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1 3 ANGEWANDTE GEOGRAPHIE © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Konsumentenstadt Chicago Innenstadtentwicklung seit Anfang der 1990er Jahre Barbara Hahn STANDORT DOI 10.1007/s00548-014-0328-y mopolitischen Lebensstil“, der von den Städten befriedigt werden muss. Die Städte sind zu ihrer Bühne geworden, auf der man sehen und gesehen werden möchte. Unter dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels und globaler Ent- wicklungstrends ist der Konsum wichtiger geworden als die Produktion. Die Konsumenten erwarten ökologisches Essen, Cafés, Wochenmärkte, Galerien und Theater; also werden all diese Dinge auch angeboten. Shoppen ist zu einer wichti- gen Freizeitbeschäftigung geworden, der innerstädtische Einzelhandel bedient diesen Trend mit Flagship-Stores und Shopping Centern, die viele Attraktionen zu bieten haben. Der Wohnungsmarkt hat auf die neuen Urbaniten mit dem Bau von Luxusappartements und der luxuriösen Sanierung älterer Gebäude reagiert. Früher hat die Produktion im Vor- dergrund gestanden, während heute die Bedürfnisse der Bewohner für die Stadtentwicklung entscheidend sind. Aus Industriestädten sind Konsumentenstädte geworden (Zukin 2010, S. 27). Weiche Standortfaktoren wie eine niedrige Kriminalitäts- rate und ein damit verbundenes Gefühl der Sicherheit sowie Sauberkeit sind heute bedeutender als harte Standortfakto- ren wie Steuern, Abgaben oder Subventionen. Wichtig sind auch attraktive öffentliche Räume und Parks, ein umfassen- des kulturelles Angebot sowie gute Schulen und Universi- täten. Besondere Events und architektonisch herausragende Gebäude – sogenannte Icons – fördern die globale Vermark- tung. Der Ausbau des Freizeit- und Kulturangebots besitzt in der städtischen Entwicklungspolitik höchste Priorität und ist zu ihrem wichtigsten Instrument geworden. Die Städte reagieren auf die Bedürfnisse der Konsumenten, indem sie Werbekampagnen und Großereignisse sponsern. Sie gehen zudem mit privaten Investoren Public Private Partnerships ein, um gemeinsam Hotels, Tagungszentren und Shopping Center zu errichten (Clark et al. 2002, S. 494–499; Fainstein und Judd 1999, S. 2). Die Städte im Nordosten der USA haben seit den 1950er Jah- ren aufgrund des Abbaus von Arbeitsplätzen in der Industrie einerseits und von Suburbanisierungsprozessen andererseits einen enormen Bedeutungsverlust erfahren. Vor allem die Innenstädte (Downtowns) waren davon besonders betroffen, in vielen Downtowns prägten Verfallserscheinungen und Brachflächen das Bild. Da die Städte außerdem als gefähr- lich galten, wurden sie von Einheimischen und auswärtigen Besuchern gemieden. Dieses galt auch für die alte Indust- riestadt Chicago, deren Gesamtbevölkerung von 1950 bis 2010 nahezu kontinuierlich von 3,6 Millionen auf nur noch knapp 2,7 Millionen abgenommen hat. Dennoch hat sich gerade die Downtown in den vergangenen 20 Jahren äußerst positiv entwickelt. In einem Radius von 3,2 Kilometer um das Rathaus lebten 2010 mit 180.000 Menschen 36 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor – in keiner anderen US- amerikanischen Stadt hat sich das Zentrum ähnlich positiv entwickelt. Die Innenstadt von Chicago hat sich als Konsu- mentenstadt neu erfunden. Konsumentenstädte Die Innenstädte sind heute bevorzugte Wohn-, Arbeits-und Freizeitstandorte der sogenannten neuen Urbaniten, welche die Städte anders nutzen als früher die Industriearbeiter. Mit dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft bildeten sich neue Eliten heraus, die gut verdienen, hervorragend aus- gebildet und konsumorientiert sind. Sie pflegen einen „kos- Prof. Dr. B. Hahn () Institut für Geographie, Universität Würzburg, Am Hubland, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail: [email protected]

