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Mit Urteil vom 26. 4. 2007 1 hat das BVerwG entschieden, dass die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV durch die Festsetzung von sogenannten Kontrollwerten im Genehmigungsbescheid unter- schritten werden können. Damit wurde eine dritte Wertekategorie in das Anlagenzulassungsrecht eingeführt. Welche Funktion Kon- trollwerte haben, in welchem Verhältnis sie zu den Emissions- grenzwerten der 17. BImSchV stehen und welche Konsequenzen sich aus ihrer Nichteinhaltung für die Anlagenbetreiber ergeben, soll im Folgenden beleuchtet werden. 1. Grenz- und Richtwerte im System des Anlagengenehmigungsrechts Das Bundes-Immissionsschutzgesetz kennt herkömmli- cherweise zwei Arten von Umweltstandards: Richtwerte einerseits und Grenzwerte andererseits Richtwerte wie Grenzwerte dienen der Konkretisierung der Betreiber- pflichten nach § 5 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 BImSchG Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Wertekatego- rien besteht in ihrem messtechnischen bzw naturwissen- schaftlich–fachlichen Verbindlichkeitsanspruch Richtwerte kommen regelmäßig dort zum Einsatz, wo die Schädlichkeitsschwelle von Umwelteinwirkungen nicht rein naturwissenschaftlich anhand objektiver Kri- terien festgelegt werden kann, sondern zusätzlich subjek- tive Wertkategorien in die Betrachtung mit einzubeziehen sind Zu nennen sind hier vor allem die Immissionsricht- werte der TA Lärm 1998 oder der GIRL 2008 In beiden Fällen wird die Erheblichkeitsgrenze durch eine Vielzahl subjektiver Faktoren und Merkmale bestimmt, die einer Verobjektivierung nicht zugänglich sind Bei Lärmimmis- sionen spielt zum Beispiel die Lärmart, die Impulshaltig- keit, die Informationshaltigkeit sowie eine negative Sensi- bilisierung eine große Rolle Bei Geruchsimmissionen sind die Geruchsart, die Hedonik und die Empfindungsstärke von Bedeutung Richtwerte tragen dieser Vielgestaltig- keit der Moderatoren Rechnung, 2 indem sie die Schäd- lichkeitsschwelle nicht abschließend festlegen Sie stellen vielmehr Orientierungswerte dar, die für den Regelfall zur Bestimmung der Schädlichkeitsgrenze herangezogen wer- den können, von denen im Einzelfall allerdings zugunsten wie zu Lasten des Anlagenbetreibers abgewichen werden kann Ein Abweichen ist dabei immer dann möglich, wenn es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen aty- pischen Einzelfall handelt, der von der standardisierenden Betrachtung des Richtwerts nicht erfasst wird Technische Regelwerke tragen diesem Umstand regelmäßig durch ent- sprechende Öffnungsklauseln für Sonder- bzw Einzelfall- prüfungen Rechnung 3 Zum anderen kann von Richt- werten immer dann abgewichen werden, wenn aufgrund gesicherter Erkenntnisfortschritte den dem Richtwert zu- RA Dr Mirjam Lang, Rechtsanwaltskanzlei Dr Dammert & Steinforth, Leipzig, Deutschland grundeliegenden Annahmen und Prämissen die Wertungs- grundlage entzogen ist 4 Die Rechtsprechung stellt an das Vorliegen gesicherter