bürgerhaushaltwww.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/26125.html

Dokumentation der Petra-Kelly-Stiftungwww.petra-kelly-stiftung.de/sites/pdf-doku/Doku-Buergerhaushalt.PDF

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Die GAR schenkt ein!Die GAR schenkt ein!Die GAR schenkt ein!

Na denn Prost.Na denn Prost.Na denn Prost.Und einen guten RutschUnd einen guten RutschUnd einen guten Rutsch

ins neue Jahrins neue Jahrins neue Jahr...

Die GAR schenkt ein!

Na denn Prost.Und einen guten Rutsch

ins neue Jahr.