Konsumentenstadt Chicago

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AngewAndte geogrAphie

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Konsumentenstadt ChicagoInnenstadtentwicklung seit Anfang der 1990er Jahre

Barbara Hahn

StandortdoI 10.1007/s00548-014-0328-y

mopolitischen Lebensstil“, der von den Städten befriedigt werden muss. die Städte sind zu ihrer Bühne geworden, auf der man sehen und gesehen werden möchte. Unter dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels und globaler Ent-wicklungstrends ist der Konsum wichtiger geworden als die Produktion. die Konsumenten erwarten ökologisches Essen, Cafés, Wochenmärkte, Galerien und Theater; also werden all diese dinge auch angeboten. Shoppen ist zu einer wichti-gen Freizeitbeschäftigung geworden, der innerstädtische Einzelhandel bedient diesen trend mit Flagship-Stores und Shopping Centern, die viele attraktionen zu bieten haben. Der Wohnungsmarkt hat auf die neuen Urbaniten mit dem Bau von Luxusappartements und der luxuriösen Sanierung älterer Gebäude reagiert. Früher hat die Produktion im Vor-dergrund gestanden, während heute die Bedürfnisse der Bewohner für die Stadtentwicklung entscheidend sind. aus Industriestädten sind Konsumentenstädte geworden (Zukin 2010, S. 27).

Weiche Standortfaktoren wie eine niedrige Kriminalitäts-rate und ein damit verbundenes Gefühl der Sicherheit sowie Sauberkeit sind heute bedeutender als harte Standortfakto-ren wie Steuern, Abgaben oder Subventionen. Wichtig sind auch attraktive öffentliche räume und Parks, ein umfassen-des kulturelles angebot sowie gute Schulen und Universi-täten. Besondere Events und architektonisch herausragende Gebäude – sogenannte Icons – fördern die globale Vermark-tung. der ausbau des Freizeit- und Kulturangebots besitzt in der städtischen Entwicklungspolitik höchste Priorität und ist zu ihrem wichtigsten Instrument geworden. die Städte reagieren auf die Bedürfnisse der Konsumenten, indem sie Werbekampagnen und Großereignisse sponsern. Sie gehen zudem mit privaten Investoren Public Private Partnerships ein, um gemeinsam Hotels, tagungszentren und Shopping Center zu errichten (Clark et al. 2002, S. 494–499; Fainstein und Judd 1999, S. 2).

die Städte im nordosten der USa haben seit den 1950er Jah-ren aufgrund des abbaus von arbeitsplätzen in der Industrie einerseits und von Suburbanisierungsprozessen andererseits einen enormen Bedeutungsverlust erfahren. Vor allem die Innenstädte (Downtowns) waren davon besonders betroffen, in vielen Downtowns prägten Verfallserscheinungen und Brachflächen das Bild. Da die Städte außerdem als gefähr-lich galten, wurden sie von Einheimischen und auswärtigen Besuchern gemieden. dieses galt auch für die alte Indust-riestadt Chicago, deren Gesamtbevölkerung von 1950 bis 2010 nahezu kontinuierlich von 3,6 Millionen auf nur noch knapp 2,7 Millionen abgenommen hat. dennoch hat sich gerade die Downtown in den vergangenen 20 Jahren äußerst positiv entwickelt. In einem radius von 3,2 Kilometer um das rathaus lebten 2010 mit 180.000 Menschen 36 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor – in keiner anderen US-amerikanischen Stadt hat sich das Zentrum ähnlich positiv entwickelt. die Innenstadt von Chicago hat sich als Konsu-mentenstadt neu erfunden.