Erkenntnisfortschritte allerdings strenge Anforderungen Der Umstand, dass die zur Beurteilung stehende Anlage über eine Technik verfügt, die über der sonst üblichen Aus- stattung vergleichbarer Anlagen liegt, genügt hierfür nicht 5 Vielmehr gilt es, den Erkenntnisstand bei Festsetzung des Richtwerts mit dem jetzigen Stand der Technik zu ver- gleichen, wobei nicht die technische Machbarkeit emissi- onsbegrenzender Maßnahmen, sondern vor allem auch der dafür notwendige wirtschaftliche Aufwand in den Blick zu nehmen sind 6 Sind die Richtwerte in Verordnungen oder normkon- kretisierenden Verwaltungsvorschriften enthalten, sind sie sowohl für die Genehmigungsbehörde wie die Gerichte verbindlich 7 Die Genehmigungsbehörde hat diese zu be- achten und kann nur in den oben dargelegten Fällen von diesen abweichen Werden die Richtwerte eingehalten, so besteht in aller Regel ein Anspruch des Anlagenbetreibers auf Erteilung der Genehmigung Werden die Richtwerte nicht eingehalten, steht dies einer Genehmigungserteilung grundsätzlich entgegen Den Richtwerten kommt inso- weit also eine die Rechtssicherheit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungsvollzugs wahrende Funktion zu Dies gilt nicht, wenn die Richtwerte in technischen Regelwerken privater Normungsverbände niedergelegt sind In diesem Fall sind sie zwar Ausdruck fachwissenschaftlichen Sach- verstands Als unverbindliche Empfehlung sind sie jedoch nicht geeignet, einen rechtssicheren Gesetzesvollzug zu ge- währleisten Grenzwerte hingegen legen anders als die Richtwerte die Schwelle der Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen abschließend fest 8 Sie kommen dort zum Einsatz, wo die Grenze der Schädlichkeit rein naturwissenschaftlich ermit- telt werden kann, ohne dass diese zusätzlich subjektiv auf- geladen ist Grenzwerte sind somit aus naturwissenschaft- DOI: 10.1007/s10357-009-1788-x Kontrollwerte als neuer Umweltstandard im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht? Mirjam Lang © Springer-Verlag 2010 123 AUFSäTZE NuR (2010) 32: 1–3 1 1) BVerwG, Urt v 26 4 2007 – 7 C 1506, UPR 2007, 391 2) Müller, Die TA-Lärm als Rechtsproblem, Würzburg 2000, S 120 ff 3) Vgl hierzu etwa Nr 322 TA Lärm oder Nr 5 GIRL 2008 4) BVerwG, Urt v 21 6 2001 – 7 C 2/00, NVwZ 2001, 1165/1166; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band I, Lose- blattkommentar, Stand April 2009, § 3 Rdnr 19 k 5) So OVG Saarlouis, Urt v 10 11 2006 – 3 M 1/05 6) BVerwG, Urt v 21 6 2001 – 7 C 2/00, NVwZ 2001, 1165/ 1166 7) Zur Diskussion um die Bindungswirkung normkonkretisieren- den Verwaltungsvorschriften zuletzt BVerwG, Urt v 29 8 2007 – 4 C 207, Rdnr 12; Remmert, Rechtsprobleme von Verwaltungs- vorschriften, Jura 2004, 728 ff; Wollenschläger, Wissensgenerierung im Verfahren, Tübingen 2009, S 195 ff 8) Roßnagel, in: Koch/Scheuing, Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, Loseblatt, Stand Mai 2005, § 5 Rdnr 304 ff; Sparwasser/v. Komorowski, Die neue TA Lärm in der Anwendung, VBlBW 2000, 348/349

Kontrollwerte als neuer Umweltstandard im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht?

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Page 1: Kontrollwerte als neuer Umweltstandard im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht?

Mit Urteil vom 26. 4. 2007 1 hat das BVerwG entschieden, dass die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV durch die Festsetzung von sogenannten Kontrollwerten im Genehmigungsbescheid unter-schritten werden können. Damit wurde eine dritte Wertekategorie in das Anlagenzulassungsrecht eingeführt. Welche Funktion Kon-trollwerte haben, in welchem Verhältnis sie zu den Emissions-grenzwerten der 17. BImSchV stehen und welche Konsequenzen sich aus ihrer Nichteinhaltung für die Anlagenbetreiber ergeben, soll im Folgenden beleuchtet werden.

1. Grenz- und Richtwerte im System des Anlagengenehmigungsrechts

Das Bundes-Immissionsschutzgesetz kennt herkömmli-cherweise zwei arten von umweltstandards: richtwerte einerseits und Grenzwerte andererseits . richtwerte wie Grenzwerte dienen der Konkretisierung der Betreiber-pflichten nach § 5 abs . 1 Nr . 1 und Nr . 2 BImschG . Der maßgebliche unterschied zwischen beiden Wertekatego-rien besteht in ihrem messtechnischen bzw . naturwissen-schaftlich–fachlichen Verbindlichkeitsanspruch .

richtwerte kommen regelmäßig dort zum einsatz, wo die schädlichkeitsschwelle von umwelteinwirkungen nicht rein naturwissenschaftlich anhand objektiver Kri-terien festgelegt werden kann, sondern zusätzlich subjek-tive Wertkategorien in die Betrachtung mit einzubeziehen sind . zu nennen sind hier vor allem die Immissionsricht-werte der ta Lärm 1998 oder der GIrL 2008 . In beiden fällen wird die erheblichkeitsgrenze durch eine Vielzahl subjektiver faktoren und Merkmale bestimmt, die einer Verobjektivierung nicht zugänglich sind . Bei Lärmimmis-sionen spielt zum Beispiel die Lärmart, die Impulshaltig-keit, die Informationshaltigkeit sowie eine negative sensi-bilisierung eine große rolle . Bei Geruchsimmissionen sind die Geruchsart, die hedonik und die empfindungsstärke von Bedeutung . richtwerte tragen dieser Vielgestaltig-keit der Moderatoren rechnung, 2 indem sie die schäd-lichkeitsschwelle nicht abschließend festlegen . sie stellen vielmehr orientierungswerte dar, die für den regelfall zur Bestimmung der schädlichkeitsgrenze herangezogen wer-den können, von denen im einzelfall allerdings zugunsten wie zu Lasten des anlagenbetreibers abgewichen werden kann .

ein abweichen ist dabei immer dann möglich, wenn es sich bei dem zu beurteilenden sachverhalt um einen aty-pischen einzelfall handelt, der von der standardisierenden Betrachtung des richtwerts nicht erfasst wird . technische regelwerke tragen diesem umstand regelmäßig durch ent-sprechende Öffnungsklauseln für sonder- bzw . einzelfall-prüfungen rechnung . 3 zum anderen kann von richt-werten immer dann abgewichen werden, wenn aufgrund gesicherter erkenntnisfortschritte den dem richtwert zu-

ra . Dr . Mirjam Lang, rechtsanwaltskanzlei Dr . Dammert & steinforth, Leipzig, Deutschland

grundeliegenden annahmen und Prämissen die Wertungs-grundlage entzogen ist . 4

Die rechtsprechung stellt an das Vorliegen gesicherter erkenntnisfortschritte allerdings strenge anforderungen . Der umstand, dass die zur Beurteilung stehende anlage über eine technik verfügt, die über der sonst üblichen aus-stattung vergleichbarer anlagen liegt, genügt hierfür nicht . 5 Vielmehr gilt es, den erkenntnisstand bei festsetzung des richtwerts mit dem jetzigen stand der technik zu ver-gleichen, wobei nicht die technische Machbarkeit emissi-onsbegrenzender Maßnahmen, sondern vor allem auch der dafür notwendige wirtschaftliche aufwand in den Blick zu nehmen sind . 6

sind die richtwerte in Verordnungen oder normkon-kretisierenden Verwaltungsvorschriften enthalten, sind sie sowohl für die Genehmigungsbehörde wie die Gerichte verbindlich . 7 Die Genehmigungsbehörde hat diese zu be-achten und kann nur in den oben dargelegten fällen von diesen abweichen . Werden die richtwerte eingehalten, so besteht in aller regel ein anspruch des anlagenbetreibers auf erteilung der Genehmigung . Werden die richtwerte nicht eingehalten, steht dies einer Genehmigungserteilung grundsätzlich entgegen . Den richtwerten kommt inso-weit also eine die rechtssicherheit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungsvollzugs wahrende funktion zu . Dies gilt nicht, wenn die richtwerte in technischen regelwerken privater Normungsverbände niedergelegt sind . In diesem fall sind sie zwar ausdruck fachwissenschaftlichen sach-verstands . als unverbindliche empfehlung sind sie jedoch nicht geeignet, einen rechtssicheren Gesetzesvollzug zu ge-währleisten .