Konsumentenstädte

Die Innenstädte sind heute bevorzugte Wohn-, Arbeits-und Freizeitstandorte der sogenannten neuen Urbaniten, welche die Städte anders nutzen als früher die Industriearbeiter. Mit dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft bildeten sich neue Eliten heraus, die gut verdienen, hervorragend aus-gebildet und konsumorientiert sind. Sie pflegen einen „kos-

Prof. dr. B. Hahn ()Institut für Geographie, Universität Würzburg,am Hubland,97074 Würzburg, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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Voraussetzungen für eine positive Entwicklung

Städte sind heute wie Unternehmen zu führen, deren Mana-ger die Bürgermeister sind. die Visionen und die tatkraft, aber auch das Versagen dieser Bürgermeister bzw. Manager haben die Entwicklung vieler US-amerikanischer Städte maßgeblich geprägt. Chicago hatte das Glück, über Jahr-zehnte überwiegend von Bürgermeistern regiert zu werden, die die institutionellen rahmenbedingungen für den Umbau der Innenstadt schufen. Unter Bürgermeister richard J. Daley (1955–1976) wurde 1958 der Development Plan for the Central Area of Chicago verabschiedet, demzufolge die Downtown langfristig zentrales dienstleistungszentrum für die ganze region werden sollte. neue Parks und Freizeitein-richtungen am Ufer des Lake Michigan sollten die Lebens-qualität erhöhen, eine moderne und futuristische architektur sollte an frühere architektonische Leistungen anschließen. Eine 1973 verabschiedete Fortschreibung des Plans löste allerdings heftige Kontroversen aus, da darin sehr viel Wert auf den Bau hochwertiger Wohnungen für einkommens-starke Käufer oder Mieter im Stadtzentrum gelegt wurde (Bennett 2010, S. 5–7, 38–43; Clark et al. 2002, S. 503–508; newman und thornley 2005, S. 105). 1983 wurde ein wei-terer Plan zur attraktivitätssteigerung der Downtown verab-schiedet, der erstmals die Expansion des südlich gelegenen Messe- und Kongresszentrums McCormick Place und den Bau eines Museumscampus mit Planetarium, aquarium und dem Field Museum of Natural History vorsah (City of Chicago 2003, S. 6). Bürgermeister Harold Washington (1983–1987), bislang einziger schwarzer Bürgermeister der Stadt, verfolgte allerdings andere Ziele als seine Vor-gänger. Im Mittelpunkt seiner Politik standen die Beseiti-gung der deindustrialisierungsfolgen, die Schaffung neuer arbeitsplätze und der Bau von Sozialwohnungen. nach seinem plötzlichen tod 1987 und zwei Interimsbürgermeis-tern wurde 1989 Richard M. Daley – Sohn von Richard J. Daley – Bürgermeister. Daley übte das Amt 21 Jahre aus, bis er 2011 aus altersgründen zurücktrat. Er leitete die Stadt wie ein Unternehmen, in dessen Mittelpunkt der Umbau der Central area stand: diese umfasst das südlich des Chicago River gelegene historische Zentrum der Stadt – genannt The Loop – und die nördlich des Flusses gelegene Near North Side mit der noblen Einkaufsmeile North Michigan Avenue sowie angrenzende Bereiche. obwohl es seit Jahrzehnten Pläne für die revitalisierung der Innenstadt gegeben hatte, war diese bei amtsantritt daleys Ende der 1980er Jahre immer noch sehr unattraktiv und zeichnete sich durch Ver-fallserscheinungen und Leerstände aus. Investitionen hatten sich vorwiegend auf den öffentlichen Sektor begrenzt, etwa auf den Bau des 1985 eröffneten State of Illinois Center im Loop. auch der Bau des Sears Towers (heute Willis Tower) zu Beginn der 1970er Jahre – mit einer Höhe von 442 Meter für Jahrzehnte das höchste Gebäude der USA – hatte kei-

nen aufschwung einleiten können. die Voraussetzungen für die Schaffung einer attraktiven Innenstadt waren aller-dings nicht schlecht, da der zu Beginn des 20. Jahrhunderts angelegte, 3,2 Kilometer lange und rund 800 Meter breite Grant Park die Verbauung des Seeufers östlich des Loop verhindert hatte. Da außerdem die besten Architekten der USa in Chicago tätig gewesen waren, verfügte die Stadt bereits über etliche interessante Gebäude (Bennett 2010, S. 6, 43–45; Cremin 1998, S. 22–26; Judd 2011, S. 16; Lar-son und Pridmore 1993).

Umbau der Downtown

richard M. daley gelang es, die seit langem bestehenden Pläne für den Umbau der Central area mit Unterstützung pri-vater Investoren sowie Spendengeldern umzusetzen. Eines der ersten Projekte war die Umgestaltung des 1916 eröffne-ten Navy Piers, das im Laufe der Jahrzehnte unterschied-lich genutzt worden war. Mitte der 1990er Jahre wurde das rund einen Kilometer lange Pier für mehr als 200 Millionen US-Dollar zu einer großen Freizeiteinrichtung umgestaltet: mit einem Kindermuseum, einem 15 Stockwerke hohen riesenrad, einem IMaX-theater, restaurants, Einzelhan-del und einem Ballsaal. Das Pier wurde außerdem mit einer umlaufenden Promenade versehen und entwickelte sich sofort zum Besuchermagneten (Spirou 2006, S. 297; 2011, S. 282). Wichtig war auch die regelmäßige Reinigung der downtown, da nur saubere Städte kaufkräftige Konsumen-ten anziehen. In Chicago sorgen dafür heute gut sichtbare Ordnungskräfte. Bürgermeister Daley hat außerdem 1993 den Kampf gegen die Graffitis aufgenommen – wo Graf-fitis nicht beseitigt werden, kommen bald weitere hinzu. Mit einer Mischung aus Backpulver und Wasser werden sie unter Hochdruck umgehend beseitigt. Hohe Strafen für Van-dalismus unterstützen die Aktion; außerdem ist der Verkauf von Sprühfarbe in Chicago verboten (abb. 1).

Mit Kunstwerken Innenstädte und Parks aufwerten

Interessante Kunstwerke vermögen eine Innenstadt hingegen aufzuwerten. Bereits 1967 war im Loop ein rund 15 Meter hoher abstrakter Stierschädel von Picasso aufgestellt wor-den, 1974 folgte ein 16 Meter hoher Flamingo von Calder im typischen Stil des Künstlers. 1978 verabschiedete Chi-cago als eine der ersten amerikanischen Städte eine Percent for Art Ordinance, der zufolge 1,3 Prozent der ausgaben für öffentliche Gebäude und Plätze für Kunstwerke aufge-wendet werden mussten. Inzwischen wurden die richtlinien mehrfach verändert (www.cityofchicago.org). Chicago setzt dabei auf groß dimensionierte Skulpturen, da kleine Kunst-werke zwischen den Hochhäusern kaum Beachtung fänden.

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fließt im Sommer Wasser, ergänzt im Abstand von wenigen Minuten von starken Wasserstrahlen. Das Wasser fließt in zwei flache Becken zwischen den Türmen, mit denen Plensa den Eindruck vermitteln wollte, es sei möglich, auf dem Wasser zu laufen. An heißen Sommertagen und -nächten bietet das Wasser vor allem Kindern Abkühlung; kreischend laufen sie zwischen den wasserspeienden türmen hin und her (Hahn 2014) (abb. 2 und 3).

Die Spaßgesellschaft erwartet den stetigen Ausbau und die Instandhaltung von Freizeiteinrichtungen