Grenzwerte hingegen legen anders als die richtwerte die schwelle der schädlichkeit von umwelteinwirkungen abschließend fest . 8 sie kommen dort zum einsatz, wo die Grenze der schädlichkeit rein naturwissenschaftlich ermit-telt werden kann, ohne dass diese zusätzlich subjektiv auf-geladen ist . Grenzwerte sind somit aus naturwissenschaft-

DOI: 10.1007/s10357-009-1788-x

Kontrollwerte als neuer Umweltstandard im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht?Mirjam Lang

© Springer-Verlag 2010

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au f s ät z e

Nur (2010) 32: 1–3 1

1) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, uPr 2007, 391 .2) Müller, Die ta-Lärm als rechtsproblem, Würzburg 2000,

s . 120 ff . 3) Vgl . hierzu etwa Nr . 3 .2 .2 ta Lärm oder Nr . 5 GIrL 2008 . 4) BVerwG, urt . v . 21 . 6 . 2001 – 7 c 2/00, NVwz 2001, 1165/1166;

Kutscheidt, in: Landmann/rohmer, umweltrecht Band I, Lose-blattkommentar, stand april 2009, § 3 rdnr . 19 k .

5) so oVG saarlouis, urt . v . 10 . 11 . 2006 – 3 M 1/05 . 6) BVerwG, urt . v . 21 . 6 . 2001 – 7 c 2/00, NVwz 2001, 1165/

1166 . 7) zur Diskussion um die Bindungswirkung normkonkretisieren-

den Verwaltungsvorschriften zuletzt BVerwG, urt . v . 29 . 8 . 2007 – 4 c 2 .07, rdnr . 12; Remmert, rechtsprobleme von Verwaltungs-vorschriften, Jura 2004, 728 ff .; Wollenschläger, Wissensgenerierung im Verfahren, tübingen 2009, s . 195 ff .

8) Roßnagel, in: Koch/scheuing, Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, Loseblatt, stand Mai 2005, § 5 rdnr . 304 ff .; Sparwasser/v. Komorowski, Die neue ta Lärm in der anwendung, VBlBW 2000, 348/349 .

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lich-technischer sicht einer inhaltlichen Korrektur durch den anwender entzogen und beanspruchen eine für sich vom jeweiligen ordnungsrahmen losgelöste eigenstän-dige Verbindlichkeit . 9 Diese fachliche Verbindlichkeit ist, wie das BVerwG mit Beschluss vom 10 . 6 . 1998 10 festge-stellt hat, allerdings ebenfalls keine absolute . so kann von den generalisierend festgelegten emissionsgrenzwerten der 17 . BImschV dann abgewichen werden, wenn ein atypi-scher sachverhalt vorliegt und der Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit gewahrt wird . In diesem fall kann von der Genehmigungsbehörde ausnahmsweise ein niedrigerer emissionsgrenzwert als der in § 5 17 . BImschV generali-sierend festgelegte angeordnet werden . § 20 17 . BImschV scheidet als ermächtigungsgrundlage hierfür allerdings aus . Diese Bestimmung stellt lediglich klar, dass die Befug-nis der Behörden, aufgrund anderweitiger rechtsverord-nungen weitergehende anforderungen an den anlagen-betrieb zu stellen, unberührt bleibt . 11 eine eigenständige handlungsermächtigung zur Verschärfung der emissions-grenzwerte der 17 . BImschV enthält § 20 17 . BImschV hin-gegen nicht . 12