Im Millennium Park entstanden spendenfinanzierte Attrak-tionen, die kostenlos von wohlhabenden und armen Besu-chern gleichermaßen genutzt werden können. Das gilt auch für die zahlreichen Konzerte auf der Freilichtbühne des Gehry-Pavillons. Viele Kunstwerke laden zum Mitmachen ein und bereiten dem Publikum sichtlich Freude. Gleichzei-tig sind global vermarktbare Icons entstanden. obwohl der Millennium Park das Zentrum Chicagos sichtbar aufwertet, wird er häufig kritisiert, da es sich nicht um einen öffent-lichen, sondern um einen privaten und stark kontrollierten und regulierten Raum handelt. Außerdem ist zu befürchten, dass die Spaßgesellschaft bald nach etwas Neuem, noch aufregenderem verlangen wird und abnutzungserschei-nungen selbst bei bester Pflege nicht ausbleiben werden. So glänzt schon heute die polierte Edelstahlwolke der Cloud Gate nicht mehr so wie in ihren ersten Jahren. das Navy Pier hatte nach der Eröffnung des Millennium Park an attraktivität verloren und muss nur 20 Jahre nach der Eröffnung saniert und teilweise umgestaltet werden (Beob-achtungen der Verfasserin; Calbet i Elias et al. 2012, S. 392; Jayne 2006, S. 192; Spirou 2011, S. 282–285).

Navy Pier und Millennium Park sind nicht die einzigen Freizeiteinrichtungen, die in den vergangenen zwei Jahr-zehnten im Zentrum Chicagos entstanden sind. Im Loop wurden ältere theater- oder Showbühnen saniert oder wie-dereröffnet, nördlich des Chicago river ziehen zahlreiche restaurants bis in die späten abendstunden Besucher an. das Chicago Art Institute, eines der besten Museen der USa, wurde 2009 um einen Flügel für moderne Kunst erweitert. Seit den 1990er Jahren ist so eine neue downtown entstan-den, in der angebote für Freizeit und Unterhaltung eine große Rolle spielen (Newman und Thornley 2005, S. 105).

Unmittelbar angrenzende Quartiere profitieren vom Aufschwung des Innenstadtbooms

Beeindruckend ist auch die Umwandlung der Uferbereiche des Chicago River – noch vor nicht allzu langer Zeit diente er als transportkanal und Standort der wichtigsten Indus-

Ein neues Gesicht hat Chicago 2004 auch durch die Eröff-nung des Millennium Parks nördlich des Chicago Art Institute auf einem lange brachliegenden Eisenbahngelände zwischen dem Lake Michigan und dem nördlichen Loop erhalten. die anlage des Parks kostete rund 500 Millionen US-dollar, wovon rund die Hälfte durch Spenden von Unternehmen wie Boeing, McDonald’s oder Wrigley sowie von Privatpersonen aufgebracht wurde. Die Grünflächen der Parks werden durch Werke renommierter Künstler und Architekten ergänzt. Zu nennen sind etwa die riesige stählerne Konzertmuschel des Stararchitekten Frank Gehry für rund 11.000 Besucher sowie die Kunstwerke Cloud Gate und Crown Fountain. die Cloud Gate ist eine 20 Meter hohe, 11,5 Millionen US-Dollar teure Edelstahlskulptur in Form einer Wolke, in der sich die Skyline von Chicago spiegelt. Die größte Attraktion des Parks ist jedoch der von der Crown-Familie gestiftete Brunnen Crown Fountain des spanischen Künstlers Jaume Plensa. Er besteht aus zwei 15 Meter hohen türmen, die sich in einer Entfernung von 77 Meter gegenüberstehen. die Türme sind mit Glasbausteinen verkleidet, die als LED-ge-steuerte Videobildschirme fungieren. Vom dach der türme

Abb. 1 attraktionen in der Innenstadt von Chicago (Entwurf der Ver-fasserin auf der Grundlage von Plänen für Touristen)

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trien der Stadt. Mit der deindustrialisierung waren zahl-reiche Flächen entlang des Flusses aufgegeben und einer neuen Nutzung zugeführt worden. Die Wasserfläche wird heute für Freizeit- und Erholungszwecke genutzt, am Ufer ist eine Uferpromenade mit Cafés und attraktiven terrassen entstanden (City of Chicago 2003, S. 11).