2. Kontrollwerte als Novum im Anlagenzulassungsrecht

Dieses system bestehend aus richt- und Grenzwerten wird nunmehr durch eine dritte Kategorie von umweltstandards ergänzt: den sogenannten Kontrollwerten . Kontrollwerte sind zum gegenwärtigen zeitpunkt noch ein reines Produkt höchstrichterlicher rechtsprechung . In den einschlägigen technischen regelwerken sowie rechtsverordnungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz finden sich bislang keine regelungen hierzu . Die einführung von Kontrollwerten speziell in der 17 . BImschV wird derzeit jedoch vom Bun-desministerium für umwelt, Naturschutz und reaktorsi-cherheit geprüft . 13

Bereits in seinem „zementwerkurteil“ 14 hatte das BVerwG dargelegt, dass zur überprüfung und sicherstel-lung der funktionstauglichkeit von anlagentechnik niedri-gere emissionswerte als die in Nr . 3 .1 .3 ta Luft enthaltenen, festgesetzt werden können . Der Begriff des Kontrollwerts war in diesem zusammenhang allerdings noch nicht ge-braucht worden . Dies geschah erst mit urteil des oVG saar-louis vom 10 . 11 . 2006 zum abfallheizkraftwerk (ahKW) Neunkirchen . 15 Die Genehmigungsbehörde hatte für das ahKW Neunkirchen in ihrem Bescheid deutlich niedri-gere emissionsgrenzwerte für Gesamtstaub, schwefeldioxid und stickstoffdioxid festgesetzt als § 5 der 17 . BImschV vor-sieht . Im Mittelpunkt des gerichtlichen Verfahrens stand die frage, ob die Behörde niedrigere emissionsgrenzwerte als die in § 5 17 . BImschV aufgeführten, zulässigerweise fest-setzen konnte . Das oVG saarlouis hat die frage unter hin-weis auf die besondere Kontrollfunktion der festgesetzten emissionsgrenzwerte bejaht . In dem sich anschließenden revisionsverfahren hat das BVerwG die rechtsauffassung des oVG saarlouis bestätigt und in seinen entscheidungs-gründen ausgeführt, dass die unterhalb der gesetzlichen emissionsgrenzwerte festgesetzten Kontrollwerte im er-gebnis nicht zu beanstanden sind . 16

Bestätigt wurde diese Kontrollwert-rechtsprechung mittlerweile durch den Beschluss des BVerwG vom 9 . 4 . 2008 . Darin hat das Gericht die frage nach der zu-lässigkeit von Kontrollwerten unter hinweis auf seine bis-herige rechtsprechung als nicht weiter klärungsbedürftig eingestuft . 17 Kontrollwerte können somit als fester Geneh-migungsbestandteil im anlagenzulassungsrecht angesehen werden .

3. Die Bedeutung von Kontrollwerten

Nach auffassung des BVerwG dienen Kontrollwerte der Nachprüfbarkeit des genehmigungskonformen anlagen-

betriebs . Werden anlagen mit technischen einrichtungen ausgestattet, die im Normalbetrieb zu einer unterschrei-tung der gesetzlich vorgesehenen emissionsgrenzwerte führen, muss die einhaltung dieser Werte und damit der Normalbetrieb der anlage behördlicherseits überprüft werden können . 18 über die emissionsgrenzwerte der je-weiligen Immissionsschutzverordnung ist dieses dabei nicht möglich . Diese bilden zwar den bundesweiten stand der „aktuellen“ anlagentechnik ab . als Kontrollinstrument für die ordnungsmäßigkeit des anlagenbetriebs können sie allerdings nur dann fungieren, wenn die anlagenaus-stattung diesem „Durchschnittsstandard“ tatsächlich ent-spricht . Geht die anlagentechnik jedoch über das gesetz-lich vorgeschriebene Maß an emissionsminderung hinaus, verlieren die emissionsgrenzwerte insoweit ihre Wertigkeit als Kontrollmaßstab . In diesem fall bedarf es der festset-zung besonderer Kontrollwerte, die auf die konkrete anla-genausstattung ausgelegt sind und den Normalbetrieb der anlage sicherstellen .

Nach auffassung des BVerwG handelt es sich bei den Kontrollwerten dabei nicht um eine Verschärfung der ge-setzlich normierten Grenzwerte . auch kommt ihnen – trotzt ggf . anders lautender Bezeichnung im Genehmi-gungsbescheid – nicht die Bedeutung „echter“ Grenzwerte zu . 19 als solches werden von der rechtsprechung nur sol-che Werte angesehen, die in hohem Maße wissenschaft-lich-technischen sachverstand verkörpern und aufgrund ihrer generellen Wertung einem einheitlichen Gesetzes-vollzug dienen . 20 Wie den ausführungen des BVerwG in seinem urteil vom 26 . 4 . 2007 zu entnehmen ist, treten die Kontrollwerte vielmehr als eigenständige Wertekatego-rie zu den normativ vorgegebenen emissionsgrenzwerten hinzu . 21 sie dienen der Konkretisierung der Vorsorge-pflicht im hinblick auf den ordnungsgemäßen Betrieb ei-ner anlage . 22 Nach auffassung des Gerichts besteht die aufgabe der Vorsorgepflicht nicht nur darin, durch den einsatz technischer Maßnahmen Massenströme oder Mas-senverhältnisse der von einer anlage ausgehenden Luftver-unreinigung zu begrenzen und zu minimieren . aufgabe der Vorsorge ist es vielmehr, der Behörde Maßnahmen an die hand zu geben, die die ordnungsmäßigkeit des an-lagenbetriebs sicherstellen . Die Kontrollwerte sind somit immanenter ausdruck des Vorsorgegebots des § 5 abs . 1 Nr . 2 BImschG . Bedeutet Vorsorge die entstehung von luftverunreinigenden emissionen durch technische, das emissionsverhalten der anlage bestimmende Maßnahmen zu vermeiden, so impliziert dies im umkehrschluss auch

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9) Mit Verbindlichkeit ist hier keine rechtliche, sondern eine fach-liche Verbindlichkeit gemeint .

10) BVerwG, Beschl . v . 10 . 6 . 1998 – 7 B 25/98, NVwz 1998, 1181 .

11) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 16 .12) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 16 .13) Vgl . hierzu Lahl, entwicklung der emissionsgrenzwerte, Müll-

magazin 2009, 63/66; A. Versteyl, emissionsbegrenzung durch Kontrollwerte – zu den rechtlichen Grundlagen einer mögli-chen neuen Wertekategorie der 17 . BImschV, abfallr 2009, 182/186 .

14) BVerwG, urt . v . 21 . 6 . 2001 – 7 c 21/00, NVwz 2001, 1165 .15) oVG saarlouis, urt . v . 10 . 11 . 2006 – 3 M 1/05, rdnr . 158 ff . 16) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06 . 17) BVerwG, Beschl . v . 9 . 4 . 2008 – 7 B 3 .08, rdnr . 18 f . 18) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 18 ff .19) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 13 ff .20) BVerwG, urt . v . 21 . 6 . 2001 – 7 c 21/00, NVwz 2001, 1165;

BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 13 f .21) für die emissionsgrenzwerte der ta Luft vgl . BVerwG urt . v .

21 . 6 . 2001 – 7 c 21/00, NVwz 2001, 1165 .22) Im ergebnis ebenso Roßnagel, in: Koch/scheuing, Gemein-

schaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, Lose-blatt, stand Mai 2004, § 7 rdnr . 104 .