der Bereich südlich des Loop war mit vielen Brachflä-chen und verfallenden Gebäuden besonders unattraktiv. In den 1980er Jahren kamen Planungen auf, einen teil der Brachflächen, die lange vom 1972 geschlossenen Bahnhof Central Station genutzt worden waren und auf denen Lager-häuser gestanden hatten, in Wohnbauflächen umzuwandeln. 1993 wurde die erste neighborhood – genannt Central Sta-tion – mit luxuriösen townhouses in damals noch trostloser Umgebung eröffnet. Bürgermeister daley selbst zog dort ein, um auf den neuen innenstadtnahen Wohnstandort auf-merksam zu machen und ein Zeichen zu setzen (Bennett 2010, S. 78). Wenig später wurde mit der Umgestaltung des in die Jahre gekommenen Grant Park begonnen, mehrere an dessen Südende gelegene Museen wurden renoviert und zu einem Museumscampus umgestaltet. das südlich anschlie-ßende Footballstadion Soldier Field sowie das Messe- und ausstellungsgelände McCormick Place erfuhren ebenfalls eine Erweiterung und Sanierung: auf der künstlichen Insel im Lake Michigan war 1948 der Flughafen Meigs Field eröffnet worden. Nach seiner Schließung im Jahr 2003 konnte auf der rund 1,2 Kilometer langen Insel ein Park angelegt werden (Spirou 2006, S. 297; 2011, S. 284–285).

Seit Jahrzehnten setzt die Stadt auf den Umbau des Zen-trums, geschickt verstand sie es, privates Kapital für die

Abb. 3 Crown Fountain

Abb. 2 Gehry-Pavillon

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appartements für die reichen und die Superreichen entstan-den, die Zahl der Familien mit Kindern ist gering, außerdem erfolgte eine Privatisierung des öffentlichen raumes. In den 1970er Jahren war die Innenstadt allerdings denkbar unat-traktiv und wurde als gefährlich wahrgenommen. Heute ist sie sauber und gepflegt, die Kriminalitätsrate ist niedrig – die Lebensqualität der Downtown ist höher denn je. Bedenk-lich ist jedoch, dass fast alle Kräfte auf die revitalisierung der Innenstadt gelegt wurden, während die Probleme der restlichen Stadt vernachlässigt wurden.

Literatur

Bennett L (2010) the third city: Chicago and american urbanism. Chicago University Press, Chicago

Calbet i Elias L et al (2012) Standortfaktor Innenstadt – Ambivalenzen der reurbanisierung in Barcelona, London und Chicago. In: Brake K, Herfert G (Hrsg) Reurbanisierung. VS Verlag für Sozialwissen-schaften, Wiesbaden, S 388–404

Chicago Loop alliance (2011) Loop economic study impact report. Selbstverlag, Chicago

Chicago Office of Tourism and Culture (2011) 2010 Statistical infor-mation. Selbstverlag, Chicago

City of Chicago (2003) the Chicago Central area plan. Preparing the central city for the 21st century. Draft final report to the city of Chicago plan commission. Selbstverlag, Chicago

City of Chicago. www.cityofchicago.org. Zugegriffen: 7. Januar 2014Clark tn et al (2002) amenities drive urban growth. J Urban aff

24:493–515Cremin dH (1998) Chicago’s front yard. In: Chicago History (Spring).

Chicago, S 22–43Fainstein SS, Judd DR (1999) Global forces, local strategies, and tou-

rism. In: Judd dr, Fainstein SS (Hrsg) the tourist city. Yale Uni-versity Press, New Haven, S 1–17

Hahn B (2014) Die US-amerikanische Stadt im Wandel. Springer Ver-lag, Heidelberg

Jayne M (2006) Cities and consumption. routledge, LondonJudd dr (2011) theorizing the city. In: Judd dr, Simpson d (Hrsg)

the city, revisited. Urban theory from Chicago, Los angeles and New York. University of Minnesota Press, Minneapolis, S 3–20

Larson GA, Pridmore J (1993) Chicago architecture and design. Harry n. abrams, new York

Newman P, Thornley A (2005) Planning world cities. Globalization and urban politics. Palgrave Macmillan, London