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die behördliche Kontrollmöglichkeit der funktionstaug-lichkeit der einrichtungen . 23

4. Voraussetzungen für die Festsetzung von Kontrollwerten

ermächtigungsgrundlage für die festsetzung von Kon-trollwerten ist demgemäß unmittelbar das Vorsorgegebot des § 5 abs . 1 Nr . 2 BImschG . Danach können Kontroll-werte immer dann festgesetzt werden, wenn die techni-sche ausstattung der anlage zu einer unterschreitung der gesetzlich vorgegebenen emissionsgrenzwerte im regelbetrieb führt . Die höhe der festzusetzenden Kon-trollwerte bemisst sich dabei nach den im Normalbetrieb freigesetzten emissionen . eine festsetzung strengerer Kontrollwerte, also sogenannte zielwerte, ist demgegen-über unzulässig . Dies käme einer Verschärfung der emis-sionsgrenzwerte gleich, was mit ihrem charakter als ech-tem Grenzwert unvereinbar wäre . Bei der festsetzung niedrigerer emissionsgrenzwerte in Nebenbestimmungen ist deshalb ggf . im Wege der auslegung zu ermitteln, ob es sich um Kontroll- oder unzulässige zielwerte handelt . eine falschbezeichnung ist dabei unschädlich . Insoweit gilt auch im Immissionsschutzrecht der falsa demonstratio non nocet Grundsatz . 24

5. Drittschutz und behördliche Festsetzungspflicht von Kontrollwerten

Kontrollwerte sind im übrigen nur im Bereich der emis-sionen, nicht auch im Bereich der Immissionen zulässig . Dies folgt aus ihrer rückkoppelung an die anlagentechnik und ihrer spezifischen funktionszuweisung . Kontrollwerte dienen der überwachung der jeweiligen anlage . ob es im falle einer Kontrollwertüberschreitung zu schädlichen umwelteinwirkungen im einwirkungsbereich der anlage kommt, spielt demgegenüber keine rolle . Kontrollwerten kommt demgemäß keine drittschützende Wirkung zu . 25 hält eine anlage die festgesetzten Kontrollwerte nicht ein, kann der Nachbar nicht unter Berufung auf die Kontroll-wertfestsetzung geltend machen, dadurch in seinen rech-ten verletzt zu sein . umgekehrt besteht kein anspruch des Nachbarn oder Dritter auf aufnahme von Kontrollwerten in den Genehmigungsbescheid .

Davon zu trennen ist die frage, ob die Genehmigungs-behörde zur festsetzung von Kontrollwerten verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen . In er-mangelung normativer Kontrollwertvorgaben, die kraft Gesetzesbefehls beachtlich und damit festsetzungspflichtig sind, muss auf die genehmigungsbehördlichen Vorgaben im Bundes-Immissionsschutzgesetz abgestellt werden . § 12 BImschG bestimmt insoweit, dass die Genehmigung un-ter Bedingungen erteilt und mit auflagen versehen wer-den kann, soweit dies erforderlich ist, um die erfüllung der in § 6 genannten Genehmigungsvoraussetzungen si-cherzustellen . Wie gezeigt wurde, ist der ordnungsge-mäße anlagenbetrieb integrativer Bestandteil der Vorsor-gepflicht . Diesen gilt es nach § 6 BImschG sicherzustellen . somit „kann“ die Behörde Kontrollwerte in form von Bedingungen und auflagen erlassen . Nach wohl überwie-gender Meinung in der Literatur ist aus der formulierung des § 12 BImschG als Kann-Bestimmung jedoch nicht zu folgern, der Behörde stünde ein entschließungsermessen bei der festsetzung von Nebenbestimmungen zu . Viel-mehr ist die Behörde verpflichtet, Nebenbestimmungen zu erlassen, wenn auf diese Weise die erfüllung der Ge-nehmigungsvoraussetzung sichergestellt werden kann . 26 Das ermessen bezieht sich somit nur auf das auswahler-messen hinsichtlich der möglichen auflagen und Bedin-gungen . 27

6. Nichteinhaltung der Kontrollwerte – Rechtsfolgen

Werden die in Nebenbestimmungen enthaltenen Kontroll-werte nicht eingehalten, kann dies ein Indiz für einen nicht (mehr) genehmigungskonformen anlagenbetrieb sein . 28 Kontrollwertüberschreitungen werden deshalb regelmäßig mit überwachungs- und überprüfungsmaßnahmen nach § 52 BImschG einhergehen . auch gesteigerte Informa-tions- und Mitteilungspflichten des anlagenbetreibers sind denkbar . 29 Bestätigt sich der Verdacht eines regelwidrigen anlagenbetriebes, kann die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nachträgliche anordnun-gen nach § 17 BImschG treffen . 30

ob die Behörde darüber hinaus die stilllegung der anlage gemäß § 20 BImschG anordnen kann, hängt u . a . davon ab, ob es sich bei der Kontrollwertfestsetzung um eine „selbst-ständige auflage“ handelt, wie sie § 20 abs . 1 BImschG er-fordert . auflagen sind gemäß § 36 abs . 2 Nr . 4 VwVfG „Be-stimmungen, durch die dem Begünstigten ein tun, Dulden oder unterlassen vorgeschrieben wird .“ anders als bei der Bedingung hängt von der erfüllung der auflage der eintritt der rechtsfolgen der Genehmigung nicht ab .

Da die Kontrollwerte kein Massenkonzentrationswert im sinne eines zielwertes darstellen, sondern neben die emis-sionsgrenzwerte treten, spricht einiges dafür, dass es sich um eine echte selbstständige auflage handelt . 31 Letztlich wird es insoweit jedoch auf den objektiven erklärungswert der anordnung im konkreten einzelfall ankommen, ob diese als auflage qualifiziert werden kann . Davon wird auch die Widerrufsmöglichkeit nach § 21 BImschG abhängen .

7. Zusammenfassung

Neben den bisherigen richt- und Grenzwerten haben die anlagenbetreiber künftig auch sogenannte Kontrollwerte zu beachten . Diese dienen der überwachung des ord-nungsgemäßen anlagenbetriebs und sind an der konkre-ten technischen ausstattung der anlage ausgerichtet . Die den stand der technik rezipierenden emissionsgrenzwerte lassen sie unberührt . Kontrollwerte sind ihrer rechtsnatur nach Vorsorgewerte im sinne des § 5 abs . 1 Nr . 2 BImschG und damit nicht drittschützend . Die Nichteinhaltung der Kontrollwerte vermittelt Dritten keine einklagbare sub-jektive rechtsposition . Daraus folgt allerdings keine gene-relle sanktionslosigkeit des Verstoßes gegen Kontrollwerte . Vielmehr kann die Genehmigungsbehörde unter den Vo-raussetzungen der §§ 17 ff . BImschG die dort genannten Mittel zum einsatz bringen .

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23) so schon BVerwG, urt . v . 21 . 6 . 2001 – 7 c 21/00, NVwz 2001, 1165 .

24) BVerwG urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06 rdnr . 17 . 25) ebenso A. Versteyl, emissionsbegrenzung durch Kontrollwerte –

zu den rechtlichen Grundlagen einer möglichen neuen Werte-kategorie der 17 . BImschV, abfallr 2009, 182/185 .

26) Jarass, BImschG, Kommentar, 7 . aufl ., § 12 rdnr . 15; Sellner, in: Landmann/rohmer, umweltrecht Band I, Loseblattkommen-tar, stand april 2009, § 12 rdnr . 139 .

27) Jarass, BImschG, Kommentar, 7 . aufl . § 12 rdnr . 15 . 28) BVerwG, urt . v . 26 . 4 . 2007 – 7 c 15 .06, rdnr . 18 . 29) ebenso A. Versteyl, emissionsbegrenzung durch Kontrollwerte –

zu den rechtlichen Grundlagen einer möglichen neuen Werte-kategorie der 17 . BImschV, abfallr 2009, 182/185 .

30) a . a . zu den rechtsfolgen einer Kontrollwertüberschreitung A.Versteyl, emissionsbegrenzung durch Kontrollwerte – zu den rechtlichen Grundlagen einer möglichen neuen Wertekategorie der 17 . BImschV, abfallr 2009, 182/185 .

31) Im ergebnis wohl ebenso Sellner, in: Landmann/rohmer, um-weltrecht Band I, Loseblattkommentar, stand april 2009, § 12 rdnr . 54 .