Spirou C (2006) Urban beautification: the construction of a new iden-tity of Chicago. In: Koval J et al (Hrsg) the new Chicago. a so-cial and cultural analysis. temple University Press, Philadelphia, S 295–302

Spirou C (2011) Both center and periphery. Chicago’s metropolitan ex-pansion and the new downtown. In: Judd dr, Simpson d (Hrsg) the city, revisited. Urban theory from Chicago, Los angeles, and New York. University of Minnesota Press, Minneapolis, S 273–305

Zukin S (2010) naked city: the death and life of authentic urban pla-ces. oxford University Press, oxford

Prof. Dr. Barbara Hahn ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wirt-schaftsgeographie am Institut für Geographie und Geologie der Julius- Maximilians-Universität Würzburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Wirtschaftsgeographie, Geographische Handelsforschung, Stadtgeo-graphie sowie nordamerika und Zypern.

revitalisierung zu mobilisieren. die Central area hat sich weit positiver entwickelt, als es zu Beginn der 1990er Jahre wohl selbst die kühnsten optimisten gehofft hatten. allein im Loop entstanden von 2000 bis 2010 mehr als 8.000 neue Wohneinheiten in Hochhäusern und in älteren umgewandel-ten Bürogebäuden. Besonders bemerkenswert ist die Ent-wicklung südlich des Loop. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wohnten dort die reichsten Bürger der Stadt, nach deren Fortzug verfielen die Prachtvillen. Die Häuser der einstigen Superreichen an der Prairie avenue wurden in den vergan-genen Jahren renoviert und zu Preisen im zweistelligen Mil-lionenbereich verkauft.

die Zahl der arbeitsplätze stagnierte im ersten Jahr-zehnt des neuen Jahrhunderts aufgrund der rezession ab 2008 mehr oder weniger; mit knapp 500.000 in der Central Area – rund 300.000 davon im Loop – war sie jedoch 2010 beindruckend groß. Der Loop ist Standort von 16 Hoch-schulen wie der DePaul University und der Roosevelt Uni-versity mit insgesamt 65.000 Studenten. der Einzelhandel hat sich ebenfalls positiv entwickelt. Während sich auf der State Street im Loop eher trendige Läden wie Old Navy oder Urban Outfitters, die sich eher an junge Menschen richten, angesiedelt haben, ist die North Michigan Avenue Standort internationaler designer (Chicago Loop alliance 2011). Es ist nicht auszuschließen, dass die Einwohnerzahlen und die arbeitsplätze in der Central area weiter steigen werden. obwohl Chicago auf europäische Besucher den Eindruck großer Dichte vermittelt, stehen noch genügend Brachflä-chen oder untergenutzte Flächen zur Verfügung, die künf-tig entwickelt werden können. Außerdem soll ein Teil der Gebäude, die nicht mehr dem heutigen Standard entspre-chen, durch meist höhere neubauten ersetzt werden (City of Chicago 2003, S. 31).

die Zahl der Hotelzimmer im Loop ist innerhalb von zehn Jahren von 8.038 auf 10.639 gestiegen. dennoch ist die tourismusentwicklung bisher nicht zufriedenstellend, 2000 sowie 2010 besuchten allen Bemühungen zum trotz nur jeweils knapp 40 Mio. auswärtige Gäste Chicago, dar-unter kamen nur 1,33 Mio. aus dem ausland. die Zimmer-auslastung der Hotels war 2010 mit 69,6 % vergleichsweise gering (Chicago Office of Tourism and Culture 2011, S. 1). Zu einer globalen Vermarktung hätten die geplanten olym-pischen Spiele im Jahr 2016 beitragen können, für die Chi-cago den Zuschlag aber nicht erhalten hat.

Fazit

die Innenstadt von Chicago gilt heute als aushängeschild der region. Bürgermeister richard M. daley hat auf die anfor-derungen einer globalisierten Welt reagiert und die richtigen akzente in der Stadtpolitik gesetzt. dennoch kann man die Entwicklung auch kritisieren. So sind fast ausschließlich